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Die Praxis der Frühpädagogik steht derzeit wieder einmal vor großen Herausforderungen. Immer mehr und immer jüngere Kinder werden immer länger betreut. Viele von ihnen haben Migrations- oder Inklusionshintergrund. Erzieher*innen müssen in Zukunft mehr denn je in der Lage sein, die organisatorischen und institutionellen Zusammenhänge ihres professionellen Handelns mitzubedenken und prozessorientiert umzusetzen. Hier setzt der Ratgeber an: Er vermittelt praxisnah und leicht verständlich die vielfältigen Rechtskenntnisse, ohne die Erzieher*innen heute in ihrer facettenreichen Arbeit vor Ort nicht mehr handeln sollten; so knapp wie möglich, jedoch stets so detailliert und anwenderorientiert wie nötig. Der Titel stützt die steigenden Anforderungen an die Qualität professionellen Könnens von Erzieher*innen und nicht zuletzt die bewusste Herausbildung und Optimierung institutioneller Handlungsqualität. Fachkräfte müssen in Zukunft mehr denn je darin bewandert sein, die organisatorischen und institutionellen Zusammenhänge ihres professionellen Handelns differenziert mitzubedenken und prozessorientiert umzusetzen. Das Buch hilft, dieser Herausforderung gerecht zu werden und gibt das Wissen der maßgeblichen rechtlichen und organisatorischen Abläufe. Es trägt zum Finden des eigenen – stets ganz individuellen und authentischen – Wegs bei, mit Organisationen, Institutionen und Gremien und deren jeweiligen Eigengesetzlichkeiten selbstbestimmt umzugehen.
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Seitenzahl: 252
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von
Tanja von Langen
Rechtsanwältin
3. Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2011 Kommunal- und Schul-Verlag GmbH & Co. KG · Wiesbaden
3. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten ·
Satz: metiTec Satzsystem, me-ti GmbH · Berlin
ISBN 978-3-8293-1536-4
eISBN 978-3-8293-1635-4
Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort zur 2. Auflage
Vorwort zur 3. Auflage
Abkürzungsverzeichnis
Teil 1:Rechtsverhältnisse
Einführung
1.Die bundesgesetzlichen Vorgaben des SGB VIII
1.1Der Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII
1.1.1Das Kindeswohl – ein unbestimmter Rechtsbegriff
1.1.2Übersicht: Die Kinderrechte
1.1.3Kindeswohlgefährdung erkennen
1.1.3.1Die Quelle
1.1.3.2Plausibilität
1.1.4Beobachtungen auswerten
1.1.5Einbeziehung des Kindes und der Personensorgeberechtigten
1.1.5.1Ausnahme: Verzicht auf Freiwilligkeit bei akuter Gefährdung des Kindes
1.1.5.2Ausnahme: Verzicht auf Einbezug der Eltern bei Gefahr von Gewalt gegen das Kind
1.1.6Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft
1.1.7Übersicht: Prozessdiagramm § 8a SGB VIII
1.1.8Aktuelle Rechtsprechung
1.1.9Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, § 8b SGB VIII
1.2Der Förderauftrag nach § 22 SGB VIII
1.2.1Förderung der Entwicklung
1.2.2Erziehungspartnerschaft
1.2.3Vereinbarkeit von Familie und Beruf
1.2.4Die Trias Erziehung, Bildung und Betreuung
1.2.4.1Erziehung
1.2.4.2Bildung
1.2.4.3Betreuung
1.2.4.4Die Vermittlung orientierender Werte und Regeln: Religionsausübung in der Kita
1.2.4.4.1Noch Wertevermittlung oder schon Religion?
1.2.4.4.1.1Der Verzehr von Schweinefleisch
1.2.4.4.1.2Das Aufhängen eines Kruzifixes
1.2.4.4.1.3Das Feiern christlicher Feste
1.2.4.4.1.4Das Tragen eines Kopftuches
1.2.4.4.2Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft
1.3Der Kooperationsauftrag nach § 22a Abs. 2 SGB VIII
1.3.1Die einzelnen Kooperationspartner
1.3.1.1Erziehungsberechtigte nach § 22a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 1. Alt. SGB VIII
1.3.1.1.1Kooperation bei Trennung und Scheidung – Wie soll das denn gehen?
1.3.1.1.1.1Die Rechtslage bis zur Trennung
1.3.1.1.1.2Die Rechtslage ab der Trennung
1.3.1.1.1.3Die Rechtslage bei Notfällen
1.3.1.1.1.4Die Rechtslage bei wechselseitiger Ausübung des Sorgerechtes
1.3.1.1.1.5Die Rechtslage bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes
1.3.1.1.1.6Die Rechtslage bei unverheirateten Eltern
1.3.1.1.1.7Dokumentation von Rechten und Absprachen
1.3.1.1.1.8Rechte von Dritten im Scheidungsverfahren gegenüber der Kita
1.3.1.1.2Helfende Eltern – Wer haftet, wenn etwas passiert?
1.3.1.1.2.1Trägerschaft
1.3.1.1.2.2Versicherter Personenkreis
1.3.1.1.2.3Auftrag und Zustimmung
1.3.1.1.3Strafgebühren für Spätabholer
1.3.1.1.4Die kollektive Beteiligung von Eltern: Elternbeirat, Kindergartenausschuss & Co
1.3.1.1.4.1Die reine Beratungsfunktion
1.3.1.1.4.2Das Recht auf Anhörung
1.3.1.1.4.3Welche Entscheidungen wichtig sind
1.3.1.1.4.4Was tun, wenn die Anhörung vergessen wurde?
