Pretty Little Liars - Unvergleichlich - Sara Shepard - E-Book
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Pretty Little Liars - Unvergleichlich E-Book

Sara Shepard

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Beschreibung

Explosive Mischung aus Glamour und tödlichen Intrigen

Noch immer versetzen die Nachrichten von A. die Welt von Spencer und ihren Freundinnen in Angst und Schrecken: Hanna liegt nach dem Anschlag von A. schwer verletzt im Krankenhaus und kann sich an absolut nichts mehr erinnern. Obwohl sie eigene Sorgen plagen, bangen Spencer, Emily und Aria um ihr Leben.

Ein fesselnde Pagteturner mit Kultstatus - bei den "Pretty Little Liars" ist Suchtgefahr garantiert! Diese Reihe bietet eine unwiderstehliche Mischung für Fans von jeder Menge Glamour und tödlichen Intrigen.

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Seitenzahl: 398

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DIE AUTORIN

Sara Shepard studierte an der New York University und machte am Brooklyn College ihren Magisterabschluss in Creative Writing. Momentan lebt sie mit ihrem Mann in Tucson, Arizona. Sara Shepard wuchs in einem Vorort von Philadelphia auf; ihre Zeit dort hat ihre »Pretty Little Liars«-Serie stark beeinflusst. In den USA wurden bereits über 400 000 Exemplare der Bestseller-Serie verkauft.

Sara Shepard

Unvergleichlich

Pretty Little Liars

Aus dem Amerikanischenvon Violeta Topalova

cbt

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Unbelievable – Pretty Little Liars Novel« bei Harper Teen, an imprint of HarperCollins Publishers, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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© 2008 der Originalausgabe by Alloy Entertainment and Sara Shepard

© 2009 für die deutschsprachige Ausgabe bei cbt/ cbj Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München. Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Übersetzung: Violeta Topalova

Lektorat: Birgit Gehring

Covergestaltung: Schüler

Covermotiv: Shutterstock.com (Irina Bg, True Touch Lifestyle, Pavlo Baliukh, ViChizh)

he · Herstellung: ReD

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-03144-2 V003

www.penguinrandomhouse.de

Inhalt
Wie man ein Leben rettet
Das Zen ist mächtiger als das Schwert
Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb
Emilys ganz privates Iowa
Wenn du es glaubst, dann ist es wahr
Das bedeutet Krieg
Emily, die Unschuld vom Lande
Barbie oder Voodoopuppe?
Worüber reden denn andere Leute im Krankenhaus?
Sündenböcke haben’s schwer
Arias Intuition hat auch schon mal besser funktioniert
Willkommen zurück – mehr oder weniger
Auf der Walze
Nur Versager lassen sich von Autos anfahren
Verhör mit Spionagebeilage
Bin wieder da-haaa!
Ein neues Opfer
Raubkatzen fahren doch nicht immer gleich die Krallen aus
Darf ich vorstellen? Jessica Montgomery
Unbeständig wie der Wind
Freundinnen sagen sich alles
Wie löst man ein Problem wie Emily?
Wenn diese Wände reden könnten …
Hinter verschlossenen Türen
Spencer unter der Guillotine
Wenn’s kommt, kommt’s dicke
Rustikaler Charme
Dreiecksgeschichte in bizarr
Armes, totes kleines Mädchen
Niemand kann dich schreien hören
Drei kleine Worte können alles verändern
Manche Geheimnisse reichen ins bodenlose
Da werden Mädels zu Hyänen
Der Augenblick der Wahrheit
Ich krieg euch, ihr Herzchen
Die Verfolgungsjagd ist eröffnet
Ein unwiderstehliches Angebot
Sehen heisst glauben
Das letzte Puzzlestück
Die brandneuen Montgomerys, verstörend wie immer
Es ist nicht alles eine goldene Orchidee, was glänzt
Hanna Marin ist zurück
Manchmal werden Träume (und Albträume) wahr
Was als nächstes passiert
Danksagung

Für Lanie, Les, Josh und Sara

Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen.

Lucius Annaeus Seneca

Wie man ein Leben rettet

Hast du dir schon einmal gewünscht, du könntest in der Zeit zurückreisen und deine Fehler ungeschehen machen? Hättest du nur der Bratz-Puppe, die deine beste Freundin zum achten Geburtstag bekam, nicht das Clownsgesicht aufgemalt, dann hätte sie dir nicht die Freundschaft gekündigt, um sich mit dem neuen Mädchen aus Boston zusammenzutun. Und damals in der Neunten hättest du niemals das Fußballtraining geschwänzt und dich stattdessen an den Strand geknallt, wenn du geahnt hättest, dass der Trainer dich daraufhin für den Rest der Saison auf die Bank verbannen würde. Tja, hättest du diese dummen Fehler nicht gemacht, dann wärst du heute wahrscheinlich diejenige, der deine ehemals beste Freundin das Extra-Ticket für die Marc-Jacobs-Modenschau gegeben hätte. Oder du wärst Torhüterin der Frauen-Fußballnationalmannschaft, hättest einen Werbevertrag mit Nike und würdest am Mittelmeer dem Jetsetleben frönen, statt im Erdkundeunterricht zu hocken und das Mittelmeer auf der Weltkarte zu suchen.

In Rosewood sind Fantasien darüber, Geschehenes umzukehren, ebenso üblich wie Tiffany-Herzanhänger als Geschenk zum dreizehnten Geburtstag. Und vier ehemals beste Freundinnen würden alles dafür geben, in der Zeit zurückzureisen und die Dinge in Ordnung zu bringen. Aber was, wenn sie es tatsächlich könnten? Würde es ihnen gelingen, die fünfte in ihrem Bund am Leben zu erhalten? Oder ist ihre Tragödie untrennbar mit ihrem eigenen Schicksal verbunden?

Manchmal liefert die Vergangenheit keine Antworten, sondern wirft nur neue Fragen auf. Und in Rosewood ist immer alles anders, als es auf den ersten Blick scheint.

 

»Sie wird durchdrehen, wenn ich es ihr sage«, prahlte Spencer Hastings vor ihren besten Freundinnen Hanna Marin, Emily Fields und Aria Montgomery. Sie zupfte ihr meergrünes T-Shirt mit Lochstickerei zurecht und drückte auf Alison DiLaurentis’ Türklingel.

»Warum darfst du es ihr sagen?«, fragte Hanna und hüpfte von den Verandastufen auf den Gehweg und wieder zurück auf die Stufen. Seit Alison, die fünfte im Bunde der besten Freundinnen, ihr gesagt hatte, dass nur unruhige Mädchen dünn blieben, bewegte sich Hanna auffällig viel.

»Vielleicht sollten wir es ihr alle gemeinsam sagen?«, schlug Aria vor und kratzte an dem Libellen-Tattoo, das sie sich auf die Schulter geklebt hatte.

»Das wäre lustig.« Emily schob sich das stumpf geschnittene rotblonde Haar hinter die Ohren. »Wir könnten einen kleinen Tanz hinlegen und mit einem lauten ›Ta-daaaa‹ enden!«

»Vergesst es.« Spencer straffte die Schultern. »Es ist meine Scheune – ich sag es ihr.« Sie klingelte noch einmal bei den DiLaurentis’.

Die Mädchen warteten und lauschten dem Surren der Heckenschneider auf Spencers Anwesen nebenan, wo Landschaftsgärtner die Büsche trimmten, und dem Tschwoktschwok zwei Häuser weiter, wo sich die Fairfield-Zwillinge auf ihrem Tennisplatz die Bälle um die Ohren hauten. Die Luft duftete nach Flieder, frisch gemähtem Gras und Neutrogena-Sonnencreme. Es war ein idyllischer Augenblick, ganz typisch für Rosewood. An dieser Stadt war einfach alles hübsch, die Geräusche, die Gerüche und die Einwohner eingeschlossen. Die Mädchen hatten beinahe ihr ganzes bisheriges Leben hier verbracht, und sie waren stolz darauf, Teil eines so besonderen Ortes zu sein.

