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- Das überarbeitete Manual reagiert auf neue theoretische und praktische Erkenntnisse - Ansatz ist unter den psychotraumatologischen Verfahren sehr gut etabliert - Renommierte und bekannte Autorin Die elfte Auflage des erfolgreichen psychotraumatologischen Grundlagenwerks erscheint in vollständig überarbeiteter Form und entspricht damit den aktuellen theoretischen und praktischen Erkenntnissen der Autorin. Mitgefühlsund Ressourcenorientierung gehörte von Anfang an zur spezifischen Herangehensweise der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie, doch wird diesen, von Luise Reddemann immer wichtiger eingeschätzten Säulen der Behandlung nun wesentlich mehr Raum gegeben. In nahezu allen Behandlungsschritten finden sich neue Akzentsetzungen zur Arbeit mit einer von Mitgefühl getragenen Beziehungsgestaltung und Ressourcenorientierung neben der Konfrontation mit dem Leidvollen. Gerade komplex traumatisierten Patientinnen und Patienten kann mit dieser respektvollen und Zuversicht vermittelnden Herangehensweise bei der Überwindung ihrer traumabedingten Störungen geholfen werden. Dieses Buch richtet sich an: - PsychotherapeutInnen aller Schulen - TraumatherapeutInnen
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Seitenzahl: 417
Luise Reddemann
Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie – PITT®
Ein Mitgefühls- und Ressourcen-orientierter Ansatz in der Psychotraumatologie
Zu diesem Buch
Die Überlegungen in diesem Buch vermitteln Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, wie sie ihren Patienten und Patientinnen konkret bei der Überwindung traumabedingter Störungen und Einschränkungen helfen können. Ressourcenorientierung gehörte von Anfang an zur spezifischen Herangehensweise der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie, doch ist dieser, von Luise Reddemann als immer wichtiger eingeschätzten, Säule der Behandlung in der vorliegenden vollständig überarbeiteten Neuausgabe wesentlich breiterer Raum gewidmet. In nahezu allen Behandlungsschritten finden sich neue Akzentsetzungen zur Arbeit mit Ressourcen, aber vor allem auch zu einer von Mitgefühl getragenen Arbeit, mehr noch als früher. Damit entspricht das seit Jahren erfolgreiche Manual wieder der aktuellen theoretischen und praktischen Erkenntnis der Autorin.
Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.
Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter: www.klett-cotta.de/lebenlernen
Leben Lernen 320
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© 2011 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Jutta Herden, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von Elijah Hiett on Unsplash
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
Printausgabe: ISBN 978-3-608-89270-3
E-Book: ISBN 978-3-608-12122-3
PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20501-5
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Vorwort
Vorwort zur Neuausgabe
Kapitel
1
Einleitung: Allgemeine Überlegungen
Kapitel
2
Resilienz, Positive Psychologie und PITT
2.1 Zauberwort Resilienz: eine kritische Betrachtung
2.2 Positive Psychologie für traumatisierte Menschen?
2.3 Therapieziele bei komplexen Traumafolgestörungen
2.3.1 Was ist Heilung in der Traumatherapie?
2.3.2 Therapieziele in der PITT
Kapitel
3
Der Beginn der Behandlung
3.1 Die Beziehungsaufnahme
3.1.1 Übertragung und Gegenübertragung
3.1.2 Traumatischen Stress erkennen
3.1.3 Anamneseerhebung
3.1.4 Beantwortende Haltung, Selbstbestimmung, Würde- und Ressourcenorientierung
3.1.5 Die Betonung der Arbeitsbeziehung von Anfang an
3.1.6 Die Nutzung der therapeutischen Beziehung
3.1.7 Über die Notwendigkeit, uns von Mitgefühl leiten zu lassen
3.1.8 Psychodiagnostik
3.2 Über die Brauchbarkeit von Konzepten
3.2.1 Zur Bedeutung der Imagination bzw. der Vorstellungskraft
3.2.2 Imagination birgt auch Risiken!
3.2.3 Häufig gestellte Fragen zur imaginativen Arbeit
3.2.4 Die Bedeutung kognitiver Arbeit
3.2.5 Ego-State-Therapie als konzeptuelle Grundlage
3.2.6 Ressourcenorientierung
3.3 Prozess- versus Phasenorientierung
3.4 Gefühlskontrolle statt Intensivierung von Gefühlen
3.5 Zum Umgang mit regressiven Prozessen
3.6 Was in der Einleitungsphase bedacht werden sollte
3.7 Zusammenfassung: Vorgehen in der Einleitungsphase zur Förderung von Ressourcen und Selbstberuhigungskompetenz
Kapitel
4
Die Phase der Ichstärkung oder »Stabilisierungsphase«
4.1 Psychoedukation
4.2 Kreativer Umgang mit den Imaginations-»Übungen«
4.3 Häufig gestellte Fragen zu den Imaginationsübungen
4.4 Zusammenfassung: Vorgehen bei der Anwendung von Imagination
4.5 Die Arbeit mit verletzten Anteilen
4.6 Vorgehensweise zur Mitgefühls-orientierten Arbeit mit jüngeren verletzten Anteilen (Ego-States)
4.7 Häufig gestellte Fragen zur Arbeit mit jüngeren Ichs
4.8 Arbeit mit verletzenden Anteilen (Täterintrojekten)
4.8.1 Ego-State-orientierte Arbeit mit verletzenden Anteilen (Täterintrojekten)
4.8.2 Protokoll: Vorgehen bei der Ego-State-orientierten Arbeit mit verletzenden Anteilen
4.8.3 Arbeit mit dem Drachentötermodell
4.8.4 Zusammenfassung: Vorgehen bei der Täterintrojektarbeit nach dem Drachentötermodell
4.8.5 Häufig gestellte Fragen zur Täterintrojektarbeit nach dem Drachentötermodell
4.9 Gruppenarbeit mit stabilisierenden Techniken
Kapitel
5
Die Traumakonfrontationsphase
5.1 Voraussetzungen
5.1.1 Das BASK-Modell
5.1.2 Grundlegende Voraussetzungen für eine Traumakonfrontation
5.2 Die Beobachtertechnik
5.2.1 Vorgehen bei der Beobachtertechnik
5.2.2 Die Kombination verschiedener Techniken
5.3 Die Bildschirmtechnik
5.4 Unterschiede zwischen Bildschirm- und Beobachtertechnik
5.5 Häufige Fragen zur Traumakonfrontationsarbeit
5.6 Restabilisierung
Kapitel 6
Die Integrationsphase
6.1 Vorgehen in der Integrationsphase
Kapitel 7
Psychohygiene oder Selbstfürsorge für TherapeutInnen und PITT
Kapitel 8
PITT in der Behandlung spezifischer Probleme
8.1 Vorschlag für eine ressourcenorientierte Krisenintervention im Rahmen von 5–10 Sitzungen nach PITT
8.2 Behandlung hoch dissoziativer Patientinnen und Patienten
8.2.1 Zum Umgang mit DIS-PatientInnen mittels PITT
8.3 Behandlung von Paaren
8.4 Behandlung von suizidalen PatientInnen
8.5 Behandlung von SuchtpatientInnen
8.5.1 Vorgehen bei der Behandlung von SuchtpatientInnen
8.6 Behandlung von Opfern von Folter, Krieg und Vertreibung
8.7 PITT und die Behandlung von Tätern
Kapitel
9
Genderspezifische Gesichtspunkte
Kapitel
10
PITT in der stationären Behandlung
Danksagung
Literatur
Peter Fürstenau
Ihrem Buch »Imagination als heilsame Kraft«, das auf große Resonanz gestoßen ist, hat Luise Reddemann jetzt ein »Manual der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie« folgen lassen. Dies Manual vermittelt den Leserinnen und Lesern, wie sie ihren Patienten konkret bei der Überwindung traumabedingter Störungen und Einschränkungen helfen können.
Diese konkrete Hilfe besteht in der therapeutischen Kunst, den Patientinnen den Zugang zu ihren Ressourcen zu öffnen, damit sie diese zur Kontrolle ihrer Affekte und zur Überwindung ihrer Symptomatik nutzen können. Der respektvolle Umgang mit den Patienten und ihrem Recht auf Selbstbestimmung ist auf jeder Seite dieses Buches spürbar.
