Behandlungsabbrüche: Therapeutische Konsequenzen einer Metaanalyse - Inge Seiffge-Krenke - E-Book

Behandlungsabbrüche: Therapeutische Konsequenzen einer Metaanalyse E-Book

Inge Seiffge-Krenke

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Beschreibung

Therapieabbrüche stellen eine häufige Erfahrung in der Psychotherapie dar, werden aber gern tabuisiert. Trotz hoher Relevanz dieses Problems für den Einzelnen wie auch für das Gesundheitssystem existieren nur wenige Studien dazu. In diesem Band werden Ergebnisse aus zwei Metaanalysen präsentiert und mit der therapeutischen Praxis vernetzt. Die Autorinnen beleuchten unentdeckte Widerstände, Bindungsaspekte, mangelnde therapeutische Motivation und negative therapeutische Reaktionen. Eindringliche Fallbeispiele illustrieren die Umstände, die zum Behandlungsabbruch führen können. Das Buch hilft therapeutisch Tätigen, das Thema aktiv anzugehen.

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Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Inge Seiffge-Krenke/Fatima Cinkaya

Behandlungsabbrüche:TherapeutischeKonsequenzeneiner Metaanalyse

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 4 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99820-6

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Paul Klee, In the Magic Mirror, 1934

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen EPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1Praktische Relevanz: Zum Problem von Therapieabbrüchen

2Der Forschungsstand zu Therapieabbrüchen

2.1Ergebnisse zweier Metaanalysen

2.2Abbruchquote, Zeitpunkt, Gründe und Risikofaktoren

2.3Was unterscheidet Abbrecher von Completern?

2.4Was wissen wir über die Therapeuten und den Therapieprozess?

3Studien zum Therapieabbruch in psychodynamischen Therapien

4Was bedeutet ein Abbruch psychodynamisch?

5Indikationsstellung und Behandlungsabbruch

5.1Indikation und differenzielle Indikation

5.2Die probatorischen Sitzungen – eine ungewöhnliche Gesprächssituation

6Die Bedeutung der therapeutischen Beziehung in der Anfangsphase, nicht reparierbare »Ruptures« und unentdeckter Widerstand

6.1Therapeutische Beziehung und Arbeitsbündnis

6.2Übertragung und Gegenübertragung

6.3Nicht mehr reparierbare »Ruptures« in der Beziehung

6.4Unanalysierte Gegenübertragungsphänomene

6.5Die Gefahr der Verleugnung realer Anteile

6.6Widerstandsphänomene

6.7Der Übertragungswiderstand und seine Beziehung zum Behandlungsabbruch

6.8Bindungsaspekte und die Fehleinschätzung von unsicheren Bindungsmustern als Widerstand

6.9Die Bedeutung der analytischen Flitterwochen

7Negative therapeutische Motivation und negative therapeutische Reaktion als Sonderfälle des Behandlungsabbruchs

7.1Negative therapeutische Motivation und negative therapeutische Reaktion

7.2… und der Zusammenhang zu den Interventionen

8Die angeblich äußeren Umstände, die zum Behandlungsabbruch führen

8.1Die Therapeutin wird schwanger – der Patient bricht ab

8.2Die Therapeutin ist »zu jung«

8.3Wer ist der Patient? – und das Problem der Scham

8.4Taking Sides: Der Therapeut steht zwischen den Eltern oder zwischen dem Paar

9Besonderheiten von Behandlungsabbrüchen in Kinder- und Jugendlichentherapien

9.1Eltern brechen die Behandlung des Kindes ab

9.2Die Eltern treten in Konkurrenz zum Therapeuten

9.3Loyalitätskonflikte und Übertragungswiderstand

9.4Die Bedeutung der Anfangsphase

9.5Reserven gegenüber Erwachsenen, gegenüber Regression und starke Über-Ich-Widerstände

10Abschließende Überlegungen für Therapeutinnen und Therapeuten, um Abbrüchen vorzubeugen

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Therapieabbrüche stellen eine regelhafte und häufige Erfahrung in der Psychotherapie dar. Trotzdem erscheinen sie wie mit einem Tabu belegt. Als vermeintliche Misserfolge beeinträchtigen sie das Selbstverständnis der Therapeuten und Therapeutinnen und werden nur zu gerne unter dem Mantel des Schweigens verborgen. Die Gründe für den vorzeitigen Abbruch einer Behandlung reichen von externen Anlässen – wie dem Umzug in eine andere Stadt – zu den dynamischen Prozessen der therapeutischen Beziehung, die sich in den meisten Fällen als nicht tragfähig genug erweist. Sind es Missverständnisse zwischen Patienten und Therapeuten? Sind es unterschiedliche Ziele und Vorstellungen im Therapieverlauf? Sind es tiefer gehende Widerstände und Auseinandersetzungen?