Am besten gefielen ihnen die Sommer in Rosewood. Morgen früh beendeten die fünf die siebte Klasse an der Rosewood-Day-Privatschule und nahmen an der jährlichen Abschlusszeremonie teil. Schulrektor Appleton würde nacheinander jeden Schüler vom Kindergarten bis zur Elften einzeln mit Namen aufrufen, um ihm oder ihr eine Anstecknadel aus vierundzwanzigkarätigem Gold anzuheften. Die für die Mädchen hatte die Form einer Gardenie, die Jungs bekamen Hufeisen. Danach hatten sie für zehn großartige Wochen frei. Auf sie warteten Sonnenbäder, Grillfeste, Bootsausflüge und Einkaufstouren in Philadelphia und New York City. Sie konnten es kaum erwarten.

Aber für Ali, Aria, Spencer, Emily und Hanna war nicht die Abschlusszeremonie das wichtigste Ritual des morgigen Tages. Für sie fing der Sommer erst so richtig morgen Abend an, mit ihrer traditionellen Schuljahresende-Pyjamaparty. Und die Mädchen hatten eine Überraschung für Ali, die der diesjährigen Sommeranfangssause einen ganz besonderen Kick verleihen würde.

Endlich flog die Eingangstür der DiLaurentis’ auf, und Mrs DiLaurentis stand in einem hellrosa Wickelkleid, das ihre muskulösen, gebräunten Waden betonte, vor den Mädchen. »Hallo Mädels«, sagte sie kühl.

»Ist Ali da?«, fragte Spencer.

»Ich glaube, sie ist oben.« Mrs DiLaurentis trat einen Schritt zur Seite. »Geht ruhig hoch.«

Spencer führte die Gruppe durch den Eingangsbereich. Ihr weißer Hockey-Faltenrock wippte genauso energisch wie der aschblonde Zopf, der ihr über den Rücken hing. Die Mädchen liebten Alis Elternhaus. Es roch nach Vanille und Weichspüler, genau wie Ali. Prächtige Urlaubsfotos der DiLaurentis’, aufgenommen in Paris, Lissabon und am Comer See, schmückten die Wände. Dazwischen hingen viele Fotos von Ali und ihrem Bruder Jason ab dem Grundschulalter. Den Mädchen gefiel Alis Jahrbuchfoto aus der zweiten Klasse besonders gut. Alis leuchtend pinkfarbene Strickjacke ließ ihr Gesicht strahlen. Damals hatte Alis Familie noch in Connecticut gelebt, und die Privatschule, auf die sie dort gegangen war, hatte keine Uniformpflicht gehabt. Die Glückliche hatte sich für ihr Jahrgangsfoto nicht in einen der streng geschnittenen blauen Blazer zwängen müssen, die an der Rosewood Day vorgeschrieben waren. Sogar als Achtjährige war Ali unwiderstehlich gewesen. Sie hatte klare blaue Augen, ein herzförmiges Gesicht, süße Grübchen und einen schelmischen Gesichtsausdruck. Man konnte ihr unmöglich böse sein, egal was sie ausgefressen hatte.

Spencer berührte die rechte untere Ecke ihres Lieblingsfotos vom Juli letzten Jahres, das die fünf bei einem Campingtrip in die Poconos zeigte. Sie standen neben einem riesigen Kanu, waren vom schlammigen Seewasser durchnässt und grinsten bis über beide Ohren. Glücklicher konnten fünf zwölfjährige beste Freundinnen kaum in die Kamera blicken. Aria legte ihre Hand auf Spencers. Emily legte ihre auf Arias und Hanna legte ihre Hand obenauf. Alle schlossen einen Moment lang die Augen, summten vor sich hin und lösten die Hände dann. Die Mädchen hatten dieses Berührungsritual eingeführt, kurz nachdem das Foto aufgehängt worden war. Es war eine Erinnerung an ihren ersten Sommer als beste Freundinnen. Sie hatten damals kaum fassen können, dass Ali, der Star der Rosewood Day, ausgerechnet sie als ihre vier engsten Vertrauten auserwählt hatte. Sie kamen sich vor wie die Freundinnen eines Hollywood-Superstars. Aber das zuzugeben, wäre irgendwie … peinlich gewesen. Besonders mittlerweile.

Als sie am Wohnzimmer vorbeigingen, sahen sie zwei Abschluss-Roben am Türknopf einer Flügeltür hängen. Die weiße gehörte Ali, und die formeller aussehende dunkelblaue war die von Jason, der im Herbst nach Yale gehen würde. Die Mädchen fassten sich an den Händen, schon ganz hibbelig, morgen ihre eigenen Roben und die Barette zu tragen, die an der Rosewood Day seit ihrer Gründung im Jahre 1897 am letzten Tag des Schuljahres Tradition waren. Da bemerkten sie, dass sich im Wohnzimmer jemand aufhielt. Jason hockte auf dem ledernen Zweisitzer und stierte mit leerem Blick auf die CNN-Nachrichten.

»Halloooo, Jason«, rief Spencer und winkte. »Bist du wegen morgen so paralysiert?«

Jason warf ihnen einen Blick zu. Er war eine attraktive, männliche Version von Ali, mit honigblondem Haar und umwerfend blauen Augen. Er grinste gequält und wandte sich ohne ein Wort wieder dem Fernseher zu.

»Oookay«, murmelten die Mädchen einstimmig. Jason konnte sehr witzig sein – er war derjenige, der das »Bin raus«-Spiel mit seinen Kumpels erfunden hatte. Die Mädchen hatten es sich abgeguckt und benutzten es in abgewandelter Form für ihre eigenen Zwecke, sprich als Verarsche, wenn uncoole Mädchen in ihrer Nähe auftauchten. Aber Jason hatte definitiv auch dunkle Tage. Ali nannte sie seine Elliott-Smith-Phasen, nach dem verdrießlichen Singer-Songwriter, auf dessen Musik er stand. Nur dass Jason heute eigentlich keinen Grund für schlechte Laune hatte. Morgen um diese Zeit würde er in einem Flugzeug nach Costa Rica sitzen und den ganzen Sommer über Kajaktouren für Abenteuertouristen organisieren. Also: eine Runde Mitleid für den armen Jungen.

»Egal«, sagte Aria achselzuckend. Die vier Mädchen drehten sich um und stürmten die Treppe hinauf. Auf dem oberen Absatz sahen sie, dass Alis Zimmertür geschlossen war. Spencer runzelte die Stirn. Emily legte den Kopf schief. Im Zimmer hörte man Ali kichern.

Hanna drückte leise die Tür auf. Ali kehrte ihnen den Rücken zu. Ihre Haare waren zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengefasst und sie hatte ihr gestreiftes Seidentop im Nacken mit einer perfekten Schleife gebunden. Gebannt starrte sie auf das offene Notizbuch in ihrem Schoß.

Spencer räusperte sich und Ali wirbelte überrascht herum. »Mädels, hi!«, rief sie. »Was liegt an?«

»Och, nicht viel.« Hanna deutete auf das Notizbuch in Alis Schoß. »Was ist das?«

Ali klappte das Buch schnell zu. »Das? Ach, nichts.«

Die Mädchen spürten, dass jemand hinter ihnen stand, und schon drängte sich Mrs DiLaurentis an ihnen vorbei in Alis Zimmer. »Wir müssen uns unterhalten«, sagte sie zu ihrer Tochter. Ihre Stimme war streng.

»Aber Mom«, protestierte Ali.

»Jetzt.«

Die Mädchen sahen sich an. Das war Mrs DiLaurentis’ Du-hast-ziemlichen-Ärger-Stimme. Die hatten sie bisher nur selten gehört.

