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Das Geheimnis des Big-Five-Systems ist gelöst. Doch zu welchem Preis? Eine dunkle Bedrohung zieht herauf, der alles Leben zum Opfer fallen könnte. Sam und seine Gefährtin Lariana wollen den drohenden Untergang unbedingt verhindern. Einst gehörten sie verfeindeten Kräften an, doch diese Kategorien zählen für sie nicht mehr. Mit der Aktivierung des Quantumschreins tritt eine Macht auf den Plan, die die gesamte Galaxis auslöschen könnte. Während sie verzweifelt versuchen, einen Kontakt zu den Geheimnisvollen herzustellen, werden sie von ihren ehemaligen Verbündeten gejagt. Kann Sam die Katastrophe noch rechtzeitig verhindern? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Dies ist der dritte und letzte Teil der Quantumreihe.
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Seitenzahl: 547
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<Quantumtod>
<Quantumtod>
<Tilo Linthe>
Impressum
Copyright: Tilo Linthe
Jahr: 2023
ISBN: 978-9-403-70689-4
Verlagsportal: meinbestseller.de
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig
Kapitel 1
Eine Erschütterung weckte Lariana. Sie stemmte sich aus ihrem Kontursessel hoch. Sam stand mit dem Rücken zu ihr und bewegte sich nicht. Der Bildschirm, auf dem sie vor wenigen Stunden noch die rötliche Silhouette Slivvers gesehen hatte, war verschwunden. Es wirkte leicht verstörend, Sam reglos in der Mitte der goldenen Sphäre stehen zu sehen, die sie wie ein schützender Kokon umgab. Sie wusste, dass er sie mit seinen Gedanken steuerte. Trotzdem war seine Reglosigkeit unheimlich.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte sie und rieb sich die Augen. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, als hätte sie gerade einen Marathonlauf hinter sich. Die letzten Tage waren nicht nur mental anstrengend gewesen.
Sam drehte seinen goldenen Kopf zu ihr. „Du bist wach“, konstatierte er das Offensichtliche. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen wie ein Sonnenstrahl, der sofort wieder hinter dicken Wolken verschwand. „Wir sind fast da.“
Unmut regte sich in Lariana. Sam hatte ihre Frage nicht beantwortet. Tod und Auferstehung auf Slivver hatten ihn verändert. Seine Unsicherheit war verschwunden und er beantwortete Fragen selten direkt. Von seiner träumerischen Art, seinen Selbstzweifeln und der Unbeholfenheit, die sie so süß gefunden hatte, war nichts geblieben.
Wieder ging eine Erschütterung durch den Boden, heftiger diesmal. Es prasselte wie Hagel auf ein Autodach.
„Was ist das?“, fragte Lariana beunruhigt.
„Wir werden beschossen.“
„Von wem?“
Noch so eine Eigenschaft, die ihr nicht gefiel: Neuerdings musste sie ihm jede Antwort aus der Nase ziehen. Sam wirkte so, als wäre er abgelenkt und müsste sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren.
„Die Vinculan haben immer noch Schiffe bei der Konvergenzstation. Sie wollen verhindern, dass wir anlegen. Aber sie können es nicht. Dazu ist ihre Technik nicht in der Lage.“
„Kannst du mir ein Sichtfenster machen?“, fragte Lariana. In ihrer Stimme klang Unmut mit: Darauf hätte Sam eigentlich selbst kommen können, aber bemerkte er diese zwischenmenschlichen Feinheiten überhaupt noch?
Er drehte ihr seinen Kopf zu. Lag Irritation in seinem Blick? Lariana hatte den Eindruck, dass er wie aus weiter Ferne zurückkehrte in die vielleicht sieben Meter durchmessende Sphäre. Seine Augen wurden klar. „Natürlich. Entschuldige.“ Er richtete seine Hand wie beschwörend auf die makellos goldene Wand. Die Oberfläche kräuselte sich – und verschwand. Dahinter erschien die rötliche Oberfläche Slivvers. Der gekrümmte Horizont erstreckte sich über das gesamte Sichtfeld des Fensters. Sie mussten dem Planeten bereits sehr nahe sein. Eine Schlucht kam in Sicht, die sogar aus dem Weltraum gigantisch wirkte und am Äquator den gesamten Planeten in zwei Hälften zerschnitt. Am Boden der abfallenden Wände zog sich ein milchig weißer Streifen entlang. Darunter befand sich eine dschungelartige Welt, die an das altehrwürdige Zeitalter erinnerte, als die Saurier die Erde beherrschten. Der wichtigste Unterschied war der Quantumschrein, der sich inmitten der endlosen Farnwälder befand.
„Sam!“
Er schaute sie an, antwortete aber nicht.
Wieder fühlte Lariana Ärger in sich aufsteigen. „Was ist auf Slivver geschehen?“
„Du warst doch dabei…“
„Ich habe gesehen, wie McQuire dich erschossen hat…“
„…und die Femtonen haben mein Selbst gerettet.“
„Aber wie?“ fragte Lariana. „Das grenzt doch an Zauberei.“
Sam seufzte. Es war die erste menschliche Regung, seit die Femtonen seinen Körper wieder zusammengesetzt hatten. „Die transzendentale Technik der Thlox nutzt Gesetzmäßigkeiten, die unterhalb der Quantenebene im Femtometerbereich gültig sind. Die menschliche Wissenschaft weiß bisher noch sehr wenig darüber.“
„Aber du weißt Bescheid?“, fragte Lariana voller Ironie.
„Nein. Ich verstehe die Technik nicht. Ich kann die Femtonen nur ein wenig steuern. Mehr nicht.“
„Und diese Femtonen sind kleine Maschinen, die eine Art Schwarmbewusstsein haben.“
Sam nickte. „Sie umgeben, bewegen und durchdringen alles.“ Seine Stimme klang salbungsvoll, als würde er einen Glaubenssatz rezitieren.
Plötzlich wirkte Sam abgelenkt. Ein schwarzes Raumschiff mit langen Stacheln zog am Sichtfenster vorbei. Ein Lichtblitz blähte sich zu einer rötlichen Kugel auf. Die goldene Kapsel flog eine enge Kurve. Lariana spürte, wie sie durch die Fliehkraft zur Seite gedrückt wurde. Zum Glück war sie im Kontursessel angeschnallt, fragte sich aber, warum Sam nicht gegen die runde Innenwand geschleudert wurde. Irgendein Effekt verhinderte das. Die rötliche Kugel blähte sich immer weiter auf. Obwohl Sam versuchte auszuweichen, gelang es ihm nicht ganz. Die Kapsel vibrierte, als sie durch die anbrandende Energie flog.
„Was ist passiert?“
„Die Vinculan haben eine Rakete in unserer Flugbahn zur Explosion gebracht. Wie schon gesagt: Ihre Technik kann uns nichts anhaben.“
„Diese insektenartigen Wesen, die du in deinen Visionen gesehen hast …”
„Die Thlox“, unterbrach Sam.
„… die haben die Femtonen geschaffen?“, kam Lariana wieder auf ihr ursprüngliches Thema zurück.
Sam nickte. „Die Thlox hatten den unstillbaren Drang, die dunklen Abgründe zu überwinden. Sie erschufen die Femtonen, die die Lebensinseln auf der Quantenebene miteinander verschränken. Sie ermöglichen den SPRUNG.“
„Was ist aus ihnen geworden?“
„Ich weiß es nicht.“
Plötzlich gab es einen Knall. Die Sphäre wurde hin- und hergeworfen und dröhnte wie ein angeschlagener Gong. Lariana krallte sich an ihrem Kontursessel fest. Sam blieb in der Mitte des Raumes stehen wie festgewachsen.
Endlich stabilisierte sich die Kapsel wieder.
“Was war das?”, fragte Lariana scharf. Es fühlte sich nicht so an, als könnten die Vinculan ihrer Transportkapsel nichts anhaben.
„Eine Rakete hat uns getroffen, der ich nicht rechtzeitig ausweichen konnte. Das ist aber nicht unser Problem.“
Bevor Lariana fragen konnte, änderte sich das Bild im Fenster. Die rötliche Wölbung des Planeten kam rasend schnell näher. Ein goldener Punkt erschien, wurde immer größer und nahm die Form einer Raumstation an. Von einem großen Rad gingen vier s-förmig gewölbte Speichen aus und verbanden es mit einem kleineren Rad, das ein wenig abstand. Die Station drehte sich um die eigene Achse und erzeugte auf diese Weise künstliche Schwerkraft. Es gab viele dieser Raumstationen. Sie waren überall im Big-Five-System verteilt. Die meisten waren in der Umlaufbahn über einem Planeten platziert, manche in der Nähe von Asteroidenfeldern. Eine Station befand sich sogar innerhalb des Sterns, der mit seinem Licht diesem System Wärme und Leben schenkte. In ihnen gab es Portale, die den SPRUNG ermöglichten.
Normalerweise glänzten die Konvergenzstationen in makellosem Gold, doch der goldene Tempel um Slivver, wie die Vinculan die Stationen nannten, war übersät von hässlichen dunklen Flecken.
„Ist Synthmetall nicht nahezu unzerstörbar?“, fragte Lariana. Das Gefühl drohenden Unheils senkte sich auf sie herab, während sie zuschaute, wie die Flecken sich wie hässlicher Rost in eine blanke Metallplatte fraßen.
Sam nickte. „Das dachte ich auch. Da haben wir uns wohl geirrt.”
„Als wir von der Oberfläche losgeflogen sind, um der Flotte des Konsistoriums zu helfen – war die Station da auch schon befallen?”
