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Projektarbeit bestimmt in der arbeitsteilig organisierten, digitalisierten und globalisierten Arbeitswelt zunehmend das Tagesgeschäft. Die Konstituierung und Führung von Projekten sowie die Beherrschung der hierzu erforderlichen Werkzeuge wird damit als Managementaufgabe unverzichtbar. Das Lehrbuch ist auf die Bedürfnisse einer Grundlagenveranstaltung im Hochschulstudium zugeschnitten und verbindet in prägnanter Weise die theoretischen und strategischen Teile mit den praktischen und operativen Aspekten der Thematik. Darüber hinaus werden auch andere Formen temporärer Organisation wie zum Beispiel das Krisen- und Eventmanagement behandelt.
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Seitenzahl: 314
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EDITION MANAGEMENT
Herausgegeben von Georg Schreyögg und Jörg Sydow
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-032595-1
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-032596-8
epub: ISBN 978-3-17-032597-5
mobi: ISBN 978-3-17-032598-2
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Die Reihe »Edition Management« hat zum Ziel, qualitativ hochwertige Lehrbücher zu publizieren, die gut lesbare Einführungen in die klassischen und neueren Gebiete der Managementwissenschaft bieten und sich als unmittelbare Arbeitsgrundlage von thematisch entsprechenden Lehrmodulen im Studium eignen. Hauptzielgruppe sind Studierende der Betriebswirtschaftslehre, aber auch Studierende von Nachbardisziplinen (z. B. Soziologie, Psychologie, Politologie oder Wirtschaftsgeographie) dürften aufgrund des transdisziplinären Charakters von Managementwissen von der Lektüre profitieren.
Die Lehrbücher sind so ausgelegt, dass sie die Darstellung der bewährten theoretischen Grundlagen mit den jüngeren Entwicklungen des jeweiligen Forschungsgebietes integrieren. Beispiele aus Unternehmen in verschiedenen Branchen und Regionen illustrieren die zentralen Themen und stellen den Bezug zur praktischen Anwendung her. Die thematische Struktur der »Edition Management« orientiert sich an den Managementfunktionen, d. h. an Planung, Organisation, Führung, Humanressourcen und Kontrolle. Daneben werden Bücher zu Querschnittsthemen aus dem Gebiet des Managements publiziert, wie z. B. interorganisationale Beziehungen und Netzwerke, Ethik und soziale Verantwortung oder Projektmanagement. Die Bücher sind in Umfang und Struktur direkt auf die Anforderungen der Modulstruktur in der Lehre ausgerichtet, wie sie heute in fast allen Studiengängen Verwendung findet, und sollen in ihrem thematischen Zuschnitt sowohl die Vorlesung als auch die Übung abdecken.
Die »Edition Management« steht in der Tradition des Management-Departments der Freien Universität Berlin, das mit seinen Publikationen das Gesicht der Managementforschung im deutschsprachigen Raum stark mitgeprägt hat.
Georg Schreyögg und Jörg Sydow
Projektmanagement ist eine vergleichsweise junge Disziplin, die erst Mitte des 20. Jahrhunderts, maßgeblich vorangetrieben durch die Praxis im Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie und dem Rüstungs- und Militärbereich von den USA aus in die Welt getragen wurde. In dieser Tradition war Projektmanagement seit jeher stark dominiert durch anwendungsnahe Konzepte und auf Erfahrungswissen basierten normativen Handlungsempfehlungen, um Projekte möglichst effizient und effektiv zu steuern und den Dimensionen des eisernen Dreiecks – Zeit, Budget und Qualität – entsprechend die Projektziele zu erreichen. So war es auch kaum überraschend, dass Projektmanagement in der Vergangenheit beinahe ausschließlich als Teil ingenieurwissenschaftlicher Fakultäten von Technischen Universitäten sowie an Fachhochschulen angesiedelt war. Seit Mitte der 1990er Jahre hat dann zunehmend eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit projektbezogenen Themen innerhalb der Management- und Organisationstheorie sowie der Innovations- und Organizational Behavior-Forschung stattgefunden. Im Gegensatz zu den früheren Ansätzen stand hier nicht die Handlungs- und Gestaltungsorientierung im Vordergrund, sondern vielmehr das Interesse, wie Projekte in der Praxis tatsächlich ablaufen, warum sie scheitern, und welche Rolle das Soziale und Organisationale hierbei einnimmt. Diesem stärker verstehensorientierten Anliegen entsprechend wurde der Begriff der temporären Organisation – oder mit prozessualer Betonung – des temporären Organisierens geprägt. Mit diesen neu besetzten Begrifflichkeiten wird nicht nur der Anspruch einer auf theoretisch und empirisch fundierten Grundlagenforschung basierenden Annäherung an das Thema unterstrichen. Vielmehr werden Projekte ohne ideologische Vorbelastung auch der breiteren sozialwissenschaftlichen Forschung als Untersuchungsobjekt zugänglich(er) gemacht. Und zu guter Letzt ist diese Begrifflichkeit auch geeignet, um neben Projekten auch andere temporäre Phänomene einzubeziehen. Dazu gehören etwa geplante und ungeplante Ereignisse und das Management solcher Events sowie auch die Leih- und Kontraktarbeit, bei denen ebenfalls die Zeit, genauer gesagt die zeitliche Begrenzung, das wesentliche Bestimmungsmerkmal darstellt.
Das vorliegende Buch verfolgt vor diesem Hintergrund den aus unserer Sicht zeitgemäßen Anspruch, die beiden skizzierten Traditionen aus der Managementpraxis und -forschung kommend mit wissenschaftlichem Anspruch, aber zugleich praktischer Relevanz zusammenzuführen. Zudem hebt sich das Buch von den Klassikern des Projektmanagements insofern ab, als dass hier ein breiterer Kontext, der von temporärem Organisieren gewählt und systematisch andere temporäre Phänomene jenseits von Projekten mit in den Blick genommen werden. Das Buch richtet sich in erster Linie an Studierende, die Projektmanagement oder auch Management, Organisation und Innovation im Allgemeinen verstehen wollen oder, bislang eher selten im Rahmen von Pflichtmodulen, müssen. Es richtet sich zudem an Praktiker, die einfache Rezepte und Tools des Projektmanagements kritisch hinterfragen und ein tieferes Verständnis über die sozialen und organisationalen Prozesse erlangen möchten, die tatsächlich in Projekten ablaufen. Nicht zuletzt richtet sich das Buch auch an Forscherinnen und Forscher, denn das Buch bietet auch einen umfassenden Literaturüberblick und rekurriert auf die einschlägigen wissenschaftlichen Diskurse der letzten 2-3 Jahrzehnte. Insofern eignet sich das Buch auch dafür, wissenschaftlich einen Einstieg in den Komplex der Projektmanagementforschung bzw. der Forschung zum temporären Organisieren zu ermöglichen.