Alis Mutter sah die Mädchen an. »Würdet ihr Mädchen auf der Veranda warten?«

»Es dauert nur einen Moment«, sagte Ali schnell und warf ihnen ein entschuldigendes Lächeln zu. »Ich komme gleich nach.«

Hanna zögerte verwirrt. Spencer kniff die Augen zusammen und linste auf Alis Notizbuch. Mrs DiLaurentis hob eine Augenbraue. »Na los, Mädchen. Marsch, marsch.«

Die vier schluckten schwer und schlichen im Gänsemarsch die Treppe hinunter. Die Veranda umgab das komplette Haus der DiLaurentis’ und die vier machten es sich auf ihren Stammplätzen am riesigen Gartentisch der Familie bequem: Spencer an dem einem Kopfende und Aria, Emily und Hanna an den Seiten. Ali saß immer am anderen Kopfende, neben dem steinernen Vogelbad, das ihr Vater aufgestellt hatte. Die Mädchen beobachteten ein paar Kardinäle, die in dem kühlen, klaren Wasser des Vogelbades planschten. Als ein Eichelhäher versuchte, sich zu ihnen zu gesellen, machten die Kardinäle Gezeter und verscheuchten ihn. Was Cliquenzugehörigkeit anging, waren Vögel offenbar genauso eigen wie Mädchen.

»Das war schräg, was?«, flüsterte Aria.

»Glaubst du, Ali hat Ärger?«, wisperte Hanna. »Stell dir vor, sie kriegt Hausarrest und kann nicht zur Pyjamaparty kommen!«

»Warum sollte Ali Ärger haben? Sie hat nichts angestellt«, sagte Emily, die immer für Ali eintrat. Die Mädchen nannten sie »Killer«, weil sie sich benahm, als sei sie Alis persönlicher Pitbull Terrier.

»Zumindest nichts, was wir wissen«, murmelte Spencer halblaut.

In diesem Augenblick stürmte Mrs DiLaurentis durch die Flügeltüren und marschierte schnellen Schrittes über den Rasen. »Ich will mich nur versichern, dass mit den Abmessungen alles seine Richtigkeit hat«, blaffte sie den Arbeitern zu, die faul auf einem Bagger am Ende des Anwesens lümmelten und Mittagspause machten. Die DiLaurentis ließen sich gerade einen Gartenpavillon mit zwanzig Sitzplätzen für ihre Sommerpartys bauen, und Ali hatte erwähnt, dass ihre Mutter pedantisch jeden Schritt der Bauarbeiten kontrollierte, auch wenn gerade nur das Loch für das Fundament ausgehoben wurde. Mrs DiLaurentis stapfte zu den Arbeitern und begann zu schimpfen. Ihr diamantener Ehering glitzerte in der Sonne, als sie hektisch mit den Armen fuchtelte. Die Mädchen tauschten einen Blick. Alis Strafpredigt hatte offenbar nicht sehr lange gedauert.

»Äh, Mädels?«

Ali stand am Rand der Veranda. Sie trug nicht mehr ihr Nackenhaltertop, sondern ein verblichenes T-Shirt von Abercrombie & Fitch. Ein verdatterter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.

Spencer stand auf. »Weshalb hat sie dir Feuer unter dem Hintern gemacht?«

Ali blinzelte. Ihr Blick wanderte zwischen den Mädchen hin und her.

»Hast du dir etwa ohne uns Ärger eingebrockt?«, rief Aria scherzhaft. »Und wieso hast du dich umgezogen? Das Top von vorhin war total süß.«

Ali wirkte immer noch verdutzt – und irgendwie traurig. Emily erhob sich halb aus dem Sitz. »Sollen wir … lieber gehen?«, fragte sie mit unsicherer Stimme. Alle anderen sahen Ali gespannt an. War es das, was sie wollte?

Ali drehte ihr buntes Freundschaftsbändchen drei Mal um ihr Handgelenk. Dann ging sie über die Veranda und setzte sich auf ihren Stammplatz. »Natürlich will ich nicht, dass ihr geht. Meine Mom war sauer auf mich, weil ich … weil ich meine Hockeysachen mit ihrer Unterwäsche gewaschen habe.« Sie hob verlegen die Schultern und verdrehte die Augen.

Emily schob die Unterlippe vor. Eine Sekunde verstrich. »Deshalb war sie so wütend auf dich?«

Ali hob eine Augenbraue. »Du kennst doch meine Mom, Em. Sie ist noch pedantischer als Spencer.« Sie kicherte.

Spencer starrte Ali gespielt wütend an. Emily fuhr mit dem Daumen über eine Kerbe in dem Teakholztisch.

»Aber keine Sorge, Mädels, Hausarrest hab ich nicht.« Ali legte die Handflächen aneinander. »Unsere Pyjama-Superparty steigt wie geplant!«

Die vier seufzten erleichtert, und die merkwürdige Anspannung, die in der Luft hing, begann sich aufzulösen. Dennoch konnten sie den Verdacht nicht abschütteln, dass Ali ihnen etwas verschwieg – was nicht das erste Mal wäre. In der einen Minute war Ali ihre beste Freundin, und in der nächsten verwandelte sie sich in eine rätselhafte Person, die geheime Anrufe tätigte und SMS verschickte, die sie vor ihnen verbarg. Aber durfte sie denn Geheimnisse vor ihnen haben? Die anderen hatten Ali Dinge anvertraut, die außer ihr niemand, absolut niemand wusste. Und natürlich verband die fünf das große Geheimnis um Jenna Cavanaugh. Sie hatten alle geschworen, es mit ins Grab zu nehmen.

»Wo wir gerade von der Pyjamaparty sprechen: Ich habe krasse Neuigkeiten«, sagte Spencer und riss die anderen aus ihren Gedanken. »Rate mal, wo sie steigt!«

»Wo?« Ali stützte die Ellbogen auf den Tisch und lehnte sich nach vorne. Allmählich verwandelte sie sich wieder in ihr vertrautes Selbst zurück.

»In Melissas Scheune!«, schrie Spencer. Melissa war Spencers ältere Schwester, und Mr und Mrs Hastings hatten die alte Scheune auf dem Familienanwesen renoviert und ihr erlaubt, sich dort während ihrer letzten beiden Highschooljahre ihr eigenes kleines Reich einzurichten. Spencer würde in ein paar Jahren dasselbe Privileg genießen.

»Cool!«, jubelte Ali. »Wie kommt’s?«

»Sie fliegt morgen nach der Abschlussfeier für zwei Wochen nach Prag«, antwortete Spencer. »Meine Eltern haben gesagt, wir könnten die Scheune benutzen. Wir müssen danach nur wieder klar Schiff machen.«

»Sauber.« Ali lehnte sich zurück und faltete die Hände. Plötzlich richtete sich ihr Blick auf etwas, das sich zur Linken der Bauarbeiter befand. Es war Melissa höchstpersönlich, die in vorbildlicher Haltung durch den angrenzenden Garten der Hastings ging. Über dem Arm trug sie einen Kleiderbügel, an dem ihre weiße Robe hing. Um ihre Schultern trug sie einen königsblauen Umhang, denn sie würde morgen die feierliche Rede der Abschlussklasse halten.

Spencer stöhnte auf. »Sie reibt mir dauernd unter die Nase, dass sie dieses Jahr die Auserwählte ist«, flüsterte sie. »Sie hat sogar gesagt, ich solle dankbar sein, dass in meinem Jahrgang wahrscheinlich Andrew Campbell diese Ehre zuteilwird, weil die Verantwortung soooo groß ist.« Spencer und ihre Schwester konnten einander nicht ausstehen, und Spencer wusste fast jeden Tag eine neue Geschichte über Melissas Boshaftigkeit zu erzählen.

