Rechtsfragen in der Notaufnahme - Stephan Porten - E-Book

Rechtsfragen in der Notaufnahme E-Book

Stephan Porten

0,0

Beschreibung

In der Notaufnahme Tätige werden in ihrer Arbeit häufig mit juristischen Fragestellungen konfrontiert, auf die sie in aller Regel nicht gut vorbereitet sind. Das Werk möchte dabei helfen, auf diese Fragestellungen die richtigen Antworten zu geben, in dem es das notwendige rechtliche Basiswissen in kompakter Form praxisnah erläutert. Auf Rechtsfragen zur Triage wird dabei ebenso eingegangen wie auf Einsatzfelder anderer Berufsgruppen in der Ambulanz. Thematisiert werden auch Praxisfragen zu gewalttätigen und psychisch veränderten Patienten oder fremdsprachlichen und religiös besonderen Patienten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Autorinnen und Autoren

Dr. jur. Stephan Porten, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Institut für moderne Versorgung – InMove.

Dr. med. Katharina Schmid, Ärztliche Leitung DRK Landesschule Bildungseinrichtung Pfalzgrafenweiler, zuvor viele Jahre leitende Ärztin einer ZNA, CRM-Instruktorin und Autorin zahlreicher Fachtexte im Bereich ZNA.

Rolf Dubb B.Sc. M.A., Fachkrankenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie, Intensive Care Practitioner und Fachbereichsleitung Weiterbildungen an der Akademie der Kreiskliniken Reutlingen GmbH.

Dr. med. Michael Beier, Leitender Arzt Zentrale Notaufnahme, medius KLINIK OSTFILDERN-RUIT, Klinischer Risikomanager medius KLINIKEN.

Arnold Kaltwasser B.Sc., Fachkrankenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie, Intensive Care Practitioner, Akademie der Kreiskliniken Reutlingen GmbH.

Nadine Witt LL.M. (Medizinrecht), Rechtsreferendarin am Landgericht Bonn.

Unter Mitwirkung von:

Prof. Dr. Dietlind Tittelbach-Helmrich, Leiterin Studiengang Arztassistent, Duale Hochschule Baden-Württemberg Karlsruhe.

Stephan Porten, Katharina Schmid, Rolf Dubb, Michael Beier, Arnold Kaltwasser, Nadine Witt

Rechtsfragen in der Notaufnahme

Grundlagen mit Hinweisen für die Praxis

Unter Mitwirkung von: Dietlind Tittelbach-Helmrich

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-033634-6

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-033635-3

epub:     ISBN 978-3-17-033636-0

mobi:     ISBN 978-3-17-033637-7

Inhalt

 

 

 

Vorwort

1   Rechtsgrundlagen der Notaufnahme

Stephan Porten, Nadine Witt (Fallbeispiele: Marcus Beier

)

1.1   Die Versorgungspflicht von Notaufnahmen

1.1.1   Wartezeiten und Versorgungspflicht

1.1.2   Wartezeiten als Pflichtenverstoß im Rahmen der Versorgungspflicht?

1.1.3   Patient und Wartezeit – Was schuldet die Ambulanz?

1.2   Sorgfaltspflichten und Behandlungsstandards in der Notaufnahme

1.2.1   Ärztliche Sorgfaltspflicht: Facharztstandard

1.2.2   Sorgfaltspflichten der Pflege

1.2.3   Sorgfaltspflichten sonstiger Berufsgruppen in der Ambulanz

1.3   Rechtliche Grundlagen der Triage

1.3.1   Triage durch nichtärztliches Personal

1.3.2   Dokumentation der Erstbeurteilung

1.3.3   Beispiele zur Triage

2   Organisationsstrukturen in der Notaufnahme

2.1   Rolle der Pflegekräfte in den Notaufnahmen

Rolf Dubb, Arnold Kaltwasser

2.2   Einsatzmöglichkeiten pflegefremder Berufsgruppen in der Notaufnahme – rechtliche Eckpunkte

Katharina Schmid, Rolf Dubb, Stephan Porten (Fallbeispiele: Marcus Beier)

