Prinzessin Svea zwischen Wölfen und Lämmern - Günther Melchert - E-Book

Prinzessin Svea zwischen Wölfen und Lämmern E-Book

Günther Melchert

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Beschreibung

Eigentlich sollte König Sandanger über sein Reich herrschen, das sich vom Norden bis zum Süden Europas erstreckt, doch sein Reich wird vom mächtigsten Mann des Kontinents beherrscht: Kretin Krapp. Von Habgier besessen, lässt Krapp den König ein Gesetz erlassen, das die Bevölkerung unter Androhung von hohen Strafen dazu zwingt, nur noch Wolfspelze als Kleidung zu tragen. Bei einem Besuch des Königs in Portugal, zu dem ihn seine Tochter Prinzessin Svea begleitet, fährt die Königskutsche am Goldschmied Ramon vorbei. Ramon verliebt sich dabei unsterblich in Svea und macht sich kurz darauf auf den Weg zum Schloss des Königs. Weil Ramon aber statt des Wolfsfells ein Lammfell trägt, wird er auf dem Weg zu Svea verhaftet, womit das Drama seinen Lauf nimmt. Wird es Ramon gelingen, dem Scheiterhaufen zu entkommen? Und hilft jemand der verzweifelten Svea, ihren Liebsten zu retten?

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Kapitelübersicht

1. Kapitel

Der junge Goldschmied Ramon himmelt in Lissabon die hinreißende Prinzessin Svea an

2. Kapitel

Ein düsteres Schloss in den Karpaten

3. Kapitel

Das traurige Geschick von Lalande, der Gemahlin von König Sandanger und Mutter von Prinzessin Svea

4. Kapitel

Reibereien zwischen Schlossherr Krapp und Erfinder Janosch

5. Kapitel

Hofnarr Carlo lässt für Prinzessin Svea seine Puppen tanzen

6. Kapitel

Carlo bewahrt den gedemütigten König vor einer Torheit

7. Kapitel

Krapps zweiter Grabenkampf mit Janosch wegen der Wölfe

8. Kapitel

Ramon wird auf einem Marktplatz in Gewahrsam genommen

9. Kapitel

Zuflucht bei braven Bauersleuten

10. Kapitel

Eine Nacht in der Scheune

11. Kapitel

Zwischenspiel mit Ramon und Pierrot

12. Kapitel

Ramon entdeckt eine verhängnisvolle Wandverkleidung

13. Kapitel

Ein unliebsamer Besuch

14. Kapitel

Eine seltsame Begegnung im Wald

15. Kapitel

Prinzessin Svea badet in wirren Gedanken und Gefühlen, woraufhin ihr ein Wassergeist erscheint und menschliche Gestalt annimmt

16. Kapitel

Carlo überbringt eine schlechte Nachricht

17. Kapitel

In der Morgendämmerung nach entscheidender Nacht wird ein Scheiterhaufen entfacht

18. Kapitel

Über Krapp bricht das Schicksal den Stab

ZWEITER TEIL Götterdämmerung über Island

19. Kapitel:

Sveas brisanter Traum führt zu einer geheimnisvollen Insel

20. Kapitel als Zwischenspiel:

Über ein weites, tiefes Meer in die Heimat zurückgeholt

21. Kapitel

Ramons kummervolle Motivsuche und ein wichtiges Gespräch

22. Kapitel

Der glücklichste Tag im Leben des Hengstes Wildbolz

23. Kapitel:

Im Königsschloss wird eine Gemäldeausstellung gezeigt

24. Kapitel:

Carlo plant über das Ende der Mär ein possenhaftes Puppenspiel

25. Kapitel

Seltsame Erscheinungen im Königsschloss

26. Kapitel

Carlos Irritationen mit einem weißen Ritter mit bronzebrauner Haut, dunklen Haaren und edlem Gebaren

27. Kapitel

Carlo inszeniert ein Puppenspiel für Kinder

28. Kapitel

Der König flaniert mit seiner Gemahlin durch den Schlosspark

Letztes Kapitel

Ein mit knapper Not verhindertes Eifersuchtsdrama

TRAGENDE PERSONEN:

König Sandanger

aus dem hohen Norden ohne Macht

Gemahlin Lalande

nach eigenwilliger Expedition verschollen

Prinzessin Svea

bildhübsche Tochter des Königspaares

Carlo

Hofnarr, Puppenschnitzer, Puppenspieler und Sänger

Krapp

der bösartige Herrscher über den gesamten europäischen Kontinent mit düsteren Visionen

Janosch

ein genialer, anfangs naiver Erfinder, in Krapps Hand, in reich ausgestatteter Kate mit toller Aussicht, aber hinter verschlossenen Türen

Ramon

ein junger Goldschmied aus Lissabon mit nordafrikanischen Wurzeln, unsterblich verliebt in Prinzessin Svea

WEITERE MITWIRKENDE:

Betreiber und Kunden eines großen Marktes unter Aufsicht von Gendarmen

Angestellte im maroden Königsschloss in Austria – von Ministern über Hofdamen bis Pagen –, Ammen, Zofen und Gesinde, Gefängniswärter und Henker … dazu zahlreiche Komparsen

Krapps Bedienstete, Mätressen, Ratgeber, Gäste in seinem Schloss in den Karpaten

Brave Bauersleute auf ihrem Hof in der Bretagne – mit der jungen hübschen Jeanne und ihrem kleinen Neffen Pierrot

Rudel grauer Wölfe auf dem Weg über den Ural nach Westen – ein einzelner Wolf im Wald – Wildbolz, Hengst der Königin

