Psychologische Beratung und Coaching - Fabian Grolimund - E-Book

Psychologische Beratung und Coaching E-Book

Fabian Grolimund

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Beschreibung

Der direkte Weg zur erfolgreichen Beratung: Worauf es wirklich ankommt! Die Beratungssituation unterscheidet sich deutlich von therapeutischen Settings: Insgesamt haben Klienten, die eine Beratung aufsuchen, konkretere und spezifischere Probleme ohne Krankheitswert. Sie erwarten von Beratenden, dass sie ihr Fachwissen einsetzen, fehlende Informationen liefern, Wege aufzeigen und ihnen dabei helfen, schwierige Entscheidungen zu treffen oder mit bestimmten Situationen besser zurechtzukommen. Dieses Handbuch vermittelt Ihnen alle grundlegenden und weiterführenden Kompetenzen zur Durchführung eines professionellen Beratungsgesprächs. Das Konzept dieses Buchs entstand an der Universität Fribourg (CH), wo der Autor als Dozent zur Psychologischen Beratung lehrte. Fabian Grolimund führt in anschaulicher Weise und mit vielen Beispielen sowie praktischen Übungen durch die sechs Phasen jeder Beratung: - Erstkontakt - Beziehungsaufbau - Zielanalyse - Problemanalyse - Lösungsentwicklung - AbschlussFür die 3. Auflage wurde der Text aktualisiert.

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Fabian Grolimund

Psychologische Beratung und Coaching

Lehr- und Praxisbuch für Einsteiger

3., aktualisierte Auflage

Psychologische Beratung und Coaching

Fabian Grolimund

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Psychologie:

Prof. Dr. Guy Bodenmann, Zürich; Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich; Prof. Dr. Björn Rasch, Freiburg i. Üe.; Prof. Dr. Astrid Schütz, Bamberg; Prof. Dr. Markus Wirtz, Freiburg i. Br.; Prof. Dr. Martina Zemp, Wien

Fabian Grolimund

Akademie für Lerncoaching

Albulastrasse 57

8048 Zürich

Schweiz

E-Mail: [email protected]

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Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Dr. Susanne Lauri

Bearbeitung: Tobias Gaudin, Gießen

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagabbildung: oversnap, Gettyimages.com

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Format: EPUB

3., aktualisierte Auflage 2024

© 2014 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

© 2017, 2024 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96274-0)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76274-6)

ISBN 978-3-456-86274-3

https://doi.org/10.1024/86274-000

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Download-Materialien.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Für Maya

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Einleitung

Beratung – ein Definitionsversuch

Gemeinsamkeiten zwischen Therapie und Beratung

Unterschiede zwischen Therapie und Beratung

Unterschiede zwischen Beratungs- und Therapie-Klienten

Gute Beratung: Worauf es wirklich ankommt

Phase 1: Erstkontakt

Ein Klient ruft an – die ersten, entscheidenden Minuten

Informieren Sie sich über Probleme, Ziele und Erwartungen

Klären Sie die Indikation

Informieren Sie die Klientin über Ihr Vorgehen

Klären Sie Fragen zu Honorar, Kostenübernahme und Terminen

Zeigen Sie Verständnis und Interesse

Klienten aktivieren und positive Erwartungen wecken

Beginnen Sie mit dem Aufbau einer beraterischen Allianz

Positive Erwartungen wecken

Vermitteln Sie Ihrer Klientel, dass es sich um ein Standardproblem handelt

Falls Sie Erfahrung mit der Problematik haben: Sprechen Sie diese an

Sprechen Sie Ressourcen der Klienten und bisher Erreichtes an

Phase 2: Beziehungsaufbau

Gute Beziehung – wirksame Beratung

Merkmale einer professionellen Beratungsbeziehung

Asymmetrie

Arbeitsorientierung

Zeitliche Begrenzung

Professionelle Distanz

Verzicht auf persönliche Meinungen und Wertungen

Akzeptieren und Aktivieren: Pole einer Beratungsbeziehung

Akzeptieren und bei der Klärung unterstützen

Aktivieren und bei der Problemlösung unterstützen

Beziehungsgestaltung

Beziehungsgestaltung in Abhängigkeit vom Anliegen

Beziehungsgestaltung in Abhängigkeit vom Klienten

Beziehungsgestaltung in Abhängigkeit vom Beratungsprozess

Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung

Unbedingte Wertschätzung

Echtheit

Selbstöffnung– ein Sonderfall von Echtheit

Umsetzung

Empathie

Beziehungsgestaltende Methoden

Wiederholen

Reformulieren und Spiegeln

Drei Übungen zum Spiegeln

Was soll in der Beratung gespiegelt werden?

Spiegeln und Führen

Weitere Gesprächsmethoden

Zusammenfassen

Vertiefende Fragen stellen

„Schlechte Fragen“

„Gute Fragen“

Nonverbale und paraverbale Signale

Die Sitzordnung

Die Sitzhaltung

Woran erkennen Sie eine gute Beziehung?

Die erste Sitzung – Überblick gewinnen

Inhalte der ersten Sitzung

1. Begrüßung und Aufwärmphase

2. Vorgehen erläutern

3. Überleitung zum Thema

4. Einen Überblick über die Problematik gewinnen

5. Zusammenfassung und Ausblick

Beispiel für ein Erstgespräch

Klienten weiterverweisen

Auf wichtige Bedürfnisse achten – die Beziehung vertiefen

Bedürfnisse und Motive

Annäherungs- und Vermeidungsmotive

Die Bedeutung von Bedürfnissen und Motiven im Beratungsprozess

Wichtige Bedürfnisse

Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle

Sorgen Sie für Transparenz

Beteiligen Sie die Klientin an der Planung der Beratung

Ermöglichen Sie positive Kontrollerfahrungen

Sprechen Sie über die Ziele der Klientin

Erhöhen Sie das Verständnis für das Problem

Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz

Sprechen Sie „gesunde Bereiche“ an

Schenken Sie Fortschritten ausreichend Beachtung

Das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung

Die Diskrepanz zwischen dem Ist- und Sollzustand erhöhen

Die Beratung angenehmer gestalten

Behandeln Sie die Klientin mit Respekt und lassen Sie sie an Entscheidungen teilhaben

Achten Sie darauf, dass die Beratung einen Bezug zu den Erfahrungen, Wünschen und Hoffnungen des Klienten hat

Gestalten Sie Übungen so, dass die Klientin positive Gefühle und Erfolge erlebt

Das Bindungsbedürfnis

Bestärken Sie Ihr Gegenüber

Engagieren Sie sich für den Klienten

Wie weiter nach dem Erstgespräch?

Der Klient weist ein gravierendes Problem auf und sollte weiterverwiesen werden

Der Klientin fehlen bestimmte Informationen

Der Klient kann das Problem oder Ziel nicht beschreiben

Die Klientin kann sich nicht entscheiden

Der Klient klagt über störende Gefühle oder Verhaltensweisen

Der Klientin fehlen wichtige Kompetenzen

Die Ausgangslage kann sich im Verlauf der Beratung ändern

Phase 3: Zielanalyse

Attraktive Ziele finden

Änderungsbereiche festlegen

Ziele entwickeln

Ziele überprüfen und auswählen

Klientinnen bei der Zielformulierung unterstützen

Prioritäten setzen

Ziele festhalten

Wenn die Zielentwicklung gelingt

Ziele imaginieren

Umgang mit Widerstand bei der Zielfindung

Beziehen Sie nicht vorschnell Position für eine Veränderung

Nehmen Sie eine neutrale Haltung ein

Wechseln Sie die Seite

Arbeiten Sie langsam

Phase 4: Problemanalyse

Analyse von Situationen, Gedanken und Konsequenzen

Problematisches Verhalten erklären

Durchführung der Verhaltensanalyse

Tragen Sie zunächst die problematischen Verhaltensweisen und Gefühle ein

Achten Sie auf eine objektive Situationsbeschreibung

Achten Sie darauf, konkrete Gedanken zu erfassen

Fragen Sie nach konkreten Situationen

Schildern Sie eine konkrete Situation

Spielen Sie die Situation in einem Rollenspiel nach

Lassen Sie die Klientin Tagebuch führen

Achten Sie auf Qualität und Kontingenz der Konsequenzen

Belohnungen können problematisches Verhalten verstärken

Kurzfristige Konsequenzen beeinflussen uns stärker

Wird das positive Verhalten ignoriert?

So kommen Sie den Konsequenzen auf die Spur

Phase 5: Lösungsentwicklung

Lösungsentwicklung

Klienten informieren

Wiederholen lassen

Bedenken und Widerstand ernst nehmen

Die Umsetzung besprechen

Klienten bei der Entscheidungsfindung unterstützen

Wenn Informationen fehlen

Das Ziel der Suche festlegen

Geeignete Quellen bestimmen

Den Ablauf planen

Die Informationen auswerten

Entscheidungsfindung mit Kopf und Bauch

Die rationale Analyse

Die emotionale Analyse

Wenn Klienten eigentlich wüssten, was sie tun sollten

Problematische Gefühle und Verhaltensweisen verändern

Auslösende Situationen verändern

Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster verändern

Destruktive Gedanken erkennen und verändern

Woran erkennen wir destruktive Gedanken?

Bestimmte Probleme sind mit bestimmten Gedanken assoziiert

Konstruktives Denken fördern

Spiegeln

Den Wahrheitsgehalt spezifischer Gedanken und Aussagen prüfen

Gedanken zu Ende denken

Probleme aus der Distanz betrachten

Korrektive Erfahrungen ermöglichen

Feedback geben

Auf Widersprüche aufmerksam machen

Neue Denkmuster festigen

Wiederholen

Tagebuch führen

Üben

Verhaltensfolgen verändern

Anleiten und auffordern

Anerkennung

Aufmerksamkeit

Positives Verhalten bitte nicht bestrafen

Phase 6: Abschluss

Abschluss

Worauf ist in der Abschlussphase zu achten?

