Professors Zwillinge (Alle 5 Bände) - Else Ury - E-Book

Professors Zwillinge (Alle 5 Bände) E-Book

Else Ury

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Beschreibung

Else Urys Buch 'Professors Zwillinge' ist eine faszinierende Sammlung von fünf Bänden, die die Abenteuer der Zwillinge Gisela und Maria, die Töchter eines Professors, erzählen. Der literarische Stil von Ury zeichnet sich durch eine klare Sprache und eine sensible Darstellung der Charaktere aus. Diese Bücher sind zeitlose Klassiker der Kinderliteratur und bieten einen fesselnden Einblick in das Leben im späten 19. Jahrhundert. 'Professors Zwillinge' ist sowohl unterhaltsam als auch lehrreich und eignet sich perfekt für junge Leser, die an historischen Romanen interessiert sind.

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Else Ury

Professors Zwillinge

(Alle 5 Bände)

Die Kreuzritter

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1153-1

Inhaltsverzeichnis

Band 1: Bubi und Mädi
Die kleinen Zwillinge
Zu Hause
Große Wäsche – kleine Wäsche
Hemdenmätze
Zöpfchen und Schnurrbart
Im Eierhäuschen
Das große Fernrohr
Bubi reist ins Sternenland
Wer glaubt's?
Am Telefon
Bei der Omama
Bubis Hündchen
Kinder, die sich nicht vertragen
Windpocken
Alle Neune
Fliegenfänger
Beim Fotografen
Die kleinen Zwillinge fahren in die große Welt
Omamas Geburtstag
Wieder in der Kinderstube
Band 2: Professors Zwillinge in der Waldschule
Erdkundestunde
Eine große Neuigkeit
Umzug
Die neue Wohnung
Als Vater fortfuhr
Waldschulkinder
Wieder Sonnenschein
Wie es Professors Zwillingen weiter in der Waldschule erging
„Schuss für ewig“
Die Ohrfeige
Kleine Gärtner
Ein Brief aus Italien
Neapel, den 1. Juni Meine lieben, guten Kinder!
Pfingstferien
Muttis Heinzelmännchen
Schulausflug
Am Meeresstrand
Die verschlossene Klassentür
Waldschulfest
„Unser erster November“
Im Schnee
Winter ade
Band 3: Professors Zwillinge in Italien
O bella Napoli
Ausgeschlafen
In der neuen Heimat
Von großen Schiffen und kleinen Menschen
Italienischstunde
Ein Sonntagsausflug
Der kleine Zeitungsjunge
Das Haus wackelt
Im Aquarium
Maulbeerbäume
Die blaue Grotte
Ungehorsam
Vesuvkinder
Schule in Italien
Weihnachtsüberraschungen
Weihnachtsabend
Die tote Stadt
Die Heimat ruft
Band 4: Professors Zwillinge im Sternenhaus
Wie die Zwillinge ihren Einzug halten
Das Sternenhaus
Von berühmten Menschen und einem, der erst einer werden will
Bestrafte Neugier
Schulfieber und Thüringer Klöße
Fräulein Schüchtern
Herr Besserwisser
„Weißt Du, wieviel Sternlein stehen?“
Auch Kinder können verzichten!
Das liebste Geburtstagsgeschenk
Boxkämpfe und ein Spaziergang
Frau Holle schüttelt die Betten aus
Edel sein der Mensch, hilfreich und gut
Der kleine Techniker
Paulchen
Osterzeugnisse
Auf zur Wartburg!
Bubi als Lebensretter
Wandervögel
Unter einem Glücksstern
Band 5: Von der Schulbank ins Leben
In den Flegeljahren
„Zigarette gefällig?“
Der Sonntagsgast
Ostereier
Böse Absichten und eine zerrissene Hose
Der Vogeldieb
Professorenkinder
Die Bälle fliegen über das Netz
Elefantenjagd
Vom Lehrling zum Studenten
Winternotstand
Aufregende Tage
Wir bauen ein Jugendheim
Konfirmation
Eine Flugreise nach Wien
Freie Bahn dem Tüchtigen!

Band 1: Bubi und Mädi

Inhaltsverzeichnis

Die kleinen Zwillinge

Inhaltsverzeichnis

Bubi und Mädi sind Zwillinge. Wisst ihr, was das ist? Bubi und Mädi wissen es ganz genau, obwohl sie noch nicht ganz fünf Jahre alt sind. Wenn sie eine fremde Dame im Park fragt, wie alt sie seien, dann sagt Mädi: „An unserm Geburschtag werden wir fünf.“ Und Bubi verbessert jedes mal wie ein kleiner Lehrer, obwohl er auch noch nicht ganz richtig sprechen kann: „Geburtstag heißt es.“

„Wann aber habt ihr denn Geburtstag, Kinder?“ fragt die fremde Dame dann.

„An unserm erschten Devember“, ruft Mädi. Aber Bubi überschreit sie mit kräftiger Stimme: „An unserm ersten November!“

„Am ersten November? Habt ihr denn beide am gleichen Tag Geburtstag?“ fragt die Dame verwundert weiter.

Nun schauen sich Bubi und Mädi verwundert an. Weiß denn eine so große Dame nicht, dass Zwillinge am selben Tag Geburtstag haben?

„Aber wir sind doch Schwillinge“, erklärt Mädi und ist stolz, dass sie etwas besser weiß als die Dame.

„Zwillinge heißt es, Mädi“, verbessert Bubi wieder. „Wir haben an einem Tag Geburtstag.“

„Mutti sagt, wir sind gansch gleich alt, darum sind wir Schwillinge“, wiederholt Mädi noch einmal, damit die fremde Dame es auch begreift.

„Zwillinge – das sind Mädi und ich. Aber ich bin viel mehr alt!“ Bubi sagt es stolz und kommt sich dabei sehr wichtig vor.

Nun lacht die fremde Dame.

„Aber wenn ihr Zwillinge seid und beide ganz gleich alt, dann kann doch nicht einer von euch älter sein.“

„Is die dumm!“ sagt Bubi verächtlich zu Mädi. „Ich bin aber doch schon zwei Stunden früher dagewesen. Ich war son so groß, wie Mädi noch so klein war, darum muss ich doch viel mehr alt sein. Das sagt Vati auch immer.“

„Ja freilich, wenn du zwei Stunden früher als dein Schwesterchen geboren bist, dann bist du viel älter“, scherzt die fremde Dame. „Nun müsst ihr mir aber auch noch verraten, wie ihr heißt.“

„Das is Mädi.“ – „Das is Bubi.“ – schreien die beiden Kleinen durcheinander.

Die fremde Frau blickt belustigt auf die beiden. Sie sehen sich mit ihrem kurzen, braunen Haar auch so ähnlich wie ein Ei dem anderen. „Bubi und Mädi heißt ihr? Habt ihr denn nicht noch einen anderen Namen?“

„Doch“, nicken sie eifrig. „Mutti sagt 'mein Herzchen' oder auch 'du Slingel'. Und Vati sagt 'mein Häschen' und 'du Racker'.“

Ein anderer Name ist aus den beiden nicht herauszubekommen.

Ebenso schwer ist es auch, die Zwillinge auseinanderzuhalten, denn die zwei sehen ganz gleich aus. Ihre dicken braunen Beinchen sind nackt. Sie tragen keine Strümpfe, nur Sandalen. Sie stecken beide in bunten, ganz gleichen Spielkitteln. Die Haare tragen beide gleich kurz.

Freilich, wenn sie von zu Hause fortgehen, hat Mädi meistens ein rosa oder blaues Schleifchen im Haar. Das Haarschwänzchen steht wie ein winziger Pinsel mitten auf dem Kopf. Aber meist schon nach wenigen Minuten ist das Schleifchen verschwunden.

Es steckt dann in der Tasche von Frau Annchen. Das ist die gute alte Kinderfrau der beiden Kleinen. Manchmal aber quält Bubi Frau Annchen so lange, bis sie ihm das Schleifchen ins Haar bindet. Denn sein größter Wunsch ist es, auch so ein Haarschwänzchen zu haben wie Mädi. Dann kann man Bubi und Mädi überhaupt nicht mehr auseinanderkennen.

Wenn man aber ganz genau hinsieht, dann bemerkt man, dass eines der Kinder blaue Augen hat und das andere braune. Die lustigen blauen Lausbubenaugen gehören dem Bubi, die ebenso lustigen, aber doch ein wenig schüchternen braunen Augen dem Mädi. So erklärt Frau Annchen den fremden Damen und Herren, die sich im Park an den kleinen Zwillingen erfreuen.

„Ei, freilich haben unsere Kinder auch noch andere Namen.“ Frau Annchen plaudert bereitwillig: „Bubi heißt eigentlich Herbert und das Mädi Suse. Aber wir rufen sie nur Bubi und Mädi. Ihre Mutti kommt nämlich aus Süddeutschland, und dort sagt man so.“

Frau Annchen ist ungeheuer stolz auf ihre Kinder. Sie strahlt, wenn die Leute Bubi und Mädi „allerliebst“ finden.

Und sie strahlt noch mehr, wenn man sie für die Großmutter der Kinder hält.

Darüber lachen Bubi und Mädi und können sich gar nicht beruhigen: „Aber das is doch keine Omama, das is doch unser Frau Annßen.“

„Unser Frau Annchen is das!“ bestätigt Mädi. „Aber Omamas haben wir auch. Schwei Stücks, eine grosche und eine kleine.“

„Die große gehört dem Bubi, und die kleine gehört dem Mädi“, berichtet Bubi zutraulich. „Aber Opapa haben wir nur einen. Den müssen ich und Mädi uns teilen.“

Die großen Leute, die dem kleinen Mann aufmerksam zugehört hatten, lachen alle. Bubi weiß gar nicht, warum sie lachen.

Er hat doch nichts Lustiges gesagt.

Große Leute sind manchmal schrecklich dumm und lachen über Dinge, die Kinder ganz ernst meinen, findet Bubi.