Das Buch knüpft an die Vorarbeiten der beiden Autoren an. So hat Jörg Sydow systematisch seine Arbeiten im Bereich der interorganisationalen Beziehungen und Netzwerke einfließen lassen, denn ein relationales und kontextualisiertes Verständnis von Projekten stellt eine der zentralen Linien zeitgemäßer Projektmanagementforschung dar. Timo Braun hat eigene Forschungsarbeiten mit eingebracht, die vielfach den Bogen spannen zwischen Individuum, Projekt und Organisation. Der Umgang mit Mehrebenen-Problematiken stellt im heutigen Projektmanagement eine weitere zentrale Facette dar. Viele Themenkomplexe des Buches wurden auch bereits mehrfach in Lehrveranstaltungen von Timo Braun erprobt, u. a. im Bachelorstudienfach »Projektmanagement« an der Freien Universität Berlin und im Masterstudienfach »Managing Temporary Organizations« an der Technischen Universität Kaiserslautern; und von Jörg Sydow als Lehreinheit zu »Projektnetzwerken« im Management & Marketing Master der Freien Universität Berlin. An der Vorbereitung einzelner Lehreinheiten und der Aufbereitung von Materialien und Abbildungen konnten wir auf die Unterstützung studentischer Hilfskräfte zählen, denen wir uns zu Dank verpflichtet fühlen. Hierbei sind in erster Linie Luisa Caretta Hopp und Jonas Will zu nennen. Dank schulden wir schließlich auch Uwe Fliegauf, der von diesem Buchprojekt von Beginn an begeistert war und unser temporäres Organisieren zu diesem Projekt verlagsseitig in seiner ihm eigenen freundlichen Art unterstützt und professionell begleitet hat.