Das Erreichte sichern

Hausaufgaben

Hausaufgaben als sinnvolles Instrument der Beratung

Leitprinzipien für erfolgversprechende Hausaufgaben

Begründen Sie die Hausaufgabe

Beziehen Sie die Klientinnen in die Gestaltung der Hausaufgaben mit ein

Achten Sie auf die Machbarkeit von Hausaufgaben

Kommen Sie in der Folgesitzung auf die Hausaufgabe zurück

Typen von Hausaufgaben

Beobachten

Lesen

Schreiben

Experimentieren

Reflektieren

Umgang mit nicht gemachten Hausaufgaben

Lektüre-Empfehlungen zur Psychotherapieforschung

Bücher zur Psychotherapieforschung

Journals

Literaturverzeichnis

|15|Einleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, grundlegende und erweiterte Kompetenzen zur Durchführung von Beratungsgesprächen zu erwerben.

Um Ihnen das Lernen zu erleichtern, habe ich den Beratungsprozess in sechs Phasen unterteilt, die sich einzeln üben lassen:

Erstkontakt per Telefon

Beziehungsaufbau

Zielentwicklung

Problemanalyse

Lösungsentwicklung

Lösungsevaluation und Abschluss

Solche Unterteilungen haben immer etwas Willkürliches an sich. In der Praxis verschwimmen sie, werden zum Teil mehrfach oder in anderer Reihenfolge durchlaufen. Die Phasen des Kennenlernens, der Zielentwicklung und Problemanalyse lassen sich zudem nur schwer auseinanderhalten.

Aus didaktischen Gründen erscheint es mir dennoch sinnvoll, das komplexe Geschehen eines Beratungsgesprächs in einzelne Phasen zu zergliedern. Jede Phase lässt sich auf diese Weise einzeln betrachten und üben. Beraterische Fähigkeiten und Methoden habe ich dabei ebenfalls den einzelnen Phasen zugeordnet – um Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich bei den Übungen im Beratungsprozess vorwärtszubewegen und parallel dazu einzelne Fähigkeiten zu trainieren – dies immer in dem Bewusstsein, dass die vermittelten Fähigkeiten auch in den anderen Phasen wichtig sind.

Das Konzept entstand im Rahmen meiner Vorlesungen zur Psychologischen Beratung an der Universität Fribourg und den Universitären Fernstudien |16|Schweiz. Diese Vorlesungen habe ich im Team mit Prof. Meinrad Perrez, Dr. Ruth Wittig, Dr. Peter Wilhelm und Prof. Hansjörg Znoj gehalten. Ihnen allen möchte ich für die schöne und bereichernde Zusammenarbeit danken.

Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im weiteren Text zwischen der männlichen und weiblichen Form abgewechselt. Gemeint ist stets sowohl die weibliche als auch die männliche Form.

|17|Beratung – ein Definitionsversuch

Bevor wir uns mit Theorie und Praxis der Beratung auseinandersetzen, möchte ich versuchen, Beratung und Therapie voneinander abzugrenzen und eine Arbeitsdefinition zu finden, die uns im Weiteren als Grundlage dient.

Die Frage, ob und inwiefern sich Beratung und Therapie unterscheiden, ist nicht eindeutig zu beantworten. In der Literatur (vgl. Perrez & Baumann, 2011; Cooper, 2010; Winiarski, 2004; Bamberger, 2022) lassen sich verschiedene Positionen ausmachen:

Beratung und Therapie sind unterschiedliche Begriffe, meinen jedoch dasselbe.

Beratung und Therapie sind unterschiedliche Konzepte, die sich klar voneinander abgrenzen lassen.

|18|Psychotherapie ist eine Teilmenge von Beratung.

Beratung und Therapie sind überlappende Konzepte.

Beratung lässt sich als „kleine Psychotherapie“ beschreiben.

Einige Autoren, insbesondere Vertreter der lösungsorientierten Beratung (Bamberger, 2022; Shazer, 2022), aber auch einige Therapieforscher (z. B. Cooper, 2010), verwenden die Begriffe synonym. Einige Autoren sprechen sich für den Begriff Beratung aus, da dieser weniger stigmatisierend, für Klienten nicht mit Begriffen wie „psychische Störung“ oder „Krankheit“ assoziiert und deshalb niederschwelliger sei. Die Begriffswahl erfolgt nicht aufgrund der Begriffsdefinition, sondern aufgrund der Bedeutung, die potenzielle Klientinnen und Klienten mit den jeweiligen Begriffen verknüpfen.

Andere (z. B. Boeger, 2018; Perrez & Baumann, 2011; Winiarski, 2004) versuchen Beratung und Therapie aufgrund verschiedener Unterscheidungsmerkmale voneinander abzugrenzen. Wichtigstes Kriterium ist dabei der „Krankheitswert“ bzw. das Ausmaß und die Intensität des Problems.

|19|Diese Unterscheidung gewinnt mit der Einführung der Psychotherapeutengesetze in Deutschland, Österreich und der Schweiz zunehmend an Bedeutung. Psychotherapie wird damit ein geschützter Begriff, und die Behandlungskosten werden von den Krankenkassen übernommen.

Damit in diesem engeren Sinne von Psychotherapie gesprochen werden kann und die Kostenübernahme möglich ist, muss das Problem des Klienten die Kriterien einer psychischen Störung nach den Diagnosesystemen ICD oder DSM erfüllen, und die Therapie muss von einer Psychiaterin oder einem Psychologen mit einem Fachtitel in Psychotherapie durchgeführt werden.

Beratung wäre demnach bei Problemen angezeigt, die nicht klinischen Ausmaßes sind, und kann von Personen durchgeführt werden, die anderweitig qualifiziert sind: von Psychologen ohne entsprechende Weiterbildung in Psychotherapie, von Seelsorgerinnen, Mediatoren, Vertrauenslehrkräften, Allgemeinärztinnen, Sozialarbeitern, Pädagogen et cetera.

Wird Beratung in diesem Sinne von Therapie abgegrenzt, ergeben sich einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Gemeinsamkeiten zwischen Therapie und Beratung

In Beratung und Therapie wird ein Mensch im Rahmen einer helfenden Beziehung bei der Lösung eines Problems begleitet und unterstützt. Dabei bedienen sich sowohl Therapeutinnen als auch Berater psychologischer Mittel wie Methoden der Gesprächsführung, Übungen, Rollenspiele et cetera.

Um Unterstützung in dieser Form leisten zu können, müssen Therapeuten wie auch Beraterinnen über Kompetenzen in der Gesprächsführung und in der Anwendung weiterer psychologischer Mittel verfügen. Des Weiteren sollten beide Berufsgruppen in der Lage sein, einen Veränderungsprozess zu initiieren, eine hilfreiche Beziehung aufzubauen, Ziele zu vereinbaren, Probleme zu analysieren und Klienten bei der Umsetzung von Lösungsversuchen zu begleiten.

Neben diesen wichtigen Gemeinsamkeiten sind einige Unterschiede erkennbar.

|20|Unterschiede zwischen Therapie und Beratung

Um Klienten mit psychischen Störungen behandeln zu können, müssen Therapeuten über fundierte Kenntnisse in diesem Bereich verfügen. Sie müssen wissen, wie sich Störungen klassifizieren, diagnostizieren und erfolgreich behandeln lassen.

Berater benötigen diese Kenntnisse nicht; sie sollten jedoch in der Lage sein, psychische Störungen zu erkennen und Klienten an geeignete Stellen weiterzuverweisen.

Von Beraterinnen wird im Unterschied zu Therapeuten jedoch in den meisten Fällen erwartet, dass sie über Wissen, Kompetenzen und Erfahrungen in einem bestimmten Fachgebiet oder Problembereich verfügen. Viele Berater spezialisieren sich auf eine Thematik und wählen eine entsprechende Berufsbezeichnung: Sie arbeiten als Berufs-, Erziehungs-, Mobbing-, Schulden-, Unternehmens-, Lern-, Ehe- oder Ernährungsberater.

Grenzen wir Beratung in dieser Weise von Psychotherapie ab, unterscheiden sich auch die Klienten, die Beratung in Anspruch nehmen, hinsichtlich mehrerer Merkmale von Klientinnen oder Patienten, die eine Therapie aufsuchen.

Unterschiede zwischen Beratungs- und Therapie-Klienten

Beratungs-Klienten weisen im Allgemeinen einen geringeren Leidensdruck auf, sind in ihrer Lebensführung weniger eingeschränkt und erwarten zumeist eine punktuelle Hilfe bei klar definierten Problemstellungen. Sie erwarten von Beratenden, dass sie ihr Fachwissen einsetzen, fehlende Informationen vermitteln, Wege aufzeigen und ihnen dabei helfen, schwierige Entscheidungen zu treffen oder mit bestimmten Situationen besser zurechtzukommen.

Therapie-Klientinnen, die eine psychische Störung aufweisen, sind in ihrer Lebensführung meist deutlich eingeschränkt. Die Probleme sind zu Beginn oft diffus, werden von den Betroffenen als sehr belastend wahrgenommen und führen zu Hilflosigkeit und starkem Leidensdruck. Im Unterschied zur Beratung ist oft ein länger dauernder Prozess notwendig, der tiefgreifende Veränderungen im Erleben und Verhalten und manchmal gar in der Persönlichkeit der Klienten zur Folge hat.

