Qualität als Gelingen - Rainer Zech - E-Book

Qualität als Gelingen E-Book

Rainer Zech

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Beschreibung

Rainer Zech und Claudia Dehn fordern für die Branche der personenbezogenen Arbeit in Bildung, Beratung und Sozialer Dienstleistung eine in sich konsistente Qualitätsentwicklung ein, die die ethische Dimension von Arbeit, die direkt für und am Menschen geleistet wird, aufnimmt. Sie stellen Fragen wie: Was meint eigentlich Qualität, und was hat Qualität mit dem Gelingen zu tun? Kann es einen Weg des Qualitätsmanagements geben, der Organisationen der Bildung, Beratung und sozialen Dienstleistung entwickelt, ihre Identität stärkt und ihnen dabei hilft, zukunftsfähig zu bleiben, ohne sich durch Verfahrensformalisierungen in ein bürokratisches Korsett zu zwingen? In der Beantwortung dieser Fragen arbeiten die beiden den Qualitätsbegriff als gutes Gelingen einer sinnerfüllten Praxis heraus. Die Basis hierfür sind ethische Überlegungen zu einem gelingenden Leben in einer gerechten Gesellschaft. Der Zweck der Qualitätsentwicklung liegt in der Unterstützung guter Arbeit, als Gegenstände der Qualitätsentwicklung werden gelungene Bildung, gelungene Beratung und gelungene Soziale Dienstleistung definiert. Die Autoren verstehen Qualitätsentwicklung als umfassende Organisationsentwicklung und Professionalisierung. Dabei spielen grundlegende Begriffe wie Kommunikation und Verstehen, Motivation und Partizipation, Reflexion und Reflexivität, Führung und Kooperation eine ausschlaggebende Rolle, die wesentlich für die Gelingensbedingungen der Qualitätsentwicklung sind, die am Ende des Buchs dargestellt werden.

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Rainer Zech / Claudia Dehn

Qualität als Gelingen

Grundlegung einer Qualitätsentwicklungin Bildung, Beratung und SozialerDienstleistung

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99849-7

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Logo Dachmarke Lerner- und Kundenorientierte Qualitätsentwicklung

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

 

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Wer »eine Kunst aus seinem Handwerk macht, wird […] entdecken, daß er für seine Mitmenschen ein viel interessanterer Mensch wird und sie ihn viel weniger als Objekt ansehen, weil seine Entscheidung für die Qualität auch ihn selbst verändert. Und nicht nur seine Arbeit und ihn selbst, sondern auch andere, weil Qualität die Tendenz hat, sich wellenartig auszubreiten. Die Qualität seiner Arbeit, von der er selbst geglaubt hat, daß niemand sie bemerken werde, wird bemerkt, und jeder, der sie bemerkt, fühlt sich ein bißchen besser und wird dieses Gefühl wahrscheinlich auf andere übertragen, und auf diese Weise ist dafür gesorgt, daß die Qualität erhalten bleibt« (Pirsig, 1978, S. 371).

Inhalt

Vorwort

1 Das Telos der Qualität: Gutes Gelingen

1.1 Qualität als Streben nach dem Guten

1.2 Qualität als gutes Gelingen

1.3 Begründete Maßstäbe für die Praxis

1.3.1 Normen

1.3.2 Standards und Qualitätskriterien

1.3.3 Anforderungen

1.4 Definition guter Qualität

1.5 Wie kann Qualität gelingen?

2 Der Zweck der Qualitätsentwicklung: Gute Arbeit

2.1 Zur Archäologie des Arbeitsbegriffs

2.2 Arbeit als Einheit aus Bedarf, Leistung und Gebrauch

2.3 Dimensionen und Kriterien guter Arbeit

3 Das menschliche Maß: Die Gegenstände der Qualitätsentwicklung

3.1 Gelungene Bildung

3.1.1 Theoretische Bestimmungen

3.1.2 Definition gelungener Bildung

3.1.3 Wie kann Bildung gelingen?

3.2 Gelungene Beratung

3.2.1 Theoretische Bestimmungen

3.2.2 Definition gelungener Beratung

3.2.3 Wie kann Beratung gelingen?

3.3 Gelungene Soziale Dienstleistung

3.3.1 Theoretische Bestimmungen

3.3.2 Definition gelungener Sozialer Dienstleistung

3.3.3 Wie kann Soziale Dienstleistung gelingen?

4 Die Doppellogik der Qualitätsentwicklung: Organisationsentwicklung und Professionalisierung

4.1 Organisation

4.2 Entwicklung

4.3 Organisationsentwicklung

4.4 Qualitätsentwicklung als Organisationsentwicklung und Professionalisierung

4.5 Die Selbstentwicklungsfähigkeit der Organisation systematisch nutzen

5 Die Klaviatur des Gelingens: Die Herausforderungen und Kompetenzen der Qualitätsentwicklung

5.1 Kommunikation und Verstehen

5.1.1 Kommunikation

5.1.2 Verstehen

5.1.3 Selbstbeschreibung und Wiederbeschreibung

5.2 Partizipation und Motivation

5.2.1 Partizipation

5.2.2 Motivation

5.2.3 Der/die Einzelne und das Ganze der Organisation

5.3 Reflexion und Reflexivität

5.3.1 Reflexion

5.3.2 Reflexivität

5.3.3 Reflektierte Reflexivität:Wie Qualitätsentwicklung Sinn macht

5.4 Führung und Kooperation

5.4.1 Führung

5.4.2 Kooperation

5.4.3 Vertrauen in Führung und Kooperation

6 Das Ganze und seine Teile: Die Gelingensbedingungen der Qualitätsentwicklung

6.1 Gesellschaftlich-institutionelle Bedingungen

6.2 Organisationale Bedingungen

6.3 Interaktionale Bedingungen

6.4 Personale Bedingungen

Literatur

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Sie haben es in der Hand: das Gelingen! Ein Buch dazu, wie Qualitätsentwicklung als Ethos und Diskurs verstanden werden und gelingen kann. Dieses Buch haben wir geschrieben für alle Menschen, die in Organisationen (insbesondere der Bildung, Beratung und Sozialen Dienstleistung) mit dem Thema Qualitätsmanagement konfrontiert sind und die Lust dazu haben, Qualitätsentwicklung nicht als extern verordnete Mühsal zu erleben, sondern als Motor der Entwicklung der Organisation und ihrer Beschäftigten, als Möglichkeit der Entdeckung und Gestaltung der organisationalen Identität, als Anregung zu Austausch und Diskurs – zum gemeinsamen Lernen.