Bubi will nicht ausgelacht werden. Er hat seinen Stolz, auch wenn er nur ein kleiner Mann ist. Darum zeigt er, dass er noch mehr weiß: „Meine Omama wohnt mit unserm Opapa in Freiburg, das is ganz weit weg.“

Mädi will nun auch zeigen, dass sie nicht dümmer ist als Bubi.

„Meine Omama is in Berlin. Das is gar nich so weit. Da können Mädi und ihr Bubi immer mit der Straßenbahn hinfahren und schwei grosche Stück Kuchen kriegen.“

„Zwei große Stück Kuchen heißt es, Mädi.“

Was zwei Stunden doch alles ausmachen, die man länger auf der Welt ist! Bubi spricht entschieden besser als sein Zwillingsschwesterchen. Er verbessert sie andauernd.

Frau Annchen unterbricht das Gespräch. „Jetzt habt ihr genug erzählt. Nehmt eure Eimerchen und spielt im Sand.“

Bubi und Mädi ziehen mit Eimerchen und Schaufel zu dem großen Sandberg in der Mitte des Spielplatzes. Wie auf einem Ameisenhaufen geht es da zu.

Doch schon bald muss Frau Annchen wieder eingreifen.

„Bubi, hör sofort auf, andere Kinder mit der Schaufel zu schlagen – aber Mädi, wer wirft denn anderen Kindern Sand auf den Kopf – pfui, wie unartig!“

„Na, wenn die garstigen Kinder immer mein sönes Fernrohr zertrampeln, das ich mit Mädi so sön gebaut habe, dann muss ich sie doch verhauen“, ruft Bubi mit blitzenden Augen und schwingt seine Schaufel. Ängstlich weichen die Kinder zurück.

Mädi lässt wieder einen Sandregen über die kleinen Spielgefährten herniederprasseln. „Mädi schmeißt ihnen die Augen voll Sand, dass sie überhaupt nich mehr schukucken können, wenn Bubi und Mädi ihr grosches Fernrohr bauen.“

Da fühlt sie einen derben Klaps auf ihrer Hand.

„Du bist sehr ungezogen, Mädi, Frau Annchen hat dich gar nicht mehr lieb.“

Da füllen sich die braunen Kinderaugen mit Tränen. Mädi wirft ihre Sandschaufel weg und schiebt weinerlich ihre Unterlippe vor. Bubi hängt sich an Frau Annchens weiße Schürze: „Aber mich hat Frau Annchen noch lieb, weil ich gar nich gesmeißt, bloß gehauen habe“, sagt er eifrig.

„Wenn du gehauen hast, ist das genauso hässlich – schämt euch nur alle beide!“ Frau Annchen geht wieder zu ihrem Strickzeug zurück.

Bubi und Mädi sehen einander an und schämen sich. Aber weil das auf die Dauer ziemlich langweilig ist, legt Bubi tröstend den Arm um Mädi: „Lass nur, Mädi, wein nich, Bubi hat Mädi doch lieb, wenn sie auch mit Sand smeißt.“

Da ist Mädi wieder getröstet.

Nach einer Weile ruft Frau Annchen zum Frühstück. Bubi hat längst vergessen, dass er unartig war, und stürzt auf sie los. Mädi aber traut sich nicht heran. Sie steht abseits und schaut mit schuldbewussten Augen zu Frau Annchen. Die Kinderfrau packt zwei Lätzchen, die Butterbrote, die Milchflasche mit den Trinkbechern und zuletzt noch eine Tüte Kirschen aus der gelben Strohtasche aus. Die Kirschen locken Mädi ein Stückchen näher heran.

„Bischt noch böse, Frau Annchen?“ Ihr kleines Händchen streichelt schüchtern die runzelige Hand der alten Frau.

„Wenn mein Mädi wieder artig sein und nie mehr mit Sand schmeißen will, ist Frau Annchen nicht mehr böse.“

„Nie mehr schmeißen“, beteuert Mädi. „Bloß manchmal, wenn Bubi verhaut wird.“ Denn das kann Mädi nicht mit ansehen, dass man ihrem Zwillingsbrüderchen etwas tut.

Dann wird das kleine Ding fuchswild, so brav es auch sonst ist.

Und dann lassen sie sich beide die guten Kirschen schmecken.

„Die Kirschenkerne gebt mir wieder in die Tüte“, sagt Frau Annchen. „Schluckt nur ja keine hinunter, denn dann wächst ein Kirschbaum aus dem kleinen Bauch heraus.“

Davor hat Mädi und hat sogar Bubi große Angst. Sie legen sorgsam jedes Steinchen in das Papier.

Wenn zwei Kirschen an einem Stängel zusammengewachsen sind, ruft Bubi jubelnd: „Das sind Zwillinge wie ich und Mädi!“

„Kirschenschwillinge sind das!“ Mädi hängt ihrem Brüderchen an jedes Ohr ein Kirschenpärchen. Mädi bekommt den gleichen Schmuck. Nach dem Frühstück gehen sie wieder zum Sandspielplatz. Alle Kinder bewundern die schönen Kirschenohrringe. Sie bauen an dem großen Fernrohr aus Sand weiter. Auch die kleinen Störenfriede von vorhin helfen jetzt mit. Da ist es kein Wunder, dass es schnell wächst.

„Bis in den Himmel muss es reichen“, ruft Bubi, „sonst kann man die Sternßen nich sehen.“

Ein alter Herr auf seinem Spaziergang bleibt stehen und schaut zu.

„Das wird aber ein großer Turm!“ sagt er.

„Das is doch kein Turm!“ Bubi wundert sich sehr, dass so ein alter Herr ein Fernrohr nicht von einem Turm unterscheiden kann.

„Was soll es denn werden? Eine Eisenbahn?“ fragt der alte Herr weiter.

„Ach, das is überhaupt keine Eisenbahn, das is doch ein Fernrohr“, hilft jetzt Mädi ihrem Bubi.

„Was ist das?“ Der alte Herr versteht sie nicht.

„Ein Fernrohr – ein ganz großes, bis in den Himmel.“ Bubi schreit es laut. Er denkt: Der alte Herr hört wahrscheinlich schlecht, weil er schon so alt ist.

„Ein Fernrohr?“ Jetzt lacht der Herr. „Weißt du denn überhaupt schon, was ein Fernrohr ist?“ Er schüttelt verwundert den Kopf.

„Natürliß! Vati hat doch eins.“ Bubi ist gekränkt. „Das ist ein ganz langes Rohr, das reicht bis in den Himmel. Da darf man durchgucken, wenn man sehr brav war. Dann kann man alle Sternßen, alle Engelßen und den lieben Gott sehen.“

„Das Fernrohr steht auf unserem Balkon, aber Vati sagt, nich anfaschen, sonst beischt’s“, erzählt nun auch Mädi.

Frau Annchen kommt schnell herbei. Das tut sie immer, wenn ein Fremder mit ihren Kindern spricht.

„Seit fünfzig Jahren gehe ich in diesem Park spazieren“, sagt der alte Herr zu Frau Annchen, „und habe dabei viele Kinder beim Sandspielen beobachtet. Sie haben Kuchen gebacken, hohe Berge mit Brücken gebaut und Häuser, Bahnen und Tunnel errichtet. Aber dass ein Kind ein Fernrohr baut, das habe ich in den fünfzig Jahren noch nicht gesehen.“

„Das kommt daher, weil wir so ein großes Ding auf unserem Balkon stehen haben“, erklärt Frau Annchen. „Der Vater von unseren Kindern ist nämlich Professor hier an der Sternwarte, und da studiert er immer die Sterne durch sein langes Rohr. So, Bubi, mach einen Diener, Mädi, mach einen Knicks. Packt eure Sachen zusammen! Wir müssen jetzt nach Haus.“

Frau Annchen wischt ihnen die sandigen Händchen ab. Bubi macht einen Knicks und Mädi einen Diener. Das tun sie gerne, denn es macht ihnen Spaß. Aber der alte Herr merkt es gar nicht.

Dann nimmt Frau Annchen die beiden kleinen Zwillinge an der Hand, und sie gehen durch den Park nach Haus, noch ehe das große Sandfernrohr bis in den Himmel reicht.

Zu Hause

Inhaltsverzeichnis

„Mutti schu Hause?“ Das ist immer die erste Frage, wenn Mädi und Bubi vom Spielplatz heimkommen.

Bubi klingelt stürmisch an der Haustür. Fräulein Minna öffnet schon. Sie hat die Frage gehört und schüttelt lachend den Kopf. „Nein, sie ist ausgeflogen. Aber erst sagt man doch schön guten Tag, Mädi!“

„Guten Tag, Minnachen! Aber nun sag bloß schnell, wohin is Mutti geflogen. In den Himmel?“ Das kleine Mädchen hängt sich zärtlich an Minnas dicken, roten Arm. Denn weiter hinauf reicht es nicht.

„Schon möglich“, lacht Minna.

„Mit dem Fernrohr?“ erkundigt sich nun auch Bubi erwartungsvoll.

„Kann schon sein.“

„Aber Minna, reden Sie doch den Kindern nicht solche Märchen ein“, sagt Frau Annchen ärgerlich. „Mutti ist in die Stadt gefahren und kauft dort ein.“

Bubi ist mit Frau Annchens Erklärung gar nicht einverstanden.

Er hätte es viel schöner gefunden, wenn Mutti mit dem langen Fernrohr in den Himmel geflogen wäre. Aber vielleicht irrt sich Frau Annchen, und Minna hat doch recht, denkt der kleine Mann.

Bubi presst das Naschen gegen die verschlossene Glastür.

Die Tür ist immer fest verschlossen. Denn hinter dieser Tür befindet sich der Balkon, auf dem Vatis großes Fernrohr steht. An das dürfen die Kinder nicht heran. Aber Bubi und Mädi dürfen auch nicht auf den Balkon hinaus, damit sie nicht hinunterfallen können. Auf den wilden Bubi muss man besonders achtgeben, weil er überall hinaufklettert.