Ist es für Psychotherapeutinnen oft schwierig, mit dem Leiden und der Verzweiflung ihrer Klienten umzugehen, hartnäckiges Problemverhalten zu verändern, eine gute Beziehung zu „schwierigen Klienten“ aufzubauen oder Hilfesu|21|chenden, die bereits seit Jahren an einer Störung leiden, neue Perspektiven zu vermitteln, stehen Berater vor anderen Herausforderungen. Sie sehen sich oft unter Zeitdruck und müssen daher in der Lage sein, schnell eine ausreichend gute Beziehung zu rasch wechselnden Klientinnen aufzubauen, Probleme aufgrund einer geringen Informationsbasis einzuschätzen und binnen weniger Sitzungen Veränderungsprozesse zu initiieren. Ihre Klienten sind aufgrund des geringeren Leidensdrucks teilweise weniger motiviert. Menschen, die ihre Beratung selbst bezahlen müssen, erwarten zudem einen entsprechenden Nutzen für ihr Geld und lösen bei vielen Beratenden das Gefühl aus, in jeder Sitzung „etwas bieten“ zu müssen.

Klienten, die eine Beratung aufsuchen, unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Wünsche von Therapie-Patienten. Erhoffen sich Letztere von der Therapie in vielen Fällen zunächst die Beseitigung der Störung („nicht mehr depressiv sein“, „diese Angst loswerden“, „dem Zwang nicht mehr nachgeben müssen“), möchten Menschen in einer Beratung häufig neue Kompetenzen erwerben („schneller lernen können“, „wissen, wie man sich bewirbt“), mit schwierigen Situationen besser zurechtkommen („mich bei der Arbeit besser abgrenzen können“) oder Entscheidungen treffen („herausfinden, ob diese Aufgabe für mich die richtige ist“, „wissen, ob ich mit meinem Partner zusammenbleiben soll“).

Zusammenfassend könnte man Beratung somit als professionelle Begleitung einer Klientin oder eines Klienten bei der Lösung eines eher konkreten und umgrenzten Problems ohne Krankheitswert definieren.

Diese Definition lässt sich auch auf Coaching übertragen, weshalb Beratung und Coaching in diesem Buch als Synonyme behandelt werden.

Ursprünglich war mit Coaching eine spezifische Form der Beratung gemeint, die sich an Führungskräfte richtete und sich organisations- und berufsbezogenen Fragestellungen widmete. Im Laufe der Jahre wurde diese enge Definition zunehmend verwässert. Heute gibt es kaum noch einen Konsens darüber, wie und ob Beratung und Coaching voneinander abgegrenzt werden können.

|23|Gute Beratung: Worauf es wirklich ankommt

Bevor wir tiefer auf die Frage eingehen, was meiner Ansicht nach wesentlich für die Durchführung eines hochwertigen Beratungsgesprächs ist, möchte ich Sie zu einer Übung einladen.

Nehmen Sie einen Stift zur Hand und denken Sie zurück an ein, zwei Lehrkräfte, die Sie in besonders guter Erinnerung haben. Versuchen Sie zu beschreiben, warum Sie diese Menschen und deren Unterricht besonders geschätzt haben.

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Ich habe diese Übung mehrfach mit Studierenden und Seminarteilnehmern durchgeführt. Dabei tauchten immer wieder die gleichen Punkte auf. Typische Antworten sind:

Die Lehrkraft

hat sich Zeit für uns genommen;

ist auf uns eingegangen;

hat sich für mich als Mensch interessiert;

war verständnisvoll;

|24|war konsequent, aber gerecht;

hat uns mit Respekt behandelt;

hat uns gezeigt, dass sie uns mag und wir ihr wichtig sind;

hat mir etwas zugetraut und mich ermutigt;

war engagiert;

hat an mich geglaubt, als ich es nicht tat;

hat uns gefordert, aber auch unterstützt;

war gerecht und hat niemanden bevorzugt;

hat deutlich gemacht, was sie von uns erwartet, und hatte eine klare Linie.

Haben Sie ähnliche Punkte notiert?

Es ist erstaunlich,

wie oft Punkte genannt werden, die mit der Beziehung zu tun haben, die die Lehrkraft zu ihren Schülern aufbaut;

wie oft positive Erwartungen zur Sprache kommen, die die Lehrkraft in ihre Schüler setzt, und

wie selten bestimmte Unterrichtsmethoden thematisiert werden.

Es scheint ganz so zu sein, dass der Umgang einer Lehrkraft mit ihren Lernenden, das Verständnis, Einfühlungsvermögen und Interesse, das sie zeigt, die Wertschätzung, die sie ihnen entgegenbringt, und die positiven Erwartungen, die sie in sie setzt, wesentlich stärker zur Motivation und Lernfreude beitragen als pädagogisch-didaktische Konzepte. So wird es wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle spielen, ob eine Lehrerin, die eine gute Beziehung zur Klasse herstellen kann, in einer Stunde frontal unterrichtet oder die Kinder zu einer Gruppenarbeit anleitet.

Dieser Umstand scheint auch für die Therapie zu gelten. Die Psychotherapieforschung befasste sich jahrelang mit der Frage, welches Verfahren besser ist, und kommt zu dem Schluss, dass alle Therapieverfahren vergleichbare Effekte liefern. Zeigen sich Unterschiede, so sprechen sie oft für die Kognitive Verhaltenstherapie. Sie sind jedoch gering und werden noch kleiner, wenn man nur |25|Studien einbezieht, die für alle zu vergleichenden Verfahren entsprechend ausgebildete und motivierte Therapeuten eingesetzt haben (sogenannte Bona-fide-Therapien).

Gleichzeitig zeigen sich große Unterschiede zwischen einzelnen Therapeuten. Es gilt:

Es ist wichtiger, wer dich therapiert, als wie er dich therapiert!

Die Therapieforschung befasste sich daher in den letzten Jahrzehnten vermehrt mit der Frage, welche allgemeinen Faktoren zum Ergebnis einer Therapie beitragen. Dieser Forschungszweig konnte zeigen, dass eine von Empathie, Echtheit und Wertschätzung geprägte Beziehung sowie positive Erwartungen und klare Ziele, die Klient und Therapeut im Team verfolgen, deutlich stärker mit dem Erfolg einer Therapie assoziiert sind als einzelne Methoden.

Entsprechend viel Gewicht werden diese Kennzeichen im vorliegenden Buch erhalten.

Nun aber genug der vorbereitenden Worte. Lassen Sie uns in die Praxis einsteigen – mit dem Anruf eines Klienten!

Phase 1: Erstkontakt

|29|Ein Klient ruft an – die ersten, entscheidenden Minuten

Wie beginnt eine Beratung? In den meisten Fällen mit der Kontaktaufnahme per Telefon oder E-Mail.

Bereits hier können Sie die Weichen für eine wirksame Beratung stellen. Neben den organisatorischen Details wie der Termin- und Honorarvereinbarung können Sie wichtige Fragen klären, Anregungen geben, positive Erwartungen induzieren und bei Ihrem Gegenüber eine aktive Arbeitshaltung fördern.

Gehen wir zunächst auf die Grundlagen ein: Was sollte – wenn möglich – am Telefon bereits kurz besprochen werden? Wie können Sie beim ersten Anruf sowohl eine angenehme Atmosphäre schaffen als auch wichtige Informationen einholen und vermitteln? Was ist für die Klientin und für die Beziehung zwischen Ihnen beiden in dieser frühen Phase wichtig?

Klienten, die wegen einer Beratung oder eines Coachings anrufen, sind meist ein wenig nervös oder angespannt. Vielleicht haben sie ein Problem, das sie stark beschäftigt, und sie haben sich nach längerem Überlegen dazu durchgerungen, Sie anzurufen. Vielleicht fragen sie sich, was auf sie zukommt, ob Sie ihnen helfen können, wie viel die Sitzung kostet und wie Sie vorgehen werden.

Für Sie steht die Frage im Raum, welches Problem, welche Wünsche und Erwartungen der Klient mitbringt und ob Sie diesen annehmen möchten bzw. können.

Für den weiteren Verlauf und den Aufbau einer beraterischen Beziehung ist dieser kurze erste Kontakt wesentlich. Hier und nicht erst in der ersten Sitzung werden Beziehungsfragen wichtig: Die Person am anderen Ende der Leitung wird sich fragen, ob sie Ihnen vertrauen kann, ob Sie sie verstehen, kompetent sind und ob sie sich von Ihnen nicht nur angenommen fühlt, sondern Ihnen auch zutraut, dass Sie sie bei der Lösungsfindung unterstützen.

|30|Im ersten Gespräch können Sie

sich über Probleme, Ziele und Erwartungen des Klienten informieren und während des Zuhörens Verständnis zeigen,

die Indikation klären,

das Gegenüber über Ihr Vorgehen informieren und

wesentliche organisatorische Punkte besprechen.

Informieren Sie sich über Probleme, Ziele und Erwartungen

Welche Schwierigkeit führte zum Anruf bei Ihnen? Wie lange besteht das Problem bereits? Weiß die Klientin, was sie verändern möchte? Hat sie bestimmte Erwartungen an Sie und Ihr Vorgehen?

Je mehr Sie wissen, desto besser können Sie sich auf die erste Sitzung vorbereiten.

Sie können beispielsweise fragen:

Können Sie mir kurz schildern, was Sie momentan beschäftigt und was Sie in der Beratung erreichen möchten?

