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Das Buch beschäftigt sich mit den besonderen Merkmalen der neu entdeckten Entwicklungsphase "emerging adulthood", zeigt auf, was sich in den letzten Jahren verändert hat in Bezug auf Identitäts- und Beziehungsentwicklung und welche Konsequenzen sich daraus für die Behandlungstechnik ergeben. Junge Erwachsenen haben nicht nur sehr hohe Prävalenzraten psychischer Störungen, sie stellen sich auch in besonderer Weise bereits beim Erstgespräch dar: Es geht um Beeinträchtigungen im Lieben, Arbeiten und in der Autonomie. Die Instabilität ihrer Lebenssituation kann Anlass für Veränderungen im Rahmen, die noch andauernde Abhängigkeit von den Eltern Anlass zur Elternarbeit in dieser Altersgruppe sein.
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Seitenzahl: 219
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Psychodynamische Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Perspektiven für Theorie, Praxis und Anwendungen im 21. Jahrhundert
Herausgegeben von Arne Burchartz, Hans Hopf und Christiane Lutz
Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:
https://shop.kohlhammer.de/psychodynamische-psychotherapie
Die Autorin
Inge Seiffge-Krenke ist Professorin für Entwicklungspsychologie. Ihre Forschungsinteressen umfassen Stress- und Coping, Väter, romantische Beziehungen, »emerging adulthood« und Identität. Sie ist Psychoanalytikerin (DPV) für Erwachsene, Kinder und Jugendliche und als Supervisorin in der Aus- und Weiterbildung tätig.
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1. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-040362-8