„Mädi, glaubst du, dass Mutti in das Fernrohr eingestiegen is und damit in den Himmel geflogen?“ Bubi stellt sich das ungefähr so wie eine Fahrt mit der Bahn vor.

„Nein“, sagt Mädi und begrüßt das Schaukelpferd. „Nein, da geht sie bestimmt nicht ’rein.“

„Es isch doch aber so mächtig lang, bis in den Himmel!“

Bubi ist da ganz anderer Meinung als sein Schwesterchen.

Für Mädi ist Bubis Schaukelpferd bedeutend wichtiger als das Fernrohr. Sie liebt es mehr als ihre Puppen. Es heißt Braunchen und hat einen roten Sattel. Aus dem Park hat sie ihm in ihrem Eimerchen Grasfutter mitgebracht.

„Da hascht du, Braunchen, schaftiges Grasch! Hascht du Hunger, Braunchen?“ Braunchen nickt mit dem Kopf und lässt sich das Grünfutter schmecken.

„Pferde fressen lieber Heu, Mädi, das ist getrocknetes Gras“, meint Frau Annchen.

„Warte mal, Braunchen, wir müschen das Grasch erseht trocknen.“ Mädi holt dem Pferd das Mittagessen wieder aus dem Maul. „Du! Beisch nich!“ Mädi häng das Gras auf die Puppenwäscheleine, die zwischen zwei Stühlen gespannt ist. Es baumeln schon ein paar Puppenhöschen daran. Damit das Gras nicht herunterfallt, macht es Mädi mit kleinen Puppenklammern fest. Nun kann es trocknen und Heu werden.

Frau Annchen kann gar nicht aufhören zu lachen. „Gras kann man nur in der Sonne trocknen, nicht auf der Leine, Mädi“, sagt sie.

Aber Braunchen ist wütend, weil man ihm sein Mittagessen fortgenommen hat. Es schaukelt vor Ärger hin und her.

„Bischt du traurig, Braunchen?“ Mitleidig umfängt das kleine Mädchen das Schaukelpferd mit seinen Armen.

Braunchen nickt.

„Sieh mal, Frau Annchen, wie es aussieht! Gansch traurig sieht das arme Braunchen aus. Es weint!“

„Holzpferdchen können nicht weinen!“ erklärt Bubi. Er kommt sich wieder sehr viel älter und gescheiter vor. Er hat jetzt endlich auch genug überlegt, ob Mutti wohl in das Fernrohr hineingegangen ist.

Weil Mädi sich mit seinem Schaukelpferd beschäftigt, läuft Bubi zu ihrem Puppenwagen, der in der anderen Ecke steht.

Dort sind die Puppen noch viel wütender auf Mädi als Braunchen. Mädi kümmert sich wirklich nicht viel um ihre Puppenkinder. Sie spielt viel lieber mit Bubis Spielsachen.

Sie denkt nicht daran, dass Puppen genauso Hunger haben wie Schaukelpferde. Neidisch sehen die Puppen zu, wie Mädi jetzt das Gras von der Leine nimmt und Braunchen damit füttert. Denn Mädi findet, das Gras sei schon trocken genug.

Die Puppen bekommen beim Zusehen großen Appetit auf Puppenspinat aus Gras. Aber Braunchen lässt für sie nichts übrig.

Doch jetzt werden die armen Puppen aus ihrer Ecke hervorgezogen.

Bubi packt sie alle in den Puppenwagen hinein.

Da liegen Eischen mit der verbeulten Nase, die einarmige Lilli, der lahme Hampelmann, Nauke mit der Pauke, der Filzdackel Fifi und Schnäuzchen, das weiße Kaninchen, alle bunt durcheinander.

„So, nun kommen wir doch auch einmal ein bisschen ins Freie, Fräulein Lilli“, meint Nauke mit der Pauke mit froher Stimme.

„Ja, wenn Bubi nicht wäre! Mädi ließe uns verhungern, verdursten und ohne Licht und Luft ersticken.“ Lilli ist furchtbar böse auf ihre Puppenmutter. Das ist auch kein Wunder!

Vor zwei Tagen hat sich Lilli den Arm zerschlagen. Mädi denkt nicht daran, wie weh das ihrem Kind tut. Wenn Bubi der Puppe nicht einen Verband aus Zeitungspapier gemacht hätte, wer weiß, ob Lilli überhaupt noch am Leben wäre.

„Siehst du, jetzt fahren wir spazieren, und du musst in deinem Stall bleiben“, ruft Eischen im Vorüberfahren dem Schaukelpferd zu. Die Puppen können das Braunchen alle nicht leiden, weil es Mädis Liebling ist und ihnen vorgezogen wird.

Aber ach, es ist kein großes Vergnügen, mit Bubi spazierenzufahren.

Quer durch die Wohnung geht es in wilder Fahrt, über Türschwellen, Bausteine und Eisenbahnschienen, ganz gleich, was im Weg liegt. Bubi saust – rrr – mit dem Puppenwagen durch die Zimmer.

Rrr – Eischen und Lilli kreischen vor Entsetzen über die wilde Reise. Nauke mit der Pauke stöhnt; er ist schon ganz schwindlig. Genauso geht es dem alten Hampelmann. Fifi kläfft aufgeregt. Nur Schnäuzchen quiekt vor Vergnügen. Je wilder Bubi fährt, um so besser gefällt es dem Kaninchen.

Rrr – da ist Bubi im Wohnzimmer an das Tischchen angefahren, auf dem die schöne Vase mit den Blumen steht.

Klirr – ein Glas-, Wasser- und Blumenregen ergießt sich über die entsetzten Fahrgäste im Puppenwagen. Eischen bekommt noch einen Kratzer auf die verbeulte Nase.

Entsetzt blickt auch der kleine Kutscher auf das Unheil. das er angerichtet hat.

„Paputt!“ sagte jemand hinter ihm. Mädi schaut erschreckt auf das Durcheinander.

„Kaputt heißt es“, bessert Bubi mit zitternder Stimme aus.

Er möchte sich am liebsten in einem Mauseloch verkriechen, denn schon eilt Frau Annchen herbei. Sie ahnt etwas Böses.

„Das ist ja eine schöne Bescherung! Die schöne Vase ist zerbrochen! Das kommt von deinem Toben! Warte nur, wenn Mutti wieder nach Hause kommt.“ Die gute Kinderfrau ist wirklich böse. Sie hat Bubi schon so oft verboten, mit dem Puppenwagen durch alle Zimmer zu rasen.

Aber Bubi ist anderer Meinung. Er denkt, das kommt nicht nur vom Toben, sondern daher, weil so viele Möbel in den Zimmern herumstehen, an die man anfahren kann. Doch er traut es sich nicht zu sagen, weil Frau Annchen böse ist.

In diesem Augenblick klingelt es an der Tür. Sicher ist das Mutti! Nein, dass sie auch gerade jetzt kommen muss! Frau Annchen hat noch nicht einmal die Scherben weggeräumt und die Überschwemmung aufgewischt. Bubi wünscht in dem Moment, dass Mutti wirklich mit dem großen Fernrohr in den Himmel gereist wäre. Von dort wäre sie doch nicht so schnell zurückgekommen.

Aber es ist nicht Mutti. Bubi und Mädi atmen erleichtert auf.

Denn Mädi fühlt sich genauso schuldig wie Bubi, obwohl sie doch eigentlich nichts angestellt hat. Aber das ist so bei Zwillingen.

Vor der Tür steht Mathilde, das Dienstmädchen der alten, nervösen Frau Lehmann. Sie wohnt im Parterre. Frau Lehmann lässt um Ruhe bitten. Vorhin hat sie geglaubt, ein Eisenbahnzug sei über ihren Kopf gefahren. Bei solch einem Krach könne sie ihr Nachmittagsschläfchen nicht halten.

Frau Winter möge doch dafür sorgen, dass ihre Kinder nicht so lärmen.

Mathilde geht wieder, nachdem sie ihre Botschaft ausgerichtet hat. Sie hat keinen besonderen Eindruck bei Bubi und Mädi hinterlassen; denn Frau Lehmann schickt jeden Tag herauf und bittet um Ruhe, im Winter sogar zweimal im Tag, weil Bubi und Mädi da mehr zu Hause sind. Bubi meint, sie sei eben alt und nervös und kann keinen Kinderlärm mehr vertragen.

Frau Annchen räumt die Scherben weg. Bubi wird in einen anderen Kittel gesteckt, denn er ist patschnaß. Aber weder Mädi noch Bubi denken daran, die armen, nassen Puppenkinder im Puppenwagen umzukleiden. Es ist ihnen ganz gleich, ob sich die Armen einen Schnupfen holen. Auch Mädi bekommt ein frisches Kleidchen. Nun endlich sieht sie wie ein Mädchen aus. Niemand kann sie mehr mit Bubi verwechseln.

Schon wieder klingelt es, gleich zweimal hintereinander.

Das ist Mutti! Sonst laufen ihr die beiden Kleinen jubelnd entgegen. Heute aber bleiben sie in ihrem Kinderzimmer.

Bubis Herz macht poch – poch.

„Komm, Mädi, wir wollen Versteck spielen!“ Bubi ist plötzlich verschwunden. Wenn man eine Vase zerschlagen hat, ist es besser, man versteckt sich.

Draußen hört man schon Muttis liebe Stimme.

„Ja, wo bleiben denn meine beiden Kleinen? Freuen sie sich denn gar nicht auf ihre Mutti?“ Mädi hält es nicht länger im Kinderzimmer aus. Sie läuft hinaus und drückt das Gesicht an Muttis helles Sommerkleid.

„Nanu, Mädi, was hast du denn? Ist etwas passiert?“ Merkwürdig – Mutteraugen sehen sofort, ob etwas geschehen ist.

„Was paschiert“, bestätigt Mädi, und da kollern auch schon die Tränchen.