2.2.1   Behandlungsstandards und pflegefremde Berufe

2.2.2   Notfallpflegerische Kompetenzen

2.2.3   Kompetenzen verschiedener Berufsgruppen im Vergleich zum notfallpflegerischen Standard

2.2.4   Fazit

2.2.5   Ein Sonderfall – Handlung abseits der definierten Kompetenz

2.3   Rechtliche Aspekte bei der Delegation ärztlicher Tätigkeiten an Physician Assistants in der Notaufnahme

Dietlind Tittelbach-Helmrich

2.3.1   Einleitung

2.3.2   Juristische Aspekte der Delegation ärztlicher Leistungen

2.3.3   Haftung

2.3.4   Fazit

3   Grundbegriffe des Behandlungsrechts in der Notaufnahme

Stephan Porten, Nadine Witt (Fallbeispiele: Marcus Beier)

3.1   Behandlungsvertrag in der Notaufnahme

3.1.1   Vertragsparteien

3.1.2   Behandlung ohne Vertrag/Notfall- behandlung

3.2   Aufklärung

3.2.1   Allgemeines

3.2.2   Inhalt der Aufklärungspflichten

3.2.3   Aufklärungsperson und Aufklärungsadressat

3.2.4   Form, Zeitpunkt und Verständlichkeit der Aufklärung

3.2.5   Patientenverfügung

3.2.6   Entbehrlichkeit der Aufklärung

3.3   Einwilligung

3.3.1   Mutmaßliche Einwilligung

3.3.2   Hypothetische Einwilligung

3.4   Haftung/Beweislast

3.5   Schweigepflicht

4   Besondere Patientengruppen in der Notaufnahme

Stephan Porten, Nadine Witt

4.1   Minderjährige und Einwilligungsunfähige in der Notaufnahme

4.1.1   Abschluss des Behandlungsvertrages

4.1.2   Besonderheiten bei der Notfallbehandlung

4.1.3   Besonderheiten bei Aufklärung und Einwilligung

4.1.4   Aufklärungsadressat

4.1.5   Einwilligungszuständigkeit der Eltern: Reicht ein Elternteil?

4.1.6   Zustimmungsverweigerung der Eltern

4.1.7   Mutmaßliche Einwilligung

4.1.8   Schweigepflicht bei Minderjährigen

4.1.9   Misshandlungsverdacht

4.1.10 Einwilligungsunfähige volljährige Patienten

4.2   Gewalttätige und aggressive Personen in der Ambulanz

4.2.1   Gewalttätige, Störer und psychisch Veränderte mit Selbst- und Fremd- gefährdung

4.2.2   Der Gewaltbegriff des Rechts

4.2.3   Schutzpflichten des Arbeitgebers bei Gewalt

4.3.3   Rechtliche Eckpunkte für den Umgang mit Gewalttätigen und Störern

4.3   Patienten mit Sprachbarrieren

4.3.1   Sprachbarrieren bei der Aufklärung und Einwilligung

4.3.2   Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Fremdsprachendolmetschers

4.3.3   Krankenhaus- oder Ambulanzpersonal als Sprachmittler

4.3.4   Angehörige als Sprachmittler

4.3.5   Minderjährige als Übersetzer bei der Risikoaufklärung

4.3.6   Sprachbarrieren im Notfall

4.4   Patienten mit kulturell oder religiös motivierten Besonderheiten

4.4.1   Gesetzliche Verpflichtungen, gesetzliche Verbote

4.4.2   Migrantenrechte in den Behandlungs- standards?

4.4.3   Grenzen der Ausübung der Patienten- autonomie aus kulturellen und religiösen Gründen

Literatur

Stichwortverzeichnis

Vorwort

 

 

 

Dieses Buch bietet als eine der ersten Veröffentlichungen im deutschen Sprachraum eine zusammenfassende Darstellung des Behandlungsrechts der Notaufnahmen. Es richtet sich an die Praktiker in den Ambulanzen, die schnelle Orientierung zu täglich auftauchenden Problemen suchen. In dem ebenfalls im Kohlhammer-Verlag erschienenen »Fallbuch Recht in der Notaufnahme« sind eine Vielzahl von Fallbeispielen aus dem Arbeitsalltag der Notaufnahmen enthalten, die medizinisch und rechtlich besprochen werden. Das Buch ist eine ideale Ergänzung zu diesem Band. Beide Werke ermöglichen eine direkte Umsetzung der Inhalte in den Arbeitsalltag. Die Autoren dieses Bandes haben sich auf das Behandlungsrecht konzentriert.