Das Manual folgt den von Luise Reddemann unterschiedenen Phasen der Behandlung und macht die Leserinnen und Leser mit der Verwendung kraftvoller Imaginationen, d. h. vielfältig sinnlich-plastischer Vorstellungen, vertraut. Durch die von ihr entwickelten oder von anderen übernommenen erprobten Imaginationsübungen sollen die pathologischen Strukturen (Traumafolgen) durch neue prägende Erlebnisse und Erfahrungen allmählich modifiziert, abgeschwächt, sozusagen entmachtet werden. Moderne suggestivtherapeutische Praktiken werden so von der Autorin souverän für die Traumatherapie nutzbar gemacht.
Psychoanalytisch beruht Luise Reddemanns Ansatz auf der Fortentwicklung der Ich-Theorie der letzten Zeit. Zu den Selbstverständlichkeiten des 19. Jahrhunderts gehörte im Nachhall der Philosophie des deutschen Idealismus das Konzept der zwar brüchigen, aber doch stets vorauszusetzenden Einheit des Ichs. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde dies Axiom immer mehr psychologisch-soziologisch infrage gestellt – nicht nur für Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen, sondern auch für sogenannt gesunde.
Das alte psychoanalytische Konzept unterschiedlicher Ich-Zustände wurde wiederentdeckt und als Ego-States-Theorie ausgearbeitet. Es erwies sich als enorm nützlich zum Verständnis und zur Therapie dissoziierter Menschen.
Luise Reddemann hat die vielen Fragen zur Traumatherapie gesammelt, die ihr in den Konferenzen ihres Klinikteams und in den mannigfaltigen von ihr geleiteten Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen im Laufe der letzten zwanzig Jahre gestellt wurden. Diese Fragen hat sie geduldig, präzise, ausführlich und therapeutisch engagiert beantwortet. Daraus ist ein Buch entstanden, das für alle, die sich gründlich in die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie einarbeiten wollen, äußerst anregend und hilfreich ist.
Peter Fürstenau, 2011
Silke Birgitta Gahleitner und Dorothea Zimmermann
In diesem Buch können Leser*innen auf den langen Schaffensweg von Luise Reddemann und ihr großes Engagement für die Behandlung von Traumafolgestörungen in der Psychotherapie zurückblicken. Ihr Weg und ihr Engagement sind in vielerlei Hinsicht einmalig und mutig gewesen – und sind es bis heute. Schon immer fühlte sie sich ärztlicher Ethik und damit einem doppelten Hinschauen verpflichtet. Dabei scheut sie keine heißen Eisen: Kritik am Geschlechterverhältnis, Kritik an der Traumakonzeption und damit verbundenen diagnostischen Einordnung – und damit auch Kritik an Behandlungskonzeptionen. Damit vertritt Luise Reddemann bewusst eine Position neben den streng evidenzbasierten Verfahren, in denen statistische Ergebnisse zu vereinheitlichten manualisierten Therapieformen auskristallisieren. Diese forschungsbasierten Manuale weisen für gezielte Einsätze insbesondere im Typ-I-Trauma-Bereich durchaus große Nützlichkeit auf, Luise Reddemann jedoch ging und geht es vor allem um eine andere Gruppe von Betroffenen: um früh und vielfach traumatisierte Menschen, die in der Mehrzahl gar keine üblichen PTBS-Symptome aufweisen, wie Judith Lewis Herman und KollegInnen bereits Anfang der 1990er-Jahre mit dem Komplextraumakonzept herausgearbeitet hatten.
Der Fokus auf diese Zielgruppe führte zu dem Bemühen, dem unermesslichen Leid und Leiden der PatientInnen gerecht werden zu wollen, so gut eben möglich, und sie möglichst nicht durch die Behandlung erneut zu belasten. Diesem Anliegen hat Luise Reddemann ihre Schaffenskraft gewidmet und ein besonders schonendes Traumabewältigungsverfahren entwickelt. Trotz ihrer psychoanalytischen Ausrichtung findet man z. B. auch humanistische, insbesondere psychodramatische und imaginative Elemente in ihrem Vorgehen. Wer Luise Reddemann auf einer Tagung erlebt hat, weiß: Neues zu entdecken und zu integrieren und stets wieder zur Diskussion zu stellen, ist ihr ein Anliegen. PITT entstand demzufolge auch aus dem regen Austausch und der Zusammenarbeit mit einer Reihe weiterer engagierter KollegInnen im Traumabereich und den jeweiligen Teams in den Kliniken. Die unterschiedlichsten Anleihen stellen viele kleine Angebote zur Verfügung, die aufgrund ihrer Vielseitigkeit für jede/n etwas bereithalten, um einen Zugang zu der spezifischen Situation zu bekommen, in der man sich jeweils gerade befindet. Das macht ihr Vorgehen so lebhaft und für LeserInnen kurzweilig, unterhaltend und spannend geschrieben – mit vielen Blicken über den Tellerrand in ganz andere Gefilde.
Neben der schonenden Traumaexposition geht es Luise Reddemann mit PITT vor allem darum, die PatientInnen einzuladen, sich selbst zu trösten und zu versorgen, besonders bekannt geworden unter dem Stichwort der Arbeit mit dem »inneren Kind«. Maßgeblich hat sie die Stichworte Respekt und Würde in den traumatherapeutischen und -pädagogischen Diskurs eingebracht. Lange vor der ›Achtsamkeitsmode‹ thematisierte sie die Bedeutung der inneren Verfasstheit und Spiritualität in der psychotherapeutischen Behandlung. Aktuell hat sie den Begriff »social trauma« aufgegriffen und ist ihm nachgegangen. Sie knüpft damit an ihre Erfahrungen in den 1970er-Jahren im Rahmen der Sozialpsychiatrie an, dass es auch in der Psychotherapie – auch wenn sie dyadisch angelegt ist – niemals nur um das Individuum geht, sondern dass wir stets eingebunden sind in soziale Prozesse, die Gesundheit und Krankheit moderieren. Auf diese Weise hat Luise Reddemann mit dem vorliegenden Buch über viele Jahre hinweg Traumatherapiegeschichte geschrieben. Die Veränderungen seit Beginn ihres Wirkens bis heute in der Traumabehandlung und der durch sie initiierten Schritte sind fundamental – insbesondere, aber keineswegs nur innerhalb der Psychoanalyse.
Denn Luise Reddemann hat nicht nur die Psychotherapie geprägt. Während traumatherapeutische Verfahren bereits lange bekannt sind, haben als Antwort auf den psychosozialen Bedarf aktuell traumapädagogische Konzepte an Verbreitung gewonnen, mit denen psychosoziale Fachkräfte z. B. in der Kinder- und Jugendhilfe – durch spezifische Fort- und Weiterbildungen einerseits und durch die Schaffung tragfähiger Strukturen in den Institutionen andererseits – bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe unterstützt werden. Den zahlreichen psychosozialen und traumapädagogischen Entwicklungen und Verfahren war Luise Reddemann mit ihrer respektvollen und schonenden Vorgehensweise eine tatkräftige Vorreiterin, der es ebenfalls nie nur um die Traumaexposition, sondern stets auch um die Wiederherstellung von Vertrauen und sozialer Teilhabe, Selbstwert, Körpergefühl und Sinnfindung – und dies alles stets im Lebensalltag – ging und geht. Auf dieser Grundlage ermöglicht sie auch einen Blick auf die Notwendigkeit, gesellschaftlich traumatisierende Strukturen als strukturelle Gewalterfahrungen – wie Diskriminierungserfahrungen oder die unwürdige Behandlung von Geflüchteten – in die Begleitung der Betroffenen mit einzubeziehen.
Luise Reddemann hat mit diesem Buch abermals ihr großes Talent bewiesen, aktuelle Ereignisse, Historisches und Literarisches/Kulturelles mit den klinischen Themen, die sie fokussiert, zu einem kunstvollen Teppich zu verweben, der so schwere Lasten aufnehmen kann wie das Thema Trauma. Luise Reddemann schreibt dialogisch, das Lesen hat daher etwas von einem Gespräch. Man fühlt sich direkt angesprochen, einbezogen. Sie schreibt nicht für die LeserInnen, sondern quasi mit ihnen. Mit ihr gemeinsam durch den Text zu mäandern und immer wieder zum roten Faden zurückzukehren – und dabei jedes Mal ein wenig wissender zu sein – ist nicht nur lehrreich, sondern auch reichhaltige Kost. In diesem Sinne wünschen wir den LeserInnen viel Freude und einen reichen Einblick in ein respektvolles, kreatives und schonendes Vorgehen in der Arbeit mit KlientInnen, die in ihrem Leben viel Trauma, aber auch viel Wachstum und Stärke erfahren haben. Um dies zu entdecken, ist das von Luise Reddemann entwickelte Verfahren äußerst bereichernd.
