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Große Verbrechen in der Provinz: Ein entspanntes Leben in Italien fernab des kalten deutschen Winters - nur noch wenige Tage trennen den LKA-Beamten Max Quercher von der Erfüllung seines Traumes. Der letzte Auftrag vor seiner Frühpensionierung ist keine große Sache: Unter einem Baum in der Nähe des Tegernsees wurde eine Wachsleiche gefunden, die Identität des Toten ist bekannt. Quercher soll nun die Enkelin des Verstorbenen - eine reiche Amerikanerin - zum Fundort begleiten und dafür sorgen, dass der Leichnam in die USA überführt wird. Doch vor Ort entwickelt sich die scheinbar einfache Angelegenheit zu einer Geschichte mit ungewissem Ausgang. Denn ausgerechnet der Mann, der die Wachsleiche gefunden hat, kommt bei einem vermeintlichen Arbeitsunfall ums Leben. Der Schreiner soll sich selbst mit seiner Säge enthauptet haben. Quercher zweifelt an dieser Version des Geschehens und beginnt zum Unmut der einflussreichen lokalen Politprominenz, die Vergangenheit der Dorfgemeinschaft zu durchleuchten. Als er Indizien für einen gigantischen Immobilienskandal findet, haben sich seine Gegner längst formiert. In der Thomasnacht geht es für Quercher nur noch ums nackte Überleben ...
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Seitenzahl: 415
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Martin Calsow
Quercher und die Thomasnacht
Kriminalroman
© 2013 by GRAFIT Verlag GmbH Chemnitzer Str. 31, D-44139 Dortmund Internet: http://www.grafit.de E-Mail: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung: Dorothea Posdiena, http://www.posdiena-wrobel-kommunikationsdesign.de unter Verwendung eines Fotos: © tankist276 – Fotolia.com eBook-Produktion: CPI – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-89425-975-4
Der Autor
Martin Calsow wuchs am Rande des Teutoburger Waldes auf. Nach seinem Zeitungsvolontariat arbeitete er bei verschiedenen deutschen TV-Sendern in Köln, Berlin und Mün-chen. Ein langer Aufenthalt im Nahen Osten führte ihn schließlich zum Schreiben. Quercher und die Thomasnacht ist der Auftakt einer Reihe um den LKA-Beamten Quercher.
Martin Calsow gehört der Jury des Grimme-Preises an und lebt heute mit seiner Frau am Tegernsee.
www.martin-calsow.de
»Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.«
Johannesevangelium, Kapitel 20, Vers 25
Prolog
Brennerpass, Italien, Montag, 11.12., 20.25Uhr
»Ri ra ruff – wir fahren in das Puff.«
Aus vierundzwanzig Männerkehlen grölte der dämliche Reim. In einem Bus, durchdrungen von zu scharfem Rasierwasser und zu vielen Hormonen, saßen drei Männer, die diese Fahrt als Arbeit verstanden. Der Bus hatte um den Tegernsee herum in allen Gemeinden Männer an verschneiten Bushaltestellen aufgenommen. Die letzten stiegen in Kreuth, kurz vor der Grenze zu Österreich, ein. Man kannte sich. Man frotzelte miteinander. Und alle freuten sich – bis auf diese drei. Auf fremde Kosten eine Nacht in einem exklusiven Bordell hoch oben am Brenner alles zu vögeln, was da war, so viel zu trinken, wie man wollte, das war ein Vorweihnachtsgeschenk, mit denen die üblichen Sektflaschen und Nackerten-Kalender der Schrauben- und Holzvertreter nicht mithalten konnten. Gemeinderäte, Handwerker, Gastronomen und andere, die im Tal etwas zu sagen hatten, saßen freudig erregt – und das im wahrsten Sinne des Wortes – im Bus. Eingeladen von den dreien, die vorn beim Fahrer saßen, in ihre Smartphones schauten und sich langweilten. Es war ihre vierte Fuhre in diesem Jahr. Mal flogen sie in ein Edelbordell nach Wien, wenn das Niveau der Gäste höher lag, mal war es eben nur eine Busfahrt mit verschwitzten Handwerkern. Es war für die Organisatoren schwierig gewesen, in der Vorweihnachtszeit noch ein freies Bordell zu finden. Aber oben am Brennerpass, da hatte erst vor Kurzem ein Laden aufgemacht. Zielgruppe waren Brummifahrer. Und so sahen die Frauen auch aus, fand einer der Männer, der das Bordell testen musste.
Sie hatten Innsbruck hinter sich gelassen und bogen nun auf den tief verschneiten Parkplatz vor dem Bordell ein. Der Busfahrer öffnete die Türen. Es zischte. Kalte, trockene Luft strömte in die muffige Wärme herein. Draußen fuhr ein Räumfahrzeug mit gelb blinkendem Warnlicht vorbei. Die Männer zogen ihre Jacken an, die Stimmung war jetzt angespannt. Einer der Organisatoren verteilte draußen rote, gelbe und grüne Bändchen – je nach Engagement und Bedeutung. Sie selbst würden an der Bar warten, bis auch der Letzte der Talbewohner schlaff und meist müde wieder hinaus in die Kälte wankte.
