Psychodynamik des Todes bei Kindern und Jugendlichen - Damianos Korosidis - E-Book

Psychodynamik des Todes bei Kindern und Jugendlichen E-Book

Damianos Korosidis

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Beschreibung

Nichts treibt den Menschen zeitlebens so sehr um wie der Tod. Besonders Heranwachsende beschäftigen sich auf vielfältige Weise damit, für Erwachsene erweist sich eine Annäherung an die kindliche Thanatologie allerdings oft als schwierig. Das Buch bietet neben fundierten theoretischen Überlegungen zur Entwicklungs- bzw. Psychodynamik des Todes einen praxisorientierten und lebendigen Einblick in die entsprechende psychotherapeutische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und deren Familien. Es gibt Orientierung in einem schwer begehbaren und häufig tabuisierten Feld. Darüber hinaus vermittelt der Band heilsame Impulse für einen altersangemessenen Umgang mit Themen wie Suizidalität, Verlust, Trauer und (eigener) Sterblichkeit.

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Der Autor

Damianos Korosidis, Studium der Sozialpädagogik mit Forschungs- und Interessenschwerpunkten bei dem Verhältnis von Kindern und Jugendlichen zu existenziellen Themenbereichen wie Religiosität und Philosophie. Berufliche Erfahrungen als Leiter eines Jugendheimes, als Fachkraft in der Kinder- und Jugendhilfe sowie im Kinderschutz. Ausbildung zum Analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, seit 2012 niedergelassen in eigener Praxis. Dozent am Psychoanalytischen Institut Stuttgart.

Damianos Korosidis

 

Psychodynamik des Todes bei Kindern und Jugendlichen

 

 

 

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036008-2

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-036009-9

epub:    ISBN 978-3-17-036010-5

mobi:    ISBN 978-3-17-036011-2

Abb. 1: »Der Kuss des Todes«; Marmorskulptur auf dem Friedhof von Poblenou in Barcelona (Atelier von Jaume Barba, 1930). Sie wurde 1930 von einer Familie zu Ehren ihres im jugendlichen Alter verstorbenen Sohnes in Auftrag gegeben (PELYgROSA, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz by-sa-4.0-deed.de, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de)

Inhalt

Einklang – Therapeutische Annäherung an den Tod, das Kind und die Lebenskraft

1     Anfang und Ende: Die Psychodynamik des Todes bei Kindern und Jugendlichen

1.1     Der Tod in seiner allumfassenden Gestalt

1.1.1     Ein phylogenetischer Blick auf die Geburt und die frühe Entwicklung der bewussten Menschheit

1.1.2     Traumatischer Wiederholungszwang

1.1.3     Äußerer und innerer Raum

1.1.4     Der Trieb zum oder die Angst vor dem Tod und aggressive Lebensenergie

1.1.5     Die Geburt der Psychoanalyse, ihr Begründer und der Tod

1.2     Mythische Annäherung an den Tod

1.2.1     Märchen und der Tod

1.2.2     Der Mythos des Heros: Das Leben als Heldenreise

1.3     Alles ist dem Tod gewidmet

1.4     »Wo ist der Tod heute?« Der Sensenmann und seine moderne Gesellschaft zu Kindern und Jugendlichen

2     Wie bedeutsam erscheint der Tod für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten?

2.1     Patienten des Lebens

2.2     Die Bezugspersonen bzw. -objekte und deren basale Bedeutung: Tod als Zusammenbruch der Beziehung zum Leben

2.3     Denken über das Undenkbare

2.4     »Wer hält eigentlich den Container?« Todes- und Lebensangst des Kinder- und Jugendlichen- psychotherapeuten

3     Geburt, Tod und das »Dazwischen«: Ontogenetische Entwicklungsdynamik des Todes bei Kindern und Jugendlichen

3.1     Empfängnis und existenzielle Dynamik

3.2     Die Psychoanalyse und ihr »Trauma der Geburt«

3.2.1     Haltgebende Lebensräume und Rituale

3.3     »(Wann) Ist der Tod begreifbar?« Entwicklungs- psychologisch-ontogenetische Todeskonzepte bei Kindern und Jugendlichen

3.3.1     Existenzielle Psychotherapie, psycho- therapeutische Existenz

4     Psychopathologie und Todesdynamik

4.1     Das gesunde Kind und das kranke Kind

4.1.1     Das gekränkte Kind: Lebensnarzissmus und Todesnarzissmus

4.2     Das verlorene Kind und Objekt: Verlust, Trennung und Trauer

4.2.1     Kindliche Trauerkonzepte

4.2.2     Das sich verlierende Kind: Abschied vom Leben

4.3     Das todtraurige Kind: Depression des Lebens im Angesicht des Todes

4.3.1     Das Spiel des Lebens: Tragisches und Komisches

4.3.2     Das todessehnsüchtige Kind und Suizidalität: »Das Leben ist nicht auszuhalten«

5     Das Kind, der Tod und schöpferische Kraft

5.1     Die Schöpfung des Selbst im Leben

5.1.1     Die Grenzen meiner selbst

5.2     Mystische Psychoanalyse

5.3     Es gibt nur einen Tod: Interkulturelle Annäherung

5.4     Wie das Leben so spielt: Der Tod ist Schicksal

5.5     Das Leben, sein Anfang und das Heil(ig)ende

Ausklang

Literatur

Stichwortverzeichnis

Einklang – Therapeutische Annäherung an den Tod, das Kind und die Lebenskraft

 