Lämmer und Wölfe – auch im übertragenen Sinn kleiner, brauner putziger Bär als wichtige Traumgestalt

ZEIT: vom 13. bis 17. Jahrhundert

ORT:

Territorium: ein fiktives Riesenreich, welches das gesamte europäische Abendland umfasst

Schauplätze: Lissabon – die Bretagne – das Land Austria – Prinzessin Sveas Heimatland im hohen Norden vom Hörensagen – Fjorde zwischen Norwegen, Lofoten und Spitzbergen …

Zuletzt: eine geheimnisvolle Insel im nordatlantischen Ozean

1. Kapitel

Der junge Goldschmied Ramon himmelt in Lissabon die hinreißende Prinzessin Svea an

Es war einmal ein großes Königreich, in dem die Sonne nicht unterging. Vom hohen Norden – von einer Insel, aus deren Boden heiße Quellen sprudelten und Geysire riesige Fontänen in den Himmel schossen, und Skandinaven – erstreckte es sich nach Süden bis zu den glutflüssige Lava speienden Vulkanen auf Sizilien – und von den dichtbewaldeten Hängen des Uralgebirges im Osten bis nach Westen zur zerklüfteten Küste des Atlantischen Ozeans.

Regiert wurde das Land von dem verarmten König Sandanger, dessen Gemahlin nach einer eigenwilligen Expedition auf eine Insel im nordatlantischen Ozean seit vielen Jahren als verschollen galt. Beherrscht wurde das Land vom reichsten Manne des Kontinents, dem düsteren Kretin Krapp …

Während einer Besuchsfahrt kam der überall beliebte König auch auf die Pyrenäenhalbinsel, in ein Land, Portugal genannt, in dem Olivenbäume und Pinien den Wegrand säumten wie anderenorts Birnen- und Pflaumenbäume und wo Weintrauben auf Feldern geernet wurden wie anderswo Rüben.

Spätnachmittags fuhr der König auf einer von zwei Schimmeln gezogenen Kalesche durch die Stadt Lissabon, begleitet von seinem Töchterlein, dem Ersten Minister sowie von einem in Samt gekleideten Pagen, der auf dem Bock saß neben dem die Peitsche schwingenden und die Rosse lenkenden Kutscher. Aus der Ferne wurden vom Wind das Branden der See und das Rauschen der Fluten des Flusses Tejo herübergetragen, der in Lissabon seine Wasser ins offene Meer ergießt. Die Menge stand dichtgedrängt in Straßen und Gassen und jubelte der Königsfamilie zu.

Doch in den Freudenbecher über den gelungenen Zug fielen schwere Wermutstropfen. Lalande, die Gemahlin des Königs, war seit Jahren verschollen, und um ihrer ehrenvoll zu gedenken, aber auch als Zeichen, dass der Platz für sie reserviert war, blieb der Sitz zur Rechten des Königs leer. Das führte zu Missverständnissen, und so entstand die Überlegung, auf den Platz der Königin ihr Porträt zu stellen. Das jedoch hätte weitere Missverständnisse nach sich ziehen können, weil solche Bildnisse als Mahnmäler auf Friedhöfen zu finden waren. Da kam König Sandangers findiger Hofnarr Carlo auf den Einfall, Lalandes Sitz mit einer flauschigen, einladenden Decke auszustatten und über dem Sitz zum Schutz vor Wind und Wetter oder extremem Sonnenschein einen Baldachin anzubringen. Sobald das Volk diese Ausstattung gewahrte, brach es in hellen Jubel aus, denn wie von Carlo geplant, wirkte die Ausstattung so, als stände die Königin auf dem Sprung, beim nächsten Halt den ihr gebührenden Platz einzunehmen. So geschah es auch in Lissabon. Die Ecksitze der Kalesche wurden von lebensgroßen, Menschen täuschend ähnlich nachgebildeten Puppen besetzt.

Nur einer aus der Menge hatte dies bemerkt: der junge Goldschmied Ramon, ein großer, schlanker Portugiese, abstammend von in Nordafrika beheimaten Völkern. Seine Haut war braun, wie in Bronze getaucht, und seine schwarzen Haare wallten bis auf die Schultern. Über seinem anziehend geformten Mund wucherte ein wilder Lippenbart, der sich jetzt heftig bewegte, und Ramon spielte an einem neben seiner schmalen Nase sitzenden Leberfleck, wie er es immer tat, wenn sein Blut in Wallung geriet.