Beginnt der Klient ausufernd über sein Problem zu sprechen, können Sie ihn unterbrechen und die Antwort stärker vorstrukturieren:

Wir würden uns in der ersten Sitzung genauer anschauen, was das Problem ist und was Sie verändern möchten. Jetzt wäre es vor allem wichtig, dass ich eine grobe Vorstellung erhalte, worum es geht, damit ich mich entsprechend vorbereiten kann.

Sobald Sie sich einen groben Überblick über die Anliegen und Wünsche verschafft haben, können Sie sich fragen, ob Sie diesen Klienten annehmen können und wollen.

|31|Klären Sie die Indikation

Bei jeder Beratung stellt sich die Frage der Indikation. Es gilt herauszufinden, ob Sie die richtige Person für das entsprechende Anliegen sind. Sie können bereits während der Problemschilderung die folgenden Punkte prüfen:

Bin ich für diese Problemstellung kompetent?

Kann ich bereits jetzt heraushören, dass eventuell keine Beratung, sondern eine Therapie indiziert wäre?

Kenne ich jemanden, der diesen Klienten besser unterstützen könnte?

Habe ich genügend Zeit, um diesen Klienten anzunehmen?

Nicht immer lässt sich die Indikationsfrage bereits am Telefon klären. Spricht jedoch einiges gegen die Annahme des Klienten, sollten Sie ihn vor der ersten Sitzung über Alternativen informieren.

Falls Sie lediglich Beratungen anbieten, jedoch keine Therapie, können Sie mit Fragen über Intensität, Häufigkeit und Dauer des Problems in vielen Fällen eruieren, ob eine Therapie notwendig ist. (Mehr dazu finden Sie im Kapitel „Beziehungsaufbau“.)

Informieren Sie die Klientin über Ihr Vorgehen

Möchten Sie die Klientin zu einer ersten Sitzung einladen, sollten Sie sie über Ihr Vorgehen informieren. Hilfesuchende möchten gerne wissen, worauf sie sich einlassen. Schildern Sie deshalb in einigen Sätzen, wie Sie die Beratung gestalten werden. Dazu reicht eine grobe Beschreibung des Ablaufs und Ihrer Arbeitsweise.

Sie könnten beispielsweise sagen:

Falls Sie sich für eine Beratung entscheiden, würden wir in der ersten Stunde darüber sprechen, was Sie momentan beschäftigt und was Sie verändern möchten. Am Ende der ersten Sitzung finde ich es auch wichtig, dass Sie sich fragen, ob ich die richtige Beraterin für Sie bin, ob Sie sich wohlfühlen und mit mir zusammen an Ihren Zielen und Problemen arbeiten möchten.

|32|Fragen Sie Ihr Gegenüber, was es gerne über Sie und die Beratung wissen möchte und ob es eine Vorstellung hat, was in der Beratung passieren wird. Korrigieren Sie irrige Annahmen und Vorstellungen.

Nach diesem Schritt können Sie die organisatorischen Fragen klären.

Klären Sie Fragen zu Honorar, Kostenübernahme und Terminen

Besprechen Sie hier als Erstes das Honorar und die Frage, ob die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Manche wagen es nicht, diese Fragen von sich aus zu stellen; lassen Sie sie deshalb nicht unbeantwortet. Es ist peinlich, wenn ein Klient von einer Kostenübernahme durch die Krankenkasse ausgeht und sich dies erst in der ersten Sitzung als Irrtum erweist.

Ist der Klient über diesen Punkt informiert, können Sie ihn fragen, ob er eine erste Sitzung vereinbaren möchte, und einen Termin festlegen.

Zeigen Sie Verständnis und Interesse

Während des gesamten Gesprächs sollte Ihr Gegenüber die Erfahrung machen, dass Sie interessiert zuhören, das Problem nachvollziehen können und die wesentlichen Punkte verstanden haben.

Hierzu eignen sich die Methoden des Spiegelns, Paraphrasierens und Zusammenfassens, die wir uns im nächsten Kapitel genauer ansehen werden.

Das folgende Beispiel zeigt, wie der Anruf ablaufen könnte:

Beispiel 1: Frau Zendali

Ja, hier ist Frau Zendali.

Und hier Frau Keller. Guten Tag, Frau Zendali.

Guten Tag. Also, ich rufe an wegen einer Beratung. Eine Freundin hat Sie mir empfohlen.

Ja – wollen Sie mir kurz schildern, worum es geht?

Ja – also, ich habe seit Längerem Schwierigkeiten mit meinem Sohn. Er verhält sich in letzter Zeit oft aggressiv.

Die Beraterin erfragt Probleme und Wünsche der Klientin.

|33|Hm – was tut er genau?

Er flucht, manchmal hat er richtige Wutanfälle, dann wirft er Sachen um sich oder schlägt seinen jüngeren Bruder.

Wutanfälle, Sachen um sich werfen – ich notiere mir das kurz. Wie heißt er denn und wie alt ist er?

Thomas ist neun, sein Bruder ist sieben.

Und Sie würden sich in der Beratung gerne anschauen, woher diese Wutanfälle kommen und was Sie dagegen unternehmen können?

Ja – und ich wüsste gerne besser, wie ich reagieren soll – mich sicherer fühlen in der Erziehung.

Sie notiert sich Stichpunkte, zeigt damit Interesse und kann so in der ersten Sitzung darauf zurückkommen.

Hm – mehr Sicherheit in der Erziehung – das schreibe ich mir auch auf. Also – ich habe mir Folgendes notiert: Thomas, neun Jahre alt, verhält sich oft aggressiv, wirft mit Gegenständen und schlägt seinen jüngeren Bruder. Sie möchten gerne mehr Sicherheit in der Erziehung, vor allem aber wissen, wie Sie bei Wutanfällen reagieren können. Sind das die wichtigsten Punkte?

Ja – das wäre ziemlich genau das. Es gibt noch einige andere Punkte, die aber weniger dringend sind. Soll ich Ihnen diese auch schildern?

Der Beraterin gelingt es hier, bereits einen vorläufigen Auftrag zu definieren.

Hm. Ich bin froh, wenn ich die wichtigsten Informationen habe, um mich vorzubereiten. Falls Sie zur Beratung kommen, haben wir in der ersten Stunde Zeit, uns die Schwierigkeiten genauer anzusehen. Auf jeden Fall würde ich gerne mit Ihnen an diesen Themen arbeiten.

Gut.

Die Beraterin kann aufgrund der bisherigen Informationen die Indikationsfrage positiv beantworten.

Die Beratung würde so aussehen, dass wir uns in der ersten Sitzung anschauen, was Sie gerne erreichen möchten und wodurch die Wutanfälle von Thomas ausgelöst werden. In den weiteren Sitzungen würden wir uns zusammen überlegen, was Sie tun können, damit diese seltener werden. Dabei haben wir auch Zeit, über Erziehungsfragen im Allgemeinen zu sprechen und uns Gedanken darüber zu machen, wie Thomas lernen könnte, seine Wut anders auszudrücken.

Ja.

Haben Sie noch Fragen zu meinem Vorgehen?

Im Moment nicht.

Die Beraterin skizziert das Vorgehen.

|34|Sie können mir sonst gerne eine Mail schreiben, falls später noch Fragen auftauchen. Hat Sie Ihre Freundin über mein Honorar informiert?

Nein, ich hatte vergessen, danach zu fragen.

Ja. Ich habe einen Stundentarif von 140 Franken.

Übernimmt das die Krankenkasse?

Die Klientin spricht von sich aus die Honorarfrage nicht an, weshalb die Beraterin sie informiert …

Nein – Beratung kann nicht über die Krankenkassen abgerechnet werden. Ich könnte Ihnen aber die Adresse einer staatlichen Erziehungsberatungsstelle geben …

… und die Kassenfrage klärt.

Nein, ich würde gerne zu Ihnen kommen. Hätten Sie denn in nächster Zeit einen Termin frei?

Ja, wann ginge es für Sie am besten?

Am besten am Morgen, wenn die Kinder in der Schule sind. Eigentlich ginge es jeden Morgen zwischen neun und zwölf Uhr.

Sehr gut. Bei mir ginge es nächsten Mittwoch von neun bis zehn Uhr.

Schön. Und Ihre Praxis befindet sich wo genau?

Wissen Sie, wo …

Die Klientin möchte gerne eine Beratung in Anspruch nehmen; die restlichen organisatorischen Fragen werden geklärt.

|35|Übung

Ein Klient ruft an

Spielen Sie zusammen mit einem Übungspartner einige Telefonanrufe mit verschiedenen Problemen durch (Erziehungsprobleme, Lernschwierigkeiten, Konflikte in der Partnerschaft, gesundheitliche Sorgen).

Achten Sie darauf, dass Sie sich nicht sehen: Setzen Sie sich Rücken an Rücken oder sprechen Sie tatsächlich über ein Telefon miteinander.

Sie können für das Gespräch der folgenden Struktur folgen:

Begrüßen Sie den Klienten.

Fragen Sie nach seinem Anliegen.

Geben Sie dieses Anliegen in eigenen Worten wieder und prüfen Sie, ob Sie alles richtig verstanden haben.

Schildern Sie Ihr Vorgehen, wenn möglich spezifisch für dieses Problem.

Klären Sie die Honorar- und Krankenkassenfrage.

Schließen Sie das Gespräch mit den Fragen nach dem Wann und Wo ab.

Zeigen Sie dabei Verständnis und Interesse, indem Sie

Ihrem Gegenüber Zeit lassen,

gut zuhören und in eigenen Worten wiederholen, was die andere Person gesagt hat,

sich wichtige Punkte notieren,

Fragen zu Wünschen und Zielen stellen,

das Gespräch aktiv gestalten und Themen, die dem Klienten eventuell peinlich sind (Honorar, Kostenübernahme), von sich aus ansprechen und hierbei verdeutlichen, dass Sie auch bereit wären, über alternative Angebote zu informieren.

|37|Klienten aktivieren und positive Erwartungen wecken

Möchten Sie Ihre Anrufe gerne noch gewinnbringender gestalten?

