Psychologen schmunzeln nicht - Tom Crispa - E-Book
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Tom Crispa

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Beschreibung

Cyrus Adler ist ein mächtiger und steinreicher Filmproduzent, gleichermaßen gefürchtet wie begehrt. Eine Audienz bei ihm ist wie ein Sechser im Lotto. David, einem aufstrebenden Drehbuchautor aus den USA, wird diese unerwartete Ehre zuteil. Ehrfürchtig, aber dennoch voller Optimismus reist er nach London, wo er auf seinen großen Durchbruch hofft. Dort kommt es zu einem folgenschweren Missverständnis, das eine fatale Kettenreaktion auslöst. Eine junge Londoner Polizistin und eine deutsche Praktikantin werden in die Ereignisse verwickelt. Wer spielt mit wem ein falsches Spiel? Die Grenzen zwischen Freund und Feind beginnen zu verschwimmen …

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Tom Crispa

 

 

Psychologen

schmunzeln nicht

 

 

 

Kriminalroman

 

 

 

 

LANA-Encore®

Impressum

© 2020 LANA-Film e.K.

- Alle Rechte vorbehalten -

 

Dieses Werk ist rein fiktional.

 

Umschlaggestaltung: Christian Vesper

Umschlagfoto: Fer Gregory/Shutterstock.com

 

Lektorat: Kirsten Vesper

Verlag: LANA-Film e.K., 61267 Neu-Anspach, Dürerstr. 53

 

Das E-Book wurde publiziert: Januar 2020

Reihe Pat & Ally Band 1

 

ISBN der Taschenbuchausgabe : 978-3-946914-99-6

ISBN der E-Book-Ausgabe : 978-3-946914-97-2

 

www.LANA-Encore.de

LANA-Encore® ist eine Marke der LANA-Film e.K.

 

 

 

Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern.

 

Aristoteles

 

Inhaltsverzeichnis

Titelblatt

Impressum

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Weitere Werke

Leseprobe »Mary darf nicht sterben«

1

Die Turbinen verabschiedeten sich nach einem letzten Aufwimmern diskret und rollten erleichtert aus. Die obligatorische Aufforderung der Purserette – »Bitte bleiben Sie noch so lange angeschnallt auf Ihren Sitzen, bis wir unsere vollständige Parkposition erreicht …« – ging im dutzendfachen Klacken sich öffnender Gurte und Handgepäckfächer unter. Die Maschine rollte noch, die ersten Geschäftsleute standen bereits ungeduldig im Gang und drängten zur Vordertür. Die meisten hatten bereits wieder das Handy am Ohr und ließen ihre Umgebung ebenso ungeniert wie lautstark an ihren Telefonaten teilhaben.

»All doors in park«, nuschelte es keine zwei Minuten später aus den Lautsprechern. »… position«, ergänzte sie im Stillen und schob ein »please« hinterher. Für vollständige Sätze war im Luftfahrtgeschäft offenbar keine Zeit. Für die meisten Passagiere wäre das ohnehin nur verschwendeter Atem gewesen.

 

Sie wartete wie immer nur wenige Minuten. Nach vier bis fünf Minuten war die Maschine üblicherweise so gut wie leer und sie konnte somit ungehindert und ohne Drängeleien direkt zum Ausgang gehen. Auf der Gangway stellte sie ihr Gepäckstück ab und zog den Griff aus dem Trolley, um ihn, wie die meisten Gäste dies taten, hinter sich herziehen zu können. Es wäre für sie körperlich ein Leichtes gewesen, ihn einfach zu tragen, doch »möglichst wenig auffallen« war ihre Devise. So knatterte der kleine Rollkoffer über den anthrazitfarbenen Noppenboden schattengleich und geräuschvoll hinter ihr her. Vorbei an den gelben Hinweisschildern, die von der eigentlich immer als viel zu niedrig empfundenen Decke in Heathrow hingen und die Richtung zu der gesuchten Underground-Station wiesen.

Sie freute sich riesig auf diese Stadt. Sechs Monate London! Abenteuer pur. Ihre Koffer hatte sie bereits ins Boarding-Haus vorausschicken lassen; so konnte sie direkt durchstarten und sich den Zwischenstopp am Gepäckband ersparen.

 

Noch befand sie sich aber, wenn auch als eine der Letzten aus dem Flieger, in der Gruppe, die sich erst nach weiteren etwa fünfzig Metern in Richtung Gepäckband, Taxistand und Tube trennen würde. Sie war eher geschlendert, daher driftete die Gruppe vor ihr bereits ein wenig auseinander und gab den Blick auf drei Police-Officer am Rand mit Schutzwesten und Maschinenpistolen frei, die offensichtlich suchend die vorbeiströmenden Passagiere taxierten.

 

Sie stockte innerlich, bemühte sich aber, Gang und – soweit unter diesen Umständen möglich – Körpersprache beizubehalten. Blitzlichtartig ging sie auf den wenigen gerade noch verbleibenden Metern die bisherigen Vorbereitungen der letzten Wochen nochmals durch. Wo lag der Fehler? Gab es eine undichte Stelle und wenn ja, aber doch nicht schon hier und jetzt?! Schlagartig waren ihre Vorfreude und gute Laune verflogen. Ihr Lächeln gefror und wirkte mit einem Mal künstlich und unnatürlich. Sie bemühte sich, keinen der Polizisten direkt anzusehen, aber auch nicht zu angestrengt geradeaus zu blicken. Sie wusste bereits aus dem Studium, mit dieser aufgesetzten ›neutralen‹ Ich-habe-gar-nichts-getan-Haltung war noch jeder bereits beim Zoll als besonders auffällig herausgewunken worden.

»Du bist eine Studentin im Auslandssemester, alles ganz einfach«, ermutigte sie sich selbst.

Zwei der Beamten fixierten sie nun, der dritte schaute an ihr vorbei.

Sie atmete erleichtert auf. Geschafft!

Fünf Meter an den Beamten vorbei, drehte sie sich beiläufig, um scheinbar nach ihrem Trolley zu sehen, und bemerkte dabei aus den Augenwinkeln, wie einer der Officer in sein Schultermikrofon sprach. Alle drei setzten sich langsam in Bewegung und nahmen dabei die volle Breite des Flures ein.

Der Verdacht, aufgeflogen zu sein, nagte unangenehm in der Magengrube. Verdammt, wieviel wussten die? Sie ließ den Kopf etwas sinken und presste verstimmt ihre Lippen aufeinander.