Alle waren sie da. Bis auf einen. Der hatte abgesagt. Und hätten die drei gewusst, dass ausgerechnet jener sich in den Wald oberhalb des Ortes Bad Wiessee aufgemacht hatte, um dort einen Baum zu fällen – sie hätten hier alles stehen gelassen, um das um jeden Preis zu verhindern.
Kapitel 1
München, Montag, 18.12., 02.45Uhr
Was für ein Scheißleben.
Das war der Satz. Er lief in seinem Kopf hinter den geschlossenen Augen wie ein Laufband in den Nachrichten. Seit seiner Kindheit hatte er sich, wenn er aufwachte, immer erst auf seinen Geruchssinn konzentriert. Das war das Organ, das eigentlich erst sehr spät am Morgen einsetzte zu arbeiten. Aber er hatte sich angewöhnt zu warten, den Nerven ihre Zeit zu lassen. Bis der Duft der Bettdecke oder der nachtwarmen Haut der Frau neben ihm in sein Hirn drang. So war es meistens. Jetzt roch er Kardamom. Doch kein Scheißleben.
»Was machst du denn noch hier?«
Er musste ein Auge öffnen. Sah auf ein Hemd, das einen zu dicken Bauch nicht zurückhalten konnte. Das war, er wusste es, ohne es zu riechen, Faruk. Sein syrischer Kompagnon.
»Du kannst hier doch nicht einfach schlafen.«
Er lag immer noch mit dem Kopf auf der Tischplatte. »Faruk, in Deutschland heißt es ›dürfen‹, nicht ›können‹. Denn dass ich es kann, habe ich bewiesen. Im Übrigen ist das mein Tisch.«
Unter dem Tisch schlief ein Hund mit langen ledrigen Ohren, einer ebenso langen Nase und kurzem Fell.
»Max, bitte. Geh nach Hause. Es spricht nicht für unser Essen, wenn einer der Gesellschafter, auch wenn er nur ein stiller ist, hier schläft. Das ist keine Pension. Das ist ein Restaurant. Du hast den ganzen Tag hier verbracht. Trink deinen Kaffee und geh nach Hause, komm.« Der Syrer zog Maximilian Quercher, den LKA-Polizisten und Restaurantbesitzer, hoch. »Fahr nach Hause, dusch, wisch dir dein Selbstmitleid ab und nimm deinen verdammten Hund mit. Noch einmal: Das ist ein Restaurant und kein Tierheim!«
Faruk hatte kein Mitleid mit Quercher. Der hatte sich vor zwei Jahren in sein arabisches Restaurant eingekauft, ihn damit zweifellos vor der Pleite bewahrt, aber seitdem auch versucht, die arabische Küche mit der süditalienischen zu verbinden. Faruk hatte das Allerschlimmste verhindern können. Und er freute sich auch, wenn Quercher mit seinem Hund in den Laden kam. Er war sich nie zu schade, Teller zu waschen, einzudecken oder zu zapfen. Nur bedienen war nicht seine Stärke. Da konnte er schnell ungeduldig werden. Meist blieb er auch nur ein paar Stunden. Aber heute hatte er den ganzen Abend und die Nacht hier herumgehangen, kein Wort gesagt und dann geschlafen. Faruk wusste, warum. Quercher hatte wieder einmal den Zweitschlüssel seiner Wohnung weggegeben.
»Wer ist es jetzt?«, fragte Faruk leise.
Quercher sah ihn müde an, schloss die Augen und murmelte was von »… die Nele …« oder »Na ja, die halt … Du weißt schon, die aus dem …«
Quercher wollte nicht alt werden. Seit der Scheidung ließ er es krachen. Ging in Klubs, für die er zu alt war. Zog sich Hosen und Hemden an, für die er zu alt war. Und zeigte ein Sexualverhalten, für das er zu alt war. Fand Faruk.
»Wie alt?«
»Die …«, Max räusperte sich. »Die … also die … Nele?«
»Ja, die Nele!«
»Na ja, wie alt wird sie sein? So um die fünfundzwanzig oder so.«
Faruk schüttelte den Kopf. »Der hast du den Schlüssel zu deiner Wohnung gegeben und die schläft da jetzt?«
»Ja, sie hat sich wohl mehr versprochen …«
Faruk öffnete die Tür zum Hinterhof. Kälte strömte herein.
Quercher verspürte ein Frösteln.
»Geh, und schmeiß sie raus. ›Sag ihr: Du bist schön und jung und klug. Und du findest was Besseres.‹«
Quercher nickte, nahm sich eine Kardamomkapsel, steckte sie in den Mund, schnipste mit dem Finger und ging mit dem Hund hinaus in die Winternacht. Der Syrer sah den beiden kopfschüttelnd hinterher. Nie würde er die Europäer verstehen können, die diese an Scheiße schnüffelnden Tiere so nah an sich heranließen.
Kaum hatte Faruk die Tür geschlossen, rutschte Quercher hinter den Mülltonnen aus, fiel nach hinten und schlug mit dem Kopf gegen einen Einkaufswagen, den jemand hier abgestellt hatte. Der Schmerz durchzuckte sein Gehirn. Zorn brannte in ihm auf. Der Hund sah ihn mit schief gelegtem Kopf interessiert an, streckte sich, machte aber keine Anstalten, sich weiter hinaus in den Schnee zu begeben. Quercher richtete sich mühsam wieder auf, trat gegen den Wagen, rutschte erneut und konnte sich nur knapp vor dem Hinfallen retten. Der Hund stand immer noch unter dem Vordach.
