Quentin Durward - Walter Scott - E-Book

Quentin Durward E-Book

Walter Scott

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Beschreibung

Im Beginn des 15ten Jahrhunderts bereitete eine Reihe von Ereignissen vor, die Frankreich zu jener gewaltigen Macht verhalfen, die seither von Zeit zu Zeit das Hauptobjekt der Eifersucht der anderen europäischen Nationen war. Vor dieser Zeit musste Frankreich mit den Engländern, die bereits die schönsten Provinzen besaßen, um seine Existenz kämpfen, während die größten Anstrengungen seines Königs und die Tapferkeit seines Volkes den Rest kaum vor einem fremden Joch schützen konnten. Dies war auch nicht die einzige Gefahr. Die Fürsten, die die großen Lehnsgüter der Krone besaßen, insbesondere die Herzöge von Burgund und der Bretagne, trugen ihre Lehnsverpflichtungen mit solcher Leichtigkeit, dass sie keine Skrupel hatten, die Fahne gegen ihren Lehnsherrn und souveränen Herrn, den König von Frankreich, auch nur zum Schein zu erheben. In Friedenszeiten regierten sie als absolute Fürsten in ihren eigenen Provinzen, und das Haus Burgund, das den so genannten Distrikt zusammen mit dem schönsten und reichsten Teil Flanderns besaß, war selbst so reich und mächtig, dass es der Krone weder an Pracht noch an Stärke etwas zu bieten hatte.

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Walter Scott

Quentin Durward

Scratch Verlag

klassik

e-book 106

Erscheinungstermin: 01.12.2021

© Scratch Verlag

Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

[email protected]

www.scratch-verlag.de

Titelbild: Igor Shaganov

Vertrieb: neobooks

Walter Scott

Quentin Durward

Erstes Kapitel.

Im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts ereigneten sich alle jene Ereignisse, die das Königreich Frankreich in den Besitz jener starken Macht brachte, die jahrhundertelang für die übrigen europäischen Staaten zu einem Eifersuchtsobjekt werden sollte. Vor dem Beginn dieses Zeitabschnitts war Frankreich in langen Kriegen mit England verwickelt. Selbiges hatte einen Teil der schönsten Provinzen Frankreichs an sich gerissen. Es bedurfte äußerster Anstrengung seitens des Königs und dessen Untertanen, das, was ihm noch gehörte, zu erhalten. Es drohte für Frankreich auch eine andere Gefahr. Durch die Erfolge der Engländer übermütig geworden, hielten sich die Fürsten, die im Besitz der großen Kronlehen waren, namentlich die Herzöge von Burgund und der Bretagne, nicht mehr an ihre Lehnsverträge. Sie scheuten nicht davor zurück, die Waffen gegen ihren Lehnsherrn, den König von Frankreich, zu erheben, sobald ihnen irgendein Anlass oder eine Gelegenheit dazu geboten wurde. In Friedenszeiten führten sie in ihren Provinzen ein völlig unumschränktes Regiment. Das Haus Burgund mit dem schönsten und reichsten Teil von Flandern besaß eine so bedeutende Macht, dass es der Königskrone Frankreichs weder an Reichtum noch an Streitkräften unterlegen war. Den großen Vasallen eiferten die kleinen nach; ein jeder von ihnen versuchte, sich Macht und Unabhängigkeit zu verschaffen. Dabei scheuten sie weder vor der schlimmsten Gewalttätigkeit und Grausamkeit zurück. So wurde in der Auvergne ein Verzeichnis mit über 300 Adeligen aufgestellt, die sich der Blutschande, des Raubes und Mordes, schuldig gemacht hatten.

Zu allem Überfluss kam hinzu, dass das Königreich Frankreich durch die langwierigen Kriege mit England wirtschaftlich am Boden lag. Im Land versammelte sich der Abschaum aller Länder dieser wilden Zeit. Viele der verwegenen Abenteurer bildeten Banden und plünderten in Stadt und Land. Sie boten ihre Schwerter und Manneskraft demjenigen an, der am besten bezahlte. Andererseits führten sie ihre Kriege auf eigene Faust, wenn sie keinen gut zahlenden Auftraggeber fanden. Dabei bemächtigten sie sich der Burgen und Festungen, benützten sie als Schlupfwinkel, nahmen Reiche gefangen, um Lösegeld zu erpressen, und plünderten die Ortschaften, die noch einigermaßen wohlhabend waren, vollständig aus.

Trotz dieser Schrecken und ohne die geringste Rücksicht auf das im Lande herrschende Elend trieben gerade die Angehörigen des niedrigen Adels einen unerhörten Luxus, der kaum von demjenigen der Fürsten des Landes übertroffen werden konnte. Ihre Dienerschaft vergeudete auf unverschämte Weise das dem Volke abgepresste Gut. Der galante Umgang der beiden Geschlechter sorgte jedoch nicht dafür, dass es dem Volk besser ging. Die romantischen Gepflogenheiten gingen wohl eher auf die gute alte Ritterzeit zurück; trotzdem machte sich eine grenzenlose Zügellosigkeit bemerkbar, die alle Moral geradezu ins Gesicht schlug. Vom reinen Geist ehrbarer Zuneigung und fromme Übungen, die die Gesetze des Rittertums einforderten, kannte man längst nicht mehr, wenn auch die Sprache der fahrenden Ritter noch immer im Gebrauch war. Desgleichen die Ordensregeln noch nicht abgeschafft galten. Turniere wurden noch immer abgehalten, und die damit verbundenen Lustbarkeiten zogen eine Menge von Abenteurern nach Frankreich, und keiner von ihnen unterließ es, seinen kecken Mut durch Handlungen zu beweisen, die ihm sein Heimatland nicht erlaubte.

Es begab sich zu dieser Zeit, das Ludwig XI. den wankenden Thron Frankreichs bestieg. Er war ein König, dessen Charakter im Grunde genommen schlecht war jedoch gerade dadurch das Zeug besaß, das im Land herrschende Unglück zu bekämpfen. Von dieser romantische Tapferkeit, oder dem aus ihr entspringenden Stolz, der für die Ehre zu fechten bereit war, wenn der Nutzen schon längst eingeheimst war, hatte Ludwig keine Ahnung. Dennoch war er kühn genug, jeden nur irgendwie nützlichen Zweck in der Politik mit Zähigkeit zu erfassen und zu verfolgen. Er war ein Mann der ruhigen Überlegungen, der kalten Berechnung, des klugen Besinnens, immer auf seinen Vorteil bedacht und niemals geneigt, dem Stolz und der Leidenschaft, wenn sie mit seinem Vorteil kollidierten, ein Opfer zu bringen. Er verstand es bestens, zu beherrschen und seine wirklichen Gedanken vor allen, mit denen er in Berührung trat, auf das peinlichste Verborgen zu halten. Das Wort, das ein Fürst, der sich nicht zu verstellen verstünde, nicht zu herrschen verstünde, und „dass er selbst seine Kappe, wenn er denken müsse, sie sei hinter seine Geheimnisse gekommen, vom Kopfe reißen und ins Feuer schmeißen würde“, konnte er nicht oft genug betonen. Zu keiner Zeit hat ein Mensch gelebt, der die Schwächen seiner Mitmenschen so auszunutzen verstand, wie König Ludwig, und dabei doch zu vermeiden, dass es irgend den Anschein hatte, als ob er sich andern gegenüber, auch denen, die ihm Nachsicht schenkten, in Vorteil zu setzen suche.

Ludwig XI. war von Natur aus rachsüchtig und grausam. Und zwar so stark, dass es ihm eine besondere Freude machte, der Vollstreckung eines von ihm befohlenen Todesurteils beizuwohnen. Es reizte ihn doch kein Rachegefühl, weil in seinem Herzen kein Funke von Mitleid wohnte, keinem Menschen Schonung zu gewähren, wenn ihn er mit Sicherheit verdammen konnte. In der Regel fiel er über seine Beute erst her, wenn er sie fest in seinen Klauen hielt, und wenn er sicher war, dass sich diese nicht durch irgendeinem Zufall befreien konnte. Er verstand es meisterhaft, jede seiner Beweggründe so sorgfältig zu verbergen, dass im Allgemeinen die Welt erst durch den Erfolg erfuhr, welchen Zweck er verfolgte. Wenn ihm darum ging, den Günstling oder Minister eines fürstlichen Nebenbuhlers für sich zu gewinnen, kannte seine Verschwendung keine Grenzen. Wohl war er ein Freund von Zügellosigkeit, aber weder Weib noch Jagd, so sehr er für beides entflammt war, vermochten ihn jemals von den Staatsgeschäften fernzuhalten. Er besaß eine Menschenkenntnis von erschreckender Tiefe, war stolz und hochmütig und hatte doch niemals Bedenken, Menschen aus den untersten Ständen emporzuheben und mit den wichtigsten Ämtern zu bekleiden. Geschickt traf er seine Wahl, so dass er sich kaum ein einziges Mal in seinem Leben in den Eigenschaften, die er ihnen beimaß, irrte. Die Ansichten, die in den verschiedenen Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft seines Königreiches herrschten, interessierten ihn nicht.