1.3.1.1.4.5Die Mitwirkung an Personalentscheidungen
1.3.1.1.4.6Elternbeiräte, Beiräte, Kindergartenausschüsse – eine Übersicht über die Regelungen in den einzelnen Bundesländern
1.3.1.2Tagespflegepersonen nach § 22a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt. SGB VIII
1.3.1.3Kinder- und familienbezogene Institutionen im Gemeinwesen nach § 22a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII
1.3.1.3.1Fördervereine
1.3.1.3.2Familienzentren
1.3.1.3.2.1Versicherungsschutz im Familienzentrum?
1.3.1.3.2.2Versicherungsschutz nur für angemeldete Kinder
1.3.1.3.2.3Wann endet der Versicherungsschutz?
1.3.1.3.2.4Für Eltern kein Versicherungsschutz
1.3.1.3.2.5Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII
1.3.1.3.2.6Versicherungsschutz in Verbund-Kitas
1.3.1.4Schulen nach § 22a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII
1.3.1.4.1Datenübermittlung: Was erlaubt ist und was nicht
1.3.1.4.1.1Die Einwilligung
1.3.1.4.1.2Die Freiwilligkeit
1.3.1.4.2Das Jahr vor Schuleintritt
1.3.1.4.2.1Nicht jedes Thema ist erlaubt
1.3.1.4.2.2Die Eltern sind immer mit einzubeziehen
1.3.1.4.3Das Jahr nach Schuleintritt
1.3.1.4.3.1Beobachtungen dürfen verglichen werden
1.3.1.4.3.2An die rechtzeitige Löschung der Daten denken
1.3.1.4.4Besondere Regelungen für Kinder mit Migrationshintergrund
1.4Kooperationsauftrag contra Datenschutz: Was immer zu beachten ist
1.4.1Datenschutz in Gesetz und Rechtsprechung
1.4.2Die Pflicht zur Geheimhaltung
1.4.3Das Datum
1.4.3.1Das Sozialdatum
1.4.3.2Das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis
1.4.4Die korrekte Datenerhebung
1.4.5Die korrekte Datenpflege
1.4.6Die korrekte Datennutzung
1.4.7Die korrekte Datenübermittlung
1.4.8Höchste Vorsicht bei anvertrauten Daten
1.5§ 24 SGB VIII: Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz
1.5.1Wer ist Anspruchsinhaber?
1.5.2Wer ist Anspruchsgegner?
1.5.3Wann beginnt und endet der Anspruch?
1.5.4Wann ist der Anspruch zu erfüllen?
1.5.5Worauf richtet sich der Anspruch?
1.5.6Wo ist der Anspruch zu erfüllen?
1.5.7Wie ist der Anspruch zu erfüllen?
1.5.8Welche Betreuungszeit umfasst der Anspruch?
1.5.9Womit wird der Anspruch geltend gemacht?
1.5.10Welche Rechtsfolgen treten bei Nichtgewährung ein?
1.5.11Aktuelle Rechtsprechung
2.Rechtsbeziehungen zu Externen
2.1.1Vertretungsrechte klar festlegen
2.1.2Annahme muss erklärt werden
2.1.3Annahme muss erklärt werden
2.2Feste feiern
2.2.1Annahme muss erklärt werden
2.2.2Lebensmittelausgabe
2.2.2.1Gefahrenanalyse durchführen
2.2.2.2CCP festlegen
2.2.2.3Maßnahmen festlegen
2.2.2.4Einhaltung überwachen
2.2.3Tombola
2.2.4Lizenzrechte an „Werken der Musik“
2.3Die rechtssichere Homepage
2.3.1Der PC
2.3.2Rechtsfreier Name
2.3.3Inhalte
2.3.4Rechtssicheres Verlinken
2.3.5Personenbezogene Daten
2.3.6Recht am eigenen Bild
Teil 2:Aufsichtspflicht
Einführung
1.Die Grundlagen der Aufsicht
1.1Wer muss beaufsichtigt werden?
1.2Der Inhalt der Aufsichtspflicht
1.3Die Arten der Aufsicht
1.3.1Die gesetzliche Aufsichtspflicht
1.3.2Die vertragliche Aufsichtspflicht
1.3.3Gefälligkeitsaufsicht
1.3.4Offene Betriebe
1.3.5Die Haftung
1.4Beginn und Ende der Aufsichtspflicht
1.5Die Faktoren der Aufsichtspflicht
1.5.1Kindesbezogene Umstände
1.5.2Ortsbezogene Umstände
1.5.3Situationsbezogene Umstände
1.6Übersicht: Die Faktoren der Aufsichtspflicht
1.7Aufsicht konkret: Was ist zu tun?
1.7.1Die Pflicht zu informieren
1.7.2Die Pflicht, die Aufsicht konkret zu führen
1.7.3Die Pflicht, einzugreifen
1.7.4Die Pflicht, die Beherrschbarkeit der Gefahr zu vermitteln
1.7.5Aufsicht konkret: Die Pflichten im Überblick
1.8Aufsichtspflicht in Einzelfällen
1.9Steinwürfe vom Kindergartengelände
1.9.1Der erste Stein trifft
2.Aufsichtspflicht in einzelnen Anwendungsfeldern
2.1Abholstunde als Plauderrunde?