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-040363-5
epub: ISBN 978-3-17-040364-2
1 Einleitung
2 Die neue Entwicklungsphase »emerging adulthood«: Psychoanalytische Konzepte und empirische Befunde
2.1 Warum ist die zeitliche Untergliederung von Altersphasen therapeutisch wichtig?
2.2 Eine neue Entwicklungsphase ist entstanden: Die 18- bis 30-Jährigen, die »emerging adults«
2.3 Die fünf charakteristischen Merkmale des »emerging adulthood« nach Arnett (2004)
2.4 Belege für das Hinausschieben von Markern des Erwachsenenalters
2.5 Der Master in Narzissmus: Lassen sich die typischen fünf Merkmale bei allen jungen Erwachsenen gleichermaßen finden?
2.6 Trotz vieler Freiheiten: Die Zunahme an Entwicklungsdruck
2.7 Veränderungen in der biografischen Selbstwahrnehmung als »dazwischen«
2.8 Die Konzeption von Peter Blos: Postadoleszenz oder pathologisch prolongierte Adoleszenz?
2.9 Was ist neu? Vom Privileg für wenige zur Möglichkeit für (fast) alle
2.10 Therapeutische Konsequenzen: Abschied von pathologisierenden Konzepten
3 Veränderte Identitätsentwicklung und ihre Auswirkungen auf Beziehungen
3.1 Die »Identitätskrise« im jungen Erwachsenenalter und der biografische Bezug bei Erikson
3.2 Veränderte Identitätsentwicklung heute: Mehr Exploration, weniger Commitment
3.3 Das sequenzielle Modell: Erst Identität, dann Intimität und Generativität?
3.4 Vielzahl unverbindlicher sexueller Beziehungen
3.5 Warum die »Flucht vor der Intimität« im jungen Erwachsenenalter?
3.6 Wie geht es einige Jahre weiter: Lernfähigkeit oder »gleiches Beuteschema?«
3.7 Identität als Voraussetzung für Intimität: Hatte Erikson doch recht?
3.8 Intime, pseudointime und symbiotische Partnerschaften
3.9 Hemmende elterliche Einflüsse auf die Identitäts- und Partnerschaftsentwicklung der »Kinder«
3.10 Welche Bedeutung haben diese Befunde für uns als Kliniker?
4 Zunahme psychischer Störungen im jungen Erwachsenenalter
4.1 Junge Erwachsene haben die höchsten Prävalenzraten für psychische Störungen
4.2 Spezifische Krankheitsbilder im »emerging adulthood«
4.3 Zweites Fenster der Vulnerabilität, Diskontinuität der therapeutischen Begleitung: »Lost in Transition«?
4.4 Modelle der psychiatrischen Versorgung in der Transitionsphase und das Problem der Altersgrenze
5 Wie stellen sich die Patienten dar? Probatorische Sitzungen und Indikation
5.1 Erstgespräche: Beeinträchtigungen im Lieben, Arbeiten und in der Autonomie
5.2 Was ist auffällig und wie ging es weiter?
5.3 Wer kommt in Behandlung?
5.4 Indikationskriterien für Langzeitbehandlungen und das Problem des Krankheitsgewinns
5.5 Indikationen für Beratungen und kürzere, strukturierte Behandlungsansätze
6 Besonderheiten in der Behandlungstechnik bei jungen Erwachsenen
6.1 Die Bedeutung von Zeit und Grenzen
6.2 Indikation und Aspekte des Rahmens unter Bedingungen der Instabilität
6.3 Herausforderungen durch die Behandlung als Video- oder Telefontherapie
6.4 Identitätskrise, Identitätsdiffusion oder Identitätskonflikt?
6.5 Arbeit an narzisstischen Aspekten und die Bedeutung der Bindung für die therapeutische Arbeit
6.6 Spezifische Interventionen: Wie umgehen mit ruminativer Exploration, spezifischen Abwehrmechanismen, Autonomieschuld?
6.7 Wie umgehen mit pathologischem Aufschieben?
6.8 Der Beziehungsraum: Aufgespaltene Elternbilder, Umgang mit Neid, die Bedeutung der Medien
6.9 Diversität und kulturelle Einflüsse
6.10 Warum ist Abstinenz und analytische Neutralität so wichtig?
6.11 Die therapeutische Beziehung: Bindung, Helikopter-Therapeuten und Umgang mit Rettungsfantasien
7 Warum ist Arbeit mit Eltern und Partnern sinnvoll?
7.1 Autonomiebestrebungen der »Kinder«, zu viel Unterstützung und Separationsängste der Eltern
7.2 Elterlicher Separationsangst begegnen
7.3 Warum kann es sinnvoll sein, den Vater zu sehen?
7.4 Verständnis für das »Kind« aufbauen und an der Selbst-Objektdifferenzierung arbeiten
7.5 »Hotel Mama« und das »Nesthockerphänomen«
7.6 Herausforderungen in der Elternarbeit: Loslösung bedeutet nicht Verlust, sondern Transformation
7.7 Der therapeutische Blick auf Freunde und den Partner
8 Die Beendigung der Behandlung
8.1 Ein besonderer Abschied
8.2 Gründe für einen Therapieabbruch aus der Sicht junger Erwachsener
8.3 Qualitätssicherung: Die Verbesserung der Fertigkeiten zur Transition und die Bedeutung der Mentalisierung
9 Abschließende Bemerkungen
10 Literatur
Stichwortverzeichnis
In den Medien sind Konzepte wie »Nesthocker« und »Hotel Mama« sehr präsent – aber was wissen wir wirklich über die jungen Erwachsenen – was hat sich gegenüber früheren Generationen geändert und hat sich überhaupt etwas geändert? In diesem Buch geht es zunächst um die wissenschaftlichen Grundlagen, d. h. die Forschung an den 20- bis 30-Jährigen, um unsere therapeutische Arbeit »auf die Füße zu stellen«, vor allem aber um den klinischen Bezug: Brauchen wir eine neue Behandlungstechnik für diese Altersgruppe? Wie präsentiert sie sich in den Erstgesprächen in unseren Praxen und Kliniken? Haben wir es mit krankheitswertigen Störungen zu tun oder ist das »einfach normal«, was uns präsentiert wird? Ist es sinnvoll, auch die Eltern einzubeziehen?
Als Psychotherapeuten1 behandeln wir krankheitswertige Störungen, so das deutsche Kassenrecht, und die Entwicklungen, die sich in der Transitionsphase abzeichnen, sind wirklich verwirrend: Die Trennung zwischen Normalität und Pathologie wird durch die Entwicklungsbesonderheiten in dieser Altersgruppe immer schwieriger, wie ich durch einen Blick auf die Forschungsbefunde vor allem in Deutschland zeigen möchte. Über diese Studien habe ich in den letzten Jahren viel publiziert, und möchte hier das für Therapeuten Wichtige zusammentragen. Von besonderer Bedeutung sind ein insgesamt verändertes Beziehungsverhalten und eine hohe Mobilität in dieser Altersgruppe – und all dies hat auch Auswirkungen auf den Rahmen und das therapeutische Angebot bzw. die therapeutische Beziehung.