Ali stand auf. »Hey, Melissa!« Sie winkte.

Melissa blieb stehen und drehte sich um. »Oh. Hey, Mädels.« Sie lächelte zurückhaltend.

»Freust du dich auf Prag?«, trällerte Ali und schenkte Melissa ihr strahlendstes Lächeln.

Melissa legte leicht den Kopf zur Seite. »Natürlich.«

»Geht Ian auch mit?« Ian war Melissas unglaublich attraktiver Freund. Den Mädchen wurden schon beim Gedanken an ihn die Knie weich.

Spencer krallte ihre Finger in Alis Arm. »Ali!« Ali zog ihren Arm weg.

Melissa legte die Hand an die Stirn und blinzelte ins grelle Sonnenlicht. Ihr blauer Umhang flatterte im Wind. »Nein, er bleibt hier.«

»Oh«, säuselte Ali. »Ob das eine gute Idee ist – ihn zwei Wochen ganz alleine zu lassen? Er könnte sich eine neue Freundin suchen!«

»Alison«, zischte Spencer. »Hör jetzt auf!«

»Spencer?«, flüsterte Emily. »Was ist los?«

»Nichts«, sagte Spencer schnell. Aria, Emily und Hanna wechselten einen Blick. In letzter Zeit passierte es ständig, dass Ali eine Bemerkung machte, die eine von ihnen zum Ausflippen brachte, während die anderen überhaupt keinen Schimmer hatten, worum es eigentlich ging.

Es war offensichtlich, dass es hier nicht um nichts ging. Melissa erstarrte, zupfte dann sorgfältig ihren Umhang zurecht, straffte die Schultern und wandte sich wortlos ab. Nach einem langen Blick auf das riesige Loch am Grundstückrand der DiLaurentis’ stapfte sie zu ihrer Scheune davon, kurz darauf krachte die Tür mit Wucht ins Schloss.

»Ups, der scheint was über die Leber gekrochen zu sein«, bemerkte Ali. »Dabei hab ich nur einen Witz gemacht.« Aus Spencers Kehle drang ein leises Wimmern und Ali begann zu glucksen. Auf ihrem Gesicht lag ein leises Lächeln. Es war dasselbe leise Lächeln, das sie ihren Freundinnen immer zuwarf, wenn sie ein Geheimnis wie ein Damoklesschwert über eine von ihnen hielt und drohte, sie könnte es den anderen verraten, wenn sie nur wollte.

»Ach, wen schert’s?« Ali sah die anderen mit glänzenden Augen an. »Wisst ihr was, Mädels?« Sie trommelte aufgeregt mit den Fingern auf die Tischplatte. »Ich glaube, das wird mein Sommer. Unser Sommer. Ich bin mir ganz sicher. Spürt ihr es auch?«

Einen Augenblick schwiegen die anderen sprachlos. Es kam ihnen vor, als hinge eine dichte Nebelwolke über ihnen und verschleiere ihren Verstand. Doch langsam löste die Wolke sich auf und ein Gedanke setzte sich in ihren Köpfen durch. Vielleicht hatte Ali recht. Vielleicht sollte dies wirklich der beste Sommer ihres Lebens werden. Sie könnten das Ruder herumreisen und alles dafür tun, dass ihre Freundschaft wieder genauso stark und eng wurde wie letzten Sommer. Sie würden alle Skandale vergessen und ganz neu anfangen.

»Ich spüre es auch«, sagte Hanna laut.

»Auf jeden Fall«, stimmten Aria und Emily im gleichen Augenblick zu.

»Sicher«, sagte Spencer leise.

Sie fassten sich an den Händen und drückten sie.

 

In dieser Nacht regnete es so heftig, dass Einfahrten und Gärten sich in Pfützenlandschaften verwandelten und auf der Abdeckung von Spencers Pool lauter Mini-Pools entstanden. Mitten in der Nacht hörte der Regen plötzlich auf. Aria, Emily, Spencer und Hanna erwachten beinahe gleichzeitig und fuhren in ihren Betten hoch. Ein merkwürdig banges Gefühl hatte sie gepackt. Sie wussten nicht, ob es von etwas rührte, das sie geträumt hatten, oder ob es schlicht Aufregung wegen des morgigen Tages war. Oder steckte etwas anderes dahinter … etwas, das tiefer lag?

Sie alle stellten sich an ihre Fenster und schauten hinaus auf Rosewoods ruhige, leere Straßen. Die Wolken hatten sich verzogen und am Himmel leuchteten die Sterne. Der Asphalt glänzte vom Regen.

Hanna starrte auf ihre Einfahrt, in der nur das Auto ihrer Mutter stand. Ihr Vater war vor einiger Zeit ausgezogen. Emily schaute zu den Wäldern, die hinter ihrem Garten begannen. Sie hatte sich noch nie getraut, dort spazieren zu gehen, denn es hieß, dort würden Geister ihr Unwesen treiben. Aria lauschte auf Geräusche aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern. Ob die beiden auch aufgewacht waren? Oder stritten sie wieder und hatten noch gar nicht geschlafen?

Spencer schaute auf den hinteren Teil von Alis Veranda und richtete ihren Blick dann auf das riesige Loch, das die Bauarbeiter für das Fundament des Pavillons gegraben hatten. Der Regen hatte die ausgehobene Erde in zähen Matsch verwandelt. Spencer dachte an all die Dinge in ihrem Leben, die sie wütend machten. Dann dachte sie an das, was sie in ihrem Leben haben wollte – und an das, was sie verändern wollte.

Sie griff unter ihr Bett, fand ihre rote Taschenlampe und richtete sie auf Alis Fenster. Sie knipste sie drei Mal an und wieder aus. Das war das verabredete Geheimzeichen, mit dem sie Ali mitteilte, dass sie sich draußen mit ihr treffen und reden wollte. Sie glaubte, Alis blonden Kopf hochschrecken zu sehen, aber es kam kein Signal zurück.

Das Zen ist mächtiger als das Schwert

Aria Montgomery wachte mitten in einem Schnarcher auf. Es war Sonntagmorgen und sie hatte sich auf einem blauen Plastikstuhl im Wartebereich des Rosewood Memorial Hospital zusammengerollt. Alle – Hanna Marins Eltern, Officer Wilden, Hannas beste Freundin Mona Vanderwaal und Lucas Beattie, ein Junge aus ihrem Jahrgang an der Rosewood Day, der aussah, als sei er gerade erst eingetroffen – starrten sie an.

»Hab ich was verpasst?«, krächzte Aria. Ihr Kopf fühlte sich an, als sei er mit Marshmallows ausgestopft. Als sie auf die Wanduhr blickte, die über dem Eingang des Wartebereichs hing, realisierte sie, dass es erst halb neun war. Sie hatte nur eine Viertelstunde geschlafen.

