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»Protest – ja, aber wie?« Ein nachdrücklicher Essay über Protestformen und ihre Konsequenzen Klimaproteste, Proteste gegen Reformen, gegen oder für Waffenlieferungen, solidarische Proteste für die Rechte der Frauen im Iran oder Coronaproteste – lebhafte Bekundungen des Missfallens treten derzeit häufig und in unterschiedlichsten Formen auf. Aber welche Art von Protest kann wirklich Veränderungen bringen? Helfen an Straßen geklebte Aktivist*innen der Klimapolitik oder schaden sie ihr? Ändern offene Briefe etwas an der Realpolitik? Und wenn nicht, warum dann überhaupt noch protestieren? Yasmine M'Barek argumentiert gelassen und präzise, was sinnvoll und demokratisch bei der Veränderung der Verhältnisse helfen kann und welche Aktionen kontraproduktiv sind. Denn eine Gesellschaft bekommt immer die Proteste, die sie verdient hat.
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Seitenzahl: 65
Protest
Ein nachdrücklicher Essay über Protest und seine Konsequenzen
Ob Klimaproteste oder Coronaproteste – lebhafte Bekundungen des Missfallens treten derzeit häufig und in unterschiedlichsten Formen auf. Aber welche Art von Protest kann wirklich Veränderungen bringen? Helfen an Straßen geklebte Aktivist*innen der Klimapolitik oder schaden sie ihr? Ändern offene Briefe etwas an der Realpolitik? Und wenn nicht, warum dann überhaupt noch protestieren?
Yasmine M’Barek, eine der einflussreichsten jungen Journalist*innen im deutschsprachigen Raum, argumentiert, was sinnvoll und demokratisch bei der Veränderung der Verhältnisse helfen kann und welche Aktionen kontraproduktiv sind. Denn eine Gesellschaft bekommt immer die Proteste, die sie verdient hat.
»Yasmine M’Barek schreibt verblüffend undogmatisch und unterhaltsam selbst dann, wenn es brenzlig wird. Dieses Buch wird Sie fesseln! Widerstand ist ausnahmsweise zwecklos.«Cornelius Pollmer (Süddeutsche Zeitung)
Yasmine M´Barek, hat die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft besucht und ist Redakteurin bei Zeit Online im Ressort X. 2020 wurde sie vom »Medium Magazin« unter die »Top 30 unter 30«-Journalist*innen gewählt. Im März 2022 erschien »Radikale Kompromisse« (Hoffmann & Campe). Yasmine ist regelmäßig in politischen TV-Talks zu Gast und hostet den ZEIT ONLINE Podcast »Ehrlich jetzt?«. Sie moderiert regelmäßig mit Markus Feldenkirchen den News-Podcast »Apokalypse und Filterkaffee«. Sie lebt in Köln und Berlin.
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leykam:seit 1585
YASMINE M’BAREK
ÜBER WIRKSAMKEIT UND RISIKEN DES ZIVILEN UNGEHORSAMS
ESSAY
leykam:Sachbuch
EINLEITUNG
PROTEST
KLIMAPROTEST, KLIMAKAMPF, KLIMAWANDEL
QUER DENKENDE
STELL DIR VOR, ES IST WELTUNTERGANG UND KEINER KOMMT HIN
DANKSAGUNG
QUELLEN UND ANMERKUNGEN
Die Young And Klarna Hard.
„Illusions are important.What you foresee or what you remember can be as important as what really happens.“
Javier Marías
Protest ist ein großes „Fick Dich!“. Er ist impulsiv, vulgär, rau, ehrlich. Und er hält die Demokratie in Bewegung. Über ein Jahrhundert, wenn nicht sogar über die letzten beiden Jahrhunderte hinweg, blieb Protest die einzige erfolgreiche demokratische Partizipation jener, deren Meinung keine Lobby hatte. Oder deren Meinung von der Gesellschaft lieber nicht gehört wurde, weil das Aufmerksammachen auf Probleme natürlich ihre Lösung in Aussicht stellt. Und die ist anstrengend.
Protest lässt sich leicht mit Anliegen konnotieren, die per se sehr idealistisch sind. Manche Menschen sind von ihm genervt. Andere empfinden eine Art von Erleichterung, dass jemand die Kraft oder Worte für etwas findet, das man selbst nur innerhalb von Instagram predigt. Protestierende eröffnen die Bühne für alle Anliegen, die im Politischen untergehen (können).
Protest wird oft von Menschen praktiziert, die Missstände innerhalb der Gesellschaft erfahren, selbst wenn diese demokratisch verursacht sind (das betrifft oft Themen wie zum Beispiel Pflege, Kitaplätze, Mindestlöhne). Vor allem wird er von Idealisten initiiert, die ihre Ideale in der Mitte der Gesellschaft platzieren oder immer wieder darauf aufmerksam machen, dass jeder1 seinen politischen Unmut mit dem Mittel des Protests zum Ausdruck bringen kann. Jeder von uns hat eine Neigung zum Protest, sowohl im privaten als auch im politischen Leben. Und jeder fürchtet ihn, denn es wird immer einen Protest geben, der auch den eigenen Lebensstil infrage stellt. Immerhin machen mit Protest Einzelne oder ganze Gruppen darauf aufmerksam, dass wir uns ficken sollen. Dass sie sich in der Demokratie nicht gehört fühlen, keine Lobby haben oder Angst spüren. Oder sie wollen uns davor warnen, dass es um uns herum brennt, wir aber genüsslich entkoffeinierten Cortado trinken, um unser Stresslevel zu senken. Dieses Wir sind übrigens immer jene, die den Status quo nicht infrage stellen, weil sie mit sich selbst beschäftigt sind. Das kann verschiedenste Gründe haben – nicht nur den Osterurlaub auf Norderney und zwei rote Zahlen im Familienunternehmen, es kann auch ein kaputter Kühlschrank und ein würdeloses Arbeitsamt sein. Ignoranz mag zwar genauso selbstlose Gründe haben, ganz ohne Cortado in der Kölner Südstadt, aber verschont bleibt vom Protest niemand, denn er ist bereits überall.
