Pretty Little Liars - Skrupellos - Sara Shepard - E-Book

Pretty Little Liars - Skrupellos E-Book

Sara Shepard

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Beschreibung

Arias Beziehung geht den Bach runter, Emily entdeckt ihre wilde Seite, Hanna tauscht Küsse mit dem Feind und Spencer wird mit ihrer unschönen Vergangenheit konfrontiert …Doch das sind alles peanuts im Vergleich zu jener schicksalhaften Nacht auf Jamaica, welche die vier verzweifelt zu vergessen versuchen. Vergeblich – eine Alte Bekannte aus dem Off meldet sich zurück, die nur eines will: dass die vier endlich das kriegen, was sie verdienen …

Ein fesselnde Pagteturner mit Kultstatus - bei den "Pretty Little Liars" ist Suchtgefahr garantiert! Diese Reihe bietet eine unwiderstehliche Mischung für Fans von jeder Menge Glamour und tödlichen Intrigen.

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Seitenzahl: 373

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DIE AUTORIN

Foto: © Daniel Snyder

Sara Shepard hat an der New York University studiert und am Brooklyn College ihren Magisterabschluss im Fach Kreatives Schreiben gemacht. Sie wuchs in einem Vorort von Philadelphia auf, wo sie auch heute lebt. Ihre Jugend dort hat die »Pretty Little Liars«-Serie inspiriert, die in 22 Länder verkauft wurde und die, ebenso wie ihre Reihe »Lying Game«, zum New York Times Bestseller wurde. Inzwischen wird »Pretty Little Liars« mit großem Erfolg als TV-Serie bei ABC gesendet. In Deutschland wird »Pretty Little Liars« seit Mai 2014 auf Super RTL gezeigt.

Von der Autorin sind außerdem bei cbt erschienen:

Pretty Little Liars – Unschuldig (Band 1)

Pretty Little Liars – Makellos (Band 2)

Pretty Little Liars – Vollkommen (Band 3)

Pretty Little Liars – Unvergleichlich (Band 4)

Pretty Little Liars – Teuflisch (Band 5)

Pretty Little Liars – Mörderisch (Band 6)

Pretty Little Liars – Herzlos (Band 7)

Pretty Little Liars – Vogelfrei (Band 8)

Pretty Little Liars – Unerbittlich (Band 9)

Lying Game – Und raus bist du (Band 1)

Lying Game – Weg bist du noch lange nicht (Band 2)

Lying Game – Mein Herz ist rein (Band 3)

Lying Game – Wo ist nur mein Schatz geblieben? (Band 4)

Lying Game – Sag mir erst, wie kalt du bist (Band 5)

Lying Game – Und du musst gehen (Band 6)

Sara Shepard

Aus dem Englischen

von Ursula Held

Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

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1. Auflage

Deutsche Erstausgabe Dezember 2015

© 2011 by Alloy Entertainment and Sara Shepard

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter

dem Titel »Ruthless« bei Harper Teen, an imprint of

Harper Collins Publishers, New York.

Published by arrangement

with Rights People, London

© 2015 für die deutschsprachige Ausgabe

by cbt Verlag in der Verlagsgruppe

Random House GmbH, München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Ursula Held

Lektorat: Ulrike Hauswaldt

Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München

unter Verwendung des Originaldesigns von Tom Forget

Typographie: Peter Horridge

he · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-15430-1

www.cbt-buecher.de

Für Farrin, Christina, Marisa und alle anderen

aus dem genialen Harper-Team

Verdacht wohnt stets im schuldigen Gemüt.

William Shakespeare

MAN KRIEGT IMMER, WAS MAN VERDIENT

Bist du schon mal mit einer richtig üblen Sache davongekommen? Etwa als du etwas mit dem süßen Typen hattest, der mit dir im Bagelladen arbeitet … und dein Freund hat nie davon erfahren. Oder als du den gemusterten Schal aus deiner Lieblingsboutique geklaut hast … und kein Alarm losging. Oder als du ein anonymes Twitter-Profil eingerichtet hast und böse Gerüchte über deine beste Freundin gepostet hast … und nichts gesagt hast, als sie dem nervigen Mädchen die Schuld gab, das in Mathe vor ihr sitzt.

Zuerst fühlt es sich vielleicht toll an, dass man nicht erwischt worden ist. Aber mit der Zeit beginnt es langsam und grässlich zu bohren, tief in einem drin. Wie konnte man das nur tun? Was, wenn es jemand herausfindet? Manchmal ist die Strafe, die man sich ausmalt, schlimmer als die tatsächliche Strafe, und das schlechte Gewissen kann gnadenlos an einem nagen.

Jemand ist noch mal davongekommen, mit einem blauen Auge, mit dem Schrecken – so etwas hört man oft. Aber vier hübsche Mädchen aus Rosewood sind tatsächlich mit einem Mord davongekommen. Und das ist noch nicht alles, was sie verbrochen haben. Ihre grausigen Geheimnisse fressen sie von innen auf. Und da ist jemand, der über alles Bescheid weiß. Karma hat ein gutes Gedächtnis. Besonders in Rosewood, wo Geheimnisse nie lange verborgen bleiben.

Es war halb elf am Abend in Rosewood, Pennsylvania, einem wohlhabenden, idyllischen Vorort von Philadelphia, doch die Luft war noch stickig, heiß und voller Mücken. Die makellos kurz geschnittenen Rasenflächen hatten eine verdorrte, traurig braune Farbe angenommen, die Blumen in den Beeten waren verwelkt, und viele verschrumpelte Blätter lagen, von den Bäumen abgeworfen, auf dem Boden. Die Bewohner von Rosewood paddelten schwerfällig durch ihre mit Kalkstein eingefassten Pools, löffelten selbst gemachte Pfirsicheiscreme aus dem bis Mitternacht geöffneten Biohofladen oder zogen sich in ihre Häuser zurück, fläzten sich vor ihre Klimaanlagen und taten, als wäre Februar. Es war eine der wenigen Zeitspannen im Jahr, in denen das Städtchen nicht aussah wie auf einer kitschigen Postkarte.

Aria Montgomery saß auf der hinteren Veranda, strich sich mit einem Eiswürfel über den Nacken und überlegte, ob sie ins Bett gehen sollte. Ihre Mutter Ella saß neben ihr, ein Glas Weißwein auf den Knien. »Freust du dich nicht, in ein paar Tagen wieder in Island zu sein?«, fragte Ella.

Aria versuchte, etwas Begeisterung aufzubringen, aber innerlich spürte sie eine nagende Unruhe. Sie liebte Island – vom achten bis elften Schuljahr hatte sie dort gelebt –, aber dieses Mal flog sie mit ihrem Freund Noel Kahn, ihrem Bruder Mike und ihrer alten Freundin Hanna Marin dorthin. Das letzte Mal war Aria mit ihnen – und mit ihren beiden guten Freundinnen Spencer Hastings und Emily Fields – verreist, als sie während des Spring Break auf Jamaika Urlaub gemacht hatten. Dort war etwas Schreckliches passiert. Etwas, das Aria niemals vergessen würde.