Lucas setzte sich neben sie und nahm eine Ausgabe von Medical Supplies Today in die Hand. Wenn man der Titelseite glauben durfte, stellte die Ausgabe das Neueste aus dem Bereich der künstlichen Darmausgänge vor. Wer war denn auf die Idee gekommen, eine solche Zeitschrift in ein Wartezimmer zu legen? »Ich bin gerade erst angekommen«, sagte Lucas. »Ich habe in den Morgennachrichten von dem Unfall erfahren. Hast du sie schon gesehen?«

Aria schüttelte den Kopf. »Sie lassen immer noch niemanden zu ihr.«

Beide schwiegen bedrückt. Aria sah die anderen an. Ms Marin trug einen zerknitterten grauen Kaschmirpulli und absichtlich zerrissene Jeans, die wie angegossen saßen. Sie bellte in das Mikrofon ihres BlackBerry-Headsets, obwohl die Schwestern ihnen ausdrücklich verboten hatten, ihre Handys zu benutzen. Officer Wilden saß neben ihr. Seine Uniformjacke war nur halb zugeknöpft, und man sah das alte weiße T-Shirt, das er darunter trug. In dem Stuhl direkt neben den beiden riesigen Flügeltüren, die zur Intensivstation führten, kauerte Hannas Vater und wippte nervös mit dem linken Fuß. Mona wirkte in ihrem hellrosa Juicy-Jogginganzug und ihren Flipflops ungewöhnlich ungestylt, ihre Augen waren vom Weinen geschwollen. Sie hob den Kopf, und als ihr Blick auf Lucas fiel, erschien ein genervter Ausdruck auf ihrem Gesicht, als wolle sie sagen: Junge, das hier ist für enge Freunde und Familie. Was hast du hier verloren? Aria verstand sehr gut, dass alle ziemlich mit den Nerven runter waren. Sie selbst saß seit 3:15 Uhr morgens in diesem Wartebereich, nachdem der Krankenwagen am Parkplatz der Rosewood-Day-Grundschule eingetroffen war und Hanna ins Krankenhaus gebracht hatte. Mona und die anderen waren im Laufe des Morgens eingetroffen, als sich die Nachricht von dem Unfall verbreitete. Die Ärzte hatten ihnen gesagt, Hanna sei auf die Intensivstation verlegt worden. Aber das war schon vor drei Stunden gewesen.

Aria ließ den gestrigen Abend in all seinen grässlichen Details vor ihrem inneren Auge Revue passieren.

Hanna hatte sie angerufen und gesagt, sie kenne nun die Identität von A., dem diabolischen Erpresser, der Hanna, Aria, Emily und Spencer seit Wochen quälte. Am Telefon hatte Hanna keine Einzelheiten verraten wollen, vielmehr hatte sie Aria und Emily zu einem Treffen auf dem Spielplatz der Rosewood Day, ihrem alten Treffpunkt, gebeten. Emily und Aria waren gerade in dem Moment eingetroffen, als ein schwarzes SUV Hanna rammte und dann verschwand. Wie betäubt hatte Aria den Rettungshelfern zugesehen, die an den Unfallort eilten, Hanna eine Halskrause anlegten und sie vorsichtig auf einer Bahre zum Krankenwagen trugen. Als Aria sich in den Arm kniff, tat es nicht einmal weh.

Hanna war am Leben … aber es ging ihr sehr schlecht. Sie hatte innere Verletzungen, einen gebrochenen Arm und überall Schrammen und Abschürfungen. Sie war ins Koma gefallen und hatte bisher das Bewusstsein nicht wiedererlangt.

Aria schloss die Augen, kurz davor, erneut loszuheulen. Das Unfassbarste an der ganzen Geschichte war die SMS, die Aria und Emily unmittelbar nach Hannas Unfall erhalten hatten. Sie wusste zu viel. A. hatte die Nachricht geschickt, was bedeutete, dass A. wusste, was Hanna herausgefunden hatte. A. wusste einfach alles: jedes ihrer Geheimnisse, einschließlich der Tatsache, dass nicht Jennas Stiefbruder Toby, sondern Ali, Aria, Spencer, Emily und Hanna für den Unfall verantwortlich gewesen waren, der Jenna das Augenlicht gekostet hatte. Wahrscheinlich wusste A. auch, wer Ali getötet hatte.

Lucas berührte Arias Arm. »Du warst da, als das Auto Hanna angefahren hat, stimmt’s? Hast du gesehen, wer am Steuer saß?«

Aria kannte Lucas nicht sehr gut. Er gehörte zu den Kids, die versessen auf Clubs und Schulaktivitäten waren, während Aria sich so weit als möglich von allen Orten und Veranstaltungen der Rosewood-Day-Teenies fernhielt. Sie wusste nicht, in welcher Verbindung Lucas und Hanna zueinander standen, aber sie fand es irgendwie süß, dass er hier war. »Es war zu dunkel«, murmelte sie.

»Hast du einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?«

Aria biss sich heftig auf die Unterlippe. Wilden und ein paar andere Cops aus Rosewood waren gestern Abend auf dem Parkplatz eingetroffen, nachdem sie und Emily die SMS von A. erhalten hatten. Als Wilden sie gefragt hatte, was passiert war, hatten beide geschworen, dass sie weder das Gesicht des Fahrers noch das Fabrikat des Autos erkannt hatten. Und sie schworen auch Stein und Bein, dass es ein Unfall gewesen sein müsse und sie sich nicht vorstellen können, dass jemand dies absichtlich getan hätte. Vielleicht war es falsch, der Polizei wichtige Informationen vorzuenthalten, aber ihnen war angst und bange, was A. ihnen antun würde, wenn sie die Wahrheit sagten.

A. hatte ihnen schon einmal gedroht, sich zu rächen, sollten sie mit der Polizei sprechen. Aria und Emily hatten die Drohung damals ignoriert und waren prompt bestraft worden. A. hatte Arias Mutter Ella einen anonymen Brief geschickt und ihr eröffnet, dass Arias Vater eine Affäre mit seiner Studentin hatte und Aria davon wusste. Dann hatte A. der gesamten Schule verraten, dass Emily ein Techtelmechtel mit Maya hatte, dem Mädchen, das in Alis ehemaliges Haus eingezogen war. Aria warf Lucas einen Blick zu und schüttelte stumm den Kopf.

Die Tür zur Intensivstation flog auf, und Dr. Geist kam in den Wartebereich. Mit seinen durchdringenden grauen Augen, der gewölbten Nase und dem wilden Schopf weißer Haare sah er ein bisschen aus wie Helmut, der deutsche Besitzer des alten Reihenhauses, in dem Aria und ihre Familie in Reykjavík gewohnt hatten. Dr. Geist warf ihnen den gleichen strengen Blick zu, mit dem Helmut Arias Bruder Mike bedacht hatte, als er herausfand, dass Mike seine Tarantel Diddy in einem Terrakottablumentopf hielt, in dem Helmut sonst Tulpen anpflanzte.

Hannas Eltern standen eilig auf und gingen zu dem Arzt.

»Ihre Tochter ist immer noch bewusstlos«, sagte Dr. Geist leise. »Es gibt nicht viel Neues zu berichten. Wir haben den Knochenbruch geschient und untersuchen gerade, wie schwer ihre inneren Verletzungen sind.«

»Wann dürfen wir zu ihr?«, fragte Mr Marin.

»Bald«, sagte Dr. Geist. »Aber ihr Zustand ist nach wie vor sehr kritisch.«

Er drehte sich um und wollte gerade wieder gehen, als Mr Marin ihn am Arm packte. »Wann wird sie wieder aufwachen?«

Dr. Geist schaute angelegentlich auf sein Klemmbrett. »Ihr Gehirn ist stark geschwollen, deshalb können wir momentan nur schlecht einschätzen, wie stark es geschädigt ist. Es kann sein, dass sie bald aufwacht und alles in Ordnung ist. Aber auch Komplikationen sind möglich.«

»Komplikationen?« Ms Marin wurde leichenblass.