Als die ersten Impulse zu diesem Buch entstanden, waren wir des klassischen Qualitätsmanagementdiskurses mit seiner Fokussierung auf technische Abläufe und Verfahren nahezu überdrüssig und glaubten, diesen Überdruss auch zunehmend bei den Organisationen selbst festzustellen, die zur Qualitätsentwicklung verpflichtet sind oder sich dazu verpflichtet haben. Kann es einen Weg des Qualitätsmanagements geben, der Organisationen der Bildung, Beratung und Sozialen Dienstleistung entwickelt, ihre Identität stärkt und ihnen dabei hilft, zukunftsfähig zu bleiben, ohne sich durch Verfahrensformalisierungen in ein bürokratisches Korsett zu zwingen? Was meint eigentlich Qualität, und was hat Qualität mit dem Gelingen zu tun? Welche Grundbegriffe sind wesentlich für gelingende Qualitätsentwicklung? Womit sollte sich eine Organisation – jenseits von Rezeptwissen – beschäftigt haben, um ihren eigenen förderlichen Weg im Qualitätsmanagement zu finden und zu gehen?

Das waren für uns die entscheidenden Fragen, auf die wir mit diesem Buch einen Versuch der Antwort wagen. Das Thema Qualitätsentwicklung als Gelingen beschäftigt uns schon länger. Denn unser eigenes Unternehmen ArtSet® Forschung Bildung Beratung GmbH ist Entwickler und Lizenzgeber der Qualitätsmodelle der Lerner- und Kundenorientierten Qualitätsentwicklung. 17 Jahre Erfahrung in der Qualitätstestierung mit mehr als 1.000 Kundenorganisationen haben unsere Idee bestärkt, dass gelingende Qualitätsentwicklung nicht durch Formalisierung und Bürokratisierung zu erreichen ist. Standardisierung menschenbezogener Arbeit führt zu Entfremdung zwischen den Arbeitenden und ihren Adressaten; verfahrensfixierte Routinen führen zum Verlust von Nähe und Identifikation. Stattdessen geht es darum, dass Organisationen und deren Mitarbeitende sich über ihre spezifische Auffassung von Qualität verständigen und eine für ihre jeweilige Identität und ihren Auftrag passende Definition des Gelungenen (gelungene Bildung, gelungene Beratung bzw. gelungene Dienstleistung) entwickeln, die als roter Faden ihrer Qualitätsentwicklung dient. Qualitätsentwicklung ist damit höchst organisationsindividuell und kann weder sinnvoll verordnet noch auf Maßnahmenebene vorgeschrieben werden.

Wir fragen in diesem Buch nach den Bestimmungen eines guten Lebens und was Qualitätsentwicklung in Bildung, Beratung und Sozialer Dienstleistung dazu beitragen kann. Es geht nicht um die methodisch-technischen Aspekte einer Qualitätsentwicklung. Diese haben wir in gesonderten Leitfäden für die Praxis bereits vorgelegt: für die Weiterbildung (Zech, 2015a), für Schulen (Zech, 2007), für Kindertagesstätten (Zech, 2013a), für Beratungsorganisationen (Zech, 2009), für Organisationen der Sozialen Dienstleistung (Zech, 2014) und für Bildungsveranstaltungen (Tödt, 2008). Dieses Buch kann allerdings davon unabhängig gelesen werden. Es ist zwar einerseits als theoretische Grundlegung unserer Lerner- und Kundenorientierten Qualitätsentwicklung angelegt, betrifft aber andererseits alle Organisationen in Bildung, Beratung und Sozialer Arbeit, die weg wollen von der Qualitätsbürokratie.

Wenn also jede Organisation ihren eigenen Weg der Qualitätsentwicklung finden soll, um diese als Motor ihrer Entwicklung nutzen zu können, was sind dann relevante Themen und Begriffe, deren Klärung nützlich ist als Voraussetzung und Rüstzeug für das Abenteuer Qualität? Aus unserer Sicht natürlich zunächst das Verständnis von Qualität selbst und die Klärung ihres eigentlichen Zwecks der Förderung guter Arbeit, des Weiteren die Gegenstände der Qualitätsentwicklung (Bildung, Beratung, Soziale Dienstleistung), die organisationale Struktur, in der Qualitätsentwicklung stattfindet, und weitere zentrale Aspekte der praktischen Kompetenz wie Verstehen, Partizipation, Reflexivität, Führung und andere. Diesen zentralen Werkzeugbegriffen der Qualitätsentwicklung wurden eigene Kapitel gewidmet, die diese für die Praxis begründen und erläutern. Da wir davon überzeugt sind, dass die Organisationen selbst die Experten für ihre spezifische Qualitätsentwicklung sind, versteht sich dieses Buch nicht als Rezeptbuch, sondern als Anregung zur Beschäftigung mit Sinn, Voraussetzungen und Bedingungen guter Qualität, also dem Warum und Wie der Qualitätsentwicklung. Das Was, die konkrete Gestaltung und Umsetzung der Qualitätsentwicklung, ist dann der nächste Schritt, für den wir Sie gut gerüstet wissen wollen.