Zur selben Zeit stand Hanna Marin in ihrem Zimmer und packte. Verdiente Island, ein Land voller seltsamer, bleicher Wikinger, die alle miteinander verwandt waren, ihre Elizabeth-and-James-High-Heel-Stiefel? Sie warf lieber ein Paar Tom’s zum Reinschlüpfen in den Koffer – aus letzterem stieg ihr der Geruch nach Kokosnusssonnenöl entgegen und beschwor Bilder von einem in Sonne getauchten Strand, Felsklippen und dem himmelblauen Karibischen Meer herauf. Wie bei Aria wanderte ihre Erinnerung zurück zu dem schicksalhaften Urlaub, den sie dort mit ihren Freundinnen verbracht hatte. Denk nicht dran, beschwor sie eine innere Stimme. Denk niemals wieder daran.

Die Hitze in der Innenstadt von Philadelphia war nicht weniger gnadenlos. Die Wohnheime auf dem Campus waren schlecht klimatisiert, und die Studenten der Sommeruni stellten sich Ventilatoren in die Fenster und tauchten die Beine in den Brunnen im Innenhof, obwohl es hieß, dass betrunkene Studenten regelmäßig hineinpinkelten.

Emily Fields schloss das Zimmer ihrer Schwester auf, in dem sie sich den Sommer über versteckte. Sie ließ die Schlüssel in den Becher mit der Aufschrift »Stanford Swimming« auf der Ablage fallen und zog ein verschwitztes, nach Bratfett stinkendes T-Shirt, zerbeulte schwarze Hosen und einen Piratenhut aus – ihren Dress, den sie als Kellnerin im Poseidon, einem albernen Fischrestaurant an der Penn’s Landing am Ufer des Flusses trug. Sie wollte sich nur kurz auf dem Bett ihrer Schwester langmachen und ein paarmal tief durchatmen, aber schon klackte das Schloss erneut. Carolyn stürmte ins Zimmer, den Arm voller Bücher. Obgleich sich ihre Schwangerschaft kaum noch verstecken ließ, bedeckte Emily ihren nackten Bauch mit einem T-Shirt. Carolyn glotzte dennoch hin. Auf ihrem Gesicht machte sich ein angewiderter Ausdruck breit und Emily wandte sich beschämt ab.

Knapp einen Kilometer entfernt, ganz in der Nähe der University of Pennsylvania, stolperte Spencer Hastings in einen kleinen Raum auf der örtlichen Polizeiwache. Der Schweiß tropfte ihr als dünnes Rinnsal den Rücken hinunter. Als sie sich mit der Hand durchs dunkelblonde Haar fuhr, spürte sie fettige, filzige Strähnen. Im Türfenster fing sie einen Blick auf ihr Spiegelbild ein und es starrte ihr ein hageres Mädchen mit ausgehöhlten, glanzlosen Augen und herabhängenden Mundwinkeln entgegen. Sie sah aus wie eine verdreckte Leiche. Wann hatte sie das letzte Mal geduscht?

Ein großer Polizist mit sandfarbenem Haar betrat hinter Spencer den Raum, schloss die Tür und musterte sie drohend. »Du bist im Sommerprogramm der Penn, stimmt’s?«

Spencer nickte. Sie befürchtete, wenn sie etwas sagte, würde sie in Tränen ausbrechen.

Der Polizist nahm eine unbeschriftete Pillenflasche aus der Tasche und schüttelte sie vor Spencers Nase. »Ich frage dich jetzt noch mal: Sind das deine?«

Die Flasche verschwamm vor Spencers Augen. Als der Cop sich herüberbeugte, bekam sie eine Schwade Polo-Rasierwasser ab. Das erinnerte sie auf einmal an Jason, den Bruder ihrer ehemaligen besten Freundin Alison DiLaurentis, der an der Highschool eine Polo-Phase hatte und sich mit dem Zeug überschüttete, bevor er auf Partys ging. »Ärghs, ich bin mal wieder verpolopestet worden«, stöhnte Ali immer, wenn Jason vorbeikam, und Spencer und ihre damaligen besten Freundinnen Aria, Hanna und Emily hatten sich kaputtgelacht.

»Findest du das etwa lustig?«, grollte der Polizist. »Ich sag dir eins: Wenn wir hier fertig sind, hast du nichts mehr zu lachen.«

Spencer presste die Lippen zusammen. Offenbar hatte sie unbewusst gegrinst. »Tut mir leid«, flüsterte sie. Wie konnte sie ausgerechnet jetzt an ihre tote Freundin Ali – alias Courtney, Alis unbekannte Zwillingsschwester – denken? Gleich würde ihr auch noch die echte Alison DiLaurentis durchs Hirn spuken – ein Mädchen, das aus einer psychiatrischen Klinik nach Rosewood zurückgekehrt war und die eigene Zwillingsschwester, Ian Thomas, Jenna Cavanaugh und beinahe auch Spencer getötet hatte.

Bestimmt waren diese irren Gedanken eine Nebenwirkung der Tablette, die sie etwa vor einer Stunde geschluckt hatte. Die Wirkung entfaltete sich jetzt voll und ihr Hirn arbeitete mit Lichtgeschwindigkeit. Ihre Augen waren überall, die Hände zuckten. Du hast das Supernoten-Zittern!, würde ihre Freundin Kelsey sagen, wenn sie jetzt noch zusammen in Kelseys Zimmer säßen statt in zwei getrennten Verhörzimmern auf dieser schmuddeligen Polizeiwache. Und Spencer würde lachen, Kelsey eins mit ihrem Collegeblock überziehen und sich dann weitere neun Monate Lernstoff Chemie in ihren sowieso schon proppenvollen Kopf packen.

Als klar war, dass Spencer nichts zu den Pillen sagen würde, schob sie der Polizist seufzend zurück in seine Hosentasche. »Nur damit du’s weißt: Deine Freundin plappert eifrig drauflos«, behauptete er. »Sie sagt, das war alles deine Idee, und sie hat nur mitgemacht.«

Spencer schluckte. »Sie hat was gesagt?«

Jemand klopfte an der Tür. »Moment mal«, brummte der Polizist. »Bin gleich zurück.«

Er trat aus der Zelle. Spencer sah sich in dem winzigen Raum um. Die verputzten Wände waren kotzgrün gestrichen, verdächtige gelb-braune Flecken verunstalteten den beigefarbenen Teppich, und die Neonröhre an der Decke gab ein hohes Summen von sich, von dem Spencer Zahnschmerzen bekam. Draußen waren Schritte zu hören und sie saß ganz still und lauschte. Nahm der Polizist jetzt Kelseys Aussage auf? Und was erzählte Kelsey über Spencer? Sie hatten nicht abgesprochen, was sie im Falle einer Verhaftung sagen würden. Sie hatten nie damit gerechnet, dass sie geschnappt werden könnten. Der Polizeiwagen war einfach so aus dem Nichts aufgetaucht …

Spencer schloss die Augen und dachte darüber nach, was in der vergangenen Stunde eigentlich geschehen war. Sie hatten die Pillen besorgt, im schlimmsten Viertel Philadelphias. Wollten so schnell wie möglich wieder weg. Dann hatte sie gehört, wie hinter ihnen Sirenen aufheulten. Sie fürchtete sich vor dem, was in den nächsten Stunden passieren würde. Der Anruf bei ihren Eltern. Die enttäuschten Blicke und stummen Tränen. Die Rosewood Day würde sie wahrscheinlich der Schule verweisen und Spencer müsste ihren Abschluss an der Rosewood Public machen. Oder aber sie wanderte in den Jugendknast. Und danach kam dann nur noch das staatliche College infrage oder ein Job als Riesensandwich-Zubereiterin bei Wawa oder als lebendige Reklametafel für irgendein Kreditinstitut, die den Autofahrern an der Lancaster Avenue die aktuellen Hypothekenzinsen anzeigte.