In einer Woche war Quercher auf der Insel.
Sein Mercedes, ein T-Modell, war komplett eingeschneit. Als er das Auto vom Schnee befreit und die Fahrertür geöffnet hatte, war der Hund, eine Bayerische Gebirgsschweißhündin, die widersinnigerweise auf den Namen ›Lumpi‹ hörte, sofort mit spitzen Pfoten auf die Rückbank gesprungen und hatte sich dort geschüttelt, ehe sie sich auf einer alten Decke einrollte. Lumpis Name war nicht einfallsreich. Aber immer noch besser als ›Hund‹. Das war Querchers erster Vorschlag gewesen, als er das Tier von seiner Mutter geschenkt bekommen hatte.
Es dauerte lange, bis er aus der Parkbucht herauskam, schlitternd und mit durchdrehenden Reifen.
Quercher hasste Kälte. Das müde Gebläse seines immerhin schon dreißig Jahre alten Benz’ blies lediglich weiter kalte Luft in das Innere des Wagens.
Seine Wohnung lag an einem Friedhof, nur wenige Straßen vom Restaurant entfernt. Er teilte sie sich mit einem schwulen Barbesitzer, der den Winter über im thailändischen Phuket lebte. Als Quercher die Treppen zum dritten Stock emporstieg, sehnte er sich nach jeder Form von Wärme. Er schloss auf. Der Hund ging schnurstracks auf das Bett zu, schnüffelte daran und tippelte dann mit hängendem Kopf zu seinem eigenen Schlafplatz, einem großen Weidenkorb. Vorsichtig stieg er hinein, drehte sich zwei Mal um die eigene Achse und rollte sich erneut ein.
Sie lag in einem überhitzten Zimmer auf dem Rücken und schien ihn gehört zu haben. Die Musik lief in einer Dauerschleife. Es war Angela McCluskey. Echte Bettmusik. Ihr angewinkelter Arm drehte sich nach oben. Ohne den Kopf zu bewegen, winkte sie ihn zu sich. Und dann war da die Wärme des Bettes, ihres Körpers. Und er schloss die Augen.
»Du findest was Besseres«, flüsterte er noch.
Draußen tanzten die Flocken vor dem Fenster, beschienen von den Laternen und dem ersten Morgenlicht. In einer Woche war Weihnachten, dachte Quercher, als er mit einem geöffneten Auge das auf dem Parkett tanzende Handy beobachtete. Die Vibration des Telefons ließ es wie einen verstörten Roboter über das Holz brummen.
Nele hatte sich an seinen Rücken geklammert wie ein Koalabär. Er spürte ihre Jugend – und er spürte sein Alter. Seine Figur war immer noch sportlich. Sooft er konnte, setzte er sich an sein Rudergerät. Aber der Alkohol, der fehlende Schlaf und die Panikattacken ließen aus seinem Gesicht langsam eine einzige Furche werden. Die blonden dünnen Haare waren an viel zu vielen Stellen schon weiß durchsetzt.
Eine der unzähligen Frauen, die – wie Nele jetzt – hinter ihm gelegen hatte, erwischte ihn eines Morgens dabei, wie er die Fleischrolle unter seinem Nabel gegriffen und mit trübem Gesichtsausdruck in den Spiegel geblickt hatte. »Kommt vom Saufen, geht nicht weg, kannst du aber wegsaugen lassen.« Er hatte sie wortlos rausgeworfen und sie hatte daraufhin unten im Hof den Seitenspiegel seines Autos weggetreten.
»Quercher.«
»Büro Dr.Pollinger. Der Chef will Sie sprechen. Es gibt Weißwürste.«
Quercher musste würgen. »Kann das nicht warten?«, antwortete er genervt.
»Nein.«
»Ich hatte eine schlimme Nacht. Und im Übrigen habe ich heute einen freien Tag …«
»Herr Quercher, welchen Teil von ›Nein‹ verstehen Sie nicht?«
»Ich komme.«
Er duschte, zog sich an, machte der jungen Frau einen Kaffee und legte etwas von Sade auf.
»Wer ist das denn?«, fragte sie, ohne die Augen zu öffnen.
Er war zu alt, dachte er. Sekunden später hörte er ihr Schnarchen. Er schrieb auf einen Zettel, dass er den Schlüssel gerne wiederhätte, rief leise nach Lumpi und verschwand.
Früher hätte jetzt Marille an der Tür gestanden und ihn verabschiedet. Doch mittlerweile lebte seine Exfrau mit seinem Exfreund Picker in seinem Exhaus im Stadtteil Solln. ›Was solln das?‹, der müde Scherz seiner alten LKA-Kollegen aus Düsseldorf, fiel ihm jetzt ein und ließ seine Gedanken noch düsterer werden. Er hatte sie gehasst, die geduckten Doppelhäuser, die brav in Hanf eingewickelten Rhododendren, die Klingelschilder aus Salzteig. Hier hatte er kaum Luft bekommen. »Ein einziger Swingerklub ist das hier«, hatte er damals in den Jahren des scheinbaren Glücks besoffen auf einem Grillfest gerufen. Danach wurden sie nie wieder eingeladen.