Der Anspruch dieses Buchs besteht also darin, für die Branche der personenbezogenen Arbeit in Bildung, Beratung und Sozialer Dienstleistung die Möglichkeit einer in sich konsistenten Qualitätsentwicklung zu begründen, die die ethische Dimension von Arbeit, die direkt für und am Menschen geleistet wird, aufnimmt. Dafür soll eine gemeinsame Sprache mit dem Netz der erforderlichen grundlegenden Werkzeugbegriffe geschaffen werden. Dazu wird im ersten Kapitel zunächst der Qualitätsbegriff als gutes Gelingen einer sinnerfüllten Praxis herausgearbeitet. Hintergrund sind ethische Überlegungen zu einem gelingenden Leben in einer gerechten Gesellschaft. Das zweite Kapitel begründet den Zweck der Qualitätsentwicklung in der Unterstützung guter Arbeit im doppelten Sinne – als Schaffung guter Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten mit dem Ziel, gute Arbeit für die eigenen Zielgruppen zu leisten. Im dritten Kapitel werden die Gegenstände der Qualitätsentwicklung als gelungene Bildung, gelungene Beratung und gelungene Soziale Dienstleistung definiert. Dem folgt im vierten Kapitel die Erläuterung des Verständnisses von Qualitätsentwicklung als umfassende Organisationsentwicklung und Professionalisierung. Im fünften Kapitel werden die grundlegenden Werkzeugbegriffe theoretisch aufgespannt, mit deren Hilfe man die Herausforderungen einer solchen Qualitätsentwicklung erschließen und bewältigen kann. Als Abschluss des Buchs werden die Gelingensbedingungen der Qualitätsentwicklung als gesellschaftlich-institutionelle, organisationale, interaktionale und personale Faktoren dargestellt.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und den Mut zum Sprung in die gelingende Qualitätsentwicklung Ihrer Organisation! Alle praktischen Informationen zu unserer Qualitätsentwicklung – die Leitfäden für die Praxis sowie viele Arbeitshilfen und Qualitätswerkzeugen – finden Sie kostenfrei zum Herunterladen auf unserer Website: www.qualitaets-portal.de.

Rainer Zech

Claudia Dehn

1 Das Telos der Qualität: Gutes Gelingen

»Die Welt kann ohne Qualität funktionieren, aber das Leben wäre so öde, daß es kaum noch lebenswert wäre. Es wäre überhaupt nicht mehr lebenswert. Das Wort wert drückt Qualität aus. Das Leben wäre bloßes Existieren, ohne jeden Wert und ohne jeden Sinn und Zweck« (Pirsig, 1978, S. 222).

Wer Wert auf Qualität legt, zeigt damit, dass ihm etwas an den Dingen liegt, die ihn umgeben, an den Menschen, mit denen er es zu tun hat, und an den Verhältnissen, in denen wir zusammen leben und arbeiten. Unachtsamkeit bezüglich guter Qualität ist daher ein sicheres Zeichen von Verantwortungslosigkeit den Menschen und den Sachen gegenüber. Es geht also um eine Haltung dem Leben gegenüber – um ein Ethos, wie man deshalb auch sagen kann (Zech, 2007). Es geht um die Verantwortung, die man seinem Leben und dem Leben seiner Mitmenschen gegenüber hat.

1.1 Qualität als Streben nach dem Guten

Qualität wird gemeinhin verstanden als die Beschaffenheit, die Güte oder der Wert von etwas. Meistens schwingt bereits eine positive Konnotation mit: Qualität ist dann bereits gute Qualität. Eigentlich hat das Wort aber eine neutrale Bedeutung von dem lateinischen qualitas: Merkmal, Eigenschaft, Zustand. Aber auch uns geht es in diesem Buch um gute Qualität, um die Güte der Dinge, Prozesse und Zustände, die uns umgeben.

Wenn man das Adjektiv gut nicht moralisch versteht, sondern als Gegensatz zu schlecht, dann bedeutet es so viel wie wertvoll, geeignet. Das Gute ist dann das Hochwertige, das Geeignete. In diesem Sinne wollen wir es auch in unserer Qualitätsdiskussion verstanden wissen. Qualität soll hier also Hochwertigkeit, Geeignetheit bedeuten. Deren Bewertungsmaßstab kann aber nur in den Lebensumständen derjenigen gefunden werden, für die etwas gut bzw. geeignet ist. Über diesen Umweg haben wir es dann doch wieder mit der Moral – oder wie wir in unserem Zusammenhang lieber sagen sollten: mit Ethik – zu tun. Bei der Ethik geht es immer um die Frage, wie wir miteinander leben wollen und wie wir uns deshalb den anderen Menschen gegenüber verhalten sollen. Deshalb ist die philosophische Ideengeschichte für unsere Diskussion relevant. Eine Bestimmung guter Qualität personenbezogener Arbeit, die nicht in einer ethischen Reflexion gelungenen Lebens wurzelt, resigniert zum bloßen abstrakten Verfahren.