Silke Birgitta Gahleitner und Dorothea Zimmermann
Berlin, im Juli 2020
Kapitel 1
Im Jahr 2000 habe ich das Buch »Imagination als heilsame Kraft« (Reddemann 2001/2016a) verfasst, das inzwischen viele KollegInnen, PatientInnen und am Thema Interessierte erreicht hat; das Manual dazu habe ich 2003 geschrieben, 2007 etwas überarbeitet und nun für diese Neuausgabe vollständig revidiert.
In den letzten 20 Jahren hat sich die grundsätzliche Orientierung der PITT an den Selbstheilungskräften zwar nicht verändert, jedoch sind in der Psychotherapie allgemein, in der Psychotherapieforschung sowie in der Psychotraumatologie speziell und in meiner persönlichen Entwicklung und in meinen Sichtweisen zahlreiche neue Erkenntnisse dazugekommen, die in die Praxis zwar bereits eingeflossen sind, die jetzt auch in schriftlicher Form vorgelegt werden sollen.
Schon in »Imagination als heilsame Kraft« habe ich den Wert der Suche nach und Konzentration auf die Selbstheilungskräfte der Patientinnen und Patienten sowie Ressourcenorientierung hervorgehoben. Ich möchte hier nun erneut deutlich machen, wie Orientierung am Leidvollen und an Ressourcen bei beinahe jedem Behandlungsschritt beachtet werden sollte und kann. Dazu gehört für mich heute vor allem eine entschlossene Orientierung an einer von Mitgefühl getragenen Haltung. Mitgefühl bedeutet Einfühlung und die Bereitschaft, Hilfreiches bewirken zu wollen und womöglich, dies auch konkret zu tun.
Wichtig ist mir die Beschäftigung mit dem Thema Würde und daraus resultierend die konsequente Anerkennung der Autonomie der PatientInnen. Ein sperriger und heute selbst in der Philosophie umstrittener Wert ist der Würdebegriff seit Kant geworden. Mich hat Peter Bieri (2013/2015, S. 3), der davon spricht, dass Würde »viele Sachen« sei, sehr angeregt. In meinem Buch »Würde – Annäherung an einen vergessenen Wert in der Psychotherapie« (2008/2016c) habe ich dargestellt, dass wir gut daran täten, uns metatheoretisch auch am Würdebegriff zu orientieren. In einem weiteren Buch zum Würde-orientierten Umgang mit Geflüchteten habe ich mich noch mehr mit der Würdethematik befasst (Reddemann 2020b), denn traumatisierte Menschen benötigen TherapeutInnen, die sich mit aller Kraft bemühen, ihre Würde zu achten.
Auch in anderen Kapiteln geht es teilweise um Neubewertung und Umakzentuierung. Insbesondere dem Aufbau einer sicheren Bindungs- und Beziehungserfahrung soll hier noch mehr Raum gegeben werden als bisher. Weniger zu ändern hatte ich in Bezug auf konkrete therapeutische Interventionen, denn sie waren schon lange von der Orientierung an Autonomie und Würde der PatientInnen geprägt sowie orientiert an einer mitfühlenden Haltung.
Dieses Buch ist für Fachleute geschrieben. Es gründet auf den Prinzipien der psychodynamischen Psychotherapie, ist aber beeinflusst von einer ganzen Reihe anderer therapeutischer Ansätze; es verwendet daraus, was mir hilfreich erscheint, und ist insoweit integrativ, nutzt aber immer zum Verständnis und als Grundlage psychoanalytische Konzepte.
PITT wurde entwickelt für die Behandlung von komplex traumatisierten Patientinnen und Patienten mit komplexen Traumafolgeerkrankungen und hat auf diesem Gebiet nach wie vor ihre wichtigste Indikation. In der Begleitung von akut Traumatisierten haben sich Elemente der PITT als hilfreich erwiesen. Eine diesbezügliche Empfehlung findet sich in Kapitel 8. Da die Corona-Krise für viele Menschen eine hoch belastende Erfahrung darstellt, werde ich auch hierauf immer wieder kurz eingehen.
Die stabilisierenden Teile der PITT haben sich auch zur Selbstfürsorge von TherapeutInnen bewährt.
Die Erkenntnisse aus der Ego-State-orientierten Arbeit haben sich über die Jahre vertieft, sodass sich auch hier einige Veränderungen ergeben, insbesondere halte ich es heute für günstiger, nicht von »dem inneren Kind« zu sprechen, sondern von » jüngeren Anteilen« oder gegebenenfalls von »verletzten Anteilen«, denn es kann, je älter wir werden, ja auch erwachsene verletzte Teile in einem Menschen geben. Wir erleben dies gerade äußerst beklemmend bei der Begleitung traumatisierter Geflüchteter. Aber auch alte Menschen, die die Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt haben, können z. B. durch die Corona-bedingten Einschränkungen sehr belastet sein und entsprechend mit Interventionen aus dem PITT-Ansatz begleitet werden.
Die Arbeit mit Täterintrojekten gründet auf einem psychoanalytischen Verständnis, insbesondere Federns Konzept der Ego-States, ist aber auch von Vorstellungen, die aus dem Psychodrama kommen, inspiriert.
Meine traumakonfrontative Arbeit unterscheidet sich von allen mir bekannten Konzepten durch äußerste Behutsamkeit. Das wird von manchen so interpretiert, als würde ich nicht »richtig« konfrontieren. Ich gehe davon aus, dass wir – egal wo wir uns therapeutisch verorten – immer vor der Herausforderung stehen, uns auf die einzelne Person und deren Bedürfnisse einzulassen. Komplex traumatisierte Menschen fordern uns auf, sehr flexibel auf sie einzugehen. Für manche ist es hilfreich, wenn sie sich baldmöglichst mit ihren traumatischen Erfahrungen konfrontieren können, für andere kann es sehr lange dauern und für nicht wenige steht es niemals an (Courtois & Ford 2009/2011, 2015).
Es ist empfehlenswert, dieses Manual als Ergänzung zu »Imagination als heilsame Kraft« (Reddemann 2001/2016a) zu verwenden, d. h. die Lektüre beider Bücher ist für ein vertieftes Verständnis zu empfehlen.
Dieses Manual kann keine gründliche Fortbildung in Psychodynamisch Imaginativer Traumatherapie ersetzen und erst recht keine komplette Weiterbildung in den vielfältigen Formen der Behandlung psychotraumatischer Störungen. Therapie kann man nicht ausschließlich aus Büchern lernen, man muss erfahreneren KollegInnen bei der Arbeit zuschauen, sie selbst erfahren und sie dann selber unter Anleitung tun.
PITT kann erst erlernt werden, wenn bereits eine Aus- bzw. Weiterbildung in einem anerkannten psychotherapeutischen Verfahren abgeschlossen ist sowie breitere Erfahrungen darin vorhanden sind. Auch sollten Grundlagen der Psychotraumatologie vertraut sein.
Alltägliches Handwerkszeug von PsychotherapeutInnen setze ich voraus. In diesem Buch will ich die mir wesentlich erscheinenden Tools einer traumaadaptierten psychodynamischen Psychotherapie herausarbeiten.
Redundanzen im Text sind beabsichtigt, um ein vertieftes Verständnis zu erreichen.
Ich habe das Glück, meine Vorstellungen von Therapie laufend mithilfe vieler PatientInnen und KollegInnen überprüfen zu können. Inzwischen war es möglich, eine naturalistische Studie mit einer Zwei-Jahres-Katamnese abzuschließen. Die Ergebnisse sind ermutigend, jedoch ist weitere Forschung erforderlich (Lampe et al. 2008, 2014). Dazu kam später eine qualitative Studie im ambulanten Bereich (Gärtner et al. 2020) – im Übrigen mit PatientInnen, die sicher für eine quantitative Studie aufgrund ihrer schweren Krankheitsbilder nicht infrage gekommen wären. Nicht zuletzt, weil so schwer belastete PatientInnen sich in der Regel für Forschung nicht zur Verfügung stellen mögen.