Das Handy klingelte. Schon wieder Pollinger. LKA-Direktor und der einzige Mensch, den Quercher als Chef akzeptierte, auch wenn Picker offiziell sein Vorgesetzter war. Pollinger war ein guter Mann. Hatte nur einen Fehler, er mochte Querchers Exfrau, die früher im LKA als Psychologin und Profilerin gearbeitet hatte. Hatte Quercher quasi mit ihr verkuppelt. Als sie sich wegen der Sache mit Picker trennten, konnte der Alte das nicht verstehen. Er war eben sentimental, dachte Quercher. Dann hatte Pollinger ihn nach Düsseldorf vermittelt. Und ihn wieder zurückgeholt, als die Zeiten nach Querchers Alleingang in der Junktim-Affäre auch dort schwierig wurden. Jetzt arbeitete Quercher als eine Art ›Ermittler zur besonderen Verfügung‹. So was ging noch beim LKA, Abteilung Staatsschutz. Quercher sprach vier Sprachen. Kannte sich bei den Sandnegern und Turbanträgern, wie sie hier sagten, gut aus. Hatte ihr Vertrauen. So setzte man ihn bei der Observierung arabischer Restaurants ein, nicht ahnend, dass ihm eines davon zum Teil gehörte.
Quercher griff nach seinem Handy. »Herr Dr.Pollinger, was kann ich für Sie tun?«
»Red net, wo bleibst du? Komm her, iss mit mir Weißwürtschtl.«
»Ich bin unterwegs.«
Pollinger mochte Bayern und das bayerische Essen. Quercher hasste beides. Schlitternd fuhr er auf dem Schneematsch in den Westen der Stadt, wo das schäbige Gebäude des Landeskriminalamtes lag, nicht weit entfernt vom Circus Krone. Quercher parkte Pickers Familienkutsche ein, deckte den Hund mit einer alten Decke zu und ließ ihn auf der Rückbank schlafen. Geduckt ging er durch die Windböen, die hier um die Mauern fegten. Er legte seine Codekarte auf das Lesegerät, ging durch die Drehtür und schüttelte sich in der Halle den Schnee von der Jacke, direkt vor dem fetten, ein Schnitzel in sich hineinschlingenden Pförtner.
Dieser verzog das Gesicht. »Hier ist gerade eben gesäubert worden.«
Quercher sah den Dicken hinter dem Panzerglas müde an. »Dann war das wohl das Säuberungskommando.«
Der Mann verstand nicht und schüttelte den Kopf.
Quercher nahm den Fahrstuhl. Im zweiten Stock stieg Picker mit einer eifrigen Kollegin dazu. Die bumst er auch, dachte Quercher.
Picker wollte Chef spielen. »Solltest du nicht heute Nacht das Objekt in der Feilitzschstraße beobachten?«
»Solltest du nicht häufiger die Klappe halten?«
»Reiß dich zusammen, Max. Du kannst gleich mit uns mitkommen. Wir hören eine Aufnahme von einem türkischen Glücksspielring an. Du kannst übersetzen.«
»Ja, ich könnte. Ich werde es aber nicht tun. Dr.Pollinger möchte mich sehen. Ober sticht deutlich unter.«
Quercher winkte dem kopfschüttelnden Picker hinterher und fuhr zwei Stockwerke höher. Hier war alles still. Hier saß die Macht.
Dr.Ferdi Pollinger hatte auf eigene Kosten und mit stiller Genehmigung aus dem Innenministerium sein Büro in eine Zirbelstube ausbauen lassen – für Quercher eine Hölle aus Holz. Auf einem massiven Tisch stand eine weiße Porzellanschüssel, aus der es dampfte. Pollinger war das fleischgewordene Klischee eines Bayern. Er trug gerne Folkloristisches, sein Schmerbauch quoll im Sommer über speckige Lederhosen. Das schüttere Haar war gescheitelt. Seinen Karrierehöhepunkt hatte er noch unter dem alten Ministerpräsidenten, dem einzigen, der einem König in all seinen Schattierungen nahekam, wie Pollinger fand. Seine Art war jovial, nie offen verletzend. Nur Quercher wusste, dass der LKA-Direktor ein Faible für Glücksspiele aller Art besaß und einmal im Jahr in Provinzcasinos im wahrsten Sinne des Wortes die Sau rausließ.
Pollinger öffnete eine Flasche Weißbier. Es war neun Uhr, als er seinem Freund und Kollegen Quercher die Diagnose mitteilte. »Ich habe Magenkrebs. Drei Monate.«
Stille. Draußen drückte eine Böe gegen die Fensterfront. Es knackte. Schweigen.
Ehe Quercher etwas sagen konnte, sprach Pollinger weiter. »Sie wollen den Magen rausnehmen. Dann gibt’s nur Brei und irgendwann den Tod. Ich hab’s abgelehnt. Freitag aber muss ich ins Krankenhaus. Sie wollen vor Weihnachten noch alles Sinnlose unternehmen, aufmachen und wieder zumachen.«
Quercher sah aus dem Fenster. Der Schneesturm ließ ihn nur bis zu den schaukelnden Trambahnleitungen sehen. Die orangefarbenen Warnleuchten der Räumfahrzeuge spiegelten sich an den Häuserwänden wider. Dieser Tag wollte nicht aufstehen.