„Warst du im Park unartig?“ forscht die Mutter.

„Blosch ein klein wenig, aber...“

„Na, was ist denn sonst noch Schlimmes geschehen, Mädi?“ Mutti nimmt ihr Mädi auf den Arm und schaut dem Kind fragend in die Augen.

Wenn Mutti einem so in die Augen sieht, ja, da muss man alles gleich sagen. Der Kindermund sagt es ganz von allein: „Die grosche Vasche is paputt.“

„Aber Mädi, die schöne Vase hast du zerschlagen? Wie kam denn das nur? Ihr dürft doch gar nicht in das Zimmer hinein, wen ich nicht da bin!“

Mädi schielt zu Mutti hinauf. Oh weh – sie macht böse Augen.

„Schäm dich, Mädi, ich habe dich gar nicht mehr lieb, wenn du so wild und unartig bist. Du darfst heute nicht an unserem Tisch essen. Du wirst im Kinderzimmer mit Frau Annchen essen.“

Das ist eine schlimme Strafe. Erst seit ganz kurzer Zeit sind die beiden Kleinen an den Mittagstisch der Eltern zugelassen, weil Vati sonst zu wenig von seinen „Krabben“ hat.

Bubi und Mädi sind sehr stolz darauf, dass sie jetzt groß sind und mit den Eltern essen dürfen.

Trotzdem verrät das gute Schwesterchen nicht, dass Bubi der kleine Bösewicht gewesen ist. Leise weinend schleicht es sich in das Kinderzimmer zu Braunchen. Mädi ist ja Bubis Zwilling, da ist es ganz gleich, wer von beiden die Strafe bekommt, denkt sie.

Mutti geht in das Schlafzimmer und legt ihre Sachen ab. Da schaut ein kleines Kinderbeinchen unter dem Bett hervor.

Es gehört Bubi.

„Bubi, willst du Mutti nicht guten Tag sagen? Was machst du denn da unten?“ Der Mutter kommt die Sache verdächtig vor. Hat Bubi vielleicht auch etwas angestellt?

„Ach, wir spielen bloß Verstecken, Mädi und ich“, klingt es unter dem Bett hervor, freilich ein wenig leiser als sonst.

Muttis Ohren hören das sofort.

„Komm nur hervor, Bubi, Mädi spielt jetzt nicht mehr. Die ist ungezogen gewesen. Ich will doch wenigstens ein gutes Kind haben.“

Bubi kommt hervorgekrochen, viel langsamer als sonst. Er sieht durchaus nicht wie ein gutes Kind aus und wagt es auch nicht, die Arme wie sonst um Muttis Hals zu schlingen.

Man kann ihm seine Schuld deutlich vom Gesichtchen ablesen.

Man hört Vati die Tür aufsperren.

„Lass dir von Frau Annchen die Hände waschen und komm ins Speisezimmer, Bubi. Mädi isst heute im Kinderzimmer.“

Mutti geht voran ins Esszimmer. Da fühlt sie sich am Kleid zurückgehalten.

„Warum soll Mädi nich mit Mutti und Vati bei Tiß sitzen?“ Seine Stimme klingt gepresst, denn er weiß die Antwort im voraus.

„Weil sie Muttis Vase zerbrochen hat.“

Einen Augenblick überlegt Bubi noch, nur einen ganz kleinen.

Dann hat die Liebe zu Mädi gesiegt.

„Mädi soll an den großen Tiß gehen. Bubi kann ja im Kinderzimmer bei Frau Annßen essen“, schlägt er möglichst harmlos vor.

„Du – Bubi? Nein, du bist doch artig gewesen. Du hast ja die Vase nicht zerbrochen!“

Ach, ist das schwer, seine Missetat einzugestehen!

„Nein, der dumme Puppenwagen is es gewesen!“ Bubi ist glücklich, dass er die Schuld auf den Puppenwagen abwälzen kann.

„Der Puppenwagen kann doch nicht von selbst ins Wohnzimmer gefahren sein. Mädi muss ihn doch hineingeschoben haben“, sagt Mutti. Sie sieht traurig aus, weil Bubi nicht die Wahrheit sagt. Sie weiß längst, wer es gewesen ist.

Eine traurige Mutti – das hält Bubi nicht aus. Da ist ihm eine böse Mutter fast lieber.

„Muttißen soll nich traurig sein, weil Bubi den Puppenwagen gegen die Vase gessoben hat.“ Jetzt ist es heraus.

Nach diesem Geständnis fühlt sich Bubis kleines Herz erleichtert.

„Du warst es, Bubi? Das sagt man der Mutti doch sofort.

Damit wartet man doch nicht so lange und versteckt sich dann noch obendrein.“

Nein, wirklich, es ist doch sehr merkwürdig, dass Mütter immer gleich alles wissen!

„Ja, aber du machst immer gleich so böse Augen!“ versucht Bubi sich zu verteidigen. Die Tränen wollen ihm aufsteigen.

Aber er schluckt sie hinunter, denn er ist ja ein Mann. Männer weinen nicht.

Plötzlich fühlt sich Bubi durch die Luft fliegen. Der Vater ist ins Zimmer gekommen und hat Bubi auf seine Schulter gehoben.

Aber der Kleine jauchzt nicht wie sonst, denn die Tränen stecken noch immer in seiner Kehle.

„Na, mein Häschen, wo ist denn heute Nummer zwei?“ Mädi sitzt sonst immer auf Vaters anderer Schulter. So ziehen sie stets zusammen zu Tisch.

„Ich bin heut nich Vatis Häschen, bloß sein Slingel“, flüstert Bubi dem Vater ins Ohr. Seine Liebe zur Wahrheit ist plötzlich erwacht.

„Nanu?“ Der Vater zieht die Stirn in Falten. „Was ausgefressen, Bubi?“

„Nein, noch gar nis gefressen. Bloß die dumme, söne Vase kaputt gemacht.“

„Bubi muss heute im Kinderzimmer essen, Paul“, sagt Mutti zu Vati „Mädi darf mit uns essen.“

Aber Mädi kommt nicht. Sie ist Bubis Zwilling und bleibt dort, wo ihr Bubi ist. Nein, sie lässt ihren Bubi nicht allein.

So sitzen sie beide an ihrem kleinen Kindertischchen und löffeln kleinlaut ihre Suppe. Aus dem Puppenwagen aber recken Eischen und Lilli schadenfroh die Köpfe: „Ätsch – ihr seid noch lange nicht groß!“

Große Wäsche – kleine Wäsche

Inhaltsverzeichnis

Heute können Bubi und Mädi nicht Spazierengehen, wenn auch die liebe Sonne scheint. Frau Annchen hat keine Zeit dazu. Sie muss Minna bei der großen Wäsche helfen. Mutti hat einen Besuch zu machen, zu dem sie die beiden Kleinen nicht mitnehmen kann.

So werden Bubi und Mädi in ihre Spielanzüge gesteckt und mit dem Puppenwagen und dem Ball in den Garten geschickt.

Dort sollen sie spielen.

Das Haus, in dem Bubi und Mädi wohnen, hat zwei Gärten, einen vorne und einen hinten. Der Vorgarten ist viel schöner als der andere. Da gibt es Rosensträucher und ein Beet mit gelben und blauen Stiefmütterchen. Auch ein lustiger Steinzwerg mit einer roten Zipfelmütze sitzt da und hält Wache, dass keiner Blümchen abreißt. Den hat sicher Schneewittchen hergestellt. Mädi hat ihn gleich wiedererkannt.

In das Gärtchen, wo der Zwerg sitzt, dürfen Mädi und Bubi nicht hinein. Der Zwerg würde es vielleicht erlauben; denn er sieht Mädi und Bubi immer recht freundlich an, wenn sie ihm zunicken. Aber der Hausbesitzer, dem das Gärtchen und auch der Zwerg gehören, der erlaubt das nicht. Diesen Mann haben die Kinder noch nie zu sehen bekommen. Darum denkt Mädi, er sei der liebe Gott. Aber Bubi weiß es besser. Er weiß, dass der Hausherr in Berlin wohnt und nicht im Himmel. Naja, Bubi ist ja auch zwei Stunden älter als Mädi.

Aber trotz der schönen Blumen und trotz des Zwerges gefällt Bubi und Mädi das Gärtchen hinter dem Haus viel besser als das vordere. Es wächst dort nur struppiges Gras und kein einziges Blümchen. Nur ein paar alte, rote Ziegelsteine liegen an dem zerbrochenen Zaun. Die haben die Arbeiter liegengelassen, als sie neulich die Mauer ausbesserten.

Aber man darf in das Gärtchen hinein – das ist die Hauptsache!

Man kann dort auch toben, soviel man will, wenn nicht die alte, nervöse Dame auf dem Balkon sitzt. Bubi nennt sie die „Lehmfrau“. Sie heißt zwar Lehmann, aber da sie keinen Mann mehr hat, muss sie doch die Lehmfrau sei. Meistens aber sitzt die alte Dame auf dem Balkon an der Vorderseite des Hauses, weil dort die Sonne wärmer scheint.

Das Gärtchen hinter dem Haus hat auch noch andere Vorzüge.

Da gibt es eine Schar lustiger Hühnchen. Freilich laufen sie nicht frei im Hof umher, sonst würden sie durch den zerbrochenen Zaun bald Reißaus nehmen. Sie wohnen hinter einem Drahtgitter und haben immer große Freude, wenn Bubi und Mädi ihnen ein bisschen die Zeit vertreiben.

Denn immer nur Eier legen, das ist schließlich langweilig.

Bubi und Mädi sorgen für Abwechslung. Sie füttern die Hühner mit Brotstückchen. Manchmal necken sie sie auch und werfen ihnen kleine Steinchen hinein. Dann werden die Hühner böse und hacken mit den Schnäbeln nach ihren Fingerchen.