2.1.1Die drei Phasen korrekter Abholung
2.1.2Begrüßung, Handschlag, Übergabe
2.1.3Kein Aufleben der Aufsichtspflicht
2.2Alleingang
2.2.1Nie ohne Einverständniserklärung
2.2.2Nie ohne Beweismittel
2.2.3Nie ohne konkrete Einzelfallprüfung
2.2.4Abholen in Einzelfragen
2.2.4.1Was tun, wenn niemand zum Abholen kommt?
2.2.4.2Dürfen ältere Geschwister abholen?
2.2.4.3Sollte man einem Angetrunkenen das Kind übergeben?
2.3Ausflüge
2.3.1Der Weg
2.3.2Die Ausrüstung
2.3.3Die Begleitpersonen
2.3.4Die Kontrolle
2.4Medikation
2.4.1Kinderkrankengeld
2.4.2Kein Anspruch auf Medikation
2.4.3Bei Verpflichtung der Einrichtung auch Versicherungsschutz
2.4.4Verantwortung liegt beim Arzt und den Eltern
2.4.5Einverständniserklärung der Eltern zur Medikation und zur Dosierung
2.4.6Unterweisung durch den Arzt
2.4.7Auch Nebenpflichten sind zu beachten
2.5Kinderbeförderung mit dem Privat-Pkw
2.5.1Einverständniserklärung der Eltern
2.5.2Verbot im Arbeitsvertrag prüfen
2.5.3Pkw nicht gesetzlich unfallversichert
2.5.4Im Notfall nie
2.5.5Kinder richtig sichern
2.6Übernachtungen in der Kita
2.6.1Die Organisation
2.6.2Die Schlafplätze
2.6.3Die Notfallvorsorge
2.7Waldtage
2.7.1Informieren
2.7.2Unterweisen
2.7.3Einverständniserklärung
2.7.4Regeln einüben
2.7.5Fuchsbandwurm-Prophylaxe
3.Die Delegation der Aufsichtspflicht
3.1Die konkrete Aktion
3.2Die teilnehmenden Kinder
3.3Die Praktikantin
3.4Die Relation muss stimmen
3.5Übersicht: Die Faktoren der Delegation
4.Verkehrssicherungspflichten
Teil 3:Haftung
1.Schadensersatzpflicht
1.1Der Aufsichtsbedürftige kommt zu Schaden
1.2Ein Dritter kommt zu Schaden
1.3Der Aufsichtspflichtige kommt zu Schaden
1.4Haftung der Kita
1.5Übersicht: Haftung der Erzieherin
1.6Übersicht: Haftung des Trägers
1.7Mehrere Haftungsadressaten
1.8Besondere Regelung bei städtischen Kindergärten
2.Strafrechtliche Folgen
3.Arbeits- und dienstrechtliche Folgen
Anhang 1Überblick Fachdienste
Anhang 2Wichtige Definitionen
Anhang 3Musterformulare
3.1Erklärung zur Sorgerechtsregelung
3.2Auftragerteilung Elternmitarbeit
3.3Formular Zustimmungserklärung
3.4Einwilligungserklärung Kooperation Schule – Kindergarten
3.5Erklärung mitarbeitender Eltern /Praktikantinnen zur Wahrung des Sozial- und Betriebsgeheimnisses
3.6Musterschreiben Unverlangt zugesandte Ware
3.7Hinweis Ausschluss der Aufsichtspflicht
3.8Antrag auf Erlaubnis und Lotteriesteuerfreistellung einer Tombola
3.9Zustimmung zur Veröffentlichung von Fotos
3.10Einverständniserklärung Alleingang
3.11Einverständniserklärung Medikation
3.12Einverständniserklärung Übernachtung
3.13Einverständniserklärung Waldtag
Literaturverzeichnis
Web-Links
Stichwortverzeichnis
Als Friedrich Fröbel am 28. 6. 1840 in (heute Bad) Blankenburg den „Allgemeinen Deutschen Kindergarten“ stiftete, hielt man eine besondere Ausbildung des pädagogischen Personals – gar eine rechtliche – nicht für notwendig. Diesbezüglich hieß es beispielsweise in § 11 der von König Ludwig I. von Bayern genehmigten und korrigierten „Bestimmungen, nach welchen bei Errichtung und Beaufsichtigung der Kleinkinderbewahranstalten künftig zu verfahren ist“ vom 17. 10. 1839 lediglich:
„Es genügt vielmehr vollständig, wenn dergleichen Leute das gegründete Zeugnis eines frommen Sinnes, eines unbescholtenen Rufes und eines tadellosen Wandels für sich haben, wenn sie noch in den kräftigeren Lebensjahren stehen und heiteren Gemütes sind, wenn sie sich einfach, klar und bestimmt auszudrücken wissen, mit der Freundlichkeit den rechten Ernst verbinden und mit der Sanftmut und Geduld die nötige Willenskraft und Beharrlichkeit vereinigen, insbesondere aber, wenn sie Liebe zu Kindern haben und sich der unentbehrlichen Gabe der Anregung und der Mitteilung erfreuen, durch die sie allein mit Erfolg auf das Innere der Kleinen einzuwirken vermögen“ (Berger, I Einleitung).
Zweifellos sind die genannten Kompetenzen auch heute noch unverzichtbare und essenzielle Voraussetzung für jede qualitätvolle Bildungsarbeit im frühpädagogischen Bereich. Indes: Sehr weit würde man mit ihnen heute nicht mehr kommen.