Platon (2004a, S. 51 ff., 20 St.) war diesbezüglich der Ansicht, dass die Menschen quasi von Natur aus nach dem Guten streben. Auch Charles Taylor spricht von »einer besonders grundlegenden Bestrebung der Menschen: dem Bedürfnis nach Verbindung oder Berührung mit dem, was ihrer Ansicht nach gut, von maßgeblicher Bedeutung oder grundlegendem Wert ist« (2016, S. 85). Dabei handelt es sich vor allem um Fragen, die die Art des lebenswerten Lebens betreffen, und wie wir im Verhältnis zu dem, was wir als das Gute ansehen, platziert oder situiert sind. Für Taylor gibt es einen grundlegenden Zusammenhang zwischen unserer Identität und dem Guten, der auf qualitativen Unterscheidungen bezüglich dessen aufbaut, was für uns gut und wertvoll ist, was wir billigen oder ablehnen und was deshalb getan werden sollte. Durch unsere Beobachtungen indizieren wir in der Welt Bedeutungen, indem wir mithilfe von Unterscheidungen die eine Seite bezeichnen und die andere in der Regel unbezeichnet lassen (Spencer-Brown, 2004). So unterscheiden wir zum Beispiel Wichtiges von Unwichtigem, Schönes von Hässlichem, Nützliches von Schädlichem, Heiliges von Profanem und eben Gutes von Schlechtem. Ohne solche Unterscheidungen könnten wir uns weder uns selbst noch im kommunikativen gesellschaftlichen Raum verständlich machen. Unsere Identität wird nun durch diejenigen starken qualitativen Unterscheidungen definiert, mit denen wir uns in Bezug auf das positionieren, was wir für gut halten. »Um uns das eigene Leben wenigstens in minimalem Grade verständlich zu machen und um eine Identität zu erlangen, brauchen wir […] eine Orientierung auf das Gute, also ein Gefühl für qualitative Unterscheidungen, für das unvergleichlich Höhere« (Taylor, 2016, S. 94). Theodor W. Adorno (2016, S. 363 ff.) sieht dieses Streben allerdings nicht als zweifelsfrei und unproblematisch an, wenn es nicht durch Vernunftsbestimmungen vermittelt ist. Deshalb ist für ihn ein wesentliches Moment guter Qualität, dass sie das Moment der Reflexion besitzt, die weiterführt zu einer verbesserten Praxis (Adorno, 2009, S. 204).

Im »Staat« (Platon, 2004b, S. 47 ff., 357 St.) werden drei Arten des Guten bestimmt: Dasjenige Gute, das wir um seiner selbst willen anstreben, zum Beispiel Fröhlichkeit, dasjenige, das wir sowohl um seiner selbst willen als auch wegen seiner Folgen begehren, zum Beispiel Gesundheit, und schließlich dasjenige, das wir trotz der damit verbundenen Anstrengungen und Unannehmlichkeiten, aber wegen seiner positiven Auswirkungen wollen, zum Beispiel Leibesübungen. Das höchste Gut ist nun nach Ansicht des platonischen Sokrates in diesem Dialog allerdings die Gerechtigkeit.

Und das sah auch Platons Nachfolger Aristoteles so, wenn er in seiner »Nikomachischen Ethik« als höchstes Gut ein gelungenes Leben in einer gerechten Gesellschaft bestimmt. Und gerecht ist, »was in einer staatlichen Gemeinschaft die Glückseligkeit und ihre Bestandteile hervorbringt und erhält« (Aristoteles, 1995, S. 102, 1129b, Hervorh. entf.). Das »höchste menschliche Gut« ist daher, »das Wohl des Gemeinwesens zu begründen und zu erhalten« (S. 2, 1094a). Dazu bedarf es auf der subjektiven Seite der »Klugheit« »in bezug auf das, was das menschliche Leben gut und glücklich macht« (S. 135, 1140a). Das Gute ist der Substanz nach Verstand, der Qualität nach Tugend und der Quantität nach das rechte Maß (S. 7, 1096a). Die Qualität der Tugend wird dann sowohl als Habitus als auch als Tätigkeit des Menschen bestimmt (S. 14, 1098b; S. 176, 1153b), »vermöge dessen er selbst gut ist und sein Werk gut verrichtet« (Aristoteles, 1995, S. 34, 1106a). Um das Gute zu befördern, bedarf es also schon bei Aristoteles einer Haltung und einer Klugheit, die ihren Ausdruck im entsprechenden Handeln finden – wie bei Adornos Reflexion auf eine verbesserte Praxis in Vermittlung durch Vernunftsbestimmungen. Qualitätsentwicklung bedarf also als Grundvoraussetzung einer geistig-praktischen Einstellung der Menschen dem Leben gegenüber. Qualitätsethos haben wir dies genannt (Zech, 2007). Das Streben nach dem Guten, das »von Natur angenehm und genußreich ist« (Aristoteles, 1995, S. 227, 1170a), ist für die Beteiligten auch an sich bereits gut, weil es Ausdruck einer bestimmten Einstellung ihrem eigenen Leben gegenüber ist. Dieses Qualitätsethos wurzelt in einer Philosophie des Gelungenen und drückt sich in Qualität schaffenden Handlungen aus, und deshalb »hängt die Qualität des Ziels, das wir uns setzen, von unserer eigenen Qualität ab« (S. 58, 1114b).

Das Gute existiert also nicht an sich als unabhängige Substanz, sondern nur als Tat eines Individuums, auf der Grundlage einer entsprechenden Einstellung bzw. Haltung, die auf einer klugen Entscheidung beruhen. Das klingt fast existenzialistisch. Und es ist auch Jean-Paul Sartre, der in seinen nachgelassenen »Entwürfe[n] für eine Moralphilosophie« (2005, S. 965 ff.) darauf aufmerksam macht, dass das Gute nicht außerhalb einer handelnden Subjektivität gedacht werden kann. Es muss durch die Anstrengung einer Subjektivität als objektive Realität gesetzt werden. Das Gute kommt allein durch den Menschen in die Welt und beruht auf einer vorgängigen Wahl. Gutes kann also nicht von den handelnden Personen getrennt werden; und selbst wenn sich das Gute materiell in einem hergestellten Produkt als hervorragende Qualität niedergeschlagen hat, ist es Ausdruck eines Qualitätsethos’ der Produzierenden. Es lässt sich ihnen nicht von außen durch Managementpraktiken aufzwingen. Man muss das Gute wollen! Genau dies macht andererseits auch die Zerbrechlichkeit des Guten aus; es misslingt als technisches Verfahren. Die Subjektivität der handelnden Menschen ist Brücke zwischen einem allgemeinen Anspruch und der realisierten Ergebnisse des Handelns.