Früh – für deutsche Verhältnisse – sammelte ich von 1985 bis Ende 2003 Erfahrungen in der Klinik für psychotherapeutische und psychosomatische Medizin des Ev. Johannes-Krankenhauses Bielefeld. Viele Anregungen für dieses Buch stammen auch aus der Arbeit mit KollegInnen in Kursen und Supervisionen. Meiner Behandlungsphilosophie entsprechend werden die Teile, die sich auf Stabilisierung, Restabilisierung und Ressourcenförderung beziehen, mehr Raum einnehmen als diejenigen, bei denen es um Konfrontation im engen Sinn geht. Jedoch ist die Arbeit mit »verletzten Anteilen« sowie mit »verletzenden« durchaus konfrontativ, dient also bereits zu Teilen der Begegnung mit belastenden Erfahrungen. Auch Letztere betrachte ich jedoch, wo immer möglich, mit einem Ressourcen-orientierten Blick. Bei der konfrontativen Arbeit finden sich nämlich häufig Informationen über selbstschützendes Verhalten während des Traumas, das zuvor nicht erinnert werden konnte, was sich oft als hochwirksame und heilende Erinnerung erweist.
Viele Anregungen für meine Arbeit verdanke ich ganz anderen als psychotherapeutischen Quellen. DichterInnen z. B. beschäftigen sich, ohne je Therapie gemacht zu haben, mit Fragen, die auch in Therapien auftauchen. Ich erinnere hier z. B. an Rose Ausländer, Hilde Domin und Mascha Kaleko; Ulla Hahn (2009, S. 67) spricht von der Lyrik als »Ort der Freiheit«, als »magischem Gebrauchsgegenstand«, und vom Poetischen als »unspezifische Genauigkeit« (ebd.). Deshalb beziehe ich mich in meiner konkreten Arbeit gerne auf Texte, die mir wie zum Thema geschrieben erscheinen. Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass die Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Musik sehr emotional nährend und ressourcenfördernd sein kann.
Ich habe mich bemüht, die Kapitel jeweils in sich geschlossen und nachvollziehbar zu gestalten. Zum besseren Verständnis empfiehlt es sich, die ersten Kapitel, in denen ich viele neuere Erkenntnisse zusammengetragen habe, in jedem Fall zuerst zu lesen.
Bitte behalten Sie immer im Sinn, dass dieses Buch zwar für TherapeutInnen geschrieben ist und ich daher vordringlich auf ihre Bedürfnisse eingehen werde. Dennoch halte ich nach wie vor Patientinnen und Patienten für ExpertInnen ihrer eigenen Probleme. Wenden Sie daher bitte alles, was Sie tun, mit dieser Haltung an. Auch hierzu gibt es ergänzende Einsichten. So hat mich meine Beschäftigung mit der Frage nach einer Würdeorientierung in der Psychotherapie (Reddemann 2008/2016c, 2020b) dazu gebracht, Mitgefühl und Empowerment für vordringliche Themen jeder Psychotherapie zu halten.
Männer erleiden häufiger traumatische Erfahrungen als Frauen, aber Frauen leiden häufiger an Posttraumatischen Störungsbildern. Ich gehe davon aus, dass viele Kolleginnen und Kollegen eher mehr Frauen als Männer behandeln, außer sie arbeiten vorwiegend mit Akuttraumatisierten oder im Strafvollzug. Die ausschließliche Verwendung der männlichen Form mit der Begründung, die Frauen seien »mitgemeint«, ist für mich nicht akzeptabel. Die umgekehrte Form (Männer sind in der weiblichen Form mitgemeint) finde ich genauso fragwürdig. »Mitmeinen« ist in meinem Verständnis eine subtile Form von struktureller Gewalt. Daher werde ich abwechselnd von Patientinnen und Patienten, Therapeutinnen und Therapeuten sprechen, also teils in der weiblichen, teils in der männlichen Form. Diese Sprachregelung hat sich im angloamerikanischen Sprachraum längst durchgesetzt. Immer wieder verwende ich auch den Begriff PatientInnen und TherapeutInnen.
Ich bin nun bereits seit 50 Jahren psychotherapeutisch tätig. Dafür bin ich vor allem dankbar. In so langer Zeit hört und liest eine viel. Ich bitte daher um Nachsicht, falls ich jemanden zu zitieren vergessen habe, weil ihre oder seine Gedanken inzwischen zu meinen eigenen geworden sind. Andererseits stelle ich immer wieder fest, dass im Grunde genommen alles schon einmal gedacht und gesagt wurde und dass ich längst nicht alle Autoren und Autorinnen kenne, die ähnliche Gedanken hatten wie ich. Ich habe mich bemüht, meine Quellen so sorgfältig wie möglich anzugeben. Für Hinweise, die mein Gedächtnis auffrischen oder mich auf Neues oder mir nicht Bekanntes hinweisen, bin ich dankbar.
Ich bin überzeugt, dass Dunkelheit, Schmerz und Leiden ein Teil des menschlichen Lebens sind, den niemand aus ihm entfernen kann, selbst wenn er oder sie es wollte. Wer meint, ich wollte das mit meiner Arbeit bewirken, hat mich gründlich missverstanden. Meine klinische Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Menschen, mit denen ich arbeite, so überwältigt worden sind von leidvollen Erfahrungen, dass ihre Möglichkeiten, diese als zu ihnen gehörig zu integrieren oder anzunehmen, häufig bei Weitem überfordert waren, selbst wenn sie eine ganze Reihe von Selbstheilungsmechanismen zur Verfügung hatten. Die meisten meiner PatientInnen vermieden eine bewusste Auseinandersetzung mit ihrem Leid und ihrer Trauer, obwohl sie andererseits ständig damit in irgendeiner Weise, insbesondere durch Symptome, konfrontiert waren. Das erscheint paradox, erklärt aber vielleicht die grundlegende Schwierigkeit. Es ist für sie meist unerträglich, die Welt als Ganzes zu akzeptieren und zu erkennen.
In der buddhistischen Psychologie heißt es, dass Leiden dadurch vermehrt wird, dass wir das Leiden, das das Leben mit sich bringt, nicht akzeptieren. Ähnliche Gedanken finden sich auch in der christlichen Tradition. Schaut man sich alte Kirchenlieder an, z. B. »Wer nur den lieben Gott lässt walten«, das während des 30-jährigen Krieges entstanden ist, so wird hier gefragt, was die Sorgen, das »Weh und Ach«, sollen, man könne sich damit Gott anvertrauen. Nun ist aber das extreme Leid und Leiden traumatischer Erfahrungen gerade so beschaffen, dass es in einer Weise unerträglich erscheint, dass heutigen Menschen die alten Empfehlungen nicht mehr zu helfen scheinen.
»The coronavirus is a reminder of our vulnerability and our finitude« schreibt der amerikanische Arzt Ryan M. Antiel (2020, o. S.) in einem bemerkenswerten Essay »Oedipus and the Coronavirus Pandemic«, denn auch Ödipus musste die Grenzen menschlicher Existenz erfahren, ja erleiden, so wie wir sie jetzt kollektiv durch das Virus in einer in 75 Jahren nie gekannten Heftigkeit erleben. Viel Weisheit, vieles an Kunst hat seine Wurzeln in leidvollen Erfahrungen.
In diesem Kontext sollten Begleitende sich klarmachen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Angstmachendem sowie Dissonanzen des Lebens und den überwältigenden Erfahrungen von traumatischen Erlebnissen, die einen zutiefst erschüttern und aus den Angeln heben können.
Es muss auch im Auge behalten werden, dass aktuelle belastende Erfahrungen alte Traumata reaktivieren können.
Zweifellos gibt es Menschen, für die traumatische Erfahrungen Wachstumschancen beinhalten, manche jedoch zerbrechen – fast – daran. Sie kämpfen Tag für Tag ums Überleben. Und um diese Menschen geht es in meiner Arbeit. Diese PatientInnen scheinen außerhalb der Polarität zwischen Freud- und Leidvollem, gefangen im Leidvollen, zu leben. Jedoch können sie und wir TherapeutInnen möglicherweise von denen, die trotz allem nicht erkranken oder rasch(er) genesen, lernen. Diese Menschen haben fast in jedem Moment ein Bewusstsein der Fülle der Möglichkeiten, während andere Unterstützung dabei benötigen, die Fülle der Möglichkeiten (wieder) zu entdecken, auch sich des eigenen Potenzials, das bereits da ist, bewusst zu werden. So verstehe ich die therapeutische Aufgabe darin, ein Bewusstsein für die Polarität und damit Ganzheit von Leid und Freude anzuregen, damit PatientInnen wieder in die Lage kommen zu wählen, wo sie sich aufhalten wollen, um die Wechselfälle des Lebens anzunehmen. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, mir klarzumachen, dass die Patientin bereits überlebt hat! Dafür benötigt sie uns nicht, aber dafür, dass jemand ihr Leiden mitfühlend ernst nimmt und ihr beisteht und sie zu einem »guten Leben« so weit wie möglich ermutigt, wenn sie das wünscht.