Spencer fasste nach der laminierten ID-Karte für das Sommerprogramm der University of Pennsylvania in ihrer Hosentasche. Sie dachte an die benoteten Referate und Tests, die sie diese Woche zurückbekommen hatte, mit strahlenden 98 und 100 Punkten. Alles lief so gut. Sie musste nur den Rest des Sommerprogramms absolvieren, die vier Examen bestehen und würde dann wieder an der Spitze der Rosewood-Day-Leistungspyramide stehen. Sie verdiente doch wirklich mal eine Schonfrist nach den schrecklichen Erlebnissen mit der echten Ali. Wie viel Qual und Unglück konnte ein einzelnes Mädchen aushalten?

Sie holte ihr iPhone aus ihrer Jeansshorts und wählte Arias Nummer. Es klingelte einmal, zweimal …

Arias Klingelton blökte durch die friedvolle Dämmerung. Als sie Spencers Namen auf dem Display sah, zuckte sie zusammen. »Hey«, meldete sie sich vorsichtig. Aria hatte schon länger nichts von Spencer gehört, nicht seit ihrem Streit auf Noel Kahns Party.

»Aria.« Spencers Stimme hatte ein Tremolo wie eine überstrapazierte Geige. »Ich brauche deine Hilfe. Ich hab Ärger. Schlimmen Ärger.«

Aria schob sich schnell durch die Glastür und tappte in Richtung ihres Zimmers. »Was ist passiert? Alles in Ordnung?«

Spencer schluckte. »Es ist wegen mir und Kelsey. Sie haben uns geschnappt.«

Aria blieb auf der Treppe stehen. »Wegen der Pillen?«

Spencer wimmerte nur.

Aria sagte nichts. Ich hab dich gewarnt, dachte sie. Und du bist auf mich losgegangen.

Spencer seufzte, weil sie ahnte, warum Aria schwieg. »Hör mal, es tut mir leid, was ich auf Noels Party zu dir gesagt habe. Ich war nicht ganz bei mir und ich hab es nicht so gemeint.« Sie sah nochmals durch das kleine Fenster in der Tür. »Aber es ist ernst, Aria. Meine Zukunft steht auf dem Spiel. Mein ganzes Leben.«

Aria kniff sich in die Haut über der Nasenwurzel. »Ich kann da nichts machen. Ich will nichts mit der Polizei zu tun haben – erst recht nicht nach Jamaika. Tut mir leid. Ich kann dir nicht helfen.« Schweren Herzens legte sie auf.

»Aria!«, rief Spencer in den Hörer, aber schon leuchtete die ANRUF-BEENDET-Meldung.

Unglaublich. Wie konnte ihr Aria das antun, nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten?

Vor dem Verhörraum hustete jemand. Spencer nahm schnell ihr Handy und wählte Emilys Nummer. Sie drückte das Gerät ans Ohr und hörte es tuten. »Nimm ab. Nimm ab«, flehte sie.

In Carolyns Zimmer waren schon die Lampen aus, als Emilys Telefon biepte. Emily sah Spencers Namen auf dem Display und sie durchzuckte ein ungutes Gefühl. Spencer wollte sie vielleicht zu einem Treffen an der Penn einladen. Emily entschuldigte sich immer damit, dass sie zu müde sei, aber das eigentliche Problem war, dass sie Spencer und ihren anderen Freundinnen nichts davon gesagt hatte, dass sie schwanger war. Die Vorstellung, ihnen alles erklären zu müssen, versetzte sie in Panik.

Als sie nun das Display leuchten sah, beschlich sie der Zweifel. Und wenn Spencer in Schwierigkeiten war? Als Emily sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie ihr so verängstigt und durcheinander erschienen. Vielleicht brauchte sie Emilys Hilfe. Vielleicht könnten sie sich gegenseitig helfen.

Emily tastete nach dem Telefon, aber Carolyn drehte sich zu ihr herüber und raunzte: »Du gehst da doch nicht dran, oder? Manche von uns müssen morgen früh nämlich zum Kurs.«

Emily drückte IGNORIEREN und ließ sich zurück auf die Matratze fallen. Sie schluckte die Tränen hinunter. Sie wusste, dass es belastend für Carolyn war, sie hier wohnen zu lassen – ihr Futon nahm beinahe den gesamten Fußboden ein, Emily störte ständig den Lernplan ihrer Schwester, und sie verlangte von Carolyn, ein großes Geheimnis vor ihren Eltern zu bewahren. Aber musste sie deswegen so fies sein?

Spencer legte auf, ohne Emily eine Nachricht zu hinterlassen. Jetzt gab es noch eine Person, die sie anrufen konnte. Spencer tippte auf Hannas Namen in ihrer Kontaktliste.

Hanna zog eben ihren Koffer zu, als das Telefon klingelte. »Mike?«, meldete sie sich, ohne aufs Display zu schauen. Ihr Freund hatte sie den ganzen Tag mit wert-losen Infos über Island überschüttet – Wusstest du, dass die da ein Sexmuseum haben? Da müssen wir hin!

»Hanna«, brach Spencer hervor. »Ich brauche dich.«

Hanna lehnte sich zurück. »Alles okay bei dir?« Sie hatte den ganzen Sommer über kaum etwas von Spencer gehört, zumal die einen Sommer-Intensivkurs an der Penn besuchte. Das letzte Mal hatten sie sich bei Noel Kahns Party gesehen, mit Spencers Freundin Kelsey. Ein echt seltsamer Abend.

Spencer brach in Tränen aus. Ihre Worte überschlugen sich und Hanna bekam nur Bruchstücke mit: »Die Polizei … Tabletten … Ich wollte sie loswerden … Ich bin so was von tot, wenn du nicht …«

Hanna stand auf und durchschritt das Zimmer. »Jetzt mal langsam. Damit ich alles richtig verstehe. Du hast also Ärger, wegen der Drogen?«

»Ja, und du musst etwas für mich erledigen.« Spencer hielt das Telefon mit beiden Händen fest.

»Wie soll ausgerechnet ich dir denn helfen?«, flüsterte Hanna. Sie dachte daran, wie sie selbst auf die Polizeiwache gezerrt worden war – einmal, weil sie ein Armband bei Tiffany gestohlen hatte, und später noch einmal, weil sie das Auto ihres damaligen Freundes Sean zu Schrott gefahren hatte. Spencer verlangte ja wohl nicht von ihr, dass sie mit dem Polizisten anbändelte, der sie verhaftet hatte, so wie Hannas Mutter es getan hatte.

»Hast du noch die Pillen, die ich dir auf Noels Party gegeben habe?«, fragte Spencer.

»Äh, ja.« Hanna wurde unruhig.