 

 

»Der Tod kommt!«

 

Mit diesen Worten leitet ein achtjähriger, von zahlreichen Ängsten geplagter und melancholisch erscheinender Junge in der Frühphase seiner psychoanalytischen Kindertherapie eine unserer Begegnungen ein. »Oha, da muss ich mich ja in Acht nehmen«, erwidere ich spontan mit einem leichten Lächeln im Gesicht. Bereits beim gemeinsamen Hineingehen vergeht mir mein Lächeln ziemlich rasch und es folgen Überlegungen über sein mögliches Befinden und wie gefährlich-böse bzw. tödlich er sich fühlen mag. Oder erlebt er gar mich und meinen angebotenen Raum als so bedrohlich? Kaum im Praxiszimmer angekommen fragt der Junge bedeutungsvoll und unmittelbar an mich gerichtet: »Was glaubst Du, wann kommt der Tod?«, um sich dann umgehend den Spielzeugautos zu widmen. »Ich weiß es nicht«, lautet meine mehr als beeindruckte und aufrichtige Antwort, »aber das scheint Dich arg zu beschäftigen!«

Diese verdichtete Eingangsszenerie mag einstimmen auf die folgenden Gedanken und Ausführungen, die um etwas kreisen, das uns alle – Groß und Klein – unmittelbar betrifft. Unermessliche Gestaltungen vom absolut bösen Vernichter bis zum heiligen Erlöser haben ihn begleitet. Und doch scheint es ein »Unthema«, eine »Unerfahrung«, ja ein »Unding« zu sein, für das es nichts Begreifbares, keine Worte und auch keinerlei Symbole oder Repräsentanzen zu geben scheint.

Der Tod ist, wie ein fünfjähriges Mädchen einmal meinte: »Da und nicht da!«

Jener Dualismus treibt die bewusstseinsfähige Menschheit seit ihren Anfängen um, wobei das vorliegende Buch eine Einladung an den Leser darstellt, sich dieser essenziellsten Urspaltung aus einer psychodynamischen Sicht gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen spielerisch anzunähern. Als tragendes Fundament dient hierbei das integrative Credo, dass jegliche Auseinandersetzung mit dem Tod eine unmittelbare Beschäftigung mit dem Leben bedeutet. Dynamik soll in ihrer originären Bedeutung als unser aller »Ur-Kraft« aufscheinen, wie sie u. a. Otto Rank verstanden hat, wobei Spiel und Spielerisches gleichsam in ihrer tief menschlichen Komponente Bedeutung finden sollen.

»Peng! Du bist tot!« Diese Aussage eines Grundschulkindes steht beispielhaft für unzählige Spielsituationen mit verschiedensten Heranwachsenden und ich könnte nicht mehr ermessen, wie oft ich in meiner psychotherapeutischen Arbeit bereits spielerisch gestorben bin.

Im Kern der Dinge geht es um unser aller Blackbox, wobei wir uns originär psychoanalytisch dem – inneren – Kind nähern wollen, um gemeinsam mit dem Gedanken zu spielen, dass wir eines Tages nicht mehr sein werden. Der Begriff der Annäherung wird hierbei essenziell und leitend sein, er umfasst etwas Grundlegendes, gerade im psychodynamischen Denken:

Wie nah kann, darf oder soll schließlich irgendetwas zu irgendetwas Anderem sein? Das Ich zum Du? Das Selbst zur Welt? Der Körper zur Seele? Das Bewusste zum Unbewussten? Das Gute zum Bösen? Der Traum zur Realität? Die Realität zur Phantasie? Die Wahrheit zur Wirklichkeit? Der Raum zur Zeit? Der Anfang zum Ende? Das Leben zum Tod?

In seiner namenlosen Gestalt und seinem endlosen Lebensgehalt ist der Tod in seinem tiefsten Grunde einfach. Nur schreckt und überwältigt den Menschen als dualistisches Wesen wohl nichts so sehr wie diese Ein(fach)heit. Jung benennt es unmittelbar: »Das Einfache aber ist immer das Schwierigste« (Jung, 1994, S. 124). Diesem unheimlich Einfachen scheint besonders das Kind – auch als inneres Wesen beim Erwachsenen – seelisch sehr nah zu sein. Für ein verständnisreiches Annähern an diese einfachen Bereiche kommt den originären psychoanalytischen Themenkomplexen höchste Gewichtung zu, vorausgesetzt man betrachtet und verwendet diese in ihrer konstruktiven Vielfalt.

Als wissenschaftliche Basis kann hierzu ein spielerischer und an der ursprünglichen Empirie als Erfahrungsdisziplin orientierter Ansatz dienen (»émpeiria« steht im Griechischen für »Erfahrung« bzw. »etwas wagen« und nicht etwa für »gesichertes Wissen«).