Jeder Mensch hat das Recht, im Leid zu verharren. Wenn wir bereit sind, das zu akzeptieren, wird das fast immer verstanden werden und als tröstlich erlebt, sodass im Lauf der Zeit noch mehr an Tröstendem möglich ist. Trost zu versagen, sollte uns nicht in den Sinn kommen.
Dem Leiden aus dem Weg zu gehen und PatientInnen den Raum, den sie für ihr Leid brauchen, zu versagen, treibt sie in Verzweiflung. Jedoch kann unsere tröstende Präsenz Leiden mindern.
Dem neoliberalen »Glücksdispositiv« widmet der Philosoph Byung- Chul Han unter der Überschrift »Palliativgesellschaft – Schmerz heute« sein jüngstes Buch. (Han 2020, S. 21)
Hier führt er aus, dass dieses Dispositiv zur Entpolitisierung und Entsolidarisierung führt. Die Palliativgesellschaft entpolitisiere den Schmerz und privatisiere ihn gänzlich. Es geht also immer um beides: Leid und Schmerz einerseits und Glück und Freude anderseits.
Jedoch sind wiederum nicht wenige TherapeutInnen traumatisierter Menschen nach meiner Beobachtung bei ihrer Arbeit nicht in der Fülle, sondern gefangen in einer ausschließlich am Leiden orientierten Sichtweise sowie andererseits in den letzten Jahren und nach Entwicklung der Positiven Psychologie beinahe ausschließlich in einem Vorwärtsdenken. Diesem Pyrrhus-Sieg widmet Han seine Überlegungen, und ich halte sie für unbedingt lesenswert. Ich betrachte Ressourcenorientierung neben der Leidorientierung als wichtigen Faktor in der Behandlung allgemein und in der Psychotherapie von Menschen mit Traumafolgestörungen im Besonderen. (Boss 2006/2008).
Für manche Menschen steht es aus unterschiedlichsten Gründen und zu bestimmten Zeiten nicht an, ihr Unglücklichsein zu verändern. Daher sollte die Frage nach Ressourcen nicht dafür missbraucht werden, Menschen abzuverlangen, dass sie sich mit ihrem Leid, womöglich auch mit sozialer Ungerechtigkeit und Gewalt »resilient« abfinden sollen (Reddemann 2020c). Hier braucht es gesellschaftliche Veränderungen! Und es mag auch darum gehen, Veränderung zu wollen, nicht aufzugeben, sich dazu zu entschließen, dass man sein Schicksal ändern will, Negativzuschreibungen zu beenden und geduldig an Veränderungen zu arbeiten. So erscheint es mir heute wichtiger denn je, dass wir beide Pole und vieles dazwischen betrachten und immer mit dem Leiden solidarisch sind. TherapeutInnen laufen manchmal Gefahr, im Sinne einer – auch gesellschaftlich bedingten Gegenübertragungsreaktion – zu schnell Veränderungen anzustreben, um dem Leiden zu entkommen. Nur die Patientin kann bestimmen, wann für sie der richtige Zeitpunkt ist, sich ihren Ressourcen zuzuwenden.
Ressourcenorientierung ist nicht gedacht für Verleugnung, Bagatellisierung und Beschönigung. Sie kann ein Gegengewicht sein, aber auch, wenn zu früh und zu schnell angestrebt, eine Keule, die noch mehr verletzt.
Gerade darin sehe ich eine Chance für psychodynamische Behandlungsansätze.
Eine Weile sah es so aus, als seien psychoanalytisches Denken und Lösungs- und Ressourcenorientierung so meilenweit auseinander, dass eine Verbindung nicht gelingen könnte. Dennoch gibt es ja Gedanken zur Förderung progressiver Tendenzen in den Schriften psychoanalytischer Autoren. Schon lange gibt es sie, die sich nicht nur für die Leidens-, sondern auch für die Widerstandsgeschichte und, wie Fürstenau nicht müde wird zu betonen, für die gesunden Anteile ihrer PatientInnen interessierten. Fürstenau (2002, o. S.) spricht in diesem Zusammenhang vom »beidäugigen Sehen in Diagnostik und Therapie«. Wir sollten in Betracht ziehen, dass, je weniger stabil eine Patientin/ein Patient ist, desto mehr sollten ihre/seine Ressourcen benannt und die PatientInnen zu ihrer Nutzung ermuntert werden. Unermüdlich hat Fürstenau darauf hingewiesen. Seine diesbezüglichen Arbeiten sind »Entwicklungsförderung oder Orientierung an der Defizienz?« (Fürstenau 1992/2017a) sowie »Progressionsorientierte psychoanalytisch-systemische Therapie« (Fürstenau 1992/2017b) und stammen bereits aus den Jahren 1989 bzw. 1991. Fürstenau bezog sich häufig auf die Forschungen der »Mount Zion Group« und auf deren »control-mastery theory« (Silberschatz 2005). Hier macht einer der Co-Autoren, Joseph Weiss (2005), deutlich, wie wichtig es ist, den Patienten mit dem, was er will, ernst zu nehmen und ihm zu folgen.
»Indem wir frei werden für unser Wachstum«, so Karen Horney (1950/1975, S. 14), machen wir uns auch frei dafür, andere zu lieben und an ihnen Anteil zu nehmen. Dann wird es auch unser Wunsch sein, ihnen […] die Möglichkeit zu ungehindertem Wachstum zu geben und ihnen […] in jeder Weise dazu zu verhelfen, sich selbst zu finden und zu verwirklichen.« Frei zu werden für unser Wachstum kann viel Zeit in Anspruch nehmen.
Wir können die Errichtung und das Wachstum guter innerer Objekte fördern, wenn PatientInnen dazu bereit sind – und eben nicht, wenn wir allein meinen, das sei erforderlich. Wir können dieses Wachstum aber auch durch freundliche Präsenz anregen.
Geißler (2004) hebt hervor, dass man sich als Therapeut auf die vorwärtsbewegende Tendenz des Organismus verlassen könne. Leider stimmt dies für traumatisierte PatientInnen mit Traumafolgestörungen nur bedingt, sodass auch explizite ressourcenfördernde Interventionen notwendig sein können, vorausgesetzt wir gewinnen die Patientinnen dafür. Dies haben für die Psychoanalyse die Forschungen von Weiss und KollegInnen (1986) bestätigt, die zeigen konnten, dass Patienten den Willen und Wunsch haben, durch psychoanalytische Behandlungen ihre pathologischen Überzeugungen und Verhaltensweisen zu entkräften und darüber Kontrolle zu erlangen.
Es geht um einen dialektischen Prozess von Anpassung des Individuums und seiner Widerständigkeit, sein Bedürfnis nach Autonomie und Anerkennung seiner Sehnsüchte. Gesellschaftliche Unterdrückungszusammenhänge sollten immer erkannt und benannt werden, damit die Patientin Entscheidungsräume dazugewinnt, wie sie mit den ihr angetanen Verletzungen und (Trieb-)Unterdrückungen künftig möglichst ohne Selbstbeschädigung leben will und kann.
Man kann davon ausgehen, dass es sich in der Psychoanalyse um das Finden von Lösungen handelt, für die nicht immer ein mit Sicherheit zum Erfolg führender Algorithmus bekannt ist, also zunächst jeweils um Annahmen, von denen man sich neue Erkenntnisse erhofft. Somit verdankt sich diese Methode der Einfühlungsgabe zweier Subjekte (vgl. Pohlen & Bauth-Holzherr 2001, S. 108) und der imaginativen Kompetenz von Patientin und Therapeutin. Die psychoanalytisch orientierte Arbeit lässt Räume der Unsicherheit und des Zweifels offen, die Psychoanalytikerin weiß darum, dass es nicht auf jede Frage eine Antwort gibt, und kann mit Unsicherheiten und Ambiguitäten leben und arbeiten (s. dazu die Bezugnahme auf Pauline Boss, weiter unten). Andererseits wird in der PITT die Imaginationskompetenz der PatientInnen genutzt, um insbesondere unterstützende, ja möglicherweise heilsame Vorstellungen anzuregen und zu fördern.