»Du musst zum Campus der Penn fahren. Geh zum Friedman-Wohnheim. An der Hinterseite ist eine Tür, die immer offen steht. Da kommst du auf jeden Fall rein. Und dann gehst du in den dritten Stock, Zimmer 413. Du brauchst eine Zahlenkombination für die Tür, die 5-9-2-0. Und wenn du drin bist, legst du die Pillen unters Kopfkissen. Oder in die Schreibtischschublade. Irgendwohin, wo sie versteckt sind und doch leicht gefunden werden.«

»Warte mal, wer wohnt denn in dem Zimmer?«

Spencer rollte die Zehen ein. Sie hatte gehofft, Hanna würde nicht nachfragen. »Na ja … Kelsey«, räumte sie ein. »Aber mach mir jetzt kein schlechtes Gewissen, Hanna. Das halt ich nicht aus. Kelsey will mich fertigmachen, jetzt echt. Du musst diese Pillen in ihrem Zimmer deponieren und dann bei der Polizei anrufen und sagen, dass sie an der Penn gewohnheitsmäßig mit dem Zeug dealt. Und du musst dazusagen, dass sie eine dunkle Vergangenheit hat, dass sie schon öfter Ärger hatte. Das sollte reichen, damit die Bullen ihr Zimmer durchsuchen.«

»Ist Kelsey denn wirklich eine Dealerin?«, fragte Hanna.

»Keine Ahnung. Glaub nicht.«

»Du verlangst also, dass ich Kelsey wegen etwas anschwärze, das ihr beide getan habt?«

Spencer schloss die Augen. »Ich schwör dir, Kelsey sitzt jetzt eben im Verhörraum und schiebt alles mir zu. Ich muss meine Haut retten.«

»Aber ich fliege in zwei Tagen nach Island!«, wehrte Hanna ab. »Ich möchte nicht wegen eines Haftbefehls bei der Passkontrolle zurückgehalten werden.«

»Du wirst nicht erwischt«, versicherte Spencer. »Versprochen. Denk doch mal an Jamaika. Wir wären doch alle geliefert, wenn wir nicht zusammengehalten hätten.«

Hanna drehte sich der Magen um. Sie hatte sich so sehr bemüht, die Sache mit Jamaika aus ihrer Erinnerung zu löschen, und sie war ihren Freundinnen für den Rest des Schuljahres aus dem Weg gegangen, um die furchtbaren Erlebnisse nicht aufleben zu lassen. Dasselbe war den vieren passiert, nachdem Alison DiLaurentis – eigentlich Courtney, Alis verheimlichte Zwillingsschwester – am letzten Schultag der siebten Klasse verschwunden war. Manchmal schweißt eine Tragödie Freunde zusammen. Manchmal reißt sie sie auseinander.

Aber Spencer brauchte sie jetzt, so wie Hanna ihre Freundinnen auf Jamaika gebraucht hatte. Sie hatten ihr das Leben gerettet. Sie stand auf und schluppte in ein Paar Havaiana-Flipflops. »Gut«, sagte sie. »Ich mach’s.«

»Danke«, sagte Spencer. Als sie auflegte, überkam sie die Erleichterung wie ein kühler Sprühregen.

Die Tür wurde aufgerissen und Spencer glitt beinahe das Telefon aus der Hand. Derselbe drahtige Polizist stapfte ins Zimmer. Als er Spencers Telefon bemerkte, bekam er rote Wangen. »Was machst du da?«

Spencer ließ es auf den Tisch fallen. »Mir hat niemand gesagt, dass ich es abgeben soll.«

Der Polizist griff sich das iPhone und ließ es in seine Tasche gleiten. Dann riss er Spencer am Arm hoch. »Komm mit.«

»Wohin bringen Sie mich?«

Der Polizist schubste Spencer in den Flur. Der Geruch nach verdorbenem Junkfood brannte ihr in der Nase. »Wir müssen uns unterhalten.«

»Ich hab Ihnen doch gesagt, ich weiß nichts«, protestierte Spencer. »Was hat Kelsey denn erzählt?«

Der Polizist grinste. »Wir werden sehen, ob eure Geschichten zusammenpassen.«

Spencer wurde nervös. Sie sah ihre neue Freundin im Verhörraum sitzen, wie sie die eigene Zukunft zu retten versuchte und Spencers dafür opferte. Dann dachte sie an Hanna, die jetzt ins Auto stieg und den Penn Campus ins Navi eingab. Bei der Vorstellung, dass sie Kelsey die Schuld zuschob, wurde ihr mulmig zumute, aber hatte sie eine andere Wahl?

Der Polizist drückte eine weitere Tür auf und wies sie an, auf einem Bürostuhl Platz zu nehmen. »Sie haben eine Menge zu erklären, Miss Hastings.«

Glaubst du, dachte Spencer und richtete sich auf. Sie hatte richtig entschieden. Sie musste an sich denken. Und Hanna war unterwegs, also würde sie ungeschoren davonkommen.

Erst später, nachdem Hanna die Drogen platziert hatte, nachdem ihr Anruf in der Zentrale eingegangen war, nachdem Spencer mitgehört hatte, wie zwei Polizisten sagten, sie müssten zum Friedman-Wohnheim und dort Zimmer 413 durchsuchen, erst dann erfuhr Spencer die Wahrheit: Kelsey hatte mit keinem Wort sich selbst oder Spencer der Vergehen schuldig bekannt, die man ihnen zur Last legte. Spencer wünschte, sie könnte alles rückgängig machen, aber es war zu spät. Wenn sie jetzt zugab, dass sie gelogen hatte, würde sie noch größere Schwierigkeiten bekommen. Sie hielt lieber den Mund. Den Fund im Studentenwohnheim würde man niemals mit ihr in Verbindung bringen.

Kurz darauf ließ die Polizei Spencer gehen – nicht ohne strengste Ermahnung. Als sie die Wache verließ, wurde Kelsey gerade von zwei Polizisten über den Flur geführt. Fleischige Männerhände krallten sich in ihre Arme, und es sah aus, als steckte sie in richtig fiesen Schwierigkeiten. Kelsey warf Spencer im Vorbeigehen einen angsterfüllten Blick zu. Was ist hier los?, sagte dieser Blick. Was haben die gegen mich in der Hand? Spencer zuckte die Achseln, als habe sie absolut keine Ahnung, und dann trat sie nach draußen, ihre schöne Zukunft vor sich.

Ihr Leben ging weiter. Sie bestand sämtliche Sommerkursexamen mit Bestnoten und kehrte als Klassenbeste an die Rosewood Day zurück. Sie bekam im Vorauswahlverfahren einen Platz an der Princeton. Wochen und Monate flogen dahin, der Albtraumabend verblasste, und sie gewann Gelassenheit, weil sie ihr Geheimnis sicher wusste. Nur Hanna kannte die Wahrheit. Niemand sonst – weder ihre Eltern noch das Aufnahmekomitee an der Princeton noch Kelsey – würde jemals davon erfahren.

Bis zum darauffolgenden Winter. Als jemand alles aufdeckte.

1

JEDER KILLER BRAUCHT MAL EINEN FREIEN ABEND

An einem Mittwochabend Anfang März lag Emily Fields auf dem Teppich in dem Schlafzimmer, das sie früher mit ihrer Schwester Carolyn geteilt hatte. Schwimmmedaillen und ein Riesenposter von Michael Phelps hingen an der Wand. Das Bett ihrer Schwester war bedeckt mit Emilys Aufwärmjacke, haufenweise übergroßen T-Shirts und einer Boyfriend-Jeans. Carolyn war im August an die Stanford gegangen, und Emily genoss es, den Platz für sich zu haben. Besonders, da sie sich derzeit fast nur noch in ihrem Zimmer aufhielt.