Der Hahn aber plustert sich auf. Er schlägt mit den Flügeln und schreit wütend: „Kikeriki!“ Das heißt in der Hühnersprache: „So eine Frechheit!“

Bubi spielt besonders gerne Fangen mit den Hühnern. Allerdings ist er immer der Fänger, und die Hühner müssen laufen. Er wirft ein großes Stück Holz gegen das Drahtgitter, da erschrecken die Hühner und flattern ängstlich auf.

Nein, wie freut sich Bubi dann! Mädi aber tun die armen Hühnerchen leid. Sie gehören dem Herrn Verwalter. Verwalter ist beinahe soviel wie Hausherr. Der Herr Verwalter freut sich auch nicht, wenn Bubi seine Hühner jagt. Er nimmt Bubi bei den Ohren und sagt zu ihm: „Wenn du meine Hühner nicht gleich in Ruhe lässt, hänge ich dich mit den Ohren an dem Wetterhahn auf.“

Der Wetterhahn wohnt hoch oben auf dem Dach. Er kann nicht „Kikeriki“ machen, und er hat auch nicht so schöne Federn wie der Hahn unten im Gärtchen. Er ist aus Eisen.

Aber er ist viel klüger. Er weiß stets ganz genau, woher der Wind weht. Bubi hat große Angst, dass der Herr Verwalter ihn mit den Ohren an den eisernen Wetterhahn hängt. Er jagt die Hühner jetzt nie mehr, wenn der Herr Verwalter zu Hause ist.

Noch etwas Schönes gibt es in dem Gärtchen hinter dem Haus, das ist die große Pumpe. Die quietscht durchdringend, wenn man an dem Brunnenschwengel zieht. Bubi und Mädi nennen ihn „Anhänger“. Sie müssen sich nämlich immer alle beide anhängen, weil er so schwer zu bewegen ist.

Die Pumpe ist die allerbeste Freundin der Kinder im Gärtchen.

Aus ihrem langen, eisernen Schnabel fließt klares, frisches Wasser, und dabei macht sie noch Musik.

Natürlich ist es verboten, am Brunnen zu panschen. Komisch, dass alles, was Spaß macht, meistens verboten ist.

Darüber wundert sich Bubi oft.

Die beiden Kinder sind heute auch gehorsam und panschen nicht, wenigstens vorläufig nicht. Einstweilen bauen sie aus den Ziegelsteinen, die da herumliegen, eine Straße mit einem Haus. Darin soll ihre kleine Omama wohnen. Und weil die kleine Omama kein Gärtchen hat, pflanzt Mädi geschwind eines aus Gras um das Ziegelsteinhäuschen herum.

In der Mitte ist ein Weg; da kann die kleine Omama Spazierengehen.

Mädi setzt die Puppe Eischen mitten auf den Weg vor das neue Haus. Eischen soll die kleine Omama vorstellen. Die Puppe ist zwar ein hübsches Stück größer als ihr neues Häuschen. Aber das macht nichts. Sie kann ja durch den Eingang hineinkriechen. Eischen denkt aber gar nicht daran.

Sie ist froh, dass sie im warmen Sonnenschein sitzen kann.

Ihre Kleider sind noch von gestern feucht.

Sie hat auch die ganze Nacht gehustet. Hätte Mädi nicht so fest geschlafen, würde sie es bestimmt bemerkt haben.

Herr Nauke mit der Pauke wird zum Verwalter des neuen Hauses ernannt. Darauf ist Nauke sehr stolz. Natürlich muss das Haus nun auch einen Wetterhahn bekommen, damit der Herr Verwalter kleine Hühnerjäger mit den Ohren daran aufhängen kann. Bubi findet einen alten, verrosteten Nagel, der gibt einen prächtigen Wetterhahn ab.

So, nun ist alles fertig.

„Wir müssen unser Gärtchen begieschen, Bubi. Schau nur, was für groschen Durscht das arme Grasch hat.“ Mädi sieht betrübt auf das welke Gras. „Aber wir dürfen ja nicht panschen.“

„Begießt is nich gepanst“, überlegte Bubi. Schnell läuft er auch schon zur Pumpe und hängt sich an den Schwengel.

Freilich sind seine Ärmchen zu schwach, obwohl er schon puterrot vor Anstrengung ist.

„Mädi, bitte sön, komm snell mitangehängt. Ich warte son auf dir. Der Anhänger is zu swer.“

Die Pumpe möchte Bubi gern sagen, dass es „ich warte schon auf dich“ und nicht „auf dir“ heißt. Aber da muss sie schon Wasser spucken, anstatt zu sprechen, denn Mädi hängt auch schon an ihrem Anhänger. Gegen soviel Kraft kann die Pumpe nicht mehr widerstehen.

Pansch – ein silberner Wasserstrahl springt heraus. Er zersprüht in viele kleine Tröpfchen und spritzt Bubi und Mädi an. Das ist die Strafe, weil sie etwas Unerlaubtes tun. Aber die kleinen Zwillinge lachen und jauchzen und merken gar nicht, dass die Pumpe auf sie ärgerlich ist.

Hurra, da liegt eine alte Konservenbüchse. Gewiss hat sie entweder Minna oder Mathilde aus ihrem Küchenfenster geworfen.

„Eine feine Gieschkanne, Bubi!“ Mädi hält die Dose schnell der Pumpe an den langen Schnabel. Die spuckt noch viel ärgerlicher ihr Wasser hinein und macht Mädi von Kopf bis Fuß nass.

„Nass“ – sagt Mädi und schüttelt sich. Sie weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll.

„Sad nich, Mädi!“ Wenn Bubi meint, dass es nicht schadet, hat Mädi keinen Grund mehr zu weinen. Bubi muss es wissen, er ist der ältere.

Das Gärtchen der kleinen Omama wird plötzlich überschwemmt.

Armes Eischen! Kaum haben es die warmen Sonnenstrahlen ein wenig getrocknet, ist es schon wieder patschnass. Mädi hätte ihr das rosa Schirmchen aufspannen sollen.

Hoffentlich hole ich mir heute nicht eine Lungenentzündung, denkt die Puppe. Sie zittert vor Nässe und Kälte.

Bubi ist immer für gründliche Arbeit. Er hat bereits zum zweiten Mal einen Wolkenbruch über das neue Haus niedergehen lassen.

„Du – die kleine Omama ist weggeschwimmt“, ruft Mädi erschrocken.

„Is sie son versauft?“ Teilnahmsvoll betrachtet Bubi die Puppe Eischen. Sie liegt hilflos auf dem Bauch und streckt alle Viere von sich.

Der Herr Verwalter Nauke mit der Pauke ist höchst unzufrieden. Ein neues Haus – und schon eine solche Überschwemmung. Am liebsten würde er Bubi und Mädi mit den Ohren am Wetterhahn aufhängen.

Mädi hat Mitleid mit ihrem Puppenkind. Sie angelt es aus dem Erdschlamm. Oh weh, wie sieht Eischens hübsches rotes Kleid aus! Es hat braune Flecken. Auch die Nase ist verbeult und rabenschwarz von der nassen Erde.

Mädi fängt zu weinen an. Frau Annchen wird gewiss schimpfen.

„Wein nur nich, Mädi. Halt sie einfach unter die Pumpe. Dann wird sie sön sauber“, tröstet Bubi sein Schwesterchen.

„Erlaubt das Frau Annchen?“ Mädi ist nicht sicher, ob das erlaubt ist.

„Die wäßt doch oben“ überredet sie Bubi.

„Und wenn Eischen wieder schön sauber is, dann kann sich Frau Annchen freuen.“ Mädi überredet sich jetzt selber.

Oh Gott! Die arme Puppe zittert an allen Gliedern. Sie wehrt sich. Sie sträubt sich. Sie strampelt mit Armen und Beinen. Sie ruft Lilli und Fifi, Nauke und Schnäuzchen zu Hilfe. Vergebens!

„So, mein Eischen, jetscht geht’s unter die grosche Brausche“, sagt Mädi noch ganz freundlich zu ihr. „Wein nur nich – Mutti lascht dich nich ertrinken. Die macht nur Spaß!“

Das ist doch kein Spaß! Das ist bitterböser Ernst! Puppe Eischen stockt der Atem unter der eiskalten Brause. Ihr ist elend zumute. Vor Angst schließt sie die Augen.

Als sie die Augen wieder öffnet, hört sie ihre kleine Mutti jammern: „Schau nur her, Bubi, das schöne rote Kleid is gansch paputt!“

Dass die arme Puppe kaputt ist, das scheint Mädi weniger zu Herzen zu gehen.

„Kaputt heißt es, Mädi“, verbessert Bubi mit Gemütsruhe.

„Gansch voll Blut, Bubi“. Mädi weint herzzerbrechend. Sie presst ihr blutendes Kind an die Brust.

Das rote Blut fließt in Strömen aus Eischens Kleid. Denn der Stoff ist nicht waschecht und verliert im Wasser die Farbe.

„Mädi, du bist auch ganz voll Blut.“ Erschrocken starrt Bubi auf Mädis Spielanzug. Natürlich, das nasse Puppenkleid hat abgefärbt.

„Oh weh! Frau Annchen wird böse sein!“ Mädi schielt ängstlich zum Küchenfenster hinauf. Aber zum Glück zeigt sich Frau Annchen nicht.

„Zieh dich aus, Mädi, wir waschen die Hößen unter der Pumpe.“ Bubi weiß immer zuerst Rat. Er ist ja der ältere.

„Ach nein, nein, nich ausschien – dann blutet es noch stärker!“

Mädi hat Angst.

„Wird bestimmt sön sauber. Dann simpft Frau Annßen sicher nich.“

Bubi zieht Mädi den Spielanzug aus. Nun steht sie im weißen Hemdchen da.