Die ersten zehn Minuten am Telefon können die gesamte Beratung positiv beeinflussen.

In diesem Abschnitt erfahren Sie, wie Sie den Anruf nutzen können, um

positive Erwartungen zu induzieren und

eine Arbeitshaltung aufzubauen und Ihr Gegenüber so zu aktivieren, dass es die Zeit bis zur ersten Sitzung optimal nutzen kann.

Beginnen Sie mit dem Aufbau einer beraterischen Allianz

Für die Beratung ist es höchst bedeutsam, dass Ihre Klientel eine aktive Arbeitshaltung entwickelt. Anders als in einer Arzt-Patient-Beziehung, in der der Patient eine passive Rolle einnehmen kann, untersucht wird und ein Medikament erhält, muss er bei einer Beratung bereit sein, aktiv mitzuarbeiten. Sie können eine Klientin bei der Lösungssuche begleiten, das Problem jedoch nicht an ihrer Stelle lösen: Für eine effektive Beratung sind Sie auf eine „beraterische Allianz“ angewiesen.

Dass diese für den Prozess und die Ergebnisse von Beratung und Therapie wichtig ist, zeigen mittlerweile mehrere Reviews und Metaanalysen (Bourke, Barker & Fornells-Ambrojo, 2021; Kaiser, Hanschmidt & Kersting, 2021; Howard, Berry & Haddock, 2022; Baier, Kline & Feeny, 2020; Graves et al., 2017). Die Untersuchungen zeigen jeweils signifikante Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß der „therapeutischen Allianz“ und dem Therapieerfolg mit kleinen bis mittleren Effektstärken. Horvath und Symonds wiesen bereits 1991 in ihrer Metaanalyse darauf hin, dass die Bedeutung der Allianz unabhängig ist von der Dauer und Art der Therapie; es ist daher anzunehmen, dass sie auch für die Beratung wichtig ist.

|38|Sie können auf eine solche Allianz hinarbeiten und die Klientin aktivieren, indem Sie sich zuversichtlich zeigen, dass die andere Person fähig ist, ihre Probleme selbst zu lösen, und lediglich Unterstützung von Ihrer Seite benötigt, und indem Sie ihr aktiv zuhören und mit ihr zusammen klären, an welchen Zielen und mit welchen Strategien gearbeitet werden soll. Verwenden Sie bewusst Formulierungen, die diese Erwartung verdeutlichen, und streuen Sie diese laufend in das Gespräch ein. Sie könnten beispielsweise sagen:

Wissen Sie bereits, woran Sie arbeiten möchten?

Wie stellen Sie sich unsere Zusammenarbeit genau vor?

Wir werden in den ersten Sitzungen auch besprechen, was Sie erreichen möchten und wie Sie dabei vorgehen könnten.

Ein wichtiger Teil der Beratung werden Übungen sein, die Sie zu Hause alleine durchführen.

Sie können die Klientin auch zu einer aktiven Zusammenarbeit anregen, indem Sie sie tatsächlich arbeiten lassen – ihr Hausaufgaben geben, Experimente vorschlagen und Fragen stellen, über die sie bis zur ersten Sitzung nachdenken soll.

Sie können sie beispielsweise bitten, bis zur ersten Sitzung

ihr Problem so präzise wie möglich aufzuschreiben;

sich zu überlegen, woran sie arbeiten möchte, und ein bis drei Punkte aufzuschreiben, die sie verändern möchte;

sich vorzustellen, was anders wäre, wenn die Beratung zu Ende ist und sie ihre Ziele erreicht hat;

bis zur Sitzung Tagebuch zu führen und darauf zu achten, ob sich das Problem verändert bzw. ob es Unterschiede zwischen den einzelnen Tagen gibt;

eine Zeichnung oder Grafik anzufertigen, die das Problem verdeutlicht.

Leiten Sie die Klientin dazu an, sich bis zur ersten Sitzung bereits aktiv mit ihren Problemen und Zielen zu beschäftigen.

Wie effektiv dies sein kann, habe ich selbst erlebt, als ich zusammen mit Nora Völker die Akademie für Lerncoaching gründete und unser Projekt „Mit Kindern lernen“ ins Leben rief (www.mit-kindern-lernen.ch). Wir entschieden |39|uns für ein Coaching, um uns auf die neuen Aufgaben vorzubereiten und unser kleines Unternehmen aus einer Außenperspektive zu betrachten. Um die erste Sitzung, die erst einen Monat nach dem Telefonat stattfand, möglichst effektiv zu gestalten, wollten wir uns entsprechend vorbereiten. Wir stellten die wichtigsten Fragen zusammen und machten uns Gedanken über die dringendsten Herausforderungen. Diese genaue Definition der Ist-Situation löste bereits Ideen aus, wie wir die Schwierigkeiten angehen könnten. Bis zur ersten Sitzung lösten wir einen Großteil der aktuellen Aufgaben und Probleme; unsere Ist-Situation mussten wir zweimal aktualisieren.

Dass sich Klienten bereits vor der ersten Sitzung verändern und sich in vielen Fällen deutliche Verbesserungen zeigen, hat man inzwischen mehrfach beobachtet.

Howard et al. (1986) kamen in einer Metaanalyse von 15 Studien mit 2431 Patienten zu dem Schluss, dass gegen 15 % der Patienten bereits messbare Verbesserungen aufweisen, bevor sie in die erste Sitzung kommen.

Diese Verbesserungen vorab werden in der Literatur unter dem Begriff Pretreatment Change diskutiert. Die oben angesprochenen Hausaufgaben werden mit der Absicht aufgegeben, die Wahrscheinlichkeit einer solchen „Veränderung vor der Behandlung“ zu erhöhen.

Positive Erwartungen wecken

Die Erwartungen, mit denen ein Klient zur ersten Sitzung erscheint, können Ihnen die Arbeit erschweren oder erleichtern. Wird er ängstlich und nervös sein, weil er denkt, dass er „auspacken“ muss und durchleuchtet wird und sich davor fürchtet, dass das „wahre Problem“ tiefer liegt und ernster sein könnte als bisher angenommen? Oder freut er sich auf eine fruchtbare Zusammenarbeit, bei der er sich entwickeln und wachsen kann – zusammen mit einer Fachperson, die ihn versteht, bekräftigt und eher seine Potenziale und Ressourcen als seine Defizite und Probleme sieht?

Unterschätzen Sie nie die Angst, die Klienten empfinden, wenn sie sich zu einer Beratung anmelden. Viele warten jahrelang und versuchen alles Mögliche, bevor sie eine Beratungsstelle aufsuchen. Einige benötigen viel Anlauf und einen entsprechenden Leidensdruck, bis sie den Mut aufbringen, anzurufen. Für andere ist dies die letzte Station, nachdem sie mit ihrem Latein am Ende waren: Der Anruf ist gleichzeitig ein Eingeständnis, es alleine nicht geschafft zu haben.

|40|Klienten müssen Ihnen vertrauen können, damit sie sich auf die Beratung und die damit einhergehenden Veränderungsprozesse einlassen können. Es hängt viel davon ab, ob Ihr Gegenüber die Erwartung aufbaut: „Diese Person und dieses Vorgehen werden mir helfen!“ Die Forschung zeigt hierzu, dass insbesondere positive, aber dennoch realistische Erwartungen hilfreich sind und zu besseren Ergebnissen führen.

Ergebnisse aus der Forschung

Die medizinische Forschung konnte anhand von Placebostudien nachweisen, dass die Induktion positiver Besserungserwartungen allein bereits zu deutlichen Verbesserungen bei diversen somatischen Krankheiten führt. In den letzten Jahrzehnten nahmen die Hinweise zu, dass solche Erwartungen auch für die Psychotherapie und Beratung von zentraler Bedeutung sind.

Dafür sprechen Befunde zur allgemeinen Wirksamkeit von Psychotherapie, die – wie die meisten Studien zeigen – zumeist größer ausfallen als die Effekte, die auf einzelne therapeutische Methoden zurückzuführen sind, aber auch Studien, die sich ganz spezifisch dem Thema Erwartungsinduktion gewidmet haben.

Grawe (2000) beschreibt in seinem Buch Psychologische Therapie eine spannende Serie von 15 Studien, in denen man ein anerkannt wirksames therapeutisches Verfahren zur Angstbewältigung, die Systematische Desensibilisierung, mit Placeboverfahren verglich. Anders als in vielen anderen Studien achtete man darauf, dass die Placebotherapie von den Klienten als wirksames Verfahren wahrgenommen wurde. Die Resultate überraschten: In 13 Studien waren die Verfahren ebenbürtig, in einer Studie war die Systematische Desensibilisierung und in einer die Placebotherapie wirksamer.

Erwartungen hat man schon früh als allgemeinen Wirkfaktor erkannt und erforscht. Erste Studien und Bücher erschienen bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts (z. B. Rosenthal & Frank, 1956; Frank, 1961; Goldstein, 1960). Die Qualität dieser frühen Studien ließ jedoch in vielen Fällen zu wünschen übrig.

Die neueren Reviews legen den Schluss nahe, dass sich positive, aber dennoch realistische Erwartungen günstig auf den Therapieerfolg auswirken, wenn auch in weniger beeindruckender Weise, als in früheren Jahren angenommen. Die Reviews fanden bei der Mehrzahl der Studien positive Effekte; es gibt aber auch Studien, die keinen Zusammenhang zwischen den Klientenerwartungen und dem Therapieerfolg fanden (vgl. die Übersichtsarbeiten von Constantino, Arnkoff, Glass, Ametrano & Smith, 2011; Constantino et al., 2021; Greenberg, Constantino & Bruce, 2006).