Dass er, die Umstehenden fast um Haupteslänge überragend, dermaßen aus dem Häuschen geraten war, wie seine junge Schwester es später jungmädchenhaft umschrieb, lag an der Königstochter, der Prinzessin Svea. Die Kunde von ihrer Schönheit hallte wider im ganzen Königreich, aber Ramon schienen alle Beschreibungen nichtssagend und fade im Vergleich zu ihrer tatsächlichen Erscheinung. Ihr Haar war so fein, wie aus den Fäden von Seidenraupen gesponnen, und es glitzerte, als habe die untergehende Sonne einen rotgoldenen Glanz darüber gegossen. Ihre wie Jade schimmernden Augen wechselten je nach ihrer Stimmung, und wie sich das Licht in ihnen brach, den Ausdruck wie eine Landschaft im Sonnen- oder Mondenschein. Am Tag sah ihre zarte blasse Haut aus wie Elfenbein, aber in der Nacht schien sie sich in Alabaster zu verwandeln. Über Hals und Oberarme wanderten blaue Äderchen wie Rinnsale. Ihre fein geschwungene Nase war mit Sommersprossen gesprenkelt, die ihren Liebreiz noch hervorhoben – wie ein wertvoller Schmuck dadurch bestechen kann, dass ihm ein Hauch Vollkommenheit fehlt. Wenn sie lachte, zeigten sich lustige Fältchen auf ihrer Nase, aber ihr kleiner, voller Mund neigte sich in den Winkeln zum weichen Kinn hin, wie um davon Kunde zu tun, dass sie oft traurig war, weil die Mutter verschollen war und weil ihr Vater, König Sandanger, von Krapp nur noch zum Repräsentieren missbraucht wurde – traurig auch, weil sie anstatt mit Hofdamen und Gespielinnen mit Puppen vorlieb nehmen musste. Diese Gemütsbewegungen vermochte Ramon freilich nicht aus ihrem Gesicht abzulesen, allenfalls zu erahnen, zumal es von einem hohen Hut überschattet war; aber was Ramon sah, das genügte, um ihn völlig in Verwirrung zu stürzen.

Von einer Sekunde auf die andere verliebte er sich in die in ein schlichtes, helles, bis auf die Knöchel wallendes Reisekleid gewandete Prinzessin, deren in Spitzenhandschuhen steckende Finger während der Fahrt aufgeregt an der Tür der Kalesche spielten.

„Was ist denn das für ein sonderbarer, großer junger Mann?“, dachte die in die Menge blickende Prinzessin, der Ramon aufgefallen war. „Haare wie ein Mädchen und ein Gesicht wie ein wilder Beduine“, verglich sie, doch schon war die Kalesche an Ramon vorbeigebraust, dessen Blick sie unwillkürlich erwidert hatte, und sie vergaß ihn vorab.

Die Prinzessin entfachte in Ramon jedoch so heiße Liebesglut, dass er keine Nacht mehr schlafen konnte. Bevor er in Schlummer versank, galt sein letzter Gedanke ihr, und wenn er aufwachte, war sein erster Gedanke: sie, und auch bei Tage vermochte er an kaum etwas anderes zu denken als an ihr feines Gesicht und ihre liebreizende Gestalt. Aber was ihn in gleichem Maße an sie fesselte, war ihr trauriges Schicksal, und er beschloss, über Hunderte von Meilen hinweg zum Palast des Königs zu wandern; seine Gefühle für die Prinzessin Svea ließen ihm keine andere Wahl: Er musste sie wiedersehen.

„Wenn der König mich bei Hofe als Goldschmied anstellt, kann ich meinen kühnen Traum vielleicht verwirklichen“, überlegte Ramon, und er sah in der Fantasie die Prinzessin Schmuck tragen, der von seiner Hand gefertigt worden war. Dass der Palast, den der König auf Geheiß von Krapp gegen seine im Land der Fjorde und Seen liegende heimatliche Residenz hatte eintauschen müssen, am Fuße der Berge von Austria lag, begünstigte Ramons kühnes Vorhaben, denn er war nur halb so weit entfernt wie die Länder im hohen Norden.

Um Prinzessin Svea Tag und Nacht vor Augen zu haben, malte Ramon aus dem Gedächtnis ihr Bild, so klein wie einen Fingernagel, und versenkte es in einem Medaillon, das er an einer güldenen Kette befestigte, die er sich um den Hals legte, und er segnete den Tag, als ihm zum ersten Mal der Gedanke gekommen war, nicht nur Bilder in üblicher Größe zu malen, sondern auch in Miniatur. Sobald er von Sehnsucht übermannt wurde, also mehrfach bei Tag und in der Nacht, betrachtete er das Medaillon, und manchmal hauchte er einen zärtlichen Kuss auf Prinzessin Sveas Abbild …

2. Kapitel

Ein düsteres Schloss in den Karpaten

In einer einsamen, waldreichen, hügeligen Landschaft in den Karpaten erhob sich auf einem Gipfel, durch einen schmalen, halbwegs ausgefahrenen Pfad nur schwer zugänglich, ein altes Schloss.

Dort herrschte geschäftiges Treiben. Zahlreiche Besucher wurden aus nah und fern zu einem strahlenden Festbankett erwartet, das seinen Höhepunkt in einem Mitternachtsball finden würde. Vorbereitungen wurden getroffen für bengalische Beleuchtung, Illumination des Schlosses und ein protziges Feuerwerk, das in den nächtlichen Himmel geschossen werden sollte.

Einige Gäste sahen, als sie sich dem Schlosse näherten und ihre Köpfe aus der holpernden Kutsche streckten, über den Spitzen dunklen Tanns zuerst einen Turm, von dessen Glocken sie mit Geläut begrüßt wurden, da Sonntag war; dann gewahrten sie Zinnen wie von einer Burg.

Die Gäste fuhren durch das breite, eiserne Tor des Anwesens über knirschenden weißen Kies auf den Vorhof. Steinstufen aus Porphyr führten zum Portal des Schlosses, an dessen Schattenseite sich ein von Säulen getragener Bogengang schmiegte. Der Haupteingang wurde streng bewacht von einem in eine Rüstung gezwängten und eine unbewegliche Miene zur Schau stellenden Soldaten. Er hielt einen Schild mit Karfunkeln in der linken Hand, in der rechten Hand eine Hellebarde, und auf dem Kopf trug er einen Helm mit geflügeltem Löwen. Das Obergeschoss des Gebäudes, das einander befehdende Bauarten in sich vereinigte, in denen wahllos alles zusammengetragen war, was dem Besitzer wertvoll erschien und in dem nichts zum anderen passte, wurde von einer offenen Terrasse umwandert, auf der kichernde Mädchen lustwandelten. Das Anwesen war genauso schwer einzuschätzen wie sein widersprüchlicher Besitzer, der es angeblich jüngst einem verarmten Adeligen zu einem Spottpreis abgeluchst und es nach seinen eigenen Vorstellungen hatte umbauen lassen.