Berlin-Dahlem, im Juni 2019
Timo Braun und Jörg Sydow
Reihenvorwort
Vorwort
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
TEIL I: Einführung und Grundlagen
1 Projektifizierung: Auf dem Wege zur Projektgesellschaft?
1.1 Der Beginn: Projektifizierung von Renault
1.2 Projektifizierung als Konzept
1.3 Projektifizierung: Von der Organisation zur Gesellschaft?
2 Projekte und andere Formen temporären Organisierens: Ein Überblick
2.1 Ein organisationstheoretisches Verständnis von Projekten: Das 4T-Framework
2.2 Temporäre Aufgaben: Projekte in und zwischen Organisationen
2.3 Temporalisierung von Akteuren: Personal und Organisation
3 Management des Temporären: Funktion, Institution, Praktik, Kontext
3.1 Managementfunktionen und -institutionen
3.2 Managementpraktiken und Spannungsverhältnisse
3.3 Kontexte: Organisation, Institution, Netzwerk, Feld
4 Helle und dunkle Seiten des temporären Organisierens
4.1 Die klassische Orientierung auf Effizienz und Effektivität, aber auch auf Projektrisiken
4.2 Die ergänzende Orientierung auf Ziele wie Flexibilität, Humanität, Innovativität, Resilienz und Verantwortlichkeit
4.3 Schattenseiten temporärer Organisation
TEIL II: Management von Projekten in Organisationen
5 Handelnde Personen im Projektmanagement
5.1 Anforderungen, Rollen und Kompetenzen
5.2 Prozesse und Dynamiken in Projektteams
5.3 Führung und Konfliktmanagement in Projekten
6 Management von Projekten in Organisationen
6.1 Temporäre Aufbauorganisation
6.2 Temporäre Ablauforganisation
6.3 Atypische Verläufe temporären Organisierens
7 Projektmanagement-Tools im Überblick
7.1 Techniken der Projektplanung
7.2 Stakeholder-orientiertes Projektmanagement
7.3 Agiles Projektmanagement
TEIL III: Management von Projekten in Netzwerken
8 Management von Projektnetzwerken
8.1 Projektmanagement und Netzwerkmanagement
8.2 Zur Rolle von Professionen und Feldern
8.3 Spannungsverhältnisse bei Management von Projektnetzwerken
9 Multiprojektmanagement und Projektportfolios
9.1 Organisationale Verankerung des Multiprojektmanagements
9.2 Der Multiprojektmanagementprozess
9.3 Projektportfolio-Management als zentrales Instrument des Multiprojektmanagements
10 Management von Megaprojekten
10.1 Merkmale und Verbreitung von Megaprojekten
10.2 Ursachen des Scheiterns von Megaprojekten sowie dysfunktionale Folgen der Altlast
10.3 Stakeholdermanagement im Rahmen von Megaprojekten
TEIL IV: Management anderer temporärer Organisationsformen
11 Temporäres Organisierens jenseits des Projektmanagements
11.1 Von der temporären Struktur zum temporären Akteur?
11.2 Befristete Beschäftigung in Organisationen
11.3 Entrepreneurship als Form temporären Organisierens?
12 Temporäres Organisieren und Innovation
12.1 Von der Kreativität zur Innovation?
12.2 Management organisationaler Innovationsprojekte
12.3 Management interorganisationaler Innovationsprojekte
13 Management geplanter und ungeplanter Ereignisse
13.1 Gestaltungskraft temporärer Ereignisse
13.2 Geplant: Eventmanagement
13.3 Ungeplant: Krisen- und Katastrophenmanagement
14 Theorien temporären Organisierens: Praxis- oder Institutionentheorie?
14.1 Theorienvielfalt statt -einfalt
14.2 Potenziale von Praxis- und Institutionentheorie
14.3 Auf dem Weg zu einer Theorie temporären Organisierens?
15 Zur Zukunft des Temporären Organisierens
15.1 Projektmanagement und Entrepreneurship
15.2 Projektmanagement und Nachhaltigkeit – oder: Grenzen der Projektifizierung?
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Abb. 3.1:
Plandeterminierter Managementprozess
Abb. 3.2:
Praktiken und Bewusstseinsebenen von Akteuren
Abb. 5.1:
Typische Rollenprofile in Projekten
Abb. 5.2:
Entwicklung individueller Kompetenzen
Abb. 6.1:
Unterscheidung von Aufbau- und Ablauforganisation
Abb. 6.2:
Projekte als hierarchie- und funktionsübergreifende Gebilde
Abb. 6.3:
Projektverankerung in der Stammorganisation
Abb. 6.4:
Stabsprojektorganisation
Abb. 6.5:
Linienintegrierte Projektorganisation
Abb. 6.6:
Matrixprojektorganisation
Abb. 6.7:
Reine Projektorganisation
Abb. 6.8:
Grad der Selbstständigkeit von Projekten
Abb. 6.9:
Idealtypische Ablauforganisation
Abb. 6.10:
Zieldimensionen
Abb. 6.11:
Von Strukturplan zu Ablaufplan zu Terminplan
Abb. 6.12:
Phasenmodell der temporären Organisation
Abb. 6.13:
Scheitern von Projekten in unterschiedlichen Phasen
Abb. 6.14:
Modell zur Entwicklung von Interorganisationsbeziehungen
Abb. 7.1:
Ereignisknoten-Netzplan
Abb. 7.2:
Vorgangspfeil-Netzplan
Abb. 7.3:
Umgang mit Scheinvorgängen im Netzplan
Abb. 7.4:
Ermittlung der Knoten
Abb. 7.5:
Stakeholder-Ebenen
Abb. 7.6:
Exemplarischer Ansatz zur Systematisierung des Stakeholdermanagements
Abb. 8.1:
Ein Innnovationsnetzwerk im optischen Cluster Berlin- Brandenburg
Abb. 8.2:
Projektnetzwerke in der Filmproduktion
Abb. 8.3:
Funktionen und Praktiken des Netzwerkmanagements
Abb. 8.4:
Spannungsverhältnisse des Netzwerkmanagements
Abb. 9.1:
Wirkungsbereich des Multiprojektmanagements in der Organisation
Abb. 9.2:
Aufgaben in der Multiprojektumsetzung
Abb. 9.3:
Organisationseinheiten im Multiprojektmanagementprozess
Abb. 9.4:
Matrixorganisation im Multiprojektmanagement
Abb. 9.5:
Idealtypischer Multiprojektmanagementprozess
Abb. 9.6:
Realistischer Multiprojektmanagementprozess
Abb. 9.7:
Erfolgswahrscheinlichkeits-Projektwertbeitrag-Portfolio
Abb. 9.8:
Balanced Scorecard im Multiprojektmanagement
Abb. 9.9:
Exemplarisches Beispiel eines Projektabhängigkeitsportfolios
Abb. 10.1:
Altlasten von Megaprojekten
Abb. 10.2:
Forschungsstränge zum Stakeholdermanagement in Großprojekten
Abb. 10.3:
Einflussstärke und Einflussmöglichkeiten von Stakeholdern
Abb. 11.1:
Motive der Unternehmen zur Nutzung von Onsite-Werkverträgen
Abb. 12.1:
Zur Rolle der Kreativität im Innovationsprozess
Abb. 15.1:
Zusammenhang der Projekt- und Entrepreneurship-Forschung
Abb. 15.2:
Projektifizierung als Merkmal des institutionellen Kontexts
Abb. 15.3:
Dynamik von institutionellem Kontext und Gründungspraktiken
Tab. 1.1:
Enges und breites Verständnis von Projektifizierung
Tab. 2.1:
Eine Typologie temporärer Organisationsformen
Tab. 5.1:
Mitarbeiteranforderungen in Projekten
Tab. 7.1:
Vorwärts- und Rückwärtsterminierung
Tab. 7.2:
Stakeholder-Umfeldanalyse
Tab. 9.1:
Exemplarisches Beispiel einer erweiterten Einflussmatrix
Tab. 14.1:
Noch einmal die Typologie temporärer Organisationsformen
Große Intrastrukturmaßnahmen wie der Flughafen BER in Berlin oder das Terminal 5 in London Heathrow, aber auch kleine Design-, Film- und Fernsehproduktionen werden üblicherweise als Projekte organisiert. Ohne hier einer genauen Definition vorzugreifen ( Kap. 2.1) zeichnen sich Projekte vor allem durch zeitliche Befristung aus, auch wenn sie – wie gerade das Beispiel BER oder auch die Elbphilharmonie in Hamburg zeigt – allzu oft nicht fristgerecht fertiggestellt werden. Projekte, aber auch ganze andere Formen temporären Organisierens wie etwa die nur vorübergehende Teilnahme von Gründungswilligen an einem Akzelerator-Programm oder die zeitlich begrenzte Mitarbeiterüberlassung in der Leih- und Zeitarbeit, auf Managementebene auch als »Interim Management« (Bloemer 2008) bekannt, sind heute weit verbreitet. Vor mehr als zwei Jahrzehnten wurde für diese Entwicklung, vor allem damals natürlich noch mit dem Blick auf die Verbreitung von Projekten in Organisationen, der Begriff »Projektifizierung« (Midler 1995) geprägt. Heute ist gar die Rede von einer noch weiterreichenden Entwicklung des projektbasierten Organisierens in die meisten, durchaus auch privaten Lebensbereiche hinein (Lundin et al. 2015).
Mündet diese Entwicklung etwa in eine Gesellschaftsformation, in der das Temporäre überwiegt? Hat die langfristige, im Zweifel gar lebenslange Beschäftigung in einer Organisation genauso wie kontinuierliches, jahrelanges Engagement für eine gute Sache ausgedient? Solchen Fragen wollen wir in diesem Kapitel nachgehen. Zuvor allerdings geht es um Begriff und Konzept der Projektifizierung. Ist es tragfähig genug, eine solche Entwicklung nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu erfassen? Muss das Konzept dafür spezifiziert werden?
Interessanterweise wurde der Begriff der Projektifizierung bei der Untersuchung eines sehr traditionellen Unternehmens geprägt: des damals noch rein französischen Automobilherstellers Renault. Solche Original Equipment Manufacturers (OEMs) standen bis dahin eigentlich nicht in dem Verdacht, in einem ähnlichen Maße wie Anlagenbauer, Hoch- und Tiefbauunternehmen, Filmproduktionsgesellschaften, Werbe-, Design- und Eventagenturen oder Beratungsunternehmen von Projekten als temporärer Organisationsform Gebrauch zu machen. Diese letztgenannten Unternehmen werden als »project-based organizations« (Hobday 2000) bzw. projektbasierte Organisationen (PBO) bezeichnet, weil sie ihren Hauptzweck in Form von Projekten verfolgen. Ein OEM, zumal ein Automobilhersteller wie Renault, weist demgegenüber eine eher klassische, permanente Organisation auf, die allenfalls durch Projekte unterstützt wird. Lundin et al. (2015) unterscheiden solche »project-supported organizations« (PSO) denn auch scharf von PBO wie Anlagenbauer oder Filmproduktionsfirmen; darauf wird zurückzukommen sein ( Kap. 2.2).