Wie gehen wir also psychotherapeutisch mit den jungen Leuten um, die nicht mehr Jugendliche- aber auch noch keine Erwachsenen sind? Diese Frage stellt sich nicht nur den Erwachsenentherapeuten, die Patienten ab dem Alter von 16 Jahren behandeln dürfen, sondern in Zukunft auch den Kinder- und Jugendlichentherapeuten, denn eine leichte Ausdehnung des Altersbereiches auf das Alter von 21 Jahren ist erfolgt.
Es gibt viel Neues zu berichten und wir müssen auch einige Konzepte unserer therapeutischen Arbeit überdenken und anpassen, wenn wir dieser neu entdeckten Altersphase (die im englischen »emerging adulthood«, d. h. entstehendes Erwachsenenalter heißt) gerecht werden wollen. Dazu zählt u. a. das Konzept einer pathologisch prolongierten Adoleszenz, wie dies Blos (1954) vor Jahrzehnten konzeptualisierte. Ich denke, von einer Pathologisierung müssen wir uns verabschieden, wir sollten dagegen von einer normativen Veränderung sprechen, die für sich keinen Krankheitswert hat, sondern ganz im Gegenteil von einem Privileg für Wenige zu einer Chance für (fast) alle geworden ist. Diese These möchte ich durch die Zusammenschau von psychoanalytischen Konzepten und empirischen Befunden an jungen Erwachsenen in Deutschland belegen (Kap. 2, Kap. 3).
Zu den besorgniserregenden Befunden zählt die Zunahme von psychischen Störungen (Kap. 4). Dabei gibt es einerseits Störungen, die mit Identitätsfragen zu tun haben, aber auch »neue« Störungen wie die PC- oder Computerspielabhängigkeit und das pathologische Herumbummeln, die Prokastination, auf die ich besonders eingehen möchte. Sie zeigen, dass diese Altersgruppe einen hohen Behandlungsbedarf hat und die Herausforderungen dieser neuen Entwicklungsphase viele auch überfordern. Wie stellen sich diese jungen Leute im Erstgespräch bei uns dar, wie ist ihr Leidensdruck, ihre Behandlungsmotivation einzuschätzen? Dies möchte ich am Beispiel einiger typischer Erstgespräche erläutern (Kap. 5). Dabei werden wir den Fokus auf »Lieben und Arbeiten« legen, zwei besonders beeinträchtigte Lebensbereiche. Es wird aber bereits in diesen ersten Gesprächen die starke Beteiligung der Eltern im Entstehen und Aufrechterhalten von Störungen deutlich werden, weshalb wir uns der Elternarbeit im Speziellen widmen werden (Kap. 7). Zuvor stelle ich allerdings noch einige Überlegungen zur Behandlungstechnik an, die sich sowohl auf Aspekte des Rahmens als auch auf Aspekte der therapeutischen Beziehung, auf Widerstand und Abwehr, auf Rettungsfantasien und emanzipatorische Schuld beziehen (Kap. 6). Auch müssen wir schauen, ob nicht strukturelle Defizite wie eine mangelnde Empathie für andere, eine narzisstische Selbstwahrnehmung oder eine mangelhafte Selbst-Objektdifferenzierung zu bearbeiten sind. Übertragungs- und insbesondere auch Gegenübertragungsaspekte werden ebenso diskutiert, insbesondere die Frage, wie es ältere Therapeuten erleben, wenn ihre Patienten so frei und ungehindert in allen Bereichen explorieren. Die Forschung zur Effektivität der Therapien mit dieser Altersstufe steckt noch ganz in den Kinderschuhen, weil man noch gar nicht erkannt hat, dass man hier besondere Auswertungen vornehmen sollte. Die jungen Leute gehen in Stichproben mit großem Altersrange (18–65 Jahre) regelrecht unter.
Es ist also eine spannende therapeutische Arbeit und ich freue mich sehr, dass mein lieber Freund und Kollege Hans Hopf mich ermutigt hat, dieses Buch in der von ihm, Arne Burchartz und Christiane Lutz herausgegebenen Serie zu veröffentlichen.
1 Zugunsten einer lesefreundlichen Darstellung wird in der Regel die neutrale bzw. männliche Form verwendet. Diese gilt für alle Geschlechtsformen (weiblich, männlich, divers).