Die ethische Diskussion über das Gute wird aktuell vor allem von Martin Seel (1999) weitergeführt. Er vertritt einen von ihm sogenannten »reflexiven Eudämonismus«, der aus der Perspektive beliebiger Personen fragt, was es sinnvollerweise heißt, ein gelingendes Leben zu führen. Inbegriff eines guten menschlichen Lebens ist für ihn ein »weltoffen selbstbestimmtes Leben, dessen moralischer und rechtlicher Schutz eine Rücksicht auf alle Individuen mit einschließt, die überhaupt ein (wie immer auch bestimmtes) gutes Leben haben können« (S. 10 f.). Zwar unterscheidet er zwischen einem guten und einem gerechten Leben, das Gute und das Gerechte sind verschieden, bilden aber eine Einheit in der Differenz. Deshalb besteht Seel darauf, dass ein gutes Leben nur in den Bahnen der Gerechtigkeit verlaufen kann, wenn also die Perspektive der anderen um ihrer selbst willen immer mitberücksichtigt wird. Die Bedeutung der Anerkennung der anderen ist die Voraussetzung der Anerkennung durch die anderen; wechselseitige Anerkennungsverhältnisse sind für ein gelingendes Leben existenziell (Honneth, 1992). Eine wichtige Dimension von Anerkennungsverhältnissen ist die wechselseitige Ermöglichung von Selbstbestimmung. Seel (1999, S. 83 ff.) gibt darüber hinaus vier notwendige, allerdings allein noch nicht hinreichende Grundbedingungen eines guten, gelingenden Lebens an, die für die Professionen personenbezogener Arbeit von besonderer Bedeutung sind: Leben 1. in relativer Sicherheit, 2. bei relativer leiblicher und seelischer Gesundheit, 3. in relativer Freiheit und 4. mit relativer Bildung. Darüber hinaus ist es vor allem die Art der Lebensführung, welche sich in einer revisionsoffenen Lebenskonzeption niederschlägt, die ein gelingendes Leben ausmacht.

Schon Aristoteles (1995) hatte in seiner Nikomachischen Ethik darauf verwiesen, dass ein gutes Leben nur in einer gerechten Gesellschaft möglich ist. Deshalb ist die Gerechtigkeitsthematik auch für die Frage guten, gelingenden Lebens unverzichtbar. Gerecht ist eine Gesellschaft aber nicht schon, wenn sie allen in ausreichender Form die unverzichtbaren Basisgüter – wie Gesundheit, Sicherheit, Bildung, gegenseitiger Respekt, persönliche Autonomie, Harmonie mit der Natur und Muße für selbstzweckhafte Aktivitäten, die für den Tätigen Erfüllung bedeuten – zur Verfügung stellt, wie Robert und Edward Skidelsky (Skidelsky u. Skidelsky, 2013) meinen. Gerecht ist eine Gesellschaft erst, wenn sie ihren Mitgliedern darüber hinaus auch die notwendigen Verwirklichungschancen bietet. Der Capabilities-Ansatz von Amartya Sen (1993) ist daher eine zwingende Ergänzung zu den nur auf die Verteilung der Grundgüter einer Gesellschaft ausgerichteten Gerechtigkeitskonzeptionen (vgl. Kapitel 3.3). Capabilities sind die einem konkreten Individuum zur Verfügung stehenden Verwirklichungschancen bzw. die zur Auswahl stehenden Lebensweisen, das heißt die Möglichkeiten einer Person, ein von ihr als gut bewertetes Leben zu verwirklichen. Die Verwirklichungschancen sind zwar einerseits abhängig von den Fähigkeiten, die ein Individuum hat und entwickeln kann; sie liegen aber andererseits auch auf einer gesellschaftlich-strukturellen Ebene der zur Verfügung gestellten realen Möglichkeiten. Neben den unverzichtbaren Basisgütern sind also die Capabilities ein ebenso notwendiger Aspekt einer gerechten Gesellschaft. Ein gutes Leben in einer gerechten Gesellschaft ist also nur möglich, wenn individuelle Handlungsfähigkeiten durch gesellschaftlich-strukturelle Bedingungen ermöglicht und abgesichert werden. Dies verweist auf die Bedeutung der Dimension des Gelingens.

1.2 Qualität als gutes Gelingen

Über das Gelingen bzw. über Gelungenes wurde ebenfalls schon früh nachgedacht. Bereits bei dem Vorsokratiker Polykleitos im 5. vorchristlichen Jahrhundert findet sich eine Reflexion über »das Gelingen« (gr. to eu) (Diels, 1922, S. 296). Wenig später lässt Platon in seinem Dialog »Kratylos« Sokrates über Wohlgelungenes und Misslungenes anhand von Dichtung und Malerei philosophieren, um Kriterien aufzustellen, wann Worte wohlgelungen gewählt bzw. Bilder als gelungen betrachtet werden können (Platon, 2004c, S. 116 ff., 431 St.). Diogenes Laertius (1990, S. 89) zieht dann das Gute und das Gelingen zusammen, wenn er über Sokrates schreibt, dass das »gute Gelingen« bereits »mit Kleinem« anfange, auch wenn es »nichts Geringes« sei. Die Reflexion über das gute Gelingen hat die Geistes- und Ideengeschichte seither nicht mehr losgelassen.