Die in Notaufnahmen auftretenden Rechtsfragen sind außerordentlich vielfältig. Während viele Gesundheitsbereiche, z. B. die Vertragsärzte, nahezu überreguliert sind, bleibt in den Ambulanzen die Entscheidung bei vielen, teilweise höchst diffizilen Rechtsfragen mangels genauerer Regelungen häufig dem Ambulanzpersonal überlassen – meist auch noch unter Zeitdruck. Hierbei soll dieses Buch praktische Hilfestellung leisten. Damit sind auch die Notaufnahmen in Krankenhäusern gemeint, die damit nicht einmal eine ausdrückliche Erwähnung im Gesetz finden.

Juni 2020

Stephan Porten, Katharina Schmid, Rolf Dubb, Michael Beier, Arnold Kaltwasser, Nadine Witt, Dietlind Tittelbach-Helmrich

1          Rechtsgrundlagen der Notaufnahme

Stephan Porten, Nadine Witt (Fallbeispiele: Marcus Beier)

Notaufnahmen weisen rechtliche Besonderheiten auf, die sich aus der Eigenart der medizinischen Versorgung ergeben. Sie sollen praxisnah mit besonderem Blick auf die Pflege dargestellt werden:

1.  Die Rahmenbedingungen der Notfallversorgung sind nur unzusammenhängend und teilweise auch lückenhaft im Gesetz erfasst. So ist die Versorgungspflicht der Krankenhäuser zur Notfallversorgung zwar abstrakt geregelt. Aber was bedeutet sie konkret? Stellen eigentlich regelhafte Wartezeiten, zum Beispiel wegen personeller Unterausstattung der Ambulanz, einen Verstoß gegen die Versorgungspflicht dar?

2.  Welcher ärztliche Standard und welcher Pflegestandard gelten in der Notaufnahme? Was ist mit Weiterbildungsassistenten und nicht examinierten Kräften? Was gilt beim akuten Notfall?

3.  Die rechtlichen Verhältnisse der Triage bzw. Erstbeurteilung sind bislang kaum mit Blick auf die Praxis der Notaufnahmen beleuchtet worden. Heute ist die Erstbeurteilung vor allem ein Feld der Pflege. Was müssen die Erstbeurteilungsfachkräfte beachten? Wie müssen sie ärztlicherseits angeleitet und überwacht werden? Das Thema ist rechtlich komplexer, als es die inzwischen selbstverständliche Handhabung in der Praxis vermuten lässt.

1.1       Die Versorgungspflicht von Notaufnahmen

1.1.1     Wartezeiten und Versorgungspflicht

Lange Wartezeiten sind in Notaufnahmen an der Tagesordnung. Sie sind immer wieder Gegenstand von Presseberichten (z. B. Merlot et al. 2017). Auch wenn die Ambulanzen zunehmend medizinisch besser organisiert scheinen als noch vor Jahren, hat sich dieser Eindruck nicht wirklich geändert. Gründe gibt es hierfür so einige. So ist derzeit z. B. noch keine stimmige und übergreifende Kapazitätenplanung der Notfallversorgung vorhanden. Zudem sind die unterschiedlichen »Säulen« der Notfallversorgung (Notaufnahmen der Krankenhäuser, der öffentliche Rettungsdienst und die vertragsärztliche Notfallversorgung) nicht hinreichend aufeinander abgestimmt.

Zum Thema Patientenversorgung und Wartezeit stellen sich folgende Fragen:

a)  Welchen noch tolerierbaren Umfang dürfen Wartezeiten in Notaufnahmen insgesamt aufweisen? Gibt es eine Grenze, ab derer man davon ausgehen muss, dass eine Notaufnahme ihrer Versorgungspflicht nicht mehr nachkommt?

b)  Sind Wartezeiten nur bei Bedarfsspitzen zulässig oder dürfen sie auch täglich wiederkehrend auftauchen? Macht es im Übrigen einen Unterschied, ob der Bedarf unvorhersehbar für das Krankenhaus war oder Wartezeiten ihre Ursache in ambulanzinternen Mängeln (fehlendes Personal, schlechte Organisation o. ä.) haben? Und wenn ja, welchen?