Aber kein Mensch bleibt sich immer vollständig gleich, und so bestanden auch in der Natur dieses klugen und gewandten Herrschers von Frankreich Widersprüche. Aus seiner Eigenschaft des falschesten und verlogensten aller Menschen ergaben sich die größten Irrtümer seines Lebens, und zwar insofern als er in die Ehre und Rechtlichkeit derjenigen, mit denen er in Beziehung stand, zu schnell Vertrauen in sie setzte, sobald ihm daran gelegen war, sie zu überlisten. Im Allgemeinen dagegen war er eifersüchtig und argwöhnisch, wie nur je ein Tyrann es sein kann. Um die Schilderungen des fluchwürdigen Charakters dieses Herrschers von Frankreich zu vervollständigen, der sich unter den rohen, ritterlichen Monarchen seines Zeitalters als der Tierbändiger hervortat, der die Gewalt über die Bestien nur durch alle Mittel scharfer Dressur in die Hände bekommen hat, unter denen Hunger und Prügel nicht die gelindesten sind, und der, um von ihnen nicht zerrissen zu werden, vor keinem Mittel, das ihm seine Gewalt erhält, zurückschrecken darf, müssen wir noch zwei weiterer Eigenschaften gedenken, die er andern Herrschern voraushatte. Da war sein hochgradiger Aberglauben, der sein Gemüt der tröstenden Segnungen der Religion fast vollständig verschloss, und sein Hang zu geheimen Ausschweifungen und zu Zerstreuungen gemeiner Natur. Durch diesen klugen oder wenigstens schlauen, aber in seinem Charakter so unaufrichtigen Machthaber, setzte der über Staaten wie über Individuen waltende Himmel das große französische Volk wieder in den Besitz der Vorteile einer geordneten Regierung. Diese war vor seiner Thronbesteigung der Regierung abhandengekommen. Dabei bestieg er den Thron unter ungünstigen Vorzeichen; denn er hatte in seinem bisherigen Leben wenig Talent und Tüchtigkeit gezeigt, frönte aber sehr wohl dem lasterhaften Leben. Seine erste Gemahlin, Margarete von Schottland, wurde durch einen von ihm eingesetzten Gerichtshof zum Tode verurteilt. Ohne Ludwigs XI Anklage wäre keinem Beisitzer dieses Tribunals eingefallen, auch nur ein einziges schlimmes Wort gegen diese liebenswürdigste und aufs schändlichste misshandelte Fürstin zu äußern. Als Sohn war er undankbar und aufrührerisch gegen den eigenen Vater. Er stand sogar kurz davor ihn zu entmachten, um dadurch früher die Herrschaft an sich zu reißen. Es kam schließlich zwischen dem Vater und ihm zu einem Krieg. Für sein erstes Fehlverhalten wurde er in die Dauphiné verbannt, um des Letzteren willen sogar des Landes verwiesen. Damals flüchtete er zum Herzog von Burgund und dieser nahm ihn so lange als dessen Gast auf, bis ihm des Vaters Tod die Rückkehr nach England wieder gestattet hatte. Kaum den Thron bestiegen, schlossen sich die Vasallen Frankreichs, mit dem Herzog von Burgund an der Spitze, zu einem Bund gegen ihn zusammen. Mit einem großen Heer rückten sie gegen Paris an und stürzten das französische Königreich an den Rand des Verderbens. Ludwig machte bei der Schlacht vor den Wällen von Paris, bei Montl'héry, kein glückliches Geschick und bewies nur einen geringen Grad von persönlicher Tapferkeit. Immerhin blieb der Ausgang unentschieden. Wie es aber in solchen Fällen die Regel zu sein pflegt, dass dem klügeren der beiden Streiter, wenn auch nicht der Ruhm, so doch die Frucht in den Schoß fällt. Mit seinen Intrigen verstand es Ludwig meisterhaft, Eifersucht zwischen seinen Widersachern zu erwecken. Dadurch erhielt er die Oberhand über sie. Dabei traf es sich günstig für ihn, dass in England der lange Streit zwischen den beiden Rosen entbrannte und ihn von der „englischen Gefahr“ befreite, die bis dahin Frankreich bedrohte. Schon bald begann er, das Reich erneut zu einen, auf der einen Seite durch Güte und Geld, auf der anderen Seite durch Krieg und Gewalt. Die Räubereien der Freischaren, die Plackereien des Adels konnte er freilich nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten, aber es gelang ihm, sie erheblich einzuschränken. Gleichzeitig stärkte er seinen Vasallen gegenüber das königliche Ansehen durch unentwegte Wahrung und Mehrung der Interessen der Königskrone.

Ludwig in ständiger Furcht und Gefahr, weil es ihm nicht gelang, den Bund der Thronräuber zu vernichten. Noch eine weit schlimmere Gefahr für ihn war jedoch die in ständig wachsende Macht des Herzogs von Burgund. Das Haus Burgund zählte zu den mächtigsten Fürstenhäusern Europas, und trotz seines Vasallenverhältnisses zu Frankreich, diesem an Rang kaum unterlegen. Der burgundische Herzog hieß damals Karl mit dem Beinamen der Kühne oder besser Verwegene, denn sein Mut wurde durch seine Tollkühnheit noch übertroffen. Sein ausgemachtes Ziel war es, seinen Herzogshut mit einer Königskrone zu tauschen. Sein Charakter stand zu dem Ludwigs des Elften im schroffsten Gegensatz. Ludwig war ruhig und bedacht, ließ sich nie auf ein verzweifeltes Unternehmen ein, gab aber auch niemals eins auf, dass langfristig Aussicht auf Erfolg zeigte. Herzog Karl hingegen stürzte sich in Gefahren, weil er Gefahren liebte, und bot Hindernissen Trotz, weil er Hindernisse verachtete. Ludwig opferte seiner Leidenschaft niemals sein Interesse, Karl dagegen ließ seiner Leidenschaft ohne Rücksicht auf jedes Interesse freien Lauf. Die beiden Männer waren eng miteinander verwandt. Zudem hatte Ludwig, als er vom Vater des Landes verwiesen wurde, bei Karls Vater in der Dauphiné jahrelang Zuflucht und Obdach gesucht und gefunden. Ludwig erhielt von Karls Vater wie von ihm selbst Unterstützung und Beistand aller Art. Trotzdem wollten beide Männer nichts voneinander wissen, sondern verachteten und hassten sich. Auf Ludwigs Gesinnung gegen Karl war seine Habsucht von nicht geringem Einfluss, denn er missgönnte seinem Vetter die reichen Besitzungen seiner Herzogskrone, die strenge Disziplin, die unter den kriegerischen Bewohnern der burgundischen Lande herrschte, hielt ihn in ständiger Furcht. Gleichzeitig neidete er ihm die recht zahlreiche Bevölkerung. Ludwig verstand es nur allzu gut zu ermessen, was ihm von diesem allezeit kampflustigen und kampfsüchtigen Burgundervolk für Gefahren drohten, wenn er sich mit dem unbändigen Herzog vollständig verfeindete. Darum war er eben zu dem Entschluss gekommen, den entgegenkommenden Schritt zu tun, den er getan hatte, indem er den Weg nach dessen Besitzungen nahm, unter Wahrnehmung des Waffenstillstandes, der um das Jahr 1468, zu einer Zeit, als ihre Fehden den höchsten Gipfel erreicht hatten, gerade eingetreten war. Und das ist die Zeit, zu welcher auch unsere Erzählung einsetzt.

Zweites Kapitel.

Es war an einem wunderschönen Sommermorgen. Die Sonne hatte ihre sengende Kraft noch nicht gewonnen. Noch kühlte der Tau die Luft und füllte sie an mit süßem Duft. Da näherte sich ein Jüngling von Nordosten her der Furt eines Baches, der sich unweit des Schlosses Duplessis in den Cher ergießt. Von weiten Wäldern umringt, ragen die düstern Baulichkeiten des Schlosses hoch über die Gipfel der hohen Bäume.

Am andern Bachufer standen zwei Männer, in eine Unterhaltung vertieft, die sich hin und wieder nach dem Wanderer drüben umsahen. Da das Ufer, auf dem sie standen, erheblich höher lag als das andere, konnten sie ihn schon aus der Ferne beobachten. Er mochte etwa neunzehn Jahre alt sein, aber dass er nicht aus der Gegend, auch nicht aus Frankreich stammte, verriet sein Äußeres auf den ersten Blick. Er trug einen kurzen, grauen Rock und ebensolche Hoseer. Das deutete mehr auf niederländische Mode als auf französische, hingegen war die spitz zulaufende blaue Mütze mit dem Stechpalmenzweige weder in Frankreich noch in den Niederlanden, sondern nur in Schottland heimisch. Er war ein recht schmucker Bursche und von hübscher Figur. Auf dem Rücken trug er ein Ranzen, der ein paar Habseligkeiten zu enthalten schien, über der linken Faust trug er einen Falknerhandschuh, obgleich kein Falke drauf saß, und in der rechten einen derben Jagdstock. Über seiner linken Schulter hing eine gestickte Schärpe, an der wieder eine kleine Tasche hing, von scharlachrotem Samt, wie sie damals gern von den Falknern getragen wurde, um das Futter für diese immer hungrigen Vögel bei sich zu führen, hin und wieder wohl auch andere Dinge, wie sie zu dem damals in schönster Blüte befindlichen Sport gebraucht wurden. Über die Schärpe fiel von der andern Schulter herab ein Bandelier, in dem ein Jagdmesser steckte. Statt der damals üblichen Jagdstiefel trug er leichte Halbstiefel aus halbgegerbtem Leder.