Befragen wir zunächst das Herkunftswörterbuch des Dudens (2001, S. 264): »gelingen: Das nur dt. Verb mhd. [ge]lingen, ahd. gilingan ›glücken, Erfolg haben‹, mnd. lingen, ›glücken, gedeihen‹ ist mit der Sippe von ↑ leicht verwandt. Es bedeutete ursprünglich ›leicht oder schnell vonstatten gehen‹.« Wir setzen es damit vom äußerlichen Erfolg ab, der von der Wortherkunft als ein Hinterher, den Ausgang, die Wirkung, die Folge von etwas bestimmt ist. »Folgen« hat als »Rechtsbegriff der Heeresfolge schon in ahd. Zeit die Bedeutung ›sich nach jemandem richten, beistimmen, gehorchen‹« (S. 230, Klammer im Original). Daher die Wortbildungen »befolgen« und »folgsam«. Erfolg bedeutet, dass man etwas geschafft hat, vielleicht aus Folgsamkeit, jedenfalls geht es um das Erreichen eines eher äußerlichen Zieles. So hat erfolgreiches Lernen in der Regel die fremdgesetzten Ziele der pädagogischen Institutionen unserer Gesellschaft erreicht. Das ist für Karrieren nicht unbedeutend, aber deshalb noch kein gelungenes Lernen. Hartmut Rosa (2016, S. 274) weist in Bezug auf Banduras Untersuchungen darauf hin, dass intrinsisches Interesse an einem Weltausschnitt oder Tätigkeitsbereich nicht vom Erfolg oder einer äußerlichen Belohnung abhängt, sondern von der Erfahrung etwas bewirken zu können. Das Gelingen bezieht daher das Subjekt im Sinne seiner Selbstwirksamkeitserfahrung ein, ist ein Glücken, ein Vermögen menschlicher Handlungsfähigkeit, das sich selbstbestimmte Ziele gesetzt hat und diese realisieren kann.

Für Ernst Bloch (1976, S. 356) ist das »Summum bonum« die »völlig gelungene Erscheinung des Gelungenen«. Dass diese in der modernen Gesellschaft nur wenig Anerkennung findet, liegt an deren Erfolgsvernarrtheit (Schulze, 2006, S. 182); was zählt im Kapitalismus, ist in erster Linie das Geld. Wenn auch nicht in der Alltagspraxis unserer extern motivierten Leistungsgesellschaft, aber doch in philosophischen Reflexionen über ein gelungenes Leben, spielt der Begriff des Gelingens explizit oder dem Sinn nach eine bedeutende Rolle. Im Kern geht es dabei immer um die Möglichkeit eines selbstbestimmten und verantwortungsvollen Lebens.

Sören Kierkegaard (1993) unterscheidet in dieser Hinsicht in seiner Konzeption existenziellen Gelingens die ästhetische Existenzweise der in der Unmittelbarkeit verhafteten Lebensform des unreflektierten Genusses von der ethischen Existenzweise, die sich in einer Doppelreflexion von ihrer Unmittelbarkeit distanziert und sich ihre bisherige oder eine alternativ mögliche Lebensform bewusst aneignet.1 Ein gelingendes Leben beruht also auf einer Doppelbewegung der Selbstdistanzierung und der Selbstwahl. Ähnlich sieht es Martin Heidegger in seiner Schrift »Sein und Zeit« (2001); dieser unterscheidet die uneigentliche Verfallenheit an das allgemeine »Man« mit seinem Gerede von der Eigentlichkeit einer Existenz, die auf einer Entschlossenheit beruht und sich in einem Entwurf, einer Selbst-Wahl sowie einem Dasein als Sorge ausdrückt. Für Letzteres ist vor allem auch das Mitdasein der Anderen von Bedeutung. Adorno (1982) glaubte hingegen nicht, dass es ein richtiges Leben im falschen geben könne, und sieht ein gelingendes Leben einzig im Standhalten vor dem unversöhnten Zustand der allgemeinen Negativität. Ihm ging es, seit er 1944 mit Max Horkheimer die »Dialektik der Aufklärung« (1990) verfasst hatte, vor allem darum, den allgemeinen Entfremdungszustand, den Bann, unter dem alles Lebendige steht, zu durchschauen, um wenigstens Ansatzpunkte einer versöhnten Praxis zu erkennen. Der versöhnte Zustand bleibt ihm allerdings Utopie und »hätte sein Glück daran, daß in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des Heterogenen wie des Eigenen« (Adorno, 1982, S. 192). Erfüllung – mindestens im Augenblick – findet dennoch der, dessen Tun gelingt.

Die vierte Generation der Kritischen Theorie steht der Möglichkeit des Gelingens nicht mehr ganz so kritisch gegenüber wie die Gründerväter angesichts der Weltkatastrophe 1944. Mit Bezug auf Adorno stellt Seel (2004, S. 36) daher fest, »dass von gelingender Praxis streng genommen erst die Rede sein dürfte, wo sich das menschliche Tun und Lassen nicht mehr primär als Zweckverfolgung, sondern als primär selbstzweckhafte Tätigkeit vollziehen würde«. Rosa (2016, S. 59; Hervorh. i. Original) sieht die wesentliche Dimension eines gelingenden Lebens dann ebenfalls in der Qualität der Weltbeziehungen, »die durch die Etablierung und Erhaltung stabiler Resonanzachsen gekennzeichnet ist, welche es den Subjekten erlauben und ermöglichen, sich in einer antwortenden, entgegenkommenden Welt getragen oder sogar geborgen zu fühlen«. Lassen wir es dahingestellt sein, ob die Welt sich seit dem Zweiten Weltkrieg in einer so grundsätzlichen Weise geändert hat, dass sie statt der Entfremdungserfahrung stabile Resonanzbeziehungen zulässt.