Diese Fragen sind vielschichtig. Man kann sie auf den einzelnen Patienten beziehen oder auf das gesamte Behandlungsgeschehen. Nachfolgend soll das Thema einmal rechtlich durchleuchtet werden.

1.1.2     Wartezeiten als Pflichtenverstoß im Rahmen der Versorgungspflicht?

Kann es ein öffentlich-rechtliches Pflichtversäumnis des Krankenhauses darstellen, wenn es in einer Ambulanz zu unangemessenen Wartezeiten kommt? Diese Frage ist rechtlich nicht ganz eindeutig zu beantworten, da zunächst einmal zu bestimmen wäre, wie genau denn die »Versorgungspflicht« von Krankenhausambulanzen überhaupt aussieht. Was muss eine Ambulanz im Rahmen der Notfallversorgung leisten und wann erbringt sie diese Leistungen nicht mehr ordnungsgemäß? Hier gibt es unterschiedliche Blickwinkel:

Versorgungspflicht unter strafrechtlichen Aspekten

Das Strafgesetzbuch regelt unter Strafandrohung, dass jeder verpflichtet ist, bei Unglücksfällen Hilfe zu leisten, soweit er dazu in der Lage und es ihm zumutbar ist (§ 323c StGB). Dies gilt in besonderem Maße für Krankenhäuser und Krankenhauspersonal. Aber diese Regelung betrifft nur den Einzelfall. Sie sagt nichts darüber aus, ob es für die Versorgung einer bestimmten Organisationstruktur bedarf und wie diese aussehen soll. Weiterhin ist die Behandlungspflicht im Einzelfall auch insoweit beschränkt, als ja viele Patienten gleichzeitig behandelt werden müssen und schon deshalb Patienten mit weniger dringlichen Erkrankungen durchaus aus sachlichen Gründen auf das Warten verwiesen werden. Wir können dem Strafrecht daher nur entnehmen, dass es auch strafrechtliche Folgen haben kann, wenn ein Patient schuldhaft nicht behandelt wird, obwohl er der Behandlung bedurft hätte. Eine Aussage über die Frage, wie die Versorgungspflicht der Notaufnahme im Allgemeinen aussieht, ist aber nicht im Strafrecht zu finden.

Versorgungspflichten aus dem Sozialrecht

Auch das Sozialrecht macht im SGB V keine konkreten Vorgaben – weder zur Vorhaltung von Ambulanzen noch zu deren Leistungsumfang. Eine Sicherstellungsverpflichtung ist dort lediglich für die Ambulanzen der Kassenärztliche Vereinigung (KV-Ambulanzen) geregelt. Auch hier bleibt allerdings der konkrete Versorgungsumfang unklar. Immerhin gibt es jedenfalls eine Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Sicherstellung der Versorgung – also zumindest einen Anknüpfungspunkt für eine Soll-Feststellung. Bei Notaufnahmen findet sich aber nichts Entsprechendes. Hier bleibt das SGB V kursorisch. Regelungen finden sich im SGB V bzw. den darauf beruhenden Regelungen (z. B. den G-BA-Beschlüssen zur gestaffelten Notfallversorgung) im Wesentlichen nur zur Vergütung.

Lediglich in § 76 Abs. 1 SGB V ist darüber hinausgehend geregelt, dass Notaufnahmen auch von gesetzlich Krankenversicherten aufgesucht werden können, wenn ein Notfall vorliegt. In welchem Umfang allerdings eine solche Versorgung zu gewährleisten ist und wer hierfür verantwortlich ist, bleibt offen.

Krankenhausplanungsrecht und ambulante Notfallversorgung

Konkretere Aussagen zur Pflicht von Krankenhäusern zur Versorgung von Notfällen machen die meisten Krankenhausgesetze der Länder. Aber nicht alle sprechen das Thema der ambulanten Notfallversorgung durch Krankenhäuser an. (Eine gute Zusammenstellung findet sich bei DKG 2018).