Midler (1995) untersuchte vor allem den Forschungs- und Entwicklungsbereich von Renault. Während dieser in der Regel seit jeher projektförmig organisiert sein dürfte – auch und gerade bei den forschungsintensiven OEMs der Automobilindustrie –, sieht der Forscher die zunehmende Innovationsgeschwindigkeit sowie Produktdifferenzierung als die treibenden Kräfte der Projektifizierung, verstanden als einen Prozess organisationaler bzw. organisationsweiter Verbreitung der Projektform. Während in den 1960er Jahren Projekte bei Renault nur informell die permanente Organisation ergänzten, waren die 1970er und 1980er Jahre durch zunehmende Formalität und Zentralität der Projektorganisation gekennzeichnet. Die ersten formell ausgebildeten Projektmanager rekrutierte Renault bereits Anfang der 1970er Jahre in den USA, wo sich das Projektmanagement in Folge ausgiebiger Erfahrungen mit Großprojekten während des Zweiten Weltkriegs (z. B. Manhattan Project; vgl. dazu Lenfle/Loch 2010) rascher und stärker professionalisiert hatte als in Europa. In etwa zeitgleich kamen bei Renault vermehrt auch Instrumente zur Planung und Steuerung von Projekten zum Einsatz ( Kap. 7). Erst Ende der 1980er Jahre setzte bei Renault eine darüber deutlich hinausgehende, organisatorische Entwicklung ein; erst diese veranlasst Midler von Projektifizierung zu sprechen.
Genauer führte Renault 1989 mit der Entwicklung des Twingo eine Projektorganisation ein, in der Projektleitern (Midler spricht von »project directors«) eine signifikant größere Autonomie eingeräumt wird. Zusätzlich werden Funktionen projektifiziert, die von Mitgliedern derjenigen Abteilungen eingenommen wurden, die ebenfalls an der Produktentwicklung beteiligt sind (z. B. Einkaufsabteilung). Auch wird deutlich mehr Wert auf horizontale Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Projektteams gelegt. Insgesamt lässt sich für diese Phase festhalten:
»The Twingo project was a spectacular experiment to demonstrate how such autonomy could be used to create an organizational context which could drive all the energies and concerns towards the key problems of a specific project« (Midler 1995, S. 367).
Diese organisationale Entwicklung, die bei Renault mit dem Twingo angestoßen worden ist und aufgrund der Einbeziehung von Lieferanten in dessen Entwicklung schon damals deutlich über die Organisationsgrenzen des Unternehmens hinausstrahlte, erfasste nicht nur den Forschungs- und Entwicklungsbereich. Vielmehr dehnte sich die Projektifizierung bzw. Temporalisierung nach und nach auch auf andere Bereiche der (noch permanenten) Organisation aus. Mit seiner Renault-Studie hat Midler nicht nur den Begriff der Projektifizierung eingeführt und eine Debatte über Art und Ausmaß der Projektifizierung angestoßen (vgl. Maylor et al. 2006; Aubry/Lenfle 2012; Lundin et al. 2015; Baur et al. 2016; Jensen et al. 2016). Vielmehr hat er auch die Schnittstelle von temporärer und permanenter Organisation problematisiert. Jenseits dieser Schnittstelle geht die heutige Forschung noch einen Schritt weiter und beleuchtet auch den Zusammenhang von temporären Organisationen und Netzwerken ( Teil III).
Projektifizierung könnte man vor dem Hintergrund der Entwicklung bei Renault definieren als den Trend zur Organisation von Wertschöpfung durch Arbeit in Projekten, einer temporären Form der Organisation (Lundin/Söderholm 1995; Turner/Müller 2003; Bakker et al. 2016; Jensen et al. 2016). Werden Projekte innerhalb einer Organisation abgewickelt, entsteht eine »projectified organization«; ein Typ von Organisation, in dem in letzter Konsequenz – wie in PBO – das Projektgeschäft dominiert und die permanenten Strukturen auf ein Minimum reduziert sind. Die PSO wäre allenfalls eine Etappe in diesem Trend, gleichwohl kommt ohne Projekte, die die permanente Organisation unterstützen, schon heute kaum noch ein Unternehmen und auch keine öffentliche Verwaltung aus.
Midler (1995) hat mit seiner Studie bei Renault die Projektifizierung genau genommen auf zwei Ebenen untersucht: für den Teilbereich der Forschung und Entwicklung und, mit Einschränkungen, auch für die Organisation von Renault als Ganzes. Für den Teilbereich der Forschung und Entwicklung konnte schon damals – wenig überraschend – eine weitgehende Projektifizierung festgestellt werden, obwohl sich die Art im Laufe der Zeit – wie angesprochen – deutlich gewandelt hat. Wichtig allerdings ist, dass neben dem Forschungs- und Entwicklungsbereich auch andere Bereiche der permanenten Organisation projektifiziert, zumindest stärker auf Projektorganisation ausgerichtet wurden:
»The novelty was not in the trend to organising work through projects but in the organizational changes that accompanied this trend« (Maylor et al. 2006, S. 663).
Generalisiert man diese Einsicht in den Prozess bei Renault stellt sich die Frage, ob sich nicht viele Industrieunternehmen, also nicht nur OEMs der Automobilindustrie, in den letzten Jahrzehnten auf den Weg zu einer Projektifizierung begeben haben. Während diese genauere Frage in gewisser Weise offenbleiben muss, gibt es viele Hinweise auf die zunehmende Bedeutung von Projekten bei der Organisation von Wertschöpfung (Schoper et al. 2018).
Mit heute als überholt geltenden Daten haben vor zwei Jahrzehnten schon Andrew Pettigrew und Silvia Massini (2003) in einer konzeptionell ausgereiften und breit angelegten, international vergleichenden Studie den Wandel von Organisation in den Triade-Regionen Europa, Japan und USA untersucht. In den drei Regionen haben sie insgesamt über 700 Unternehmen u. a. auch nach der Verbreitung der Projektform gefragt und dabei festgestellt, dass diese in der Zeit von 1992/92 bis 1996/97 dramatisch zugenommen hat.
Eine Fortsetzung dieses Trends konstatieren zehn Jahre nach Midlers Renault-Studie auch Maylor et al. (2006) auf der Basis von Literaturrecherchen und Expertendiskussionen. Die Autoren führen auch eine Studie von PriceWaterhouseCoopers von Unternehmen in 30 Ländern an. Die dort erfassten 200 Unternehmen führten zusammen über 10.000 Projekte mit einem Volumen von $ 4.5 Mrd. im Erhebungsjahr durch. Mehr als ein Viertel der befragten Unternehmen war pro Jahr jeweils in mehr als 100 Projekte involviert. Der weitaus größte Teil der Projekte befasst sich mit der Einführung oder Umstellung von IT, gefolgt von anderen Projekten zur Erhöhung der Unternehmensperformanz, zur Produktneuentwicklung, zur Strategieentwicklung und zum Aufbau von Infrastruktur. Wichtige Gründe für eine Zunahme des Projektgeschäfts sehen Maylor und Kollegen darin, dass die Projektform den zunehmend einzigartigen und vorübergehenden Aufgaben von Organisationen angemessener ist. Zudem verlange auch die organisationsübergreifende Zusammenarbeit genauso wie die wachsende Bedeutung von Dienstleistungen vermehrt nach der Projektform. Gleichzeitig entstünde mit der Verbreitung der Projektform die Notwendigkeit, in – aber auch zwischen – Organisationen, Projekte stärker zu koordinieren. Maylor et al. ergänzen deshalb den Trend zur »projectification« durch den zur »progammification«, weil Programme (neben Portfolios) den klassischen Ansatzpunkt zur projektübergreifenden Koordination wie auch zum Lernen in der Organisation bieten ( Kap. 9).