Egal wie ein Gelingen auch bestimmt wird, eine Bedingungsanalyse des gelingenden Lebens würde auf jeden Fall – das zeigen alle Autoren – die menschliche Handlungs-, Reflexions- und Entscheidungsfähigkeit ins Zentrum rücken. Wenn Qualität, wie wir gerade sahen, das menschliche Vermögen des Gelingens ist, gelingt ein Leben, wenn es Lebensziele hat, die in Werten begründet sind, die nicht nur für den Einzelnen, sondern für die Gemeinschaft als Ganze von Bedeutung sind. Ronald Dworkin (2012, S. 332 ff.) fragt deshalb, welche Art Werte mit einem gelungenen Leben verbunden sind. In seiner Antwort unterscheidet Dworkin Produktionswerte und Leistungswerte. Mit dem Produktionswert ist gemeint, dass es einem Menschen gelingt, etwas zu schaffen, das material vorliegt und das Leben aller durch einen dauerhaften Wert bereichert. Louis Pasteur hat zum Beispiel entscheidende Beiträge zur Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten durch Impfung geleistet, und Ludwig van Beethoven hat neun geniale Sinfonien komponiert. Das ist vielleicht nicht für jeden von uns mal kurz zu machen. Aber jeder von uns kann etwas beitragen dazu, dass unsere Gesellschaft etwas besser und etwas gerechter wird. Darin sieht Dworkin den Leistungswert eines Lebens und meint damit, dass der Einzelne etwas schafft, was von Bedeutung für die Gesellschaft ist, in der er lebt, was also für den verallgemeinerten Anderen bedeutsam und wichtig ist. Bei einem Leistungswert geht es um mehr als nur um mich selbst; der Andere, der Mitmensch spielt hier die entscheidende Rolle. Die Qualität einer Leistung besteht darin, dass sie anderen nutzt, ihnen hilft, sie bereichert – im ethischen, nicht im materiellen Sinne. Dafür ist es zwingend, dass wir das Gute um seiner selbst willen anstreben und nicht nur wegen eines äußeren Zwecks seiner unmittelbaren Folgen, schon gar nicht wegen des rein individuellen Nutzens. Wir können davon ausgehen, dass diejenigen, die in der Bildung, Beratung und Sozialen Dienstleistung beschäftigt sind, einen bedeutsamen Nutzen für andere und für das Gemeinwesen schaffen. Deshalb stellt sich konsequenterweise gerade hier die Frage nach der Qualität ihres Tuns. Qualität bei personenbezogenen Leistungen ist immer ethisch im realen Gemeinsamen fundiert.

Wenn man das Gelingen also auf die menschliche Handlungsfähigkeit bezieht, dann geht es darum, ob es einem Individuum gelingt, auf der Basis einer reflektierten Entscheidung seine verallgemeinerbar bedeutsamen Ziele und damit seine Identität bewusst zu realisieren. Die Frage des Gelingens und respektive des Misslingens ist damit ein grundlegender Aspekt der menschlichen Persönlichkeitsentwicklung. Eine Grundbedingung gelingenden Lebens ist daher eine unter wie immer günstigen oder widrigen Umständen des Daseins gelingende Selbstbestimmung in weltoffener Perspektive (Seel, 1999, S. 126 f.). Adorno (1970) spricht in einem kleinen Text über Paul Valéry von einer Autorität des Gelingens. Wie wir im Folgenden noch sehen werden, ist es oft die Kunst, die uns ein Exempel des Gelungenen als Vorschein des guten Lebens gibt. Daher ist es ganz in Adornos Sinne, den Ausdruck auch für unseren Kontext zu interpretieren. Was könnte das Autoritative am Gelingen sein? Vermutlich, dass es eine Figur, eine Konstellation, ein Modell (alles Begriffe, die für Adorno in unterschiedlichen Kontexten eine wichtige Rolle spielen) für ein befreites Leben, für einen Zustand der Versöhnung des Menschen mit der Welt abgibt. Deshalb kann Rosa (2016, S. 482; Hervorh. i. Original) schreiben: »Wo Menschen Schönheit erfahren, erfahren sie die Möglichkeit einer gelingenden Beziehung zur Welt und damit reales Glück«.

»Die Qualität individuellen Lebens ist eine Sache existenziellen Gelingens, für das es keine Garantien gibt« (Seel, 1999, S. 216). Die Nichtdeterminiertheit, die Unbestimmtheit, die Offenheit der Situationen, in denen wir uns bewegen, ist kein Hindernis, sondern die Voraussetzung des Gelingens, was immer die Möglichkeit des Misslingens einschließt. Daher darf das Gelingen nun nicht selbst zum äußerlichen Erfolgsdruck sich entfremden. Es ist eine falsche Annahme, dass mit der Gestaltung des Lebens und des eigenen Selbst zwangsläufig eine Perfektionierung verbunden ist. Ein Gelingen ist nicht programmierbar; es führt als mögliche andere Seite immer ein Scheitern mit sich. Es geht nicht um den Ausschluss von Widersprüchen und Risiken; auch diese gehören zum Leben dazu. »Dem Gelingen muss das Misslingen gleichberechtigt zur Seite stehen, um das Selbst nicht auf das Gelingen festzulegen und es nicht unter Erfolgszwang setzen zu lassen« (Schmid, 1999, S. 77 f.). Zu den Paradoxien der Erfüllung – die Seel (2006, S. 27 ff.) beschreibt – gehört es eben nicht zwangsläufig, dass sich die wichtigsten Lebensziele eines Individuums tatsächlich erfüllt haben; viel bedeutender ist, dass man sie anstrebt und darin sein Leben insgesamt bejaht. Ein Gelingen ist also nicht allein bereits durch das eigene Streben sichergestellt; es kommt viel Unwägbares hinzu. Man hat es nicht allein in der Hand; zum strebenden Bemühen muss – wie es Adorno (1974, S. 287) metaphorisch formuliert – ein »Akt der Gnade« hinzukommen.