„A, b, c – die Katze lief in Snee, und als sie wieder ’rauskam, da hatte sie weiße Hößen an“, lacht Bubi. Dieses Lied singt Mutti immer. Da muss auch Mädi wieder lachen. Und weil das Panschen so lustig ist, sind die beiden bald wieder quietschvergnügt. Die Pumpe ist aber nicht quietschvergnügt, obwohl sie auch wunderschön quietscht. Sie ist schon ganz heiser vor Wut. Sie hat zwar die rote Farbe aus dem Spielhöschen herausgewaschen, denn Mädi hat fest gerubbelt. Aber die beiden Kinder triefen vor Nässe.

„Nun müssen wir das Höschen aufhängen, damit es trocknet.“ Mädi ist schon eine richtige kleine Hausfrau, obwohl sie zwei Stunden jünger als Bubi ist. „Soll ich meine kleine Puppenleine herunterholen?“

„Nein, nein, wir hängen die Höschen nur hier über den Zaun“, wehrt Bubi ab. Er hat nämlich jetzt doch Angst, dass Frau Annchen schimpft.

„Meine Hößen müssen auch trocknen.“ Mädi kann gar nicht so schnell schauen, da hängt auch schon Bubis nasses Spielhöschen über dem Zaun. Der kleine Hemdenmatz springt jubelnd im Gärtchen umher.

„Sön heiß, Mädi“.

Die liebe Sonne scheint warm. Bubi ist froh, dass er das nasse Zeug vom Körper hat.

Mädi macht alles nach, was Bubi tut, denn er ist ja ihr Zwilling.

Frau Sonne guckt erstaunt vom Himmel. Sie traut ihren Augen nicht. Im Gärtchen springen zwei kleine Hemdenmätze lustig umher. Auf dem Zaun flattern die weißen Höschen im Wind. Die liebe Sonne wundert sich sehr. Sie mag die ungezogenen Kinder gar nicht mehr wärmen.

Rasch zieht sie sich eine Wolke vors Gesicht.

Aber noch jemand wundert sich. Das ist die Pumpe. Sie steht schon lange hier, aber so unartige Kinder hat sie noch nie gesehen. Gerne würde sie ihnen sagen: „Im Hemdchen läuft man nicht umher! Wollt ihr euch erkälten!“ Aber sie ist heiser vom vielen Quietschen.

Das arme Puppenkind Eischen wimmert nur noch leise. Es hängt neben den Höschen auf dem Zaun. Bubi hat sie an ihren Haaren zum Trocknen aufgeknüpft. Au – wie das zieht! Man sollte das einmal mit ihm versuchen!

Der Hahn schreit aus Leibeskräften sein Kikeriki. Er will damit Frau Annchen herbeirufen. Aber die spült oben die große Wäsche. Nauke schlägt seine Pauke, so laut er kann.

Vergebens! Die gute alte Kinderfrau zeigt sich nicht am Küchenfenster.

Die beiden kleinen Hemdenmätze fassen einander an den Händchen. Sie hüpfen im Kreis herum und singen: „Große Wäsche – kleine Wäsche.“

Hemdenmätze

Inhaltsverzeichnis

Dann spielen Bubi und Mädi Ball. Dabei wird einem warm, auch wenn die Sonne nicht scheinen will.

„Ganz hoch musst du smeißen, Mädi, noch viel höher, bis ans Fernrohr, nein, bis zum Himmel!“ befiehlt Bubi.

Mädi wirft den Ball hoch und immer höher. Aber der Ball hat seinen eigenen Willen. Er tut nicht das, was er soll, genau wie manchmal Bubi und Mädi.

Hops – plötzlich ist er auf den Balkon der alten Frau Lehmann gesprungen.

Bubi und Mädi sehen einander entsetzt an.

„Ach – is nich slimm!“ Bubi weiß wieder Rat. „Wir bitten nur die Mathilde, die gibt ihn uns bestimmt wieder.“

„Wenn die alte Lehmfrau den Ball nun selbst behalten will, weil wir immer so Krach machen, darf sie das?“ fragt Mädi zaghaft.

„Nein, das darf sie gar nich. Is ja unser Ball! Komm, Mädi.“

Bubi zieht Mädi die Treppe hinauf zum Hochparterre, wo Frau Lehmann wohnt.

Sie denken beide nicht daran, dass sie für einen Besuch nicht richtig angezogen sind. Bubi klingelt. Mathilde hört nicht gleich. Da läutet Bubi Sturm, wie er es oben bei Minna immer tut.

Man hört schlürfende Schritte. Die Tür wird geöffnet. Die Kinder machen erschreckte Augen. Denn nicht Mathilde, sondern die alte Frau Lehmann steht vor den beiden. Auch sie macht erstaunte Augen, als sie die beiden Hemdenmätze vor sich stehen sieht.

„Ja, was soll denn das heißen? Wo habt ihr denn eure Kleider?“ fragt Frau Lehmann entrüstet.

Hemdenmatz Bubi macht seinen feinsten Diener, Hemdenmatz Mädi ihren schönsten Knicks.

„Nass, gansch nass“, berichtet das kleine Mädchen.

„Ach, liebe Frau Lehmann, bitte, gib uns doch unsere Ball wieder“, bittet Bubi als der ältere.

„Ja, ich habe doch euren Ball nicht.“ Frau Lehmann weiß nicht, was sie von diesem merkwürdigen Besuch denken soll.

„Hascht du doch, Lehmfrau. Unser Ball is auf deinen Balkon gehopst. Gibscht ihn uns wieder, ja? Wir wollen auch gansch artig sein und nie mehr lauten Krach machen“, verspricht Mädi treuherzig.

„Bloß leisen Krach“, versichert auch Bubi.

Frau Lehmann weiß nicht, ob sie sich ärgern oder ob sie lachen soll. Die kleinen Hemdenmätze sind zu drollig.

„Ja, schämt ihr euch denn gar nicht, ohne Höschen zu mir zu kommen“, fragt die alte Dame ernst.

„Nein, Mädi und ich sämen sich gar nich“, beteuert Bubi.

„Ihr könnt euch doch erkälten, Kinder. Macht, dass ihr nach oben kommt. Den Ball schicke ich euch nachher mit Mathilde hinauf.“

Die alte nervöse Dame hat vor Schreck Kopfschmerzen bekommen.

„Nein, Frau Annchen wird böse, wenn wir unseren Ball nich haben – “ meint Mädi ängstlich.

„Ich hol’ ihn son ganz allein, ich hab’ gesehn, wo er hingeflogen is.“ Ehe die alte Frau Lehmann weiß, wie ihr geschieht, drückt sich Bubi an ihr vorbei und läuft in die fremde Wohnung. Mädi natürlich hinterdrein. Wo Bubi ist, da muss auch sie sein.

„Aber Kinder – “, es hilft nichts, die alte Dame muss mit ihrem Humpelbein hinter den beiden Hemdenmätzchen her.

Wo der Balkon ist, weiß Bubi genau. Ihre Wohnung oben ist genauso eingeteilt. Jetzt steht er draußen. Vor lauter Staunen vergisst er, seinen Ball aufzuheben. Der liegt recht gemütlich in einer Ecke.

„Wo is denn dein großes Fernrohr, Lehmfrau?“ erkundigt sich Bubi erstaunt. Er denkt, jeder Balkon muss ein Fernrohr haben. Bei ihnen oben ist es so.

„Ein Fernrohr? Was soll ich mit einem Fernrohr, Kind?“ Frau Lehmann muss über den kleinen drolligen Kerl lachen, ob sie will oder nicht.

„Da kannscht du mit ihm in den Himmel reisen“, erklärt ihr Mädi.

„In den Himmel? – Nun, da komm’ ich noch früh genug hin, wenn ich erst einmal tot bin.“

„Bischt du bald tot?“ Mädi schaut die alte Dame teilnahmsvoll an.

„Ja, wenn ihr immer solchen Lärm oben macht, dann werde ich krank und muss sterben“, antwortet Frau Lehmann.

„Bubi hat einen Maikäfer gefangen. Der is auch gesterbt, weil wir so Krach gemacht haben. Und dann is er in den Himmel geflogen.“

Frau Lehmann muss trotz ihrer Kopfschmerzen laut lachen.

Die alten Möbel im Zimmer knarren vor Verwunderung. Es ist schon viele Jahre her, dass ihre Besitzerin gelacht hat.

„Jakob – wo bist du?“ klingt es plötzlich mit schnarrender Stimme aus dem Zimmer.

Mädi steckt neugierig ihren Kopf zur Tür hinein. Kein Mensch ist drin zu sehen.

„Da ruft einer, aber es is gar keiner schu sehen“, sagt sie ängstlich.

„Jakob – Jakob – wo bist du?“ Wieder ertönt die schnarrende Stimme.

„Lehmfrau, einer, der gar nich da is, ruft dir immer Jakob.“

Auch Bubi erscheint die Sache höchst verwunderlich.

„Das ist nur mein Papagei, der Jakob. Jakob, wo bist du?“ Frau Lehmann ruft es jetzt selber.

„Hier – hier – hier – “ schnarrt es aus dem Zimmer. Vom Kasten kommt ein großer bunter Vogel heruntergeflattert.

Er setzt sich auf die Schulter der Dame. Missbilligend betrachtet er die Kinder mit seinen runden Äuglein. Als Hemdenmatz kommt man nicht auf Besuch!

Bubi ist begeistert, Mädi weniger. Der Vogel hat einen krummen Schnabel. Am Ende beißt er.

„Jakob, schenk Küsschen“, sagt Frau Lehmann.

Wirklich, mit seinem krummen Schnabel berührt der Vogel die Lippen der alten Frau.

„Beischt er nich?“ erkundigt sich Mädi ängstlich.

„Mich nicht, weil er mich kennt. Aber wenn ihr mit euren Fingern zu nahe kommt, dann hackt er danach.“

Bubi muss das natürlich sofort ausprobieren. „Au, au – ich mach’ doch nur Spaß, Jakob!“ Bubi verbeißt das Weinen.

Aber Jakob hat keinen Spaß gemacht, für ihn war es ernst.