Von livrierten Dienern geleitet, wurde den Besuchern, nachdem sie sich ausgewiesen hatten, zunächst der Audienz- und Ratssaal gezeigt, in dem sie auf andere Gäste stießen, die sich ebenfalls auf einem Rundgang durch das Schloss befanden; dann besichtigten sie weitere Säle, aber auch geräumige Gemächer.

Sie ergötzten sich an Silber-Relief-Arbeiten an den Decken, an aus Sandelholz geschnitzten Nischen, mit Achat und Lapislazuli verzierten Schränken und Truhen aus Sykomore. Die Fenster waren mit Musselin verhangen und die Wände mit wertvollen Gobelins verkleidet, auf denen zu sehen war, wie Jäger im Lederwams mit wehenden Federhüten und baumelnden Jagdtaschen über Waldschneisen preschten, begleitet von Hunden, die Hirschen nachstellten. Auf einem sich zu einem großen Saal hin öffnenden, übertrieben beleuchteten und mit Gemälden überfüllten Obergeschoss hielten die Besucher vergeblich Ausschau nach der Ahnengalerie; der Schlossbesitzer konnte keine Ahnen vorweisen; die Ahnengalerie der verarmten Adeligen war von ihm eifersüchtig dem Feuer überantwortet worden.

Rosageblümter Luccadamast war über Tische mit schweren, gedrechselten Mittelfüßen gebreitet worden und handgefertigte Arras-Stickereien über Truhen und Anrichten. In der Bettnische alias Alkoven eines geräumigen Schlafgemachs ruhte breit und behäbig, von Spiegeln eingerahmt, ein messingbeschlagenes Bett, über dem sich ein mit Sonne, Mond und Sternen kitschig bemalter Baldachin wölbte wie ein Himmel.

Kristall-Lüster, wie Diamanten reflektierend, klirrten jetzt, da beim Öffnen der Tür, die weiteren Gästen Einlass bot, Zugluft in die Zimmerfluchten drang, und warfen gespenstische Schatten, da die wegen des sich ankündigenden Abends angesteckten Kerzen flackerten. Auf Tischen und Truhen standen Karaffen und venezianische Becher, Schalen aus dunkel geädertem Onyx und Goldgefäße, Silberkannen sowie Vasen aus Zinn. In einer lichtabgewandten Nische des Prunksaales verschmachtete eine Orchidee, die lieblos in eine mit zu viel Wasser gefüllte Phiole gesteckt worden war und den Kopf hängen ließ. Auf einem Tisch, an dem sich geschäftige Seelen zu schaffen machten, wurde eine Tafel hergerichtet, die von einem Bankett kündigte. In einer Kupferschale schwappte Öl. Der ungeschickte Fuß eines Besuchers hatte den Tisch touchiert.

Den Höhepunkt der Schlossbesichtigung bildete die Gnade, die Schatzkammer in Augenschein nehmen zu dürfen. In einer eisenbeschlagenen, von einem bis an die Kinnspitzen bewaffneten Soldaten bewachten Eichentruhe, die sonst fest verschlossen und deren Deckel nur für die Besichtigung hochgeklappt worden war, häuften sich kostbares Geschmeide und wertvolle Mineralien: ein Stein mit erhabenem Relief namens Kamee, ein Mondstein, außerdem grünliches Gestein aus feinen, verfilzten Strahlsteinfasern namens Nephrit, ein Edelstein mit tief eingeschnittenem Bild, der Gemme hieß, Blättchen aus behauenem Gold, silberne Arm- und Knöchelspangen, Ohrgehänge, in sechsseitigen Säulen kristallisierende Berylle, Amethyste, Perlen, Goldfliese, Opale, Chrysolithen, gelbe Topase, Saphire in vielen Farben, grüne Smaragde, rote Rubine, ein Chalzedon, ein rosa Morganit, ein Aquamarin, blau wie das Meer, auffallend ein milchigblauer Türkis von bedeutendem Umfang. Besondere Aufmerksamkeit erregte ein Alexandrit, dessen grüne Oberfläche rot schimmerte, als ein Vorhang zurückgeschlagen wurde und das Tageslicht ihn traf. Etliche Gäste steckten die Köpfe zusammen, nicht, um heimlich Bewunderung auszudrücken, sondern, weil die Vorführung total überladen wirkte und den Eigentümer als Prahlhans demaskierte. Vielleicht war auch der eine oder die andere dabei, einen Plan auszuhecken, um die eine oder andere kleine Kostbarkeit in der eigenen Tasche verschwinden zu lassen.

Nachdem den Besuchern das Schloss vorgeführt worden war, warteten sie auf den Schlossherrn. Der Herr des Schlosses war nicht etwa der König, der König war bettelarm und wohnte im Herzen Europas in einem halb verfallenen Palast: Eigentümer des hiesigen Karpatenschlosses war der steinreiche Krapp. Doch Krapp pflegte nur so viel Zeit an Gäste zu verschwenden, wie er sie als Spiegel für seine vermeintliche Größe benutzen und manchmal auch missbrauchen konnte. Sobald er Anerkennung in ihren Augen gesehen hatte, überließ er sie sich selbst. Sollten sie ihm huldigen und im Übrigen dank seiner sich selbst zugeschriebenen Großmut die Annehmlichkeiten genießen, die das Schloss in reichhaltigem Maße zu bieten hatte, oder auch nur die Aussicht ins Tal. Bei kritischen Besuchern begnügte er sich mit deren Lob, auch wenn er merkte, dass es ihnen nur widerwillig über die Lippen kam.