In Baden-Württemberg heißt es z. B. in § 28 LKHG BW, dass das Krankenhaus im Rahmen seiner Aufgabenstellung und Leistungsfähigkeit zur Aufnahme und Versorgung verpflichtet ist. Über die Leistungsfähigkeit hinaus hat es zumindest eine einstweilige Aufnahme sicherzustellen, bis der Patient verlegt werden kann. Damit ist auch die ambulante Versorgung miterfasst. Ähnlich ist dies z. B. im Sächsischen Krankenhausgesetz geregelt. Auch in Thüringen wird der Gesetzgeber konkreter. Hier regelt das Krankenhausgesetz (§ 18 Abs. 3 und 4 ThürKHG), dass eine rechtzeitige ärztliche Hilfeleistung gewährleistet sein muss und dass die Krankenhausplanungsbehörde prüfen muss, ob ein Krankenhaus im Krankenhausplan verbleiben kann, wenn es seine Verpflichtung zur Notfallversorgung nicht erfüllt. Richtig weiter hilft das aber auch nicht, da das Gesetz nicht sagt, was denn die Verpflichtung beinhaltet.

Demgegenüber finden sich in anderen Krankenhausgesetzen nur allgemeine Festlegungen, dass entweder alle Krankenhäuser oder jedenfalls einige konkret benannten Krankenhäuser zur ambulanten (und stationären) Notfallversorgung verpflichtet sind. Manchmal findet sich auch, dass Krankenhäuser vorrangig im Krankenhausplan berücksichtigt werden sollen, wenn sie an der Notfallversorgung teilnehmen. In großen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern und Niedersachsen werden keine expliziten Vorgaben zur ambulanten Versorgung gemacht.

Damit ergibt sich folgendes Bild: Das deutsche Gesundheitssystem legt mehr oder weniger stillschweigend zu Grunde, dass die ambulante Notfallversorgung von den Krankenhäusern sichergestellt wird, zumindest soweit ein Krankenhaus für ein Fachgebiet auch einen entsprechenden stationären Versorgungsauftrag hat. Damit ist die ambulante Notfallversorgung eine Art Annex zur stationären Krankenhausplanung. Diese lässt den konkreten ambulanten Versorgungsbedarf, der durch Notaufnahmen abzudecken ist, aber weitgehend unberücksichtigt. Krankenhäuser müssen im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit grundsätzlich Notfälle versorgen. Wie sie das tun, mit welcher Organisationsstruktur und ob diese effizient oder geeignet ist, ist hingegen nicht geregelt. Kapazitätenplanung und Wartezeiten sind keine rechtlichen Kategorien der ambulanten Notfallversorgung.

Fazit

Versorgungspflichten der Notaufnahmen sind bezogen auf den Einzelfall recht genau zu bestimmen. Eine Bedarfsplanung, die einen allgemeinen Soll/Ist-Abgleich der Versorgungssituation ermöglichen würde, fehlt hingegen. Aus einer Gesamtsichtung der sich auf Ambulanzen beziehenden Regelungen (Krankenhausgesetze, Abrechnungsregelungen usw.) ergibt sich, dass Krankenhäuser verpflichtet sind, auch für ambulante Notfälle die Versorgung sicherzustellen und dazu organisatorisch abgegrenzte Einheiten in Form von Notaufnahmen betreiben können bzw. müssen.

Die Versorgungspflicht bezieht sich im Wesentlichen auf die stationären Fachgebiete, wobei aber auch akute Notfallpatienten aus anderen Fachgebieten zumindest vorläufig aufzunehmen sind. Die Versorgungspflicht besteht im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses. Notfälle sind zu versorgen. Wie lange sie warten dürfen, ist rechtlich nicht geregelt.

Strafrechtlich ist recht genau zu ermitteln, welche Hilfeleistungen in Notfällen im Einzelfall zu erbringen sind. Hieraus ergibt sich eine Verpflichtung der Krankenhäuser, bei Not- bzw. Unglücksfällen durch ihr Personal Hilfe zu leisten, soweit dies dazu in der Lage und es zumutbar ist (§ 323c StGB).