Ziel des Beraters sollte es sein, bei Klienten allgemein positive Erwartungen zu wecken, besonders aber bei denjenigen, die sich von einer Beratung wenig erhoffen oder ihr Problem als kaum lösbar beurteilen. Gleichzeitig sollten unrealistisch hohe Erwartungen korrigiert werden.

|41|In den meisten Fällen werden Sie daran arbeiten müssen, bei Ihrem Gegenüber positivere Erwartungen zu wecken. Mit einigen Hinweisen können Sie der Klientin bereits während des ersten Telefonats vermitteln, dass ihre Schwierigkeiten prinzipiell lösbar und Sie die richtige Ansprechpartnerin sind.

Vermitteln Sie Ihrer Klientel, dass es sich um ein Standardproblem handelt

Wir neigen im Allgemeinen dazu, unsere Probleme als speziell und selten wahrzunehmen. Auch wenn es sich um Schwierigkeiten handelt, mit denen sehr viele Menschen zu kämpfen haben, wie beispielsweise Prüfungsängste, Übergewicht oder Erziehungsschwierigkeiten, fühlen wir uns ziemlich alleine damit. Wir denken, alle anderen hätten es in diesem Punkt leichter. Bei der Durchführung von Trainings gegen Prüfungsangst konnte ich in vielen Eingangssitzungen den wohltuenden Effekt erleben, den es hat, wenn Lernende feststellen, dass ihr Problem weitverbreitet ist und beispielsweise mehrere Klassenkameraden davon betroffen sind: „Du hast das auch? Ich habe immer gedacht, du gehst ganz cool damit um.“ Neben dem Gefühl, nicht alleine zu sein, aktiviert diese Erkenntnis positive Erwartungen hinsichtlich der Behandelbarkeit: Wir glauben, dass es für häufige Probleme eher erprobte Lösungswege gibt.

Es ist daher sinnvoll, wenn Sie Sätze einfließen lassen wie:

Viele Eltern haben zu Beginn diese Schwierigkeiten. Das zeigen Studien. Auch habe ich bei Vorträgen und bisherigen Beratungen bemerkt, dass sich ein Großteil der Eltern die gleichen oder ganz ähnliche Fragen stellt wie Sie.

Das kommt häufiger vor, als man denkt. Studien zeigen, dass durchschnittlich ein bis zwei Kinder pro Klasse betroffen sind. Zum Glück gibt es dafür inzwischen gut evaluierte Trainings für Kinder und praktische Hilfestellungen für Eltern.

Falls Sie Erfahrung mit der Problematik haben: Sprechen Sie diese an

Wir gehen nicht nur davon aus, dass sich häufige Probleme besser lösen lassen, sondern auch davon, dass uns Menschen, die Erfahrung mit einer bestimmten Problematik haben, gezielter helfen können. Besonders hilfreich zur Induktion positiver Erwartungen ist ein Expertenstatus.

Sobald Sie in einem Bereich etwas Erfahrung gesammelt haben, sollten Sie dies in das Gespräch einfließen lassen. Fragen Sie gezielt nach Symptomen, |42|Gedanken und Erwartungen, die für dieses Problem typisch sind, wie im folgenden Gesprächsausschnitt:

Klientin:

Es sind vor allem die mündlichen Prüfungen, die mir Angst machen.

Berater:

Weil diese Situation auch neu für Sie ist. Bis jetzt hatten Sie ja vor allem schriftliche Prüfungen – und jetzt beim Abitur …

Klientin:

Genau – es ist auch etwas Neues. Ich darf gar nicht daran denken.

Berater:

Hm. Viele haben diese Ängste. Weil man vielleicht denkt: Was ist, wenn ich kein Wort herausbringe? Was mache ich, wenn ich auf die erste Frage keine Antwort weiß? Was ist, wenn ich rot werde? Geht es Ihnen ähnlich?

Klientin:

Genau so! Das sind echt genau meine Gedanken!

Berater:

Ja – da sind Sie nicht die Einzige. Wir würden in der Beratung an diesen Gedanken arbeiten, uns aber auch ganz gezielt mit Strategien befassen, die Ihnen helfen, mündliche Tests richtig vorzubereiten und mit schwierigen Situationen während der Prüfung umzugehen.

Klientin:

Das klingt gut …

Sie können auch von anderen Klienten sprechen (natürlich in allgemeiner Form), um anzudeuten, dass Sie bereits bei ähnlichen Problemen Beratungen durchgeführt haben. Ich selbst erzähle gerne von anderen Klienten, die vergleichbare Schwierigkeiten erfolgreich überwunden haben:

Klientin:

Bei meiner Tochter wurde jetzt von der Schulpsychologin eine Lese-Rechtschreib-Störung diagnostiziert. Sie sollte unbedingt Lese- und Rechtschreibübungen machen, aber sie weigert sich einfach, und ich weiß nicht, wie ich sie motivieren könnte.

Berater:

Das ist keine einfache Frage, und wir müssten uns sicher in den ersten zwei Stunden genauer anschauen, welche Lese- und Rechtschreibfertigkeiten Ihre Tochter beherrscht und welches der nächste Entwicklungsschritt wäre, um die Übungen auf sie abzustimmen. Auch die Frage, wie man Kinder motivieren kann, muss für jedes Kind einzeln beantwortet werden. Die letzte Klientin hatte großen Erfolg mit Tandem-Lesen: Sie hat ihre Tochter jeweils fünf Zeilen lesen lassen und dann die gesamte Seite vorgelesen. |43|Das war sinnvoll, weil die Tochter die gemeinsame Zeit mit ihrer Mutter und das Vorlesen sehr genossen hat. Eine andere Mutter hat ihrem Sohn vorgeschlagen, dass er abends entweder das Licht löschen oder noch eine Viertelstunde im Bett lesen darf. Durch diese Abmachung wurde das Lesen sehr viel attraktiver.

Klientin:

Also, ich glaube, das zweite könnte bei Sabrina auch klappen.

Berater:

Vielleicht. Wir würden uns in der Beratung zuerst das Problem und auch Sabrinas Wünsche genauer anschauen und uns dann überlegen, wie wir sie motivieren können.

Klientin:

Doch, das können wir gerne machen.

Durch Aussagen dieser Art verdeutlichen Sie, dass Sie über Fachwissen, Ressourcen und Strategien verfügen, die für bestimmte Schwierigkeiten hilfreich sein könnten. Mit der nächsten Strategie zeigen Sie der Person am anderen Ende der Leitung, dass sie selbst Ressourcen und Fertigkeiten mitbringt, die zu einer Lösung beitragen können:

Sprechen Sie Ressourcen der Klienten und bisher Erreichtes an

Klienten haben auch dann positivere Erwartungen hinsichtlich einer Lösung des Problems, wenn sie sehen, dass sie

Ressourcen haben, auf die sie zurückgreifen können,

bereits ähnliche Probleme gelöst haben,

selbst schon Fortschritte gemacht haben oder zumindest einer Verschlechterung vorbeugen konnten.

Sie können beispielsweise am Telefon sagen:

Ich finde es erstaunlich, wie klar und bewusst Sie diese Schwierigkeiten schildern konnten. Diese Fähigkeiten werden uns sicher auch bei der Lösungsfindung eine Hilfe sein.

Das ist wirklich eine schwierige Situation. Ich glaube, andere hätten bei einem solchen Arbeitsklima bereits innerlich gekündigt. Ich frage mich, was Ihnen bisher dabei geholfen hat, weiterhin so engagiert zu bleiben und die Dinge anzupacken. (Diese Frage lässt sich auch als Hausaufgabe bis zur ersten Sitzung verwenden.)

|44|Sicher ist es schade, dass Sie bisher jeweils wieder mit dem Rauchen angefangen haben – aber als Versagen würde ich das keinesfalls sehen. Wussten Sie, dass die meisten Raucher mehrere Versuche benötigen, bevor sie endgültig aufhören können? Es scheint so zu sein, dass in den Phasen des Aufhörens Lernprozesse stattfinden, die es ihnen erlauben, sich besser vorzubereiten und mit Situationen, die zu einem Rückfall führen können, besser umzugehen. Bis zur ersten Sitzung würde ich Ihnen gerne eine Aufgabe geben. Es wäre schön, wenn Sie sich Gedanken über die folgenden Fragen machen könnten: Was haben Sie aus Ihren bisherigen Versuchen gelernt? Konnten Sie die Phasen des Nichtrauchens ausdehnen? Wenn ja, wie ist Ihnen das gelungen? Welche Erfahrungen und Erkenntnisse aus den bisherigen Versuchen könnten beim nächsten Versuch nützlich sein?

Wie Sie einige dieser Strategien im Rahmen des ersten Telefonats verwenden können, zeigt das folgende Beispiel.

Beispiel: Herr Schmid

Herr Schmid ist Unternehmer, hat sich zunächst genauer auf der Internetseite des Beraters informiert und ruft – auch auf Druck seiner Frau – für ein Coaching an.

… Ja, hier ist Schmid. Ich habe mir gerade Ihre Webseite angesehen – und Sie schreiben da auch was von Coaching bei Arbeitsproblemen.

Ja –?