Etwa zur gleichen Zeit sprach die Deutsche Bank Research (2007) mit Blick auf Deutschland in einer – zugegebenermaßen methodisch umstrittenen – Studie von einer sich ankündigenden »Projektwirtschaft«. Für jene Zeit, so schätzte man, wurden nur wenige Prozente der Wertschöpfung in Projektform erwirtschaftet; für das Jahr 2020 wurde von der Studie immerhin eine Steigerung auf 15 Prozent prognostiziert. In einer neueren, wesentlich umfassenderen und methodisch anspruchsvolleren Studie der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM 2015) wird davon ausgegangen, dass über ein Drittel – genauer 34,7 % – des deutschen Bruttoinlandsprodukts in und mit Projekten erwirtschaftet wird. Bis zum Jahre 2020 soll dieser Anteil noch weiter kontinuierlich bis auf über 40 % steigen. Vor allem vermeintlich projektferne Branchen wie Bildung und Erziehung, Gesundheit, Handel und öffentliche Dienstleistungen sollen zu diesem Wachstum beitragen. Allerdings wird in dieser Studie auch von einem deutlich weiteren Projektverständnis als in der Studie der Deutschen Bank Research ausgegangen, wenn ein Projekt im Wesentlichen im Einklang mit DIN 69901-5 definiert wird:
»Vorhaben, das im Wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist. Beispiel: Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Begrenzungen, projektspezifische Organisation« (S. 11).
Gleichzeitig ist mit dem darüberhinausgehenden Ansatz einer Mindestdauer eines Projekts von vier Wochen und einer Bearbeitung durch mindestens drei Personen das Projektverständnis eingeengt, zumal auch noch (Projekt-)Aufgaben mit Routinecharakter aus der Definition ausgeklammert sind. Trotz dieser Limitationen ist dieser Versuch einer ernstzunehmenden Messung von Projektifizierung international auf großes Interesse in der Projektmanagementforschung gestoßen. So wurde der methodische Ansatz nicht nur auf weitere Länder übertragen (Schoper et al. 2018), sondern dieser Forschungsansatz stand ebenfalls im Mittelpunkt der International Research Conference on Project Management 2018. Hier hat sich u. a. gezeigt, dass international zurzeit in vielen Ländern parallel der Versuch unternommen wird, das Ausmaß der Projektifizierung systematisch zu erfassen.
Außer auf der Ebene der Gesamtorganisation bzw. organisationaler Subsysteme (z. B. Abteilung oder Geschäftsbereich) hat das Konzept der Projektifizierung mittlerweile auf weiteren Analyseebenen Bedeutung erlangt. Dazu gehört neben der Branchen-, Sektoren- und Regionalebene auch die gesamte Gesellschaft eines Landes. Eine wesentliche Triebkraft dazu sind Förderungsprogramme, nicht nur nationaler, regionaler und lokaler, sondern gerade auch transnationaler Art. Zu letzteren gehören beispielsweise Förder- und Entwicklungsprogramme der Europäischen Union (EU), die nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im öffentlichen Bereich (z. B. zur Implementierung von Politiken) erheblich zur Projektifizierung beigetragen haben (vgl. Jensen et al. 2018). Im Zuge der fortwährenden Professionalisierung solcher Programme kann tendenziell mit einer noch weiter fortschreitenden Projektifizierung gerechnet werden. Wissenschaftliche Forschung ist, nicht zuletzt auch angestoßen durch solche Programme, bereits in einem Ausmaße projektifiziert, dass die Permanenz von Organisation und insbesondere unbefristete Beschäftigung dahinter deutlich zurückgetreten ist (vgl. Baur et al. 2016).
Mit Blick auf die Konzentration der Projektform in bestimmten Branchen und Regionen hat Gernot Grabher (2004a, b) das Konzept der Projektökologie in Stellung gebracht. Neben der organisationalen bzw. relationalen Dimension von Projekten wird damit vor allem die regionale Ballung von Aktivitäten projektbasierten Organisierens konzeptualisiert. Diese untersucht der Autor anhand der im Londoner Stadtteil Soho konzentrierten Werbebranche sowie der Softwarebranche im Raum München. Überall dort, wo intensiv geforscht und entwickelt wird, ist mit solchen Projektökologien zu rechnen.
Ein Beispiel für die zunehmende Projektorientierung einer ganzen Region lässt sich aber auch in der Entrepreneurship- bzw. Gründerszene im Raum Berlin erkennen. Dort haben sich nach der innerdeutschen Wiedervereinigung und verstärkt ab der Jahrtausendwende zunehmend Investoren (wie Venture Capitalists und Business Angels) und allerlei intermediäre Inkubatoren und Akzeleratoren niedergelassen (vgl. Auschra et al. 2018). Auch an den öffentlichen und privaten Universitäten und Hochschulen entstanden Programme, um Gründungsaktivitäten systematisch zu fördern. Parallel dazu, und gewiss durch diese unterstützende Infrastruktur bedingt, wuchs die Anzahl an Gründungsprojekten, wobei diese die Besonderheit aufweisen, dass am Ende der temporären Organisation im Erfolgsfalle eine permanente steht. Deutlich wird der Projektifizierungscharakter in dieser Szene mit Blick auf die von Gründern und Gründerinnen verlangten Praktiken einer projektförmigen Vorgehensweise. So werden Gründungsaktivitäten heutzutage in Projektform von der ersten Idee an, die oft an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen reift, durch ein initiales Projekt (z. B. EXIST-Stipendium) gefördert. Entwickelt sich das Gründungsvorhaben positiv, stehen Folgeprojekte in Aussicht (z. B. privates und öffentliches Seed-Funding). Erweisen sich diese wiederum als erfolgreich, sind erneut zeitlich begrenzte Förderungen möglich, die bestenfalls in einem »Level A«-Funding (Millionenbetrag seitens großer Investoren) resultieren. Wie bei Projekten kommt es auch in diesen Gründungsprozessen regelmäßig zu Abbrüchen. So besteht das Ziel vieler Gründer darin, das Start-up durch einen erfolgreichen Exit (Verkauf an Investoren) zu verlassen, wobei das Unternehmen in diesem Fall von anderen weitergeführt wird.