Während der letzten Jahre macht sich in der Psychotherapie immer mehr ein Denken breit, wonach mit der »richtigen« Technik jedes Problem bewältigt werden kann. Therapeutin und Patientin geraten unter einen normativen Druck dessen, was – möglichst schnell! – erreicht werden sollte. Diesem Denken widersetzen sich Menschen, ganz einfach, weil sie so unterschiedlich sind und so unterschiedliche Interessen verfolgen, dass sich dies nicht manualisieren lässt. Alle von mir begleiteten Menschen litten nicht an einem symptomatischen Problem, sondern meist an einer Vielzahl von Schwierigkeiten. Dies insbesondere in der Folge von komplexen traumatisierenden Erfahrungen. Klaus Grawe (2002) schließe ich mich an, der meinte, dass Patienten häufig andere Interessen hätten als ihre störungsorientiert arbeitenden Therapeuten, denen die Beseitigung der Störung das wichtigste Ziel ist.
Die Grundprinzipien einer psychodynamischen Hermeneutik halte ich daher für eine Ressource per se, auf die ich in meiner Arbeit nicht verzichten möchte.
Schon Paracelsus galt imaginative Kompetenz als das Wesentliche des Heilungsprozesses. Imagination aber lässt sich nicht von vorneherein festlegen, sie schafft zuvor nicht immer planbare Räume, auf die eher mit kreativen Akten denn mit Manualtreue zu antworten wäre. Mithilfe der Imagination kann man so auch dem Unsichtbaren begegnen, das für manchen Wissenschaftler nicht einmal denkmöglich ist. Wissenschaftliches Denken und Kreativität sind gemeinsam und in einem Ergänzungsverhältnis wichtige Ressourcen. Im Klartext heißt das, wir können komplex traumatisierte PatientInnen selten auf einem ganz sicheren Gelände begleiten, wir wissen wenig und gehen mit ihnen gemeinsam verschiedene Wege, um zu einem besseren Verstehen und daraus abgeleitetem neuen Handeln zu gelangen; wir versuchen, lose Enden zu verknüpfen, was manchmal gelingt und manchmal auch nicht; dazu können auch, aber nicht nur, Angebote von manualisierten therapeutischen Schritten gehören, die Therapeutin und Patientin Orientierung und Halt geben können. In der Psychotherapieforschung ist bekannt, dass PraktikerInnen sich um ihrer PatientInnen willen nicht fortwährend an Manuale halten, sondern ihr Tun an die jeweiligen Bedürfnisse der PatientInnen anpassen (Schottenbauer et al. 2008a, 2008b). In jedem Fall bemühen wir uns, PatientInnen zu sich selbst zu ermutigen und anzuerkennen, dass es sehr viele verschiedene Lebenswege und Lebenslösungen gibt.
Das Hauptanliegen dieses Buches ist es daher, einen Leitfaden anzubieten und zu kreativen Wegen zu ermutigen, die Sie am besten gemeinsam mit Ihren PatientInnen (er)finden.
Wie Prometheus können wir nicht ohne unser eigenes Feuer leben, wir müssen selbst imaginieren und denken und uns von den »Göttern« unabhängig machen, selbst wenn uns das einsam macht.
Psychodynamische Ansätze bieten PatientInnen die Möglichkeit einer emotionalen und intellektuellen Integration an, indem unerklärliche und befremdliche Erfahrungen, die sie bisher gemacht haben, in ein Erklärungs- und Interpretationsschema eingeordnet werden (Pohlen & Bautz-Holzherr 2001, S. 43; Reddemann & Fischer 2010), denn sich selbst besser verstehen zu können verhilft zu mehr Selbstkontrolle, wirkt stressmindernd und ermöglicht so, dass Neues erprobt werden kann. Auch Psychoedukation und Erklären sind sinnvoll, weil wir kognitive Bedürfnisse anerkennen und nicht von vornherein als Abwehr betrachten (Pohlen & Bautz-Holzherr 2001, S. 118).
Patienten wollen im Allgemeinen als erwachsene Menschen ihr Leben meistern (vgl. control-mastery theory: Silberschatz 2005), was auch beinhaltet, dass sie über ihre kindlichen Anteile mit spielerischer Freude verfügen können. Dies wiederum erfordert eine Beruhigung der verängstigten und traumatisierten jüngeren Anteile. Fritz Morgenthaler (1978) spricht davon, dass wir dafür zu sorgen hätten, dass PatientInnen sich in der therapeutischen Situation wohlfühlen, dass wir es ermöglichen sollten, dass PatientInnen zu uns ambivalenzfreie (!) Beziehungen entwickeln können, damit sie sich mit und bei uns geborgen fühlen. Dies hilft ihnen, nach und nach zu einer selbstfürsorglicheren Haltung zu kommen. PatientInnen wünschen keine Neuauflage ihrer infantilen Ambivalenzkonflikte und noch weniger eine Wiederauflage traumatischer Erfahrungen. Traumatisierte PatientInnen möchten verstehen, warum sie sich verhalten, wie sie sich verhalten, und sie suchen nach dem Sinn ihrer Erfahrungen, wie sie diese in ihr jetziges Leben integrieren und ihr Leiden daran vermindern können. Dazu brauchen sie BegleiterInnen, die bereit sind, so weit mitzugehen, wie es für die Betroffenen stimmig ist, nicht, wie es in Manualen steht!
Es geht daher um einen Neubeginn, d. h., wir sollten neue emotionale, aber auch kognitive und Handlungserfahrungen ermöglichen. Und das ist eben nicht nur die Konfrontation mit dem Trauma, sondern vor allem die Erfahrung einer haltgebenden, mitfühlenden Beziehung und die Erfahrung des Neubeginnens.
Dies wiederum bedeutet für die PITT, dass es in der Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen um verschiedene Facetten der Nachbeelterung qua Imagination geht, also Akte imaginativer Selbstbegegnung und Selbstfürsorge, ein wesentlicher Faktor für einen ressourcenorientierten Umgang mit sich selbst, getragen von einer haltgebenden therapeutischen Beziehung, sowie die Ermöglichung der Erfahrung des Neins und der Widerständigkeit gegen (trieb-)unterdrückende Lebenszusammenhänge.
Die weitverbreitete therapeutische Praxis, lediglich das Schmerzliche einer traumatischen Erfahrung hervorzuholen, genügt nicht, sondern es sollten ressourcenorientierte Erfahrungen ebenfalls benannt und progressive Vorstellungen dazu entworfen werden – immer vorausgesetzt, die Patientin stimmt dem zu! Diese Vorstellungen entwickeln sich am ehesten mithilfe einer das Leiden anerkennenden Therapeutin, die auch an den progressiven Bedürfnissen der Patientin interessiert ist und daran, diese zu fördern, die gleichzeitig in der Lage ist, regressive Bedürfnisse und daraus resultierende Übertragungsmanifestationen zu verstehen und mit ihnen geschickt umzugehen.
Ein wichtiger Grundsatz in der Therapie mit PITT besteht in dem Bemühen, eine tragfähige Sicherheit und haltgebende, von Mitgefühl bestimmte therapeutische Beziehung zu ermöglichen, sodann um eine Bejahung und Würdigung der Symptomatik – nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der Widerständigkeit des Subjekts gegen zerstörerische äußere Bedingungen und des Leidens. So bedarf z. B. der Vorgang der Dissoziation zunächst einer Bejahung und kann im Sinne einer Distanzierung von traumatischen, erst äußeren, später inneren Erfahrungen verstanden und genutzt werden. Das Bild der »inneren Bühne« dient der Selbstentlastung und Distanzierung.
Des Weiteren sollte es um eine gezielte Nutzung traumakompensatorischer Schemata (Fischer 2000) gehen, wozu alle Versuche der PatientInnen zu rechnen sind, mit der traumatischen Erfahrung fertig zu werden und diese ins Selbst zu integrieren, selbst wenn sich diese Versuche später im Leben als wenig hilfreich erwiesen haben.
Eine weitere Säule der PITT besteht im konsequenten Aufspüren von ressourcenvollen Momenten im Leben der Patientin. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist der Spaziergang mit dem Hund. PatientInnen finden nichts dabei, halten das für »normal«. Ich interessiere mich aber so detailliert wie möglich dafür, wie sich die Patientin dabei fühlt, wie es ihr körperlich geht, was sie denkt, was sie wahrnimmt. Und wenn sie mir davon berichtet, zeigt sich vielleicht ein Lächeln, das ich aufgreife und sie fragen kann, ob, wenn sie mit ihrem Hund spazieren geht, sie sich für Momente aus eigener Kraft wohlfühlt, vielleicht sogar Freude empfindet.
Zu erwähnen sind hier auch noch einmal die für PITT bedeutsamen verschiedenen Facetten der Nachbeelterung in der Therapie qua Imagination, Akte imaginativer Selbstbegegnung und Selbstfürsorge, die ein wesentlicher Faktor für einen ressourcenorientierten Umgang mit sich selbst sind. Die haltgebende therapeutische Beziehung ermöglicht – vielleicht erstmals – die Erfahrung des Neins und der Widerständigkeit gegen (trieb-)unterdrückende Lebenszusammenhänge.
