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Studienarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Soziologie - Allgemeines und Theorierichtungen, Note: 1,3, Universität Koblenz-Landau (Soziologie), Veranstaltung: Wissenssoziologie und symbolischer Interaktionismus, Sprache: Deutsch, Abstract: Wenn Menschen als leibliche Wesen ins Dasein gelangen, treten sie unvermeidlich und ohne vorherige Zustimmungsmöglichkeit in schon bestehende Sprachgemeinschaften und damit in größere, übergreifende Sinnzusammenhänge ein, die im Laufe der Zeit ihr Bewusstsein und damit das Verhältnis der Menschen zu sich, den Mitmenschen und der Welt prägen. Alles „In-der-Welt-sein“ (Heidegger) heißt daher auch immer "In-der-Gesellschaft-sein" (Berger/Luckmann), da das „soziale A priori“ die Entwürfe für die primäre Welt- und Selbstinterpretation bereitstellen. In der vorliegenden Arbeit werden zwei solcher Konstruktions-Konzepte behandelt, die vermehrt die gesellschaftliche Präformierung der menschlichen Weltauslegung in den Vordergrund rücken. Dazu wird zum einen die Idee des Konstruktivismus bei Berger/Luckmann untersucht, deren bahnbrechendes Werk „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ eine Alltagswende in der Wissenssoziologie hervorrief und die dynamische Dialektik von Gesellschaft und Mensch und deren Wirklichkeitserfassung analysiert. Ferner werden vornehmlich zwei Werke des französischen Philosophen und Pioniers der Postmodernendebatte Jean-Francois Lyotard wissenssoziologisch interpretiert und dessen Idee von der Konstruktivität von Welt herausgearbeitet. Dabei werden besonders auf das „Ende der großen Erzählungen“ und die sich daraus ergebenden, sozialen Konsequenzen und die damit verbundenen Hoffnungen eingegangen. In Gesamtzusammenhang beider Ansätze werden u. a. Bereiche wie Anthropologie, Sozialisation, Individualität, Wissen, Macht und die Bedeutung der Sprache für die Weltsicht thematisiert. In einem letzten, abschließenden Schritt werden beide Konzeptionen auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin befragt.
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Gliederung:
Einleitung
1. Ein Gedankenexperiment als Themeneinführung
1.2 Wissenschaftliche Vorgehensweise
Hauptteil:
2. Die Idee des Konstruktivismus bei Berger/ Luckmann
2.1 Anthropologische PrämissenS.
2.1.1 Die Voraussetzungen des Wirklichkeitsbezugs der Alltagswelt
2.1.2 Bedeutung der Sprache für den Entwurf von Wirklichkeit
2.2 Externalisierung: Wie der Mensch sich seine gesellschaftliche Welt entwirft
2.2.1 Ablagerung von Wissen und Weitergabe des Gewussten
2.2.2 Die Legitimation der Teile und des Ganzen
2.3 Objektivierung: Gesellschaft als objektiv(iert)e Wirklichkeit
2.4 Internalisierung: Wie der Mensch von der Gesellschaft entworfen wird
2.4.1 Primäre Sozialisation
2.4.2 Sekundäre Sozialisation und der Riss in der Wirklichkeitsauffassung
2.5 Die dynamische Dialektik der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit
2.6 Die Grenzen der Konstruierbarkeit
3. Die Idee des Konstruktivismus bei Francois Lyotard
3.1 Einige Gedanken über anthropologische Voraussetzungen
3.2 Vom Ende der Erzählungen: Lyotard als skeptischer Sozialkonstruktivist
3.2.1 Historische Belege für den Niedergang der großen Erzählungen
3.2.2 Der offene Wirklichkeitsbezug und die Folgerungen
3.3 Die sozialen Konsequenzen
3.3.1 Die postmoderne Perspektive auf die Gesellschaft