»Ich habe gehört, dass die Chancen, sich nach einem Koma vollständig zu erholen, sinken, wenn ein bestimmter Zeitraum überschritten wird«, sagte Mr Marin mit zitternder Stimme. »Stimmt das?«

Dr. Geist rieb die Hände an seinem blauen OP-Kittel. »Das stimmt, aber machen Sie sich darüber erst einmal keine Sorgen, in Ordnung?«

Ein Raunen ging durch den Raum und Mona brach wieder in Tränen aus. Aria wünschte, sie könnte Emily anrufen … doch die saß in einem Flugzeug nach Des Moines, Iowa, aus Gründen, die sie Aria nicht erklärt hatte. Sie hatte nur gesagt, A. sei schuld daran, dass sie dorthin müsse. Dann gab es da noch Spencer. Kurz vor Hannas aufgeregtem Anruf in der Nacht war Aria etwas Schreckliches über Spencer klar geworden. Und als sie Spencer gesehen hatte, wie sie am Waldrand kauerte und zitternd wie ein verstörtes Reh Sekunden nach dem Unfall in das Unterholz abtauchte, hatte dies ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

Ms Marin griff nach ihrer riesigen braunen Ledertasche und riss Aria aus ihren Grübeleien. »Ich hole uns Kaffee«, sagte Hannas Mom leise zu ihrem Exmann. Dann gab sie Officer Wilden einen Kuss auf die Wange – Aria hatte bis heute nicht gewusst, dass zwischen den beiden etwas lief – und verschwand in Richtung der Aufzüge.

Officer Wilden ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken. Vergangene Woche hatte Wilden Aria, Hanna und die anderen aufgesucht und sie zu Details rund um Alis Verschwinden und ihren Tod befragt. Während des Verhörs hatte A. den vieren eine SMS geschickt, in der stand, es werde ihnen sehr leidtun, wenn sie Wilden von ihren Mails und Nachrichten erzählten. Aber dass Aria Wilden nicht verraten durfte, was A. Hanna womöglich angetan hatte, hieß schließlich nicht, dass sie die schreckliche Wahrheit über Spencer für sich behalten musste, oder?

Sie bedeutete Wilden mit einer Geste, dass sie mit ihm reden wollte. Wilden nickte und stand auf. Sie verließen den Wartebereich und gingen in eine kleine Nische, in der sechs glänzende Automaten darauf warteten, Patienten und Besucher mit Getränken, Fertigessen, matschigen Sandwiches und Pasteten zu versorgen. Das Automatenessen erinnerte Aria an das Zeugs, das ihr Vater Byron früher für sie zubereitet hatte, wenn Ella spätabends arbeiten musste.

»Hör mal, wenn es um deinen Lehrer-Freund geht, den haben wir laufen lassen.« Wilden setzte sich auf die Bank neben der Mikrowelle und warf Aria ein schwaches neckisches Lächeln zu. »Wir konnten ihn nicht festhalten. Und damit du im Bilde bist, wir haben die Sache auch nicht an die große Glocke gehängt. Falls du ihn nicht anzeigst, kommt er ungestraft davon. Aber ich sollte vermutlich deine Eltern informieren.«

Aria wich das Blut aus dem Gesicht. Oh Gott, natürlich wusste Wilden, was ihr und Ezra Fitz, der Liebe ihres Lebens und dummerweise ihr Englischlehrer in einer Person, gestern Abend widerfahren war. Dass ein zweiundzwanzigjähriger Lehrer mit einer Minderjährigen im Bett erwischt worden war – und obendrein der Freund der Kleinen die Polizei alarmiert hatte –, war wahrscheinlich das Thema der gesamten Rosewooder Polizeitruppe. Vermutlich wurde es ausgiebig im Hooters, dem Schnellrestaurant neben der Wache, bei Chicken Wings und Pommes, serviert von großbusigen Mädchen, betratscht und bekakelt.

»I-ich will ihn nicht anzeigen«, stotterte Aria. »Und bitte, bitte sagen Sie meinen Eltern nichts.« Das Letzte, was sie jetzt noch gebrauchen konnte, war eine Art große, aus den Rudern laufende Familiendiskussion.

Aria verlagerte unbehaglich ihr Gewicht. »Aber eigentlich wollte ich über etwas anderes mit Ihnen reden. Ich … ich glaube, ich weiß, wer Alison getötet hat.«

Wilden zog eine Augenbraue hoch. »Ich höre.«

Aria holte tief Luft. »Also, erstens hatte Ali eine Affäre mit Ian Thomas.«

»Ian Thomas«, wiederholte Wilden und riss die Augen auf. »Melissa Hastings’ Freund?«

Aria nickte. »Mir ist auf dem Video, das letzte Woche an die Presse gelangt ist, etwas aufgefallen. Wenn man genau hinschaut, sieht man Ali und Ian Händchen halten.« Sie räusperte sich. »Spencer Hastings war auch in Ian verknallt. Spencer und Ali standen dauernd im Wettstreit miteinander, und an dem Abend, an dem Ali verschwand, haben sie sich fürchterlich gestritten. Spencer rannte Ali hinterher und kam erst zehn Minuten später wieder in die Scheune zurück.«

Wilden sah Aria ungläubig an.

Aria holte tief Luft. A. hatte ihr mehrere Hinweise auf die Identität des Mörders geschickt – es sei jemand aus ihrer Nähe, jemand, der etwas wollte, was Ali gehörte, und eine Person, die Alis Hintergarten wie ihre Westentasche kenne. Diese Hinweise und Alis Affäre mit Ian machten Spencer zur logischen Verdächtigen. »Ein bisschen später bin ich nach draußen gegangen und habe nach den beiden gesucht«, fügte sie hinzu. »Aber sie waren nirgendwo … und ich habe dieses schreckliche Gefühl, dass Spencer …«

Wilden lehnte sich zurück. »Spencer und Alison waren ungefähr gleich schwer, stimmt’s?«

Aria nickte. »Ungefähr, ja.«

»Könntest du ein Mädchen deines Gewichts zu einem Loch tragen und sie hineinwerfen?«

»Ich … ich weiß nicht«, stammelte Aria. »Vielleicht? Wenn ich richtig wütend wäre?«

Wilden schüttelte den Kopf. Arias Augen füllten sich mit Tränen. Sie erinnerte sich daran, wie unheimlich still diese Nacht gewesen war. Ali war nur ein paar Hundert Meter von ihnen entfernt gewesen und sie hatten keinen Laut gehört.

»Spencer hätte sich bis zu ihrer Rückkehr in die Scheune auch so weit beruhigen müssen, dass ihr keinen Verdacht schöpft«, fügte Wilden hinzu. »Es bräuchte einen verdammt guten Schauspieler, dieses Spielchen zu meistern – und nicht eine kleine Siebtklässlerin. Ich glaube, der Mörder befand sich tatsächlich in der Nähe, aber er hat mehr Zeit für seine Tat benötigt, als Spencer sie hatte.« Er zog beide Augenbrauen hoch. »Ist das gerade Mode bei den Mädchen von der Rosewood Day? Freundinnen des Mordes zu beschuldigen?«

Aria klappte bei Wildens strengem Tonfall der Kiefer herunter. »Aber ich meinte doch nur …«

»Spencer Hastings ist ziemlich überkandidelt und kann nicht verlieren. Aber ich halte sie nicht für eine Mörderin«, unterbrach Wilden sie. Dann lächelte er sie traurig an. »Ich kapier das schon. Das Ganze ist schwer für dich, und du willst nur herausfinden, was deiner Freundin passiert ist. Was ich allerdings nicht wusste, ist, dass Alison eine Affäre mit Melissa Hastings’ Freund hatte. Und das ist wirklich interessant.«

Wilden nickte Aria knapp zu, stand auf und ging zurück in den Flur. Aria verharrte bei den Automaten und starrte auf den mintgrünen Linoleumboden. Sie fühlte sich überhitzt und desorientiert, als habe sie zu lange in der Sauna gesessen. Vielleicht sollte sie sich dafür schämen, dass sie eine alte Freundin beschuldigt hatte. Und was Wilden an ihrer Theorie bekrittelt hatte, machte Sinn. Eventuell war es dämlich gewesen, A.s Hinweisen Glauben zu schenken.