Sie drehte sich zur Seite und blickte auf ihren Laptop. Auf dem Bildschirm blinkte eine Facebook-Seite. In Memoriam Tabitha Clark.

Sie sah sich Tabithas Profilbild an, mit den rosaroten Lippen, die Emily auf Jamaika so verführerisch angelächelt hatten. Mit den grünen Augen, die sie oben auf dem Krähennest angefunkelt hatten. Jetzt waren von Tabitha nur noch die Knochen übrig, alles andere hatten die Fische gefressen und das Meer fortgespült.

Und wir sind schuld.

Emily klappte den Computer zu und hatte das Gefühl, gleich erbrechen zu müssen. Vor einem Jahr, in den Osterferien auf Jamaika, waren sie und ihre Freundinnen sich sicher gewesen, dass sie der echten Alison DiLaurentis gegenüberstanden, die von den Toten wiederauferstanden war und sie nun ein für alle Mal kaltmachen wollte, so wie sie es schon in der Berghütte in den Poconos vorgehabt hatte. Nach einer Reihe seltsamer Begegnungen, bei denen die rätselhafte Fremde geheime Dinge geäußert hatte, von denen einzig und allein Ali wissen konnte, hatte Aria sie über den Rand der hoch gelegenen Aussichtsterrasse, des »Krähennests«, gestoßen. Das Mädchen war mehrere Stockwerke tief auf den Sandstrand gefallen, und ihr Körper war augenblicklich verschwunden, wahrscheinlich ins Meer hinausgetragen worden. Als die vier vor zwei Wochen in den Nachrichten gesehen hatten, dass die Leiche eben dieses Mädchens am Strand angespült worden war, dachten sie, dass nun alle Welt erfahren würde, was sie ohnehin wussten, nämlich dass die echte Ali das Feuer in den Poconos überlebt hatte. Doch dann platzte die Bombe: Das Mädchen, das Aria die Aussichtsplattform hinuntergestoßen hatte, war nicht die echte Ali – nein, es war Tabitha Clark, so wie sie es ihnen gesagt hatte. Sie hatten einen unschuldigen Menschen getötet.

Nach dem Ende der Nachrichtensendung erreichte Emily und ihre Freundinnen eine Drohnachricht von einer unbekannten Person, die sich A. nannte, in der Tradition der beiden Stalker, die die Mädchen zuvor gequält hatten. Diese neue A. wusste, was sie getan hatten, und sie wollte, dass die Mädchen dafür büßten. Emily war seitdem in Anspannung und wartete ängstlich darauf, was A. als Nächstes tun würde.

Jeden Tag befiel sie aufs Neue die Erkenntnis und mit ihr das Entsetzen und das furchtbar schlechte Gewissen: Tabitha war ihretwegen tot. Eine Familie war zerstört, ihretwegen. Sie rang hart mit sich, ob sie nicht bei der Polizei anrufen und gestehen sollte, was sie getan hatten. Aber damit würde sie auch Arias, Hannas und Spencers Leben zerstören.

Ihr Telefon blökte und sie nahm es von ihrem Kissen. ARIA MONTGOMERY stand auf dem Display. »Hey«, sagte Emily, als sie den Anruf entgegennahm.

»Hey«, erwiderte Aria. »Alles okay?«

Emily zuckte die Achseln. »Du weißt ja.«

»Klar«, stimmte Aria leise zu.

Sie schwiegen lange. In den zwei Wochen seit dem Auftauchen einer neuen A. und dem Auffinden von Tabithas Leiche hatten sich Emily und Aria angewöhnt, jeden Abend miteinander zu telefonieren, nur zur Vergewisserung. Die meiste Zeit sprachen sie nicht einmal. Manchmal sahen sie zusammen fern – Reality Shows wie Hoarders oder Keeping Up with the Kardashians. Vergangene Woche hatten sie dann eine Wiederholung von Pretty Little Killer erwischt, dem Fernsehfilm, der die Wiederkehr der echten Ali und deren Mordgelüste zeigte. Weder Emily noch ihre Freundinnen hatten den Film an dem Abend gesehen, an dem er ursprünglich gesendet worden war – sie hatten zur selben Zeit die Enthüllung von Tabithas Identität verfolgt und vor CNN geklebt. Emily und Aria sahen sich schweigend die Wiederholung an, staunten über die Schauspielerinnen, die sie verkörpern sollten, und wanden sich bei den überdramatisierten Momenten, als ihre Doppelgängerinnen Ian Thomas’ Leiche fanden oder vor dem Waldbrand auf Spencers Grundstück flüchteten. Als der Film schließlich in den Pocono Mountains seinen Höhepunkt erreichte und das Haus mit Ali in die Luft ging, durchfuhr Emily ein Schaudern. Die Macher des Films hatten ihm einen endgültigen Schluss verpasst. Das böse Mädchen war tot, die guten Mädchen durften glücklich weiterleben. Sie wussten ja nicht, dass Emily und ihre Freundinnen erneut von A. verfolgt wurden.

Als sie wieder Nachrichten von der neuen A. bekommen hatten – zum Jahrestag des grausigen Feuers in den Poconos, bei dem sie beinahe alle umgekommen wären –, war sich Emily sicher, dass die echte Ali das Feuer in den Bergen und den Stoß von der Terrasse auf Jamaika überlebt hatte und nun auf Rache aus war. Ihre Freundinnen glaubten das schließlich auch – bis die Meldung über Tabithas wahre Identität herauskam. Aber selbst das schloss die Möglichkeit nicht aus, dass die echte Ali noch lebte. Sie könnte die neue A. sein und über alles Bescheid wissen.

Emily wusste, was ihre ehemaligen Freundinnen sagen würden, wenn sie eine solche Theorie offen aussprach: Komm endlich drüber weg, Em. Ali gibt es nicht mehr. Sehr wahrscheinlich waren sie zu ihrer früheren Annahme zurückgekehrt, dass Ali in dem brennenden Haus in den Poconos umgekommen war. Aber es gab da etwas, was die anderen nicht wussten: Emily hatte die Tür für Ali offen stehen lassen, bevor das Haus explodierte. Sie hätte leicht entkommen können.

»Emily«, rief da Mrs Fields. »Kannst du mal runterkommen?«

Emily setzte sich schnell auf. »Ich muss Schluss machen«, sagte sie zu Aria. »Wir reden morgen, okay?«

Sie legte auf, ging zur Zimmertür und sah über die Brüstung. Ihre Eltern standen im Flur und hatten noch die Partnerlook-Trainingsanzüge an, die sie für ihre abendlichen Powerwalks trugen. Ein großes Mädchen mit Sommersprossen und rotblondem Haar wie Emily stand neben ihnen, eine vollgestopfte Sporttasche mit der Aufschrift UNIVERSITY OF ARIZONA SWIMMING über der Schulter.

»Beth?« Emily blinzelte.