3. Kapitel

Das traurige Geschick von Lalande, der Gemahlin von König Sandanger und Mutter von Prinzessin Svea

Eingehende Rückblende auf das Leben der königlichen Familie

So großzügig das riesige europäische Reich in jener Zeit auch angelegt war, so entsprach dies der Gesinnung von König Sandanger und seiner Gemahlin Lalande. Auf großem Fuße lebten sie jedoch nicht, obwohl Krapp diesen Vorwurf in seiner hinterhältigen Art verbreitete.

Selbstredend liebte Lalande es, „sich fein zu machen“, wie das Volk es umschrieb. Entsprechend war ihre Garderobe ausgestattet – mit eleganten Kleidern, Morgen- und Nachtgewändern, vieles aus Seide, dazu angemessener Fußbekleidung und was Königinnen sonst noch zu tragen pflegen. Ein großes Thema war auch ihr Geschmeide. Ihrem Wesen entsprechend, trat sie vornehm auf, aber nicht protzig, sondern dezent, und dezent schminkte sie sich auch mit einem Hauch von Puder und leichtem Lippenrot. Eine Vorliebe hatte sie indes für Perlen, und so schmückte sie sich mit Halsketten, Ringen, Ohrringen, auch mit einzelnen Kügelchen aus Perlmutt, mit denen sie ihre zierlichen Ohrläppchen erstrahlen ließ.

Irgendwann kursierte bei Hofe eine kleine Anekdote: Ein zwölfjähriges Mädchen, das zum Hofstaat gehörte, hatte ein großes Frauenohr gezeichnet, das – sogar im Innern des Ohres – mit lauter kleinen Perlen bestückt war. Die Mutter fürchtete, ihr Töchterchen wollte sich über die Königin lustig machen, doch die Kleine stellte richtig: „Warum sollte ich? Ich habe die Königin doch gern.“ Dann erklärte sie ihr buntes Bildchen: „Die inneren Ohren werden auch Ohrmuscheln genannt, nicht wahr, Mutti? Woher stammen Perlen? Aus Muscheln, und so ist mein kleines Bild zu verstehen.“

Als Lalande diese Geschichte zu Ohren kam, staffierte sie die Ohren der kleinen Künstlerin mit je einer Perle aus, woraufhin die Königin noch weiter an Ansehen gewann …

Nicht lange danach überreichte König Sandanger seiner Lalande zum Anlass ihres Geburtstags feierlich ein kleines schwarzes Kästchen. Als sie es öffnete, wurden ihre blauen Augen noch größer, als sie ohnehin waren. In dem Kästchen ruhte, weich eingebettet, ein doppelreihiges Perlenarmband, das mit einem tiefdunkelblauen Juwel verfeinert war. Zunächst strahlte Lalande mit dem Perlenarmband um die Wette; doch dann verdüsterte sich ihr Antlitz wie die Sonne, wenn sie plötzlich von einer dunklen Wolke verdeckt wird. Ihr Gemahl fragte erschrocken: „Warum schaust du so enttäuscht in die Welt? Gefällt dir das Armband nicht?“

Lalande antwortete: „Doch, es ist ein Traum, aber wegen der Engpässe in unserer Kasse darf ich es nicht annehmen. Mit deiner Großzügigkeit bringst du uns noch tiefer in Teufels Küche, sodass Krapp seine Wolfskrallen noch tiefer in unsere Seelen schlagen kann.“

Da erwiderte der trotz seiner Würde charmante und humorvolle König Sandanger lächelnd: „Gemach, liebste Gespielin – verzeih, ich wollte selbstverständlich Gemahlin sagen –, aber das Armband ist nicht im Entferntesten so wertvoll, wie es den Anschein erweckt. Die Perlen sind nur Zuchtperlen, und das Juwel ist ein Lapislazuli, also nur ein Halbedelstein. Und dennoch spiegelt er die Aura deines Augenlichtes wider.“

Da umarmte sie ihn, bedankte sich überschwänglich und erwiderte: „Auch wenn sich der reelle Wert des Armbands in Grenzen halten mag, durch die Liebe, mit der du es ausgewählt hast, ist der ideelle Wert unermesslich.“

Ihre Lieblingszofe erlaubte sich im Zusammenhang mit der Vorliebe, welche die Königin für Perlen hatte, einen Scherz, indem sie eine Freundin fragte: „Ist dir schon einmal das perlende Lachen unserer Herrin aufgefallen?“

Just in diesem Augenblick fiel den beiden etwas anderes auf, und sie fühlten sich blamiert: Sie vernahmen eben dieses perlende Lachen – und zwar von Königin Lalande persönlich. Sie hatte das Wortspiel ihrer Zofe mitbekommen, war aber nicht gekränkt oder bedrückt, sondern vergnügt …

Auch sonst zählte Sandangers Gemahlin nicht zu den Königinnen, wie sie im Buche stehen. König Sandanger hatte lange um ihre Gunst freien, sogar kämpfen müssen, bevor Lalande bereit war, ihre Bedenken zurückzustellen und seine Gemahlin zu werden.