In diesem Kapitel werden wir psychoanalytische Konzepte und empirische Befunde zu der Altersphase der jungen Erwachsenen kennenlernen und dabei den Fokus auf Untersuchungen in Deutschland legen. Zunächst werde ich das Konzept und die Forschung zu der neuen Entwicklungsphase »emerging adulthood« vorstellen, die sich im Zuge der Theorie von Jeff Arnett (2004) rasant entwickelte. Dieser Begriff bedeutet »entstehendes Erwachsenenalter«, was gelungen unterstreicht, dass sich Personen in dieser Phase keineswegs als Erwachsenen verstehen – wobei ihre Eltern diese Einschätzung teilen –, sondern irgendwo »dazwischen« und dass sie sich durch spezifische Merkmale auszeichnen. Es ist zu unterstreichen, dass diese Studien nicht an Patienten, sondern an klinisch unauffälligen jungen Erwachsenen durchgeführt wurden.
Anschließend geht es um die psychoanalytischen Konzeptionen, die in diesem Rahmen heranzuziehen sind, zum einen die Erikson’sche Theorie der Identität, die in den 1950er Jahren entstanden und aktueller denn je ist, wenn sich auch manche Ansprüche an die zeitliche Aufeinanderfolge zu lösender Konflikte (Sequenzierung) heute nicht mehr so aufrechterhalten lassen. Auf der Konzeption Eriksons aufbauend gab es viel Forschung zur Identitätsentwicklung und da sich diese Forschung über mehrere Dekaden erstreckt, konnte man gut belegen, was sich wirklich geändert hat. Dies wird uns ausführlich im nachfolgenden Kapitel (Kap. 3) beschäftigen, denn die Auswirkungen der verzögerten Identitätsentwicklung auf Beziehungen sind gravierend und betreffen auch die therapeutische Beziehung (Kap. 6). Schließlich sind Probleme in der Autonomie von den Eltern und in (Partner-)Beziehungen oftmals Anlass für eine Psychotherapie und es stellt sich natürlich auch die Frage, wie weit sich junge Leute in dieser Phase der Mobilität und des starken Selbstbezugs auf eine therapeutische Beziehung einlassen können, die doch ein erhebliches Commitment über einen längeren Zeitraum erfordert.
Havighurst, ein Entwicklungspsychologe, der 1956 ebenfalls eine Theorie darüber entwickelt hat, welche Aufgaben denn 18- bis 30-Jährige zu bewältigen hätten, wird ebenfalls in diesem Kapitel vorgestellt. Auch die psychoanalytische Konzeption von Blos (1973/2015) verdient eine ausführlichere Würdigung, besonders hinsichtlich der Frage: Was ist heute noch »normal?« Zum Schluss dieses Kapitels möchte ich eine Integration versuchen und die Frage beantworten: Was ist neu an dieser Phase des »emerging adulthood«? Bevor wir allerdings auf die empirischen Belege für die stattgefundenen Veränderungen eingehen, möchte ich erläutern, warum mir der Zeitbezug so wichtig ist.
In der Psychotherapie spielt Zeit eine enorme Rolle: Die Stunden sind zeitlich genau festgelegt, der zeitliche Rahmen der Erstreckung einer Therapie wird zu Beginn vereinbart und nach Möglichkeit eingehalten. Vor dem Verlängerungsantrag wird mit den Patienten das bisherige Erarbeitete und Erlebte sowie die zukünftige Perspektive besprochen. Viele Veränderungen in psychodynamischen Therapien brauchen Zeit. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb die Effekte dieser Therapien einige Monate nach Beendigung der Behandlung (follow up oder Katamnese) noch deutlicher sind als zu Abschluss der Behandlung (Steinert & Leichsenring, 2017).
Im jungen Erwachsenenalter haben sich nun Verschiebungen in den Lebensphasen ergeben, in denen die jungen Leute einiges noch nicht können, was eigentlich in ihrem Alter »dran wäre«. Demgegenüber sind sie aber in anderen Bereichen durchaus schon reif und keineswegs mehr Jugendliche. Gerade der veränderte Zeitbezug macht es aber schwierig, die Krankheitswertigkeit einer Störung einzuschätzen, die ja immer noch, solange das Gutachterverfahren in Deutschland besteht, belegt werden muss, um eine Kassenfinanzierung zu gewährleisten.