Die Praxis der Frühpädagogik steht nach Expertenmeinungen derzeit vor der wohl größten Herausforderung, die ihr seit Fröbel zugemutet wurde. Auftrag und Aufgabe des pädagogischen Fachpersonals unterliegen aktuell einem umwälzenden Paradigmenwandel und müssen neu definiert werden. Nicht von ungefähr hat die Umsetzung der Bildungsund Orientierungspläne allerorts zu einer breiten Qualifizierungswelle geführt. Beredtes Zeugnis hiervon geben Begriffe wie „Akademisierung“, „Qualitätsentwicklung“, „Kindeswohl“, „Erziehungspartnerschaft“, „Sozialraumorientierung“, „Transitionsforschung“ etc. Die gestiegenen Anforderungen in der Bildungsplanung und -förderung, in der Kooperation in multiprofessionellen Zusammenhängen sowie durch die zunehmende Einbeziehung der familiären und sozialräumlichen Kontexte der Kinder in die Bildungsbegleitung sind nach Kutscher (S. 15) für Träger, Einrichtungen und Fachkräfte zwar nicht völlig neu, in ihrem Ausmaß jedoch mit deutlich erweiterten Anforderungen verbunden, die beträchtliche Entwicklungsbedarfe für Strukturen und Personal aufwerfen.
Zu diesen ausschlaggebenden Anforderungen an die Qualität professionellen Könnens gehört nicht zuletzt die Herausbildung und Optimierung institutioneller Handlungsqualität: Erzieherinnen müssen in Zukunft mehr denn je in der Lage sein, die organisatorischen und institutionellen Zusammenhänge ihres professionellen Handelns differenziert mitzubedenken und prozessorientiert umzusetzen. Dieser Herausforderung kann nur diejenige gerecht werden, die um die institutionellen, organisatorischen und rechtlichen Abläufe weiß und ihren eigenen – stets ganz individuellen und authentischen – Weg findet, mit Organisationen, Gremien und Institutionen und deren jeweiligen Eigengesetzlichkeiten selbstbestimmt umzugehen.
Vor allem aber kommt es nach Schäfer (S. 12) darauf an, bei aller Eigendynamik dieser institutionellen Strukturen die pädagogischen Zusammenhänge nicht zu vergessen. Dazu müssen Fachkräfte diese institutionellen Strukturen hinsichtlich ihrer pädagogischen Auswirkungen durchschauen,
d. h. ihr geheimes Curriculum und ihre soziale Dynamik erkennen können. Ergänzend weisen Tietze/Förster (S. 49) darauf hin, dass wir uns sowohl bei der Auswahl einer Dimension als Qualitätsdimension als auch bei der diesbezüglichen Standardsetzung stets von drei übergreifenden Gesichtspunkten leiten lassen; diese sind:
•rechtliche Bestimmungen,
•Forschungsbelege der Bedeutsamkeit dieser Dimension für die Förderung von Kindern,
•Empfehlungen von Experten.
Vereinfacht gesagt: Es ergibt nun einmal keinen Sinn, einer Kita beispielsweise ein wie auch immer geartetes Zertifikat zu erteilen, wenn grundlegende gesetzliche Vorschriften nicht eingehalten werden.
Hier setzt die vorliegende Darstellung an. Sie will kein juristisches Nachschlagewerk für Träger sein, sondern praxisnah und anwenderorientiert die vielfältigen Rechtskenntnisse, ohne die Erzieherinnen heute in ihrer facettenreichen Arbeit vor Ort nicht mehr handeln können und sollten, so knapp wie möglich, jedoch stets so detailliert wie nötig vermitteln.
Es soll Ihnen als Praktikerinnen eine erste Handreichung zu rechtssicherem Handeln in den vielfältigen Rechts- und mitunter auch Spannungsverhältnissen Ihrer Einrichtung zu Eltern, Externen und Träger sein, die in Teil 1 dargestellt werden. Der besseren Übersicht für den juristischen Laien wegen wurde besonderer Wert darauf gelegt, das behandelte Problem in den rechtlichen Handlungsrahmen der bundesgesetzlichen Normvorgaben einzubetten und so ein Verständnis für den jeweils damit verbundenen gesetzlichen Auftrag zu schaffen, eben darzustellen, wo er gesetzessystematisch seinen Ursprung hat.
In Teil 2 wird ausführlich der Dauerbrenner Aufsichtspflicht in Grundlagen, Einzelfragen und praktischen Anwendungsfeldern beleuchtet.
Teil 3 schließlich erläutert die wichtigsten Haftungsgrundsätze.
Der besseren Lesbarkeit wegen werden durchgängig weibliche Bezeichnungen, z. B. „Erzieherin“, verwendet. Selbstverständlich sind aber auch immer die männlichen Vertreter des Berufsstandes gemeint.
München, im September 2011
Tanja von Langen
Der qualitative und quantitative Ausbau der Kindertagesbetreuung ist derzeit in vollem Gange. Gerade einmal drei Jahre nach Erscheinen von „Rechtsverhältnisse und Aufsichtspflichten in Kindertageseinrichtungen“ war eine komplett überarbeitete Neuauflage fällig. Dies mag illustrieren, mit welch Riesenschritten der Bundesgesetzgeber die Materie entwickelt. Die durch das Bundeskinderschutzgesetz eingeführten Änderungen im Rahmen des § 8a SGB VIII, der neu geschaffene § 8b SGB VIII und die umgestaltete Datenschutzregelung im Rahmen der Risikoabschätzung bei Kindeswohlgefährdung waren genauso einzuarbeiten wie die Neuregelung zum Sorgerecht für den nichtehelichen Vater oder der nunmehr bundesweit geltende Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr. Wie schon bei der ersten Auflage war die Praktikabilität im Erzieherinnenalltag die grundlegende Intention der Ausführungen. Mein besonderer Dank gilt dabei den Erzieherinnen, Leiterinnen, Kinderpflegerinnen, Zweit-, Ersatz- und Assistenzkräften für ihre hilfreichen Hinweise und Anregungen, die ich in zahlreichen Aus- und Fortbildungsveranstaltungen erhalten habe.