Trotzdem gilt, dass Gelingen sich in Handlungsfähigkeit realisiert. »Das Können des Subjekts besteht darin, etwas gelingen zu lassen, etwas auszuführen. Vermögen zu haben oder ein Subjekt zu sein bedeutet, durch Üben und Lernen imstande zu sein, eine Handlung gelingen lassen zu können« (Menke, 2013, S. 13). Die Gelingensfähigkeit entspricht daher dem Niveau der individuellen Handlungsfähigkeit. Unterstellt, dass Handlungsfähigkeit das erste menschliche Lebensbedürfnis ist (Holzkamp, 1983, S. 243), dann ist die Tatsache, dass eine Handlung gelungen ist, der wesentliche Indikator für eine entwickelte Handlungsfähigkeit, mithin Persönlichkeit des Handelnden. Insofern als die eigene Existenz für ein Individuum logischerweise das erste Existenzbedürfnis ist, dreht sich das ganze menschliche Leben um das Gelingen. Deshalb unterscheidet auch Klaus Holzkamp die menschliche Handlungsfähigkeit begrifflich in eine restriktive Variante, die in der Anpassung an die bestehenden Verhältnisse besteht, und eine verallgemeinerte Variante, die sich in dem Versuch realisiert, gemeinsam mit anderen seine Verfügung über die individuell bedeutsamen gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu erhöhen.

Da ein gelingendes Leben sich nicht in der Realisierung unmittelbarkeitsverhafteter Augenblicksinteressen erschöpft, bezieht sich ein Gelingen immer auf ein verallgemeinerbares qualitativ Gutes, das wir bereits näher als ein selbstbestimmtes Leben in einer gerechten Gesellschaft (Eudaimonia) kennengelernt haben. Dass Gelingen von Glücken kommt, haben wir etymologisch nachverfolgt, und dass Gelungenes zum Glück beiträgt, war schon eine frühe Einsicht. Platon (2004c, S. 119, 433 St.) stellt deshalb auch einen Zusammenhang zwischen dem Schönen und dem Gelungenen her. Das Glück, das in der Begegnung mit dem Schönen aufscheint, besteht in der gelungenen Verwirklichung von praktischen und ethischen Kompetenzen – von Platon und Aristoteles auch Tugend genannt. »Schönheit und Glück bezeichnen die ästhetische und ethische Seite des Gelingens«, stellt Christoph Menke (2013, S. 43) deshalb fest. Gelungenes erkennt man auch an seiner schönen Form. Deshalb sind Stilfragen beim sozialen Handeln von so großer Bedeutung.

Gelingen setzt voraus, seines eigenen Lebens mächtig, nicht fremden Bestimmungen ausgeliefert zu sein, nicht austauschbar, nicht nur ein Beliebiger zu sein. Gelingen ist ein Können; es bedarf der Könnerschaft. Diese besteht in der Fähigkeit, etwas gelingen lassen zu können. Die Entwicklung von Handlungsfähigkeit impliziert daher »einen Zuwachs jenes Machtgefühls, welches alles Gelingen mit sich bringt« (Nietzsche, 1980a, S. 33). »Dieses ›Gelingen‹ (nicht irgendeinen objektiv meßbaren Erfolg) registrieren wir im ästhetischen Empfinden als Lustgefühl« (Lehnerer, 1994, S. 72). Immer wieder steht die Kunst Pate, wenn es um die Erfahrung des Gelingens geht. »An Werken der Kunst kann man […], wenn sie gelungen sind, exemplarisch erkennen, wie menschliche Arbeit abläuft, die ohne durchgängigen Zwang und Gewalt zu glücken vermag. Kunstwerke sind entsprechend für Erkenntnis und Wissenschaft ein (bisher weitgehend ungenutztes) Reservoir exemplarischer Methoden freien Gelingens« (Lehnerer, 1994, S. 140). Welche Komponenten die Gelingensfähigkeit im Kontext der Organisations- und Qualitätsentwicklung wesentlich ausmachen, wird im abschließenden 6. Kapitel herausgearbeitet.

Das Gelingen einer Handlung zeigt sich auf zwei Ebenen. Neben der Erreichung eines selbstbestimmten inhaltlichen Zieles, das mit der Handlung angestrebt wurde, geht es vor allem um die Realisierung eines Handlungssinns, der aus der Perspektive des handelnden Subjekts mit der Handlung verbunden ist. Gelingen ist wesentlich Sinnerfüllung. Deshalb können wir am Gelingen sachliche, soziale und zeitliche Sinndimensionen (Luhmann, 1991, S. 112 ff.) unterscheiden: Sachlich hat Gelingen einen Problembezug; Gelingen ist dann daran zu erkennen, dass es zu einer Problemlösung in der inhaltlich behandelten Thematik kommt. Sozial hat Gelingen einen Gemeinschaftsbezug; Gelingen ist in dieser Hinsicht daran zu ermessen, dass etwas geleistet wurde, das zu einem gerechten und demokratischen Zusammenleben beiträgt. Zeitlich arbeitet Gelingen mit einer Vorher-Nachher-Differenz; Gelingen ist in dieser Hinsicht daran festzumachen, dass das gegenwärtige Handeln einen positiven Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft markiert.

Dass eine Handlung zu einem guten Gelingen geführt hat, erkennt man also daran, dass 1. mit ihr ein subjektiver Sinn realisiert wurde, in dem das handelnde Subjekt sich selbst wiedererkennt, 2. eine gemeinschaftsförderliche Leistung erbracht wurde, die 3. wirklich gebraucht wird und von so hochwertiger Qualität ist, dass sie für den Handelnden und seine Zielgruppe einen bedeutsamen positiven Unterschied macht.

1.3 Begründete Maßstäbe für die Praxis

»Jeder Tätigkeit […] wohnt ein eigener standard of excellence