»Scheiße«, murmelte Quercher leise. Pollinger war sein Vater. Jedenfalls so etwas wie ein Vater. »Was hast du vor? Chemo, den ganzen Kram?«
Pollinger schüttelte den Kopf. Quercher konnte es nicht glauben. Schlechte Nachrichten waren seine Begleiter. Aber wenn es einen so direkt traf, wollte man auf Stopp drücken, zurückspulen und neu anfangen. Der Mann sah nicht krank aus. Er saß an diesem Tisch, dick und breit und gesund. Nichts an ihm wirkte krank, verriet, dass irgendwo hinter diesem Bauch, der von einem Jankerl ummantelt war, ein bösartiges Geschwür lauerte. Ihn auffressen wollte. So wie Pollinger jetzt die Wurst auffraß.
Pollinger räusperte sich. »Du erbst. Ich habe ja sonst keinen mehr.«
Seine Frau hatte sich vor Jahren von ihm scheiden lassen.
»Ferdi, lass es. Ich brauch dein Geld nicht.«
Pollinger sah ihn traurig an. »Max, ich sterbe.«
Quercher hielt dem Blick nicht stand. Er sah hinaus in den Schnee. Sie waren beide Meister darin, Schweigen als Waffe einzusetzen. Aber Quercher war zu müde. »Gut, ich werde dein Erbe natürlich nicht ablehnen. Das verspreche ich dir. Es sei denn, es sind Schulden bei diversen Spielbanken.«
»Weißt du, Maximilian«, Pollinger hob mit sonorer Stimme zu einem seiner gefürchteten Monologe an, »du warst kein leicht zu nehmender Freund und schon gar kein einfacher Kollege.« Er vermied es immer, von Mitarbeitern zu reden. »Firmen haben Mitarbeiter. Polizisten haben Kollegen«, ließ er gerne nach ein paar Flaschen Weißbier junge Kollegen wissen.
Quercher unterbrach ihn. »Worauf willst du hinaus?«
Pollinger streifte mit seinem Messer die letzten Wurstreste aus der weißen Pelle und verschlang sie, statt sofort zu antworten. Wie eine Wolke schob sich das Schweigen zwischen Quercher und den Alten.
Pollinger beugte sich nach links und zog eine Akte aus den Stapeln auf seinem Schreibtisch hervor. »Die dürftest du ja kennen.«
Quercher verstand sofort. Vor ihm lag in einem violetten Pappumschlag der Personalabteilung sein Ersuchen auf Frühpensionierung. In seinem Alter musste bei einem solchen Anliegen der Innenminister persönlich zustimmen. Das wiederum ging nur mit stiller Hilfe seines Chefs.
Pollinger wischte sich die Finger ab. Dennoch hinterließ er auf der sowieso schon abgegriffenen Akte einen Fettfleck. »Du weißt es, ich weiß es. Du bist zu jung, zu gesund. Der Herr Minister mag es nicht, wenn wir für teures Geld Männer ausbilden und sie dann in der Blüte ihres Lebens in die Pension schicken. Und komm mir nicht mit Burn-out. Du nimmst, wie die meisten hier, Antidepressiva. Das ist nichts Ungewöhnliches bei unserer Arbeit. Also lass das Gerede. Ich weiß von deinem Haus in Italien, auf dieser gottverdammten Insel.«
Quercher wurde stutzig. Woher konnte Pollinger das wissen? Er hatte Schulden machen müssen, um das hier alles loszuwerden. Sein Traum – das Meer. Nie mehr Berge. Nie mehr Weißwürste und lächerliche Trachten. Nie mehr Weltstadt mit Herz. Seine Zukunft hieß Salina. Vor neun Jahren war er zum ersten Mal dort gewesen – mit Marille. Er hatte sich sofort in alles verliebt. Den Duft, das Meer, die Kapern, das Essen. Das war Italien wie aus dem Bilderbuch. Sie hatten einen der blauen Busse genommen und der Fahrer hatte Mozarts Klarinettenkonzert eingelegt. Und sie waren für Minuten nur im Glück. Diese Insel war sein Ziel. Raus aus dieser sumpfigen bayerischen Gemütlichkeit. Keine engen Täler, nur noch Horizont. Nie mehr ›Junktim‹. In sieben Tagen wollte er da sein.
Pollinger grinste spöttisch, nahm die Akte, schlug sie auf und griff zwei Blätter heraus. »Du bekommst, was du willst. Du musst vorher für mich nur noch eine schnelle Arbeit übernehmen.«
»Ich habe wenig Zeit.« Quercher erhob sich.
Pollinger lächelte. »Dafür hast du Zeit.« Seine dicke Hand wies wieder auf den Stuhl, auf dem Quercher gesessen hatte.
Quercher nickte ergeben und setzte sich wieder.