München, im Oktober 2014
Tanja von Langen
Wie schon in den beiden zuvor erschienenen Auflagen lege ich auch bei dieser dritten Auflage besonderen Wert auf Praxisbezug und Verständlichkeit. Zahlreiche ausführliche Beispiele sollen das Verständnis für den trockenen Gesetzestext fördern und einen anwenderorientierten Zugang zur Materie erleichtern. Mein besonderer Dank gilt allen Leser*innen, die mich mit hilfreichen Hinweisen und Anregungen unterstützt haben.
München, im im März 2020
Tanja von Langen
ABR
Aufenthaltsbestimmungsrecht
Abs.
Absatz
a. F.
alte Fassung
AG
Amtsgericht
Alt.
Alternative
AO
Abgabenordnung
Art.
Artikel
ASD
Allgemeiner Sozialer Dienst
AV
Ausführungsverordnung
AVR
Arbeitsvertragsrichtlinien
Az.
Aktenzeichen
BAT
Bundes-Angestellten-Tarifvertrag
BayObLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BayVGH
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschl.
Beschluss
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes
bzgl.
bezüglich
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CCP
Critical Control Points
DAR
Deutsches Autorecht (Zeitschrift)
DJI
Deutsches Jugendinstitut
DIJuF
Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht
ebd.
ebenda
Einf.
Einführung
etc.
et cetera
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FamRZ
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
ff.
folgende
GEMA
Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte
GG
Grundgesetz
ggf.
gegebenenfalls
HACCP
Hazard Analysis and Critical Control Point
HGB
Handelsgesetzbuch
Hrsg.
Herausgeber
i. d. R.
in der Regel
IfSG
Infektionsschutzgesetz
i. S. d.
im Sinne des
i. V. m.
in Verbindung mit
JA
Jugendamt
JAmt
Das Jugendamt – Zeitschrift für Jugendhilfe und Familienrecht
Familienrecht JH
Jugendhilfe
jur.
juristisch
KICK
Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe
KiföG
Kinderförderungsgesetz
KJHG
Kinder- und Jugendhilfegesetz
KunstUrhG
Kunsturhebergesetz
LAG
Landesarbeitsgericht
MDR
Monatszeitschrift für Deutsches Recht
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer
NVwZ-RR
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport
o. g.
oben genannt
OLG
Oberlandesgericht
OLGR
OLG-Report
OVG
Oberverwaltungsgericht
Rspr.
Rechtsprechung
Rz.
Randziffer
RStV
Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien
S.
Seite
SGB
Sozialgesetzbuch
SGB I
Erstes Buch Sozialgesetzbuch
SGB VIII
Achtes Buch Sozialgesetzbuch
SGB IX
Neuntes Buch Sozialgesetzbuch
SGB X
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch
s. o.
siehe oben
StGB
Strafgesetzbuch
str.
strittig
s. u.
siehe unten
SVE
Schulvorbereitende Einrichtung
TAG
Tagesbetreuungsausbaugesetz
TMG
Telemediengesetz
u. a.
unter anderem
usw.
und so weiter
Urt.
Urteil
u. U.
unter Umständen
VersR
Versicherungsrecht (Zeitschrift)
vgl.
vergleiche
WRV
Weimarer Reichsverfassung
z. B.
zum Beispiel
ZfJ
Zentralblatt für Jugendrecht
Niemand ist eine Insel. Eine Kita erst recht nicht. Hält der Träger die notwendige Betriebserlaubnis für die „Einrichtung, in der sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden“ (Definition des § 22 Abs. 1 SGB VIII) in Händen, hat er in aller Regel bereits eine mehrmonatige Odyssee durch die Gänge der bundesdeutschen Sozialverwaltung hinter sich:
Dem Antrag auf Erteilung der Betriebserlaubnis waren Stellungnahmen des Gesundheitsamtes, des Bauamtes, des Brandund Katastrophenschutzes, der Lebensmittelüberwachung und des Veterinäramtes sowie ein TÜV-Gutachten zur Stand- und Nutzungssicherheit der Außenspielgeräte beizufügen. Es musste belegt werden, dass Leitung und pädagogisches Fachpersonal über alle geforderten Ausbildungs- und Qualifikationsnachweise verfügen. Einrichtungen, die außerhalb des Bedarfsplanes der jeweiligen Kommune – beispielsweise durch eine Elterninitiative – betrieben werden sollen, müssen darüber hinaus auch durch Steuer- oder Unternehmensberatertestat nachweisen, dass der Betrieb rentabel geführt werden kann. Die Einrichtung muss über ausreichenden Haft- und Unfallversicherungsschutz verfügen und wird durch das Gewerbeaufsichtsamt im Hinblick auf die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften begangen. Das Landesjugendamt als überörtlicher Träger der Jugendhilfe prüft im Rahmen einer weiteren Begehung nach § 46 SGB VIII die Räume der Kita auf kindgerechte Ausstattung sowie die pädagogische Konzeption der Einrichtung. Diese musste schriftlich vorgelegt werden.