3.3.2 Die Atomarisierung der Gesellschaft
3.3.3 Die hervorgehobene Stellung des Individuums im sozialen Geflecht
3.3.4 Die Entgrenzung der Institutionen
3.4 Wider den Messbarkeits- und Effizienzzwang
3.5 Die Hoffnungen nach dem Ende der großen Erzählungen
Schluss:
4. Markante Unterschiede in den Konstruktionskonzepten bei B/L und Lyotard
4.1 Zurück zum Anfang
5. Literaturverzeichnis
Einleitung
1. Ein Gedankenexperiment als Themeneinführung
Man stelle sich vier Personen vor: Einen selbsternannten neoliberalen Jung-unternehmer, einen Philosophiestudenten, der sich als überzeugten Existenzialisten ausgibt, einen vierzig Stunden in der Woche Routinedienstleistung erbringenden Lager-arbeiter, der sich selbst als „normalen Menschen“ bezeichnet und einen eingefleischten Postmodernisten. Und man stelle sich ferner vor, dass man diesen zeitgenössischen Personen die Aufgabe erteilt, getrennt voneinander, aber zum gleichen Zeitpunkt, für die gleiche Dauer durch die Einkaufspassage einer bestimmten Stadt zu gehen und nach Beendigung dieses experimentellen Spaziergangs die gewonnenen Eindrücke und Erlebnisse, äußere wie auch innere Begebenheiten, ex post zu beschreiben - was wäre wohl das Ergebnis dieser kleinen qualitativen Forschungsstudie?[1] Mit hoher Wahr-scheinlichkeit wären vier inhaltlich und stilistisch völlig von einander verschiedene narrative Weltentwürfe das Resultat dieses kleinen Experiments.
So würde ersterer zum Beispiel vornehmlich die Kaufhäuser mit den leuchtenden Firmenlogos im Blick haben, welche ihm Indizien für Leistungsbereitschaft, Effizienz und den Erfolg des Unternehmertums sind, die durch ihre Risikobereitschaft Güter und Waren anbieten, die die Lebensqualität der Konsumenten anheben. Vermutlich würde die offenkundige Reserviertheit der Passanten in seinen Augen die These des homo economicus bestätigen, in dem er feststellt, dass jeder mit sich beschäftigt ist, mit seinem ganz persönlichen Glück und so auf dem Wege einer sozialisierten Egozentrik an jeden gedacht ist. Vielleicht würde er auch schildern, dass ihm beim Anblick eines mit Nadelstreifenanzug gekleidetem Herren ein wohlmeinendes Lächeln übers Gesicht gehuscht sei, weil er vermutete einem Gleichgesinnten begegnet zu sein, wohingegen der verwahrloste Obdachlose, der auf dem Asphalt kniend um ein Almosen bettelt, in ihm Verachtung erregt, da er das Humankapital in sich und damit den potentiellen Nutzen zum Wohl der Gesellschaft ungenutzt lässt.
Der Existentialist würde vermutlich, je nach intellektueller Prägung, ob nun unter sartrescher oder camusschem Einfluss stehend, ganz anderes im gleichen sehen. Vermutlich sähe er betretene Gesichter, umherirrende, einander fremdgewordene Gestalten, die sich im Konsum zu zerstreuen wünschen, die dem Gedanken an ein Nichts und das Absurde, an Verzweiflung, Angst und dem Ekel an sich entfliehen wollen. Verkappte Freiheiten auf einem nichtigen Spaziergang durchs Grau, erwürgte Möglichkeiten ihrer selbst, die in der Illusion leben, Glück sei käuflich, sähe und schilderte er vermutlich. Im Obdachlosen erblickte er vielleicht einen Freund und geistig Verbündeten, einen Einzelnen, der aus der Herde des normierten Individual-ismus hervorsticht, einen der dem Schmerz des Existierens tagtäglich, ganz wie unser Existentialist, ausgesetzt ist und ihm mit heroischem Bewusstsein die Stirn zu bieten versucht.