Der Bursche war noch nicht völlig ausgewachsen, aber schon recht groß und stattlich. Sein munterer Schritt verriet, dass ihm das Wandern mehr ein Genuss denn ein Verdruss war. Seine Gesichtsfarbe wies einen bräunlichen Teint auf, die Folge von langem Aufenthalt in der frischen Luft, war aber nichtsdestoweniger schön. Seine Züge waren frei und offen und gefällig, wenn auch nicht streng regelmäßig. Zwischen den von einem munteren Lächeln leicht geöffneten Lippen traten zwei Reihen blendend weißer Zähne zum Vorschein, und aus seinem hellblauen Auge, das einen eigentümlich zu Herzen gehenden Blick hatte, sprach frohe Laune, leichter Sinn und rasche Entschlossenheit.

Die beiden Männer auf dem andern Ufer hatten ihn, wie bereits erwähnt, längst gesehen. Als er aber, flink wie ein Reh, das zur Quelle eilt, die Uferkante zum Wasser hinunter sprang, stieß der jüngere von ihnen den andern an und meinte: „Das ist unser Mann! Der Zigeuner! Wenn er sich's entschließt, durch die Furt zu waten, so ist er verloren, denn das Wasser ist hoch, und die Furt unpassierbar“.

„Dahinter mag er nur von selbst kommen“ erwiderte der ältere; „wer weiß, ob wir auf diese Weise nicht einen Strick sparen.“

„Ich richte mich bloß nach seiner blauen Mütze in der Taxierung seiner Person“, erwiderte der andere; „denn sein Gesicht kann ich nicht sehen. Aber, aufgepasst! er ruft uns, wahrscheinlich will er wissen, ob das Wasser tief ist oder nicht.“

„Es geht im Leben nichts über die eigne Erfahrung“, sagte der andere; „mag er's doch probieren, wie's im Bache aussieht.“

Der Jüngling zauderte nicht lange, sondern zog sich die Stiefel von den Füßen und ging in das Wasser hinein. Es verdross ihn augenscheinlich, dass er von den beiden Männern keine Antwort erhielt. Da rief ihm der ältere derselben zu, er möge sich in acht nehmen, mit dem Bache sei nicht zu spaßen, raunte aber gleich darauf seinem Begleiter die weiteren Worte zu: „Mon Dieu! Du hast Dich schon wieder geirrt. Der junge Mensch ist nicht unser schwatzhafter Zigeuner.“ Die Warnung kam indessen zu spät an die Ohren des Jünglings, oder er hatte sie überhaupt nicht vernommen, weil er schon mitten in der rauschenden Strömung war, in welcher ein minder couragierter und des Schwimmens nicht in dem vorzüglichen Maße wie er bewanderter Mensch sicher umgekommen wäre, denn der Bach hatte nicht allein eine sehr starke Strömung, sondern auch Wirbel und Untiefen.

„Bei unserer heiligen Anna!“ meinte der ältere der beiden Männer wieder, „das ist ein strammer Junge! Lauf, Gevatter, und mach Deine Sünde wieder gut, indem Du ihm nach besten Kräften beistehst. Gehört er doch zu Deinem Kaliber, von dem das Wasser, wie es in dem alten Sprichwort heißt, nichts wissen will, weil es ihm zu leicht ist.“

Wirklich schwamm auch der Jüngling so leicht und flott, dass er trotz der Gewalt, die die Strömung an dieser Stelle hatte, ziemlich genau an dem üblichen Landungsplatze das Ufer erreichte.

Mittlerweile eilte der jüngere der beiden Männer zum Ufer hinunter, um dem Schwimmer Beistand zu leisten, während der ältere langsamen Schrittes hinterher folgte, unterwegs zu sich murmelnd: „Hm, ich hab's doch gewusst, dass der Kerl nicht ersäuft. Meiner Seel! Er ist schon am Ufer und greift nach seinem Stock. Wenn ich mich nicht beeile, so ist er imstande, mir den Freund zu verprügeln, für den einzigen Liebesdienst, den ich ihm zeit meines Lebens einem Mitmenschen habe erweisen sehen.“

Zu solcher Befürchtung war nun freilich einiger Grund vorhanden, denn der kräftige Jüngling drang auf den hilfreichen Samariter mit der zornigen Rede ein: „Du unhöflicher Hund! Warum gibst Du keine Antwort, wenn Dich ein Mensch manierlich fragt, ob der Bach passierbar ist oder nicht? Der Teufel soll mir die Suppe versalzen, wenn ich Dich nicht Mores lehre, wie Du Dich künftig anständigen Menschen gegenüber zu verhalten hast!“ Dabei schwang er den Stock in seiner Faust, dass er sich wie ein Windmühlenflügel im Kreise drehte. Der andere aber griff, als er sich solchermaßen bedroht sah, zum Schwerte, denn er gehörte zu jenem Schlag Menschen, der lieber handelt, als viele Worte zu machen. Da trat der ältere, der auch der Höhersituierte zu sein schien, hinzu und hieß ihn sich ruhig verhalten; dann wandte er sich zu dem Jüngling, schalt ihn einen unvorsichtigen, voreiligen Menschen, sich in einen so sehr geschwollenen Bach zu wagen und mit dem Manne, der ihm zu Hilfe geeilt sei, mir nichts dir nichts Händel anzufangen.

Als sich der Jüngling so derb von einem weit älteren Manne derart zur Rede stellen hörte, brachte er auf der Stelle seinen Knotenstock in Ruhe und sagte, es solle ihm sehr leid sein, wenn er sich in ihnen geirrt hätte. Es käme ihm aber ganz so vor, als wenn sie ihn, statt ihn rechtzeitig zu warnen, hätten in der Gefahr umkommen lassen wollen, was doch unter Christen kein Brauch sei ...

„Lieber Junge“, sagte darauf der ältere der beiden Männer, „nach eurer Rede und eurem Aussehen zu schließen, stammt Er nicht aus unserem Land. Da wär's doch am Platz, Er rechnet damit, dass wir Ihn nicht so schnell verstehen können, wie Er spricht.“

„Na, lassen wir's gut sein, mein Herr“, sagte darauf der Jüngling, „ich sehe es auf ein bisschen Paddeln im Wasser nicht gerade an, und will's auch nicht weiter anrechnen, dass Euch wohl ein Teil von der Schuld mit trifft. Aber dafür müsst Ihr mir einen Ort zeigen, wo ich meine Sachen trocknen kann, denn ich habe kein zweites Jacke, sondern bloß das, was ich auf dem Leibe trage. Auch muss ich darauf sehen, dass das noch eine Weile hält.“

„Na, für was für Leute hält Er uns denn?“, fragte der ältere auf die Zumutung hin.

„Nun, für ehrsame Bürgersleute“, erwiderte der Jüngling, „und darin irre ich mich wohl auch nicht, oder?“, setzte er hinzu, als wenn ihm plötzlich eine andere Meinung käme, „seid Ihr etwa ein Geldwechsler oder Getreidehändler und Euer Kamerad ein Schlächter oder Viehhändler?“

„Halb und halb hat Er's erraten, was wir sind, mein Sohn“, versetzte der ältere lächelnd, „meine Arbeit besteht allerdings darin, so viel Geld zu wechseln, wie sich irgend auftreiben lässt, und meines Kameraden Beruf steht in einiger Verwandtschaft zu dem eines Schlächters. Was nun Sein Anliegen betrifft, Ihm einen Ort zu zeigen, wo Er seine Kleidung trocknen kann, so wollen wir zusehen, was sich tun lässt. Aber da muss ich doch zuerst wissen, wessen Geistes Kind Er ist, denn in der jetzigen Zeit hat's nicht gerade Mangel auf den Landstraßen an Wandervolk, bei dem alles andere eher zu finden und zu vermuten ist, als Ehrlichkeit und Gottesfurcht.“

Der junge Mann maß den Mann, der diese Worte an ihn gerichtet hatte, mit einem scharfen, durchdringenden Blick, dann sah er, aber weniger scharf, auf den andern Mann hinüber, wie wenn er sich seinerseits nicht recht klar darüber sei, ob sie selbst seines Vertrauens würdig seien, und er kam dabei zu folgendem Schluss: der ältere der beiden, der der besser Gekleidete war und auch in Aussehen und Haltung dem andern sichtlich überlegen war, zeigte ganz den Habitus eines Kaufmanns oder Krämers jener Zeit. Seine Jacke und seine Hose waren von der gleichen, dunklen Farbe, aber schon recht abgetragen, woraus der Schotte weiter folgerte, der Mann müsse entweder sehr reich und knickrig oder sehr arm sein. Wahrscheinlich sei das Erstere der Fall. Der Umstand, dass ihm die Sachen eher zu eng als zu weit, und vor allem die Hosen eher zu kurz als zu lang waren, bestärkte ihn hierin, denn sich so zu tragen, galt damals nicht einmal unter dem Bürgerstand für anständig, denn es wurden allgemein weite, lange Röcke getragen, zumeist solche, die bis über die Knie herunterfielen.

Der Gesichtsausdruck des Mannes war weder einnehmend noch abstoßend. Die groben Züge, wie die eingefallenen Wangen und tiefliegenden Augen deuteten auf einen gewissen Grad von Pfiffigkeit und Humor, die dem Jüngling nicht eben unsympathisch waren. Die Augen waren von dichten, schwarzen Brauen überschattet und hatten einen gebieterischen Ausdruck, der in gewissem Maß unheimlich wirkte. Die tief über die Stirn hereingezogene Pelzmütze verringerte durch den Schatten, der auf die Augen fiel, diesen Eindruck nicht, sondern erhöhte ihn. Soviel stand fest, dass der junge Wanderer den Blick dieses Auges mit der unscheinbaren Kleidung, die der Mann trug, nicht recht zusammenreimen konnte. Was ihm weiter auffiel, war, dass die Pelzmütze, die der Mann trug, nicht, wie es sonst bei besser situierten Leuten Mode war, mit Gold oder Silber geputzt, sondern nur mit geringen Bleibildern behangen war, die Jungfrau Maria darstellend, wie sie von armem Pilgervolk aus Loretto mit heimgebracht wurden.