Die Entwicklungspsychologie hat sich schon früh mit Lebenslaufkonstellationen und Altersgradierungen beschäftigt. In der Regel ging man von Siebener-Gliederungen aus, und diese strikte Unterteilung des gesamten Lebens in einzelne Abschnitte mit einer spezifischen Entwicklungsdynamik war sehr hilfreich. Allerdings hat sich hier in den letzten Jahrzehnten einiges verändert: Die Kindheit als Entwicklungsphase ist durch die früher eintretende körperliche Reife »geschrumpft«, die sich anschließende Adoleszenz hat sich dagegen durch die körperliche Akzeleration und die verlängerte Schulzeit ausgedehnt. Und schließlich war man in den letzten 20 Jahren darauf gestoßen, dass es offenkundig eine neue Altersphase gibt mit Personen, die nicht mehr Jugendliche sind, aber auch noch keine Erwachsenen. Altersmäßig umgreift diese Personengruppe das Alter von 18 bis 25 Jahren, in einigen Aspekten auch bis 30 Jahre. Es haben sich weitere Veränderungen ergeben, die erwähnenswert sind: Inzwischen gilt das mittlere bis hohe Erwachsenenalter keineswegs mehr länger als eine stabile Phase – das wird uns in Bezug auf die Eltern der jungen Erwachsenen noch beschäftigen (Kap. 7). Vor allem aber: Die Phase der »nachelterlichen Gefährtenschaft« – das Paar lebt nach dem Auszug der Kinder alleine zusammen – ist inzwischen die längste Lebensphase geworden mit im Durchschnitt 40 Jahren (Seiffge-Krenke & Schneider, 2012). Auch wenn neue Partnerschaften gelebt und neue Kinder geboren werden oder in die Patchworkfamilie kommen – es bleibt auch gegenwärtig die längste Familienentwicklungsphase.
Für die neue Entwicklungsphase »emerging adulthood« (Arnett, 2004) ist charakteristisch, dass es zu Veränderungen in mehreren Bereichen gekommen ist. Zum einen sind Verschiebungen in objektiven Markern des Erwachsenenalters (wie Auszug aus dem Elternhaus, Berufseintritt, feste Beziehungen und Elternschaft) aufgetreten, die sich bis ins dritte Lebensjahrzehnt hinziehen und in Bezug auf die Elternschaft, oftmals noch viel später in Angriff genommen werden. Für diese Entwicklungsphase zeigt sich des Weiteren eine starke Selbstfokussierung und ein sehr langsames Fortschreiten der Identitätsentwicklung mit einem deutlich veränderten Beziehungsverhalten und veränderten beruflichen Perspektiven und Möglichkeiten.
Allerdings wurde bereits in den letzten 50 Jahren diskutiert, dass ein gesellschaftlicher Wandel eingetreten ist, der zu einem Strukturwandel der Jugendphase geführt hat. Man bemerkte, dass es zunehmend schwieriger wurde, Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter voneinander abzugrenzen, von einer »Entgrenzung der Jugendphase« war die Rede. Im Anschluss an Ziehes These vom »neuen Sozialisationstyp« war bereits Ende der 1970er und frühen 1980er Jahre die Diskussion um diese Veränderungen von narzissmustheoretischen Bezügen gekennzeichnet, Begriffe wie »orale Flipper« oder »neuer Sozialisationsstyp« waren stark soziologisch geprägt und bekamen medial viel Aufmerksamkeit; narzisstische Aspekte spielen auch gegenwärtig bei der Charakterisierung der neuen Entwicklungsphase »emerging adulthood« eine Rolle (Seiffge-Krenke, 2021a). Die Tendenz zur Verlängerung von Jugend, eines zunehmend langgestreckten sowohl bildungsbezogenen als auch jugendkulturellen Moratoriums wird also schon länger diskutiert. Allerdings blieben die Beschreibungen global. Was diese jungen Leute – im Vergleich zu früheren Generationen – denn genau ausmacht, blieb also eher vage, vergleichende Untersuchungen fehlten.
In den folgenden Jahren wurde aber immer deutlicher, dass da etwas Neues entstanden ist. Erst Jeff Arnett (2004) hat die neue Entwicklungsphase genauer bzgl. typischer Merkmale beschrieben, die sich so noch nicht im Jugendalter und nicht mehr im Erwachsenenalter finden. Es setzen dann Untersuchungen in vielen Ländern der Erde, so auch in Deutschland, ein, die Arnetts Thesen zu bestätigen scheinen. Heute gibt es eigene Zeitschriften (Emerging Adulthood), eine eigene Fachgesellschaft (Society for Study of Emerging Adulthood [SSEA]) und im Jahr 2022 etwa 1.300.000 Einträge in google scholar, was auf eine sehr hohe Forschungs- und Rezeptionsaktivität hinweist.