»In Bad Wiessee am schönen Tegernsee hat man vor ein paar Tagen unter einem Baum eine Leiche gefunden. Ein deutscher Soldat, der wohl aus einem Kriegsgefangenenlager geflohen war. Das konnte man schon herausfinden. Auch den Namen. Anhand der Häftlingsnummer wurde er identifiziert und eine überlebende Angehörige ausfindig gemacht. Sie lebt an der Ostküste in den USA. Die Leichenschau vor Ort ergab keine Fremdeinwirkung. Die Staatsanwaltschaft hat von einer Untersuchung durch die Rechtsmedizin abgesehen. Das geschah wohl vor allem auf Wunsch und Druck der Angehörigen. Die will die sterblichen Überreste in die USA bringen und dort in einem Familiengrab bestatten. Jetzt muss die Leiche überführt werden. Das alles soll, so wünscht es sich die Staatsregierung und auch die Frau, diskret ablaufen. Keine Presse. Denn die Angehörige, eine Enkelin des Toten, gehört zu einer sehr reichen Familie. Die Dame landet in zwei Stunden am Flughafen. Du holst sie ab, bringst sie zum See und regelst alles still vor Ort. Dann unterschreibe ich am Mittwoch dein Gesuch, am Donnerstag der Herr Minister, und du kannst nächste Woche nach Salina fliegen.«
»Wie heißt die Dame denn?«
»Hannah Kürten.«
Quercher verzog das Gesicht. Der Name war bekannt. Die Familie Kürten hatte es mit vielen Beteiligungen an deutschen und amerikanischen Industriebetrieben zu einem großen Reichtum gebracht. Jetzt sollte er die Enkelin zu einem Toten bringen. Und als Gegenleistung gab es die frühzeitige Pension. Quercher klang das eine Spur zu einfach. Aber er war es gewohnt, von dem Alten solche Aufträge zu erhalten. Pollingers guter Draht in die Staatskanzlei und seine alte Parteizugehörigkeit hatten ihn über die Jahre zu einem Problemlöser für die Manager der Macht werden lassen. Quercher war das egal. Er wollte raus aus dem Schnee. Aber dass es ausgerechnet Bad Wiessee sein musste. Natürlich wusste er, warum Pollinger ihn dafür ausgewählt hatte. Quercher war in Wiessee geboren. Er kannte die Menschen dort.
»Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«, fragte er Pollinger besorgt, als er sich vom Tisch erhob.
»Nein. Heute ist Montag. Freitag komme ich ins Krankenhaus. Dann übernimmt mein Stellvertreter.«
Quercher nickte und wusste, dass er den Nachfolger nicht würde erleben müssen. Donnerstag kam die Unterschrift. Dann war hier Schluss.
Pollinger blickte noch einmal auf. »Ach, noch was. Ich habe dir Arzu zugeteilt. Du kennst sie ja, die türkische EDV-Maus aus der Kriminaltechnik, die eigentlich zu den verdeckten Ermittlern wollte.«
Quercher verdrehte die Augen.
Pollinger ließ das kalt. »Die Kürten ist laut Internet ausgesprochen hübsch. Da will ich kein Risiko eingehen.«
Quercher stöhnte.
Kapitel 2
Kitzbühel, Österreich, Sonntag, 17.12., 11.34Uhr
Er schrie. Er wütete. Er trug eine riesige Kuhglocke in den Händen und schüttelte sie wild. Josef Schlickenrieder wollte den Sieg seiner Tochter. Hier in Kitzbühel, beim Abfahrtsrennen der U18-Talente, war seine Tochter dabei. Sein Kopf war rot. Er war heiser. Es würde keinen weiteren Durchlauf geben. Der Schneefall war schon so stark, dass niemand mehr den Startpunkt sah, dort oben, wo sie sich in das Tal stürzten.
Seine Tochter lebte seinen Traum. Er war so alt wie sie gewesen, als sein Knie sich drehte, sämtliche Außen- und Innenbänder zerrissen und er von da an Kabel verlegen und Lampen eindrehen musste – in den Häusern seines Vaters.
Er sah sie als roten Punkt von oben aus einem Waldstück kommen, sie sprang über einen Buckel, hob ab. Für eine Sekunde wirkte es, als ob seine Tochter fliegen könnte, dachte er.
Dann vibrierte es in seiner Jacke. Er zog das Telefon heraus, blickte auf das Display, sah nicht, wie seine Tochter landete, wie sie stürzte, hörte nicht, wie die Stimme aus den Lautsprechern ihr Ausscheiden bekannt gab. Er rannte und redete. Im Krach der Kuhglocken, der Durchsagen und des Raunens der Leute angesichts des Sturzes konnte er kaum verstehen, was sein Gesprächspartner sagte.
So zärtlich er bei Siegen zu seiner Tochter war, so hart und unerbittlich war er bei Niederlagen. Sie weinte, lag auf dem Tisch im Ärztezelt. Er tippte Kurznachrichten, sagte seiner Tochter immer wieder, dass es nur Blessuren seien, die vorübergehen würden. Die behandelnde Ärztin schickte ihn hinaus und gab der Tochter ein Schmerzmittel. Seine Tochter weinte dennoch. Im Auto rief er einen Freund an, bat ihn, möglichst schnell zum Tegernsee zu kommen. »Das Wetter schlägt um.«
Er fuhr immer wieder dicht auf die vorausfahrenden Wagen auf, versuchte zu überholen. Seine Tochter sprach ihn auf die Bürgerbefragung an, die heute stattfinden sollte. Er antwortete ausweichend. Sie fragte patzig nach. Er atmete durch, wollte ruhig bleiben. Noch einmal hakte sie nach. Er flippte aus, bremste, fuhr rechts in eine Schneewehe. Stieg aus der hitzigen Wärme des Wagens hinaus in die klirrende Kälte. Aber das kühlte ihn nicht ab. Er sah, wie sie ihn trotzig anblickte.