Der Kamerad dieses wunderlichen Alten war ein kräftiger Mann mittleer Größe, der wohl zehn Jahre jünger sein mochte als der andere. Er hielt das Gesicht immer der Erde zugewandt, mit einem Lächeln, das nichts Gutes bedeutete, aber er zeigte dieses Lächeln dem Anschein nach immer nur dann, wenn er seinem Kameraden auf gewisse heimliche Zeichen zu antworten hatte, die von Zeit zu Zeit zwischen ihnen ausgetauscht wurden. Dieser andere Mann trug ein Schwert und einen Dolch. Der Jüngling bemerkte auch, dass er unter seinem einfachen Oberkleid ein Panzerhemd aus metallenen Ringen trug, und diese weitere Wahrnehmung bestärkte den Jüngling in der Meinung, einen Schlächter oder Viehhändler in dem Manne vor sich zu sehen, denn wegen der Unsicherheit, die damals auf den Landstraßen herrschte, wurden solche Panzerhemden auch gern von Leuten getragen, die viel auf der Landstraße sein mussten und auch immer viel Geld bei sich führten.

Nachdem er mit seinen Betrachtungen zu diesem Ergebnis gelangte, wozu er freilich ein wenig Zeit benötigte, erwiderte er auf die zuletzt an ihn gerichteten Worte des älteren der beiden Männer: „Es ist mir zwar nicht bekannt, an wen ich das Wort zu richten die Ehre habe“, diese höfliche Wendung verstärkte er durch eine leichte Verneigung, „das hat aber weiter nichts auf sich. Ich bin Schotte und komme, nach dem in unserm Land heimischen Brauch, nach Frankreich herüber in der Absicht, hier mein Glück zu suchen, oder, was anderes dafür zu finden, je nachdem.“

„Beim Ewigen! Das ist eine recht manierliche Sitte“, erwiderte hierauf der ältere Mann wieder, „Ihr scheint mir ein braver Junge, und obendrein gerade in dem Alter, in welchem der Mensch sein Glück machen kann, nicht bloß bei Männern, sondern auch bei Weibern. Wie denkt Ihr darüber? Ich bin Kaufmann und brauche einen Burschen, der mir bei meinen Geschäften zur Hand geht. Mir kommt's bloß so vor, als ob Ihr die Nase ein bisschen zu hoch trügt, um Euch zu solchen mechanischen Plackereien herzugeben.“

„Mein Herr“, antwortete darauf der junge Schotte, „wenn Ihr Euer Anerbieten im Ernst macht, was mir indessen noch ein wenig zweifelhaft ist, so bin ich Euch dafür zu recht großem Dank verpflichtet. Ich fürchte nur, Ihr werdet mich nicht so recht brauchen können?“

„Ich möchte freilich wetten, dass Er sich besser drauf verstehst, den Bogen zu spannen, als mit einem Ballen Ware im Lande herumzulaufen; auch dürfte Er die Feder schwerlich so gut zu führen wissen, wie Dolch oder Schwert ... stimmt's, was ich sage?“

„Mein Herr“, erwiderte der Jüngling, „ich bin allerdings Bogenschütze von Stande, aber ich habe auch eine Zeitlang in einem Kloster gelebt, und dort haben mich die frommen Väter im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet, und ich soll, wie sie mir oft gesagt haben, der schlechteste unter ihren Schülern gerade nicht gewesen sein.“

„Sapperment! Das trifft sich ja vorzüglich“, rief der scheinbare Kaufmann, »Er ist ja das richtige Wunderkind.“

„Ach, lasst den Spaß beiseite!“, erwiderte der Jüngling, der über die Scherze seines neuen Bekannten nicht sonderlich erfreut war, „sagt mir lieber, wo ich meine Jacke und meine Hose trocknen kann, denn ich habe keine sonderliche Lust, noch lange pitschnass hier zu stehen und müßige Antwort auf müßige Frage zu geben.“

Darüber stimmte der Kaufherr ein noch lauteres Lachen an wie bisher ... „Sapperment! Das Sprichwort: Stolz wie ein Schotte, lügt doch nicht, aber kommt nur, junger Freund! Ich halte was auf das Land, aus dem Er stammt; denn ich habe eine Zeitlang auch mit Schottland Geschäfte gemacht. Ein recht braver Menschenschlag, dieses Gebirgsvolk! Komm mit uns ins Dorf hinunter, und wenn's Ihm recht ist, so will ich Dir dort ein Glas Branntwein und ein Frühstück geben lassen als Entschädigung für das kalte Wasser, in das Er hat tauchen müssen. Aber, Sapperment! Was tut denn der Jagdhandschuh auf Seiner linken Faust? Weiß Er nicht, dass in den königlichen Gehegen alle Jagd verboten ist?“

„Das hab ich schon erfahren von einem hundsföttischen Försterknecht des burgundischen Herzogs“, erwiderte der Jüngling, „ich hab meinen Falken, den ich von Schottland mit herübergebracht, und mit dem ich mir recht große Ehre einzulegen dachte, in der Gegend von Peronne bloß auf einen Reiher steigen lassen, und sans façon schießt mir dieser freche Wicht meinen schönen Falken mit einem Pfeil weg!“

„Und wie hast Er sich da verhalten?“, erwiderte der Kaufmann.

„Tüchtig verprügelt hab ich den Kerl“, rief der Jüngling, „und zwar so, dass ihm wohl eine Weile Hören und Sehen vergehen wird ... aber totgeschlagen hab ich ihn nicht, denn sein Blut wollte ich nicht des Galgens wegen auf mein Gewissen laden.“

„Weiß Er auch, dass ihn der Burgunder an die erste beste Haselstaude hätte aufknüpfen lassen, wenn Er ihm in die Hände gefallen wär?“

„Er soll ja mit solchen Sachen genau so flink sein, wie der König von Frankreich. Aber ich hab den Jägersknecht unweit von Péronne verhauen und war flink über die Grenze, als seine Mannen sich sehen ließen, und hab sie von dort aus mitsamt ihrem Herzog weidlich ausgelacht“. Nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: „Wäre der Burgunder Herr übrigens nicht gar so flink mit seinen Drohungen gewesen, so hätte es mir wohl geschehen können, mich um einen Dienst bei ihm zu bewerben.“

„Na, vermissen wird er einen solchen Paladin wie ihn ganz gewiss ungern“, erwiderte der Kaufmann mit einem Seitenblick auf seinen Kameraden, „besonders wenn der Waffenstillstand aufgekündigt werden sollte!“ Während dieser wieder sein seltenes Lächeln zeigte, bloß vielleicht noch düsterer als vorher, rückte der junge Schotte die Mütze über sein rechtes Auge wie jemand, dem es nicht recht ist, dass über ihn gespottet wird, und erwiderte mit fester Stimme: „Ich möchte den beiden Herren, besonders aber Euch als dem älteren und mithin auch wohl klügeren, ein für alle Mal sagen, dass es mir nicht eben klug zu sein scheint, auch wohl nicht recht anständig, sich auf meine Kosten einen billigen Spaß zu machen. Mir liegt an solcher Unterhaltungsweise überhaupt nicht viel. Hab ich einen Tadel verdient, so nehme ich ihn gern hin, besonders von einem Manne, der älter ist; auch wohl, wenn er nicht gerade beleidigt, einen Spaß; aber mich als Jungen behandelt zu sehen, das gefällt mir nicht, denn ich fühle mich schließlich doch eben Manns genug, es mit Euch beiden aufzunehmen, falls es einem oder beiden von Euch belieben sollte, mich herauszufordern.“

Über diese Reden des Jünglings lachte der ältere der beiden Männer, dass er fast erstickte, während sein Kamerad mit der Hand nach dem Schwert fuhr. Das bemerkte der Jüngling und gab ihm ohne Besinnen einen so derben Schlag mit der Faust auf die Hand, dass er sie nicht mehr zu rühren vermochte. Die Heiterkeit des älteren wurde hierdurch nicht wenig erhöht ...

