Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In dieser spannenden Fortsetzung zu "Das dunkle Zeitalter" aus der New-York-Times-Bestseller-Reihe "Red Rising" von Pierce Brown kehrt Darrow endlich zurück! Der Schnitter ist eine Legende, eher ein Mythos als ein Mensch: der Retter der Welten, der Anführer des Aufstandes, der Sprenger der Ketten. Und doch ist der Schnitter ein Mensch: Darrow, geboren auf der roten Erde des Mars, Ehemann, Vater und Freund. Einst brauchten die Welten den Schnitter, doch nun brauchen sie Darrow. Denn nach dem dunklen kommt ein neues Zeitalter – ein Zeitalter des Lichts, des Triumphs und der Hoffnung. Teil 2 erscheint im Januar 2024. "Browns fesselnde Handlung lässt sich nur mit einer Nitromethan-Wasserbombe vergleichen, die in einen Eimer Benzin geworfen wird. Und er steht mit einem brennenden Streichholz in der Hand und einem Lächeln im Gesicht davor und wartet darauf, dass jemand ruft, er würde sich nie trauen, es fallenzulassen." (NPR über "Das dunkle Zeitalter)
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 563
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
TEIL I Circus
1 Darrow – Gestrandeter
2 Darrow – Das Buch
3 Darrow – Wiedergänger
4 Darrow – Die schmutzige Angelegenheit
5 Lysander – Spiele
6 Darrow – Tödliche Bedenken
7 Lysander – Der verbündete Idiot
8 Darrow – Das hängende Kolosseum
9 Darrow – Der Scheiß eskaliert
10 Lysander – Eiserne Faust
11 Darrow – Erbe
TEIL II Bollwerk
12 Lyria – Trüffelschwein
13 Lyria – Das Spiel der Rose
14 Virginia – Die Rüstung der Liebe
15 Lysander – Erde
16 Lysander – Die Zweihundert
17 Lysander – Der Mars muss fallen
18 Virginia – Die Heimkehrer
19 Virginia – Klagelied
20 Virginia – Nukleus
21 Virginia – Petarde
22 Lysander – Eisen, Tod, Gold
23 Virginia – Grimmiger Ruhm
24 Lysander – Fallschock
25 Virginia – Das Prisma des Kriegs
26 Virginia – Labyrinth
27 Virginia – Ein guter Tod
28 Lysander – Kriegsmaschine
29 Virginia – Bedauert sie
30 Lysander – Dem Ruhm so nahe
31 Virginia – Détente
32 Virginia – Verhandlungen
33 Lysander – Herr der Schätze
34 Virginia – Gedanken an die Erde
35 Darrow – Pflicht liegt in der Luft
36 Lysander – Zuständigkeit
Darrow von Lykos/Der Schnitter Erzimperator der Sonnenrepublik, Virginias Ehemann, ein Roter
Virginia Augustus/Mustang herrschendes Oberhaupt der Sonnenrepublik, Darrows Ehefrau, Primus von Haus Augustus, Schwester des Mars-Schakals, eine Goldene
Pax Augustus Sohn von Darrow und Virginia, ein Goldener
Dio von Lykos Eos Schwester, Kieran von Lykos’ Ehefrau und Rhonnas Mutter, eine Rote
Kieran von Lykos Darrows Bruder, Erzgouverneur des Mars, ein Roter
Rhonna von Lykos Darrows Nichte, Kierans Tochter, Heuler-Lanzenreiterin, Welpe zwei, eine Rote, beim Fall von Heliopolis verschollen
Deanna von Lykos Darrows Mutter, eine Rote
Sevro Barca/Der Goblin Imperator der Republik, Victras Ehemann, Heuler, ein Goldener
Victra au Barca Sevros Frau, geb. Victra au Julii
Electra Barca Tochter von Sevro und Victra, eine Goldene
Ulysses Barca Sohn von Sevro und Victra, wurde von Harmony und der Roten Hand getötet