 

Etwas weiter vorne löste sich eine Kaugummi kauende junge Frau von der Wand, an der sie bisher schräg angelehnt auf ihr Handy geschaut hatte. Ein kurzer kräftiger Ruck mit den Schultern und sie stand unvermittelt sehr stabil inmitten der Laufrichtung. Da sie ein Stück kleiner war als sie selbst, konnte sie nun auf der bisher abwandten Seite ihrer kurzen, stufig geschnittenen mischblonden Haare ein durchsichtiges Spiralkabel erkennen, das aus einem weißen Kragen kommend in einen Knopf im rechten Ohr mündete.

Es war klar, was jetzt folgen würde.

Die Kaubewegung endete abrupt. Ohne sich von der Stelle zu rühren, fingerte die junge Frau mit der rechten Hand ein schwarzes Etui aus der Innenseite der dunkelblauen Regenjacke. In einer gleitenden, offensichtlich wiederholt praktizierten Bewegung klappte sie den Ausweis auf.

Task Force Police! Den Namen der Beamtin las sie schon nicht mehr und hörte auch nicht hin, wie sich die blaue Regenjacke als Detective Sergeant zu erkennen gab.

 

Der Plan war im Ansatz gescheitert. Nun war ihr wirklich schlecht.

2

»Wie im letzten Jahrhundert. Ach was, nein. Wie im vorletzten«, dachte er. Schließlich stand ja schon seit fast zwei Jahrzehnten eine zwanzig als Jahrhundertzählung und keine neunzehn mehr in den Kalendern, korrigierte er sich sogleich selbst. Ebenso ausführlich wie fasziniert sah er sich in diesen scheinbar aus einer vergangenen Epoche stammenden vier Wänden um. Eine alte Villa mit mit mindestens ebenso altem Baumbestand, eingebettet in einen gepflegten Park, beherbergte den Raum, in dem er sich befand. Zimmer wäre nach seiner ersten Einschätzung eine doch zu respektlose Bezeichnung für diese Örtlichkeit gewesen.

Da war zunächst die übermannshohe Holztüre mit einem verzierten Messinggriff auf Kinnhöhe, durch die man ihn hineingeleitet hatte. Deren dunkler Holzton dominierte die gesamte Ausstattung des ausladenden Raumes, der ihm als Bibliothek benannt worden war. Hier also gedachte ihn sein Gastgeber zu empfangen. Sicherlich nicht unpassend, dachte er und ließ die imposanten, wohl viele tausend Bücher auf sich wirken, die sich artig vom Boden bis zur – oh, – nahezu vier, fünf Meter hohen Stuckdecke in den mächtigen Regalen aneinander drückten. Sie schienen sich zu verstehen, hatten sie doch alle ähnlich dunkle, gediegene Einbände. Zwar verschieden in Form und Größe, aber doch in der Farbe und Erhabenheit zu einer eher edlen Bibliothek mit schweren Perserteppichen passend.

Weder ein Taschenbuch noch ein Bildband oder ein anderes Werk mit buntem Rücken war zu erkennen. Wäre wohl auch gleich von den anderen Büchern gemobbt und verprügelt worden, ging es ihm durch den Kopf. Er wusste, dass er sich immer mit solch unsinnigen Gedankenspielen abgab, wenn er sehr aufgeregt war und eigentlich Angst hatte. Nur half ihm diese Erkenntnis nicht viel weiter.

Er blickte in den beinahe erkalteten Kamin, den nicht entsorgten Aschehügel, der zwei noch nicht vollständig verbrannte Holzscheite umgab, die eben ein wenig vor sich hin kokelten. Sogleich flammte das Feuer vor seinem geistigen Auge auf und er sah, wie kleine und große ledergebundene Bücher um den Kamin tanzten und an den Marterpfahl gebundene Taschenbücher verbrannten.

Die Türe hinter ihm wurde mit leichtem Knarzen geöffnet und riss ihn aus diesem selbst für seine Verhältnisse verstörenden Tagtraum. Oh Gott, du musst dringend mal zum Arzt, oder dir künftig wenigstens ein Beruhigungsmittel geben lassen! Er drehte sich im rechten Winkel in Richtung Tür, von wo er ein Geräusch zu vernehmen glaubte.

Was denkst du dir immer für einen Scheiß aus, wenn du dich ablenken willst! Schiss hast du ja gerade, und wie! Mmh, Scheiß und Schiss liegen doch sprachlich wie inhaltlich beieinander, drängte sich schon der nächste Gedanke ungefragt durch seine Hirnwindungen, wurde aber seiner Fortführung beraubt, da der Türflügel zwischenzeitlich seinen maximalen Öffnungswinkel erreicht hatte und hinter ihm der Hausherr hervortrat. Unermesslich reich, selbstverliebt, rücksichtslos, höchst erfolgreich und gnadenlos gefürchtet, so hatte man ihn in den Medien charakterisiert. Als Filmproduzent galt er als ebenso umworben wie für Normalsterbliche unerreichbar. Umso wichtiger, im Grunde gar existenziell bedeutsam, war ein positiver Verlauf dieser auf wundersame Weise zustande gekommenen Begegnung heute.

Audienz – wäre das nicht der angemessenere Ausdruck?

»Depp!«, meldete sich seine innere Stimme zu Wort.

Er schluckte trocken. Alle Feuchtigkeit war mit explosionsartiger Geschwindigkeit aus Zunge und Rachenraum verschwunden und hatte es sich irgendwo anders in seinem Körper gemütlich gemacht.

Unfähig sich zu rühren sah er ein untersetztes, etwa ein Meter fünfundfünfzig großes Männlein auf sich zukommen, das zuvor dem Türblatt ohne hinzusehen mit dem linken Fuß einen Schubs gegeben hatte. Nicht zu sanft, nicht zu stark, gerade dessen genug, dass die Türe mit einem angemessenen »Klack« zufiel und der Schnapper seine angestammte Verriegelungsposition einnehmen konnte.

Der große, runde, nahezu kahle Kopf thronte in gewisser Weise disharmonisch auf einem grundsätzlich zierlichen schlanken Körper, jedoch mit einem beachtlichen Bauchansatz, der aus der geöffneten Hausjacke hervorstach. In der Linken befand sich ein Longdrinkglas, welches seine kleinen Hände nur zur Hälfte umfassen konnten, in der Rechten ein Schnellhefter.