„Ruhe gehalten, Herr Schotte!“, rief er, sich mit Gewalt das weitere Lachen verhaltend, „um Ihres eignen Vaterlandes willen! Und Ihr, Gevatter! Die Hand vom Schwert und kein solch bärbeißiges Gesicht mehr! Wir wollen uns in Ruhe zusammen verständigen. Der junge Mensch ist nass geworden, und Ihr habt was auf die Finger bekommen: Also seid Ihr zusammen quitt. Ihr aber, junger Mensch“, setzte der Kaufmann hinzu mit düster-ernster Miene, „sage ich ein für alle Mal, lasst es Ihm nicht noch einmal einfallen, eine solche Gewalttätigkeit herauszunehmen. Das ist bei mir nicht am rechten Ort! Sagt mir, wer Ihr seid! Mein Begleiter hat, wie Ihr seht, mehr als genug von Eurem Schlag.“

„Auf eine höfliche Frage antworte ich ebenso höflich“, versetzte der Jüngling, dem der Ernst des andern, wenn auch wider Willen, Achtung abnötigte, „zudem werde ich Eurem Alter die gebührliche Achtung nie vorenthalten, vorausgesetzt dass Ihr meine Geduld durch Euren Spott und Hohn auf keine zu scharfe Probe stellt. Seit ich den Fuß nach Frankreich und Flandern gesetzt habe, nennen mich die Leute den Musje mit der roten Samttasche; wegen des Falkenbeutels, den ich an der Seite trage. In meiner Heimat führe ich aber den Namen Quentin Durward.“

„Durward?“ wiederholte der ältere Mann. „Ist das ein Edelmannsname?“

„In unserer Familie seit der fünfzehnten Generation“, erwiderte der Jüngling, „und ebendarum fühle ich zu keinem andern Berufe Neigung, als zum Waffenhandwerk.“

„Ein echter Schotte! Voll Blut und voll Stolz, aber dafür ohne Dukaten im Sack ... na, Freund“, wandte er sich zu seinem Begleiter, „geh nur voraus und bestell ein gutes Frühstück für uns, dort beim Maulbeerbusche, hörst Du? Ich denke mir, der junge Mensch wird sich wohl ebenso dran halten, wie die verhungerte Maus ans Käsebrot in der Küche der Hausfrau. Was endlich den Zigeuner anbetrifft ...“

Der Begleiter zeigte wieder sein düsteres Lächeln, entfernte sich aber mit schnellen Schritten. Der andere aber wandte sich wieder an Durward: „Wir wollen miteinander gehen und können unterwegs im Wald, in der Hubertuskapelle, gleich eine Messe mit anhören. An fleischliche Dinge zu denken, ehe man die Seele gestärkt hat, ist nicht eben christlich.“

Quentin Durward machte als guter Katholik keine Einwände, wenn ihm auch der Wunsch, die nassen Kleider vom Leibe zu bekommen, näher lag. Den Kameraden mit dem zur Erde gewandten Gesicht hatten sie bald aus den Augen verloren, obwohl sie in die gleiche Richtung wie er gingen, bis sie den Fuß in einen ziemlich dichten Wald setzten, der von langen Alleen durchschnitten wurde, über die man hüben und drüben das Wild so ruhig hinziehen sah, als ob es sich hier unter ganz besonderem Schutze wüsste.

„Ihr fragtet, ob ich guter Bogenschütze sei?“ ergriff der junge Schotte das Wort; „nun, so gebt mir doch einen Bogen und ein paar Pfeile, und Ihr sollt im Handumdrehen ein Stück Wildbret haben.“

„Sapperlot, junger Mensch!“, erwiderte der Kaufmann, „da nimm Er sich doch ein bisschen in acht, aufs Wild hat mein Kamerad ein ganz besonderes Augenmerk und lässt in dieser Hinsicht nicht mit sich spaßen.“

„Der sieht doch weit mehr aus wie ein Fleischer als wie ein Weidmann!“, rief Durward, „ich kann mir wahrhaftig nicht denken, dass solch ein hündischer Kriecher wie der, einen guten Jäger abgeben könnte?“

„Lasst nur gut sein, junger Mensch“, entgegnete sein Begleiter, „mein Begleiter sieht freilich auf den ersten Blick nicht einladend aus, aber ich habe noch von keinem, der mit ihm umgeht, über ihn klagen hören.“

In dem Ton, mit welchem das gesagt wurde, fand Quentin Durward etwas so Abstoßendes, dass er nicht umhin konnte, den Kaufmann schärfer zu beobachten, und da kam es ihm vor, als ob er in dem halben Lächeln, das dessen Lippen umspielte, wie auch in dem kecken Blicke von dessen schwarzen Augen einen gewissen Ausdruck gewahrte, der seine nicht eben angenehme Verwunderung zu begründen schien. Es ist mir, dachte er bei sich, manches über Räuber und Wegelagerer zu Ohren gekommen, die sich auf allerlei Weise an allein unterwegs befindliche Wanderer heranwagen; wie, wenn der Mensch dort ein Mörder, der alte Schurke hier aber sein Helfershelfer wäre? Ich will doch lieber auf meiner Hut sein. Mehr als eine tüchtige Tracht schottischer Senge sollen sie, so wahr mir Gott helfe, nicht vorfinden!

Während dieses Selbstgesprächs gelangte er unter der Begleitung seines Führers an eine Stelle, wo die großen Bäume weiter auseinander standen, und der Boden unter ihnen, von Unterholz und Gebüsch befreit, einen Rasenteppich vom sanftesten Grün zeigte, das vor den sengenden Sonnenstrahlen geschützt hier besser zu wachsen schien als irgendwo anders in Frankreich. Die Bäume, die hier standen, waren meist Buchen und Ulmen, aber von solcher Größe, dass sie Baumhügeln glichen, die in die Luft emporstiegen. In ihrer Mitte, an der offensten Stelle der Lichtung stand eine kleine Kapelle, in deren Nähe von ihr floss ein Bach geräuschlos entlang, nebst einer Hütte, in welcher der einsame Priester, der hier den Gottesdienst versah, hauste. Über dem gewölbten Portal der Kapelle stand das steinerne Bild des heiligen Hubertus, mit einem Jagdhorn um den Hals und zu Füßen eine Koppel Hunde.

Hierher lenkte Durwards Führer seine Schritte, und kaum waren sie auf die Lichtung hinausgetreten, als auch schon der Einsiedler in seiner Kutte aus seiner Hütte trat, um sich in die Kapelle zu begeben. Durward verneigte sich tief vor dem frommen Mann, wie es die gute Sitte erforderte, während sein Begleiter, dem Anschein nach von noch tieferer Frömmigkeit erfüllt, sich auf ein Knie niederließ, den Segen des frommen Mannes zu empfangen, und ihm dann demütigen Schrittes und in einer Haltung, die auf tiefe Zerknirschung hinwies, in das Gotteshaus folgte.

Das Innere der Kapelle war dem Heiligen, der hier verehrt wurde, auf das engste angepasst, denn es entsprach durchaus seinem Beruf, da er auf Erden wandelte. An Stelle von Teppichen und Vorhängen sah man nur Felle von Jagdtieren, und überall an den Wänden waren Verzierungen angebracht von Hörnern, Bogen, Köchern und andern Jagdsymbolen und Jagdgerätschaften; und selbst die Messe zeigte durch ihre abgekürzte Form, dass es eine sogenannte „Jagdmesse“ war, wie sie vor Edlen und Mächtigen gehalten zu werden pflegte, die in der Regel, wenn sie sich in eine Kirche zum Gottesdienste begeben, ihrem Sport mit Ungeduld entgegensehen. Durwards Begleiter schien jedoch während der kurzen feierlichen Handlung die gespannteste Aufmerksamkeit zu entfalten; und der schottische Jüngling sah zu seinem lebhaften Bedauern ein, dass er dem alten Herrn das bitterste Unrecht angetan habe, als er sich von seinem Charakter solche ungeheuerliche Vorstellung gemacht hatte, wie, dass er ein Räuber und Wegelagerer sein oder wenigstens zu solchem Gesindel halten könne. Jetzt fiel es ihm im Gegenteil schwer, ihn nicht für einen Heiligen zu halten.

Sobald der Gottesdienst zu Ende war, verließ der alte Herr mit dem jungen Mann die Kapelle. „Es ist nicht mehr weit bis zum Dorf“, sagte der Erstere, „Er kann nun sein Fasten mit Ruhe brechen, ohne eine Sünde befürchten zu müssen. Folgt mir also!“ Er wandte sich nach diesen Worten rechts und schritt einen Pfad entlang, der langsam zu steigen schien; als er ein Stück weit gegangen war, riet er seinem Begleiter, sich ja scharf in der Mitte zu halten, und als Durward fragte, warum denn das notwendig sei, gab er die Antwort: „Wir sind nun in der Nähe des Hofes, und es ist doch eine andere Sache, ob man auf königlichem Boden oder in seiner Bergwildniss wandelt. Den Weg ausgenommen, auf dem wir uns jetzt befinden, ist jeder Zoll hier ungangbar gemacht durch Schlingen und Fußangeln; sie stehen mit Sicheln im engsten Kontakt, die dem unvorsichtigen Wanderer die Beine so glatt wegsäbeln, wie eine Gartenschere die Schösslinge von den Bäumen wegputzt. Es liegen auch Eisen hier verstreut, die einem jeden, der sie berührt, die Füße durch und durch stechen; auch in Gruben könnt Ihr geraten, die tief genug sind, Euch für alle Ewigkeit zu begraben. Wie gesagt, es wird gut sein, Du hälst Dich dicht neben mir, denn wir wandeln jetzt auf königlicher Domäne und werden nun bald auch die Vorderseite des Schlosses sehen“,

„Wäre ich der König von Frankreich“, erwiderte der junge Mann, „so gäbe ich mir solche Mühe mit Fußangeln und dergleichen schon lange nicht, sondern versuchte statt dessen lieber, ein so gütiges Regiment zu üben, dass keiner meiner Untertanen Ursache hätte, mir anders als in freundlicher Absicht zu nahen; und was solche Leute betrifft, die sich meiner Domäne ohne Fehl und Arg näherten, nun, dann sollte es mir bloß lieb sein, wenn ihrer recht viele kommen wollten.“

„Pst, pst!“ machte sein Begleiter, indem er ihn mit unruhigen Blicken musterte, „Er ist ein bisschen vorlaut, Patron mit der Samttasche! Ich hätte schon längst sagen sollen, dass hier alle Blätter Ohren haben. Es empfiehlt sich also, die Zunge zu wahren, denn hier kommt jeder Laut im Nu zu den Ohren des Königs.“

„Was frage ich danach?“, erwiderte Durward, „in meinem Halse hängt eine schottische Zunge, die sich nicht sträuben wird, dem König Ludwig, den übrigens Gott segnen möge, alles ins Gesicht zu sagen, was ich denke. Was aber die Ohren angeht, die, wie Ihr sagtet, hier alle Blätter haben, nun, so lasst es Euch gesagt sein, dass ich sie an einem menschlichen Kopfe schwerlich sehen könnte, ohne dass die Lust mich überkäme, sie auf der Stelle mit meinem Weidmesser abzusäbeln.“

Drittes Kapitel.