Bevor auch nur eine einzige Betreuungsstunde geleistet wurde, ist die Kita eine Fülle von Rechtsbeziehungen eingegangen: zu Fach- und Rechtsaufsichtsbehörde, Jugendamt, Träger, Eltern, Nachbarn. Und sie wird weitere eingehen, sobald sie ihren Betrieb aufnimmt: zu Elternbeirat, Förderverein, anderen Kindertagespflegeeinrichtungen im Sozialraum, Polizei, Feuerwehr, ASD, Sucht- und Schuldnerberatungsstellen, Ehe- und Erziehungsberatungsstellen etc.
All diese Rechtsbeziehungen dienen demselben Zweck: Eine Gefährdung des Kindeswohles auszuschließen. Denn dies ist der Maßstab, an dem sich sowohl Erteilung als auch Aufrechterhaltung der Betriebserlaubnis stets messen lassen müssen. Ist Sicherheit und/oder Wohl der Kinder nicht gewährleistet, wird die Betriebserlaubnis versagt.
Aber auch, wenn die Kita den Betrieb aufgenommen hat, wird die Aufrechterhaltung der Betriebserlaubnis im Rahmen von Revisionen laufend überprüft. Ergibt eine solche Überprüfung konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohles, kann – wie im Fall des Kaloku-Kindergartens in Rotenburg jüngst geschehen – die erteilte Betriebserlaubnis jederzeit zurückgenommen bzw. widerrufen werden. Der Kindergarten war überprüft worden, weil mit den Kindern esoterische Rituale praktiziert worden sein sollen. Offenbar sollten sie im Sinne des keltischen Druidentums und der Huna-Lehre beeinflusst werden (www.hna.de/nachrichten/kreis-hersfeld-rotenburg/rotenburg vom 10. 2. 2011). Das Hessische Familienministerium hat nach Abschluss der Prüfung die Betriebserlaubnis für den Kindergarten mit sofortiger Wirkung widerrufen. Zur Begründung führte es aus, zwar könne man nicht von einem Sektenverdacht sprechen, sehe jedoch das Kindeswohl als gefährdet an.
Der rechtliche Handlungsrahmen von Kinderbetreuungseinrichtungen für die Betätigung im „Rechtsraum Kita“ ist für alle Bundesländer einheitlich geregelt im SGB VIII.
Im allgemeinen Sprachgebrauch auch von Juristen hat es sich eingebürgert, SGB VIII und das KJHG synonym zu verwenden. Tatsächlich sind es jedoch zwei verschiedene Gesetze: Das KJHG ist ein Artikelgesetz mit 24 Artikeln, dessen Art. 1 das gesamte SGB VIII mit derzeit 105 Paragrafen beinhaltet. Die Art. 2–24 des KJHG ändern andere Gesetze mit dem Ziel der Neuregelung der Kinder – und Jugendhilfe und beinhalten Regelungen zum Inkrafttreten.
Art. 1 des KJHG bildet also das Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder und Jugendhilfe – und ist in zehn Kapitel – diese wiederum in Abschnitte – gegliedert. Im Ersten Kapitel „Allgemeine Vorschriften“ werden in den §§ 1–10 SGB VIII grundlegende Bestimmungen des Gesetzes aufgeführt, die für die folgenden Kapitel ebenfalls – eben allgemein – gelten. Das Zweite Kapitel führt die Leistungen der Jugendhilfe auf und bildet damit den inhaltlichen Schwerpunkt des Gesetzes. Im dort zu findenden dritten Abschnitt „Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen“ schreibt das SGB VIII mit den §§ 22–26 SGB VIII ausführlich die Rahmenbedingungen für die Kindertagesbetreuung fest. Eine weitere Norm mit Kindergartenrelevanz kommt mit § 45 SGB VIII hinzu, der Vorschrift über die Erteilung (oder Versagung) der Betriebserlaubnis. Und schließlich regeln die §§ 61–68 SGB VIII den Schutz von Sozialdaten.
Die für eine Kita bedeutsamen Vorschriften des SGB VIII sind demnach:
1.§§ 1–10 SGB VIII Allgemeine Vorschriften
2.§§ 22–26 SGB VIII Kindertageseinrichtungen
3.§ 45, 46 SGB VIII Betriebserlaubnis
4.§§ 61–68 SGB VIII Datenschutz
Nahezu alle für die Praxis einer Kita wesentlichen Rechtsverhältnisse haben in diesen Paragrafen ihren Ursprung. Die einzelnen Handlungsfelder werden im Folgenden erläutert.
„Jugendhilfe kann sich nicht darauf beschränken, Leistungen nur auf Antrag bzw. Nachfrage zu gewähren, sondern muss – jedenfalls bei Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls – von Amts wegen tätig werden, um sodann eine eigenverantwortliche Entscheidung darüber treffen zu können, ob einer (drohenden) Gefährdung des Kindeswohls besser durch Hilfen mit der und für die Familie oder aber durch eine Anrufung des Familiengerichtes begegnet werden kann. Durch diesen Schutzauftrag unterscheidet sich das SGB VIII von allen anderen Büchern des Sozialgesetzbuches, indem er einem Dienstleistungsverständnis strukturelle Grenzen setzt“. (BT-Drs.15/3676 S. 25/26)
Aufgrund der Einordnung der Kinder- und Jugendhilfe in das Sozialgesetzbuch war überdies der Zwangscharakter, der mit Maßnahmen in diesem Rechtsgebiet u. U. verbunden sein kann, sehr in den Hintergrund getreten. Das Konzept der Freiwilligkeit, das das SGB VIII wie alle Sozialgesetze verfolgte, führte nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen (Mrozynski, § 8a Rz. 1). Es bestand daher Anlass, den Schutzauftrag der Jugendämter wieder stärker zu betonen. Dies ist im Rahmen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, kurz KICK genannt, geschehen. KICK hat dem SGB VIII den § 8a SGB VIII hinzugefügt. Das Gesetzespaket trat am 1. 10. 2005 in Kraft.