Dass neue Entwicklungsphasen entstehen, ist in der Geschichte der Menschheit keine ungewöhnliche Entwicklung, aber eine spannende. So waren Kinder früher mit der Welt der Erwachsenen vermischt, sie mussten arbeiten, konnten verheiratet und sogar als Bestrafung gehängt werden. Noch Oskar Wilde hat in der Ballade des Zuchthauses von Reading 1898 beschrieben, wie schlimm für ihn das Weinen der Kinder in den Nachbarzellen war, die dort eingesperrt worden waren, weil sie ein Brot oder ein Kaninchen gestohlen hatten. Die Lebensphase »Jugend« mit ihrem Privileg der Schulzeit und Bildung, der Befreiung von Arbeit, ist also eine relativ junge Entwicklung. Erst im 20. Jahrhundert konnte sich die »Jugend« als Lebensphase des Aufwachsens in Deutschland so durchsetzen, dass sie zum allgemeinen biografischen Muster für fast alle Heranwachsenden wurde. Aber auch heute noch gibt es in vielen Ländern Kinder, die unter Bedingungen leben müssen, die die »Vermischung mit der Welt der Erwachsenen« (Arbeit, Bestrafung, Verheiratung) aufzeigen. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gibt es weltweit 152 Millionen Kinderarbeiter zwischen fünf und 17 Jahren, 73 Millionen von ihnen arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen.
Von soziologischer Seite wird betont, dass in der Jugendphase der letzten Jahrzehnte bereits eine spürbare Veränderung eingetreten ist. Durch die Vorverlagerung der sexuellen Autonomie, die Ausdehnung der Bildungs- und Berufsfindungsphase, und ganz allgemein einer Öffnung zu durch Herkunft nicht mehr eindeutig festgelegten biografischen Verläufen hat eine Enttraditionalisierung eingesetzt; dieser Zugewinn an Optionen geht mit einem Verlust an Orientierungsmöglichkeiten einher (King, 2013). Allerdings sind die realen Spielräume für Jugendliche noch sehr gering, sind sie doch weitgehend noch eingebunden in die schulische Laufbahn. Aber das »Neue« kündigt sich bereits an. Mit Beendigung der Schulpflicht aber entstanden völlig ungewohnte Möglichkeiten, die man nun realisieren konnte.
Entscheidend für den Beginn einer systematischen entwicklungspsychologischen Erforschung der Altersphase zwischen 18 und etwa 25 Jahren, zumeist auch 30 Jahren, war die theoretische Konzeption von Jeff Arnett (2004), der beschrieb, dass eine neue, durch fünf typische Merkmale gekennzeichnete Entwicklungsphase entstanden sei. Diese Präzisierung machte eine Umsetzung in Forschung möglich, und es entstanden zahlreiche Studien auf der ganzen Welt, um zu untersuchen, ob es diese neue Entwicklungsphase wirklich gibt.
Insgesamt charakterisieren fünf psychologische Merkmale diese Entwicklungsphase:
• Die Exploration der eigenen Identität, besonders im partnerschaftlichen und beruflichen Bereich, ist nach Arnett (2004) charakteristisch und besonders typisch für diese neue Altersphase. Da die jungen Erwachsenen noch frei von typischen Verpflichtungen des Erwachsenendaseins sind, beispielsweise berufliche Tätigkeit und Kinderbetreuung, haben sie- zumindest in den westlichen Industrienationen- die einzigartige Chance, die eigenen Möglichkeiten und Ziele zu erforschen, kennenzulernen, auszutesten und schließlich das eigene Ich zu formen. Für Arnett findet daher eine Identitätskrise im Sinne Eriksons nicht mehr länger im Jugendalter, sondern im »emerging adulthood« statt.
• Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist die Instabilität, die sich in drei Bereichen zeigt. Hier sind zunächst die berufliche und die generelle Umzugsmobilität zu nennen. Studium, Berufsausbildung und Berufseinstieg sind zentrale Aufgaben der Transition zum Erwachsensein (Seiffge-Krenke & Gelhaaar, 2006), die häufig einen Wohnortswechsel bedingen. Die Mehrheit der Berufseinsteiger gibt ihr Arbeitsverhältnis binnen eines Jahres auf; durchschnittlich sieben Anstellungen erfolgen in den ersten zehn Berufsjahren. Auch im partnerschaftlichen Bereich zeigt sich diese Instabilität. 43 % der jungen Leute hatten innerhalb des letzten Jahres mindestens eine Trennung erlebt, 24 % davon sogar mindestens zwei Trennungen (Shulman et al., 2017). Insgesamt ist der gesamte partnerschaftliche Bereich durch sehr viel Instabilität gekennzeichnet (Kap. 3).