Emilys große Schwester Beth reckte den Hals und breitete die Arme aus. »Ta-da!«

Emily rannte die Stufen hinab. »Was machst du denn hier?«, rief sie. Ihre Schwester kam kaum noch nach Rosewood. Durch ihren Job als Lehrassistentin an der University of Arizona, wo sie auch studiert hatte, war sie sehr beschäftigt, und außerdem war sie Kotrainerin des Unischwimmteams, das sie im letzten Studienjahr noch als Kapitänin angeführt hatte.

Beth ließ die Tasche aufs Parkett fallen. »Ich habe ein paar Tage frei und Southwest hatte einen Billigflug. Ich dachte, ich überrasche euch.« Sie musterte Emily von oben bis unten und verzog das Gesicht. »Interessanter Look.«

Emily sah an sich herunter. Sie trug ein fleckiges T-Shirt von einem Staffelschwimmen und eine zu kleine Jogginghose von Victoria’s Secret, auf deren Hinterteil der Schriftzug PINK stand. Die Hose hatte Ali gehört – ihrer Ali, die eigentlich Courtney war. Der Emily alles anvertraut hatte, mit der sie gelacht hatte, die sie das ganze sechste und siebte Schuljahr über angehimmelt hatte. Obwohl die Hose schon arg fadenscheinig und das Taillenband schon lange verschwunden war, hatte Emily sie in den vergangenen zwei Wochen zu ihrer Nachschuluniform erklärt. Solange sie diese Hose trug, redete sie sich ein, würde ihr nichts Schlimmes passieren.

»Das Abendessen ist gleich fertig.« Mrs Fields machte auf den Hacken kehrt und wandte sich zur Küche. »Kommt.«

Alle folgten ihr durch den Flur. Ein tröstlicher Geruch von Tomatensoße und Knoblauch waberte durch die Luft. Der Tisch war für vier Personen gedeckt, und Emilys Mutter eilte zum Ofen, als der Wecker piepte. Beth setzte sich neben Emily und nahm einen großen, langsamen Schluck Wasser aus einem Kermit-Becher, der schon als Kind ihr Lieblingstrinkgefäß gewesen war. Sie hatte die gleichen Sommersprossen auf den Wangen und denselben kräftigen Schwimmerinnenkörper wie Emily, aber ihr rotblondes Haar war zu einem kurzen Bob geschnitten, und sie trug einen kleinen silbernen Ohrring oben in der Ohrmuschel. Emily fragte sich, ob es wohl wehgetan hatte, dort ein Ohrloch zu stechen. Und sie fragte sich, was Mrs Fields sagen würde, wenn sie das Piercing sah – sie mochte es nicht, wenn ihre Kinder »unangemessen« gekleidet waren, sich Nase oder Bauchnabel piercen ließen, ihre Haare in wilden Farben färbten oder sich gar ein Tattoo zulegten. Aber Beth war jetzt vierundzwanzig, vielleicht war sie der Gerichtsbarkeit ihrer Mutter entwachsen.

»Und, wie geht’s?« Beth faltete die Hände auf der Tischplatte und sah Emily an. »Wir haben uns ja eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen.«

»Du solltest uns öfter besuchen«, zirpte Mrs Fields von der Anrichte.

Emily betrachtete ihre Fingernägel, von denen die meisten bis ans Nagelbett abgeknabbert waren. Ihr fiel nicht eine einzige harmlose Sache ein, die sie Beth erzählen könnte – alles in ihrem Leben war problembehaftet.

»Ich hab gehört, du warst den ganzen letzten Sommer über in Philly bei Carolyn«, gab Beth als Stichwort.

»Ah, ja«, antwortete Emily und zerknüllte eine Serviette mit Hühnermuster. Jener Sommer war das Allerletzte, worüber sie jetzt reden wollte.

»Ja, Emilys wilder Sommer in der großen Stadt«, sagte Mrs Fields teils mitleidig, teils scherzhaft und stellte die Auflaufform mit der Lasagne auf den Tisch. »Ich kann mich nicht erinnern, dass du einen Sommer mit dem Schwimmen ausgesetzt hättest, Beth.«

»Aber das ist ja jetzt Schnee von gestern.« Mr Fields setzte sich auf seinen Stammplatz am Familientisch und nahm sich ein Stück Knoblauchbrot. »Für nächstes Jahr steht Emily schon in den Startlöchern.«

»Ja, davon hab ich gehört!« Beth boxte Emily spielerisch gegen die Schulter. »Ein Schwimmstipendium für die University of North Carolina! Und, bist du aufgeregt?«

Emily spürte die Blicke der anderen und schluckte einen dicken Klumpen, der ihr im Hals steckte. »Ja, super aufgeregt.«

Sie wusste, sie müsste eigentlich über das Stipendium froh sein, aber sie hatte deswegen eine Freundin verloren – Chloe Roland, die glaubte, Emily habe etwas mit ihrem Vater angefangen, um sich einen Platz im UNC-Schwimmteam zu sichern. Tatsächlich aber hatte sich Mr Roland ihr unverschämt genähert, und sie hatte alles getan, um ihm aus dem Weg zu gehen. Ein Teil von ihr bezweifelte, ob sie wirklich im kommenden Jahr an die UNC gehen würde. Und wenn A. der Polizei erzählte, was sie Tabitha angetan hatten? Vielleicht saß sie dann im Gefängnis, wenn das Semester begann?

Alle arbeiteten sich durch die Lasagne und die Gabeln kratzten über die Teller. Beth erzählte von einer Baumpflanzaktion, an der sie sich in Arizona beteiligte. Mr Fields machte seiner Frau Komplimente für den sautierten Spinat. Mrs Fields erzählte von einer neu zugezogenen Familie, die sie als Mitglied des Rosewood-Welcome-Wagon-Komitees besucht hatte. Emily lächelte, nickte, stellte ab und zu Fragen, konnte sich aber nicht dazu durchringen, etwas mehr zum Gespräch beizutragen. Sie schaffte auch nur ein paar Happen Lasagne, obwohl die eins ihrer Lieblingsgerichte war.

Nach dem Dessert sprang Beth auf und bestand darauf, den Abwasch zu machen. »Hilfst du mir, Em?«

Im Grunde wäre Emily liebend gerne wieder in ihr Zimmer verschwunden, um sich unter ihrer Decke zu verkriechen, aber sie wollte ihre Schwester, die sie ohnehin kaum sah, nicht so abservieren. »Klar.«

Sie standen zusammen an der Spüle und sahen auf das dunkle Kornfeld, das den Garten nach hinten abgrenzte. Das Spülbecken füllte sich mit Seifenwasser und der Geruch nach Citrus-Spüli durchdrang den Raum. Emily räusperte sich. »Und, was hast du vor, während du hier bist?«

Beth sah über die Schulter, um sicherzugehen, dass die beiden allein waren. »Ich habe lauter lustige Sachen geplant«, flüsterte sie. »Morgen ist zum Beispiel eine Kostümparty. Die soll irre werden.«

»Hört sich … nett an.« Emily konnte ihre Überraschung nicht verhehlen. Die Beth, die sie kannte, ging auf keine Partys. Wenn sie sich richtig erinnerte, war Beth in vielem wie Carolyn – kam abends immer pünktlich nach Hause und schwänzte nie das Schwimmtraining oder die Schule. In Beths letztem Jahr an der Rosewood Day, als Emily in der sechsten war, hatten Beth und ihr Schulball-Date Chaz, ein drahtiger Schwimmer mit weißblondem Haar, nach dem Ball bei den Fields abgehangen, anstatt zu einer After-Party zu gehen. Ali hatte an dem Abend bei Emily übernachtet, und die Mädchen hatten sich die Treppe hinuntergeschlichen und Beth und Chaz beobachtet, weil sie auf Sex hofften. Aber die beiden hatten jeder in einer Ecke des Sofas gesessen und Wiederholungen von 24 angeschaut. »Ich weiß ja nicht, Em, aber deine Schwester ist irgendwie öde«, hatte Ali geflüstert.