„Ich weiß es nicht. Ich war zu sehr damit beschäftigt, die beiden Flottenverbände zu verfolgen. Ich habe nicht auf die Station geachtet.”
Sams Stimme klang angespannt, was Larianas innere Unruhe nur verstärkte. An einer Stelle brach ein großes Stück aus dem Rumpf und verstärkte die Trümmerwolke, die sich wie ein Schild um die Raumstation gelegt hatte. Ein Teil des kleineren Rads hatte sich von den Verbindungsstreben gelöst und hing schief. Auf der Innenseite des großen Rads war ein großes gezacktes Loch, durch das man in die Räume und Hangars hineinsehen konnte wie in die Innereien eines halb verwesten Tiers.
„Die Station stirbt“, sagte Sam.
„Wo ist der Portalraum?“, fragte Lariana.
Wortlos zoomte Sam mit einem Gedankenbefehl näher an die sterbende Station heran. Ein Ausschnitt des größeren Rads füllte nun das Sichtfenster aus. Ein roter Punkt leuchtete am Rumpf auf und begann zu pulsieren.
„Das ist ziemlich nah an diesem großen Loch.“
Immer wieder lösten sich Fragmente und segelten davon. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Zerstörung den pulsierenden Punkt und damit den Portalraum erreichen würde.
„Wir müssen uns beeilen, bevor das Portal versagt“, sagte Sam.
Wieder ging ein heftiger Ruck durch die Sphäre, der Lariana fast aus ihrem Sitz warf. Der Innenraum verkleinerte sich. Kurz musste Lariana einen klaustrophobischen Anfall unterdrücken, als die Wände näher rückten. Sie wusste, dass Sam mit einem Gedankenbefehl die Form und Größe der Kapsel verändern konnte. Tief in ihr drinnen schrie ihr eine Stimme zu, die Flucht zu ergreifen. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag etwas verlangsamte und sie ruhiger wurde. Als sie wieder aufsah, bewegten sich die Wände nicht mehr. Die ovale Form der Kapsel war geblieben. Sie hatte allerdings nur noch einen Durchmesser von vielleicht drei Metern. Es war ziemlich eng.
„Du ziehst besser den Raumanzug wieder an“, sagte Sam.
Sie schaute sich um, sah aber nur ihren eigenen. „Und was ist mit dir?“
„Ich brauche keinen. Die Femtonen schützen mich.“
Lariana konnte das Lächeln auf seinen Lippen nicht recht einordnen. War er froh, weil sie sich Sorgen um ihn machte oder fand er es belustigend, weil sie so wenig über die Femtonen wusste? Resolut stand sie auf und legte den Anzug an. Das lenkte sie wenigstens von ihren fruchtlosen Gedanken ab. „Was hast du mit den Wänden gemacht? Warum ist die Kapsel plötzlich so klein?“
„Ich habe eine zweite Halbschale vor uns ausgebildet.“
„Wozu?“
„Als zusätzlichen Schutz: Wie wir bei der Station sehen können, haben die Vinculan die Möglichkeit, Synthmetall zu beschädigen.“
Lariana sah wieder aus dem Fenster. Vor ihr wurde die Station immer größer. „Wieso sehe ich die Halbschale nicht? Sollte sie nicht die Sicht vor uns verdecken?“
„Ich habe sie ausgeblendet, damit du bessere Sicht hast. Schau!“
Eine große Anzahl Vinculanschiffe kam in Sicht. Die Ellipsenschiffe mit ihren charakteristischen Stacheln am Heck hatten sich locker um die sterbende Station verteilt.
„Da müssen wir durch?“
Sam nickte. „Die Schiffe sind nicht das Problem, aber das da.“ Er zeigte mit dem Zeigefinger auf die Armada. Gleichzeitig zoomte das Bild in sie hinein und eine Plattform wurde sichtbar, die zwischen den Schiffen schwebte. Sie sah aus, als hätte ein Modellierer versucht, einen Kegel zu formen, was ihm aber mehr schlecht als recht gelungen war. Die Oberfläche wirkte rissig und unregelmäßig, als hätte der Modellierer die Form nur grob aus dem schwarzen Material herausgemeißelt. Über der Oberfläche waren unzählige Antennen verteilt, die an ihren abgerundeten Spitzen jetzt violett aufleuchteten.
„Das ist gar nicht gut“, kommentierte Sam die plötzlich zum Leben erwachte Plattform.
„Was ist das für ein Ding?“
„Das scheint die Hauptwaffe der Vinculan zu sein. Eine kleinere Version davon hat ‚Rote Grütze‘ schon einmal angegriffen. Ich bin nicht scharf darauf, diese Erfahrung zu wiederholen.“
Inzwischen begannen zwischen den Antennenspitzen Lichtbögen hin und her zu tanzen. Die gewaltigen Energien flossen über die Spitze des Kegels in eine Kugel, die immer intensiver leuchtete.
„Kannst du nicht ausweichen wie den Raketen?“, fragte Lariana.
„Diese Kugel ist viel zu schnell“, erwiderte Sam nur. „Wir können nur hoffen, dass das Synthmetall uns besser schützt als die Metallhüllen die Schiffe des Konsistoriums.“
Auf dem Bildschirm sah Lariana, wie sich die letzten Lichtbögen über die Kegeloberfläche zur Spitze hocharbeiteten und in der Energiekugel verschwanden. Dann schoss sie auf die goldene Kapsel zu. Sam wich zur Seite aus, aber es nützte nichts. Selbst seine gedankenschnelle Reaktion konnte nicht verhindern, dass sie getroffen wurden. Wie von einer Faust gerammt, wurde die Kapsel zur Seite geschleudert. Es knisterte, als violette Entladungen über die Innenseite des goldenen Materials tanzten. Die Wände ächzten und knackten, als wären sie viel zu hohem Druck ausgesetzt. Endlich ließ das violette Leuchten nach, aber Lariana erschien es, als hätte der goldene Innenraum einen Teil seines Glanzes verloren. Es roch nach Ozon. Die Kapsel begann unmerklich zu vibrieren.
„Was geschieht hier?“, fragte Lariana.
„Wir wurden getroffen“, antwortete Sam lapidar. „Die Halbkugel vor uns hat die meiste Energie abgefangen, aber nicht alles.“
„Was heißt das?“
„Die Halbkugel ist verschwunden. Sie hat sich einfach aufgelöst. Unsere Kapsel ist auch in Mitleidenschaft gezogen worden. Einen weiteren Treffer überleben wir nicht.“
Die Kapsel ruckelte immer stärker. Die Beschleunigung ließ nach, um kurz wieder einzusetzen und wieder auszufallen, wie bei einem Auto mit Motorschaden.
„Wir müssen es unbedingt zur Station schaffen“, rief Lariana.
„Ich tue mein Möglichstes“, presste Sam zwischen den Lippen hervor. Lariana sah an der Anspannung in seinem Gesicht, dass es ihm alles abverlangte, die Kapsel unter Kontrolle zu halten. An den Antennenspitzen bildeten sich wieder die ersten violetten Leuchtpunkte. „Was ist das für eine Waffe, die sogar Synthmetall zerstören kann?“, fragte sie.
„Ich vermute, das ist Technik der Geheimnisvollen. Damit haben sie auch die Raumstation beschossen.“
Die Luft begann verbraucht zu riechen und es wurde kälter.
„Das Synthmetall kann die lebenserhaltenden Funktionen nicht länger aufrechterhalten. Ich empfehle, dass du deinen Raumanzug schließt“, sagte Sam.
„Was du nicht sagst“, erwiderte Lariana mit ironischem Unterton. Wie konnte er angesichts ihrer möglichen Vernichtung nur so ruhig bleiben? Mit zitternden Fingern zog sie die Kapuze über den Kopf. Das Materialgedächtnis ordnete die Moleküle so um, dass ein transparenter Helm daraus wurde, der luftdicht mit dem Rest abschloss. Sobald die Umformung und Versteifung abgeschlossen waren, aktivierte sich das Head-up-Display und zeigte das Ergebnis der Selbstdiagnose. Viele grüne Lichter signalisierten, dass alles in bester Ordnung war. Die Lüftung sprang an und blies ihr warme Luft ins Gesicht.
Inzwischen hatte sich ein weiterer violetter Energieball über dem Kegel gebildet. Sam steuerte die Kapsel scharf zur Seite, kurz bevor der Feuerball sich löste und auf sie zuschoss. Er hatte gut geschätzt – und das rettete ihnen das Leben. Die violett lodernden Energien verfehlten die Kapsel. Lariana glaubte es unheilvoll knistern zu hören, aber das konnte auch Einbildung sein, ein Resultat ihrer überstrapazierten Nerven. „Puh, das war knapp!“, kommentierte sie.
Sam antwortete nicht. Sein Gesicht war eine einzige Grimasse aus Anspannung und Konzentration.
Lariana keuchte auf, als die Kapsel nach unten wegsackte. Sie klammerte sich unwillkürlich an die Lehnen ihres Kontursessels, obwohl sie angeschnallt war. Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl zu fallen, dann legte sich das Gewicht umso schwerer auf ihren Körper, als sich ihr Gefährt wieder fing. Das Stottern des Antriebs nahm zu. An den Rändern des Bildschirms bildeten sich dunkle Flecken, die schnell größer wurden. Ein helles Knacken und Knirschen begleitete die Veränderung des Synthmetalls, als würden sich Risse durch ein Glasfenster fressen.