Auf die Zusammenhänge von projektbasiertem Organisieren und Gründertum weisen vor allem Kuura et al. (2014) und Lindgren und Packendorff (2003) hin ( Kap. 15.1). Während die Forschergruppe um Arvi Kuura die Potenziale für die Forschung durch Synergien und kreative Spannungen vor dem Hintergrund einer Zusammenführung beider Forschungsstränge aufzeigen, führen Monica Lindgren und Johann Packendorff einen »Project-based view of entrepreneurship« ein, mit dem sie bestimmte Phänomene in Gründungsprozessen mit Logiken erklären, die typisch für projektbasiertes Organisieren sind; allen voran die Orientierung auf Handlung und Veränderung, die relationale und temporale Einbettung von Aktivitäten (z. B. in Projektnetzwerke oder Serial Entrepreneurship) sowie das kollektive Handeln, das mitunter in Form von Projektteams bzw. in Gründerteams erfolgt.
In einem jüngeren Beitrag unterscheiden Packendorff und Lingren (2014) zweckmäßiger Weise dieses im Kern organisatorisch oder gar organisational vorgeprägte Verständnis der Projektifizierung von einem breiter angelegten, kulturell geprägten und diskursiv vermittelten, gesellschaftsbezogenen Verständnis ( Tab. 1.1). Projekte sind danach auch in anderen Lebensbereichen legitim und wünschenswert, dringen in professionelle Identitäten ein, dienen als Grundlage zur Verteilung von Macht und Lebenschancen und prägen manchmal gar einen Lebensstil, etwa den vieler Künstler und Künstlerinnen. In diesem Zusammenhang verweisen die Autoren auch auf die Performativität von Projekten und Projektmanagement, ggf. auch von Projektmanagementforschung. Damit ist die oft prägende Wirkung dieser Organisationsform und ihres Managements angesprochen.
Lundin et al. (2015) konstatieren vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen im Vorwort zu ihrem Buch Managing and Working in Project Society – Institutional Challenges of Temporary Organizations:
»The projectification of business and working life is ongoing and strong. This movement goes beyond traditional project-organized sectors such as construction, consultancy, media, and entertainment. Project thinking is spreading to most parts of society including, industrial enterprises, governmental organizations, educational institutions, and volunteer groups. Not only do people relate to projects and to project organizing in their working lives, but they even speak and think of their daily activities in project terms« (S. IX).
Narrow view of projectificationBroad view of projectification
Tab. 1.1: Enges und breites Verständnis von Projektifizierung (Quelle: Packendorff und Lindgren (2014, S. 10))
Und Jensen et al. (2016) lassen sich sogar dazu verführen, von Projekten als eine condicio humana zu sprechen und in der Philosophie nach Antworten im Hinblick auf die Bedeutung von Raum und Zeit, von Aktivität und Beziehung im Sozialen zu fahnden; schießen mit dieser Formulierung aber wohl etwas über das Ziel hinaus. Sicherlich richtig ist aber, dass Projekte bzw. andere Formen temporärer Organisation immer stärker das gesellschaftliche Leben prägen. Projekt ist eben nicht nur ein Label oder eine Metapher, sondern auch eine Praxis sowie ein performatives, d. h. die Wirklichkeit mitkonstituierendes Konzept (Packendorff 2014); und dies auch im privaten, nicht nur im geschäftlichen Bereich.
In letzterem wird schon seit Jahren auf die Bedeutung des Projektgeschäfts hinwiesen. Projektgeschäft umfasst gemeinhin »the part of business that relates directly or indirectly to projects, with the purpose of achieving objectives of a firm or several firms« (Artto/Wikström 2005, S. 351). Dabei geht es – wie wir in den folgenden Kapiteln zeigen werden – beim Projektmanagement nicht nur um das Management eines einzelnen Projekts innerhalb einer Organisation oder um das Aufsetzen und Durchführen eines interorganisationalen Projekts, an dem mindestens zwei Organisationen beteiligt sind. Vielmehr geht es – und zwar immer häufiger – auch um das Management ganzer PSO und PBO sowie komplexer Projektnetzwerke, die sich allesamt durch eine Vielzahl von Projekten auszeichnen (vgl. dazu auch Artto et al. 2011).
Projekte wie der Bau des Flughafens BER in Berlin oder des Terminals 5 in London Heathrow oder die bereits angeführten kleineren Film- und Fernsehproduktionen repräsentieren sicherlich die populärste Form temporärer Organisation. Obwohl der Begriff des Projekts nach wie vor umstritten ist, wird bei der Bestimmung vielfach auf das bewährte 4 T-Framework von Rolf Lundin und Anders Söderholm (1995) zurückgegriffen, mit Hilfe dessen die Projektforschung erstmalig systematisch mit der Management- und Organisationsforschung verknüpft worden ist. Erst seitdem wird Projektmanagement als ein ernstzunehmendes management- und organisations- bzw. sogar sozialwissenschaftliches Forschungsfeld angesehen (Bakker 2010; Braun 2013).
Allerdings gibt es neben Projekten auch noch andere Formen temporären Organisierens. Der Blick dafür wurde schon früh eröffnet, hatte lange Zeit aber keine großen Konsequenzen für die Management- und Organisationsforschung im Allgemeinen und die Projektmanagementforschung im Besonderen. Schon vor mehr als einem halben Jahrhundert hatten Miles (1964) sowie Bennis (1965) den Begriff des temporären Systems genutzt und ihn u. a. auf Projekte übertragen, denen sie schon damals eine große Zukunft voraussagten. Wie sich heute zeigt zu Recht. Eine begriffliche Präzisierung temporärer Systeme nahmen wenig später Goodman und Goodman (1976) vor, die solche Systeme am Beispiel von Theatergruppen studiert hatten (vgl. dazu auch Bryman et al. 1987, S. 253 ff.):
»A temporary system (or organization) is defined as: a set of diversely skilled people working together on a complex task over a limited period of time« (Goodman/Goodman 1976, S. 494).
Die Begriffe des temporären Systems bzw. der »temporary organization« (Lundin/Söderholm 1995) halfen nicht nur die Projektmanagementforschung stärker mit Fragen, Theorien und Methoden der allgemeinen Management- und Organisationsforschung zu verbinden. Vielmehr sensibilisierten diese Begriffe, nicht zuletzt durch den Einschluss von und Anschluss an dort generiertes Wissen, für die systematische Einbettung von Projekten und anderen temporären Systemen in permanentere Strukturen. Zudem öffnete diese Forschung den Blick für die Systemeigenschaften dieser, aber eben auch anderer temporärer Organisationsformen. Eine solcher Systemeigenschaften ist die Emergenz, d. h. die Entstehung des Systems über die Zeit und seine nicht vollständige Rückführbarkeit auf absichtsvolle Handlungen einzelner Akteure. Soziale Systeme, eben auch temporäre und permanente Organisationen, entstehen zwar durch absichtsvolle Handlungen, sind aber immer eben auch durch unintendierte Folgen solcher Handlungen, das Zusammenwirken bzw. Zusammentreffen mit Handlungen anderer sowie äußere Ereignisse geprägt (vgl. zum Begriff der Emergenz nun z. B. Garud et al. 2015).