• Vielleicht haben die vielen Veränderungen im Bereich Partnerschaft, Beruf und Wohnort zu einem weiteren Merkmal beigetragen, der starken Selbstfokussierung. Größere Autonomie zusammen mit weniger Verantwortung bei finanzieller Unterstützung schaffen jungen Leuten einen Freiraum, in dem sie sich auf ihre eigene Entwicklung konzentrieren können. Allerdings fehlt öfter auch die Bezugnahme auf andere. Der massive Einbezug der neuen Medien mit sozialem Vergleich unter sehr vielen »friends« (Manago et al., 2012) verstärkt die Selbstfokussierung und narzisstische Tendenzen.
• Das Gefühl des »Dazwischenseins« (»age of feeling in-between«) ist ein weiteres Bestimmungsmerkmal. Zwar sind die jungen Leute ab dem Alter von 18 Jahren rechtlich gesehen erwachsen, füllen diese Rolle aber nur partiell aus. Sie sind in der Lage, autonome Entscheidungen unabhängig von sozialen Normen und auch weitgehend unabhängig von finanziellen Beschränkungen zu treffen. Sie leben aber überwiegend finanziell abhängig und in Semiautonomie im Elternhaus oder in einer von den Eltern oder dem Staat finanzierten Wohnung.
• Diese Vielfalt an Möglichkeiten, die sich den jungen Leuten bietet, resultiert in einer Heterogenität der Lebensläufe. In dieser Entwicklungsphase finden wir nicht nur »den ewigen Studenten«, sondern durchaus auch eine berufstätige Mutter. Unterschiede im beruflichen und partnerschaftlichen Status, der beruflichen Entwicklung und der Wohnsituation führen also zu einer großen Diversität der Entwicklungsverläufe; von Einfluss ist auch die ethnische Herkunft (Seiffge-Krenke & Haid, 2012).
In der Folge der Arnettschen Theorie wurden zahlreiche Studien an jungen Leuten in der ganzen Welt (Arnett, 2016) durchgeführt. Es ließen sich in vielen westlichen Ländern, so in Europa und den USA, aber auch in Südamerika und den asiatischen Ländern, empirische Belege dafür finden, dass sich tatsächlich in der Altersgruppe von 18 bis etwa 25 Jahren die von Arnett beschriebenen fünf Merkmale finden lassen.
Diese Phase des Explorierens hat als Voraussetzung, dass Aufgaben des Erwachsenalters noch hinausgeschoben werden können, dass die Verantwortung in einigen Bereichen noch nicht vollständig übernommen werden muss. Daher wäre zu klären, ob sich die typischen fünf Merkmale bei allen finden, wie es mit der Bildungsabhängigkeit steht und wie es etwa jungen Menschen geht, die arbeitslos sind. Diese Frage ist auch für uns Psychotherapeuten wichtig, denn einige Krankheitsbilder sind schichtabhängig und armutsbedingt.
Dazu möchte ich empirische Belege schildern, die sich auf deutsche Studien beziehen. Es handelt sich zum einen um eine eigene Studie an über 3000 jungen Leuten zwischen 20 und 30 Jahren, die in Jena und Mainz im Längsschnitt untersucht wurden. Es flossen über mehrere Jahre Daten aus Ost- und Westdeutschland ein, um so Veränderungen über die Zeit prüfen zu können. Des Weiteren möchte ich die Daten einbeziehen, die wir an 300 Familien im Längsschnitt erhoben haben. Beginn der Studie war im Jugendalter der Kinder (14 Jahre), die letzte Erhebung erfolgte im Alter von 30 Jahren der »Kinder«. Hier konnten wir ganz hautnah verfolgen, wie unsere ehemaligen Jugendlichen nun als junge Erwachsene den Auszug und die finanzielle Unabhängigkeit bewerkstelligten, wie sie beruflich vorankamen, wie sie Partnerschaften aufbauten, Trennungen erlebten und welche Rolle dabei die Identitätsentwicklung spielte. Die Erhebung von Elterndaten macht möglich, auch deren Sicht einfließen zu lassen. Einmal jährlich besuchten wir die Familien zuhause und führten Interviews und Fragebogen mit den Kindern und ihren Eltern durch; nach dem Alter von etwa 20 Jahren war unsere Stichrobe der jungen Leute sehr mobil; es war zeitaufwendig, sie nach diversen Umzügen wiederzufinden.