Etwas rieselte vor Larianas Sichtfeld vorbei, ein kleines Teilchen und landete zu ihren Füßen. An dieser Stelle trübte sich der Boden ein und verlor seine Makellosigkeit. Lariana hob den Kopf und sah, dass die dunklen Flecken auch die Decke übersäten. Von dort lösten sich immer mehr kleine Teilchen und rieselten wie Schuppen zu Boden. Auch die Wände begannen sich einzutrüben. Sie schaute nach unten. Das goldene Netz, das sie festhielt, verfärbte sich ebenfalls und begann einzelne Schuppen abzusondern.
Es knallte, als ein Stück der Wand unterhalb des Sichtfensters herausbrach und in der Dunkelheit verschwand. Ein orkanartiger Wind zerrte an Lariana und wollte sie durch das gezackte Loch herausblasen, aber das Netz hielt sie auf ihrem Sessel fest – noch. Dann verebbte der Wind so schnell, wie er entstanden war. Eine Anzeige ihres Raumanzugs sprang von Grün auf Rot und blinkte kurz, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Sie zeigte an, dass es keine Atmosphäre mehr gab und die Temperatur rapide sank.
„Wir stürzen ab“, hörte sie Sams Stimme in ihren Lautsprechern. Immer noch klang er so ruhig, als hätte er gerade verkündet, dass sie mit ihrem Kreuzfahrtschiff planmäßig im nächsten Hafen einlaufen würden. Ihm machte die fehlende Atmosphäre nichts aus. Er stand in der Mitte der Kapsel und versuchte sie auf Kurs zu halten, nicht im Mindesten davon irritiert, dass es keine Luft zum Atmen mehr gab und der Innenraum so kalt war wie der Winter in der Antarktis. Lariana empfand eine paradoxe Erleichterung darüber, dass es Sam sichtbar anstrengte, die Kapsel zur Raumstation zu steuern. Es zeigte ihr, dass er weder allwissend noch allmächtig war. Trotz seiner Fähigkeiten gab Dinge, die ihm etwas anhaben konnten. Ob die kleinen Maschinen eine Plage wie ein Virus waren oder eine Hilfe wie Antibiotika, mochte Lariana nicht entscheiden. Es regte sich aber eine Ahnung von Unheil in ihr, wenn sie an die Femtonen dachte.
„Achtung, festhalten!“, zischte Sam.
Kurz wunderte sich Lariana, wie die Schwingungen seiner Stimme durch das Vakuum ihren Weg zu ihren Lautsprechern fanden. Sie drängte den Gedanken beiseite, als auf dem Bildschirm die fleckige und von Löchern gesprenkelte Oberfläche der Raumstation immer schneller vorbeizog, während sich ihre Kapsel näherte. Das Bild bekam Aussetzer und schließlich verschwand das Sichtfenster und der arg in Mitleidenschaft gezogene Rumpf wurde sichtbar. Ein kleines Loch blieb. Lariana stellte sich vor, wie der Rumpf unter der Belastung ächzte und knarrte und kurz vor dem Auseinanderbrechen stand, aber ohne Luft als Trägermedium der Schallwellen, konnte sie natürlich nichts hören. Fragend schaute Lariana zu Sam, aber der schüttelte nur den Kopf. Er hatte offenbar nicht veranlasst, dass das Fenster verschwand. Ob es eine Fehlfunktion oder eine automatische Sicherheitsmaßnahme der Kapsel war, konnte Lariana nicht sagen.
Wieder sackte die Kapsel durch. Diesmal fing sie sich nicht wieder ab. Das Gefühl des Fallens blieb. Lariana krallte sich so fest, dass es schmerzte. Irgendetwas knirschte, dann gab es einen Schlag, der Lariana in ihrem Haltenetz hin- und herriss. Seltsam lautlos wegen der fehlenden Atmosphäre, löste sich ein großes Stück der runden Decke über ihr. Durch das so entstandene Loch konnte sie deutlich das Schwarz des Weltraums mit seinen funkelnden Sternen sehen. Sie fragte sich, wie eine sich anbahnende Katastrophe mit einer solchen Erhabenheit und Majestät verbunden sein konnte, die durch das Loch auf sie einstrahlte. Die Kapsel hüpfte auf und ab und Larianas Kopf schlug immer wieder hart gegen die Kopfstütze.
Mit einem heftigen Schlag prallte die Kapsel auf die Oberfläche und rutschte einige Meter weit über den Rumpf der Raumstation, bis sie endlich zum Stehen kam.
Die unnatürliche Ruhe, die das Chaos begleitete, ließ in Lariana ein Gefühl der Unwirklichkeit entstehen. In ihren Ohren fiepte es. Benommen hob sie ihren Kopf. Sam stand neben ihr und schaute sich um. Das Gefühl von Unwirklichkeit verstärkte sich, als sie ihn ohne jeden Schutz gegen das Vakuum und die Kälte des Weltraums dort stehen sah.
„Wir müssen hier weg“, sagte er. Seine Stimme klang zwar immer noch ruhig, aber eindringlich. Mit einer Handbewegung versuchte er das Haltenetz verschwinden zu lassen, aber nichts passierte. Es hatte sich mittlerweile komplett eingetrübt.
Lariana versuchte sich aus eigener Kraft zu befreien, aber das Netz war zu stark. Sie kam nicht los. Panik stieg ihre Kehle hinauf und drohte sie zu überwältigen. Das klaustrophobische Gefühl kam wieder hoch, als ihr klar wurde, dass aus dem Schutz plötzlich Gefangenschaft geworden war. Die Beunruhigung auf Sams Gesicht besänftigte ihre Gefühle auch nicht. Kurz schloss Lariana die Augen und atmete einige Male tief ein und aus. Das half ein wenig. Als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie, wie Sam abermals seine Finger ausstreckte. Diesmal berührte er das Haltenetz sogar und seine Anstrengungen erzielten einen Effekt: Die Maschen kräuselten sich und ein Teil des Netzes verschwand. Das so entstandene Loch reichte aus, damit sich Lariana aus dem Kontursessel zwängen konnte.
Erleichtert drehte Sam sich um und konzentrierte sich auf die gekrümmte Wand. Durch das Synthmetall ging eine träge Bewegung als würde ein leichter Wind es wie eine Wasseroberfläche kräuseln. Dann erstarrte es wieder, ohne eine Öffnung gebildet zu haben.
„Wir müssen hier raus. So schnell wie möglich“, sagte Sam und blickte Lariana ratlos an.
„Dann lass es uns auf die herkömmliche Weise versuchen.“ Sie deutete nach oben. Das Sichtfenster war verschwunden, aber das Loch war immer noch da und bot nun einen Ausweg.
Sam nickte und stieß sich vom Boden ab. Er klammerte sich am Rand des gezackten Lochs fest, aber das Material war zu porös, um ihn zu tragen. Es brach unter seinen Händen einfach ab und Sam fiel in einer Wolke aus Trümmern wieder zu Boden. Er stand auf und klopfte seinen nackten, makellos goldenen Körper ab. Die Geste wirkte so beiläufig und banal, dass Lariana lächeln musste. „Was nun?“
„Vielleicht ist der gesamte Rumpf so porös, dass wir ein Loch hineinschlagen können.“
Sam ging zu einer Stelle, wo der Rumpf seine Makellosigkeit großflächig eingebüßt hatte. „Hier ist der Verfall am weitesten fortgeschritten. Wenn wir irgendwo durchbrechen können, dann hier.“ Sam schlug mit der Faust dagegen. Ganze Teile brachen heraus und ein großes Loch entstand.
Lariana wollte ihm helfen, aber Sam hielt sie zurück: „Die Zacken sind scharf wie Glassplitter“, warnte er. „Daran könntest du dir den Schutzanzug aufschlitzen.“
Unwillig trat Lariana einen Schritt zurück. Sie wusste, dass Sam nur besorgt um sie war. Dennoch empfand sie es als Bevormundung. Noch weniger gefiel ihr, dass sie untätig blieb und nur zuschauen konnte, wie Sam das Loch allmählich vergrößerte, während die Kegelplattform eine weitere Energiekugel produzierte. Immer wieder gab es Stellen, die zu fest waren und durch Muskelkraft allein nicht nachgeben wollten. Dann probierte Sam es an einer anderen Stelle. Schließlich war das Loch groß genug, dass er sich hindurchzwängen konnte und streckte ihr von außen eine Hand entgegen. „Wir müssen uns beeilen. Der Kegel ist fast wieder aufgeladen.“
Lariana musterte die scharfkantigen Ränder misstrauisch. „Das Loch ist zu klein. Mit dem Anzug passe ich nicht da durch.“
„Doch, du schaffst das.“
„Glaub mir: Das ist zu eng.“
Sam seufzte und streckte seine Hand aus. Sein Gesicht verzerrte sich in Konzentration, aber nichts passierte. „Das Synthmetall ist tot. Ich kann es nicht mehr hören und das Loch zu vergrößern bleibt nicht genug Zeit. Jetzt komm schon!“
Lariana zögerte. „Verschwinde von hier. Warum sollen wir beide draufgehen?“
Sam schüttelte heftig den Kopf. „Ich lasse dich nicht im Stich!“
Es war das erste Mal, dass Sam mit Leidenschaft in der Stimme sprach, seit sie vom Planeten Slivver aufgebrochen waren. Es schmeichelte ihr, dass sie der Grund dafür war.
„Der Anzug hat doch eine Reparaturfunktion. Du musst es versuchen.“ Sam streckte ihr seine Hand entgegen, fordernd und verzweifelt zugleich.
Lariana schlug das Herz bis zum Hals. Wann feuerte die Kegelplattform endlich? War nicht schon viel zu viel Zeit vergangen? Aber wie zuverlässig war schon ihr Zeitgefühl?