In § 8a Abs. 1 SGB VIII heißt es:
„Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen. Soweit der wirksame Schutz dieses Kindes oder dieses Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird, hat das Jugendamt die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder den Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen und, sofern dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist, sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen. Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Erziehungsberechtigten anzubieten.“
§ 8a Abs. 2 SGB VIII regelt die Voraussetzungen, unter denen das Jugendamt das Familiengericht anzurufen hat:
„Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichtes für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen, dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichtes nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen.“
§ 8a Abs. 3 SGB VIII regelt die Einbeziehung anderer Stellen:
„Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Erziehungsberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein.“
Wer die Norm aufmerksam liest, wird feststellen: Bis hierhin sind ausschließlich die Jugendämter dem Schutzauftrag verpflichtet. Deswegen müssen nach Absatz 4 auch Kitas ebenso wie – die Verankerung der Norm im „Allgemeinen Teil“ der §§ 1–10 SGB VIII ist daher folgerichtig – andere Einrichtungen und Dienste der Jugendhilfe im Falle des Vorliegens gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung den Schutzauftrag in entsprechender Weise wahrnehmen und eine insofern erfahrene Fachkraft beratend hinzuzuziehen. § 8a Abs. 4 SGB VIII bestimmt insoweit:
„In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass
1. deren Fachkräfte bei bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes oder Jugendlichen eine Gefährdungseinschätzung vornehmen.
2. Bei der Gefährdungseinschätzung eine insofern erfahrene Fachkraft beratend hinzugezogen wird sowie
3. Die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einbezogen werden, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
In die Vereinbarung ist neben den Kriterien für die Qualifikation der beratend hinzuziehenden insoweit erfahrenen Fachkraft insbesondere die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte der Träger bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann.“
§ 8a SGB VIII ist insoweit eine Festschreibung von Pflichten, die seit einem Beschluss des OLG Stuttgart vom 28. 5. 1998 (Az. 1 Ws 78/98 –, NJW 1998 S. 3131) für Mitarbeiter der Jugendhilfe als sog. Beschützergaranten entwickelt wurden. In dem Beschluss heißt es:
„Die Mitarbeiter von kommunalen Jugendämtern und Sozialdiensten sowie die von ihnen beauftragten Mitarbeiter von Trägern der freien Jugendhilfe haben als Beschützergaranten kraft Pflichtenübernahme strafrechtlich dafür einzustehen, dass von ihnen mitbetreute Kinder nicht durch vorhersehbare vorsätzliche Misshandlungen durch die Mutter oder durch einen von ihr beauftragten ungeeigneten Dritten körperlich verletzt werden oder zu Tode kommen.“
Die Formulierung des § 8a Abs. 4 SGB VIII „nach diesem Buch“ hat unmittelbare Konsequenzen für Einrichtungen, die Rehabilitation und Teilhabe geistig bzw. körperlich behinderter Kinder leisten. Denn diese werden gerade nicht nach dem SGB VIII, sondern vielmehr nach dem SGB IX tätig. Dieses gilt sowohl für behinderte Kinder in Regeleinrichtungen als auch heilpädagogische Einrichtungen, was aber nicht bedeutet, dass der Schutz dieser Kinder dort nicht in gleicher Weise gegeben wäre. Selbstverständlich bleibt es bei dem Schutzauftrag des Jugendamtes nach § 8a Abs. 1 SGB VIII, das intervenieren muss, wo auch immer das Wohl eines Kindes gefährdet ist.
Allerdings können Kitas, mit denen keine Vereinbarungen zu schließen sind, auch nicht von sich aus den Mechanismus des § 8a Abs. 4 SGB VIII nutzen (Mrozynski, § 8a Rz. 21). Haben sie Anhaltspunkte für eine Misshandlung des behinderten Kindes, können sie selbstverständlich Hilfen anbieten, eine Information des JA jedoch ist nur unter den strengen Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII möglich (s. dazu u. 1.4).
Der subtile Zwang, der von § 8a SGB VIII ausgeht, besteht vornehmlich darin, dass die Eltern bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mit einzubeziehen sind. Stellt sich dabei heraus, dass dieses Risiko von ihnen selbst ausgeht, kann dies zu Eingriffen in die elterliche Sorge nach § 1666 BGB führen (Mrozynski,§ 8a Rz. 1).
Der Begriff des „Kindeswohles“ ist nicht nur im Rahmen des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII, sondern darüber hinaus im gesamten Bereich des Kinder- und Jugendhilferechtes sowie im Kindschafts- und Familienrecht des BGB die zentrale Bezugsgröße allen sowohl elterlichen als auch staatlichen Handelns. So sind beispielsweise nach § 1627 BGB die Eltern gehalten, die elterliche Sorge „zum Wohle des Kindes“ auszuüben, und § 1697a BGB erhebt das Kindeswohl zum allgemeinen Prinzip familiengerichtlicher Entscheidungen.
Indes: In der bundesdeutschen Gesetzgebung findet sich an keiner Stelle eine Erklärung oder gar Definition, was eigentlich unter diesem Begriff zu verstehen ist.