Aber die Norm beinhaltet keine Handlungspflicht der Krankenhäuser, Einrichtungen in einem bestimmten Umfang zu betreiben und zu unterhalten, um bei Notfällen bereitzustehen. Soweit Personal im Krankenhaus bei einem Notfall anwesend ist, ergeben sich individuelle Hilfspflichten. Aber wie diese Hilfeleistung durch das Krankenhaus organisiert wird, ist nicht vorgegeben. Zusätzliche Personalvorhaltungen, um besser oder schneller Hilfe zu leisten, sind nicht verpflichtend.

Verstöße gegen die Versorgungspflicht

Entsprechend dem unklaren Begriff der Versorgungspflicht ist auch schwierig zu bestimmen, wann ein Krankenhaus gegen Pflichten bei der ambulanten Versorgung verstößt. Das wäre aber wünschenswert, nicht so sehr um Krankenhäuser besser sanktionieren zu können, sondern um den Krankenhäusern, den ärztlichen Leitungen und dem Personal einer Ambulanz ein Instrument an die Hand zu geben, das auf drohende Pflichtversäumnisse frühzeitig hinzuweist, um diesen entsprechend entgegenzuwirken zu können.

Wenn Notfallbehandlung überhaupt nicht mehr oder nicht mehr durchgängig gewährt wird, lässt sich für eine Aufsichtsbehörde noch am einfachsten damit argumentieren, dass das Krankenhaus eine ambulante Notfall-Versorgungspflicht im Zusammenhang mit seinem stationären Versorgungsauftrag verletzt. Dies liegt umso näher, wenn das Krankenhaus – wie in Hessen – im Krankenhausplan für die Notfallversorgung ausgewiesen ist. Auch strafrechtlich dürfte das problematisch sein. Dies meint den Fall, dass ein Krankenhaus seine Ambulanz für Patienten sperrt oder diese, z. B. aus Kapazitätsgründen, pauschal ohne Erstbeurteilung ablehnt oder verweist.

Das sogenannte »Abmelden« des Krankenhauses aus der Notfallversorgung bei der Leitstelle ist im Übrigen kein Entschuldigungsgrund, um Behandlungen nicht mehr durchzuführen, sondern nur ein organisatorischer Hinweis an den Rettungsdienst, das Krankenhaus nicht mehr anzufahren.

Bei allen anderen Gestaltungen ist unklar, ob ein Pflichtversäumnis vorliegt: Wenn es organisatorische Mängel oder Personalunterbesetzungen gibt – z. B. mit der Folge von regelmäßig überlangen Wartezeiten – so lässt sich daraus nicht ohne Weiteres ein Pflichtversäumnis ableiten. Wie viel Personal müssen Krankenhäuser für die Erstbeurteilung, die ärztliche Behandlung und spezifische Erstversorgungsaufgaben tatsächlich vorhalten? Wie weit dürfen Krankenhäuser angesichts schlechter Refinanzierung die Ambulanzen personell ausdünnen? Wie oft darf ein Krankenhaus seine Notaufnahme bei der Leitstelle abmelden? Hierzu gibt es keine verbindlichen Regelungen oder Grenzen. Zugespitzt gesagt, ist ein Pflichtversäumnis immer dann kaum nachweisbar, wenn alle Patienten zumindest eine Erstbeurteilung erhalten und bei der Versorgung nicht systemhaft Haftungsfälle auftreten, die auf einen organisatorischen Mangel hindeuten. Wartezeiten sind hingegen irrelevant, auch wenn sie regelhaft auftreten und die Zeitvorgaben des jeweiligen Triage-Systems immer wieder überschritten werden.