Da hier ohnehin nicht der Ort sein kann für ausführliche wissenschaftstheoretische Diskussionen mit akademisch geleiteten Abhandlungen über Hermeneutik, Heuristik oder Falsifikation, wird es mehr um Aspekte des Da-Seins, des Berührt-Seins und des Gehalten- Seins gehen. Auch erkenntnisphilosophische Begriffe wie Ontologie, Transzendenz und Immanenz werden im Folgenden nicht auftauchen. Ausdrücklich sei dabei darauf hingewiesen, dass es mir nicht um eine etwaige Verleugnung wissenschaftlicher Zugangswege und Erkenntnisse geht. Vielmehr möchte ich die empirische Stellungnahme wagen, dass insbesondere die psychodynamische Herangehensweise in ihrer Vielfalt etwas sehr Wertvolles in Bezug auf die Annäherung an den Tod und somit an das Ungewisse schlechthin, gerade auch mit Kindern und Jugendlichen, bedeuten kann. Es ist wohl der kindlich spielerische Forschergeist in uns allen, der Wissen schafft. Bereits Hermine Hug-Hellmuth als Pionierin der Kinderanalyse konstatiert: »Insbesondere sind Anfang und Ende des Lebens, Eintritt und Hingang des Einzelnen die nie versiegende Quelle aller Wie und Warum des Kindes« (Hug-Hellmuth, 1912, S. 286–287).

So werden meine theoretischen Ausführungen immer wieder von Beispielen aus der Praxis mit Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen begleitet. Beides werde ich durch Beschreibung meiner Gegenübertragungsgefühle bzw. meiner persönlichen Empfindungen organisch zu verbinden versuchen. Daraus sollen schließlich Inspirationen für eine mögliche Haltung und einen stimmigen, hilfreichen psychotherapeutischen Umgang mit diesen Grenzbereichen für alle Interessierten gewonnen werden.

Selbstredend muss hierbei die Ansicht gegenüber dem Tod als elementarstem Koordinator des menschlichen Lebens nicht in vollem Umfang geteilt werden. Auch ohne diese Ausrichtung lassen sich Anregungen für den eigenen therapeutischen Alltag gewinnen, insbesondere über die Schilderungen, in denen sich der Tod beispielsweise durch einen konkreten oder nahenden Verlust oder suizidale Tendenzen direkt zeigt und nach konkreten Handlungsschritten verlangt. So können dann auch die für diese Reihe charakteristischen Zusammenfassungen am Ende eines Kapitels und die anschließenden weiterführenden Fragen ihre angemessene Berechtigung als orientierungsgebende Pfeiler finden.

Jene Orientierung wird es im zu begehenden Terrain mitunter brauchen, da im Weiteren auf keinen Fall der Ansatz unternommen werden soll, Psychodynamik exakt zu definieren. Die genaue Bestimmung dürfte genauso fehlschlagen und am eigentlichen Ziel vorbeiführen wie eine Begriffsdefinition vom Leben oder gar dem Tod.

Hinzuweisen wäre hier auf die »Thanatopsychologie«, die sich in umfangreicher und bewundernswerter Weise dem Sterben und dem Tod aus einem klassischen und streng wissenschaftlichen Paradigma heraus annähert (Wittkowsky, 2003). Darin wird u. a. differenziert zwischen dem Sterben als noch im Leben befindlichen Vorgang und dem endgültigen Tod. Diese Unterscheidung wird in der vorliegenden Arbeit eine vereinzelte, aber keine wesentliche Rolle spielen.

Auch wenn wir alles Erdenkliche dafür tun (müssen), dies zu vergessen bzw. abzuwehren, so sind wir vom Anbeginn unserer Existenz im Sterbeprozess und absolut niemand weiß, wann das Ende naht. Der Tod ist der Horizont, der ausschließlich vom Schiff des Lebens aus erkundet werden kann.

Die vor allem von Kindern – besonders in den Anfangsbegegnungen – gestellten Fragen: »Wohnst Du hier?«, »Hast Du auch Kinder?« oder »Wo kommst Du her?« wurden in der analytischen Kindertherapie bereits unzählige Male interpretiert und gedeutet. Ein sechsjähriges Mädchen fragte mich während eines Puppenspiels einmal, ob ich auch geboren wurde!

Man kann diese Aussagen natürlich auf verschiedenste psychodynamische Art konstruktiv interpretieren und deuten. Ich möchte auf den dynamisch-existenziellen Gehalt dieser Worte hinweisen und mich zusammen mit den kindlichen Fragestellern damit beschäftigen, ob darin auch Hinweise auf deren Suche nach basalen Lebensfragen enthalten sind. Solch eine Haltung kann unter wahrlicher Achtung der Abstinenz die eigenen psychischen Abwehr- bzw. Bewältigungsanteile in den therapeutischen Prozess integrieren. Manchmal antworte ich darauf: »Ich wohne hier … auf der Erde« oder »Also, ich war auf jeden Fall auch mal ein Kind« und »Ja, ich bin so wie Du – und so wie wir alle – geboren und lebendig!«

Die Psychodynamik des Todes ist nicht zuletzt unter psychotherapeutischen Gesichtspunkten eine Psychodynamik des Lebens und somit das Fundament jeglicher Seelenbehandlung.

Die Auseinandersetzung mit Beziehung bildet dabei seit jeher das Kernstück psychoanalytischer Bestrebungen. Gleichgültig ob es um die Relation zur Umwelt oder um die wohl bedeutendste Beziehung im Leben, der zu uns selbst, geht:

Der Tod spielt in jeder Beziehung mit.

