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Nicht alles muss durch das Nadelöhr der Sprache. Nonverbale Ausdrucks- und Kommunikationselemente sind zwar oft von sprachlichen Prozessen begleitet, enthalten aber unabhängig davon Bedeutungen, die in den Affekten, Gesten und Körperbewegungen zum Ausdruck kommen. Die Analyse der körperlichen Interaktion ist ein Mittel, um Ängste, Verletzungen, tabuisierte Bedürfnisse und daraus resultierende Selbsteinschränkungen bewusst zu machen. Peter Geißler verfolgt das Ziel, die körperliche Dimension zwischen Patient und Therapeut psychoanalytisch zu erschließen. Er demonstriert den Einsatz aktiver Techniken auf dem Hintergrund der analytischen Reflexion von Übertragung und Gegenübertragung und unter Bezugnahme auf das implizite Beziehungswissen.
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Seitenzahl: 88
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Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Peter Geißler
PsychodynamischeKörperpsychotherapie
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-647-99848-0
Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de
Umschlagabbildung: Paul Klee, Läufer, 1920/akg-images
© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Vorwort zur Reihe
Vorwort zum Band
1 Vorbemerkungen
2 Historische Wurzeln und gegenwärtiger Stand
2.1 Ferenczi und seine Nachfolger
2.2 Der Steißlinger Kreis
2.3 Einordnung des Ansatzes in aktuelle psychoanalytische Strömungen
3 Theoretische Schwerpunkte
3.1 Der ganzheitliche Blick auf das Seelische: die Lebensbewegung
3.2 Implizites Beziehungswissen und implizites reziprokes Körperlesen
3.3 Interaktionelles Feld und interaktionelle Übertragungsanalyse
3.4 Handeln als Erkenntnisquelle in der psychoanalytischen Therapie
4 Indikationen und Anwendungsbereiche
5 Praxis psychodynamischer Körperpsychotherapie
5.1 Ausstattung des Therapieraums
5.2 Psychotherapeutischer Rahmen und Arbeitsbündnis
5.3 Öffnung des Settings 1: von der Phantasie zur konkreten Interaktion
5.4 Öffnung des Settings 2: von der Körperwahrnehmung zur Bewegung
5.5 Handlungsebene Augenkontakt
5.6 Handlungsebene stimmlicher Ausdruck
5.7 Handlungsebene Nähe und Distanz
5.8 Handlungsebene körperliche Berührung
5.9 Handlungsebene intendierte körperlich-szenische Interaktion
6 Wirkprinzipien: Möglichkeiten und Risiken
7 Stand des wissenschaftlichen Diskurses, Evaluation und Ausblick
Literatur
Vorwort zur Reihe
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.
Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.
Themenschwerpunkte sind unter anderem:
–wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.
–wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.
–wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.
–wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.
–wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.
–wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.
Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Vorwort zum Band
Das »Nadelöhr der Sprache« ist in den psychodynamischen Psychotherapien immer wieder kritisch beleuchtet worden. Nicht alle Erkenntnis kommt aus der Sprache und muss durch dieses Nadelöhr gehen, um sinnvollen Ausdruck zu finden. Das innere Erleben von Körpererfahrungen ist eine starke Quelle nicht nur von Affekten, sondern auch von Szenen, die einer nachträglichen Reflexion zugänglich sind. An den Grenzen der Sprache reagiert der Analytiker, die Analytikerin nicht nur in verbalen Verarbeitungen des Wahrgenommenen, sondern kann auch körperliche Handlungen initiieren oder beantworten, um einer intersubjektiven Szene neue Bedeutungen zu geben. Unter dem Motto, dass Intersubjektivität Bewegung ist, kommen auch nonverbale Bedeutungen im therapeutischen Kontext zur Geltung. Nicht alles Handeln in der Therapie ist »Agieren«!
Zwischenmenschliche Resonanz führt zur Koregulation von Bewegungen, Empfindungen und Emotionen. Nicht zufällig hat die psychodynamische Körpertherapie eine Wurzel im Bereich der Säuglingsforschung und umfasst an der Kleinkindforschung orientierte Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker. Eine andere Wurzel reicht in die Bioenergetik. Implizites Beziehungswissen im Rahmen interaktiver Regulation kommt beim Patienten para- und nonverbal zum Ausdruck und wird vom Therapeuten mit dessen implizitem Beziehungswissen durch kontinuierlich stattfindende Abstimmungsprozesse beantwortet. Der Therapeut wird »Mitspieler« in einem komplexen Beziehungsgeschehen. Sein Denken drückt sich in Handlungen aus. Grundlegend für so eine therapeutische Haltung ist eine intersubjektive Sichtweise. Das Lesenkönnen körperlicher Signale ist ein hermeneutischer Prozess.