„Los! Du musst dich beeilen!“, rief Sam.
Sie sah, dass er sich nicht ohne sie zur Flucht bewegen lassen würde und ergriff seine Hand. Sofort begann Sam sie mit unwiderstehlicher Kraft herausziehen. Sie spürte, wie ihr Anzug irgendwo hängenblieb. „Warte!“, rief sie und schaute kurz an sich herab. Eine messerscharfe Spitze bohrte sich in den Anzug. Sofort sprangen rote Lichter in ihrem Head-up-Display an und blinkten heftig. Eine Alarmsirene ertönte, aber Sam zog sie weiter nach draußen.
Ein heißer Schmerz durchzuckte Lariana, als sich das spröde, aber scharfe Material in ihre Seite bohrte. Es war ein eigenartiges Gefühl, gleichzeitig die Hitze des Schmerzes und die Kälte des Weltraums zu fühlen. Ihre Gedanken vernebelten sich, während der Luftdruck in ihrem Anzug abfiel. Wie aus weiter Ferne sah sie die roten Lichter immer hektischer blinken.
So viel zum Thema Selbstreparatur, dachte sie. Allein dem Schmerz war es zu verdanken, dass sie nicht in Ohnmacht fiel. Oder war es diesen goldenen Körpern geschuldet, die ebenfalls der Femtonentechnik entstammten und widerstandsfähiger waren als jeder menschliche Körper?
Dann war das Messer plötzlich verschwunden. „Selbstreparatur eingeleitet“ ertönte eine Automatenstimme in ihrem Helm.
Immer noch benommen schaute Lariana wieder nach unten. Der Anzug war über einen beachtlichen Teil aufgerissen. Jetzt bildete sich Schaum, der über das aufgerissene Material quoll und schnell aushärtete. Die Anzeigen im HUD wechselten von Rot auf Orange und hörten auf zu blinken.
„Schnell!“, rief Sam. Lariana hörte seine Stimme nur gedämpft wie durch Watte und spürte, wie sie fortgezerrt wurde. Sie stolperte, aber der eisenharte Griff von Sams Hand riss sie hoch und zog sie weiter, fort von der Kapsel. Lariana blickte nach oben. Zwischen den funkelnden Sternen sah sie einen weiteren aufleuchten. Er war violett und wurde immer heller, formte sich zu einer Kugel, die schnell größer wurde.
Endlich klärten sich Larianas Gedanken. Sie liefen über ein goldenes Band, das sich vor ihnen nach oben krümmte und immer schmaler wurde. Es war übersät von unzähligen dunklen Flecken und Löchern. Sie waren auf der Innenseite des großen Außenrings notgelandet. Hinter ihnen lag die Transportkapsel. Sie hatte sich verformt, sah aus wie ein Ball, dem ein Teil seiner Luft entwichen war. Risse zogen sich über ihre Oberfläche. Der zerstörerische Effekt fraß sich immer schneller in das Material. Ein Kanal der Verwüstung zog sich über die Ebene, wo die Kapsel über den Ring gerutscht war. Lariana wunderte sich, dass sie nicht auseinandergebrochen war.
„Vorsicht!“, rief Sam und warf sich auf den Boden, riss sie mit sich hinab.
Lariana erhaschte einen kurzen Blick nach hinten. Die zerstörerischen violetten Energien schlugen in die Kapsel ein und verwandelten sie in Staub. Als nichts mehr von der Kapsel übrig war, fraßen sie sich wie Säure in den Rumpf der Raumstation. Bald war ein Krater entstanden, deren Ränder brodelten und schäumten. Violette Blitze zuckten über die glatte Oberfläche und sprengten goldene Stücke heraus. Die zerstörerische Energie senkte sich immer tiefer in das Synthmetall hinein. An den Rändern trübte sich die einst makellose Oberfläche ein und begann zu bröckeln.
Sam richtete sich wieder auf und zerrte Lariana mit sich, aber es war zu spät. Der Krater wurde immer größer, während der Rand wie Treibsand absackte. Lariana trat plötzlich ins Leere und schrie überrascht auf, als sie durch die Oberfläche brach wie durch morsche Bretter. Sie fiel in die Eingeweide der sterbenden Station hinab, vorbei an zerbröckelnden Korridoren, deformierten Räumen und Lagerhallen. Immer mehr Trümmer und Staub begleiteten ihren Sturz, als sich die Station in ihre Bestandteile auflöste. Es war das reinste Chaos.
Eine Ebene beendete jäh ihren Sturz, die offenbar noch nicht von diesem merkwürden Zerfall betroffen war. Lariana kam hart auf. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihre Beine. Sie kauerte sich zusammen und legte schützend die Arme über ihren Helm. Ein Regen aus Schutt prasselte auf ihren Raumanzug. Das meiste Zeug war harmlos, aber manche Brocken bohrten sich schmerzhaft in ihren Rücken und ihre Seite. Konnten sie so scharfkantig sein, dass die Stücke das Material ihres Raumanzugs aufschlitzten? Lariana ächzte unter dem schmerzhaften Schlag eines besonders großen Brockens. Allmählich bedeckte sie ein Berg aus Schutt und der Raumanzug gab wieder Warnsignale von sich, die schnell wieder verstummten. Vermutlich war die Elektronik so sehr beschädigt, dass die Signale nichts zu bedeuten hatten. Noch konnte sie jedenfalls atmen und hatte nicht das Gefühl, dass die Luft dünn wurde.
Endlich ließ der Regen aus Schutt und Staub nach. Vereinzelt rieselten noch kleine Stücke herab. Vorsichtig hob Lariana den Kopf. Ächzend stemmte sie sich hoch und blickte sich um. Es sah aus, als hätte ein Abrissbagger in der Lagerhalle gewütet. Der Boden war von Geröll übersät. Die Wände stachen wie anklagende Ruinen in den schwarzen Sternenhimmel. Sie befand sich am tiefsten Punkt eines Kraters, deren Wände aus den Resten bestand, die von den Räumen, Hallen und Korridoren übriggeblieben waren. Überstehende Fragmente lösten sich ab und zu und fielen in die Tiefe.
Lariana nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung war. Etwas regte sich unter einem Trümmerberg und brachte ihn ins Rutschen. „Sam!“
Ungeduldig wollte sie über die Brocken steigen, um so schnell wie möglich zu Sam zu kommen, aber der Schutt rutschte unter ihren Füßen weg und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Lariana hielt inne und zwang sich, tief durchzuatmen. Wenn sie hinfiel, schlitzte eines der scharfkantigen Brocken womöglich ihren Raumanzug auf und bei dem Gepiepe war keineswegs klar, ob die Selbstreparatur noch funktionierte.
„Sam! Hörst du mich? Geht es dir gut?“
Wieder geriet der Trümmerhaufen in Bewegung. Eine Gestalt schälte sich daraus hervor. Mit schwerfälligen Bewegungen befreite sich Sam und blickte sich um. Statt auf ihre Frage zu antworten, sagte er nur: „Wir müssen unbedingt den Portalraum erreichen.“
Lariana runzelte die Stirn, schluckte ihren Ärger aber herunter. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. „Woher willst du wissen, dass er noch da ist und funktioniert?“
Sam zuckte mit den Schultern. „Hast du eine bessere Idee?“
Lariana blickte an sich herab. Ihr Raumanzug sah aus wie ein Flickenteppich aus Stoff und Reparaturschaum. Ihre Anzeigen blinkten rot. „Sam!“
Die Dringlichkeit in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen.
„Mein Sauerstoffvorrat reicht nur noch für ein paar Stunden. Ich habe zu viel Luft verloren.“
Sam fixierte das Synthmetall, auf dem Lariana stand. Es kräuselte sich schwach, mehr geschah nicht. „Verdammt“, murmelte er, stolperte über den Schutt, der unter seinen nackten Füßen wegrutschte und ergriff Larianas Hand. „Komm!“
Sie kamen nur langsam voran. Überall versperrten ihnen Trümmerteile und abgeknickte Wände den Weg. Sam versuchte das Synthmetall dazu zu bewegen, sich vor ihnen zu öffnen, aber es gelang ihm nicht. Das Material zerfloss wie heißes Eisen und erstarrte zu bizarren Formen, die an Skulpturen eines modernen Künstlers erinnerten. Meistens geschah aber nicht einmal das, wenn Sam seine Hand wie beschwörend auf eine Wand richtete, die sich urplötzlich vor ihnen auftat und den Weg versperrte. Dann mussten sie wieder zurückgehen und einen anderen Weg suchen.
„Wie lange reicht dein Sauerstoff noch?“, fragte Sam nach einer Weile.
Lariana hatte bisher bewusst vermieden, die Anzeigen zu checken. „Er reicht noch für eine knappe Stunde.“ Als hätte der Raumanzug ihre besorgten Worte gehört, wechselte die Sauerstoffanzeige auf Rot.
„Wäre das Synthmetall nicht krank, könnte ich Sauerstoff und Wärme erzeugen“, murmelte Sam, „aber so?“
„Was machen wir, wenn das Portal nicht mehr aktiv ist?“, fragte Lariana.
„Erstmal müssen wir dorthin kommen. Dann sehen wir weiter“, erwiderte Sam, während er herabgefallene Synthmetallbrocken beiseite räumte, die einen Durchgang blockierten.
Lariana hielt sich abseits, um ihren Anzug nicht an den scharfen Kanten zu beschädigen und noch mehr ihres schwindenden Sauerstoffvorrats zu verlieren. Endlich war der Durchgang groß genug, dass sie ihn passieren konnten.