Und es ist so, dass bei mir schon seit Längerem … Also – ich bin selbstständig, und es ist seit Längerem so, dass ich sehr viel zu tun habe – und ziemlich gestresst bin. Und meine Frau meinte, jetzt wird es Zeit, dass du mal was tust – einfach um runterzukommen …

… was wirklich schwierig ist als Selbstständiger …

Der Berater versetzt sich in die Lage des Anrufers und zeigt mit seinen Äußerungen, dass er die Schwierigkeiten nachvollziehen kann. Damit zeigt er Verständnis und …

Ja.

… wo man ja keine festen Arbeitszeiten hat und eigentlich immer etwas tun könnte.

… schafft gleich zu Beginn eine Vertrauensbasis.

Ja. Und dann auch nicht dieses Gefühl bekommt, dass man mal fertig ist – und da meinte meine Frau, dass vielleicht ein Entspannungstraining oder so …

Ja, wobei es nicht leicht ist, sich zu entspannen, wenn viel Wichtiges und Dringendes erledigt werden müsste.

Der Berater hört heraus, dass der Klient vom Vorschlag seiner Frau wenig begeistert ist – und spiegelt diese Empfindung.

|45|Das habe ich auch gedacht!

Hm. – Ihre Frau hat natürlich dahingehend recht, dass es umso wichtiger ist, aktiv abschalten und sich erholen zu können, wenn man viel zu tun hat und einem niemand sagt, dass ab 17 Uhr Feierabend ist.

Ja, das ist wirklich eine Kunst.

Er schält aber aufgrund des bisherigen Problemverständnisses den für den Klienten annehmbaren Kern des Vorschlags heraus – und damit ein mögliches Ziel.

Wäre das eine Kunst, die Sie gerne noch besser beherrschen möchten?

Ja, das wäre schön.

Hm. Daran würde ich auch gerne mit Ihnen zusammen arbeiten und mit Ihnen nach Strategien suchen, die für Sie günstig sind. Bei unserem ersten Gespräch ginge es in erster Linie um die Frage, was Sie erreichen möchten. Dazu würde ich Ihnen bereits eine kleine Denkaufgabe mitgeben. Würden Sie gerne einen ersten Termin vereinbaren?

Doch, eigentlich schon.

Was wäre für Sie eine günstige Zeit?

Hm. Dienstag oder Donnerstag ginge es bei mir gut – so ab 17 Uhr.

Ich schau gleich – am Donnerstag in einer Woche, also am 17. März um 17 Uhr 30 ginge es bei mir.

Gut. Die Adresse hab ich von der Webseite.

Der Berater greift die positive Formulierung des Klienten auf – eine Kunst zu lernen, statt ein Problem zu lösen.

Der Berater weist bereits jetzt darauf hin, dass gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird (Arbeitshaltung fördern) und die Lösungen individuell auf den Klienten abgestimmt werden müssen.

Sehr gut. Also, wegen der Aufgabe. Haben Sie einen Stift zur Hand?

Moment – Ja.

Die Frage nach dem Stift erhöht die Neugier und macht die Aufgabe verbindlicher.

Also, in der ersten Sitzung geht es wie gesagt um die Frage, was Sie erreichen möchten. Und ich habe festgestellt, dass es sehr nützlich ist, wenn man sich schon vor der ersten Sitzung mit dieser Frage befasst. Es spart Zeit, und oft tut sich schon etwas in diese Richtung. Stellen Sie sich bis zu unserer Sitzung in zehn Tagen einmal vor, das Coaching wäre bereits vorbei und Sie hätten erreicht, was Sie sich vorgenommen haben. Was genau hätte sich verändert? Woran würden Sie das bemerken? Könnten Sie das machen?

Ja, mach ich.

Der Klient wird aktiviert. Die Zielklärung wird angeregt, und der Klient beginnt bereits vor der Sitzung, sich über seine Ziele Gedanken zu machen.

|46|Gut. Wegen des Honorars …

Hab ich auch bereits gelesen.

Sehr gut. Haben Sie noch Fragen?

Nein, von mir aus ist alles klar.

Es werden letzte organisatorische Details abgesprochen …

Schön, dann freue ich mich, Sie nächste Woche Donnerstag kennenzulernen. Es wäre nützlich, wenn Sie sich Ihre Überlegungen aufschreiben und diese mitbringen.

Ist gut. Bis dann, und eine schöne Woche.

… und der Klient wird nochmals an die Aufgabe erinnert.

Der Berater achtet während des Telefonats darauf, dem Klienten Wertschätzung und Verständnis entgegenzubringen, indem er

sich in die Situation des Klienten einfühlt und dessen Aussagen in eigenen Worten wiedergibt;

den Widerstand, den der Klient gegenüber dem Vorschlag seiner Frau empfindet, spiegelt und zeigt, dass er die Sichtweise des Klienten verstehen kann (allerdings ohne den Vorschlag abzuwerten);

Begriffe des Klienten (Coaching, Kunst) aufgreift und zum Teil in die eigenen Formulierungen einbaut.

Er fördert eine zielorientierte Arbeitshaltung und positive Erwartungen, indem er

aus den Aussagen des Klienten einen möglichen Arbeitsauftrag ableitet;

dem Klienten bereits vor der ersten Sitzung den Auftrag gibt, sich die Zeit nach der gewünschten Veränderung vorzustellen und daraus mögliche Beratungsziele abzuleiten;

dem Klienten indirekt zu verstehen gibt, dass er ihm vieles zutraut. Der Klient hat kein schlechtes Zeitmanagement, sondern einen Beruf, der hohe Ansprüche stellt und bei dem man lernen muss, aktiv abzuschalten. Außerdem geht der Berater davon aus, dass der Klient diese Kunst noch besser beherrschen möchte (zu dieser und anderen sprachlichen Feinheiten sei auf das lesenswerte Büchlein MiniMax-Interventionen von Manfred Prior, 2022, verwiesen);

indirekt zeigt, dass er öfter mit Unternehmern und Selbstständigen arbeitet. Er kennt deren Schwierigkeiten wie beispielsweise die unklaren Grenzen |47|zwischen Arbeitszeit und Freizeit und hat auch seine Homepage so gestaltet, dass dieser Schwerpunkt ersichtlich wird.

Die organisatorischen Details nehmen in diesem Beispiel wenig Zeit in Anspruch, da der Berater über eine Homepage verfügt, die potenzielle Klienten bereits mit grundlegenden Informationen versorgt.

Übung

Positive Erwartungen wecken und eine Arbeitshaltung fördern

Stellen Sie sich zunächst alleine oder zusammen mit einer Übungspartnerin vor, dass eine Klientin anruft und ein Problem schildert (Beruf, Erziehung, Partnerschaft) und diesbezüglich eine Beratung wünscht.

Überlegen Sie, wie Sie bei der Klientin positive Erwartungen wecken und eine konstruktive Arbeitshaltung fördern könnten.

Von welchen bisherigen Erfahrungen könnten Sie berichten, um zu zeigen, dass Sie ein gewisses Maß an Wissen und Kompetenzen in diesem Bereich mitbringen? (Für Berufsanfänger ist dieser Punkt schwierig, aber nicht unmöglich – es muss sich nicht unbedingt um Beratungserfahrung handeln.)

Wie können Sie der Klientin verdeutlichen, dass Sie ihre Schwierigkeiten verstehen, sie annehmen und zuversichtlich sind, dass es sich um ein lösbares Problem handelt?

Welche Ressourcen können Sie ansprechen oder durch ein Kompliment hervorheben?

Wie können Sie indirekt betonen, dass Sie auf eine aktive Mitarbeit angewiesen sind?

Welche Aufgabe könnten Sie der Klientin bis zur ersten Sitzung mitgeben?

Spielen Sie das Gespräch einmal durch, und diskutieren Sie mit Ihrem Übungspartner die folgenden Fragen:

Bist du überzeugt, dass ich in diesem Bereich kompetent bin? Was hat diesen Eindruck verstärkt, und was war eher abträglich?

Wärst du zuversichtlich, dass ich dich bei diesem Problem unterstützen kann und es sich dabei um Schwierigkeiten handelt, die sich verändern lassen?

|48|Hattest du das Gefühl, dass ich dein Anliegen verstehe und genügend darauf eingegangen bin?

Ist es mir gelungen, dich auf Stärken und Ressourcen hinzuweisen, die für die Problemlösung nützlich sein könnten?

Würdest du gerne zur ersten Sitzung kommen und dich auf die Arbeit mit mir einlassen können?

Wüsstest du, wie du dich auf die erste Sitzung vorbereiten kannst, und würdest du die Aufgabe gerne in Angriff nehmen?

Halten Sie zwei Verbesserungsvorschläge schriftlich fest, tauschen Sie die Rollen, und spielen Sie das Gespräch nochmals durch. Falls Sie im ersten Gespräch beraten haben: Achten Sie darauf, wie sich die Äußerungen aus der Klientensicht anhören.

Falls Sie diese Phase noch besser beherrschen möchten, empfehle ich Ihnen die folgende Literatur:

Weiterführende Literatur

Prior, Manfred (2022). Beratung und Therapie optimal vorbereiten. Informationen und Interventionen vor dem ersten Gespräch. Heidelberg: Carl Auer.

Prior, M. (2022). MiniMax-Interventionen: 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung (11. Aufl.). Heidelberg: Carl Auer.

Phase 2: Beziehungsaufbau

|51|Gute Beziehung – wirksame Beratung

Nicht selten bleibt wohlgemeinte Beratung ohne Erfolg, weil nie eine befriedigende therapeutische Beziehung zustande gekommen ist. Berater und Therapeuten haben häufig gar keine klare Vorstellung von der Beziehung, die existieren sollte, und ihre therapeutischen Bemühungen bleiben deshalb, was Richtung und Ergebnis anbelangt, unklar und unzuverlässig.