Von Waldrand, an welchem Durward mit seinem seltsamen Begleiter stehen geblieben war, um sich das königliche Schloss Plessis-les-Tours anzusehen, zog sich eine offene Esplanade, die, von einer völlig verwitterten, aber mächtig hohen Eiche abgesehen, die in ihrer Mitte stand, frei von Bäumen und Strauchwerk war, um die Festungswerke herum, hinter denen sich das eigentliche Schloss erhob. Drei Außenwälle, einer immer höher als der andre, in allen Ecken mit Türmen und Basteien gesichert, zogen sich um die Gebäude. Vor ihnen lag ein dreifacher Graben von annähernd zwanzig Fuß Tiefe, der durch einen Kanal aus einem Nebenarm des Flusses Cher gespeist wurde, und dessen innerer Rand mit starken Palisaden besetzt war, die die Stelle der „spanischen Reiter“ der neueren Befestigungskunst vertraten. Diese Palisaden waren scharf gespitzt, so dass es ein sehr schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Stück Arbeit gewesen wäre, über sie hinweg zu steigen.

Hinter der innersten Mauer erhob sich das Schloss selbst mit seinen aus verschiedenen Zeitaltern stammenden Bauten. Der älteste Bau von allem, war jedoch der alte, schauerliche Kerkerbau, der sich wie ein schwarzer Riese in die Luft hinaufreckte, aller Fenster entbehrend und nur mit einer Reihe unregelmäßiger Schießscharten versehen. Die anderen Gebäude schienen ebenso jeglicher Annehmlichkeit zu entbehren, wenigstens zeigten auch sie an ihrer Vorderfront keine Spur eines Fensters, eben so, wie der Kerkerbau. Sie waren in dieser Hinsicht Bestandteilen eines Kerkers weit ähnlicher als eines königlichen Palastes.

Zu diesem unfreundlichen Schloss konnte man bloß durch ein einziges Tor gelangen, das sich, wie Durward bemerkte, in der Mitte der ersten äußeren Ringmauer befand. Die zwei hohen, dicken Türme mit dem Tor gehörten zu den gewöhnlichen Bollwerken von Schlossportalen der damaligen und wohl auch späteren Zeiten an. Durward sah auch das Fallgitter und die Zugbrücke. Ersteres heruntergelassen, Letztere hinaufgezogen. Wer sich ins Schloss begeben wollte, musste etwa 30 Ellen lang zwischen der ersten und zweiten Mauer entlang gehen; kam er als Feind, so war er den Wurfgeschossen von beiden Wällen ausgesetzt. Hatte er die zweite Ringmauer passiert, so musste er neuerdings den geraden Weg verlassen, um zum Portal der dritten und innersten Ringmauer zu gelangen. Damit musste er, bevor er den äußeren Hof, der sich längs der Vorderseite des Schlosses hinzog, erreichte, durch zwei enge, gefahrvolle Hohlwege hindurch. Kanonen waren hier in der Lage, einen angreifenden Feind mit Kugeln zu bestreichen. Durward staunte über das, was sich seinen Blicken hier bot. Menge an Schlingen, Fußangeln und Fallgruben, warteten zudem auf einen Feind und die sah er nur, da ihn seine Begleiter darauf aufmerksam machten. Auf den Mauersimsen waren Ausguckkäfige mit Schildwachen bei Tag und Nacht besetzt, die allgemein unter der Bezeichnung „Schwalbennester“ bekannt waren. Sie verhinderten, dass jemand ungesehen in das Schloss eindringen konnte. Andererseits lief er Gefahr, von der ersten Schildwache, an der er vorbeikam, aus solchem Käfig niedergeschossen zu werden. Die Wachen rekrutierten sich alle, ohne Ausnahme, aus den schottischen Bogenschützen der königlichen Leibwache und erhielten für ihren anstrengenden Dienst im Schloss nicht nur reichlich Sold und kostbare Uniform, sondern genossen auch sonst besondere Vorteile und Ehren.

„Na, junger Mann“, wandte sich der ältere Mann an den Jüngling, „nun sagt mir doch: Habt Ihr je eine Burg gesehen, die so fest wäre wie diese? Glaubt Ihr, dass es Männer auf Gottes Erdboden gibt, die sich wagten, sie zu stürmen?“

„Es ist ja ein ungemein festes Schloss“, erwiderte Durward, nachdem er die Bauten nochmals mit scharfen Blicken gemustert hatte, „und bewacht scheint es ja auch sehr scharf zu werden; indessen“, setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, „dem Tapferen ist kein Ding unmöglich.“

„Gäbe es in Eurem Vaterland Leute, die sich zu solcher Unternehmung bereitfinden ließen?“, fragte der ältere Mann wieder, mit unverkennbarer Verachtung im Tone.

„Behaupten kann ich's nicht“, erwiderte der Jüngling, „aber in meiner Heimat fehlt es nicht an tausenden wagemutigen Männern, die eine kühne Tat scheuen, wenn's einer gute Sache dient.“

„So so?“, meinte der andere; „und ihr gehört auch dazu?“

„Ich will nicht prahlen und mich dadurch versündigen“, versetzte Durward, „aber mein Vater hat manche Tat vollbracht, zu der kein geringerer Grad von Verwegenheit gehörte; und ein Bastard bin ich meines Wissens nicht.“

„Hm“, meinte der andere wieder, „bei solchem Versuch würdet Ihr Euer Stück Arbeit und auch ein gut Teil von Landsleuten, vielleicht sogar Verwandte, finden; denn unter König Ludwigs Leibwache stehen dreihundert schottische Bogenschützen, und darunter sind Adelige vom besten Blut Schottlands.“

„Und wenn ich König Ludwig wäre“, rief der Jüngling, „so vertraue ich mich diesen Söhnen Schottlands an, ließe Burg und Wälle niederreißen, die sumpfigen Gräben auffüllen und versammelte meine Pairs und Paladine um mich zu prächtigen Turnieren und festlichen Mal zu versammeln, ohne mich von Feinden mehr beirren zu lassen, als vom Gesumme einer Fliege.“

Der Begleiter des Jünglings lächelte wieder in seiner absonderlichen Weise, wandten dem Schloss wieder den Rücken zu und begaben sich wieder in den Wald, wählten aber jetzt einen breiteren und augenscheinlich auch betreteneren Pfad, als auf dem sie zum Schloss gelangt waren. „Auf diesem Wege gelangen wir ins Dorf hinein, Plessis, wie man es in der Gegend nennt. Dort werdet Ihr gute und anständige Bewirtung finden. Etwa zwei Meilen von hier liegt die Stadt Tours, die der schönen und reichen Landschaft den Namen gab. Aber im Dorf findet Ihr Unterkunft ebenso gut, nur erheblich billiger.“

„Ich danke Euch für die Auskunft“, sagte der Jüngling, „aber ich werde hier nicht lange bleiben. Außer einem Bissen Fleisch und einem Trunk, der um ein weniges besser ist als Wasser, stelle ich an das von Euch empfohlene Dorf keine Ansprüche.“

„Ich war der Meinung“, wandte der andere ein, „Ihr hattet vor, einem Bekannten hier guten Tag zu sagen?“

„Das wohl“, antwortete Durward, „einem Bruder meiner Mutter, einem gar stattlichen Mann, wie nur selten einer den Fuß auf die Heide von Angus gesetzt hat.“

„Wie heißt er denn?“, fragte der andere; „wir können uns umhören, denn Euch möchte ich es nicht raten, ohne weiteres ins Schloss zu spazieren: Man könnte Euch leicht für einen Spion halten“.

„Bei meines Vaters Hand!“, rief der Jüngling, „ich, ein Spion? Wer mir solches unterstellt, wird schnell Bekanntschaft mit meinem kalten Eisen machen! Mein Onkel heißt, da Ihr danach fragt, Lesley. Und des Namens braucht sich, wie ich wohl sagen kann, kein Schotte zu schämen.“

„Daran Zweifel ich nicht“, erwiderte der andere, „aber in der schottischen Garde dienen meines Wissens drei mit Namen Lesley?“

„Mein Onkel heißt Ludwig“, antwortete Durward.