Kurz gefasst geht es in der PITT um eine gezielte Nutzung all der Möglichkeiten, die die Patienten ohnehin zur Verfügung haben, mit dem einzigen Unterschied, dass sie nun innerhalb einer sicheren Beziehung noch bewusster erprobt werden können.
Es sei hier noch einmal betont, dass, als quasi »basso continuo«, das Wissen um und der Umgang mit dem Leiden immer da sein sollte.
Wampold und KollegInnen (2010, S. 931) haben eine Liste möglicher Faktoren erstellt, die wichtig für eine erfolgreiche Behandlung posttraumatischer Störungen sind, von denen die hier genannten auch für komplexe Traumafolgestörungen gelten können, die ich etwas gekürzt wiedergebe:
Entwicklung und Förderung einer sicheren, respektvollen und vertrauenswürdigen therapeutischen Beziehung
Überzeugende psychologische Erklärungen, die für die Patientin akzeptabel sind
Gemeinsam erarbeitete Vereinbarungen über die Aufgaben und Ziele der Therapie
Die Förderung von Hoffnung und der Aufbau eines Gefühls von Selbstwirksamkeit
Psychoedukation über posttraumatische Störungen
Die Möglichkeit, über die traumatischen Erfahrungen zu sprechen
Sorge um die Sicherheit der Patientin, insbesondere im Fall von Viktimisierung, wie sie bei häuslicher und sexualisierter Gewalt, nachbarschaftlicher Gewalt geschieht
Hilfsangebote, wie PatientInnen lernen können, Reviktimisierung zu verhindern
Benennen der Ressourcen der PatientInnen, ihrer Stärken, Überlebensfertigkeiten sowie intra- und interpersonaler Ressourcen
Das Erlernen von Copingmechanismen
Exposition
Sinngebung für traumatische Erfahrungen und die Reaktionen der PatientInnen auf das Ereignis
PatientInnen dabei unterstützen, dass sie Veränderungen sich selbst zuschreiben
Ermutigung, soziale Unterstützung herbeizuführen und zu nutzen
Prävention von Rückfällen.
Kapitel 2
Unter dem Begriff Resilienz verstehen wir Widerstandskraft, in unserem Fall seelische. Das Wort stammt von dem lateinischen Begriff »resilio«: Ich springe zurück, oder auch zu neu zu Entdeckendem. Pauline Boss (2006/2008) verwendet das Bild einer Hängebrücke, die sich flexibel einem Sturm anpasst, ohne zusammenzubrechen. Die Widerstandskraft eines Menschen gegenüber Belastungen bestimmt sich aus dem Verhältnis zwischen Risiko- und Schutzfaktoren, das heißt, wenn die Belastungsfaktoren zu hoch sind, hat jemand möglicherweise keine Kraft mehr für Veränderungen, und seine resilienten Kräfte reichen nicht aus bzw. erschöpfen sich. Verwandte Begriffe für Widerstandskraft sind: Salutogenese, also die Lehre von den Bedingungen, wie Gesundheit entsteht – und möglicherweise sogar Flow. Die Grundlagen dazu finden sich in der Forschung zu Resilienz, Salutogenese und Flow, gelegentlich auch in seriöser Glücksforschung (Cabanas & Illouz 2018/2019).
Während früher fast ausschließlich die Entstehung von Krankheit interessierte, fragen wir heute auch: Wie schaffen Menschen es, trotz Belastungen gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden? Was tun seelisch gesunde Individuen, das weniger Gesunde von ihnen lernen könnten?
Einige Pioniere auf den Gebieten dieser Forschung waren oder sind: Aaron Antonowsky (1987/1997) mit seiner Forschung zur Salutogenese, Emmy E. Werner und Ruth S. Smith (1982), deren »Kauai-Studie« den Beginn der Resilienzforschung markiert, Oscar Carl Simonton (Simonton et al. 1978/2013) mit seiner Forschung zur heilsamen Kraft der Visualisierung bei Krebskranken sowie Martin Seligman (1975/2016) und seine Gruppe mit den Untersuchungen von der »erlernten Hilflosigkeit« und vom erlernbaren Optimimus. Früher habe ich die Beschäftigung mit den Befunden zur »Positiven Psychologie« empfohlen, inzwischen stellt sich leider heraus, dass es sich hier häufig nur noch um ein »Geschäftsmodell« handelt. Genaue Prüfung ist daher wichtig (vgl. Cabanas & Illouz 2018/2019).
Bekannte Resilienzforscher, wie z. B. George A. Bonanno (2012, 2014), sagen inzwischen, dass der Resilienzbegriff ungenau sei, man wisse gar nicht genau, was damit gemeint sei, außerdem sei Resilienz kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern habe eine Reihe von vor allem auch externer Bedingungen. Diese Aussagen stehen klar im Widerspruch zu entsprechen Ratgeberbüchern und Behauptungen. Selbstverständlich kann es sinnvoll sein, PatientInnen nach Resilienzfaktoren zu befragen und sie einzuladen, diese so gut es geht auch zu nutzen.
Bender und Lösel (2015) konnten in der sogenannten Bielefelder Studie zeigen, dass vor allem stabile emotionale Beziehungen (zu mindestens einem Elternteil oder einer außerfamiliären Bezugsperson) sowie Modelle positiver Bewältigung entscheidende Resilienzfaktoren darstellten. Das liest sich wie eine Anleitung zu einer ressourcenorientierten Psychotherapie und wie eine Aufforderung, alles für die Entwicklung sicherer Bindungserfahrungen zu tun. Nur bringen komplex interpersonell traumatisierte Menschen das selten mit, sodass die therapeutische Beziehung Erfahrungen vermitteln sollte, die zuvor nicht oder zu wenig gemacht werden konnten.
Ein weiterer Pionier, wie erwähnt, war Aaron Antonovsky (1987/1997). Sein salutogenetisches Konzept des »Sense of Coherence«, abgekürzt SoC, wird häufig zitiert und gilt Gerald Hüther als ein zentraler Faktor seelischer Ausgeglichenheit: SoC wird verstanden als ein durchdringendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens, der inneren Stimmigkeit (Antonovsky 1979, S. 10), und wird folgendermaßen definiert:
Die Anforderungen aus der inneren und äußeren Welt werden als strukturiert, vorhersagbar und erklärbar erlebt, es herrscht die Gewissheit, dass Ressourcen verfügbar sind, die nötig sind, um den Herausforderungen gerecht zu werden und sie zu handhaben, und schließlich das, was ich für das Wichtigste halte: Auch schwere Anforderungen werden als Herausforderungen definiert, die Investition und Engagement verdienen, und sie erscheinen sinnhaft. Dies alles sind subjektive Faktoren, die damit zusammenhängen, wie wir Situationen für uns selbst bewerten. Das heißt, wir haben es zu einem gewissen Teil mit unseren Bewertungen und unserer Vorstellungskraft in der Hand, ob wir diesen Sense of Coherence erreichen oder nicht. Das ist aber keinesfalls eine Rechtfertigung für ausbeuterischen und schädigenden Umgang mit Menschen, wie er heute immer mehr für selbstverständlich gehalten wird.
Vom Sense of Coherence ist es kein weiter Weg zum »beidäugigen Sehen in Diagnostik und Therapie«, den mein verehrter Lehrer, der Psychoanalytiker Peter Fürstenau (2007/2017c), empfiehlt. Er bezieht sich damit auf ein uraltes ärztliches Wissen, dass nämlich der ganze Mensch mit seinen kranken Seiten zuerst und seinem Leiden und dann auch mit seinen gesunden Seiten gesehen wird, beidäugig eben.
Wenn Krisen akzeptiert werden können, wird dadurch möglicherweise Energie freigesetzt, die sonst für innere Kämpfe gebraucht wird. Es erscheint mir wichtig anzuerkennen, dass die Fähigkeit zur Akzeptanz sich erst im Laufe der Zeit einstellen kann und dass es wenig Sinn hat, jemandem diesbezüglich Druck zu machen. Mir scheint, dass das eine Leidabwehr derer, die traumatisierte PatientInnen begleiten, sein kann.
Nach Lösungen aktiv suchen und sich helfen lassen können, ist bedeutsam; aber auch hier gilt, dass es manchmal viel Zeit braucht, bis jemand so weit ist.