Da aber der Kindeswohlbegriff nun einmal der Schlüsselbegriff im Spannungsfeld von Elternrecht und staatlichem Wächteramt sowie das zentrale Instrument zur Auslegung von Kindesinteressen ist, bedarf er einer Definition. Nach Maywald (Kinderschutz, S. 38ff.) muss eine nähere begriffliche Bestimmung so präzise und trennscharf wie möglich und zugleich ausreichend flexibel sein, um der Kontextgebundenheit und Komplexität jedes Einzelfalles zu genügen.
Danach sollten die folgenden vier Elemente Bestandteil einer Definition sein:
•Orientierung an den Grundrechten aller Kinder (s. hierzu Übersicht 1.1.2) als normative Bezugspunkte für das, was jedem Kind zusteht, auch wenn unvermeidbar ist, dass die in den Kinderrechten enthaltenen Versprechen immer nur annäherungsweise eingelöst werden können;
•Orientierung an den Grundbedürfnissen von Kindern als Beschreibung dessen, was für eine normale kindliche Entwicklung im Sinne anerkannter Standards unabdingbar ist;
•Gebot der Abwägung als Ausdruck der Erkenntnis, dass Kinder betreffende Entscheidungen prinzipiell mit Risiken behaftet sind und daher versucht werden muss, die für das Kind jeweils günstigste Handlungsalternative zu wählen;
•Prozessorientierung als Hinweis auf die Tatsache, dass Kinder betreffende Entscheidungen aufgrund ihrer starken Kontextabhängigkeit einer laufenden Überprüfung und ggf. Revision bedürfen.
Darauf aufbauend kann im Sinne einer Arbeitsdefinition nach Maywald ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln als dasjenige bezeichnet werden, welches die an den Grundrechten und Grundbedürfnissen von Kindern orientierte, für das Kind jeweils günstigste Handlungsalternative wählt.
Aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen vom 20. November 1989:
1.Das Recht auf Gleichheit: Alle Kinder haben die gleichen Rechte. Egal, ob Mädchen oder Junge, arm oder reich, jedes Kind ist gleichberechtigt. Niemand darf wegen seiner Hautfarbe, seiner Herkunft, seiner Herkunft, seiner Sprache oder seiner Religion benachteiligt werden.
2.Das Recht auf Gesundheit: Kinder haben das Recht, so gesund wie möglich aufzuwachsen. Jedes Kind hat ein Recht auf eine gute Gesundheitsvorsorge und auf medizinische Hilfe, wenn es krank ist. Jedem Kind sollen seine Grundbedürfnisse erfüllt werden: Essen, Trinken, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Kinder sollen vor Suchtstoffen geschützt werden.
3.Das Recht auf Bildung: Jedes Kind hat das Recht, zur Schule zu gehen, zu lernen und eine Ausbildung zu machen, die seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten entspricht. Dabei sollen seine Persönlichkeit, seine Begabungen, seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten zur Erfüllung kommen können.
4.Das Recht auf elterliche Fürsorge: Jedes Kind hat das Recht, mit seinen Eltern zu leben. Wenn diese getrennt voneinander leben, darf das Kind Kontakt zu beiden Eltern haben. Das gilt, solange es dem Kind gut tut. Eltern werden bei der Erziehung ihrer Kinder unterstützt. Wenn ein Kind aus wichtigen Gründen von Vater oder Mutter getrennt leben muss, so soll sorgfältig geprüft werden, was das Beste für das Kind ist und wo es am besten untergebracht wird.
5.Das Recht auf Privatsphäre und persönliche Ehre: Kinder haben ein Recht auf ein Privatleben, darauf, dass ihre Würde, ihre persönliche Ehre und ihr Ruf geachtet werden. Es gibt Dinge, die niemanden etwas angehen, außer das Kind selbst. Das Recht auf Privatsphäre und persönliche Ehre müssen alle respektieren. Nicht nur Erwachsene, auch Kinder untereinander.
6.Das Recht auf Meinungsäußerung, Information und Gehör: Jedes Kind hat das Recht, seine Gedanken, Wünsche und Bedürfnisse frei zu äußern, sobald es dazu fähig ist. Die eigene Meinung muss bei allen Dingen, die das Kind betreffen, mit beachtet werden: zu Hause, in der Schule, bei Ämtern und bei Gericht. Kein Kind darf bestraft werden, weil es seine Meinung sagt. Aber: Informationen und Meinungen dürfen nur so geäußert werden, dass sie keinem anderen schaden. Kinder dürfen sich friedlich versammeln, um gemeinsam mit anderen für ihre Meinung einzutreten. Jedes Kind darf entscheiden, welcher Religion es angehören und was es glauben will. Alle Kinder haben das Recht, sich geeignete Informationen durch Fernseh- und Radioprogramme, Zeitungen, das Internet oder Bücher zu beschaffen.
7.Das Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht: Kinder im Krieg und auf der Flucht haben besondere Schutzrechte, egal, ob sie allein oder mit ihren Eltern flüchten. Kein Kind darf in den Krieg zurück geschickt werden, wenn es auf der Flucht ist. Flüchtlingskinder haben in dem Land, in das sie geflüchtet sind, die gleichen Rechte wie alle anderen Kinder (Diesen Teil der UN-Kinderrechtskonvention hat die Bundesrepublik Deutschland bislang nicht anerkannt.) Kein Kind unter 15 Jahren darf gezwungen werden, als Kindersoldat im Krieg oder einem Bürgerkrieg mitzumachen.
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