Wartezeiten und Qualitätssicherung

Die oben dargestellte unbefriedigende Unklarheit zu den tatsächlichen Versorgungspflichten einer Notaufnahme wird dadurch verschärft, dass auch hinsichtlich der Qualitätssicherungspflichten in der Notaufnahme rechtlich grundlegende Unklarheiten bestehen. Die §§ 135 ff. SGB V beschäftigen sich mit der Qualitätssicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dort gibt es im Grundsatz nur Vertragsärzte und Krankenhäuser. Notaufnahmen sind formal den Krankenhäusern zuzuordnen, obwohl sie ambulante Versorgung durchführen. Sie unterliegen der vertragsärztlichen Qualitätssicherung nur, wenn sie im Rahmen des § 95 Abs. 1b SGB V durch Vertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung in die vertragsärztliche Notfallversorgung einbezogen sind. Im Bereich der Krankenhäuser finden die Notaufnahmen aber meist trotz ihrer atypischen Leistungsstruktur bei der Qualitätssicherung keine besondere Berücksichtigung. Insofern sind Wartezeiten oder Überschreitungen der Zeit, bis der triagierte Patient den Arzt sehen sollte, oder die allgemeine Patientenzufriedenheit derzeit zwar im Rahmen der privaten oder von den medizinischen Fachgesellschaften angebotenen Zertifizierungen zu berücksichtigen, spielen aber im Rahmen der Qualitätssicherung keine Rolle.

Vielleicht werden die G-BA-Beschlüsse (in Verbindung mit den Empfehlungen der Fachgesellschaften) bald auch im Hinblick auf dieses Thema an Bedeutung gewinnen. Derzeit führen sie dazu, dass die Höhe der Vergütungszuschläge sinkt, die die Krankenhäuser für die Notfallversorgung erhalten. Unbefriedigend ist weiterhin, dass sie im Wesentlichen nur Aspekte der Strukturqualität benennen. Wichtige Elemente der Sicherung der Prozessqualität sind jedoch noch nicht zu finden, wie z. B. die Vorgabe von verpflichtenden Teamtrainings oder Simulationstrainings.

Eine grundlegende Änderung der Situation ist nicht zu erwarten, jedoch wohl eine gewisse Weiterentwicklung im Bereich der Qualitätssicherung. Der Gesetzgeber hält sich auf Bundes- und Landesebene mit belastbaren Vorgaben zur Versorgungspflicht von Notaufnahmen vielleicht auch deshalb zurück, weil durch momentane Unterfinanzierung der Notaufnahmen selbst ein erheblicher Anteil an dem Problem verursacht wird. Stattdessen wird derzeit der Fokus auf die Verbesserung der Patientensteuerung gelegt. Diese soll dafür sorgen, dass Leichterkrankte von Anfang an nicht in den Notaufnahmen anlaufen und diese entlastet werden. Das ist vernünftig. Nur muss dann auch die Steuerung vernünftig funktionieren. Das wird wohl eine Zukunftsaufgabe werden.

1.1.3     Patient und Wartezeit – Was schuldet die Ambulanz?

Bezogen auf den einzelnen Patienten verbirgt sich hinter der Frage nach der zulässigen Obergrenze von Wartezeiten die Rechtsfrage, ob ein Patient Rechtsansprüche im Zusammenhang mit überlangem Warten haben kann.

Unproblematisch ist dies zu bejahen, soweit Wartezeiten als Ergebnis einer falschen ärztlichen Ersteinschätzung zu einer Gesundheitsschädigung bei dem Patienten geführt haben. In diesem Fall ist jedoch nicht die Wartezeit, sondern die medizinische Fehlbeurteilung des Sachverhaltes Grund für den Schadenersatzanspruch.

Kann aber der Patient auch wegen einer unangemessenen Wartezeit selbst Forderungen geltend machen? Auch wenn dies eine in der Praxis kaum auftretende Frage ist, lohnt sich die Betrachtung, um das Verhältnis der Rechte und Pflichten zwischen Notaufnahme und Notfallpatient etwas tiefer zu beleuchten.