Es ging nicht anders. Er zog sie aus dem Wagen und schmiss ihr die Skier hinterher. Es waren nur noch tausend Meter. Die konnte sie laufen und nachdenken.
Sie schrie, aber er fuhr weiter. Er kam von Osten, fuhr durch den kleinen Ort Ostin hinein in das Tal, das als solches kaum zu erkennen war. Der See hätte, weil das gegenüberliegende Ufer nicht zu sehen war, auch ein Meer sein können. Schlickenrieder lenkte seinen schwermotorigen SUV hinauf zu einem Restaurant oberhalb des Sees. Nicht weit davon entfernt lag das Anwesen eines Fußballpräsidenten, der hier immer noch Heiligenstatus genoss.
Schlickenrieder klopfte seine Schuhe am Eingang ab, schüttelte sich den Schnee vom Kopf und sah sich um. Ein Kellner schaute ihn wissend an und führte ihn in einen Nebenraum. In einer Ecke saßen sie. Der Bürgermeister und der Immobilienmakler. Männer, die von diesem Flecken Erde als ›Hidden Champion‹, ›verstecktes Juwel‹, ›wach zu küssende Prinzessin‹ redeten. Aber eigentlich wollten sie nur Geld machen. Wäre das mit Mastbetrieben oder Klärgruben zu schaffen gewesen, hätten sie auch damit keine Probleme gehabt. Aber jetzt waren es eben Hotels, Rehazentren und Yogastudios. Der Bürgermeister Stangassinger aß einen Schweinsbraten. Er hasste es. Aber als Lokalpolitiker musste er das mögen, und auch in dieser Freundesrunde konnte er nicht von diesem Spiel lassen. Sein Gegenüber, Brunner, hatte seinen Mund in ein Backhendl versenkt. Fett lief ihm aus dem Mundwinkel. Ihm schmeckte es.
»Was ist da oben los?«
Schlickenrieder sagte nicht wie üblich: »Habe die Ehre.« Er wollte ein ganz harter Geschäftsmann sein.
Stangassinger tupfte sich den Mund ab. Er wollte das als diskreten Hinweis für Brunner verstanden wissen, der sein Hühnerfett immer noch auf die Tischdecke tropfen ließ. »Sie haben eine Leiche an unserer Jagdhütte gefunden. Einen Soldaten, sagen sie.«
Schlickenrieder machte eine ungeduldige Handbewegung wie ein Lehrer, der Vokabeln abfragen lässt. »Ja, weiß ich schon. War der Birmoser, der Sauhund, der wirre. Der hat den Baum gefällt. Plötzlich kommt die Drecksleiche zum Vorschein. Und? Was hat das mit dem Sol-Projekt zu tun?«
Er sprach es so aus, dass es wie ›Soll-Projekt‹ klang. Brunner hatte sich den Namen ausgedacht, um die »Verbindung aus der großartigen Sole-Quelle, die dieser Ort besitzt, und dem positiv aufgeladenen Sonnenbild zu verdeutlichen«. Genauso hatte er es in dem Investorenprospekt formuliert. Dieser Ort würde nicht mehr das sein, was er einmal war. Sie kauften Grundstücke, sie wandelten eigenes Bauerwartungsland in Bauland um, sie sammelten Geld von Reichen, die durch die Finanzkrise verängstigt waren und ihr Geld in ›Betongold‹ anlegen wollten, seitdem dubiose Steuer-CDs ihr schwarzes Geld in den Nachbarländern transparent hatten werden lassen. Kitzbühel und Sylt – das waren ihre Vorbilder. Orte, wo reiche Menschen alles kauften, was vier Wände und ein Dach besaß. Nie mehr sollten die Busladungen aus dem Ruhrgebiet und dem Osten voll mit Rentnern das Stadtbild prägen. Hier würden sich die erholen, die sich nie totschuften mussten, aber dennoch ›ausgebrannt‹ waren. Das Volumen ihres Plans lag in einem dreistelligen Millionenbetrag. »Stellen Sie sich Bad Wiessee wie den alten Audi 80 vor, einen Wagen für Rentner mit Wackeldackel und Strickklorolle auf der Rückbank. Dann wird geliftet, abgespeckt, aufgepimpt – und plötzlich ist es das Produkt des erfolgreichsten Autokonzerns mit Fahrzeugen, die jeder im mittleren Management haben will.« So hatte Brunner auf einer diskreten Veranstaltung für potenzielle Investoren geredet. Hatte extra einen abgehalfterten TV-Moderator eingeladen, der ihm brav und für ein hohes Honorar alles bestätigte. Der Bürgermeister hatte die Kräne vor Augen, die bald das Stadtbild prägen würden. Brunner sah seine Firma, die jetzt aus ihm, seiner Frau, einer verblühten Seeschönheit, und seiner Assistentin und Geliebten bestand, zu einem Top-Makler-Franchise aufsteigen. Wenn er es hier schaffen würde, so sagte er seiner Frau immer, dann würde er es auch woanders an die Spitze schaffen.