René Bakker und Kollegen (2016) knüpfen an eine solche systemische Sicht an und nutzen die für Soziales fundamentalen Dimensionen der Struktur einerseits sowie des Akteurs andererseits, um Formen des temporären Organisierens zu typisieren ( Tab. 2.1). Dies geschieht im Lichte der sozialtheoretisch grundlegenden Einsicht, dass jedwede Praxis, auch die Praxis temporärer Organisation, letztlich nur aus dem Zusammenwirkungen von Strukturen des jeweiligen Systems (z. B. einer PBO) und Handlungen der Akteure (z. B. der Organisationsmitglieder) erklärt werden kann. Dazu bedarf es dann nicht nur der Betrachtung verschiedener Ebenen (z. B. neben der PBO auch der jeweiligen Projektteams und der Projektökologie), sondern auch einer Konzeptualisierung des Zusammenspiels von Handlung und Struktur, die den lange Zeit vorherrschenden Dualismus überwindet und diesen in eine Dualität überführt (Giddens 1984; Farjoun 2010).
Structure\ ActorTemporaryPermanent
Tab. 2.1: Eine Typologie temporärer Organisationsformen (Quelle: Bakker et al. (2016, S. 1706))
Sieht man von der in diesem Zusammenhang allenfalls als Kontrastfall interessierenden permanenten Organisation, die sich idealiter durch sowohl permanente Strukturen als auch dauerhafte Mitgliedschaft von Akteuren (als Organisationsmitgliedern) auszeichnet, einmal ab, sind drei Fälle temporärer Organisation zu unterscheiden:
(1) die temporäre Organisation im engeren Sinne, die – wie ein Projekt ohne Geschichte und Zukunft oder auch ein ebensolches interorganisationales Projekt (IOP) – durch sowohl temporäre Strukturen als auch temporäre Zugehörigkeit der Akteure gekennzeichnet ist und aufgrund ihrer Flüchtigkeit manchmal auch mit Attributen wie »ephemeral«, »pop-up« oder »disposable« versehen wird; entsprechende IOPs firmieren manchmal auch unter Begriffen wie »multi-organisationale Projekte« (Leufkens/Noorderhaven 2011), »Projektkoalition« (Winch 2006) oder »Projektallianz« (Bouncken 2011); tatsächlich sind IOP nicht nur zeitlich, sondern auch sozial eingebettet, etwa in Organisationen oder Projektnetzwerk (Jones/Lichtenstein 2008);
(2) die semi-temporäre Organisation, die ebenfalls temporäre Strukturen aufweist, erlaubt sie doch »temporary organizations within organizations« (Shenhar 2001, S. 395); diese werden allerdings – wie im Falle etwa projektbasierter Organisationen in der Bauindustrie – oft mit das einzelne Projekt überdauernden Organisationsmitgliedern bestückt; bei »Projektnetzwerken« (Sydow/Windeler 1999) finden sich entsprechend das einzelne Projekt überdauernde Netzwerkmitgliedschaften;
(3) die semi-permanente Organisation mit auf Dauer angelegten Strukturen aber nur temporärer Beschäftigung bzw. Aufnahme von Akteuren, etwa als Freelancer, Leih- oder Kontraktarbeiter oder Interimsmanagerin bzw. – im Falle von Akzeleratoren und Inkubatoren – Unternehmensgründer.
Im Zusammenhang mit der Untersuchung temporärer Marketingorganisationen, deren Bedeutung im Zuge der Konzentration auf Kernkompetenzen ebenfalls deutlich zugenommen hat, wird aufgrund der unter (2) und (3) zu konstatierenden Verwobenheit mit permanenten Organisationsformen neuerdings von »hybrids« gesprochen, die zwischen »stand alone temporary organizations« einerseits und »fully embedded temporary organizations« andererseits verortet werden (Hadida et al. 2019).
Während die Gestaltung der Strukturen in diesen Formen üblicherweise als Organisationsaufgabe gesehen wird, ist die Ausgestaltung der Akteurskomponente typischerweise eine stärker verteilte Aufgabe. An ihr wirken in bzw. aus Organisationen heraus u. a. das Personalmanagement sowie – im Fall der Kontraktarbeit – das Beschaffungswesen mit; oder aber – wie im Fall von Akzeleratoren und Inkubatoren – der Forschungs- und Entwicklungsbereich. Im Folgenden soll es, bevor auch diese mitgliedschaftsbezogene Dimension etwas vertieft wird, zunächst darum gehen, ein genaueres, organisationstheoretisches Verständnis von Projekten als der wichtigsten Form temporären Organisierens zu erarbeiten.
Das von Lundin und Söderholm (1995) entwickelte 4T-Framework hat sich als ein sehr einflussreicher Ansatz im Bereich der Projektmanagementforschung erwiesen. Danach lassen sich als typische Merkmale von Projekten festhalten:
• Time. Die Zeitdimension ist das wichtigste und ganz elementare Bestimmungsmerkmal von Projekten bzw. temporären Organisationen; bei letzteren ist die Zeit sogar namentlicher Bestandteil. Die zeitliche Begrenztheit und der bereits in der Organisation angelegte Terminierungsmechanismus erlauben damit sogleich die Abgrenzung von permanenten Organisationsformen (Lundin/Söderholm 1995; Kenis et al. 2009). Die Befristung ist jedoch mit Blick auf die Einbettung von Projekten in ihren historischen und relationalen Kontext teilweise zu relativieren. So sind Projekte nicht selten eingebunden in längerfristige Projektnetzwerke (Windeler/Sydow 2001) oder das Projektende wird solange aufgeschoben bis das Projekt in eine mehr oder weniger permanente Organisation übergeht (vgl. für entsprechende Beispiele etwa Bryant et al. 1987, S. 256 oder Müller-Seitz/Sydow 2011).