Das vorliegende Buch gibt einen Überblick zum derzeitigen Forschungsstand. In der Psychotherapieforschung bildet der Therapieabbruch – trotz seiner hohen Relevanz für den Einzelnen und das Gesundheitssystem im Ganzen – keinen Schwerpunkt. Nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von Studien hat das Problem aufgegriffen und in den Fokus genommen. Die Ergebnisse aus zwei Metaanalysen, wobei eine davon von den Autorinnen selbst durchgeführt wurde, werden präsentiert. Dabei stehen sowohl die Patienten, aber auch die Therapeuten und der Therapieprozess im Zentrum der Betrachtung. Abbrechende Patienten sind wohl deutlich kränker und sozial weniger eingebunden als Patientinnen und Patienten, die die Therapie bis zum Ende durchführen. Der Berufsstand der Therapeuten scheint wohl in keinem Zusammenhang mit den Abbruchquoten zu stehen. Klinisch werden in der Betrachtung von analytischen Therapien – in Übereinstimmung mit den Daten der Metaanalyse – drei Abbruchgründe unterschieden: Neben den »qualitätsneutralen Abbrüchen« durch äußere Faktoren (z. B. Umzug) werden »positive Abbruchverläufe« durch besonders rasche Genesung konstatiert. In beiden Formen können sich tiefer gehende Probleme »verstecken«. Die Flucht in die Gesundheit und eine Flucht durch Ortswechsel können grundsätzlich eine tiefere Meinungsverschiedenheit, ein tieferes Misstrauen überdecken. In den »problematischen Therapieverläufen« kommen die Krise des Arbeitsbündnisses und die Schwierigkeiten der therapeutischen Beziehung offen zum Ausdruck.

Es ist ein besonderes Verdienst dieses Buches, die empirischen Ergebnisse, die ja ohne klinischen Bezug nur eine schmale Datenbasis für die Praxis anbieten können, direkt mit den Alltagsfragen zu vernetzen. Damit wird das Buch empirisch gut fundiert, aber ebenso deutlich therapeutisch ausgerichtet. Praxisnah werden die Anfangsphase der Therapie und darin unentdeckte Widerstände aufgegriffen und beleuchtet. Übertragungswiderstände und Bindungsaspekte stehen der mangelnden therapeutischen Motivation und negativen therapeutischen Reaktionen beim Patienten gegenüber. Die Umstände, die zum Behandlungsabbruch führen können, werden durch eindringliche Fallbeispiele illustriert. Auch Besonderheiten der Behandlungsabbrüche im therapeutischen Dreieck bei Kindern, Eltern und Therapeuten werden in den Fokus genommen. Die abschließenden Überlegungen helfen allen therapeutisch Tätigen, in ihrem Alltag das Thema nicht auszublenden zu müssen, sondern aktiv angehen zu können. Eine wichtige Lektüre!

Franz Resch

1Praktische Relevanz: Zum Problem von Therapieabbrüchen

Die Psychotherapie ist ein spannender und komplexer Prozess. Immer wieder wird der Therapeut mit Herausforderungen und unvorhergesehenen Ereignissen konfrontiert. Dabei ist der Therapieverlauf nicht immer von dem erwarteten Erfolg gekrönt. Frühe Studien hatten einen recht hohen Prozentsatz von 40% Behandlungsabbrüchen ergeben (Bergin u. Garfield, 1994), bei stationären Psychotherapien lagen die Abbruchquoten teilweise noch höher. So berichten Rüger und Schüssler (1985) von Abbruchquoten um die 50% in stationären Therapien. Damit sind Therapieabbrüche eine recht häufige Erfahrung in der Psychotherapie, eine Erfahrung also, die jeder Therapeut, jede Therapeutin macht. In den letzten Jahren ist die Sensibilität für Therapieschwierigkeiten gewachsen, und die Frage, warum Therapien vorzeitig scheitern (Cinkaya, Schindler u. Hiller, 2011), beschäftigt Therapeuten aller Schulrichtungen. Hat die Beachtung der Qualitätssicherung von Psychotherapien (Wampold, 2001; Steinert u. Leichsenring, 2017) auch dazu geführt, dass sie wirklich effektiver werden, das heißt, dass heute weniger Therapieabbrüche vorkommen als noch vor einigen Jahrzehnten?