Er hat Bubi mit seinem Schnabel in den Finger gehackt. Er blutet sogar ein bisschen.

„Gansch blutig – nu muss mein armer Bubi tot sterben!“

Mädi weint bitterlich.

„Aber Mädi, das bisschen Blut! Das ist doch gar nicht schlimm. Kindergeheul kann ich nicht vertragen. Geht nur wieder hinauf. Ihr erkältet euch überhaupt.“ Frau Lehmann hat nun genug von ihrem Besuch.

Bubi freilich noch nicht. Der findet es wunderschön bei Frau Lehmann und ihrem Papagei, wenn auch der Finger ein wenig weh tut.

„Hast du auch noch einen Mamagei?“ fragt er. Denn zu einem Papagei gehört doch auch ein Mamagei, findet Bubi.

„Hahaha – “ Frau Lehmann lacht wieder. Und der Papagei lacht mit. Nein, ist das komisch. Der Papagei kann richtig lachen. Er lacht den dummen Bubi aus.

Frau Lehmann humpelt zu einem kleinen Schrank. Sie holt eine Keksdose heraus.

„Nun muss ich doch meinem kleinen Besuch etwas schenken, auch wenn er im Hemdchen zu mir kommt“, sagt sie freundlich.

Mädi nimmt sich artig ein Plätzchen heraus. Sie dankt mit einem Knicks. Bubi nimmt gleich zwei. Wahrscheinlich, weil er zwei Stunden älter ist. Aber als Mädi in ihren Kuchen hineinbeißen will, da fliegt auch schon der Jakob herbei.

Weg ist Mädis Keks. Jakob sitzt auf seiner Stange und lässt sich ihn gut schmecken.

„Der schlimme Jakob hat meinen Kuchen gestohlen und aufgefreßt“, weint Mädi.

„Na, deshalb braucht man doch nicht gleich wieder zu heulen.

Mein Jakob isst auch gern Kekse. So, meine Kleine, da hast du einen anderen.“ Frau Lehmann öffnet noch einmal die Büchse.

„Du bist eine gute Lehmfrau“, sagt Mädi dankbar und steckt den Keks auf einmal in den Mund, damit Jakob ihn nur ja nicht erwischt.

„Warum sagt ihr denn bloß immer Lehmfrau zu mir, Kinder?“ fragt Frau Lehmann verwundert.

„Weil du doch gar keinen Mann hast, nur Mathilde“, erklärt ihr Bubi.

Nein, so hat Frau Lehmann schon lange nicht gelacht wie heute über die drolligen kleinen Zwillinge. Sie sehen einander auch so ähnlich wie ein Ei dem anderen.

„So, Kinder, nun müsst ihr aber wirklich gehen. Ihr erkältet euch sonst in euren Hemdchen und bekommt einen Schnupfen. Bubi, und wenn du wieder einmal so laut deine Kegel im Kinderzimmer schiebst, dann denkst du an die alte Frau Lehmann, die Kopfschmerzen hat. Nicht wahr?“ Sie klopft Mädi auf die Wange.

„Nein“, sagt Mädi. Denn sie ist ja gar nicht Bubi.

„Nein? Das ist aber nicht artig, Bubi. Nun, Mädi denkt sicher daran, wenn sie wieder mit ihrem Puppenwagen so wild durch alle Zimmer tollt. Ja, Mädi?“

„Nein“, sagt auch Nummer zwei. Denn Bubi ist ja nicht Mädi.

„Hahaha – “ Die Kinder lachen beide los. „Das is doch Mädi!“ – und „Das is doch Bubi!“ Jakob lacht auch mit, obwohl das gar nicht nett von ihm ist, seine alte Dame auszulachen.

„Die Lehmfrau is son so alt und weiß noch nich einmal, wer Bubi und Mädi is.“ Bubi muss sich schon wieder einmal wundern.

Frau Lehmann nimmt ihren Besuch an die Hand. „Nun brauche ich aber wirklich Ruhe, Kinderchen. Nun geht wieder nach Hause.“

„Dann bist du ja ganz allein, arme Lehmfrau, weil deine Mathilde nich da is“, wendet Bubi ein.

„Das schadet nichts.“ Frau Lehmann greift sich an ihren Kopf. Ach, der schmerzt. Der Besuch der Kleinen war doch sehr anstrengend.

„Na, Jakob is ja bei dir“, überlegt Bubi.

„Eure Kinderfrau wartet gewiss schon auf euch“, beginnt Frau Lehmann von neuem.

„Bestimmt nich. Frau Annchen hat heut große Wäsche“, beruhigt sie Bubi.

Aber was ist das? Aus dem Hintergarten hört man eine angstvolle Stimme: „Bubi – Mädi – wo seid ihr? Bubi – Mädi –“ Das ist Frau Annchen.

„Wo bist du?“ ruft auch Jakob dazwischen. Und gleich darauf schnarren: „Hier, hier – hier – “

„Hier, fang mich“, schreit es vom Balkon der Frau Lehmann zurück.

„Nanu?“ Die Kinderfrau traut ihren Augen nicht. Da steht ja Bubi im Hemd auf dem Balkon von Frau Lehmann. Und jetzt erscheint noch ein zweiter Hemdenmatz.

„Frau Annchen – Kuckuck!“ ruft es.

Aber da hört sich ja alles auf! So schnell ist Frau Annchen noch nie die Treppen hinaufgelaufen.

„Ja, Kinder, was soll denn das heißen? Ich guck’ mir von dem Küchenfenster die Augen nach euch aus. Ich stürze von meiner Wäsche weg, um euch zu suchen. Und nun find’ ich euch hier, und dazu noch im Hemd. Ja, schämt ihr euch denn gar nicht vor Frau Lehmann?“ Frau Annchen ist mit Recht aufgeregt. „Wo habt ihr denn bloß eure Sachen?“

„Nass!“ sagt Mädi kleinlaut.

„Sön gewaßen, wie Frau Annßen. Die Hößen hängen an der Leine vom Zaun, damit Frau Annßen sich freut“, erzählt Bubi treuherzig.

Frau Annchen sieht aber gar nicht aus, als ob sie sich freute.

Im Gegenteil! Sie macht ein bitterböses Gesicht. Das sehen die Kleinen selten bei ihrer guten, alten Kinderfrau.

„Entschuldigen Sie bitte, Frau Lehmann! Sie glauben gar nicht, wie unangenehm es mir ist, dass unsere Kinder in diesem Aufzug zu Ihnen gekommen sind. Was habt ihr denn überhaupt hier zu suchen?“

„Unser Ball is doch ’reingeflogen zu der Lehmfrau, darum muss ich und Mädi ihn wieder holen.“

Bubi hält den Ball fest im Arm. Dieser Ausreißer ist an allem schuld.

Aber auch Frau Annchen hält ihre kleinen Ausreißer fest an jeder Hand. „Na, nun kommt nur nach oben.“ Sie sagt es sehr vielverheißend.

„Ihr besucht mich wieder, wenn ihr angezogen seid, nicht wahr?“ sagt die alte Frau Lehmann noch freundlich. Sie fühlt sich schon ganz schwach. Der Besuch hat sie sehr angestrengt.

„Jakob – wo bist du?“ klingt es schnarrend hinter den beiden Kindern her.

Frau Annchen steigt die Treppen hinauf. An jeder Hand hält sie einen Hemdenmatz. Und wollt ihr wissen, was weiter geschah, so fragt die Rute hinter dem Spiegel!

Zöpfchen und Schnurrbart

Inhaltsverzeichnis

Am Morgen, wenn Bubi und Mädi ausgeschlafen sind, kommt Frau Annchen und zieht sie an. Mädi schreit noch manchmal beim Waschen. Besonders dann, wenn die Kinderfrau ihr die Ohren zu stark ribbelt. Obwohl Mädi selber gern panscht, kann sie kaltes Wasser nicht leiden, und schon gar nicht, wenn Frau Annchen sie damit bearbeitet.

Bubi weint nicht mehr beim Waschen. Erstens, weil er um zwei Stunden älter ist, und zweitens, weil er ein Mann ist.

Die Puppen freuen sich, wenn Mädi beim Waschen weint.

Denn Mädi schrubbt sie noch viel ärger. Manchmal denken die armen Puppen, die Haut wird ihnen vom Gesicht gerissen.

Und dabei können sie nicht einmal schreien. Das geschieht unserem Mädi ganz recht. Sie soll nur fühlen, wie unangenehm so eine harte Wäsche ist. Selbst Braunchen, ihr bester Freund, hat kein Mitleid mit dem kleinen Mädchen.

Jeden Morgen nimmt Mädi ihre Puppenbürste und rückt damit ihrem Braunchen zu Leibe. Sie will ihn ganz weiß waschen, damit er kein Braunchen mehr ist, sondern ein Schimmel. Aber was einmal einer ist, das muss er auch bleiben. Aus Braunchen wird nie ein Schimmel, auch dann nicht, wenn ihm Mädi das Fell vom Leib wäscht.

Die Puppen sind sehr unzufrieden mit ihrer kleinen Mutter.

Sie zieht sie nicht an, sie macht ihnen nicht das Bettchen.

Ja, sie müssten sogar verhungern, wenn Bubi sich nicht ihrer erbarmte. Nauke mit der Pauke holt sich manchmal heimlich eine Rosine aus dem Kaufmannsladen. Das kann er aber nur dann, wenn Bubi und Mädi nicht da sind.

„So, Mädi, du bist fertig“, sagt Frau Annchen. Sie hat Mädi das Schleifchen in den kleinen Haarschopf gebunden. „Nun kannst du zu deinen Puppen gehen.“

„Nein, Braunchen muss erseht gewaschen werden.“ Braunchen zittert bereits vor der Waschbürste. Jetzt geht es ihm gleich ans Leben. Es bäumt sich auf – aber Mädi klopft ihn beruhigend.