Weiterführende Fragen

  Was lösen die Vorstellungen vom inneren Kind und seinem Tod in mir aus?

  Warum sollte man sich ausgerechnet mit Kindern und Jugendlichen mit so etwas wie dem Tod beschäftigen, zumal wenn sie nicht durch unmittelbare schwere Krankheits- bzw. Trauerfälle damit konfrontiert sind?

  Wie weit nähere ich mich als Mensch, aber auch in meiner Profession als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut der existenziellen Ebene und der – eigenen – Sterblichkeit an?

  Was für eine Wissenschaft ist die Psychoanalyse und was kann man über den Tod wissen?

1          Anfang und Ende: Die Psychodynamik des Todes bei Kindern und Jugendlichen

 

1.1       Der Tod in seiner allumfassenden Gestalt

»Vielleicht ist die wesentlichste Geschichte des Menschen als eine Geschichte seiner Wiegenlieder gegen den Tod zu schreiben«(Marcuse, 1984).

Seit Anbeginn der fassbaren und rekonstruierbaren Geschichte haben sich die Menschen mit dem Tod beschäftigt und ihn in ihr Leben zu integrieren versucht. Dieser Abschnitt über die menschheitsgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Tod dient in komprimierter Form hauptsächlich der einstimmenden Veranschaulichung in Bezug auf eine mögliche Psychodynamik des Todes und ihrer archaischen Essenz. Freuds Interesse am Prähistorischen und an der Sozialanthropologie ist bekannt. Stefan Zweig gegenüber hat er in einem Brief eröffnet, dass er in seinem Leben wohl mehr Bücher über Archäologie als über Psychologie gelesen habe (Schur, 1973, S. 295), und Freud bezeichnete wiederholt sein Werk »Totem und Tabu« als eines seiner Lieblingswerke (Freud, 1912/13, S. 289). Er hat dabei versucht, die Ontogenese des Individuums als rekapitulierende Verdichtung der menschlichen Phylogenese zu sehen. Diese Anschauung öffnet wiederum für unsere entwicklungsbezogene bzw. -dynamische Betrachtungsweise interessante Kanäle und wird den weiteren Betrachtungsweg ebnen.

1.1.1     Ein phylogenetischer Blick auf die Geburt und die frühe Entwicklung der bewussten Menschheit

Die evolutionstheoretischen bzw. anthropologischen Wissenschaften versuchen zu beschreiben, wie unsere Primaten-Vorfahren den Vorgang der psychischen Akkommodation an die lebensbedrohliche Außenwelt in Verbindung mit einer stetig wachsenden Selbstbewusstheit bewältigt haben könnten.

Solomon et al. (2015) betonen dabei den nicht zu überschätzenden Stellenwert der symbolischen Ebene und stellen fest, dass die Verwendung von Zeichen bzw. Symbolen, Selbstbewusstheit und die Fähigkeit, sich Gedanken über die Zukunft machen zu können, extrem hilfreiche Entwicklungen für unsere Vorfahren gewesen sind (Solomon et al., 2015, S. 105).

Jedoch – und hier stimmen zahlreiche weitere Forscher und Denker überein – hat die damit einhergehende Erkenntnis des eigenen Todes grundlegende existenzielle Ängste ausgelöst, die für den Menschen so inakzeptabel seien. Somit wurden Glaubenssysteme notwendig und entwickelt, die über diese so erschütternde Natur hinausgingen. Otto Rank beschreibt dies als die Fähigkeit, das Unwirkliche wirklich werden zu lassen, und Ernest Becker stellt es in der Nachfolge als die Möglichkeit dar, das Unglaubliche glaubhaft zu machen (Becker, 1976). Luigi De Marchi spricht gar vom »Urschock« (De Marchi, 1988), wobei bereits Freud u. a. in »Totem und Tabu« ähnliche Gedankenwege gegangen ist.

Ein dreieinhalbjähriger Junge sprach im spielerischen Austausch mit mir plötzlich das Sterben an und was »im Totsein« passiere. Ich werde nie seine Reaktion vergessen, nachdem ich behutsam angesprochen hatte, dass wir dann »nicht mehr leben« und »nicht mehr da sind auf dieser Welt«: Sein ernster und auch erschrockener Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er sehr genau wusste und fühlte, was damit gemeint ist. »Das gefällt mir nicht so«, meinte er schließlich in einer dann beinahe schon stoisch-gelassenen Ausstrahlung, um sich dann wieder in sichtlich lustvollem Genuss seinem Spiel zu widmen.

Ein weiterer, nicht ganz fünfjähriger Junge möchte mit mir wiederholt die Beerdigung seines Kanarienvogels spielend nachempfinden, wobei er zunächst diverse Spielobjekte für die rituell anmutende Beisetzung verwendet. Sehr wichtig erscheinen ihm dabei einzelne Utensilien, die beigelegt werden müssen. Schließlich fordert er mich in einer Begegnung auf, gemeinsam mit ihm der Vogel zu sein. Mich erstaunt dabei, dass ich mich daraufhin ausgestreckt auf den Boden lege, während er sich – beinahe embryonal – zusammenkauert.