Wenn als Heilmittel für jede Art von Problem heute Resilienzförderung empfohlen wird, dürfen wir zweifeln. Denn niemand weiß ganz genau, selbst wenn es einige Hypothesen gibt, wie die einen es schaffen, z. B. keine Viruserkrankung zu entwickeln und warum andere doch (das macht uns die Corona-Krise schmerzhaft deutlich). Sogar, wie bekannt, trotz Impfung, Vitaminpillen und was auch immer.
Ähnliches scheint auch für seelische Prozesse zu gelten. Wir haben Vermutungen, was Menschen stärkt, aber ganz genau in jedem Einzelfall wissen wir dies nicht. Vermutlich deshalb, weil die Dinge komplexer sind, als wir das gerne hätten. Auf der Ebene individuellen Lebens lässt sich das natürlich erkunden, aber daraus lassen sich nicht allgemeine Regeln für Resilienz ableiten. Für Psychotherapien könnte gelten, dass wir das, was wir für resilient halten, benennen und die PatientInnen einladen, uns gemeinsam mit dem, was da an resilientem Verhalten beobachtet werden kann, zu befassen. Es ist sicher auch wichtig, gemeinsam zu überlegen, wie PatientInnen ihre Fähigkeit zur Resilienz nutzen und fördern können, vorausgesetzt, PatientInnen sind mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden.
Anstelle von Resilienzorientierung wurde früher eher von Ressourcenorientierung gesprochen. In den letzten 20 Jahren scheint hinsichtlich Ressourcenorientierung ein gewisser Wandel eingetreten zu sein (vgl. Schemmel & Schaller 2003; Schaller & Schemmel 2013), sich möglicherweise teilweise geradezu ins Gegenteil verwandelt zu haben. Denn jetzt stehen wir vor der Herausforderung, dass alles schnell gehen soll. So sollen nun also KollegInnen mehr Geld pro Sitzung erhalten, wenn sie mit 20 Stunden Psychotherapie auskommen. Ein Highlight neoliberalen Denkens!
Das schnelle Fertigwerden mit allem Schweren wird gerne als Widerstandsfähigkeit interpretiert. So kommen Resilienzprogramme ins Spiel, die nahelegen, dass man auf die eine oder andere manualisierte Art Resilienz fördern könne. »Resilienz ist erlernbar« (Eberle 2019), heißt z. B. ein Amazon-Bestseller. Oder ein anderer Bestseller: »Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out« (Berndt 2008/2016b). Und in der Verlagsmitteilung heißt es zu diesem Buch »Krisen in Chancen verwandeln. Das Leben ist hart geworden im 21. Jahrhundert. Der Leistungsdruck ist groß, nicht nur im Arbeitsalltag, sondern auch im Beziehungsleben. Wie gut wäre es also, so etwas wie Hornhaut auf der Seele zu haben! Eine Lebenseinstellung, die den Blick zuversichtlich nach vorn lenkt. Eine Haltung, die auf Gelassenheit und Selbstsicherheit beruht. Es gibt Menschen, die all diese Eigenschaften haben. ›Resilienz‹ heißt ihre geheimnisvolle Kraft.« Für mich ist die Überlegung zur Notwendigkeit der »Hornhaut auf der Seele« zynisch. Und die häufig zitierte Metapher des »Stehaufmännchens« erst recht. Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen kommt hierbei nicht infrage, scheint nicht einmal in Betracht gezogen zu werden. Wer keine Hornhaut auf der Seele hat, hat das selbst zu verantworten. Als ob es heißt: Mit sozialer Verantwortung befassen wir uns lieber nicht.
Ich habe mir angeschaut, was die mir seit 2004 bekannten ResilienzforscherInnen in jüngerer Zeit zu ihren Forschungsergebnissen sagen. Es hat mich frappiert, dass sie alle betonen, dass der Begriff schwer zu fassen sei und es bis heute keine klare Definition des Begriffs gibt. Ich beziehe mich dabei auf ein panel der ISTSS, also der Internationalen Traumagesellschaft im Jahr 2013 (ISTSS 2013), an dem u. a. George A. Bonanno, Ann S. Masten und Rachel Yehuda teilnahmen (vgl. Southwick et al. 2014). Nach der Lektüre des Berichts habe ich den Eindruck, wir tappen da ziemlich im Dunkeln, und der frühen Begeisterung ist bei den seriösen Forschern eine große Ernüchterung gefolgt.
George Bonanno von der Columbia University in New York ist einer der aktuell wichtigsten und nach meiner Kenntnis genauesten Forscher zu Resilienz, aber auch zu Trauer (Bonnano 2009/2012, 2014), nicht zuletzt deshalb, weil er sowohl schwer Betroffene, die sich kaum erholen, als auch solche, die relativ rasch wieder einen Weg finden, mit Krankheiten und Verlusten umzugehen, genau untersucht. Er konnte mit seinen Forschungen u. a. zeigen, dass es nicht die Art der Verarbeitung von Trauer gibt, wie früher gerne angenommen wurde.
Bonanno berücksichtigt u. a. auch, dass es Menschen gibt, bei denen der Schmerz so groß ist, dass gute Erinnerungen blockiert sind – das habe ich vor allem bei PatientInnen nach traumatischen Erfahrungen beobachtet. Jede Erinnerung wird zur Qual. Bonanno meint, dass es manchen Trauernden eine Art Schonzeit verschaffen kann, wenn sie ihre Trauer lange zeigen dürfen. So können sie sich auf Wichtiges konzentrieren und neue Energien aufbauen. Inzwischen können leider sehr viele Menschen schlecht ertragen, wenn Trauernde allzu lange trauern, manche nicht einmal, wenn jemand Trauer zeigt. Es scheint schwierig zu sein, Arten der Bewältigung von Schmerz ernst zu nehmen und mit den Trauernden zu sein. Was ist allzu lange? Länger als 14 Tage, wie im DSM 5? Was ist verhältnismäßig bzw. unverhältnismäßig? Trauer und Trauern haben viele Gesichter, und alle Beschreibungen davon sind Annäherungen und sagen nicht generell etwas über einzelne Menschen und deren Verarbeitungsmöglichkeiten aus.
Bonanno schildert in seinem Buch mit dem deutschen Titel »Die andere Seite der Trauer« (2009/2012) viele Einzelschicksale, in denen deutlich wird, wie mannigfaltig Trauer sich zeigen kann. Und er beschäftigt sich mit Trauerriten in anderen, insbesondere asiatischen, Kulturen. Damit zeigt er, dass es grundverschiedene Zugänge zu Verlust, Trauer und Tod gibt und sehr verschiedene Arten, wie sich Resilienz zeigen kann, was es möglicherweise so schwierig macht, Resilienz zu definieren.
George Bonanno wurde lange vom Mainstream der Wissenschaft ignoriert, da er viel stärker als andere die Überzeugung vertrat, dass Menschen über Selbstheilungskräfte verfügen, die es ihnen ermöglichen, auf höchst individuelle und kreative Weise mit schweren Belastungen fertig zu werden. Eine Einschätzung, die sich in meiner Arbeit immer wieder bestätigt hat, aber keinesfalls ein Gesetz ist. Für Menschen, die weniger resilient sind, was viele Gründe haben kann, ist das Leid oft groß, und sie benötigen mitfühlende, das Leid respektierende Hilfe.
Man sollte wissen, dass sich wiederholende traumatische Ereignisse mit fortgesetztem und oft sehr raschem Verlust von Ressourcen einhergehen, insbesondere bei Menschen, die bereits in der Vergangenheit traumatisiert wurden, und dass ein akuter Ressourcenverlust die Belastung durch früheren Ressourcenverlust verstärkt.
Da potenziell traumatogene Erfahrungen jeweils außerhalb dessen liegen, was man vom Leben erwarten kann, erfordern sie oft einzigartige und hoch spezifische Copingstrategien. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, braucht es eine sehr pragmatische Haltung. Pragmatisches Coping kann gelegentlich sogar als Folge von relativ rigiden Persönlichkeitsmerkmalen angesehen werden. Zum Beispiel vermeiden manche Menschen unangenehme Erfahrungen. Obwohl dieses Verhalten auch mit Problemen verbunden ist, z. B. mit Ängsten, so kann es doch dazu führen, dass diese Menschen mit traumatischen Ereignissen besonders gut fertig werden, möglicherweise, so ist meine Vermutung, weil sie es eben vermeiden, sich dauernd mit schmerzlichen Gefühlen zu beschäftigen (vgl. Bonnano & Mancini 2008).
Von Interesse erscheinen mir Empfehlungen von Brooks und Goldstein (2001/2017)