Aber Stangassinger und Brunner hatten nur ihre Kontakte und ihre Ideen. Schlickenrieder, der Kabelleger und Glühbirneneindreher, der hatte das, was sie brauchten: die Filetgrundstücke oberhalb des Sees und vor allem unten am Ufer. Schon jetzt hatten sich dort einige der reichen Münchner Grundstücke gesichert. Trotz scheinbar rigider Bauordnung war es in der Vergangenheit zu architektonisch-ästhetischen Katastrophen gekommen. Einer hatte seiner Frau, die ein abgebrochenes Architekturstudium vorzuweisen hatte, freie Hand gegeben. Das Resultat wurde im Ort als ›Bistrosteg für Bekloppte‹verlacht.
Es blieb wenig Zeit. Das Ufer war bald besetzt. Und genau da sollten die Standorte sein für die Ayurvedaklinik und die Sternegastronomie eines umtriebigen TV-Kochs. Es gab nur einen Haken: Diese Grundstücke gehörten noch Schlickenrieders Großvater, der sabbernd und lallend in einem Altersheim lag und nicht sterben wollte. Aber Schlickenrieder hatte versprochen, dass sich das bald erledigen würde. Er besäße eine Vollmacht.
Sie waren alle müde. Die vergangenen Monate hatten aus endlosen Bürgerversammlungen, Sitzungen mit Bürgerinitiativen, Hinterzimmergesprächen und Bordellbesuchen bestanden. Sie hatten gedroht und geschmeichelt, geschmiert und mundtot gemacht. Aber jetzt, am Ende des Jahres, unmittelbar vor dem Ziel, durften ein gefällter Baum und eine Leiche kein Hindernis mehr darstellen.
»Wer redet mit dem Birmoser?«, fragte Stangassinger.
Schlickenrieder war sauer. Sie hatten genug geredet. »Ich nehme mir den Kiffer vor.«
Stangassinger schob seinen Teller beiseite. »Warum liegt der Hund, diese Leiche, da oben? Das ist doch kein Zufall. Unsere Großväter haben doch nicht etwa einen Wehrmachtsoldaten totgeschlagen? Waren doch selber welche. Du musst mit dem Alten reden. Vielleicht hat er einen lichten Moment. Wann bist du wieder bei ihm?«
Schlickenrieder sah zu Brunner, der ihn ausdruckslos ansah. Schlickenrieder musste die aufkommende Wut, die wie eine giftige Woge in ihm hochschoss, unterdrücken. Er schloss die Augen. Sie behandelten ihn immer noch wie einen Laufburschen. »Übermorgen.«
»Und wir müssen mit der Anwältin reden. Ich will alles wasserdicht haben. Verstehst du? Das ist keine Baustelle, wo man in zeitlichen Verzug gerät, weil ein Geselle ausfällt. Das ist Business.«
Schlickenrieder verabschiedete sich nicht. Auf dem Weg zu seinem Auto sah er, wie der Fußballpräsident aus seinem Haus trat und die Einfahrt hinunterlief. Eine Lichtschranke erleuchtete plötzlich den freigeschaufelten Weg. Schlickenrieder selbst hatte sie installiert. Der Präsident hatte ihm damals zwei Freikarten für ein Spiel in der Arena in die Hand gedrückt. Er wartete, bis der Rotgesichtige auf seiner Höhe war, dann grüßte er. Aber der Mann erkannte ihn nicht. So viele Handwerker – da merkt man sich nicht alle Gesichter, dachte Schlickenrieder und stieg verärgert in seinen Wagen.
Im Radio hörte er, dass weitere schwere Schneefälle angekündigt wurden. Er brütete wütend vor sich hin. Stangassinger, der Bürgermeister, der Großsprecher, das Gescheidhaferl. Was wusste der schon von den Alten. Ohne die wären sie doch allesamt kleine Lichter. Seine Hände krampften sich um das Lenkrad, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Und dann auch noch der verdammte Schreiner Birmoser – ausgerechnet jetzt.
Schlickenrieder erreichte sein Haus. In der Auffahrt wollte seine Frau Elli gerade mit dem zweiten Wagen losfahren. Auf dem Beifahrersitz saß seine Tochter und schaute ihn nicht an. Elli stieg aus und fragte schreiend, warum er die Tochter einfach ausgesetzt habe. Sie müsse noch einmal zum Arzt und untersucht werden.
Er machte eine wegwerfende Handbewegung, ging ins Haus, griff zum iPhone, tippte eine Nummer ein, als er den Wagen seiner Frau nicht mehr sah. Wenig später schlich seine Nachbarin durch das Gartentor. Er zog sie stumm und mit Gewalt ins Haus und nahm sie hart auf dem Mittelblock der Küche.
Nachdem sie fertig waren, schaute sie ihn kurz an und sagte: »Du hast gewonnen. Sie haben für dein Projekt gestimmt.«
Er wischte sich mit einem Küchentuch, das auf einem Stapel neben dem Herd lag, den Schwanz ab. Der Tag war vorbei.
Kapitel 3
München, Montag, 18.12., 10.05Uhr
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