Aus der Archäologie ist bekannt, dass es wohl keine kulturelle Epoche gegeben hat, die nicht größten Wert auf bestimmte rituell-typische Umgangsformen mit ihren Verstorbenen gelegt hat. Bestattungen und Sepulkralkultur (Vogel, 2012, S. 25) sind so alt wie die personale und bewusste Menschheit. Bereits von den Neandertalern sind solche Relikte erhalten, wobei vermutet wird, dass sie zeitlich sogar noch früher zurückreichen (vgl. Türcke, 2009; Armstrong, 2005). Dabei scheinen diese beinahe immer von diversen Kult- bzw. Opferbeigaben begleitet. Es finden sich gar Hinweise, dass die Verstorbenen in Urzeiten bevorzugt in einer Embryonalstellung beerdigt wurden (Solomon et al., 2015).

Viele Forscher sind sich mit Freud dabei einig, dass die Grundlage dieser Rituale und Sitten in der fundamentalen Ambivalenz der Überlebenden gegenüber den Toten und im tiefen Glauben an ein Fortbestehen nach dem Sterben liegt. Zahlreiche Aspekte der Begräbnisrituale können als Ausdruck des Wunsches nach einem leichteren und beschleunigten Übergang der Verstorbenen verstanden werden. Gleichzeitig scheint aus psychodynamischer Sicht die Angstabwehr mit bestmöglichem Verhindern einer befürchteten Rückkehr der Toten eine ebenso gewichtige Rolle zu spielen (vgl. Freud, 1912/13, Grof & Halifax, 1980).

1.1.2     Traumatischer Wiederholungszwang

Der Kulturphilosoph Türcke baut von dieser Grundambivalenz ausgehend eine eindrucksvolle und teils sehr an Freud orientierte Historie bzw. »Philosophie des Traums« auf, in der er darzustellen versucht, wie sich unsere Vorfahren im Angesicht der unentwegt auf sie einprasselnden Gefahren und Naturgewalten zu behaupten versuchten (Türcke, 2009). Dies sei durch jahrtausendelange, reziproke Vorgänge geschehen, wobei Türcke seinen Blick sehr auf die inneren Abläufe des Menschen richtet. Neben der durch den Werkzeuggebrauch vor wohl über 2,5 Millionen Jahren enormen Verschiebung und Verdichtung der gesamten menschlichen Triebenergie stelle die Opfergabe in Verbindung mit rituellen Bestattungen ein existenzielles Zentrum dar. Die Hominiden, also die Frühmenschen, hätten versucht den Urschrecken dadurch zu bändigen, indem sie sich ihm immer wieder aufs Neue ausgesetzt haben. Nur eben aktiv-rituell über einen sogenannten »traumatischen Wiederholungszwang«. Sie setzten sich im Angesicht des Todes mit Opferritualen, die nicht selten sehr nahestehende Menschen betrafen, diesem ursprünglichen und psychisch anders wohl nicht zu bewältigenden Schrecken aus, um ihn so zumindest partiell dämpfen zu können. Dieser Nachlass setzt sich aus Türckes Sicht – viel bedeutender als es Freud in seiner Darstellung des Wiederholungszwanges habe erkennen können – im heutigen Kulturmenschen und eben insbesondere in unseren Träumen fort.

Träumerisches Spiel oder spielerischer Traum

Der Traum gehört zum Schlaf und der ist für den Menschen schon immer dem Tod sehr nah. Tod und Schlaf, Thanatos und Hypnos als Göttergestalten, sind in der griechischen Mythologie Brüder und wohnen dort, wo Tag und Nacht sich begegnen. Während Hypnos dabei weitgehend als gutmütig und weich dargestellt wird, strahlt Thanatos etwas Erbarmungsloses aus. Welch unmittelbare Nähe der Schlaf zur thanatologischen Dimension für den Menschen einnimmt, wird mitunter in der weit verbreiteten Vorstellung deutlich, der Gestorbene sei in einen »ewigen Schlaf« gefallen. Häufig wird so oder so ähnlich versucht, insbesondere kleine Kinder bei einem Todesfall zu trösten, wobei nicht selten Gegenteiliges bewirkt wird und das betroffene Kind heftige Ängste vor dem Einschlafen entwickelt. Aber auch ohne solch eine Vorgeschichte fällt es bekanntlich Kindern – und bei entsprechender Konstellation auch Jugendlichen und Erwachsenen – teilweise enorm schwer, in den Schlaf und dessen Traumwelten zu fallen. Die Schlafebene scheint mit ihrer natürlichen Unabdingbarkeit jedoch von Anbeginn auch eine anziehend-angenehme und tief libidinöse Seite zu haben.

Hierbei kommt der Grenze zwischen äußerem und innerem Raum großes Gewicht zu. Frei flottierende, halluzinatorisch-träumerische Erlebnisse wandelten sich im Laufe von Jahrhunderttausenden über die divergierende Verdichtung im Opferraum zu Repräsentationen und begreifbaren Vorstellungen. Mit dem namenlosen Schrecken des Todes als Urauslöser entwickelte sich über die Phylogenese der Menschheit der individuelle innere bzw. mentale Binnenraum, dem sich die Psychoanalyse seit jeher empirisch widmet. Innerhalb dieses psychischen Raumes wiederum spielen die Träume bis heute eine wesentliche Rolle bei der Verarbeitung thanatologischer Elemente. In ihnen können wir quasi unserem gewaltigen, urmenschlichen Erbe sehr nahe kommen.