„Komm, es ist nicht mehr weit“, sagte Sam, während er Lariana über den Berg aus Trümmern half. Es war gar nicht leicht, in dem sperrigen und verschlissenen Anzug, die vielen Hindernisse zu überwinden ohne ihn noch mehr zu beschädigen. Sie war mit ihren Kräften am Ende.
Dann verschwand der Korridor vor ihnen einfach und sie standen vor einem Abgrund. Es war kein Krater, sondern es fehlte einfach ein Teil des gesamten Stationsrings. Es war, als hätte jemand ein ganzes Segment mit brachialer Gewalt herausgebrochen. Wie ein Gerippe konnte man die Korridore, Reste von Lagerhallen und Räumen sehen. In der Schwärze trieben unzählige Trümmerstücke unterschiedlicher Größe und Form.
„Die Zerstörung breitet sich immer schneller aus. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Station auseinanderbricht.“
„Lass mich raten: Wir müssen da rüber“, vermutete Lariana.
Sam nickte und zeigte nach unten.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
„Wenn du eine bessere Idee hast, bin ich für alle Alternativen offen.“
Etwa einen Meter unterhalb ihrer Position ragte ein schmaler Träger aus der Wand, der wie durch ein Wunder die geheimnisvolle Auflösung des Stationsmaterials überstanden hatte. Er führte bis hinüber zu den Resten einer ehemals sehr großen Halle. Unter dem Träger gähnte ein dunkler Abgrund, in den vereinzelte Gerüstelemente und Gestänge hineinragten.
„Das sieht nicht sehr Vertrauen erweckend aus.“ Lariana checkte ihren Luftvorrat. Ihr blieb noch etwa eine halbe Stunde. Dann überprüfte sie ihren Jetpack. Das Icon war rot. „Mein Jetpack funktioniert nicht mehr. Der Anzug ist inzwischen genauso tot wie die Station. Was ist mit deinen Kräften? Kannst du nicht irgendwas herbeizaubern, das uns hilft?“
Sam schüttelte nur den Kopf.
Lariana seufzte und ergab sich in ihr Schicksal.
„Ich gehe als Erster rüber und du folgst mir, wenn ich drüben bin“, schlug Sam vor.
„Also gut“, stimmte Lariana mit zitternder Stimme zu.
Vorsichtig ließ Sam sich auf den Träger hinab und schob einen Fuß vor den anderen. Das über den Abgrund ragende Stück trug sein Gewicht, ohne sofort nachzugeben oder zu zerbröseln. Langsam arbeitete er sich bis zur Mitte des Abgrunds vor, die Hände nach rechts und links ausgestreckt, um das Gleichgewicht auf dem vielleicht zehn Zentimeter breiten Träger zu halten. Dann endete der Träger ein gutes Stück, bevor Sam die gegenüberliegende Seite erreicht hatte. „Na toll“, murmelte er. „Das hat mir gerade noch gefehlt.“
Mit einem beherzten Sprung erreichte Sam den Boden der maroden Halle. Als er aufkam, rieselte Staub von der Abbruchkante. Kleine Stücke lösten sich, aber die Fläche hielt. Sam drehte sich um und rief: „Jetzt du!“
Lariana nahm einen tiefen Atemzug und ließ sich vorsichtig auf den Träger hinab. Sie spürte die Unebenheit durch das feste Anzugmaterial, als sie die Wand herunterrutschte. Hoffentlich wurde der Stoff nicht wieder durch eine scharfe Kante aufgeschlitzt. Vielleicht würde der Raumanzug auch diesen Riss schließen können, aber sie konnte sich einen weiteren Verlust von Sauerstoff nicht mehr leisten. Die Luft roch bereits verbraucht – oder bildete sie sich das nur ein?
Endlich spürte sie die ebene Fläche unter ihren Fußsohlen. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen.
Sam winkte ihr ermutigend zu. „Du schaffst das!“
Lariana war sich nicht so sicher. Sie blickte nach unten und sah tief unter sich einige Gestänge wie Messerspitzen nach oben ragen. Wenn sie nun abstürzte und genau auf …
„Nicht nach unten sehen! Schau zu mir!“, rief Sam zwischen ihre panischen Gedanken.
Lariana hob den Blick. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding, aber tapfer schob sie nun einen Fuß vor den anderen. Es fiel ihr nicht leicht, das Gleichgewicht in dem sperrigen und steifen Material ihres Raumanzugs zu halten. Sie hielt ihren Blick krampfhaft auf Sam gerichtet, der sie zu sich heranwinkte.
„Schön langsam und gleichmäßig einen Fuß vor den anderen setzen. Du hast es gleich geschafft.“
Inzwischen hatte sie drei Viertel des Weges hinter sich gebracht und Hoffnung keimte in ihr auf, als sie ein leichtes Zittern unter ihren Fußsohlen spürte.
Sie blieb stehen. „Was war das?“
„Es ist nichts. Geh einfach weiter. Schön langsam und gleichmäßig wie bisher.“
Lariana setzte sich wieder in Bewegung. Wieder dieses Zittern, heftiger diesmal. Sie hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Dann sackte der Synthmetallträger unter ihr weg. Sie rutschte aus und fiel mit rudernden Armen nach vorn. Etwas kratzte über ihren Anzug. Irgendeine Anzeige blinkte rot, erlosch aber gleich wieder. Ein heftiger Schlag trieb ihr die Luft aus der Lunge. Sie spürte, wie sie über eine Ebene rutschte. Unzählige rote Icons blinkten auf, ein schriller Alarmton war zu hören, brach aber wieder ab. Schließlich erloschen auch die Einblendungen in ihrem Helmvisier. Der Luftzug wurde schwächer und im Raumanzug wurde es merklich kühler. Sie begann vor Kälte zu zittern. Die Luft roch verbraucht und stickig. Lariana hatte Mühe sich zu konzentrieren. Wenn die Belüftung ganz ausfiel, hatte sie nur noch wenige Minuten, bis entweder der Sauerstoffmangel oder die Kälte sie umbrachte.
„Sam?“, fragte sie zaghaft. Ihre Stimme klang dumpf im Helmvisier, das ohne Lüftung allmählich von innen beschlug.
Keine Antwort.
„Sam, wo bist du? Melde dich doch!“
Immer noch keine Reaktion. Vielleicht konnte er sich nur bei Sichtkontakt mit ihr verständigen. Schließlich hatte er kein Funkgerät in seinem Körper. Oder vielleicht doch? Sams merkwürdige Kräfte waren für Lariana ein Rätsel: Gab es Grenzen für das, was er mit den Femtonen tun konnte oder begrenzte allein seine Kreativität und Fantasie seine Möglichkeiten? Lariana schüttelte den Kopf, um diese nutzlosen Gedanken zu verscheuchen und schaute sich um. Welche Richtung war die richtige? Wo war der Portalraum? Einfach herumsitzen und auf das unvermeidliche Ende warten, war nicht ihre Sache. Wenn sie schon sterben musste, dann wenigstens in dem Wissen, alles versucht zu haben.
„Deine Chancen sind gleich Null, also nutze sie“, murmelte Lariana und setzte sich in Bewegung. Ruhig und gleichmäßig atmend wählte sie ein langsames Tempo, obwohl alles in ihr danach schrie loszurennen. Wo gab es eine Möglichkeit, nach oben zu kommen? Vielleicht war Sam in einer der großen Halle gelandet. Schutt und Geröll versperrten ihren Weg und machten das Vorankommen schwer. Statt Treppen und Leitern sah sie nur weiteres Chaos und Verfall. Ihre Kräfte ließen schnell nach und sie geriet außer Atem. Ab und zu wurde ihr schwindlig und die Sicht verschwamm vor den Augen. Die Verlockung war groß, sich hinzusetzen, um ein wenig auszuruhen, aber Lariana zwang sich, auf den Füßen zu bleiben. Sie kam in einen schmalen, aber sehr hohen Gang, der fast zu eng für ihren Raumanzug war. Wer konstruierte so etwas? Es hätte vielleicht ein Wartungsschacht sein können, aber mit sich selbst regenerierendem Synthmetall brauchte man so etwas wahrscheinlich nicht.
Der Weg wurde weniger beschwerlich, weil kaum noch Geröll herumlag. Die Umgebung sah nicht mehr ganz so abbruchreif und zerfallen aus. Trotzdem gab es überall dunkle Flecken, die sich in den Wänden ausbreiteten und das Material wie Rost im Zeitraffer zerfraßen. Mitten im Gang ragte eine Leiter herab, die zu einer Öffnung in der Decke führte. Der untere Teil war abgebrochen und lag auf dem Boden. Lariana streckte sich, kam aber an die unteren Sprossen nicht heran. Sie sprang, aber es fehlten immer noch ein paar Zentimeter. Verzweifelt schaute sie sich um. Natürlich gab es hier weit und breit keine Trümmerteile, auf die sie hätte steigen können. Ihr blieb nur das abgebrochene Leiterstück. Seufzend griff sie danach und lehnte es an die Korridorwand, stieg vorsichtig auf die erste Sprosse, während sie sich mit den Fingern an der Wand festhielt, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Es war eine wacklige Angelegenheit. Normalerweise hätte sie keinen Gedanken daran verschwendet, ob die Sprossen aus Synthmetall ihr Gewicht tragen konnten, aber sie bildete sich ein, wie die Streben unter ihrem Gewicht ächzten und knarrten. Natürlich übertrug das Vakuum keinen Schall und es war kein Ton zu hören.