Nach Bergin und Garfield (1994) sollte dann von einem Therapieabbruch gesprochen werden, wenn nach den diagnostischen Interviews mindestens eine reguläre Therapiesitzung stattgefunden hat und der Patient trotz weiterer vereinbarter Sitzungen nicht mehr erscheint. Wird dieses Kriterium von allen Therapeuten geteilt, und wie verhält es sich mit Behandlungsabbrüchen, die jeder Therapeut kennt und die deutlich später stattfinden? Schließlich: Nicht jede frühzeitige Beendigung einer Psychotherapie ist als ein Scheitern anzusehen. Neben den tatsächlich frühzeitigen Abbrechern gibt es wohl auch andere Patientinnen und Patienten, die ausreichend Hilfe erfahren haben, deren Symptome sich schon rasch verbessert und die dann keinen »Therapiebedarf« mehr haben. Hier deutet sich an, dass die Ziele von Therapeuten und Patienten durchaus divergieren können und dass dies ein Grund für einen Behandlungsabbruch sein kann. Schließlich können auch externe Gründe wie eine Berufstätigkeit in einer anderen Stadt dazu führen, dass die Therapie vorzeitig beendet werden muss (vgl. Cinkaya et al., 2011).

Unter der Vielzahl von Gründen und Faktoren, die dazu führen können, dass Therapien vorzeitig beendet werden, ist ein besonders naheliegender Grund die Dynamik der therapeutischen Beziehung (Junkert-Tress et al., 2000). Es gehört zwar zum Berufsethos des Therapeuten, jederzeit reflektiert und bezogen zu bleiben, allerdings können sich wie in jeder menschlichen Beziehung Missverständnisse in der Kommunikation und »blinde Flecke« einschleichen. Besonders in einem so vertraulichen und hochsensiblen Kontakt wie zwischen einem Hilfe suchenden Patienten und einem Hilfe bietenden Therapeuten ist dies zu erwarten. Diesen Missverständnissen und Problemen ist in der therapeutischen Beziehung aus psychodynamischer Sicht besondere Beachtung zu schenken.

Bevor wir allerdings auf diese wichtigen Hintergründe genauer eingehen werden, soll zunächst die empirische Basis für Therapieabbrüche genauer in Augenschein genommen werden, das heißt, wir gehen anhand einer umfangreichen neuen Metaanalyse, die Studien aus den letzten vierzig Jahren einschließt (Cinkaya, 2016), der Frage nach, welche Merkmale im Therapieprozess, aber auch Merkmale des Patienten und Therapeuten auf ein Scheitern hinweisen, um in der Folge Abbrüche abzuwenden und zu verhindern. Auch im Sinne des Qualitätsmanagements und der kontinuierlichen Verbesserung von therapeutischen Behandlungsmethoden und -strategien gilt es, sich nicht nur mit regulär beendeten Therapien, sondern auch mit der Natur von Abbrüchen auseinanderzusetzen und diese zu verstehen.

Die Sichtung der empirischen Befunde ist wichtig, denn die ersten Forschungsansätze zu Abbrüchen in der Psychotherapie erfolgten bereits in den 1950er Jahren, aber im Gegensatz zu den Therapieerfolgen wurden Therapiemisserfolge nur in einem geringen Umfang untersucht (Rubenstein u. Lorr, 1956; Frank, Gliedman, Imber, Nash u. Stone, 1957; Lorr, Katz u. Rubinstein, 1958; Garfield u. Affleck, 1959). Daher fehlte es noch an vielen Stellen an umfassenden Erkenntnissen zu den Ursachen, Gründen und Merkmalen von Abbrüchen.