Insbesondere die Arbeiten von Melanie Klein und ihren Nachfolgern konnten eindrucksvoll zeigen, dass sich aber auch die kindlichen Spielinszenierungen im entsprechenden therapeutischen Setting als Analogon von – unbewussten – Phantasiegestaltungen mit großer Nähe zu Traumabläufen verstehen lassen. Die diesbezüglichen praktischen Beispiele sowie der entsprechende Verständnishorizont dürften also unermesslich sein.

Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich zwei kurze klinische Fallsequenzen einflechten, die das Angesprochene dualistisch-reziprok aus der jeweils passiven (»Opfer«-) und der aktiven (»Täter«-)Position aufscheinen lassen:

Bei der ersten handelt es sich um die Initialtraumschilderung eines zehnjährigen Jungen mit heftigen Ein- bzw. Durchschlafschwierigkeiten und Trennungsängsten, bei der ich vermute, dass wohl viele Leser ähnlich typische Traumbilder von sich und ihrem Umfeld zu berichten wissen: »Überall Menschen, ganz viele Leute … und ich kann nichts tun. Gar nichts! Das ist … (hier findet der Junge keine Worte) die schauen mich alle so an.«

Türcke geht auf den tief sitzenden Schrecken bezüglich des »Angeschaut-Werdens« als »auserwähltes Opfer des Kollektivs« ein und ordnet u. a. den in vielen Kulturkreisen tradierten »Bösen Blick« diesem Erbe zu (Türcke, 2009, S. 65; vgl. auch Freud, 1919). Das sehende Organ hat in allen Kulturen und Traditionen einen hohen Stellenwert und die Dunkelheit bzw. das Nicht-Sehen als passive Vorgänge werden ebenfalls oft mit dem Tod assoziiert.

Bezüglich der Frühentwicklung des Individuums lässt sich darüber hinaus die archaische Ambivalenz in Bezug auf die – nahestehenden – Bezugsmenschen erkennen. »Der Glanz im Auge der Mutter« oder »ein Auge auf jemanden werfen« sind als Redewendungen bekannt, die etwas Wohlwollend-Libidinöses und Versorgend-Aufnehmendes verströmen. Im archaischen Kern beinhalten sie allerdings auch eine erschreckend-verfolgende und aggressiv- destruktive Note. Ich kenne wenig, was – nicht nur Kindern – so viel Angst einjagen kann wie der durchdringende Blick eines Augenpaares.

Die zweite Szene schließt hieran an und handelt von einem neunjährigen, oft ungehaltenen und unter Spannung stehenden Mädchen, das mit zahlreichen biografischen bzw. psychosozialen Belastungsfaktoren zu kämpfen hatte. Tatsächlich forderte sie mich und meine Grenzen wiederholt in unzähligen Situationen regelrecht heraus, wobei mich ihre forsche und kriegerische Energie von Beginn an beeindruckt hat. Darüber hinaus waren die gemeinsamen Begegnungen von sich wiederholenden Handlungs- bzw. Spielsequenzen geprägt, die teilweise endlos wirkten. Am Anfang einer Stunde fragt sie mich einmal verhältnismäßig ruhig, ob ich eine gewisse Figur kennen würde. Diese war mir tatsächlich bekannt, nur handelte es sich in meiner Vorstellung um eine sehr weise und heldenhafte Gestalt. Von ihrem Objekt wiederum habe sie auf dem Schulhof erfahren, fährt das Mädchen nun sichtlich aufgeregter fort. Schließlich habe sie danach »gegoogelt«. Seitdem »verfolgt« diese Figur sie mit ihren »Riesenaugen«, wobei meine Gegenübertragung während meiner anschließenden Recherche gleichsam von Unbehaglichkeit und Erschrecken geprägt ist. Die Patientin insistiert daraufhin, ob ich denn, wie scheinbar von mir mehrmals angesprochen, solche Gestalten nicht »wegmachen« könne. Eingehend auf ihre nun zuordenbare Anspannung und Angst, spreche ich diese Gefühle strukturstärkend an und sage, hier ja noch nur von meiner assoziativen Phantasie ausgehend, dass solche Figuren »wirklich unheimlich« sein können. Gleichzeitig beschäftigt mich ihre Aussage bezüglich meiner Ankündigung des Weg- bzw. Ungeschehen-Machens, die beinahe wie ein Versprechen klang und bei der ich mir ziemlich sicher gewesen bin, dies so nie ausgesprochen zu haben. Dies verunsicherte mich zunehmend und in mir kamen Schuldgefühle und Ärger auf. Diese Gegenübertragungsdynamik ist für die Begegnungen mit diesem Mädchen nichts Außergewöhnliches gewesen. Im Gegenteil gestaltete sich dieses Beziehungsgeschehen mit wiederholten heftigen Empfindungen meinerseits häufig. Es bildete mitunter das innerpsychische Geschehen der Patientin ab, welches psychodynamisch arbeitenden Kindertherapeuten wohlbekannt sein dürfte.