Ganz langsam richtete sich Lariana auf und ergriff die unterste Sprosse, hangelte sich mit dem abgebrochenen Leiterstück näher zur Leiter, um es als Stütze zu benutzen. Mit der anderen Hand bekam sie die nächsthöhere Sprosse zu fassen und stieg mit einem Fuß auf die nächsthöhere Sprosse des Leiterstücks am Boden. Lariana keuchte überrascht, als das Leiterstück unter ihren Füßen wegrutschte. Mit ihrem vollen Gewicht hing sie nun mitten in der Luft. Das war zu viel für das marode Synthmetall. Die Streben brachen und Lariana stürzte mit den Armen rudernd zu Boden. Es zischte irgendwo. Die Luft im Helm wurde dünner, das Atmen fiel schwer. Der Alarm blieb aus. Es war, als wäre auch die Kraft des Anzugs so erschöpft, dass er nicht einmal mehr einen Warnton von sich geben wollte. Das Zischen blieb. Die Selbstreparatur des Anzugs funktionierte offensichtlich auch nicht mehr.
Das war‘s, dachte Lariana, schloss die Augen und blieb einfach liegen. Ihre Chancen auf Rettung waren ohnehin nur minimal gewesen. Trotzdem hatte sie sich an die Hoffnung geklammert, den Portalraum in den wenigen Minuten doch noch zu finden. So war es in den Filmen immer: In letzter Minute gab es doch noch einen Ausweg für den Helden. Aber dies war kein Film, sondern die nackte und harte Realität des Bodens der zerfallenden Konvergenzstation, dessen Kälte allmählich durch den Anzug drang. Sie hatte verloren und würde hier sterben. Ganz allein. Rote Flecken tanzten über ihre geschlossene Netzhaut.
„Lariana.“
Spielte ihr das unterversorgte Gehirn schon Streiche? Halluzinationen waren keine Seltenheit, wenn man unter Sauerstoffmangel litt.
„Lariana, hörst du mich?“
Sie blieb einfach liegen, wollte das Spiel der Hoffnung nicht wieder von vorn beginnen. Dazu hatte sie einfach keine Kraft mehr.
„Lariana!“
Eine Hand rüttelte sie. Endlich öffnete sie die Augen und sah in ein besorgtes Gesicht.
„Sam? Bist du es wirklich?“ Sie richtete sich mühsam auf. Ihr tat alles weh. „Wie hast du mich gefunden?“
„An manchen Stellen ist das Synthmetall noch ...“, Sam zögerte, suchte nach dem richtigen Wort, „… nicht ganz tot. Ich kann es zwar nicht mehr umformen, aber sein Informationsnetzwerk auslesen. So wusste ich, wo ich dich finde.“
„Es ist zu spät“, antwortete Lariana. Ihre Zunge und Lippen formten die Worte nur mühsam und widerstrebend. „Wir schaffen es nicht mehr zum Portal. Mein Anzug hat ein Loch und das lässt sich nicht mehr schließen. Ich kriege kaum noch Luft.“
„Doch“, widersprach Sam und zog Lariana entschlossen auf die Beine. „Es ist nicht mehr weit.“
Lariana ließ es geschehen, hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Immer wieder knickten die Beine unter ihr ein. Sam zerrte sie mit unwiderstehlicher Kraft voran.
Lariana wunderte sich, noch am Leben zu sein. Die Luft in ihrem Anzug musste bereits so dünn sein, dass sie unter normalen Umständen dem Tode näher gewesen wäre als dem Leben. Aber ihre goldenen Körper waren belastbarer, als sie geahnt hatte. Oder hatte Sam etwas damit zu tun? Hielt er sie auf geheimnisvolle Weise am Leben? Die nächsten Minuten blieben ihr nur als Einzelbilder in Erinnerung, während alles andere an ihrem Verstand vorbeirauschte wie im Traum. Hier eine Wand, an der sie vorbeistolperte. Dort ein Berg aus Schutt, den sie irgendwie überwand. Dann standen sie vor dem Portal. Die Lichtsäule in der Mitte des Raumes stand auf dem Podest, dessen raue, wie unbearbeitet wirkende Kanten bereits Eintrübungen aufwiesen. Die Säule sah recht unscheinbar aus. Sie reichte Lariana kaum bis zum Kinn und schien vollkommen aus Licht zu bestehen. An der Basis bildeten sich wie aus dem Nichts Blasen und stiegen nach oben, wurden immer mehr und ließen im oberen Drittel das Licht schäumen und sprudeln. Die Säule änderte die Farbe in regelmäßigen Abständen. Die Aussicht auf Rettung weckte noch einmal Larianas Lebensgeister. Ihr Körper mobilisierte seine letzten Reserven. Erneut staunte sie über seine große Widerstandskraft. Sie hätte nie geglaubt, dass sie so lange durchhalten könnte.
„Wir haben Glück“, rief Sam. „Wenn die Eintrübungen die Säule erreichen, verschwindet sie und mit ihr unsere Fluchtmöglichkeit.“
„Dann lass uns schnell von her verschwinden“, krächzte sie.
Aber Sam machte keine Anstalten, auf das Portal zuzutreten. Er lauschte in sich hinein. Lariana sah, wie sich die Verfärbungen über die Stufen des Podestes Richtung Säule bewegten. „Wir haben keine Zeit mehr“, drängte sie.
Sam rührte sich immer noch nicht, stand da wie in Trance. Seine Lippen bewegten sich mechanisch. Genauso klangen die Worte, die daraus hervorkamen: „Es hat wieder begonnen.“
„Was?“, fragte Lariana ungehalten. „Was hat wieder begonnen?“ Die erste Eintrübung hatte den Sockel der Säule fast erreicht. Das Licht flackerte kurz, stabilisierte sich aber wieder. Die Eintrübung pflanzte sich nicht weiter fort. Aber erste Stücke schälten sich wie Schuppen vom Podest und zersetzten sich. Nach kurzer Zeit bedeckte feiner Staub den Boden. Manche dieser Partikel schwebten in der Luft. Wenn sie die Lichtsäule trafen, vergingen sie in einem Blitz, der die gleiche Farbe hatte wie die Säule. Momentan war sie azurblau.
„Die Portale werden angegriffen. Das Netzwerk hat Lücken und sie werden größer“, sagte Sam. Seine Stimme klang leise und fremd, als hätte jemand von ihm Besitz ergriffen.
„Von wem?“
Jetzt verzog Sam sein Gesicht. „Unbekannt. Die Femtonen – sie leiden. Es ist wie damals, als die interstellaren Portale abgeschaltet wurden. Chaos bedroht die Ordnung. Die Dunkelheit breitet sich aus.“
Jetzt bildeten sich erste Risse im Fundament und liefen auf das Portal zu. Wieder flackerte die Säule.
„Das mag ja alles sein, aber jetzt müssen wir weg hier, solange wir noch können“, drängte Lariana. Sie wunderte sich, dass ihr Verstand trotz des Sauerstoffmangels so scharf arbeitete. Das Adrenalin musste dafür verantwortlich sein, das sich mit ihrem Blut durch die Adern pumpte. Gleichzeitig fühlte sie sich so müde und erschöpft wie noch nie in ihrem Leben. Sie versuchte Sam aus seiner Trance zu rütteln, aber ihre Hände waren zu schwach, mit denen sie sich an ihn krallte wie eine Ertrinkende.
Trotzdem schien dieser schwache Impuls zu reichen. Verwirrt schaute sich Sam um, dann weiteten sich seine Augen vor Schreck, als er die schwarzen Risse im Sockel der Lichtsäule sah. „Los, schnell, bevor das Portal zusammenbricht!“
Sie nickte nur schwach, konnte sich nicht von der Stelle rühren. „Das versuche ich dir schon die ganze Zeit zu sagen.“
Sie fühlte, wie Sam sie mit sich zog. Gleichzeitig berührten sie die Säule. Sofort bildete sich ein dünner Lichtfilm über ihren Händen, der sich schnell auf die Arme und ihre ganzen Körper ausbreitete. Die Säule hatte eine olivgrüne Farbe angenommen. Während das Licht unaufhaltsam über ihre Körper kroch und sie allmählich vollständig einhüllte, waren ihre Hände an der Säule wie festgeklebt. Keine Macht der Welt hätte sie jetzt noch von ihr lösen können. Der SPRUNG war eingeleitet. Sobald sich der Lichtfilm um sie geschlossen hatte, explodierte Larianas Verstand in einer Kaskade aus Licht. Ihr letzter Gedanke war: Irgendwas ist schiefgegangen.
Kapitel 2
Sam wurde von einer Erschütterung geweckt. Er lag auf einem harten, kalten Untergrund und konnte sich kaum bewegen. Seine Glieder fühlten sich an wie Blei und als würden sie nicht zu ihm gehören. Übelkeit schwappte über ihn hinweg, aber nicht, weil ihm schlecht war, sondern das Gefühl von Fremdheit hatte. Es war so, als wäre er in ein elektrisches Feld geraten, das ihn mit tausend kleinen Stromschlägen quälte, ohne wirklich Schmerzen zu empfinden. Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Sam blieb liegen. Nach einer Weile ließ der merkwürdige Eindruck nach und Sam gewann die Kontrolle über seinen Körper zurück. Finger, Hände, Arme und Beine – es schien nichts gebrochen zu sein. Bis auf eine unerklärliche Schwäche fehlte ihm nichts. Sam stemmte sich auf die Ellenbogen und schaute sich um. Sein Blick fiel auf das Podest mit der Säule des Portals. Das war wenig überraschend. Wo hätte er sonst sein sollen? Trotzdem beschlich ihn ein unangenehmes Gefühl, als er die gewohnt makellos golden schimmernden Oberflächen betrachtete. Sie wirkten irgendwie fremd. So, als läge ein Filter über allem, der die gewohnte Umgebung anders als sonst erscheinen ließ. Und wie kam es, dass er einige Meter von der Säule entfernt auf dem Boden lag? Das war definitiv kein normaler Portaldurchgang gewesen.