Er stiefelte schnurstracks auf den rechten Sessel neben dem Kamin zu, ohne irgendwelche Anstalten einer Begrüßung per Handschlag machen zu wollen. Wie denn auch?

Ein kurzes Kopfnicken, gefolgt von einem »Nehmen Sie Platz, junger Freund!«, und die Präliminarien schienen vorüber.

Das Männlein ließ sich schwer in den Sessel fallen, sofern man bei seiner Statur von schwer sprechen konnte.

Der Drink konnte dabei gerade noch vor dem Überschwappen bewahrt werden. Der kleine Mann entschloss sich daher abzutrinken und stülpte seine wulstigen Lippen über den hauchdünnen Glasrand. Geräuschvoll schlürfte er mit mehreren Schlucken die farbenfrohe Flüssigkeit in sich hinein, die mit blauen und orangefarbenen Schlieren um handgebrochene Eiswürfel herum mäanderte. Er setzte ab, schloss kurz die Augen und schmatzte zweimal.

Offenbar schmeckte das Gesöff.

Der junge Autor stand etwas unbeholfen dabei und fragte sich, wie sie denn wohl das Gespräch gestalten sollten, wenn jeder von ihnen in einem der wuchtigen Sessel Platz nahm, die beide auf den Kamin und nicht zueinander ausgerichtet waren.

Die wenigen Augenblicke der Unschlüssigkeit reichten dennoch, um den Gastgeber etwas genauer zu taxieren. Goldrandbrille, große Ohren, etwas hängende Backen, alles wohl zwischen 70 und 80 Jahren alt, leichter, seidiger Hausmantel mit einem ihm unbekannten Wappen auf der Brusttasche verziert. Darunter bequeme Kleidungsstücke und ebensolche Schuhe in Slipper-Ausführung.

»Aber was bin ich denn für ein schlechter Gastgeber?«, riss ihn derselbe aus seiner Betrachtung.

»Möchten Sie auch einen Blue Curaçao nach Art des Hauses? Ich kann Ihnen gleich einen bringen lassen.«

Er tastete nach einem Rufknopf auf dem niedrigen Beistelltischchen. »Oder vielleicht etwas anderes? Kalt? Warm?« und wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern ergänzte wie in einem Atemzug: »Nun nehmen Sie doch schon Platz, lieber Freund!«

Der »liebe Freund« setzte sich behutsam auf die vordere Sesselkante und hörte sich dankend verneinen. Ihm war etwas unwohl. Er wollte keine Umstände machen, nicht jetzt, nicht zu Beginn dieser für ihn so wichtigen Begegnung.

Er drehte sich noch ein wenig mehr, um seinen Gesprächspartner direkt ansehen zu können, wenn der das denn wollte. Er wollte.

»Nun, dann vielleicht später …«, hörte er ihn sagen, als er den Rufknopf auf das Tischchen zurückfallen ließ.

Geradezu schlagartig überfiel ihn ein schlechtes Gewissen. Womöglich war es grob unhöflich gewesen, das freundliche Angebot abzulehnen. Seinen hoffentlich künftigen Produzenten als Einstieg zu verstimmen, wäre wirklich das Letzte, das er jetzt gebrauchen konnte.

Er räusperte sich verlegen. »Wenn ich vielleicht dann doch einen …« Dabei vollendete er den Satz nicht, traute sich schon gar nicht zu ergänzen, dass er grundsätzlich gar keinen Alkohol mochte. Immerhin hatte ihn sein Gefühl nicht getrogen, denn das Gesicht seines Gegenüber hellte sich schlagartig auf. Anstelle den Sender in die Hand zu nehmen, ließ er seinen Zeigefinger zwei-, dreimal darüber kreisen, um ihn dann wie einen Habicht hernieder sausen zu lassen. Das Gerät quittierte mit einem filigranen Piep, dass es seinen Auftrag verstanden hatte.

»Sie werden staunen!«, strahlte ihn der Mann an und zog Beifall heischend gleichzeitig beide Augenbrauen nach oben. Er nickte in Richtung Tür, die sich wie auf ein Stichwort zu öffnen begann.

 

In der Tat, es gab Anlass zum Staunen.

3

»Wie bitte?«, hörte sie sich fragen.

»Detective Sergeant Patricia Farquharson«, wiederholte die Kriminalbeamtin akzentuiert und eine Spur lauter. »Sind Sie Allyssa Colmberg?«

»Ja, Officer das bin ich«, bestätigte sie. Zumindest im Augenblick, ergänzte sie im Stillen. Dabei hatte sie sich doch so große Mühe gegeben, möglichst lange unter dem Radar und unbehelligt zu bleiben.

»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte sie resigniert, schickte aber schnell ein kurzes Lächeln hinterher, wollte sie doch nicht zu abweisend wirken.

»Nun«, die Angesprochene klappte die ID-Marke zusammen und ließ sie in der Gesäßtasche ihrer hellen Bluejeans verschwinden, »das war ziemlich einfach.« Sie nickte den näherkommenden Uniformierten zu – »Danke, Jungs!« –, worauf diese zurück grüßten und sich an ihnen vorbei in Richtung Gepäckausgabe neu orientierten.

Sie musterte die 1,80 m große, schlanke junge Frau mit kinnlangen roten Haaren, die sie eben aus einer von Frankfurt kommenden British Airways-Maschine aus 300 Passagieren herausgefiltert hatte. Das gehörte wohl kaum zu den herausfordernden Aufgabenstellungen.

»War ja schwer zu übersehen«, murmelte sie die Antwort halblaut vor sich hin, während sie ihren Kollegen nachblickte. Sie wandte sich um und wartete auf ein zustimmendes Nicken, das jedoch ausblieb. Vielleicht hatte sie doch zu leise und in die falsche Richtung gesprochen?

»Na, jedenfalls – haben Sie Gepäck?«, vergewisserte sie sich das Thema wechselnd, ohne eine weitere Reaktion abwarten zu wollen.

»Nur meinen Trolley.«

»Gut, dann können wir ja jetzt gehen. Folgen Sie mir bitte, Ma’am.« Mit einer einladenden Geste in Richtung Ausgang setzte sie sich in Bewegung. »Mmh, Deutschland also«, begann sie eine unverfängliche Konversation. »Sollten Sie dann nicht eher blonde oder braune Haare haben?«

»Und Sie?«

»Was ist mit mir?«

»Farquharson, ein schottischer Clan aus Aberdeenshire, sechzehntes, nein, fünfzehntes Jahrhundert – sollten Sie dann nicht rote Haare haben?« Obacht, das könnte ein wenig zu schnippisch gewirkt haben, warnte sie sich, wenn auch zu spät.