»Prima, denn du kommst mit.« Beth bespritzte Emily mit dem Abwaschwasser und bekam selbst etwas auf ihren University-of-Arizona-Kapuzenpulli.

Emily schüttelte energisch den Kopf. Auf eine Party zu gehen, das war für sie derzeit etwa so wie über glühende Kohlen zu laufen.

Beth ließ das Wasser ab und im Spülbecken blubberte es. »Was ist los mit dir? Mom sagte schon, du wärst so nachdenklich, aber du wirkst vollkommen depressiv und starr. Als ich dich wegen des Stipendiums ansprach, hab ich gedacht, du brichst gleich in Tränen aus. Hast du etwa mit einer Freundin Schluss gemacht?«

Eine Freundin. Das Geschirrtuch mit Hühnersiebdruck glitt ihr aus den Händen. Sie zuckte immer zusammen, wenn ein Mitglied ihrer prüde-spießigen Familie ihre sexuelle Orientierung ansprach. Sie wusste, sie wollten Verständnis zeigen, aber dieses fröhliche Bi-ist-okay-Gehabe war Emily unangenehm.

»Ich habe mich von niemandem getrennt«, murmelte Emily.

»Geht Mom dir auf die Nerven?« Beth verdrehte die Augen. »Was ist schon dabei, mal eine Auszeit zu nehmen? Das ist doch Monate her! Ich weiß nicht, wie du das aushältst, als Einzige zu Hause.«

Emily sah auf. »Ich dachte, du magst Mom.«

»Tue ich ja auch, aber ich hatte es echt eilig, hier wegzukommen, sobald ich mit der Schule fertig war.« Beth nahm sich ebenfalls ein Geschirrtuch und schnappte sich eine Handvoll Besteck. »Jetzt sag schon. Was quält dich so?«

Emily trocknete langsam einen Teller ab und sah in Beths freundliches, geduldiges Gesicht. Sie wünschte, sie könnte ihrer Schwester die Wahrheit erzählen. Über die Schwangerschaft. Über A. Sogar über Tabitha. Aber Beth würde ausrasten. Und Emily hatte schon eine Schwester vor den Kopf gestoßen.

»Ich bin im Stress«, murmelte sie. »Das letzte Schuljahr ist anstrengender, als ich dachte.«

Beth zeigte mit einer Gabel auf Emily. »Deswegen musst du mitkommen zu der Party. Nein sagen gilt nicht.«

Emily fuhr mit dem Finger über den welligen Rand des Tellers. Sie wollte zwar auf keinen Fall mit, aber irgendwas ließ sie innehalten. Sie vermisste es, eine Schwester zu haben, mit der sie reden konnte – das letzte Mal, als sie Carolyn gesehen hatte, in den Weihnachtsferien, hatte die alles getan, um nur nicht allein mit Emily zu sein. Sie hatte sogar auf der Couch im Wohnzimmer geschlafen, weil sie sich angeblich angewöhnt hatte, vor dem Fernseher einzuschlafen. Emily war klar, dass sie nicht in das gemeinsame Schlafzimmer mit ihr zurückwollte. Beth’ Aufmerksamkeit und Zuneigung erschienen ihr daher wie ein Geschenk, das sie nicht ablehnen sollte.

»Na gut, ich kann’s ja probieren«, murmelte sie.

Beth schlang die Arme um ihre kleine Schwester. »Wusste ich doch, dass du dabei bist.«

»Wo ist sie dabei?«

Sie drehten sich um. Mrs Fields stand in der Tür, die Arme in die Hüften gestemmt. Beth richtete sich auf. »Ach, nichts, Mom.«

Mrs Fields tappte aus der Küche. Emily und Beth sahen sich an und lachten. »Wir werden viel Spaß zusammen haben«, flüsterte Beth.

Einen Augenblick glaubte ihr Emily beinahe.

2

SPENCER HAT EINE DOPPELGÄNGERIN

»Ein bisschen mehr nach links.« Spencer Hastings Mutter Veronica stand in der Eingangshalle des herrschaftlichen Familienanwesens, eine Hand an der schmalen Hüfte. Zwei professionelle Bilderaufhänger positionierten ein Gemälde der Schlacht von Gettysburg unter der geschwungenen doppelten Treppe. »Jetzt ist es rechts ein bisschen zu hoch. Was meinst du, Spence?«

Spencer, die eben die Stufen herunterkam, zuckte mit den Achseln. »Warum haben wir noch mal das Porträt von Ururgroßvater Hastings abgehängt?«

Mrs Hastings sah Spencer scharf an und blickte dann besorgt zu Nicholas Pennythistle, ihrem frisch eingezogenen Verlobten. Der aber, in perfekt sitzendem Anzug und polierten Lederschuhen eben von der Arbeit zurückgekehrt, war noch mit seinem BlackBerry beschäftigt.

»Es sollen sich schließlich alle wohl und willkommen fühlen«, erwiderte Spencers Mutter leise und schob eine Strähne aschblonden Haars hinter ihr Ohr. Der vierkarätige diamantene Verlobungsring von Mr Pennythistle funkelte im Deckenlicht. »Außerdem dachte ich, das Porträt macht dir Angst.«

»Melissa hat es Angst gemacht, mir nicht«, murmelte Spencer. Sie mochte das komische Familienporträt sogar: Auf Ururopa Hastings’ Schoß hockten traurig dreinschauende Spaniel und der Ahn selbst sah aus wie Spencers Vater. Der hatte das Haus der Hastings nach der Scheidung verlassen und sich ein Loft mitten in Philadelphia gekauft. Es war Mr Pennythistles Idee gewesen, das Porträt durch das grässliche Bürgerkriegstableau zu ersetzen. Sicher wollte er sämtliche Spuren von Spencers Vater aus seinem neuen Haus entfernen. Aber wer wollte beim Reinkommen schon von scheuenden Pferden und blutigen Konföderierten empfangen werden? Allein der Anblick stresste Spencer ungemein.

»Das Abendessen ist fertig!«, trillerte eine Stimme aus der Küche.

Melissa, Spencers ältere Schwester, lugte in den Flur. Sie hatte angeboten, heute für die Familie zu kochen, und trug eine schwarze Schürze mit der Aufschrift GREEN GOURMET und silberne Ofenhandschuhe. Ein schmales schwarzes Seidenband hielt ihr kinnlanges blondes Haar zusammen, eine schlichte Perlenkette zierte ihren Hals, und ihre Füße steckten in dezenten Ballerinas von Chanel. Sie sah aus wie die jüngere Ausgabe von Martha Stewart.