In dieser Längsschnittstudie an den 300 Familien (Seiffge-Krenke, 2016a; Seiffge-Krenke & Gelhaar, 2006) gab es nur einen kleinen Prozentsatz der »Kinder«, der im Alter von 25 Jahre arbeitete (27 %, dazu zählten auch sehr kurzfristige Jobs). 30 % befanden sich in einer Lehre und 43 % waren Universitäts- und Fachhochschulstudenten. Zu diesem Zeitpunkt waren erst 4 % verheiratet, 3 % hatten Kinder. Eine ganz ähnliche Verteilung haben wir auch in der großen Mainz-Jena-Studie gefunden. Allerdings waren Partnerbeziehungen relativ häufig und stiegen im Alter von 21 bis 25 Jahren auf den Prozentsatz von 54 bis 62 % an. Dies waren selten dieselben Partner bzw. Partnerinnen, denn Trennungen waren häufig und die Beziehungen oft sehr unverbindlich (Kap. 3).
Wie auch in der Gesamtbevölkerung fanden wir in unseren Studien, dass Männer eher »Nesthocker« sind, Söhne ziehen also später aus als Töchter. Das Auszugsalter in unserer Längsschnittstudie stimmte sehr gut mit den Daten in der Gesamtbevölkerung überein. Im Alter von 21 Jahren waren 54 % ausgezogen, im Alter von 25 Jahren 81 %. Da wir viele Daten aus dem Jugendalter dieser Personen hatten, auch von ihren Eltern, ließ sich recht gut vorhersagen, wer später einmal ein »Nesthocker« werden würde – neben dem Geschlecht als Vorhersagevariable (Kap. 7).
Das Statistisches Bundesamt, (2019) zeigt eine Beschäftigungsquote von 34 % in der Altersgruppe 20–25 Jahre (1999 waren es noch 44 %). 41 % der jungen Leute hatten ihren ersten Job zum Befragungszeitpunkt bereits wieder beendet. Historische Vergleiche belegen darüber hinaus, dass sich das Alter bei Einstig in die Lehre von 16 auf 20 Jahre erhöht und sich die Studienzeit um mehrere Jahre verlängert hat. Gegenwärtig steigt man also viel später in eine Berufsausbildung ein als noch vor Jahrzehnten und studiert auch deutlich länger.
Heiraten ist heutzutage nicht unbedingt eine Option und muss sich in Konkurrenz zu Freizeit, Konsum und Beruf behaupten; nach den neuesten Shell- Studien finden es nur noch rund 1/3 der jungen Leute sinnvoll, zu heiraten. 1970 waren noch 50 % der 24-Jährigen bereits verheiratet, 2020 sind es nur noch 9 %. Unverheiratetes Zusammenleben ist häufig, auch mit Kindern. Wenn überhaupt geheiratet wird, dann deutlich später als vor Jahrzehnten. Das durchschnittliche Heiratsalter hat sich für Männer auf 34 und für Frauen auf 32 Jahre erhöht, rund 6–8 Jahre später als noch vor zwei Jahrzehnten. Entsprechend ist das durchschnittliche Alter der Mütter bei Geburt des ersten Kindes von 26 (1991) auf 32 Jahre gestiegen (Statistisches Bundesamt, 2019).
Faktoren wie verlängerte Schul- und Ausbildungszeiten, aber auch unsichere Beschäftigungsverhältnisse nach Berufs- oder Studienabschluss werden mit dem Anstieg des durchschnittlichen Heiratsalters, dem späteren Berufseintritt und späteren Elternwerden in Verbindung gebracht. Die Phase, in der man Geld verdient, mit einem Partner zusammenzieht und Kinder bekommt, verschiebt sich also immer mehr nach hinten. Die meisten jungen Leute geben eine Elternschaft als das Kriterium an, anhand dessen sie sich »erwachsen« fühlen. Der Beginn der Elternschaft hat sich auch deshalb zeitlich nach hinten verlagert, weil es immer länger dauert bis gesicherte berufliche Verhältnisse eingetreten sind – für viele eine Voraussetzung für die Realisierung des Kinderwunschs.