DS Farquharson stoppte und sah ihre Begleiterin mit offenem Mund von der Seite her überrascht an. »Woher wissen Sie denn sowas? Das weiß ja nicht mal einer von den Revierkollegen …« Für wenige Sekunden wich die gezeigte Bewunderung einem misstrauischen Blick. Sie kniff leicht die Augen zusammen. »Sie … nein«, verwarf sie den aufkommenden Gedanken. Die konnte unmöglich gewusst haben, wer sie hier abholen würde, es war ihr selbst erst kurz zuvor bei Dienstbeginn aufgetragen worden, insoweit hätte sie sich in keiner Weise vorbereiten können. Umso verblüffender …

Die Rothaarige zuckte mit den Schultern. »Wusste ich eben«, unterbrach sie die Überlegungen des Sergeants. »Tatsächlich bin ich naturblond und hatte bis vor kurzem noch schulterlange Haare«, schob sie mit einem bemühten Lächeln hinterher.

Patricia kaute inzwischen wieder, machte aber noch keine Anstalten weiterzugehen, musterte stattdessen reichlich unverblümt ihr Gegenüber von oben bis unten.

Sie war mit ihrem Fang noch nicht fertig. Flache sportliche Schnürschuhe, schwarze Jeans, eine kurze Softshelljacke, darunter eine zartblaue, unverkennbar auf Figur geschnittene Bluse mit offenem Kragen. Hätte direkt eine Kollegin sein können, überlegte sie. Nach ihrem Gesamturteil hatte sie hier eine echte Schönheit vor sich, die so oder so auffiel, auch wenn sie im Moment nicht gerade überglücklich wirkte.

»Und – zu viele Blondinenwitze?«, fuhr sie beiläufig fort, ohne ihre Musterung zu unterbrechen.

»So ähnlich, ich wollte etwas weniger Aufmerksamkeit bei meinem Aufenthalt.«

Die Beamtin lachte auf. »Darling, dazu hast du dir aber die falsche Karosserie und das falsche Gesicht ausgesucht«, spottete sie und sah direkt in zwei tiefblaue Augen, die aber keine Missbilligung über ihre Wortwahl und die respektlose Vertrautheit erkennen ließen. Beide Frauen schienen etwa gleich jung zu sein, Mitte zwanzig, vielleicht auch zwei oder drei Jahre älter.

»Sorry, ist mir so rausgerutscht«, schickte sie vorsichtshalber hinterher, ging dabei ein paar Schritte weiter, drehte sich kopfschüttelnd wieder um und baute sich, beide Arme auf die Hüften stützend, vor der Studentin auf.

»Aber … also, mal ehrlich, iiirgendwann« – das Wort zog sie absichtlich in die Länge und wackelte währenddessen mit dem Kopf hin und her – »schon mal in den Spiegel geschaut?«

»Ja, natürlich.«

»Also!« Beide Handflächen streckten sich ihr hilfestellend entgegen, als wolle sie einer Schülerin bei einer Prüfungsfrage auf die Sprünge helfen. Vergeblich.

Die blauen Augen blickten verständnislos. Das »Sorry« brachte sich gerade rechtzeitig nochmals in Erinnerung, um ihr zu verdeutlichen, dass sie sich in gefährliche Nähe einer dienstlichen Rüge bewegte. Den nächsten Satz schluckte sie daher direkt hinunter.

»Na ja. Ich mein’ ja nur …«, versuchte sie die Kurve zu kriegen, »wer so aussieht, zieht halt die Blicke auf sich, Ma’am.« Und das jetzt schon, wo du ungeschminkt und in Freizeitklamotten vor mir stehst, dachte sie. Sie war auf die Reaktionen der Revierkollegen gespannt, beschloss aber, die restliche Strecke bis zum Dienstfahrzeug schweigend zurückzulegen. Warum haben die ausgerechnet mich geschickt, um so eine abzuholen?, fragte sie sich, ohne ernsthaft mit einer Antwort zu rechnen.

 

Vier Minuten lang gingen sie schweigend die Flure entlang, die Beamtin etwa zwei Schritte vorneweg, die Rothaarige versetzt dahinter.

Hoffentlich war die jetzt nicht noch eingeschnappt, dachte Farquharson etwas zu spät über ihre Flapsigkeit nach. Wie oft hatte ihr Boss sie schon ermahnt, etwas gesitteter und weniger vorlaut aufzutreten. Bisher hatte er immer noch schützend die Hand über sie gehalten, weil er sie für eine sehr brauchbare Beamtin hielt und sie nebenbei unangefochten bester Schütze der Division war. Sehr zum Leidwesen ihrer männlichen Kollegen, die deswegen schon so manche Wette verloren hatten.

Vor ihnen öffneten sich die automatischen Türen und sie befanden sich nach wenigen Schritten in der Anfahrtzone.

»So, da wären wir.«

Sie deutete auf einen PKW, der mit eingeschalteten Warnblinkern auf einer schraffierten Verbotsfläche stand. Ein Sicherheitsbeamter näherte sich missmutig, nachdem er geschlussfolgert hatte, dass dies die Fahrerin des Wagens war, den er nur zu gerne hätte abschleppen lassen. Er hatte schon das Funkgerät in der Hand, als er nach einer vorsorglichen Umrundung des Wagens die im Kühlergrill eingelassenen blauen LED-Blitzleuchten erkannt hatte.

Das war jetzt fast eine halbe Stunde her.

»Musste das sein?«, raunzte er die Blonde von der Seite an. Die schien allerdings etwas auf Krawall gebürstet, stoppte, steuerte geradewegs auf den plötzlich etwas kleiner werdenden Security-Mann zu und sah ihm fest in die Augen.

»Ja, Darling, das musste sein. Sonst noch Fragen, Probleme oder Wünsche? Ich hab’ nämlich sonst nix zu tun!«

Sie drehte sich zu Allyssa Colmberg um und rief übertrieben deutlich: »Entschuldigen Sie, Mylady, es dauert nur noch einen Augenblick.« Bei »Mylady« zuckte er sichtbar zusammen. Mit hochgestellten Persönlichkeiten wollte er keineswegs in Konflikt geraten.

»Ich mein’ ja nur … ich wusste ja nicht …«, äußerte er beschwichtigend.