Im interaktionellen Feld erhalten Übertragungsvorgänge eine neue Bedeutung. Übertragung und Gegenübertragung sind keine reine Schöpfung der Patientin oder des Patienten mehr, sondern eine gemeinsam gestaltete, kokreierte Beziehung. Handeln selbst wird als eine Erkenntnisquelle in der psychoanalytischen Therapie angesehen.
Der Autor führt die Praxisaspekte psychodynamischer Körpertherapie im Detail aus, wobei die körperlichen Selbstbewegungen ausdrücklich in die analytische Regel der freien Assoziation mit einbezogen werden. Fragen zum Setting, zu Augenkontakt, stimmlichem Ausdruck und zum wichtigen Thema Nähe und Distanz werden ausführlich erörtert. Illustrierende Fallbeispiele zu einzelnen Themen und zur körperlich-szenischen Interaktion bereichern das Buch. Auch das Thema möglicher Risiken wird nicht ausgeklammert und der noch dürftige Forschungsstand zu dieser Therapieform selbstkritisch angemerkt.
Ein Buch, das den Schwerpunkt therapeutischer Arbeit vom »Auf-decken« auf das »Ent-decken« erweitert.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
1 Vorbemerkungen
Blicke ich auf meine eigene Selbsterfahrung zurück, stelle ich fest, dass sich im nachträglichen inneren Erleben körperpsychotherapeutische und psychoanalytische Zugangsweisen als unterschiedlich, in der Gesamtschau jedoch gleichwertig niedergeschlagen haben. Waren es in der bioenergetischen Lehranalyse und in Bioenergetikgruppen unvergessliche unmittelbar körperliche regressive Erfahrungen von hoher emotionaler Intensität, so wurden mir in der psychoanalytischen Einzelerfahrung vollkommen neue Verstehensweisen vormals unbewusster Prozesse eröffnet. Daraus ist innerhalb der letzten 25 Jahre die Idee entstanden, die körperliche Erfahrung innerhalb einer Psychoanalyse im offenen Setting theoretisch und methodisch zu integrieren. Im Kern geht es dabei um zweierlei: erstens um einen ganzheitlichen Zugang zum Erleben unserer Patientinnen und Patienten; zweitens um Möglichkeiten des Zugangs zu ihren Affekten mithilfe aktiver Techniken, sofern dies indiziert ist.
Das auf diese Weise entstandene Vorgehen ist in keiner Weise einheitlich. Einzelne Autoren nehmen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen vor. Es spiegelt sich darin die mittlerweile vielfach betonte Pluralität psychoanalytischer Auffassungs- und Vorgehensweisen wider. Die Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen steht jedoch einer intersubjektiv-relationalen Sichtweise auf psychisches Geschehen nahe. Ein weiterer Aspekt betrifft die Bedeutsamkeit der Theorie in der konkreten klinischen Arbeit. Kennzeichnend für unser Vorgehen ist eine Grundhaltung des »Nicht-Wissens« (Geißler, 2007a, S. 101). Eine solide psychoanalytische Ausbildung einschließlich körperpsychotherapeutischer Selbsterfahrung und diagnostischen Wissens vorausgesetzt, ist psychodynamische Körperpsychotherapie in der Begegnung im »Hier und Jetzt« nicht speziell theoriegeleitet. Theoretische Voreingenommenheiten im Kontakt mit dem Patienten werden beiseitegelassen, ausgehend davon, dass sich das Lebendige ohnehin nie exakt in theoretische Kategorien hineinpressen lässt. Man könnte die Leitidee in folgender Weise formulieren: »Nicht alles muss somit durch das Nadelöhr der Sprache gehen« (Geißler, 2013, S. 9).