In einer globalisierten, digitalisierten Welt kann man dem Protest nicht entkommen. Im Zentrum der Aktionen stehen schon lange nicht mehr nur reine Sichtbarkeitsabsichten. Kein selbstbeweihräucherndes Gutmenschendasein, das nur dem inneren Zen dient, am besten in Pastellfarben auf Instagram-Kacheln des „Fick Dich!“. Wer jetzt meint, es sei schlimmer denn je und dass die Demokratie nicht zur Ruhe kommen würde, der hatte vielleicht bis jetzt das Glück, nicht protestieren zu müssen. Oder in einer utopischen Gesellschaft zu leben, in der Menschen keinen Protest benötigen, um ihr Leben als vollwertig zu beschreiben. Protest hat sich als Form der außerparlamentarischen politischen Bewegungskraft bewährt. Er ist ein wichtiges demokratisches Mittel, um den gesellschaftlichen Diskurs weg vom Mainstream zu ziehen und die Mehrheitsgesellschaft neu zu denken. Protest ist präsenter denn je. Es ist zur Normalität geworden, dass er uns umgibt. Das sorgt bei den Protestierenden und innerhalb der Bewegungen dafür, dass sie in jegliche Richtung ausscheren – auch zum Leidwesen der Demokratie.
Michel Foucault hat Folgendes formuliert: „Es herrscht zweifellos in unserer Gesellschaft […] eine stumme Angst vor jenen Ereignissen, vor jener Masse von gesagten Dingen, vor dem Auftauchen all jener Aussagen, vor allem, was es da Gewalttätiges, Plötzliches, Kämpferisches, Ordnungsloses und Gefährliches gibt, vor jenem großen unaufhörlichen und ordnungslosen Rauschen des Diskurses.“2 Ausformuliert könnte man Foucault ziemlich wörtlich nehmen: Es droht der Dauerzustand des Protests, der Missbilligung des Status quo – und somit auch das Szenario, dass Protestierende die Diskursmacht an sich reißen, in verschiedensten Institutionen, da sie immer mehrheitsfähiger werden. Protest ist aber nicht nur eine unvorhersehbare Drohwolke, sondern auch ein Segen für jene, die von der politischen Veränderung durch Protest profitieren. Nämlich jene, die zu Hause saßen, als ihre Mitmenschen für Kinder- oder Frauenrechte protestiert haben. Oder jene, die eben keine Stimme hatten und nicht protestieren konnten, denen das Lautsein anderer zugutekam.
In nahezu postkapitalistischen Zeiten betrifft das auch Linke: Es addieren sich Wutzustände oder Ängste, die Protest zu einer plötzlichen Drohung machen. Weil das Ausmaß von Protest nie gewiss ist und er Ist-Zustände dauernd mit großem Einfluss in Frage stellen kann. Für Menschen, die sich gerne im Status quo suhlen, ist das ein Albtraum. Auch weil viele Bewegungen auf akut drohende Missstände aufmerksam machen, die oft innerhalb von systemrelevanten Strukturen stattfinden oder diese Strukturen betreffen. Beispielsweise das landesweite Chaos, das entsteht, wenn Mitarbeiter der Deutschen Bahn für einen Tag streiken, damit aber für die ganze Woche jegliche Planungssicherheit zerschießen. Aber nicht jeder Protest hat das gleiche Gewicht, er ist geprägt von Privilegien und Klassenfragen.
Protest bleibt die einzige Partizipationsmöglichkeit für diejenigen, die außerhalb des (politischen) Systems stehen. Dennoch gibt es definitiv einen Unterschied zwischen Atomkraftwerken, die man deaktivieren will, und einer Klimakrise, die den Lebensraum bedroht. Protest wird unterschiedlich stark gewichtet, weil eben jeder unterschiedlich ignorant ist. Es gibt Menschen, denen der Atomgau egal ist, oder Protestierende, die glauben, dass Armut bei aktivem Klimaschutz kein Hindernis sein kann. Ein fast unnötiger Whataboutism, aber genau das ist dieser Essay auch: eine weitere vermeintlich clevere Abhandlung über unsere Debattenkultur, die die Welt noch nicht gesehen hat.
Zurück zum Thema: Auch wenn Protestierende Dinge wollen, die scheinbar moralisch gut sind, muss das demokratische System politische Antworten finden, unabhängig von der Größenordnung des Eingeforderten. Durch Wahlen oder die Mobilisierung von anderen Protestierenden können Mehrheiten geschaffen und politische Entscheidungen mitgetroffen werden. Demokratie ist zwar ein Privileg, aber durchaus anstrengend, wenn einem so gar nicht in den Kram passt, was passiert, aber die eigene Meinung irgendwie keine Beachtung findet. Ich erinnere hier gerne an den Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral. Befürworter waren sich sicher, dass die Klimaneutralität 2030 ein besiegeltes Unterfangen sei. Vielleicht hatten sie zu viel Cortado in Kreuzberg getrunken und zu wenig Wahlwerbung in den Bezirken gemacht, in denen die Leute entweder reich sind oder weniger Zeit für solche Entscheidungen haben, weil sie damit beschäftigt sind, den Monat zu überstehen. Das Ergebnis hat sie alle eines Besseren belehrt.