»Darf ich jetzt wieder meinen Job machen?«, fragte sie sarkastisch, während sie per Schlüsseltaster bereits den Wagen öffnete, wartete aber keine Antwort mehr ab.

»Der ist bedient«, strahlte sie, öffnete den Kofferraum eines ursprünglich weißen Volvo V60, der sich mit hochgespritztem Schmutz bis zu den Fenstern zu tarnen versucht hatte.

Allyssa verstaute ihren Handkoffer.

Pat hatte inzwischen die linke Vordertür aufgehalten und mit leichter Verbeugung »Mylady« aussprechend ein stilvolles Entree in den Wagen bereitet. Dachte sie jedenfalls und ließ sich auf dem Fahrersitz nieder.

Bevor sie den Motor startete, sah sie spitzbübisch zu ihrer Mitfahrerin hinüber. Man musste ja in der Rolle bleiben.

Das »Okayyyy« kam etwas zu langgezogen, um als Zustimmung aufgefasst werden zu können.

»Waaas?«, imitierte sie den Tonfall und nahm kurzerhand den Zeigefinger wieder vom Startknopf.

»Na ja«, begann Allyssa und drehte eine schmutzige Handfläche nach oben, die sie sich beim Schließen der Heckklappe zugezogen hatte. »Eine Lady ließe man nicht ihr Gepäck selbst transportieren, nicht selbst einladen, nicht in einen verschmutzten Wagen steigen …«

Sie wischte sich die Hand mit einem Taschentuch sauber.

»Der Wagen wäre zu unpassend und insgesamt zu klein. Mylady würde im Fond platziert und nicht auf dem Beifahrersitz, man ließe sie nicht warten, um mit …«

»Hab’s kapiert«, würgte sie die zu erwartenden weiteren Ausführungen unwirsch ab. Das halblaute »Klugscheißer« ging im parallelen Startvorgang des Motors unter.

4

Er hatte nicht zu viel versprochen. Eine überaus anmutige junge Frau betrat den Raum und erfragte die Wünsche ihres Arbeitgebers. Mit einem freundlichen Lächeln verschwand sie genauso gleitend, wie sie zuvor hereingeschwebt war. Zumindest war das der Eindruck, den sie hinterlassen hatte. Ein angenehmer Hauch eines an Frühling erinnernden Parfums lag in der Luft.

»Nun, habe ich zu viel versprochen?«, versuchte sich sein Gastgeber begierig zu vergewissern. Cyrus Adler, 1945 im Exil in den USA geboren, jetzt 74 Jahre jung, wie er sich selbst bezeichnete, war also nicht nur ein anerkannter und gefürchteter Mäzen, sondern auch ein eitler Gockel, der eine langbeinige Brünette wie eine Trophäe auffahren ließ, dachte David. Und was hatte er mit seinen dreiunddreißig Jahren dagegen zu setzen, außer ihn um Haupteslänge zu überragen? Nichts, rein gar nichts, resümierte David Bishop im Stillen. Gewiss, er war als Autor nicht unbegabt, aber bei der immensen Konkurrenz und einem knallharten Geschäft in der Unterhaltungsindustrie musste er für jeden Strohhalm dankbar sein. Und Cyrus Adler war für ihn mehr als ein Strohhalm. Würde dieser sein Drehbuch akzeptieren, könnten um die 50.000 Dollar für ihn drin sein und er könnte einen Teil seiner Schulden aus der Scheidung abbezahlen.

So verbarg er also seine bitteren Gedanken, setzte ein jungenhaft charmantes Lächeln auf (ja, das hatte er immer noch gut drauf), und erwiderte: »Keineswegs, Mr. Adler – ein besonders reizender Anblick an diesem Nachmittag.«

Er schien den richtigen Ton getroffen zu haben, denn »Mr. Adler« strahlte ihn geradezu an.

»Ich bitte Sie, junger Freund, nennen Sie mich doch Cyrus, ich darf Sie doch David nennen, oder? Wir stoßen gleich darauf an, wenn Trishia den Drink bringt.« Er wartete gar keine Antwort ab, in dieser Stellung war er ohnehin keine Widerworte gewohnt. David hatte auch nicht vor, sein Schicksal wegen einer dämlichen Anredefrage zu riskieren, schob aber höflich ein »Oh, Sir, danke, Sir – ich fühle mich sehr geehrt!« hinterher.

Trishia konnte entweder sehr flink hantieren oder der Drink war einfacher herzustellen als er gedacht hatte, denn sie trat ohne zu klopfen bereits wieder ein. Die Tür blieb offen, Trishia servierte auf einem chromglänzenden Tablett zwei Drinks. »Blue Curaçao nach Art des Hauses.«

Ihr linker Arm verschwand elegant angewinkelt hinter ihrem Rücken, wobei sie sich mit der Rechten unter dem Tablett leicht vorbeugte, um die Gläser in angenehme Griffhöhe des Gastes zu positionieren. Während sie ihn mit einem gekonnten Augenaufschlag aus großen braunen Augen direkt ansah, hauchte sie »Zum Wohl, mein Herr«, hielt den Blick nach Davids Empfinden länger als schicklich und drehte erst dann zum Hausherrn ab.

David bemerkte erst jetzt, dass dieser seinen Drink bereits geleert haben musste, denn außer langsam dahinschmelzenden Eiswürfeln befand sich nichts mehr in dem ersten Glas, das Trishia gerade gegen das soeben hereingebrachte austauschte. Auch hier verbeugte sie sich mit einem respektvollen »Ihr Drink, Sir.« Der Saum ihres ohnehin sehr kurzen, uniformähnlichen hellgrauen Kleides hob sich dabei nochmals um ein bis zwei Zentimeter.

Einen großen Unterschied machte das wirklich nicht. Auch so gaben die in anthrazit gehaltenen Strumpfhosen einen unverstellten Blick auf zwei makellose Beine frei, die in High Heels aus einem dünnen Ledergeflecht endeten.

Trishia drehte sich langsam um und sah David wissend erneut direkt in die Augen.

Er fühlte sich ertappt und schlug so lange die Augen nieder, bis sie an ihm vorbeigekommen war und sich kurz vor der Tür nochmals umwandte. »Noch einen Wunsch, Sir?«, sprach sie Cyrus Adler direkt an.

David betrachtete, immer noch verlegen, sichtlich bemüht den eisgekühlten Longdrink mit Zuckerrand, Orangenscheibe und dickem abgeknickten Strohhalm. Gleich würde sie gehen und ihm ermöglichen, auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen zu kommen. Den Ankauf seines Manuskriptes.