Wieder durchlief eine Erschütterung den Boden und ließ die Lichtsäule flackern. Zum Glück stabilisierte sie sich sofort wieder. Das veranlasste Sam, sich auf seine Beine zu quälen, obwohl sich seine Glieder immer noch schwer und zerschlagen anfühlten. Lariana war nirgends zu sehen. „Hallo? Ist hier jemand?“
Keine Antwort.
Sam schleppte sich zum Portal. Am besten war es, hier wieder zu verschwinden. Aber zuerst musste er Lariana wiederfinden. War sie mit ihm zusammen an diesen Ort verschlagen worden oder hatte der SPRUNG bei ihr normal funktioniert? Sollte er einen weiteren SPRUNG riskieren? Sam entschied sich dagegen. Was, wenn Lariana irgendwo in der Station war und seine Hilfe brauchte? Wenn sie nicht bei den Huatoo war, würde er diesen Ort nie wieder finden. Also ging er mit steifen Gliedern zu einem Ausgang und spähte in den Korridor. Leer. Nirgendwo standen nachträglich eingebaute Geräte und Maschinen herum, die ein Hinweis gewesen wären, dass diese Station benutzt wurde. Auch in der nächsten Halle das gleiche Bild: Nackte Wände.
„Hallo? Hört mich jemand?“
Außer seiner Stimme, die sich an den glatten Wänden brach, gab es keine Antwort.
Nachdenklich betrachtete Sam die kahlen Wände: Das alles fühlte sich falsch an. Er trat an eine Wand und legte seine Hand darauf, um das Transportsystem zu aktivieren, aber das Synthmetall reagierte nicht auf seinen lautlosen Befehl. Sam schloss die Augen und konzentrierte sich. Er weitete seinen Geist und versuchte mit ihm in die Struktur des Synthmetalls einzugreifen, aber es gelang ihm nicht. Nicht einmal das Flüstern der Femtonen kam ihm entgegen. War das der Grund, warum er sich trotz der vertrauten Umgebung so fremd fühlte?
„Wo bin ich hier nur gelandet?“, murmelte er und ließ die Wand wieder los. Dann eben zu Fuß.
Nachdem er mehrere Räume, Hallen und Korridore durchquert hatte, versuchte Sam noch einmal, das Transportsystem zu aktivieren – ohne Erfolg. Erst jetzt wurde ihm ein weiteres Problem bewusst: Ohne die allgegenwertigen Stimmen der Femtonen, die ihn durch die Station leiteten, musste er seine eigenen Sinne benutzen, um sich zurechtzufinden – und darin war er noch nie besonders gut gewesen. In welcher Richtung war nochmal der Portalraum? Die Raumstation wirkte plötzlich wie ein großes Labyrinth, in dem er sich verlaufen hatte. Abermals überlegte Sam, was er tun sollte, aber was blieb ihm anderes, als aufs Geratewohl weiterzugehen? Es sah ganz so aus, als wäre die Station verlassen. Dann würde niemand kommen, um ihm zu helfen. Außerdem gab es bisher nicht die geringste Spur von Lariana. Im schlimmsten Fall blieb ihm nichts anderes übrig, als die ganze Station nach ihr abzusuchen. Blieb also nur, weiter umherzuirren in der Hoffnung, irgendwo auf einen Hinweis zu stoßen.
Er war ganz überrascht, als er am Rumpf ankam. Ein Korridor mündete in einen großzügig bemessenen Säulengang mit Fenstern. Sam staunte, als er nach draußen blickte. Der Weltraum war nicht so, wie er ihn kannte. Es gab kaum Sterne und sie wirkten blass und verschwommen, als sähe er sie durch einen Dunstschleier. Manche Sterne sahen aus, als wären sie am Verglühen oder Ausbrennen. Lange Protuberanzen griffen weit in den Weltraum hinaus und verloren sich in der Düsternis. Die ungewohnte Leere war von einem violetten Glimmen durchsetzt. Plötzlich fuhr ein violetter Blitz auf einen der Sterne herab. Der strahlte hell auf, sodass Sam die Augen zusammenkneifen musste. Er blähte sich auf wie ein Luftballon und Sam erwartete, dass der Stern jeden Moment zerplatzen müsste, aber sein Licht wurde schwächer, je größer die Feuerkugel wurde. Das grelle Weiß verwandelte sich in ein trübes Gelb und schließlich ein düsteres Rot. Dann zerfiel der Stern einfach und ein düster strahlender Nebel blieb zurück.
Die Station, auf der Sam sich befand, kreiste um einen Planeten – oder dem, was davon übrig war. Die Kruste war an vielen Stellen aufgebrochen. In tiefen Rissen glühte es rot. Der Himmelskörper war auch nicht mehr rund, sondern wirkte deformiert, als hätte jemand ihn wie ein Stück Knete zusammengedrückt. Er war umhüllt von einer Trümmerwolke.
„In welchem Teil des Universums bin ich hier nur gelandet?“
„Ah, da bist du ja!“
Sam drehte sich um, überrascht und gleichzeitig erleichtert. Zwischen den Säulen kam ein verhutzeltes Männlein auf ihn zu. Es lief stark gekrümmt und hatte einen Krückstock in der gichtverkrümmten Hand. Sein Schädel war fast kahl. Nur einige weiße Fransen umrahmten den flachen Kopf. Der Alte hatte eine auffällig große Nase und ein so zerfurchtes Gesicht, wie es Sam noch nie gesehen hatte. Er sah aus wie ein Mensch. Was ihn aber am meisten erstaunte, war die Hautfarbe: Sie war nicht golden, sondern ganz normal.
„Wer sind Sie?“, fragte Sam.
Der Alte winkte energisch ab. „Plagen wir uns doch nicht mit Förmlichkeiten herum: Nenn mich einfach Kral. Du musst Sam sein.“
„Woher …“
„… ich das weiß? Nun, jeder hier kennt deinen Namen.“
„Gibt es etwa noch mehr Menschen hier? Ich habe niemanden sonst gesehen.“
„In dieser Station nicht, nein. Ich bin der letzte.“
Sam meinte in den Augen des Alten kurz Melancholie zu sehen. Dann lächelte er und der Eindruck war verschwunden. „Aber es ist schön, dass wir uns endlich begegnen.“
„Wo ist Lariana? Ist sie hier?“
„Ah, Lariana.“ Das Männlein sprach ihren Namen gedehnt aus, als hätte er ihn lange nicht mehr gehört. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Sie ist wohlbehalten bei den Huatoo angekommen.“
Sam seufzte erleichtert. Aber woher wusste das Männlein von den Huatoo und dass sie dahin unterwegs waren? Was verschwieg er ihm? Sein Misstrauen erwachte und dämpfte seine Erleichterung, in dieser verlassenen Station doch nicht völlig allein zu sein.
Seine Skepsis muss ihm auf dem Gesicht abzulesen gewesen sein, denn der Alte runzelte plötzlich die Stirn, was noch mehr Falten in sein verwittertes Gesicht zauberte. „Das alles hier muss dir sehr merkwürdig vorkommen. Ich will dir alle deine Fragen gern beantworten. Aber lass uns einen etwas gemütlicheren Ort aufsuchen.“
Sam nickte nur. Der Alte drehte sich um und ging erstaunlich flink davon. In seinem schmächtigen Körper steckte mehr Energie, als Sam ihm zugetraut hätte.
Kral führte Sam durch Gänge und Räume, die allesamt leer waren. Immer wieder erbebte die Station unter irgendeinem unbekannten Einfluss, aber der Alte kümmerte sich nicht weiter darum. Schließlich hielt er in einem kleinen quadratischen Raum an.
„Ein Raum, der zu einer Cogisphäre umgestaltet werden kann“, erkannte Sam und streckte ganz automatisch seine Hand aus, um eine Transportkapsel entstehen zu lassen – aber nichts geschah.
Das Männlein kicherte unter vorgehaltener Hand, als Sam sie irritiert wieder sinken ließ. Er konnte dem Alten aber nicht böse sein. „Entschuldige, wo sind nur meine Manieren?“ Er hob seinen Krückstock und stampfte kurz auf den Boden. Sofort reagierte das goldene Material und zwei bequeme Sessel entstanden, ein Tisch und darauf eine Schale mit Obst. Noch einmal stampfte das Männlein mit dem Stock. Der quadratische Raum nahm die gekrümmte Form einer oben und unten abgeflachten Kugelschale an. Mit einem sanften Ruck löste sich die Kapsel aus der Station.
„Wie hast du …?“
„Bedien‘ dich ruhig“, unterbrach der Alte. „Das Obst ist nicht zur Zierde da.“
Sam nahm einen Apfel und biss vorsichtig hinein. Er schmeckte köstlich.
„Wir hatten sehr lange Zeit, die Femtonen beherrschen zu lernen“, sagte Kral und setzte sich mit einem behaglichen Seufzer.
Sam nahm im anderen Sessel Platz. Er fühlte sich in der Gegenwart des betagten Mannes wohl und konnte sich nicht vorstellen, dass er Böses im Schilde führte. Trotzdem fragte er sich, wann der Alte endlich zum Punkt kam. „Wollen Sie …?“
„Ich dachte, wir wären beim Du“, unterbrach Kral.