• Team. Projekte basieren in der Regel auf Teamstrukturen, also Personen die eng, in wechselseitiger Abhängigkeit zusammenarbeiten (Goodman/Goodman 1976). Oft wird die Projektleiterin hierarchisch hervorgehoben, wobei die Teamstrukturen ansonsten als tendenziell eher flach bezeichnet werden können. Projektteams sind häufig Gegenstand der Gruppenforschung gewesen, so z. B. mit Blick auf die Dynamiken der Gruppenentwicklung. Jedoch hat diese Forschung weitgehend versäumt, die Projektform systematisch mit in den Blick zu nehmen und die Projektteams stattdessen vom Kontext isoliert in einer Laborsituation untersucht. Dabei spielen organisationale und vor allem – wie im Falle von IOP – auch organisationsübergreifende Aspekte eine wichtige Rolle. Die beteiligten Individuen bringen dort organisational gefärbte Erfahrungen, Erwartungen und auch Zielsetzungen mit ein, die es zu vereinbaren gilt. Nichtsdestotrotz kommt der Qualität von Teamarbeit eine maßgebliche Bedeutung mit Blick auf den Projekterfolg zu (Hoegl/Gemünden 2001). So konnte etwa gezeigt werden, dass die zeitliche Begrenzung von Projekten dazu führt, dass die Teams sich auf die Bewältigung der greifbaren Aufgabe konzentrieren anstatt Informationen – wie in einer permanenten Organisation üblich – eher systematisch zu verarbeiten (Bakker et al. 2013).
• Task. Die Aufgabe ist gewissermaßen die Daseinsberechtigung von Projekten (Lundin/Söderholm 1995); sie bestimmt das Wesen, die zeitliche Dauer und auch die Entwicklung von temporären Organisationen (Kenis et al. 2009). Die Aufgabenbeschaffenheit wird mitunter als eher einzigartig – im Gegensatz zu repetitiv bzw. routinehaft – beschrieben. Zudem werden Projekte tendenziell eher für komplexe, oft innovative Aufgaben eingesetzt. Sind Projekte – wie etwa bei PSO – als Sekundärorganisation aufgesetzt, ist häufig auch die Absicht damit verbunden, Veränderungen in der Primärorganisation anzustoßen oder umzusetzen. Im Rahmen von IOP mit mehreren organisationsexternen Partnern gestaltet sich die Aufgabengestaltung in der Regel noch schwieriger, da dort wiederum die verschiedenen organisationalen Perspektiven zu berücksichtigen sind. Hierbei ist es auch üblich, dass sich die Ziele im Projektverlauf mehrfach ändern und einer kontinuierlichen Anpassung bedürfen. In manchen Branchen ist dafür sogar ein Standardprozess vorgesehen, etwa im Baugewerbe, wo Auftragsänderungen zu sog. »Change Requests« führen, die auch für das Projektbudget nicht folgenlos bleiben. So sind Bauunternehmungen regelmäßig darauf bedacht, durch »Claim Management« Nachforderungen für Abweichungen oder Erweiterungen gegenüber dem Bauplan zu erheben.
• Transition. Der Wandel wird von Lundin und Söderholm als notwendig und nützlich beschrieben, etwa um organisationale Trägheit zu überwinden und als Organisation eine neue strategische Ausrichtung zu nehmen. Interessanterweise unterscheiden die Autoren zwischen zwei Ebenen auf denen dieser Wandel ablaufen kann. Einerseits sieht sich das Projektteam in einem ständigen Transformationsprozess, da sich das Team im Projektverlauf findet, formiert, aufeinander einstellt, ggf. verändert und gegen Ende des Projektes auch wieder auflöst – einschließlich der vielen soziologischen und sozialpsychologischen Teilprozesse, die in diesem Verlauf zu finden sind. Anderseits wird die Projektform häufig gewählt, um Transformationsprozesse einzuleiten oder umzusetzen, etwa wie im oben beschriebenen Fall, dass Projekte Veränderungen in der Primärorganisation erwirken sollen. Insofern spielt hier die Schnittstelle von Temporärem und Permanentem wiederum eine ganz zentrale Rolle (Jacobsson et al. 2013). Dies ist regelmäßig der Fall bei Organisationsentwicklungs-, Strategie- und IT-Projekten (vgl. ein Beispiel für ein solches »transitional project« findet sich bei Ivory/Vaughan 2008).
Genau 15 Jahre nach dem Erscheinen des Aufsatzes von Lundin und Söderholm hat es sich Bakker (2010) zur Aufgabe gemacht, die bis dato erschienen Fachartikel zu analysieren, die in einem Zusammenhang zu den 4T-Dimensionen stehen. Der Autor bestätigt das Framework im Wesentlichen, kommt aber bei der Dimension der Transition zu dem Ergebnis, dass wenig Forschung in diesem Bereich stattgefunden hat (vgl. aber Jacobsson et al. 2013 als Ausnahme). Stattdessen identifiziert er den Kontext als weitere wichtige Dimension, die seiner Ansicht nach mehr Aufmerksamkeit verdient. Damit gemeint ist vor allem, dass Projekte – und das gilt auch für andere Formen temporärer Organisation – nicht isoliert betrachtet werden können, sondern dass deren Historie sowie Zukunft (zeitlicher Kontext) sowie auch die soziale und relationale Einbettung von Projekten berücksichtigt werden muss (Blomquist/Packendorff 1998; Engwall 2003). Wichtige Ausprägungen dieses Kontextes sind – aus der Sicht sowohl einzelner Projekte als auch einzelner PSO und PBO – nicht zuletzt auch Projektnetzwerke, Projektökologien und auch organisationale Felder ( Kap. 2.2 und 2.3). Diesen Kontexten werden wir in ihrer Unterschiedlichkeit und Wirksamkeit für das Projektmanagement bzw. temporäre Organisieren besondere Aufmerksamkeit widmen. Dabei geht es darum, die temporären Aufgaben in ihrer kontextuellen Einbettung und damit Projekte in und zwischen Organisationen genauer zu fassen.
Die herausragende Bedeutung der temporären Aufgabe für das organisationstheoretische Verständnis von Projekten ist als eines der vier Merkmale der 4T-Frameworks schon angesprochen worden. Temporäres Organisieren hängt an der zeitlichen Beschränkung solcher Aufgaben, auch wenn diese – wie in manchen Infrastrukturprojekten – manchmal auf mehrere Jahre angelegt ist und in der Praxis nicht selten neben dem Kosten- auch der Zeitrahmen überschritten wird.
Ähnlich wie die Aufgaben von permanenten Organisationen, z. B. Unternehmungen oder öffentlichen Verwaltungen, können auch die Projektaufgaben mit Blick auf Komplexität, Interdependenz, Variabilität, Innovativität und Strukturiertheit beschrieben werden (vgl. Tushman 1979; Staehle 1999, S. 676 ff.). Im Ergebnis ist eben Projekt nicht gleich Projekt. Vielmehr unterscheiden sich Projekte erheblich, nicht zuletzt auch in Hinblick auf die zu bearbeitenden Aufgaben. Wichtige Beschreibungsmerkmale von Aufgaben sind die Folgenden:
• Aufgabenkomplexität bezieht sich auf die Anzahl und Verknüpfungen der einzelnen Merkmale einer Aufgabe. Daran schließend bezeichnet Aufgabeninterdependenz die Abhängigkeit der Durchführung einer Aufgabe von anderen Aufgaben, im Zweifel in dem gleichen Projekt.
• Aufgabenvariabilität