»Trishia, kommen Sie, leisten Sie uns etwas Gesellschaft«, vernahm er Cyrus Stimme von rechts.

Was sollte das denn jetzt, fragte er sich irritiert.

Trishia nickte. »Gerne, Sir« und schloss behutsam die Tür.

Cyrus klopfte zweimal leicht auf die wuchtige gepolsterte Armlehne seines Sessels und Trishia bewegte sich elegant auf den ihr zugewiesenen Ort. Die Art, wie sie dort ihre Beine platzierte und David ansah … Wie eine Raubkatze zu Füßen eines römischen Herrschers, nur dass sie in diesem Fall nicht zu Füßen, sondern erhöht neben diesem Herrscher saß, freilich ohne sich an ihn zu schmiegen.

Ein Spiel, durchzuckte es David. Die spielt mit mir.

Nein, korrigierte er sich. Er spielt mit mir! Gleichwohl wagte er es nicht, seine Erkenntnis mitzuteilen, sondern sog erstmal unkonzentriert an dem dunklen Strohhalm.

»Er ist gut, nicht?«, erkundigte sich Cyrus und hielt dabei sein Glas prostend hoch.

David unterbrach sein Herumsuckeln am Halm, nickte beflissen und stellte dann erschrocken fest, dass er in einem Rutsch zwei Drittel abgetrunken hatte.

Ein Model, eine Mätresse, eine Prostituierte oder … Seine Gedanken kreisten im vergeblichen Bemühen einzusortieren, was hier gerade stattfand. Seine Geschmacksnerven versuchten erfolglos, Informationen über die Zusammensetzung des Getränks ins Gehirn zu übermitteln. Es gab derzeit andere Prioritäten.

»Trishia, holen Sie meinem Freund noch einen Drink und legen Sie etwas Holz nach.« Trishia gehorchte augenblicklich und David war erleichtert, als sie den Raum verließ.

»Nun, David«, begann Cyrus. »Wir beide arbeiten doch in der Unterhaltungsbranche, nicht wahr?«

Er vergewisserte sich, dass David folgte. »Action, Gewalt und Sex, das ist es, was das Publikum sehen will. Das ist es, was Kasse macht, wenn man mal vom Familienkino mit Regenbogenponys und ähnlichem Schnickschnack absieht. Und glauben Sie mir, von Kasse machen verstehe ich etwas.«

David nickte stumm.

»Brot und Spiele, panem et circenses – die Welt will unterhalten sein!« Er hielt einen Augenblick inne. »So, wie ich natürlich auch.«

David sah seinen Moment gekommen, um einzuhaken. »Genau, Sir, äh, Cyrus, so habe ich ja auch mein Drehbuch angelegt, auf das ich zu sprechen …«

»Später, später, junger Freund«, würgte dieser ihn ab.

David sah seine Felle davonschwimmen.

Etwas weniger von ›junger Freund‹ und Longdrinks und er hätte schon längst wieder draußen sein können.

»Nun, Zeit ist Geld«, referierte Cyrus selbstgefällig weiter. »Und wenn man es vice versa betrachtet, habe ich Zeit im Überfluss.« Er kicherte kurz über seinen vermeintlichen Witz.

David bemühte sich, ein beipflichtendes Lächeln auf sein Gesicht zu bringen, aber irgendjemand oder -etwas saß auf den zuständigen Nervenbahnen und so kam es nur etwas verunglückt in der Mimik an.

»Wie dem auch sei«, nahm Mr. Adler den Faden wieder auf, »ich habe Zeit, ich habe Geld, ich suche Unterhaltung und da kommen Sie ins Spiel, junger Freund!«

Noch ein ›junger Freund‹ und ich schütte ihm meinen restlichen Drink ins Gesicht! Dieser Gedanke wollte sich gerade genüsslich einrichten, als ihn der nachfolgende Satz wie eine Seifenblase zerplatzen ließ.

»Ich nehme mir nämlich immer gerne Zeit, meine Protegés etwas besser kennen zu lernen und ein wenig mit ihnen zu spielen.«

David hörte nur Protegé. Welch süßer Klang in seinen Ohren! Das konnte mehr als einen bloßen Ankauf von Rechten bedeuten. Ein Protegé war meist eine junge Person – also ich, belehrte er sich selbst –, die von einer oder einem Älteren – sitzt mir gerade gegenüber – gefördert wird. Cool.

David hatte es plötzlich nicht mehr eilig.

»Was nun das Spielen anbelangt …«

»Ja?« David war ganz Ohr.

»Gewöhnliche Spiele langweilen mich.«

»Oh.«

»Ich schätze etwas …«, er machte eine Kunstpause, »… ausgefallenere, experimentellere Varianten.«

»Ah«, sagte David, ohne sich darüber im Klaren zu sein, was er damit eigentlich ausdrücken wollte. Richtig verstanden hatte er im Grunde nämlich noch gar nichts.

Adler hatte seine bequeme Haltung aufgegeben und saß nun ebenfalls auf der Sesselkante. Sein Gesicht erschien auf einmal nicht mehr so jovial sondern kühl, die Augen nagelten ihn fest, wie ein Insekt in einem Setzkasten.

»Werden Sie mit mir spielen, David Bishop?«

David spürte die Schärfe in der Intonation.

Das Kaminfeuer hatte zwar begonnen Fahrt aufzunehmen, aber ihn fröstelte plötzlich. Er konnte mit Stimmungswechseln schon immer schlecht umgehen. Wo blieb eigentlich Trishia? Das hatte doch vorhin nicht so lange gedauert. Warum konnte er nicht einfach ja sagen? Vielleicht war es der als drohend empfundene Unterton.

»David?!« Es wirkte wie ein Ordnungsruf für einen unaufmerksamen Schüler.

»Ja, Cyrus. Natürlich werde ich gerne mit Ihnen spielen«, krächzte David etwas heiser und schlürfte verlegen den letzten Klecks des Mischgetränks mit dem Strohhalm zwischen den Eiswürfelresten heraus. Seine Stimmbänder dankten es ihm.

Cyrus Adler klatschte in die Hände. »Fein, dann können wir beginnen.« Er strahlte glücklich und rutschte wieder in seine angestammte Sitzhaltung zurück.

David wartete.

Cyrus schaute in den Kamin und sagte nichts.

David versuchte dem Blick zu folgen, ob es da etwas Spannendes zu sehen gäbe.