„Von den drei Lesleys bei der Garde“, erwiderte der andere, „führen zwei den Vornamen Ludwig.“

„Mein Onkel heißt wohl auch Ludwig, der Genarbte“, versetzte Durward, „die Familiennamen sind bei uns so allgemein, dass wir den Einzelnen durch einen Zunamen zu kennzeichnen pflegen, sofern er sich nicht durch seinen Besitz an sich schon unterscheidet.“

„Oho, den kenn ich gut“, sagte der andere, „es ist ein braver und tapferer Mann, auch ein tüchtiger Soldat. Hoffentlich kann ich Euch helfen, euch mit ihm zu treffen. Es wird euch nicht Schaden, möcht es Euch nicht, das kann ich wohl sagen, wenn Ihr mit ihm sprecht, denn er gehört zu jenen Edelleuten, die streng auf den Dienst halten und nicht oft den Fuß aus der Garnison setzen. Es sei denn, die Pflicht ruft ihn zum König. Aber nun beantwortet mir eine Frage, junger Mann. Ich möchte darauf wetten, dass es Euch darum geht, an Eures Onkels Seite in der königlichen Garde zu dienen. Wenn Ihr hiernach strebt, so habt Ihr, wie ich wohl sagen darf, Großes im Sinn.“

„Daran gedacht habe ich wohl einmal“, bemerkte Durward gleichgültig, „aber das war ein Traum, der lange vorbei ist.“

„Wieso ein Traum?“, fragte der Ältere strengeren Tones als bisher, „erscheint Euch, ein Dienst, den die besten Eures Landes für eine Ehre halten, als solche Lappalie, dass Ihr Euch bloß im Traum damit befasst?“

„Aufrichtig gesprochen: der Dienst beim König von Frankreich wäre mir schon recht; aber was schert mich seine Uniform und guter Sold, wenn ich mich in solchen finstern Kasten oder gar in solches Schwalbennest einsperren lassen soll? Da lobe ich mir die frische, freie Luft! Zudem“, setzte er leiser hinzu, „ist mir ein Schloss, wo die Bäume dergleichen Eicheln tragen, wie man sie dort sieht, nicht sonderlich angenehm.“

„Ich kann mir denken, was Ihr meint; aber es wäre schon besser, wenn Ihr Euch ein bisschen deutlicher aussprächet.“

„Nun, wenn Ihr's denn durchaus deutlich hören wollt“, sagte Durward, „so danke ich schön für Eichen, an denen Menschen in grauen Wämsern baumeln von der Art, wie ich eins auf dem Leibe habe.“

„So so!“, rief der andere, „das muss ich sagen: Es geht doch nichts über ein Paar gute, scharfe Augen! Ich habe wohl auch was dort hin und her schaukeln sehen, hab aber gedacht, es sei ein Rabe, der sich auf einem Zweig niedergelassen hat. So etwas gehört aber keineswegs hier zu den Raritäten. Wenn der Herbst herankommt, so könnt Ihr dort oft ein halbes Dutzend oder mehr vom selben Schlage hängen sehen ... Was stört Euch dabei? Es sind doch bloß Fahnen, die die Galgenvögel verscheuchen sollen; und wer solchen Kerl dort baumeln sieht, der sagt doch eben höchstens, dass es einen Halunken weniger gibt, und dass das Volk im Lande wieder ein bisschen freier aufatmen kann. Solche Rechtspflege liebt nun einmal unser König.“

„Ich an seiner statt hätte sie aber lieber ein bisschen weiter von meinem Schloss“, sagte der Jüngling, „bei uns in Schottland werden tote Raben dort aufgehängt, wo lebendige nisten, nicht aber in unsern Gärten oder Taubenhäusern. Pfui Teufel! Der Verwesungsgestank dringt ja schon bis hierher!“

„Seid Ihr ein redlicher Diener Eures Fürsten, junger Bursche“, sagte der Mann, „dann werdet Ihr wohl kaum einen Geruch für angenehmer halten als den, der von dem Aase eines toten Verräters herüberzieht.“

„Aber darüber den Geruch und das Gesicht einzubüßen, könnte mir doch eben auch nicht passen“, antwortete der Schotte. „Zeigt mir einen Verräter lebendig, und ich will ihn greifen mit meinem Arme, und niederschlagen mit meiner Waffe; aber wessen Leben dahin ist, gegen den sollte es auch keinen Hass mehr geben ... Doch wenn ich nicht irre, so sehen wir bereits drüben das Dorf. Dort sollt Ihr sehen, dass mir weder Nässe noch Gestank den Appetit heute verderben kann. Drum so schnell wie möglich in den Gasthof! Bevor ich aber von Eurer Gastfreundschaft Gebrauch mache, wollt Ihr mir, bitte, sagen, wer Ihr seid, und wie ich Euch anzureden habe.“

„Gemeinhin nennt man mich Meister Peter“, gab der andere zur Antwort, „ich bin kein Freund von Titeln. Ich bin ein freier Mann und lebe von dem, was ich habe und mir verdiene.“

„Dagegen lässt sich nichts sagen, Meister Peter“, versetzte der Schotte, „und ich danke es dem günstigen Zufall, der mich hierher führte, dass er mich mit Euch zusammengebracht hat. Für einen guten Rat bin ich immer dankbar.“

Unterdessen kam der Kirchturm in Sicht und bald waren sie auch in der Nähe des Dorfeinganges; aber Meister Peter, von dem Wege, der auf die offene Heerstraße führte, ein wenig abbiegend, meinte jetzt, der Gasthof, wohin der Schotte gehen wolle, sei ein wenig abgelegen und nehme auch nur bessere Reisende auf „Meint Ihr damit solche, die mit einer gutgespickten Börse reisen“, versetzte der Schotte, „dann gehöre ich nicht dazu, sondern will's lieber versuchen mit jenen, die, statt in Gasthöfen, auf offener Heerstraße plündern.“

„Ihr Schotten seid ein vorsichtiges Volk! Der Engländer rennt ins erstbeste Gasthaus hinein und macht eine Zeche, wie es ihm gerade passt, ohne früher an die Rechnung zu denken, als bis ihm der Magen voll ist. Ihr vergesst aber, Meister Quentin, und Quentin ist doch wohl Euer Name, dass ich Euch ein Frühstück schuldig bin für das Bad im Bach, das Ihr durch meinen Irrtum genommen habt. Diese Buße muss ich schon auf mich nehmen für die Euch zugefügte Kränkung.“

„Ach, ich denke an das bisschen Wasser und an den Verdruss, den ich von Euch erlitten, schon lange nicht mehr“, antwortete Quentin, „meine Sachen hab ich mir ja schon wieder trocken gelaufen; da aber meine Mahlzeit heut ein bisschen karg war, will ich Euer Anerbieten nicht von der Hand weisen. Wenn ich mich nicht irre, so seid Ihr ein schlichter, ehrsamer Bürger, und ich sehe nicht ein, warum ich Euch ein Frühstück abschlagen sollte.“

Inzwischen waren sie einen schmalen Abhang, von großen Ulmen umschattet, hinabgestiegen, an dessen Ende sie durch einen Torweg in den Hofraum eines Gasthauses von ungewöhnlicher Größe gelangten. Es hatte ganz das Aussehen, als ob es Edelleuten mit ihrem Gefolge als Herberge diene, die in dem benachbarten Schloss zu tun hatten, wo Ludwig XI. nur selten, und bloß in Fällen, wo es sich gar nicht umgehen ließ, seinen Hofleuten Gemächer einräumte. Ein Schild mit der Lilie hing über dem Haupttor; allein man bemerkte weder auf dem Hofe noch in den Zimmern Anzeichen lebhaften Verkehrs.

Meister Peter öffnete, ohne jemand zu rufen, eine Seitentür und trat mit seinem Begleiter in einen großen Raum. Im Kamin brannte ein Bündel Reisig und alle Anstalten zu einem kräftigen Frühstück getroffen waren. „Mein Gevatter war schon da“, sagte der Franzose zu dem Schotten. „Ihr müsst frieren, und da habe ich ein Feuer bestellt; Ihr müsst hungern, und da sollt Ihr ein gutes Frühstück haben.“ Er pfiff, und der Wirt trat sogleich herein, beantwortete den Gruß des andern mit einer Verbeugung, zeigte aber in keiner Hinsicht die Geschwätzigkeit, die französischen Gastwirten zu allen Zeiten eigen gewesen ist. „Ich dachte, ein Herr hätte hier ein Frühstück bestellt“, sagte Meister Peter; „ist das nicht der Fall?“

Statt zu antworten, verbeugte sich der Wirt und trug ein gutes Mahl auf, sagte aber zum Lob desselben, trotzdem er alle Ursache dazu gehabt hätte, nicht ein einziges Wort.

Viertes Kapitel.

Das Frühstück des jungen Schotten bestand aus einer hervorragenden Perigord-Pastete. Dazu ein höchst schmackhaftes Ragout mit viel Knoblauch, den die Gascogner lieben und die Schotten nicht hassen; aus einem köstlichen Schinken mit feinstem Weißbrot in kleinen, runden Laiben, dessen Rinde so einladend war, dass es, selbst in Wasser getaucht, ein Leckerbissen gewesen wäre, und einem Becher der herrlichsten Burgundermarke. Durward, der in den letzten Tagen außer halbreifem Obst und einer mäßigen Portion Gerstenbrot nichts gegessen hatte, fiel über das Ragout her, und die Schüssel war auf der Stelle leer; hierauf griff er die mächtige Pastete an, fiel über den Schinken her und würzte dies Mahl gelegentlich durch einen Becher Wein, kehrte aber zum Erstaunen des Wirtes und zur Belustigung des Meisters Peter immer wieder zu der Schüssel zurück, bis er sie vollständig leer gekratzt hatte.

Der Letztgenannte schien, sich über die Esslust des jungen Schotten zu ergötzen, und als er endlich merkte, dass derselbe satt zu werden anfing, versuchte er ihn mit Konfekt und allerhand Naschwerk zur Fortsetzung seiner Mahlzeit zu reizen. Unterdes zeigte sich auf dem Gesicht des Meisters Peter eine gewisse gute Laune, die fast bis zum Wohlwollen stieg, und mit seinem gewöhnlichen scharfen, beißenden und strengen Charakter einen lebhaften Kontrast bildete.