Wenn der Patient nach Vorsprache am Ambulanztresen in den Wartebereich verwiesen wird, um dort vom Arzt aufgerufen zu werden, ist in der Regel durch schlüssiges Verhalten ein Vertragsverhältnis begründet worden, auch wenn dazu keine schriftlichen Vereinbarungen getroffen wurden. So sagt die Krankenhausambulanz dem Patienten durch dieses Verhalten stillschweigend zu, ihn zu behandeln (§ 630a BGB) – es entsteht ein Behandlungsvertrag. Wann die Behandlung zu erfolgen hat, wird hierbei nicht genau vereinbart. Jedoch lässt sich dies durch Auslegung näher bestimmen. Nach den Umständen (§ 271 BGB) wird die Behandlungsleistung nämlich damit erst fällig, wenn nach der Verkehrsauffassung (§ 157 BGB) mit einer Behandlungsaufnahme zu rechnen ist. Und hier ist nun einmal zu bedenken, dass Notaufnahmen kein planbares Behandlungsgeschehen haben und eben auch längere Wartezeiten regelmäßig zu erwarten sind. Wann Wartezeiten aber das übliche Maß übersteigen, ist schwer zu sagen. Dies hängt von der Art und Schwere der Erkrankung ab, aber auch z. B. von der Frage, ob die Behandlung durch einen spezialisierten Facharzt durchgeführt werden muss und es deshalb üblicherweise längere Wartezeiten gibt. Mehrere Stunden sind allerdings sicherlich als Wartezeit nicht mehr tolerabel, insbesondere wenn nach der Erstbeurteilung eine wesentlich frühere Behandlung hätte erfolgen müssen. Aber dies allein reicht nicht für einen Schadenersatzanspruch. Vielmehr muss der Patient noch weitere Dinge darlegen und beweisen. So muss er ernstlich die Behandlung unter Verweis auf die Wartezeit angemahnt haben. Und dann muss er konkret vortragen, dass die Krankenhausambulanz die übermäßige Wartezeit zu vertreten hat (§ 286 Abs. 4 BGB), diese also schuldhaft gehandelt hat. Das ist natürlich für den Patienten in der Regel nur schwer darzulegen und zu beweisen. Es hängt insoweit ein wenig von den Gegebenheiten vor Ort ab, ob der Patient hier wirklich Hintergründe erfährt. In der Praxis wird es daher nur äußerst selten vorkommen, dass Patienten aufgrund bloßen Wartens einen Schadenersatzanspruch verwirklichen können.

Umgekehrt ist aber der Patient regelmäßig auch keinen Ersatzansprüchen ausgesetzt, wenn er entnervt die Ambulanz verlässt – auch wenn dies natürlich keine wirklich sehr befriedigende Situation für ihn ist.

1.2       Sorgfaltspflichten und Behandlungsstandards in der Notaufnahme

Der vorstehende Abschnitt beschäftigte sich mit der Versorgungspflicht von Notaufnahmen, also der Frage, in welchem Umfang Notfallversorgung zu gewährleisten ist. Nachstehend soll die Frage erörtert werden, in welcher Qualität und Güte die Leistungen der Notaufnahmen erbracht werden müssen.

1.2.1     Ärztliche Sorgfaltspflicht: Facharztstandard

Grundsatz

Auch für Notaufnahmen gilt der in der Rechtsprechung entwickelte sogenannte Facharztstandard. Dieser besagt, dass bei der ärztlichen Behandlung im Regelfall auf den jeweiligen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrung abgestellt werden muss, der zur Erreichung des Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat. Maßgeblich sind insoweit regelmäßig Leitlinien, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegebenen werden (BGH, VersR 2010, S. 214 f.; vgl. auch OLG Hamm, NJW 2000, S. 1801 ff., Carstensen 1989, B 1736/7).

Behandlung durch Nicht-Fachärzte – Was ist zu beachten?

Der Facharztstandard bedeutet nicht, dass nur Ärzte mit Facharztanerkennung Patienten behandeln dürfen. Wenn andere Ärzte – in der Regel Weiterbildungsassistenten – tätig werden, ist jedoch einiges zu beachten. So verstößt eine Behandlung durch einen Weiterbildungsassistenten gegen den Facharztstandard, wenn sie den Patienten zusätzlich gefährdet (BGH, Urt. v. 27.09.1983 – VI ZR 230/81, BGHZ 88, 248–260, Rn. 12). Das ist nur dann auszuschließen, wenn der Assistent sich unter den besonderen Umständen des Falles darauf verlassen durfte, dass er durch die vorgesehene Operation nicht überfordert war (und damit die Patientin nicht zusätzlich gefährdete), und die Anleitung durch einen Facharzt bzw. Oberarzt vollständig und ausreichend war.