Wegen ihrer Eigenwilligkeit fühlte sie sich den Anforderungen nicht gewachsen, die bei Hofe an eine Königin gestellt werden. Doch es gelang König Sandanger, sie davon zu überzeugen, dass die Aufgaben einer Königin in einem so unermesslich großen Reiche wie dem neu zu gestaltenden Europa nicht mit bisherigen Königreichen zu vergleichen seien und großzügigere Maßstäbe angewendet werden sollten. Seine Begründung lautete: „Du bist so liebenswürdig, sogar im Umgang mit völlig Fremden, dass deine Eigenheiten dich nicht zu Fall bringen werden; und solltest du ins Straucheln geraten, werde ich dich auffangen.“

Als er dies sagte, dachte er daran, dass sie wie ein junger Springinsfeld auf dem Rücken ihres Lieblingshengstes Wildbolz alle Hürden mühelos überwunden hatte. Schließlich war sie einverstanden und gewann auch schnell die Herzen ihrer Untertanen. Wie einfühlsam die Königin war, zeigte sich daran: Als Wildbolz sich bei einem Sprung über eine Hecke die Fußfessel verletzte, ersparte sie ihm künftig zu springen …

Bei Hofe wahrte sie zwar die Etikette, sowohl mit ihrem Verhalten, ihrer Ansprache als auch mit ihrer Bekleidung, ansonsten war ihr Umgang jedoch leger, und wenn sie es mit gütiger Unterstützung ihres Gemahls glaubwürdig vermitteln konnte, dann blieb sie Staatsakten, Festivitäten und Banketten fern. Aber wenn sie es nicht umgehen konnte oder wollte oder auch wenn ihr danach zumute war, gab sie, zumal sie eine elegante Tänzerin war, mit ihrem Gemahl auf dem Parkett eine gute Figur ab – nicht nur, wenn die beiden eine rauschende Ballnacht eröffneten …

Zum Königsschloss gehörte ein Gestüt. Wie erwähnt, besaß Lalande einen Lieblingshengst, und sie war in ihn so vernarrt und er in sie, dass sie oft schon vor dem Frühstück miteinander ausritten. Aber die Ausgaben für das Gestüt hielten sich in Grenzen. Auch sonst stellte Lalande an ihren Gemahl keine unerfüllbaren finanziellen Anforderungen; andererseits machte sie sich zumindest in der ersten Zeit ihrer Ehe keine Gedanken hinsichtlich von Beschränkungen. So lebte ihr Gemahl über seine Verhältnisse und überhäufte sie mit Präsenten, und nicht immer fand sie die Kraft, diese zurückzuweisen, zumal er nach ihren Verweigerungen wie ein kleiner Junge das Gesicht verzog wie hundert Tage Regen.

Irgendwann führten beide miteinander ein Gespräch, das munter begann, sich aber verheerend auswirken sollte, zumal das Ergebnis von einer bei Hofe spionierenden Gesellschafterin ihrem Hintermann Krapp zudem verzerrt zugetragen wurde …

Der König liebte seine Lalande so sehr, dass er es nicht übers Herz brachte, ihre Wünsche abzulehnen oder sogar in den Wind zu schlagen. Als es ihr bewusst wurde, zügelte sie ihre Wünsche. Aber ihr Gemahl ließ sich immer wieder etwas einfallen, um sie zu zerstreuen und ihr Herz zu erfreuen. Auch an jenem Tag, von dem nunmehr die Rede sein wird.

Viele Männer versprechen der Liebsten, ihr die Sterne vom Himmel zu holen – auch Könige bilden in dieser Hinsicht keine Ausnahme, aber weil Könige in der Regel betuchter sind als Männer von der Straße, kann dies verheerende Folgen nach sich ziehen. Als König Sandanger seiner Lalande die Sterne zu Füßen legen wollte, war sie zunächst zu Freudentränen gerührt, zog aber dann, als sie die Auswirkungen bedachte, die Stirn kraus und erwiderte in ihrer schelmischen, bisweilen oberflächlich scheinenden Art: „Liebster, lass die Sterne dort, wo sie sich befinden, am Himmel, da sind sie zu Haus.“ Dann beging sie einen verhängnisvollen Fehler, denn sie fügte hinzu: „Einige kleine Burgen und Schlösser – etwa an der Donau, der Loire oder am Rhein – wären natürlich nicht zu verachten – und sei es nur zum Betrachten …“

Ihr Gemahl war irritiert, merkte aber in seiner verliebten Verblendung nicht, dass sie ihren Gegenvorschlag nicht wörtlich gemeint und, wie sich später herauskristallisierte, nicht auf Lustschlösser, sondern auf Luftschlösser angespielt hatte. Ihren einschränkenden letzten Halbsatz, mit dem sie, zumal in Reimform, ausdrücken wollte, sie zähle zu jenen Frauen, die lieber schauen als besitzen, hatte er nicht mitbekommen. So hatte er ohne zu zögern seiner innig geliebten Frau – ohne deren Wissen und sogar gegen ihren Willen – in verschiedenen Abschnitten des riesigen Kontinents Europa etliche Schlösser und Burgen gegen Unsummen erstanden, einige sogar errichtet und sich auf diese Weise finanziell nicht nur übernommen und verschuldet, sondern sogar ruiniert. Dass es mit dem Kaufen und Erbauen von Burgen und Schlössern nicht getan war, dass immense Folgekosten entstehen würden, dass die Bauten unterhalten, betreut, renoviert und saniert werden müssten, dass Personal beiderlei Geschlechts angeheuert werden müsste – vom Hausmädchen, über Köchinnen, Wäscherinnen, Handwerker, Gärtner bis zum Bademeister –, daran verschwendete König Sandanger keinen Gedanken.