Hervorheben möchte ich mit der Anführung dieser Begebenheit die unmittelbar folgende Äußerung des Mädchens, als sie mich nun fragte, ob ich »Kryonik« kenne. Nachdem ich den Ausdruck zunächst akustisch nicht verstehe (oder dynamisch: nicht verstehen kann), bekomme ich eine Ahnung, was sie meinen könnte, und frage, wie sie denn jetzt darauf komme. Ihre Mutter interessiere sich sehr dafür, antwortet sie ungewöhnlich ruhig. Die Patientin schildert mir in erstaunlich sachverständiger Art weiter, dass es dabei um das Einfrieren des Körpers nach dem Sterben gehe, wobei mich ihre immer realistischer erscheinende Beschreibung gegenübertragend regelrecht ansteckt. Ihre abschließende Erklärung über den zugrundeliegenden Plan, den Menschen in der Zukunft »wiederzubeleben«, ist wiederum von deutlichen Zweifeln umweht, und es macht sich eine angespannt-schwermütige Atmosphäre breit.

Obgleich sich hier natürlich zahlreiche psychodynamische Verständnisstränge heranziehen lassen, möchte ich den vermeintlich einfachen Hinweis des Mädchens betonen. »Wir werden sterben und das macht mir Angst«, war mein sich anbahnender Gedanke dabei. Es war aus meinem aktuellen Empfinden heraus nicht angemessen, aber auch nicht notwendig, ihr das in diesem Moment zu deuten. Die nachhaltig wahrnehmbare Beruhigung im Raum und die damit einhergehende Resonanzerhöhung zwischen uns sprachen für ein gemeinsames Berührt-Sein von diesen namenlosen Bereichen. Auf die Bedeutung dieser Ebenen für die praktische psychodynamische Arbeit wird im Weiteren noch eingegangen.

Jeder psychotherapeutisch Tätige, egal ob mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen kennt die unbändige Macht des – traumatischen – Wiederholungszwanges.

Dieser scheint einen zentralen Bewältigungsmechanismus des Menschen darzustellen und das Urtrauma ließe sich in höchst vereinfachender Form als »der einströmende Tod von außen« bezeichnen. Das menschliche Wesen ist von Anbeginn gezwungen, auf diesen Einfluss mit den ihm zur jeweiligen Lebensphase zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu reagieren. Besonders bei dem für die Psychoanalyse so zentralen Mythos von König Ödipus werden diese urexistenziellen Dimensionen deutlich. Die Sage ist mit ihrem Beginn vom Töten und Getötet-Werden durchzogen und besonders der Lebensanfang des Protagonisten ist von seiner Opferung zum Sterben geprägt, da von seinen Eltern bzw. seinem Vater etwas Universales nicht ausgehalten werden kann.

Auch wenn es heute gelegentlich in Vergessenheit zu geraten scheint, ist die Psychoanalyse ursprüngliche Traumatherapie. Neben Freud hat dabei vor allem Ferenczi den Weg zu sehr fruchtbaren Gedanken- bzw. Therapiemodellen eröffnet (vgl. Ferenczi, 1933). Er fragte sich bereits damals, was denn das eigentlich Traumatische sei: »ein Angriff oder seine Folgen?« (Ferenczi, 1988, S. 239), wobei ich mich hier ausschließlich auf die thanatologische Komponente konzentriere. Der Begriff »Trauma« stammt ursprünglich aus dem medizinisch-physischen Bereich und bezeichnet eine »Wunde« bzw. »Verletzung«, die von äußerer Einwirkung herrührt und den Organismus schädigt. Freud hat den Terminus auf das psychische Spektrum übertragen und seine Betrachtungsweise kann auch heute als allgemein akzeptierte Definition gelten. Es geht um eine »plötzliche Reizüberflutung«, die den seelischen Apparat mit dem Zustand von »totaler Hilflosigkeit« konfrontiert (Freud, 1920). Kindlich einfach ausgedrückt, schaut man in diesen Zuständen dem Knochenmann ins Auge oder gar in die Seele. Selbst bei zunächst unscheinbareren, aber durch ihre übergriffige Persistenz sehr beeinträchtigenden kumulativen Traumata kann in gewissem Sinn von einem »Seelenmord« bzw. -tod gesprochen werden. »Die vom Trauma betroffene Person kommt mit dem Tode in Berührung« (zit. nach Vogel, 2012, S. 122), hob Ferenczi hervor.

Besonders früh bzw. schwer traumatisierte Kinder und Jugendliche lassen die Therapeuten bzw. die sie begleitenden Menschen diese Todesnähe häufig spüren, indem sie ihre unaushaltbaren inneren Elemente in teilweise heftigster Form nach außen reinszenieren.