Quentin Durward fand es mit der Zeit sonderbar, allein zu essen und er machte Meister Peter Vorwürfe, dass er ihn über seinen starken Appetit auslache, selbst aber nichts esse.

„Ich muss fasten!“, sagte Meister Peter, „und kann vormittags nichts genießen als etwas Backwerk und ein Glas Wasser! Lasst mir es doch durch Eure Frau herbringen!“ setzte er hinzu, sich zu dem Wirt wendend. Während dieser das Zimmer verließ, fuhr Meister Peter fort: „Nun, hab ich Wort gehalten betreffs des Frühstücks?“

„Ich hatte keine bessere Mahlzeit, seit ich Schottland den Rücken kehrte“, versetzte der Jüngling.

„Die königlichen Bogenschützen können sich solch Frühstück immer leisten“, sagte Meister Peter; „warum wollt Ihr denn nicht hier in Dienste treten, junger Mann? Euer Onkel könnte Euch schon einschieben, sobald eine Stelle vakant würde. Hört mal! Ich habe selbst eine Art Interesse bei der Sache und kann Euch behilflich sein. Ihr könnt doch ebenso gut reiten, wie den Bogen spannen, wie?“

„Unser Stamm zählt gewiss gute Reiter. Aber seht nur! Nahrung und Sold sind zwar nötige Dinge; allein in meinem Falle denkt man auch an Ehre, Beförderung und tapfere Kriegstaten. Euer König Ludwig aber, Gott segne ihn, der liegt hier in seinem Schloss und gewinnt Städte und Provinzen durch politische Gesandtschaften, statt sie in offenem Kampf zu erobern. Ich halt es schon lieber mit den Douglas, die stets im Felde stehen, weil sie lieber eine Lerche singen, als eine Maus quieken hören.“

„Junger Mann“, sagte Meister Peter, „urteilt nicht voreilig über die Handlung der Fürsten. Ludwig sucht das Blut seiner Untertanen zu schonen, und sorgt nicht um das eigene. Zu Montl'hery hat er sich als mutiger Mann gezeigt.“

„Nun ja“, versetzte der Jüngling, „allein das ist ein Dutzend Jahre her, wenn nicht länger; ich möchte lieber einem Herrn dienen, der seine Ehre immer so rein und glänzend erhält wie seinen Schild und in dem Schlachtgewühl sein Glück versucht.“

„Warum habt Ihr denn da nicht einen Versuch gemacht, in Brüssel beim Herzog von Burgund anzukommen? Der hätte Euch Gelegenheit gegeben, jeden Tag den Hals zu brechen, und Ihr hättet Euch sicher nicht umsonst bemüht, wenn er gehört hätte, dass Ihr seinen Förster verprügelt habt.“

„Wohl wahr!“, sagte Quentin; „mein unglückliches Geschick hat mir diese Tür verschlossen.“

„Abenteuer, bei denen die Jugend sich den Hals brechen kann, gibt's da draußen noch in Menge“, erwiderte sein Ratgeber. „Was denkt Ihr zum Beispiel von Wilhelm von der Mark?“

„Was sagt Ihr?“ entgegnete Durward; „dem mit dem Barte sollt ich dienen? Dem wilden Eber der Ardennen? Einem Räuberhauptmann und Anführer von Mördern, der einem das Leben nimmt um eines  Ebers wegen, und Priester und Pilger erschlägt, als wären es Lanzenknechte und Reisige? Das wär ein ewiger Schandfleck auf dem Schilde meines Vaters.“

„Wohlan, junger Hitzkopf“, sagte Meister Peter, „warum folgt Ihr dann nicht dem jungen Herzog von Geldern?“

„Eher wollt ich dem bösen Feinde folgen!“, erwiderte Quentin. „Im Vertrauen gesagt, er ist eine zu schwere Bürde für die Erde; die Hölle verschlingt ihn gewiss. Wie man sagt, hält er seinen eigenen Vater gefangen und hat ihn sogar geschlagen. Könnt Ihr Euch so was denken?“

„Nach der Art, wie Ihr den Charakter der Fürsten beschreibt“, entgegnete Meister Peter, der über den Abscheu des Jünglings, mit dem er von kindlichem Undank sprach, ein wenig erregt zu sein schien, „wär's besser für Euch, wenn Ihr selbst ein Feldherr geworden wäret; denn wo soll ein so weiser Jungbursch einen Anführer finden, der sich zum Befehlshaber für ihn schickte?“

„Ihr lacht mich aus, Meister Peter“, sagte der Jüngling heiter, „und könnt recht haben; allein Ihr habt einen Mann nicht genannt, der ein wackrer Anführer ist, und eine tapfere Truppe hier zusammenhält, unter dem schon jemand Dienste suchen könnte.“

„Ich kann nicht erraten, wen Ihr meint.“

„Wen denn anders, als den, der zwischen den beiden Magneten hängt? Den man weder Franzosen noch Burgunder nennen kann, der aber die Waage zwischen beiden zu halten weiß; vor dem sich beide fürchten, und ihm zugleich dienen, so große Fürsten sie auch immer sind.“

„Ich erkenne nicht, wen Ihr meint“, sagte Peter, nachsinnend.

„Wen sollte ich meinen, als den edlen Ludwig von Luxemburg, den Grafen von St.-Paul und Großconnetable von Frankreich? Der behauptet seinen Platz mit seinem kleinen, tapferen Heer und trägt das Haupt so hoch, wie König Ludwig oder Herzog Karl, und schwebt doch zwischen beiden, wie der Knabe, der in der Mitte eines Brettes steht, während zwei andere sich an den beiden Enden auf- und abschwingen.“

„Er läuft aber Gefahr, am schlimmsten von allen Dreien zu fallen“, sagte Meister Peter. „Im Vertrauen gesagt, junger Freund, wisst Ihr denn, dass Euer Graf von St.-Paul der Erste war, der das Beispiel gab, das Land in Kriegszeiten zu verheeren?“

Da ging die Tür auf, und ein Mädchen, von etwa fünfzehn Jahren, trat herein, mit einem Präsentierteller, auf dem eine kleine Schale stand mit getrockneten Pflaumen, die der Stadt Tours seit je zu gutem Ruf verholfen haben. Allein der Anblick des Mädchens, das sie trug, fesselte Durwards Aufmerksamkeit in weit höherem Grade, denn ihr junges und liebenswürdiges Gesicht war ernster, als es sonst der Schönheit der Jugend eigen zu sein pflegt, und er zog mit der romantischen Einbildungskraft der Jugend sehr rasch den Schluss, dass über ihrem Schicksal ein romantischer Schleier liegen möchte. „Nun, Jacqueline“, sagte Meister Peter, als das Mädchen ins Zimmer trat, „was ist denn das? Ich wünschte doch, dass Frau Perette mich bedienen sollte. Dünkt sie sich etwa zu gut dazu?“

„Meine Mutter ist nicht wohl“, versetzte Jacqueline eilig, doch demütig; „sie muss das Zimmer hüten.“

„Hoffentlich allein!“, sagte Meister Peter mit einem Nachdrucke; „ich gehöre nicht zu denen, die erdichtete Krankheiten als Entschuldigung gelten lassen.“

Jacqueline wurde bleich und zitterte bei Meister Peters Antwort, dessen Stimme und Blick, stets rau, stechend und unfreundlich, in Fällen, wo er Zorn oder Verdacht ausdrückte, eine sehr düstere Färbung annahm. Quentin Durward aber eilte Jacqueline entgegen, um ihr die Last, die sie trug, abzunehmen. Sie ließ sie ihm auch willig, aber beobachtete mit schüchternem, ängstlichem Blick das Gesicht des zornigen Bürgers. Es war unmöglich, dem durchdringenden, um Mitleid flehenden Ausdruck ihrer Blicke zu widerstehen, und Meister Peter fuhr nun, nicht bloß mit vermindertem Groll, sondern mit Artigkeit fort: „Ich tadle Dich nicht, Jacqueline, denn Du bist zu jung, um das schon zu sein, was Du einst, ich denke nur mit Schmerz daran, werden musst, ein falsches, verräterisches Wesen, wie alle Deines wankelmütigen Geschlechts. Niemand erreicht das eigentliche Mannesalter, ohne dass sich ihm Gelegenheit geboten hätte, Euch alle kennen zu lernen. Hier ist ein schottischer Kavalier, der wird Dir dasselbe sagen.“

Jacqueline blickte augenblicklich den jungen Fremden an, so, als wollte sie nur Meister Peter gehorchen; allein so flüchtig der Blick auch war, so schien es Durward doch, als ob darin eine Aufforderung zu Unterstützung und Teilnahme liege, und mit der Schnelligkeit, die sein jugendliches Gefühl ihm eingab, sowie mit der durch seine Erziehung ihm eingeflößten romantischen Verehrung des weiblichen Geschlechts antwortete er: Er wolle sogleich seinen Handschuh jedem hinwerfen, der zu behaupten wage, dies Wesen, dem er jetzt ins Auge schaue, sei nicht von den reinsten und aufrichtigsten Gesinnungen beseelt.

Das junge Mädchen wurde totenbleich und warf einen misstrauischen Blick auf Meister Peter, der über die Prahlerei des galanten Jünglings nur verächtlich lächelte.

„Ihr seid ein törichter Mensch“, sagte er zu dem Schotten, „und versteht Euch ebenso wenig auf die Weiber, als auf die Fürsten, deren Herzen“, hier schlug er andächtig ein Kreuz, „Gott in seiner rechten Hand hält.“