Zu spät erinnerte er sich an ein Geplauder, dass er mit Lalande eines Morgens geführt, nachdem ein Küchenmädchen das Frühstück aufgetragen hatte.

ER: Als kleines Mädchen hast du vermutlich mit Puppen gespielt. Hattest du auch eine Puppenküche?

SIE: Ja, aber ich habe meine Puppenküche mit Verachtung gestraft. Ich war neidisch auf die Ritterburg meines älteren Bruders und habe so lange gequengelt, bis er mich mitspielen ließ.

ER: Welche Figuren hast du gegängelt? Die Burgjungfrauen?

SIE: Die übliche Rollenverteilung in Spielen, später auch im Spiel des Lebens, lockte mich nicht hinter dem Ofen hervor, sonst hätte ich mich nicht so lange gesträubt, deine Königin zu werden. Als junges Mädchen habe ich mich bei den Reiterspielen der Ritter hervorgetan und mich krankgelacht, wenn die hohen Herren von ihren Rossen plumpsten.

ER, nun auch selbst lachend: Jetzt weiß ich auch, warum du so gern reitest und dich wohl gleich wieder auf deinen Wildbolz schwingen wirst …

Krapp, der Mann mir dem größten Vermögen des Riesenreichs, somit auch der mächtigste, lag ständig auf der Lauer, um aus den Schwächen des Königs Kapital zu schlagen. Eine besonders schwache Stunde nutzte Krapp gewissenlos aus, indem er, fürsorglich tuend, dem König, als dieser wegen seiner immensen Ausgaben für Burgen und Schlösser gewaltige Liquiditätsdefizite offenbarte, anbot, ihm hohe Geldsummen zu leihen – gegen Wucherzinsen. In seiner Not, da ihm das Wasser bis zum Halse stand, erklärte der König sich einverstanden, obwohl ihm schon damals hätte klar sein müssen, dass er niemals in der Lage sein würde, auf legalem Wege diese Verbindlichkeiten zu tilgen.

Krapp war nicht nur habgierig und machtbesessen, er verabscheute die Schwäche des Königs seiner Gemahlin gegenüber umso mehr, weil Krapp seinerseits Frauen nur als Gespielinnen betrachtete und der König, seinen Gefühlen Lalande gegenüber hilflos ausgeliefert, sich deren vermeintlichen Wünschen nicht widersetzen konnte. Aber auch wegen seiner menschlichen Verbindlichkeit wirkte der König auf Krapp schwächlich, seine Umgebung, die andere Maßstäbe anwendete, wertete den König hingegen als großzügig. Jedenfalls lehnte der König Krapps Ansinnen ab, seine Untertanen über Gebühr zur Kasse zu bitten – etwa durch die zusätzliche Erhebung unzumutbarer Steuern. Und so beschloss Krapp, bei nächster Gelegenheit den König noch stärker unter Druck zu setzen, um nicht zu sagen, ihn zu erpressen. Er ging leider zu Recht davon aus, dass sich irgendwann eine günstige fatale Gelegenheit ergeben würde …

Im Laufe der Jahre wurde Lalande immer eigenständiger. Dass sie auf diese Weise ihren König trotz ihrer Liebe indirekt in seinem Ansehen herabsetzte, bedachte sie in ihrer kindlichen Art nicht und rang ihm schmeichelnd das Versprechen für eigene Expeditionen ab – auch als Ausgleich zu ihrem Missvergnügen auf staatlichen Empfängen und Banketten, an denen sie sich nicht immer vorbeimogeln konnte. Sie träumte davon, im Laufe der Jahre das weitläufige Land, schließlich sogar den gesamten Kontinent, nicht nur zu durchstreifen, sondern auch zu erkunden. Um unerkannt zu bleiben, verkleidete sie sich und umgab sich ausschließlich mit Begleitern und Begleiterinnen, die ebenfalls verkleidet waren, damit sie sich nicht als Beschützer und Beschützerinnen verrieten.

Schweren Herzens, zumal er wegen der liebevollen Hingabe an seine Lalande deren Abwesenheit kaum verkraftete, stimmte der König zu. Die Folgen bedachte er ebenfalls nicht. Es tauchten Gerüchte auf, Lalande sei eine Fee, und so zöge es sie ins Land ihrer Mütter und Väter, ins Feenland. Dass sie klein, zierlich, fast zerbrechlich und außergewöhnlich hübsch war, gab diesem Gerücht Nahrung. Da und dort weiteten sich die Gerüchte sogar zu der Vermutung aus, sie sei vielleicht eine Nymphe, eine Nereide oder eine Najade. Geschöpfe dieser Spezies leben zeitweise im Wasser – Nereiden beispielsweise im Meer, und so schien die zeitweilige Abwesenheit von Lalande plausibel …

Aber, wie jemand es ausdrückte: So wie auf den Winter unversehens der Frühling folgt, kam auch Lalande immer wieder zurück. Wie eh und je behandelte sie ihr jeweiliges Gegenüber nicht nur höflich, wie es ihrer Stellung bei Hofe entsprach, sondern außerordentlich freundlich, gütig, zuvorkommend und liebenswürdig. Und da ihrer Erscheinung und ihrem Wesen auch objektiv enormer Liebreiz, ja sogar ein großer Zauber innewohnte, wurde sie vom Volk nicht nur akzeptiert, sondern verehrt und geliebt, obwohl oder weil sie sich oft rar machte.