2 Historische Wurzeln und gegenwärtiger Stand
2.1 Ferenczi und seine Nachfolger
Es war Ferenczi, der erkannte, dass der Bewegung, dem konkret-körperlichen Handeln und der Interaktion im Hinblick auf begünstigende Bedingungen, um traumatische Situationen therapeutisch wiederherzustellen, ihre eigene Qualität innewohnt. Die komplexen Hintergründe der psychischen Erkrankung müssen in der Behandlung erst einmal wahrnehmbares psychisches Faktum werden, erlebbare Präsenz annehmen. »Natürlich hat Freud recht, wenn er uns lehrt, dass es ein Triumph der Analyse ist, wenn es gelingt, Agieren durch Erinnerung zu ersetzen; ich meine aber, es ist auch von Vorteil, bedeutsames Aktionsmaterial zu beschaffen, das man dann in Erinnerung umsetzen kann« (Ferenczi, 1931/1972, S. 278). Ferenczi war offen für technische Experimente, für körpernahe und regressive Erlebens- und Verhaltensweisen, für eine »elastische Technik«, für eine »Kinderanalyse mit Erwachsenen« – allesamt Versuche, Beziehungsformen herzustellen, die für einige Patienten geeigneter waren als die von Freud empfohlene klassische analytische Situation.
Ferenczi und Rank (1924/1995) hoben in »Entwicklungsziele der Psychoanalyse« die Bedeutsamkeit des Erlebens im »Hier und Jetzt« hervor und vollzogen eine Abkehr von einem medizinischen Behandlungsmodell, indem sie Grunderfahrungen wie Güte, Authentizität, Bescheidenheit und Takt als therapeutische Haltung in den Vordergrund rückten. Insofern gelten Ferenczi und Rank gemeinsam mit Adler als Vorreiter einer intersubjektiv-relationalen Haltung, einer Zwei-Personen-Psychologie. Nicht der Therapeut schreibt ein bestimmtes Behandlungssetting vor, sondern dieses wird zwischen Patient und Therapeut ausgehandelt. Das Setting ist ein Teil der miteinander hergestellten Szene.
Balint (1968), der bei Ferenczi in Analyse war, berichtet von einer Patientin, die während der Analyse einen Purzelbaum schlug, was einen Neubeginn in der Behandlung einleitete. Es deutet sich in diesem Beispiel eine neue Einstellung gegenüber dem »Agieren« und der Regression an, die nun nicht mehr nur als Umweg, sondern als »Königsweg« betrachtet werden können. Als Schmelztiegel in der Diskussion um neue analytische Zugangsmöglichkeiten gilt eine britische Gruppe, die unter der Bezeichnung »Independent Mind of British Psychoanalysis« bekannt geworden ist (Rayner, 1991) und zu der Pioniere wie Winnicott, Khan, Bowlby, Klauber, Jones, Sharpe, Strachey und Fairbairn gehörten. Winnicott bot bestimmten Patientinnen und Patienten wiederholt körperliche Berührung an. Little (1981, 1994), die bei Winnicott in Analyse war, äußert sich wiederholt zu körperlicher Berührung und zu körpernahen Formen von Regression (ausführlichere historische Bezüge bei Geißler, 1998, 2001). Insgesamt war der Einfluss der Pioniere auf die psychoanalytische Community mehrere Jahrzehnte lang ein geringer.
Ferenczis Arbeiten beeinflussten gemeinsam mit der empirischen Säuglings- und Kleinkindforschung ab den 1980er Jahren die Technikdebatte in der Psychoanalyse, u. a. hinauslaufend auf Überlegungen, die Rolle des Agierens neu zu bedenken, das heißt, Agieren nicht automatisch in einen Zusammenhang mit Widerstand zu bringen. Hatte Freud (1916–1917, S. 9) die Standardbehandlung so definiert: »In der analytischen Behandlung geht nichts anderes vor als ein Austausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt«, so befreiten Klüwer (1983, 1995) und Jacobs (1986) den (unbewussten) Handlungsdialog bzw. das Enactment endgültig aus seiner negativen Konnotation. Klüwer, der an das szenische Verstehen von Argelander (1970) und Lorenzer (1970) anschloss, sprach im Hinblick auf den Handlungsdialog vom »vielleicht wichtigsten Ort psychischer Transformation« (Klüwer, 1995, S. 65), also von einer entscheidenden Erfahrungs- und Erkenntnisquelle neben dem Austausch von Worten.
2.2 Der Steißlinger Kreis
Die Neubewertung des Agierens hatte zur Folge, unbewusste Handlungsdialoge in der therapeutischen Beziehung als potenziell fruchtbares therapeutisches Material zu betrachten. Die Grenze »beginnt dort, wo der Analytiker nicht nur mit inneren und äußeren Wahrnehmungen und deren Verarbeitung in verbalen Reaktionen reagiert, sondern aktiv körperliche Handlungen initiiert oder beantwortet« (Worm, 2008, S. 223). An dieser Grenze kommt die psychodynamische Körperpsychotherapie in der Psychoanalyse ins Spiel.