Carl R. Rogers

Ihre Klientin hat sich für eine Beratung entschieden und erscheint zur ersten Sitzung. Damit beginnt die zweite Phase, die oft lediglich einen Teil der ersten Sitzung umfasst, sich aber auch über eine ganze oder mehrere Sitzungen erstrecken kann. Im Vordergrund dieser Phase stehen das Kennenlernen, die Auswahl der Bereiche und Probleme, für die eine Veränderung angestrebt werden soll, und der Aufbau einer kooperativen und konstruktiven Beziehung. Die Phase kann als abgeschlossen betrachtet werden, wenn Ihr Gegenüber

seine Schwierigkeiten in groben Zügen darstellen konnte,

seine Rolle eingenommen hat,

ein hinreichend stabiles Arbeitsbündnis mit Ihnen aufbauen konnte und

die Indikation geklärt wurde, insofern dies im Rahmen des Telefonats vor der ersten Sitzung nicht möglich war.

Richten Sie die Aufmerksamkeit in dieser Phase auf die Beziehung. Die Testfrage lautet: Ist die Beziehung stabil und kooperativ genug, um den Prozess fortzuführen und beispielsweise konkrete Ziele festzulegen oder vertieft auf problematische Gefühle und Verhaltensweisen einzugehen?

Wie die Beratungsbeziehung aussehen sollte und wie Sie diese durch gezielte Beziehungsbotschaften mitgestalten können, erfahren Sie in diesem Kapitel. Wir befassen uns mit der Frage: Wie können Sie bei der Beziehungsgestaltung vorgehen – was sollten Sie tun, und was sollten Sie besser unterlassen?

|52|Beratung braucht eine vertrauensvolle, tragende Beziehung, wenn sie wirken soll. Sie verlangt nach einer eigenen Beziehungsform zwischen zwei Menschen, die sich von anderen Beziehungen unterscheidet: Sie gleicht weder einer Freundschaft noch einer Eltern-Kind-, Lehrer-Schüler-, Arzt-Patient- oder Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung. Und weil sie keiner dieser Formen gleicht, passieren Fehler, wenn wir Muster und Verhaltensweisen anderer Beziehungsformen unverändert auf die Beratungsbeziehung übertragen.

Zu Beginn einer Aus- oder Weiterbildung in Beratung fällt es zunächst fast allen schwer, in die Beraterrolle zu schlüpfen. Die meisten empfinden sich als künstlich und haben das Gefühl, Ihrem Gegenüber etwas vorzuspielen. Bei Seminaren an Universitäten konnte ich beobachten, dass viele Studierende dabei in ein Beziehungsmuster zurückfallen, das ihnen vertrauter ist: Sie tendieren dazu, die Beratung wie ein Gespräch unter Freunden zu gestalten. Lehrkräfte hingegen, die unsere Weiterbildung in Lerncoaching besuchen, strukturieren sie zunächst oft als Lehrer-Schüler-Gespräche.

Um Sie für die Unterschiede zwischen einer freundschaftlichen und einer professionellen Beziehungsgestaltung zu sensibilisieren, möchte ich Sie einladen, sich einige Gedanken zu machen.

Übung

Überlegen Sie, inwiefern sich eine Beziehung zwischen Berater und Klient von einer Freundschaft unterscheidet, und finden Sie mindestens fünf Stichworte, die diese Unterschiede umschreiben:

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

Falls Sie die Übung in einer Gruppe gemacht haben: Tauschen Sie sich mit den anderen Teilnehmenden aus. Vielleicht sind Ihnen auch Unterschiede aufgefallen, die mir in den nun folgenden Unterpunkten entgangen sind.

|53|Merkmale einer professionellen Beratungsbeziehung

Asymmetrie

Die Beziehung zwischen Klientin und Beraterin ist asymmetrisch. Sie folgt einer klaren Rollenverteilung und weist viele nicht wechselseitige Elemente auf. Nur die Klientin schildert ihre Schwierigkeiten und Ziele, die Beraterin verzichtet darauf. Nur die Beraterin unterstützt die Klientin durch Fragen, Spiegeln, Konfrontation und andere Interventionen bei der Problemlösung. Für diese Unterstützung erhält die Beraterin eine finanzielle Entschädigung, während für die Klientin Kosten entstehen.

Arbeitsorientierung

In Freundschaften verbringt man einen großen Teil der Zeit mit gemeinsamen Aktivitäten und Erlebnissen. Die Beratung hingegen ist eine reine Arbeitsbeziehung. Sie ist zweckgerichtet, folgt einem Auftrag und schließt gemeinsame Erlebnisse außerhalb der Sitzung aus.

Zeitliche Begrenzung

Die Beratungsbeziehung ist zeitlich auf einzelne, in ihrer Dauer festgelegte Sitzungen begrenzt und bereits zu Beginn darauf ausgerichtet, nach Beendigung des Arbeitsauftrags aufgelöst zu werden.

Professionelle Distanz

Eine Beratung zeichnet sich durch professionelle Distanz aus. Dies betrifft die physische und die psychische Ebene. Auf der körperlichen Ebene beschränkt sich der Kontakt meist darauf, sich bei der Begrüßung die Hand zu geben. Auf der psychischen Ebene lässt sich der Berater zwar auf den Klienten ein und versucht, ihn zu verstehen, identifiziert sich aber nicht mit ihm. Er fühlt mit, aber er leidet nicht mit. Er wahrt zudem einen möglichst neutralen Blickpunkt, während in Freundschaften eher Solidarität und Loyalität eingefordert werden.

|54|Verzicht auf persönliche Meinungen und Wertungen

In Freundschaften ist es angebracht, eigene Meinungen und den persönlichen Standpunkt auszudrücken. In der Beratung wird darauf verzichtet, damit der Klient sich Inhalten vorurteilsfrei nähern und offen darüber sprechen kann.

Indem Sie auf die folgenden für Freundschaften typischen Verhaltensweisen verzichten, können Sie verhindern, dass aus der Beratung eine bezahlte Freundschaft wird:

sich mit dem Klienten identifizieren und auf eigene Schwierigkeiten eingehen;

persönliche Wertungen abgeben und das Gegenüber von der eigenen Meinung überzeugen wollen;

oberflächliche Ratschläge geben;

argumentieren.

Die folgenden Reaktionen sind in Freundschaften angebracht, in der Beratung jedoch fehl am Platz:

Der Klient erzählt von seiner Eifersucht und äußert sich folgendermaßen:

Klient: „… und als meine Freundin ihren Ex-Freund umarmt hat, da wurde mir fast übel – ich hätte sie ohrfeigen können!“

Beraterin: „Das würde mich auch eifersüchtig machen.“

Die Beraterin identifiziert sich mit dem Klienten.

Beraterin: “Ich würde in so einer Situation zuerst ruhig durchatmen und in einem ruhigen Moment mit der Freundin reden.“

Die Beraterin gibt gut gemeinte „Tipps“ und schildert, was sie an der Stelle des Klienten tun würde.

Beraterin: „Sie dürfen das nicht so eng sehen. Die waren vielleicht lange zusammen, und es ist klar, dass man sich dann noch verbunden fühlt. Das muss nichts heißen.“

Die Beraterin bewertet die Situation aus ihrer Sicht und gibt Anweisungen, wie sich der Klient zu fühlen hat.

Beraterin: „Das ist doch normal. Ich glaube, da wird jeder eifersüchtig.“

Die Beraterin bagatellisiert die angesprochenen Schwierigkeiten und Gefühle.

|55|Beraterin: „Sie müssen lernen, damit umzugehen. Schließlich können Sie Ihrer Freundin nicht verbieten, ihren Ex-Freund zu sehen.“

Die Beraterin gibt Anweisungen und reagiert vorwurfsvoll.

Beraterin: „Das ist vor allem am Anfang einer Beziehung ein Problem. Das gibt sich, sobald man länger zusammen ist und sich sicherer fühlt.“

Die Beraterin versucht, den Klienten aufzumuntern und zu beruhigen.

Beraterreaktionen dieser Art sind nicht hilfreich. Sie können die Sichtweise des Klienten zementieren oder dazu führen, dass dieser sich in Zukunft weniger offen äußert, da er fürchten muss, von der Beraterin für seine Gefühle oder Verhaltensweisen verurteilt, nicht ernst genommen oder mit vorschnellen Ratschlägen abgefertigt zu werden.

In einer Freundschaft wären diese Reaktionen angemessen, weil wir in Freundschaften

wir selbst sein und uns einbringen möchten,

uns gegenseitig unterstützen und füreinander Partei ergreifen wollen,

Spaß am Argumentieren und Diskutieren unterschiedlicher Standpunkte haben,

vom Gegenüber gemocht werden möchten und

meist nicht die Absicht hegen, die andere Person zielgerichtet bei einer Veränderung zu unterstützen.

Gerade der letzte Punkt ist jedoch das Ziel der Beratung.

Der alleinige Zweck einer Beratung ist die möglichst effektive Lösung der Klientenprobleme. Die Beziehung zwischen Berater und Klient muss sich diesem Zweck unterordnen und entsprechend als konstruktives Arbeitsbündnis gestaltet werden. Die Beraterin verhält sich akzeptierend und wertschätzend, um die Klientin bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützen – und nicht, weil sie gemocht werden möchte. Sie fordert und konfrontiert mit dem Ziel einer Veränderung – und nicht, weil sie ihren Standpunkt kundtun will. Sie fragt, um beim Gegenüber konstruktive Suchprozesse auszulösen oder um wichtige Informationen zusammenzutragen – und nicht aus Neugier.

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