Außer drei kantigen Holzscheiten, die von gelblichen Flammen umzüngelt vor sich hin loderten, konnte er nichts erkennen, was der Rede wert gewesen wäre. Er wollte gerade Luft holen, um sich nach Cyrus Absichten zu erkundigen, als dieser ohne den Kopf zu wenden fragte: »Würden Sie Trishia einen kräftigen Klaps auf den Po geben, wenn sie wieder hereinkommt?«

David fühlte sich, als hätte man ihm einen Eiskübel übergekippt. »Wie bitte?«, versuchte er sich zu fassen.

»Sie haben mich schon richtig verstanden, Mr. Bishop!«

David schluckte schwer. Mr. Bishop!! – Der ›junge Freund‹ war gerade dabei, sich aus dem Staub zu machen. Davids Gedanken rasten auf einmal um die Wette. War das ein Test? Wenn ja, wofür? Sagte er ja, wäre er ein chauvinistisches Arschloch und unten durch, bei Nein wäre er der Spielverderber, der sich das Thema Protegé ein für allemal abschminken konnte. Er war kein Macho, liebte und respektierte Frauen. Andererseits gab es welche, die es darauf anlegten, vielleicht sogar genossen. Zu welcher Sorte gehörte Trishia? War sie nur eine einfache Angestellte? Was machte das für einen Unterschied? Was aber, wenn sie ein Escort-Girl war, bei ihrem Aussehen wäre das doch kein Wunder. Da gehörte so etwas wie ein Klaps doch zum Berufsbild. Sollte er sich wirklich so zimperlich anstellen?

Es ging ja nicht mal um irgendeine Sado-Maso-Nummer. Aber um eine unerhörte Unverfrorenheit, meldete sich seine Moralabteilung zu Wort. Davids Blick wurde fahrig, seine Körpersprache verkrampfte sich.

Cyrus Lippen zuckten in dem vergeblichen Versuch, ein aufkommendes Lächeln im Zaum zu halten. Er schien es zu genießen.

»Ich will es Ihnen etwas leichter machen, junger Mann. Zweitausend Dollar cash, hier an Ort und Stelle, wenn Sie es gemacht haben.«

David stutzte und zögerte. Es wäre leicht verdientes Geld und er müsste sie ja nicht schlagen. So ein Klaps wäre hinsichtlich der Intensität von außen nur schwer einzuschätzen und so bliebe faktisch nur eben eine ziemliche Unverschämtheit übrig. Er versuchte sich selbst zu überzeugen. Trishia würde er nie wieder sehen und hier ging es außerdem um mehr als die Zweitausend Dollar. Er wollte schließlich sein Drehbuch an den Mann bringen. Er nickte. »Ich mach’s.«

Cyrus grinste breit und drückte den Rufknopf.

Trishia erschien geradezu unverzüglich, zwei kleinere Tabletts balancierend. Sie servierte gekonnt den ausstehenden Drink für David und ein Glas Eistee für Cyrus, das dieser zwar nicht in Davids Beisein bestellt hatte, aber wie selbstverständlich entgegennahm.

Das leere Tablett schob sie unter das mit einem Tuch abgedeckte und wendete sich dem Ausgang zu. Auf Davids Höhe angekommen holte er mit der rechten Hand aus.

 

Nie hätte er erwartet, dass dies für ihn der Anfang vom Ende sein würde.

5

»Ja, nun, die Sache mit den versteckten Kameras und Wanzen ist im realen Leben nicht so leicht zu durchblicken. Wissen Sie, im Film wird für den für doof gehaltenen Zuschauer ein Zeitzünder immer mit großen roten Leuchtziffern versehen, damit auch jeder weiß, wann das Ding hochgeht. Dann gibt es auch immer einen roten oder blauen Draht zum Durchschneiden. Eine Wanze bekommt in ihrem Versteck eine kleine rote Diode und eine versteckte Kamera ein rotes Licht, das …«

 

Er hatte während seiner Ausführungen erstmals den Kopf leicht angehoben, um über den großen Wandspiegel den Blickkontakt zu seiner Therapeutin aufzunehmen, und stockte unvermittelt im Satz. Links zwischen den Büchern leuchtete zwar kein kleines rotes Licht, aber ein dunkles Objektiv, vielleicht so groß wie der Durchmesser einer Espressotasse reflektierte einen Sonnenstrahl.

 

Noch nie hatte er bewusst dorthin geschaut, meist lag er mit geschlossenen Augen oder den Blick zur Decke gerichtet mehr oder minder entspannt auf der aus seiner Sicht klassischen Therapeutenliege, die Psychologin links neben ihm auf Kopfhöhe in einem leichten Sessel positioniert. Klassisch, so dachte er überzeugt, obwohl dies sein bislang einziger Kontakt mit der psychologischen Zunft war und ihm somit ein echter, auf Erfahrung beruhender Vergleich im Grunde fehlte.

Er fixierte die kreisrunde Linse für einen kurzen Moment, dabei wurde das Bild leicht unscharf, weil ihn in eben diesem Augenblick ein Gedanke wie ein Flashback traf.

 

Nach seiner Erinnerung war dann wohl alles sehr schnell gegangen. Viel zu schnell. Mit etwas mehr Ruhe oder schon, wenn er sich etwas mehr zu ihr herumgedreht hätte, wäre alles anders verlaufen.

 

Eben netter.

Friedlicher.

 

Und um genau zu sein auch weniger tödlich.

6

Nach den als Belehrung empfundenen Einlassungen ihres Fahrgastes zog DS Farquharson es vor zu schweigen, zumal sie sich nicht ganz sicher war, ob sie »Klugscheißerin« vielleicht nicht doch etwas zu laut ausgesprochen hatte. Nachdem die Rothaarige auch nach fast 15 Minuten immer noch keine Anstalten gemacht hatte, eine unverfängliche Konversation zu beginnen oder zumindest ein paar Fragen zu stellen, wurde ihr zunehmend unbehaglich. Sie begann nun, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, was ihre Vorgesetzten mit ihr anstellen würden, wenn sie einen so einfachen Auftrag versiebte.

Vorgesetzte. Sie verspürte einen kleinen Stich in der Magengrube bei dem Gedanken, sie hätte mit einem Streich gleich drei davon enttäuscht. Für ihren auf der Kippe stehenden Fortbildungslehrgang wäre das nicht gerade förderlich.