Aria lief es kalt den Rücken hinunter. Möglicherweise hatte A. ihr die Hinweise nur geschickt, um sie auf eine falsche Fährte zu locken und den wahren Mörder aus der Schusslinie zu nehmen. Und vielleicht, ganz vielleicht war der Mörder in Wahrheit … A.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie heftig zusammenzuckte, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Mit pochendem Herzen drehte sie sich um. Hinter ihr stand, in einem schäbigen Hollis-College-Sweatshirt und einer Jeans mit Loch in der Vordertasche, ihr Vater Byron. Aria verschränkte verlegen die Arme vor der Brust. Sie hatte mit ihrem Vater seit einigen Wochen nicht mehr wirklich gesprochen.

»Jesus, Aria, geht es dir gut?«, sprudelte Byron los. »Ich hab dich in den Nachrichten gesehen.«

»Ich bin okay«, sagte Aria steif. »Hanna wurde verletzt, nicht ich.«

Ihr Vater schloss sie in die Arme. Aria wusste nicht, ob sie Byron fest an sich drücken oder starr wie ein Stock stehen bleiben sollte. Seit er vor einem Monat ausgezogen war, vermisste sie ihn fürchterlich. Aber sie war auch wütend darüber, dass erst ein lebensbedrohlicher Unfall und ein Fernsehauftritt Byron dazu gebracht hatten, Merediths Seite zu verlassen und sich um seine eigene Tochter zu kümmern.

»Ich habe heute Morgen deine Mutter angerufen und mich nach dir erkundigt. Sie sagte, du würdest nicht mehr bei ihr wohnen.« Byrons Stimme war voller Besorgnis. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und verstrubbelte sie noch mehr, als sie es ohnehin bereits waren. »Wo wohnst du denn jetzt?«

Aria starrte müde auf das grelle Poster für den Heimlich-Handgriff, eine lebensrettende Sofortmaßnahme. Das Poster hing hinter dem Colaautomaten, und irgendein Witzbold hatte dem Opfer Brüste aufgemalt, sodass es nun so aussah, als sei der Helfer ein Busen-Fummler. Aria hatte bis gestern bei ihrem Freund Sean Ackard gewohnt, doch Sean hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie dort nicht mehr willkommen war, indem er die Polizei in Ezras Wohnung gehetzt und Arias Siebensachen vor die Tür geworfen hatte. Und wer hatte Sean wohl über Arias Affäre mit Ezra aufgeklärt? Bingo! A.

Sie hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, wo sie jetzt wohnen würde. »Im Old Hollis Inn?«, sagte sie versuchsweise.

»Dort gibt es Ratten. Zieh doch zu mir.«

Aria schüttelte energisch den Kopf. »Du wohnst bei …«

»Meredith«, stellte Byron mit fester Stimme klar. »Und ich will, dass du sie besser kennenlernst.«

»Aber …«, protestierte Aria. Doch ihr Vater sah sie mit einem Blick an, um den ihn jeder buddhistische Mönch beneidet hätte. Aria kannte diesen Blick gut – ihr Vater hatte ihn aufgesetzt, als er sich geweigert hatte, Aria in ein Sommerlager für angehende Künstler in den Berkshires abziehen zu lassen, statt zum vierten Mal in Folge das Hollis-Happy-Hooray-Camp zu besuchen, wo sie zehn lange Wochen damit verbrachte, Handpuppen aus Pappmaschee zu basteln und an Eierlauf-Wettkämpfen teilzunehmen. Auch als Aria ihm ihr Vorhaben unterbreitet hatte, an der amerikanischen Schule von Reykjavík ihren Abschluss zu machen, statt mit dem Rest der Familie nach Rosewood zurückzukehren, hatte er diese Miene aufgesetzt. Danach folgte meistens ein Spruch, den Byron von einem Mönch gehört hatte, den er während einer Forschungsreise nach Japan kennengelernt hatte: Das Hindernis ist der Weg. Was so viel bedeutete wie: Was Aria nicht umbrachte, machte sie stärker.

Nur dass bei der Vorstellung, zu Meredith zu ziehen, Aria ein anderer Spruch viel passender erschien:

Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb

Ali verlagerte ihr Gewicht auf eine Hüfte und starrte Spencer Hastings an, die vor ihr auf dem Weg stand, der von der Scheune der Hastings in den Wald führte. »Du willst mir alles wegnehmen. Aber das hier kriegst du nicht!«

»Was krieg ich nicht?« Spencer fröstelte in ihrem dünnen T-Shirt.

»Ach, tu nicht so! Du hast es doch in meinem Tagebuch gelesen.« Ali warf ihr honigblondes Haar über die Schulter. »Das ist so lahm, Spencer. Du weißt doch ganz genau, dass wir zusammen sind. Nur deshalb findest du Ian gut. Weil ich mit ihm zusammen bin. Vielleicht aber auch, weil deine Schwester mit ihm zusammen ist?«

Spencer fielen fast die Augen aus dem Kopf. Die Nachtluft roch plötzlich scharf und beißend. Alis Gesicht verzog sich zu einem Schmollmund. »Oh, Spencer. Hast du wirklich gedacht, er mag dich?«

Plötzlich spürte Spencer Wut in sich aufsteigen. Ihre Hände schossen nach vorn und sie stieß Ali heftig gegen die Schulter. Ali taumelte zurück und rutschte auf den glitschigen Steinen aus. Nur war es auf einmal nicht mehr Ali, sondern Hanna. Ihr Körper wirbelte durch die Luft und prallte mit einem krachenden Geräusch auf den Boden. Statt ihres Make-ups und Telefons, die sich auf dem Boden verteilt hatten, als ihre Handtasche wie eine Pinata zerborsten war, waren es nun Hannas Eingeweide, die aus ihrem Körper platzten und sich auf dem Asphalt verteilten.

Spencer schoss im Bett hoch. Ihr blondes Haar war schweißnass. Es war Sonntagmorgen, und sie lag auf ihrem Bett, immer noch bekleidet mit dem schwarzen Cocktailkleid und dem unbequemen Tanga, die sie zu Mona Vanderwaals Geburtstagsparty gestern Abend hatte tragen wollen. Weiches goldenes Licht fiel über ihren Schreibtisch und in der riesigen Eiche neben ihrem Fenster hörte sie das unschuldige Zwitschern der Vögel. Sie war beinahe die ganze Nacht lang wach gelegen und hatte auf einen Anruf gewartet, der sie mit Neuigkeiten über Hannas Zustand versorgte. Aber das Telefon hatte nicht geklingelt. Spencer wusste nicht, ob dieses Schweigen etwas Gutes bedeutete … oder etwas Entsetzliches.

Hanna. Sie hatte Spencer mitten in der Nacht angerufen, gerade als Spencer das lange Verdrängte erinnert hatte, dass sie Ali in der Nacht ihres Verschwindens auf dem Steinpfad zum Wald geschubst hatte. Hanna hatte Spencer gesagt, sie habe etwas Wichtiges herausgefunden und sie müssten sich auf dem Spielplatz der Rosewood Day treffen. Spencer war in dem Moment in den Parkplatz eingebogen, als Hannas Körper durch die Luft geschleudert wurde. Sie hatte ihr Auto am Straßenrand stehen lassen und war dann in heller Panik zu Fuß in die Wälder geflüchtet, zutiefst geschockt von der Szene, die sich vor ihren Augen abspielte. »Ruf den Notarzt!«, hatte Aria gekreischt. Emily hatte vor Panik haltlos geschluchzt. Und Hanna war bewegungslos dagelegen. Spencer hatte noch nie in ihrem Leben etwas so Schreckliches erlebt.

Sekunden später hatte sie eine SMS von A. erhalten. Zwischen den Bäumen verborgen sah Spencer, dass auch Emily und Aria ihre Handys in der Hand hielten. Ihr Magen hob sich, als ihr klar wurde, dass sie alle dieselbe gruselige SMS bekommen haben mussten. Sie wusste zu viel. Hatte A. herausgefunden, was Hanna wusste, und sie angefahren, um sie zum Schweigen zu bringen? So musste es sein, und Hannas Wissen schien sich um irgendetwas zu drehen, was A. um jeden Preis geheim halten wollte. Spencer mochte kaum glauben, dass dieser Anschlag auf Hanna tatsächlich geschehen war, so teuflisch war die Tat.