Ihr Ruf wurde kein Jota beschädigt und wuchs sogar in den Himmel, als bekannt wurde, dass einer der schönsten Sterne des Weltalls ihren Namen trug. König Sandanger hatte seiner Gemahlin zwar keine Sterne vom Himmel geholt, aber den – soweit bekannt – schönsten für uns Menschen sichtbaren Stern nach ihr benannt und gewidmet: LALANDE …

Was dem König außer ihrer häufigen Abwesenheit Kummer bereitete und Krapp zusätzlich in die Karten spielte und seine schwarze Seele mit Freude erfüllte: König Sandangers Gemahlin nahm unverhältnismäßig hohe Geldsummen mit auf Reisen. Und erneut brachte Krapp die Gerüchteküche zum Kochen. Wozu diente das Geld? Um den geheimnisvollen, sagenumwobenen „blauen Saphir“ ausfindig zu machen und zu erwerben, der angeblich die ganze Welt zusammenhält? Hofnarr Carlo, nach wie vor Vertrauter des Königspaares, steuerte in eine andere Richtung: „Der blaue Saphir als über alle Maßen kostbarer Schmuckstein ist nichts weiter als ein Fantasieobjekt. In Tibet, dem größten Hochland unserer Erde, existiert in dessen Niederungen, sozusagen in dessen Abgrund, ein ‚Tal der blauen Saphire‘, aber es gilt als verwunschen und völlig unzugänglich. Unsere heimatverbundene Königin Lalande denkt nicht im Traum daran, tausende und abertausende Meilen nach Asien in den schneebedeckten Himalaja zu reisen und sich am Eiswasser zu laben, um sich danach in einem solchen Tal zu vergraben.“

Kurz darauf erwiesen sich alle Gerüchte als schaumgeboren, denn es drang ans Tageslicht, dass Königin Lalande unterwegs bettelarme alte Leute, blutjunge Waisen, kranke, behinderte und sieche und mit sonstigen schlimmen Krankheiten geschlagene Menschen unterstützte – mit Naturalien, Kleidung, Medikamenten, in dringenden Notfällen auch mit klingender Münze – und dies wiederum bekräftigte die Einschätzung, Lalande sei wohl doch eine Fee, denn Feen galten von alters her als äußerst hilfsbereit. Aber auch dagegen erhob sch eine schlimme Stimme: „Es gibt auch Feen, die Kummer bereiten, Unfrieden stiften und Schaden anrichten.“ Erneut war es Carlo, der nach dieser gemeinen Stichelei gegen die Königin für sie wieder die Kastanien aus dem Feuer holte: „Durch ihre gelegentliche Abwesenheit fügt unsere Königin niemandem Schaden zu. Sie stimmt allenfalls ihren Gemahl und ihr Töchterchen ein wenig traurig. Doch das wiegt sie durch ihre Hilfsbereitschaft dem leidenden Volk gegenüber tausendfach auf. Wir sollten den Gerüchtemachern aufs Schandmaul hauen – ich meine natürlich schauen …“

So wurden die Geschosse gegen die Königin zum Bumerang.

Krapp – der Lauscher hinter dem Vorhang

Ihrem Widersacher Krapp zum Tort kam das Königspaar dank Unterstützung der Anhänger in der Öffentlichkeit immer wieder gut weg. Bei einem seiner seltenen Aufenthalte im Königsschloss in Austria hoffte Krapp jedoch auf eine günstige Gelegenheit, gegen die beiden erneut zu intrigieren. Eines Nachmittags sah er in einer Nische König Sandanger und seine Gattin eng beieinanderstehen wie ein Zwillingspaar. Leute von Krapps Zuschnitt gehen davon aus, Gegner würden ständig etwas gegen sie im Schilde führen oder aushecken. Dass die neben ihren Eltern und von diesen liebevoll beobachtet herumtanzende kleine Svea mit einem Ball spielte, brachte ihn nicht von seinem Verdacht ab.

In der Hoffnung, etwas zu belauschen, das für das Königspaar belastend sei, ihnen zur Unehre gereiche und das er gegen sie ins Feld führen könne, verbarg Krapp sich hinter einer Portiere. Und er hörte, wie König Sandanger seine Gemahlin leise fragte: „Warum fährst du wieder weg und lässt uns beide allein? Hast du uns nicht mehr lieb? Wir brauchen dich, zumindest unsere Kleine braucht dich.“ Es klang nicht vorwurfsvoll, allenfalls traurig – aber doch so, als wollte er Druck ausüben, denn er bettete behutsam seine rechte Hand auf das Lockenköpfchen seiner Tochter, wie um sie zu behüten.

Lalande antwortete: „In ihrer Vielfalt und Vielgestalt ist unsere Erde so aufregend, bildgewaltig und schön, dass es mich von Zeit zu Zeit in die Ferne treibt. Trotzdem habe ich euch keinen Deut weniger lieb und vermisse euch unterwegs so sehr, dass ich allein schon deshalb garantiert immer so schnell wie möglich heimkomme. Dich und unseren Augenstern habe ich während meiner Abwesenheit genau so gern – vielleicht sogar noch lieber, als wäre ich ständig an eurer Seite.“ Dann gab sie ihrem Mann und ihrem kleinen süßen Fratz einen Schmatz auf die Wange, woraufhin Svea an ihrer Mutter hochsprang und ihr den Schmatz mehrfach zurückgab.