Allyssa betrachtete aus den Augenwinkeln ebenso ausgiebig wie unbemerkt ihre Fahrerin, die ihr Verhalten seit Beginn der Fahrt so nachhaltig geändert hatte. Wie den leisen Nachhall eines Echos vernahm sie in ihrem Kopf die Stimme eines Ausbilders, der sich im Seminarraum gerne von hinten über ihre Schulter gebeugt und sie ermuntert hatte: »Nun, Colmberg, was haben wir hier? Mit wem haben wir es zu tun? Was sehen Sie, was hören Sie, was riechen Sie, was spüren Sie …?«

Junge weiße Frau, Mitte zwanzig. Blondes, kurzes, wuscheliges Haar, bereits knapp unterhalb der Ohren endend. Braune Augen mit grünlichem Schimmer, ovales, ebenmäßiges, offenes Gesicht, kein Makeup. Ohren frei, eng anliegend, Ohrlöcher gestochen, aber nirgendwo Schmuck zu sehen, auch kein Ring. Am linken Handgelenk eine große Funktionsuhr. Körpergröße etwa 1,70 m, geschätzte 60 kg. Konfektions- und Schuhgröße beide ca. 38. Kein Parfum, aber schwach wahrnehmbar die Duftnote eines eher männlich wirkenden Deodorants. Zu hören derzeit: Nichts. Kaut zunehmend hektischer auf dem Kaugummi herum, schiebt ihn dabei immer wieder kurz zwischen den Lippen nach vorne, um ihn dann gleich wieder katapultartig einzusaugen. Wirkt angespannt. Auftreten im Flughafen selbstbewusst, bisweilen offenbar impulsiv bis vorlaut. Scheut keine Auseinandersetzung, legt es vermutlich sogar darauf an. Sie dachte kurz an den Security-Mann zurück. Nun gut, sie musste sich ja nicht weiter mit ihr beschäftigen. Sie würde anstelle mit der Underground nun in einem Polizeiwagen nach London gebracht werden und das war’s. Allyssa konnte Stille sehr gut aushalten und warm werden würde sie mit Blondie ohnehin nicht. Die restlichen drei Viertel der Strecke würden auch so rumgehen und dann würden sie sich nie wieder sehen. So dachte Allyssa, sie hätte nichts zu verlieren, wenn sie ein paar Fertigkeiten aus dem Studium an ihrer Fahrerin ausprobieren würde.

 

Die Voraussetzungen sich nie wieder sehen zu müssen wären ausgezeichnet gewesen, hätte nicht in eben jenem Moment ein Patient in der Praxis von Dr. Sarah Wingate erneut auf der Liege Platz genommen und begonnen, über Kameras zu schwadronieren. Dieser Umstand würde für die beiden Frauen weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen.

In Unkenntnis dieser Entwicklung nahm Allyssa die Beamtin ins Visier. Pat hatte aufgehört zu kauen und presste offenbar die Zähne aufeinander, was sich gut an der sich abzeichnenden Kiefermuskulatur ablesen lies.

 

»Ich finde Sie sehr hübsch«, sagte Allyssa unvermittelt.

Pats Kopf fuhr abrupt herum, sie hatte »Wie bitte?« rufen wollen, musste aber erst ihre Zähne auseinander bekommen und den Speichelfluss wieder in Gang bringen. Alles keine große Sache. Der Kaugummi hatte nur auf die Gelegenheit gewartet, sich dem malträtierenden Zusammenknautschen zu entziehen. Er nutzte den Schluckreflex, um sich per Wasserrutsche via Speiseröhre und Magen Richtung Dünndarm zu verabschieden. So kam das »Wie bitte?« nicht mit der beabsichtigten Empörung über ihre Lippen.

»Doch, doch, ich finde Sie bei aller vorgeschobenen Sprödigkeit attraktiv.«

Sie war gespannt, wie ihr Gegenüber reagieren würde. Blendsatz hatten sie das im Studium genannt. Nimm eine Äußerung, die weder zur aktuellen Situation passt, noch mit der gerechnet werden kann. Sie sollte im Kern wahr sein, diente aber der Provokation, festgefahrene Verhörsituationen wieder aufzubrechen.

»Sprödigkeit!«, wiederholte Pat.

Ah, interessant.

Mit Frausein hatte sie also tatsächlich ein Problem, vermied sie doch den direkten Bezug oder die naheliegende Frage: »Willst Du mich hier etwa anmachen?«

Allyssa wartete.

»Sprödigkeit!«, wiederholte Pat zum zweiten Mal und dann platzte es aus ihr heraus. Ohne Allyssa anzusehen blaffte sie die Windschutzscheibe an. »Hören Sie, Ma'am. Ich weiß nicht genau, was hier los ist oder was genau Sie bezwecken. Ich weiß nicht mal, wen oder was Sie darstellen, außer angeblich Studentin zu sein. Ich weiß nur, dass mich mein Superintendent heute morgen unter Umgehung meiner beiden Vorgesetzten zu sich hereingepfiffen hat. Ich soll für die zweite Mordkommission eine junge Deutsche abholen, mich anständig und zuvorkommend benehmen und sie im Yard abliefern. Und das, wo sich die beiden SI’s nicht mal gut leiden können!« Sie sah kurz in den äußeren Rückspiegel.

»Benehmen, als ob ich das nicht … Arschloch!« Sie hob den Mittelfinger, als hinter ihr ein Wagen dicht auffuhr und hupte. »Darling, hier sind 70 mph und die fahre ich«, schimpfte sie nun in den innenliegenden Rückspiegel.

Der Sportwagen hinter ihr beschleunigte stark und zog an ihr vorbei.

»So nicht, Darling!«

Mmh. Darling war eindeutig ihr Lieblingswort, konstatierte Allyssa für sich, und ihr Versuchsballon war offenkundig ein voller Erfolg. Pat schaltete einen Gang runter und trieb den Wagen mit aufjaulendem Motor zu überraschenden Höchstleistungen. Allyssa wurde in den Sitz gedrückt, als der Volvo nach vorne schoss.

»Straßenverkehr ist zwar nicht direkt mein Job, aber …« Sie drückte rasch einen Knopf und betätigte einen Kippschalter. Die kleine Kontrollleuchte hätte es gar nicht gebraucht, denn auch so waren die Reflexionen der roten und blauen Blitzlichter in der Windschutzscheibe Beleg genug, dass sich Pat gerade auf dem Kriegspfad befand.

---ENDE DER LESEPROBE---