Sam lächelte. „Also gut: Willst du mir nicht endlich sagen, wo ich hier bin?“
„Einen Moment noch“, vertröstete der Alte. „Ich möchte, dass du dir das ansiehst, bevor ich dir alles erkläre.“ Er hob seinen Stock und richtete ihn auf die gekrümmte Wand. Ein Teil kräuselte sich und verschwand. Die Konvergenzstation war in ihrer vollen Pracht zu sehen. Sie hatte die übliche Grundform: Ein großer Ring, der mit einem kleineren darüber mit vier s-förmigen Pylonen verbunden war. Die Station sah aber martialischer aus. Aus den beiden Ringen ragten in regelmäßigen Abständen Dorne heraus, die an ihren Spitzen weiß glühten. Die Pylonen endeten nicht im kleinen Ring, sondern verlängerten sich darüber und vereinigten sich zu einem hammerähnlichen Fortsatz.
„Was ist denn mit der Station passiert?“, fragte Sam entgeistert.
„Ich musste dir das hier erst zeigen, weil du mir sonst vielleicht nicht glaubst“, wich der Alte aus.
Sams Misstrauen verwandelte sich in eine diffuse Angst. Kral war ein liebenswerter alter Kerl, der offensichtlich nicht so recht wusste, wie er Sam die schlechten Nachrichten vermitteln sollte. Er wollte dem Alten aufmunternd zulächeln, aber sein Gesicht wollte ihm nicht gehorchen. Das Lächeln war mehr ein zaghaftes Zucken seiner Lippen.
Der Alte verstand die Geste trotzdem. Er schloss kurz seine Augen, um sich zu sammeln. „Ich bin der letzte Hüter, dem es bestimmt ist, die große Aufgabe zu erfüllen. Der Grund, warum ich die Dinge weiß, die du gerade erst erlebst und die gleichen Fähigkeiten habe wie du, dass sehr viel geschehen ist, seit du deinen SPRUNG aus der Enklave der Femtonen hierher gemacht hast. Es hat sich eine Menge verändert.“
Sam schaute sein Gegenüber verständnislos an. „Wieso verändert? Ein SPRUNG geht doch ohne Zeitverzögerung und das Konsistorium habe ich erst vor wenigen Tagen verlassen. Was kann in dieser Zeit schon weltbewegendes passieren?“
„Du denkst vielleicht, du befindest dich irgendwo am Rand der Galaxis oder sogar ganz woanders, oder?“
Sam schaute wieder nach draußen, wo die Station mit den weißglühenden Dornen vor der Kulisse der wenigen Sterne schwebte. „Ja, der Gedanke kam mir.“
Das Männlein seufzte und schloss wieder die Augen, schien zu überlegen. „Es gibt wohl keine Art, dir das schonend beizubringen: Du bist hier im Big-Five-System.“
Sam schaute zwischen dem Alten und dem Fenster hin und her. „Du machst Witze!“
Kral seufzte schwer. Wieder stand diese hintergründige Melancholie in seinen Augen und Sam wusste, dass es stimmte. „Ich wünschte, es wäre so.“
„Aber wie ist das möglich? Nichts kann in so kurzer Zeit die Sterne verschwinden lassen“, war Sam überzeugt. Aber was wusste er schon von den technischen Möglichkeiten von Aliens. „Oder?“, schob er nach.
„Seit du verschwunden bist, sind ungefähr 1.000 Jahre vergangen.“
„1.000 Jahre? Das ist doch unmöglich!“
Der Alte schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ist es nicht.“
„Aber wie kann das sein?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Aus den Aufzeichnungen weiß ich nur, dass Lariana allein bei den Huatoo angekommen ist. Du bist seither verschwunden.“
„Aber was ist hier passiert? Es sieht so aus, als sei die gesamte Galaxis in Aufruhr.“
Jetzt trat ein trauriger Ausdruck auf das runzlige Gesicht des Alten. „Das ist noch untertrieben. Wir befinden uns mit den Geheimnisvollen seit fast 1.000 Jahren im Krieg und der hat große Teile unserer Galaxis zerstört. Der zerbrochene Planet, den du hier siehst, ist Batox. Diese Station ist Batox’ Jewel.“
Sam blickte zur Station und flüsterte: „Wie konnte es nur so weit kommen?“
„Wir wissen nur, dass es mit den Portalen zu tun haben muss, die du damals wieder aktiviert hast. Kurze Zeit später begannen die Angriffe.“
„Gibt es denn keine Möglichkeit, mit diesen Geheimnisvollen zu reden?“
„Wir wissen nicht, wie. Wir haben die Herkunft der Angreifer nie ermitteln können. In unserer Verzweiflung haben wir Signale in alle Richtungen der Galaxis ausgesandt und um Friedensverhandlungen gebeten.“
„Aber sie blieben unbeantwortet“, folgerte Sam.
„Irgendwann haben wir die Suche aufgegeben und versucht, uns zu verteidigen. Wie du siehst, ist uns das aber nicht gelungen. Jetzt gibt es nicht mehr viel, was man noch retten könnte.“
Plötzlich fiel Sam etwas anderes ein. „Was ist mit der Erde? Ist sie auch zerstört?“
Der Alte nickte traurig. „Die Konvergenz wusste nicht, wie sie mit dieser Bedrohung umgehen sollte. Ruxi, Huatoo, Que’Wesh – sie alle waren überfordert. Also wurde die Menschheit mobilisiert, um der Gefahr zu begegnen. Wie du dir vorstellen kannst, sind wir recht gut darin, Waffen zu erfinden. Vor allem, wenn uns Femtonentechnik zur Verfügung steht. Was wir nicht bedachten: Die Erde wurde zu einem strategisch wichtigen Ziel und einige Jahre nach Beginn des Krieges vernichtet. Heute sind nicht mehr viele Planeten übrig. Du siehst ja – selbst die Sonnen sind nicht sicher vor den Angriffen.“
„Das alles, weil Lariana und ich gescheitert sind. Wir hatten den Auftrag, die Geheimnisvollen zu finden“, murmelte er. Kral wirkte auf Sam zwar traurig, weil er viel Leid und Elend in seinem langen Leben gesehen haben musste. Aber er wirkte nicht gänzlich niedergeschlagen. Etwas gab ihm offensichtlich Zuversicht, obwohl es nicht danach aussah, als könnte es für die Galaxis noch eine Rettung geben. Etwas hielt die Hoffnung des Alten wach. Etwas, das er Sam noch nicht erzählt hatte.
„Du hast davon gesprochen, du seist der letzte Hüter“, sagte Sam leise. „Der letzte Hüter von was? Was hütest du?“
„Du bist ein aufmerksamer Zuhörer. Das ist eine gute Eigenschaft, die schon immer unterschätzt wurde. In der Tat ist noch nicht alles verloren, wenn ich die große Aufgabe erfülle.“
Jetzt bekam Kral einen verträumten Blick. Er schien in einer Erinnerung zu schwelgen. Sam übte sich in Geduld. Er spürte, dass dieser Augenblick eine große Bedeutung für den Alten hatte. Dann erzählte er: „Als uns die Konvergenz Zugang zu ihrer Technik gewährte, kommunizierten wir mit den Femtonen. Sie berichteten uns von eurem Auftrag, an dem ihr offenbar gescheitert wart. Sie erklärten uns auch, dass mit deinem SPRUNG etwas schiefgegangen war. Irgendein fremder Einfluss riss deine Information aus ihren vorhergesehenen Bahnen und katapultierte sie in die Zukunft.“
„Das Portal muss in dem Augenblick kollabiert sein, als wir es benutzten. Vielleicht lag es daran“, murmelte Sam.
„Die meisten Menschen glaubten, du würdest irgendwann wiederkommen.“
„Was heißt hier ‚die meisten Menschen‘?“
„Das weißt du natürlich nicht, aber du wurdest eine Berühmtheit, eine Legende der Hoffnung, an der sich die Menschen festklammern konnten.“
„Eine Berühmtheit? Ich?“
Der Alte nickte. „Als bekannt wurde, dass du in die Zukunft verschlagen wurdest, glaubten die Menschen, du würdest irgendwann wiederkommen und den Krieg beenden. Du warst der von den Transzendentalen Auserwählte, ein moderner Messias, der alle retten würde.“
„Aber das ist doch Unsinn. Ich bin kein Messias“, widersprach Sam. Ich bin nicht einmal religiös.
Jetzt sah ihn der Alte nachdenklich an. „Entschuldige, wenn ich das so offen sage, aber deine Persönlichkeit und wer du als Mensch warst, ist gar nicht so wichtig. Dein Name und die Umstände deines Verschwindens wurden zu einem Symbol der Hoffnung – und Hoffnung war das, was wir nach der Zerstörung unseres Heimatplaneten brauchten. Die Hoffnung, dass es doch noch eine Rettung geben könnte – oder einen Retter …“
„Ich bin doch nur ein ganz normaler Mensch und nicht einmal besonders tapfer oder stark.“ In Sam kam wieder die ganze Angst vergangener Jahre hoch. Die Verlegenheit, wenn er im Mittelpunkt stand und das Gefühl, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren und etwas von ihm erwarteten, was er nicht leisten konnte. Er glaubte förmlich, die Enttäuschung zu sehen, wenn die vielen Menschen ihn schließlich für unwürdig befanden und sich abwandten. Er fühlte sich nicht wie eine Ikone, auf der alle Hoffnungen ruhten.
„Ich halte mich für einen nüchternen und abgeklärten Menschen, aber dich jetzt vor mir zu sehen …“