„Braunchen is so artig. Komm, mein Braunchen, jetscht wirscht du schön weiß gewaschen.“ Alles Sträuben und Aufbäumen hilft nichts. Mädi und die Puppenbürste schrubben, was sie nur können.

„Is er son ein Simmel?“ erkundigt sich Bubi eifrig. Frau Annchen hat ihn gerade unter ihren Händen.

„Nein, die dumme braune Farbe geht gar nich ab.“ Mädi muss sich furchtbar anstrengen.

„Du, Mädichen, mach das Schaukelpferd nicht kaputt!“

warnt Frau Annchen.

Braunchen fühlt sich schon ganz elend. Erst als ein seifenschaumiges Gesicht zur Tür hereinschaut, hört Mädi mit dem Waschen auf.

„Sind meine beiden Mausekinder schon auf?“ fragt eine Stimme.

„Vati – Vati rasiert sich!“ Wenn sich Vati rasiert, findet Mädi das noch viel merkwürdiger und lustiger, als aus Braunchen einen Schimmel zu machen. Das arme, geplagte Pferdchen atmet auf. Mädi verschwindet im Schlafzimmer der Eltern. Bubi läuft hinterdrein. Bevor ihn Frau Annchen noch halten kann, ist er schon davon. Dabei hat er die Schürze noch nicht vorgebunden.

Im Schlafzimmer der Eltern ist es wundervoll. Da kann man mit einem Satz in Vatis oder Muttis großes Bett springen.

Es hat kein Gitter wie das Bett von Bubi oder Mädi. Da kann man Vaters Krawatte als Eisenbahn mit einem Faden im Zimmer herumführen. Das macht großen Spaß. Merkwürdig, nur Vati findet das nicht. Der ist immer ärgerlich, wenn seine Krawatte dabei schmutzig wird.

Bubi sitzt neben Muttis Frisiertisch. Er schaut Mutti andächtig beim Kämmen zu. Ach, wenn er doch auch so langes Haar hätte. Dann brauchte man keine lange Schnur zum Pferdchenspielen.

Mädi hockt auf der anderen Seite neben Vati. Soviel Schlagsahne macht Vati aus Seife in seiner Rasiertasse.

Aber kosten will Mädi nicht mehr. Einmal hat sie ein bisschen davon genascht. Au – hat das die Zunge gebissen. Mit einem kleinen Pinsel schmiert sich Vati das ganze Gesicht voll Schlagsahne.

„Beischt das nich?“ fragt Mädi neugierig.

Aber Vati schüttelt lachend den Kopf. Wenn er aber den scharfen Rasierapparat hervorholt, dann fängt Mädi beinahe zu weinen an.

„Nich – Vati soll sich nich weh tun!“ Die Kleine hängt sich zärtlich an den Arm des Vaters.

„Mädi, lass los, ich kann mich sonst nicht rasieren.“ Aber Mädi wollte doch nur, dass Vati sich nicht weh tun sollte, deshalb hat sie ihn festgehalten.

Wenn Vati und Mutti Kaffee trinken, kriegen Bubi und Mädi ihre Milch. Jetzt weiß ein jeder, wer Bubi und wer Mädi ist.

Kein Mensch könnte sie nun verwechseln. Denn – denkt euch nur – Bubi trinkt morgens noch sein Fläschchen. Er schämt sich gar nicht, der große Mann, obwohl er doch zwei Stunden älter ist als Mädi.

„Mädi trinkt aus der Tasche“, sagt die Kleine jeden Morgen stolz. Frau Annchen bringt ihr dann das rosa Tässchen mit dem Goldrand. Sie hat es Mädi zum Geburtstag geschenkt.

Auch Bubi hat von Frau Annchen eine kleine Tasse bekommen.

Sie ist hellblau und hat ebenfalls einen Goldrand. Aber Bubi ist furchtbar ungeschickt, wenn er aus dem Tässchen trinken soll. Er gießt sich den Mund ganz voll Milch, als wollte er gurgeln. Mädi versteht es viel besser. Das liegt sicher nur daran, dass ihr Tässchen rosa ist und Bubis hellblau.

Aber obwohl sie die Tassen schon einmal vertauscht haben – es wollte auch das rosa Tässchen bei Bubi nicht leer werden. Frau Annchen bringt ihm lieber wieder sein Fläschchen, und Mutti meint: „Sie verwöhnen unseren Jungen!“

Aber Vati lacht: „Bubi, wenn du eine Braut hast, darfst du nicht mehr aus der Flasche trinken.“ Darum will Bubi lieber keine Braut haben.

Große Leute trinken viel länger Kaffee als kleine. Das liegt daran, weil Kinder keine Zeitung lesen und auch keine Zigarre rauchen. Mutti und Vati sitzen noch am Kaffeetisch.

Bubi und Mädi sind schon längst wieder davon.

Die haben heute nicht soviel Zeit. Die haben heute etwas ganz Wichtiges vor.

Bubi steht vor Vatis Waschmuschel. Mädi macht Schlagsahne in dem kleinen Schälchen. Au, die wird fein, noch viel schaumiger als bei Vati, denn Mädi schlägt noch viel ärger.

„Erst musst du mich sön rasieren, dann rasier’ ich dich sön“, befiehlt Bubi und legt das Handtuch um wie Vati.

Schwups – da hat er auch schon Schlagsahne mitten auf der Nase.

„Du, doch nich auf die Nase! Da is doch mein Snurrbart gar nich“, schimpft Bubi.

Mädi seift jetzt Stirn, Wangen und auch das braune Haar von Bubi tüchtig mit Schlagsahne ein.

„Du, das mag’ ich nich“, widersetzt er sich noch einmal.

„Ja, wenn du immer nich willscht, dann kannscht du auch keinen Schnurrbart kriegen“, meint der kleine Friseur.

„Jetscht halt einmal gansch still – jetscht kommt das große Messer.“ Mädi sucht umsonst das große Messer. Vati hat es zum Glück eingesperrt.

„Sad nich, Mädi.“ Bubi mit dem Seifenschaumkopf weiß Rat. „Da nimmst du einfach die Zahnbürste.“ Mädi nimmt gehorsam Vatis Zahnbürste. Aber die Zahnbürste kratzt Bubi. Sie ist sehr aufgeregt, dass die Kinder es wagen, an Vatis Sachen zu gehen.

„Au, nich so stark, das halt’ ich nich aus! Nun werd’ ich dich lieber einmal rasieren.“ Bubi hat genug davon.

Mädi sitzt nun auf dem Sessel, hat das Handtuch vor und bekommt ebenfalls einen Schlagsahnekopf. Auch Mädis Pinselzöpfchen bekommt einen Tupfen Schlagsahne. Mädi hält ganz still, sogar dann, als die Zahnbürste mit den scharfen Borsten in ihrem Gesicht herumspaziert.

„Nun sieht Mädi gansch genau wie Bubi aus!“

Mädi macht ihre Augen auf, so weit sie sie eben mit dem Seifenschaum im Gesicht aufmachen kann. Sie beguckt sich stolz im Spiegel.

„Nun kriegst du einen sönen, langen Snurrbart, Mädi.“ Der Kleine ist stolz auf sein Werk.

„Nein – nein, ich will keinen Schnurrbart haben – “ Mädi fängt zu weinen an.

„Wein nur nich, Mädi. Dann bist du eben Bubi, der is doch ein Mann und muss einen Snurrbart haben. Und Bubi is dann Mädi. Wir sind doch Zwillinge.“

Mädi trocknet ihre Tränen. Natürlich, sie sind doch Zwillinge!

Daran hat sie gar nicht gedacht. Dann ist es ja ganz gleich, wer Bubi und wer Mädi ist.

„Dann muss ich aber auch dein sönes Kleid mit der Stickerei und der großen Maße haben“, überlegt Bubi weiter. „Und das Zöpfßen muss dann Bubi auch haben, wenn er Mädi is.

Du kriegst dafür den ßönen Snurrbart.“

Mädi sieht das durchaus ein. Das ist eine ganz gerechte Verteilung. Wenn Bubi jetzt Mädi ist, dann muss er auch ein Zöpfchen haben. Eine Schere liegt auf Muttis Frisiertisch.

Das wissen natürlich die Kinder genau. Die Schere macht schon funkelnde Augen vor Wut.

„Messer – Gabel – Schere – Licht – sind für kleine Kinder nicht!“

Hat das eben die Schere gesagt? Deutlich hat es Bubi gehört, als er die Hand nach der Schere ausstreckte. Soll er, oder soll er nicht?

„Ach, du dumme Schere, du brauchst mich gar nich so wütend angucken, ich bin doch der Herr Friseur.“ Da hat er auch schon die Schere in der Hand.

Schnipp – schnapp – und ab ist das Pinselzöpfchen mit dem rosa Schleifchen.

„Schenkst du mir dein Zöpfßen, Mädi?“ Bubi hält es glücklich in seiner Hand und betrachtet es mit glänzenden Augen. Nun geht sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung. Er hat ein Zöpfchen wie sein Mädi.

Mädi schaut ein wenig niedergeschlagen drein. Sie findet ein Zöpfchen doch viel schöner als einen Schnurrbart, denn um einen Schnurrbart kann man kein Schleifchen binden.

„Weischt du was, Bubi?“ meint sie schließlich. „Das Schöpfchen kann uns ja allen beiden gehören. Einen Tag hascht du’s, und einen Tag hab’ ich’s, weil wir doch Schwillinge sind.“

Damit ist Bubi einverstanden. „Nun muss aber das Zöpfßen auf meinem Kopf angewaßt werden“, verlangt er.

Das ist gar nicht so einfach. Mädi macht mit ihrer Zunge das Zöpfchen nass. Aber es will nicht an Bubis Kopf anwachsen.

„Wenn Frau Annchen eine Marke auf einen Brief klebt, dann wächst sie immer an“, wundert sich Mädi.

„Vati nimmt immer Klebestoff.“ Bubi weiß genau, wie man etwas anklebt. Der Klebestoff wird vom Schreibtisch geholt.