So sei beispielhaft ein dreizehnjähriges Mädchen erwähnt, dass mit zweieinhalb Jahren aus einem Waisenhaus in Südamerika adoptiert wurde. Dieses zeigte laut seiner engagierten und sehr besorgten Adoptiveltern zum Zeitpunkt unseres diagnostischen Kennenlernens neben einer leichten Entwicklungsverzögerung mit auffälligem Bindungsverhalten zunehmend ein sehr ungehemmtes aggressives Verhalten. Die Erfahrungen im Kinderheim konnten von den Eltern nur vermutet werden, wobei zahlreiche Anzeichen für desolate und depriviert-übergriffige Verhältnisse sprachen. Bereits in den ersten Begegnungen mit der Patientin demonstrierte sie mir regelrecht brutal, worum es ging. Alle Spielobjekte, sowohl Menschen- als auch Tierpuppen, wurden nach einer sehr kurzen Eingewöhnungsphase aufeinander losgehetzt und starben unzählige Tode. Mich erschraken und schmerzten besonders die Angriffe auf die Babypuppe, vor allem weil das Mädchen immer wieder demonstrierte, wie fürsorglich und zärtlich sie eigentlich mit ihm umzugehen versuchte. Sie gab mir wiederholt Anweisung, das Baby doch zu schützen, was jedoch jedes Mal scheiterte, wenn ich es probierte. Bezeichnenderweise machte die Patientin einen zunehmend gefühllosen Eindruck, während meine Gegenübertragungsaffekte Purzelbäume schlugen. Ich bemerkte schließlich mit Erschrecken, wie ich über die in mir untergebrachten und kaum zu strukturierenden Emotionen etwas von meiner innerpsychischen Ordnung zu verlieren schien. Das (Stunden-)Ende kam mir dabei wiederholt wie eine Erlösung vor.

1.1.3     Äußerer und innerer Raum

Wie sehr das humane Kind für eine gesunde Lebensgestaltung existenziell abhängig von der ihn versorgenden Um- bzw. Außenwelt ist, dürfte einsichtig sein. Bereits Freud hat sich konzeptionell und vereinzelt auch klinisch den Bezugs-»Objekten« des Menschenkindes gewidmet. Die Psychoanalyse und ihr vorwiegend trieborientierter Standpunkt ist in der Nachfolge essenziell von der Objektbeziehungs-, der Bindungs- und Selbstpsychologie ergänzt und nachhaltig geprägt worden (zur Vertiefung – auch über die allgemeinen Entstehungshintergründe der Kinder- und Jugendlichenanalyse – siehe u. a. Burchartz, Hopf & Lutz, 2016, in dieser Reihe). Dabei erscheint der in diesem Zusammenhang zunächst etwas ungewöhnliche Begriff des »Objektes« insofern stimmig, dass es nicht nur Menschen sein können, die in diesem relationalen Bereich Relevanz haben können. Darüber hinaus soll damit modellhaft verdeutlicht werden, dass die Zwischenmenschlichkeit vom äußeren Erleben und dem inneren Seelengeschehen geprägt ist. Grob umrissen spricht man psychodynamisch von Internalisierungen der außerpsychischen Einwirkungen. Inkorporation, Introjektion und Identifizierung bilden hierbei entwicklungschronologisch die entsprechenden Prozesse, während reziprok von projektiven Mechanismen ausgegangen wird. Intrapsychische Dynamik bedeutet auf dieser basal-existenziellen Ebene die unablässige Dichotomie zwischen Erfahrungen des Weg- bzw. Nicht-Seins und der hierzu lebensnotwendigen Internalisierungen, um diese Verlusterlebnisse aushalten zu können. Sehr nachhaltig hat dies bereits Freud in der mitfühlenden Beschreibung des Garnrollenspiels seines Enkels zum Ausdruck gebracht (Freud, 1920). Das allseits und über alle Kulturen bekannte »Guck-Guck-Da«- bzw. »Peek-a-boo«-Spiel bewegt sich in diesen archaischen Strukturen, wobei das ursprüngliche »Guguus/dada« etymologisch am ehesten »lebendig oder tot« entspricht (Bürgin, 1978, S. 45).

So formt sich im Laufe des Lebens über die Objektrepräsentanzen, die als individuell verinnerlichte Abbilder der Bezugswelt gesehen werden, die Selbstrepräsentanz, also das Bild seiner selbst. Dieses Selbst und mit ihm seine gesamten Weltobjekte sind von Anbeginn von Vernichtung, Auslöschung und Nicht-Sein umgeben. In anderen, durchaus psychoanalytischen Worten: Das Leben ist von Beginn an – auf traumatische Weise – vom Tod bedroht. Der im Laufe der Entwicklung etablierte innere Selbstraum droht inständig verloren zu gehen. Thanatologisch betrachtet geht es um die nicht unerhebliche kindlich-einfache Frage, ob der Tod von außen kommt oder ob er sich von innen nähert.

Existenzieller Dialog des Lebens

Klüwer drückt mit seinem etablierten Begriff des »Handlungsdialoges« im klinisch- psychodynamischen Zusammenhang sehr treffend aus, wie sich Patient und Therapeut unbewusst handelnd aufeinander beziehen und sich dabei »dialogisch handelnd« verständigen (Klüwer, 1983, S. 838). Dem Analytiker kommt dabei im therapeutischen Raum die Aufgabe zu, diese unbewussten Inszenierungen so weit als möglich zu erkennen und gemeinsam mit dem Patienten in förderliche und gesunde Bahnen zu lenken. Auf todesdynamischer Ebene als therapeutisch essenziell betrachte ich hierbei die gleichsame Beachtung sowohl der eigenen Anteile im unausweichlichen Mitagieren des Analytikers als auch seine diesbezüglichen Erkenntnisgrenzen.

Im Grunde ließe sich wohl jedes kindliche Spiel und Agieren ebenso wie alles erwachsene Treiben, Getrieben-Sein und Handeln im Leben als ein existenzieller Dialog