Melissa fing Spencers Blick auf. »Ich hab dein Lieblingsessen gekocht, Spence. Zitronenhuhn mit Oliven.«

»Danke.« Spencer lächelte dankbar, weil sie wusste, dass dies eine Solidaritätsbekundung war. Lange Zeit waren die Schwestern Rivalinnen gewesen, doch im vergangenen Jahr hatten sie endlich ihre Streitereien beigelegt. Melissa wusste, dass Spencer sich nur schwer an die neue Familiensituation gewöhnen konnte. Aber da waren noch andere Dinge, mit denen Spencer nicht fertigwurde. Dinge, über die sie sich mit niemandem, auch nicht ihrer Schwester zu reden traute.

Spencer folgte ihrer Mutter und Mr Pennythistle – sie brachte es nicht über sich, ihn Nicholas zu nennen – in die Küche. Melissa stellte gerade die Ofenform auf den Tisch. Ihre zukünftige Stiefschwester Amelia, zwei Jahre jünger als Spencer, hockte auf einem Stuhl in der Ecke, die Serviette im Schoß. Sie trug halbhohe Stiefeletten, die Spencer ihr bei einem Einkaufstrip in New York verpasst hatte, aber ihre Haare waren strähnig, und die glänzenden Wangen lechzten nach einer Foundation.

Amelia schmollte, als sie aufsah und Spencer erblickte, und Spencer wandte sich verärgert ab. Amelia hatte ihr offenbar nicht verziehen, dass ihr Bruder Zach ihretwegen zur Militärschule geschickt worden war. Spencer hatte nicht vorgehabt, Zach vor seinem Vater zu outen. Aber als Mr Pennythistle Spencer und Zach zusammen im Bett erwischt hatte, hatte er das Schlimmste angenommen und einen Wutanfall bekommen. Spencer hatte daraufhin verraten, dass Zach schwul war, damit Mr Pennythistle aufhören sollte, seinen Sohn zu schlagen.

»Hey, Spencer«, begrüßte sie eine andere Stimme. Darren Wilden, Melissas Freund, saß Amelia gegenüber und kaute an einem Stück frisch gebackenem Knoblauchbrot. »Was geht?«

Spencer war, als würde sich in ihrer Brust eine Faust zusammenballen. Obwohl er inzwischen als Sicherheitsmann in einem Museum in Philadelphia arbeitete, war Darren Wilden doch bis vor Kurzem Officer Wilden gewesen, der Chefermittler im Mordfall Alison DiLaurentis, und es war sein Job gewesen, herauszufinden, ob man etwas zu verbergen hatte oder log. Wusste Wilden etwa von Spencers neuem Stalker, der sich – wer hätte es gedacht? – A. nannte? Hatte er eine Ahnung, was sie und ihre Freundinnen Tabitha angetan hatten?

»Och, nichts«, erwiderte Spencer stockend und nestelte am Kragen ihrer Bluse. Sie benahm sich albern. Natürlich wusste Wilden nichts von A. oder Tabitha. Er konnte nicht wissen, dass Spencer wegen der Sache mit Tabitha jede Nacht Albträume hatte. Dass sie jenen verhängnisvollen Tag auf Jamaika immer und immer wieder durchlebte. Genauso wenig konnte er wissen, dass Spencer bei jeder Gelegenheit Berichte über Tabithas Tod las, über die Verzweiflung ihrer Eltern. Darüber, dass ihre Freunde in New Jersey Andachten für sie abhielten. Mehrere Organisationen hatten angekündigt, gegen das Komasaufen von Jugendlichen angehen zu wollen, das allgemein als Grund für Tabithas Tod galt.

Aber dem war nicht so – und Spencer wusste das, genau wie A.

Wer konnte sie an jenem Abend beobachtet haben? Wer hasste sie so, dass er sie mit diesen Informationen quälte und ihr Leben zu zerstören drohte? Warum ging diese Person nicht einfach zur Polizei? Spencer konnte nicht fassen, dass sie und ihre Freundinnen wieder einmal damit beschäftigt waren, über A’s Identität nachzugrübeln. Sie hatte niemanden in Verdacht. A. hatte sich bei Spencer und den anderen nicht mehr gemeldet, nachdem vor zwei Wochen die grauenvolle Meldung in den Nachrichten gekommen war. Aber Spencer war sich sicher, dass A. wieder auftauchen würde.

Was wusste A. außerdem? In der letzten Botschaft hatte es geheißen: Das hier ist nur die Spitze des Eisbergs, so als wüsste er oder sie noch mehr Geheimnisse. Und Spencer hatte noch ein paar Leichen im Keller. Etwa das, was letzten Sommer mit Kelsey Pierce an der Penn geschehen war – Kelsey war wegen Spencer in den Jugendknast gewandert. Aber davon konnte A. sicher nichts wissen. Oder doch? A. wusste offenbar alles.

»Wirklich nichts?« Wilden biss noch einmal von dem knusprigen Brot ab, die graugrünen Augen auf Spencer gerichtet. »Das hört sich nicht an wie der aufregende Alltag einer baldigen Princetonstudentin.«

Spencer tat, als würde sie einen Fleck auf ihrem Wasserglas wegpolieren, und wünschte, Wilden würde aufhören, sie anzustarren, als wäre sie ein Pantoffeltierchen unter dem Mikroskop. »Ich mach bei der Aufführung vom Schultheater mit«, sagte sie.

»Du machst nicht nur mit, du hast die Hauptrolle, wie immer.« Melissa verdrehte gutmütig die Augen. Sie lächelte Mr Pennythistle und Amelia zu. »Spence ist der Star jeder Aufführung, seit der Vorschule.«

»Und dieses Jahr spielst du also die Lady Macbeth.« Mr Pennythistle ließ sich theatralisch in den schweren Mahagoni-Stuhl an der Stirnseite des Tisches sinken. »Eine anspruchsvolle Rolle. Ich bin gespannt.«

»Du musst nicht extra kommen«, platzte es aus Spencer heraus. Sie spürte, wie sie rot wurde.

»Natürlich kommt Nicholas!«, quiekte Mrs Hastings. »Ist schon dick im Kalender eingetragen!«

Spencer betrachtete sich in der Rückseite ihres Löffels. Das Letzte, was sie brauchte, war ein ihr fremder Mann, der Interesse an ihrem Leben heuchelte. Mr Pennythistle ging nur zu der Aufführung, weil Spencers Mutter ihn zwang.

Amelia nahm sich eine Hühnerbrust von dem Teller, der herumgereicht wurde. »Ich stelle ein Orchesterkonzert zusammen, für einen wohltätigen Zweck«, verkündete sie. »Ein paar Mädchen von der St. Agnes werden hier in den kommenden Wochen zusammen üben und das Konzert soll dann in der Rosewood Abbey stattfinden. Ihr seid alle herzlich eingeladen.«

Spencer verdrehte die Augen. St. Agnes war die großkotzige Privatschule, die Amelia besuchte, fürchterlich elitär, noch schlimmer als die Rosewood Day. Spencer würde sich eine gute Entschuldigung ausdenken müssen, warum sie nicht zu dem Konzert kommen konnte, denn ihre frühere Freundin Kelsey vom Sommerprogramm an der University of Pennsylvania ging ebenfalls zur St. Agnes – zumindest war das noch im Sommer Stand der Dinge gewesen. Und Spencer wollte nicht riskieren, ihr über den Weg zu laufen.

Mrs Hastings klatschte in die Hände. »Das hört sich wunderbar an, Amelia! Sag uns das Datum und wir kommen.«