Aber vielleicht agierte sie, Spencer Hastings, ebenso teuflisch. Nur Stunden vor Hannas Unfall hatte sie ihre Schwester Melissa die Treppe hinuntergestoßen. Und sie hatte sich endlich daran erinnert, was in der Nacht von Alis Verschwinden passiert war, in jenen zehn Minuten, die sie so lange aus ihrer Erinnerung verbannt hatte. Sie hatte Ali zu Boden gestoßen – womöglich sogar so heftig, dass sie ihre Freundin dabei getötet hatte. Spencer wusste nicht mehr, was danach passiert war, aber A. wusste es offenbar. Vor ein paar Tagen hatte A. Spencer eine SMS mit dem Hinweis geschickt, der Mörder befinde sich direkt vor ihrer Nase. Spencer hatte gerade vor dem Spiegel gesessen, als die SMS gekommen war. Vor ihrer Nase war … sie selbst.

Spencer war nicht zu ihren Freundinnen auf den Parkplatz gerannt, sondern nach Hause. Sie musste unbedingt Ordnung in ihre wirren Gedanken bringen. War es tatsächlich möglich, dass sie Ali getötet hatte? Trug sie etwas von einem Killer in sich? Aber nach einer schlaflosen Nacht kam sie zu dem Schluss, dass ihr Verhalten gegenüber Melissa und A.s Attacke auf Hanna wirklich nicht zu vergleichen waren. Ja, sie war jähzornig, und ja, man konnte sie zur Weißglut treiben, doch zu einem Mord war sie nicht fähig, davon war sie in ihrem tiefsten Inneren überzeugt.

Warum war A. allerdings so überzeugt davon, dass Spencer die Schuldige war? Konnte es sein, dass A. sich täuschte … oder gar log? Aber A. wusste, dass Spencer in der siebten Klasse Melissas Freund Ian Thomas geküsst hatte, dass sie eine verbotene Affäre mit Wren, Melissas Freund aus der Uni, begonnen hatte und dass die fünf Freundinnen die Schuld an Jennas Erblindung trugen – all diese Dinge waren wirklich passiert, sie stimmten. A. hatte also so viel gegen sie in der Hand, dass es eigentlich unnötig war, obendrein noch Dinge zu erfinden.

Spencer wischte sich den Schweiß von der Stirn. Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der ihr das Herz in die Knie rutschen ließ. Es gab einen sehr guten Grund, warum A. gelogen und Spencer fälschlicherweise des Mordes an Ali beschuldigt haben könnte. Vermutlich hatte A. auch Geheimnisse. Womöglich brauchte A. … einen Sündenbock.

»Spencer?«, drang die Stimme ihrer Mutter zu ihr hinauf. »Kommst du bitte mal nach unten?«

Spencer sprang aus dem Bett und betrachtete sich in ihrem Schminkspiegel. Ihre Augen waren verschwollen und gerötet, ihre Lippen aufgesprungen, und in ihrem Haar hingen Blätter von den Bäumen, zwischen denen sie sich gestern Nacht versteckt hatte. Eine Familienkonferenz würde sie jetzt auf keinen Fall durchstehen.

Im Erdgeschoss roch es nach frisch gebrühtem Kaffee, warmen Brötchen und den Calla-Lilien, die Candace, die Haushälterin, jeden Morgen im Blumenladen kaufte. Spencers Vater stand an der Granitplatte der Kochinsel. Er trug seine Radlerhosen und sein US-Postal-Service-Trikot. Ein gutes Zeichen – sie konnten nicht allzu wütend auf sie sein, wenn ihr Vater bereits auf seiner morgendlichen Radtour gewesen war.

Auf dem Küchentisch lag die Sonntagsausgabe des Philadelphia Sentinel. Im ersten Augenblick dachte Spencer, sie liege wegen Hannas Unfall auf dem Tisch. Aber dann sah sie ihr eigenes Antlitz. Es starrte ihr von der Titelseite entgegen. Auf dem Foto trug sie einen schmal geschnittenen grauen Anzug und grinste selbstbewusst. Platz da, Donald Trump!, lautete die Schlagzeile. Hier kommt Spencer Hastings!

Spencer wurde übel. Das hatte sie völlig vergessen. Die Zeitung lag bereits auf allen Frühstückstischen der Gegend.

In der Speisekammertür erschien eine Gestalt und Spencer wich angstvoll einen Schritt zurück. Melissa starrte sie wütend an und umklammerte eine Müslischachtel so fest, dass Spencer fürchtete, sie würde sie zerquetschen. Auf Melissas linker Wange prangte ein kleiner Kratzer, sie trug ein Pflaster über der rechten Augenbraue, ein gelbes Krankenhausarmband um das linke, und einen rosafarbenen Gipsverband um das rechte Handgelenk. Alles Souvenirs ihrer gestrigen Auseinandersetzung mit ihrer Schwester.

Spencer senkte den Blick. Sie fühlte sich schrecklich schuldig.

Gestern hatte A. Melissa die ersten Sätze des alten Aufsatzes geschickt, den Spencer von Melissas Festplatte geklaut und als ihre eigene Arbeit ausgegeben hatte. Der Aufsatz, den Spencers Wirtschaftslehrer Mr McAdams so gut fand, dass er ihn für eine Goldene Orchidee nominiert hatte, den renommiertesten Aufsatz-Preis des Landes.

Melissa hatte sofort kapiert, was Spencer getan hatte, und obwohl Spencer um Vergebung flehte, hatte Melissa ihr entsetzliche Dinge an den Kopf geworfen – Dinge, die viel schlimmer waren, als Spencer es ihrer Meinung nach verdient hatte. Der Streit endete, als Spencer, vor Zorn über Melissas Worte bebend, ihre Schwester versehentlich die Treppe hinuntergestoßen hatte.

»Nun denn, Mädchen.« Mrs Hastings stellte ihre Kaffeetasse auf den Tisch und bedeutete Melissa, sich zu setzen. »Euer Vater und ich haben ein paar Entscheidungen getroffen.«

Spencer wappnete sich innerlich für das Schlimmste. Sie würden sie wegen Plagiarismus anzeigen. Sie würden ihr das College nicht bezahlen. Sie würde auf der kaufmännischen Schule landen, auf dem Shoppingkanal enden und den Rest ihres Lebens damit verbringen, Bestellungen für Modeschmuck und Bauchmuskeltrainer entgegenzunehmen. Melissa würde ungestraft davonkommen, wie jedes Mal. Irgendwie schaffte es ihre Schwester immer, auf den Füßen zu landen.

»Wir haben beschlossen, dass eure Sitzungen bei Dr. Evans beendet sind.« Mrs Hastings verschränkte die Finger. »Sie hat eine Menge Schaden angerichtet. Verstanden?«

Melissa nickte schweigend, aber Spencer rümpfte verwirrt die Nase. Dr. Evans, Spencers und Melissas Therapeutin, gehörte zu den wenigen Menschen, die Melissa nicht dauernd Puderzucker in den Hintern bliesen. Spencer wollte schon protestieren, da sah sie die warnenden Blicke ihrer Eltern. »Okay«, murmelte sie resigniert.

»Zweitens.« Mr Hastings tippte auf die Ausgabe des Sentinel und quetschte den Daumen auf Spencers Gesicht. »Melissas Aufsatz zu stehlen, war ein schwerer Fehltritt, Spencer.«

»Ich weiß«, sagte Spencer schnell. Sie vermied geflissentlich jeden Blick in Melissas Richtung.