Dancer/Senator O’Faran Senator, ehemaliger Leutnant der Söhne des Ares, Tribun des Roten Blocks, ein Roter, kam am Tag der Roten Tauben ums Leben
Kavax Telemanus Primus des Hauses Telemanus, Klient von Haus Augustus, ein Goldener
Niobe Telemanus Kavax’ Ehefrau, Klientin von Haus Augustus, eine Goldene
Daxo Telemanus Erbe von Haus Telemanus, Sohn von Kavax und Niobe, Senator, Tribun des Goldenen Blocks, ein Goldener, wurde von Lilath au Faran getötet
Thraxa Telemanus Prätor der Freien Legionen, Tochter von Kavax und Niobe, Heulerin, eine Goldene
Alexandar Arcos ältester Enkel von Lorn au Arcos, Erbe von Haus Arcos, verbündet mit Haus Augustus, Welpe eins, ein Goldener, wurde von Lysander au Lune getötet
Lorn au Arcos ehemaliger Ritter des Zorns, Oberhaupt von Haus Arcos, Mentor von Darrow von Lykos, ein Goldener, wurde von Lilath au Faran und Adrius au Augustus getötet
Cadus Harnassus Imperator der Republik, stellvertretender Kommandant der Freien Legionen, Ingenieur, ein Oranger
Orion Aquarii Navarch der Republik, Imperator der Weißen Flotte, ein Blauer, kam bei Operation Tartarus ums Leben
Oro Sculpturus Navarch der Republik, Kommandant von Phobos’ Astralabwehr, ein Blauer
Colloway Char Pilot mit den meisten Abschüssen der Republikflotte, Heuler, ein Blauer
Holiday Nakamura Dux von Virginias Löwenwache, Triggs Schwester, Klientin von Haus Augustus, Zenturio der Pegasus-Legion, eine Graue
Quicksilver/Regulus Sun reichster Mann der Republik, Chef von Sun Industries, ein Silberner
Matteo Regulus Suns Ehemann, ein Pinker
Theodora Anführerin der Splitteragenten, Klientin von Haus Augustus, eine Pinke Rose, wurde von Vox Populi hingerichtet
Clown Heuler, Klient von Haus Barca, ein Goldener
Pebble Heulerin, Klientin von Haus Barca, eine Goldene
Min-Min Heulerin, Scharfschützin und Waffenexpertin, Klientin von Haus Barca, eine Rote, wurde von der Abscheulichkeit getötet
Screwface Heuler, Klient von Haus Augustus, ein Goldener
Cassius Bellona Sohn von Julia au Bellona, ehemaliger olympischer Ritter, ehemaliger Mentor von Lysander au Lune, ein Goldener
Atalantia au Grimmus Diktatorin der Weltengesellschaft, Tochter von Magnus au Grimmus, dem Herrn der Asche, Ajas und Moiras Schwester, ehemalige Klientin von Haus Lune, eine Goldene
Lysander au Lune Enkel des ehemaligen Oberhaupts Octavia, Erbe von Haus Lune, ehemaliger Patron von Haus Grimmus, ein Goldener
Atlas au Raa/Der Ritter der Furcht Bruder von Romulus au Raa, Legat der Null-Legion (»die Gorgonen«), ehemaliges Mündel von Haus Lune, Klient von Haus Grimmus, ein Goldener
Ajax au Grimmus/Der Ritter des Sturms Sohn von Aja au Grimmus und Atlas au Raa, Erbe von Haus Grimmus, Legat der Eisenleoparden, ein Goldener
Kalindora au San/Die Ritterin der Liebe Olympische Ritterin, Alexandar au Arcos’ Tante, Klientin von Haus Grimmus, eine Goldene
Julia au Bellona Cassius’ entfremdete Mutter und Darrows Feindin, Primus der Überreste von Haus Bellona, Princeps Senatus der Zweihundert, eine Goldene
Pallas au Grecca Kommandantin von Bellonas Streitwagenteams, Klientin von Bellona, eine Goldene
Scorpio au Votum Primus von Haus Votum, ein Goldener
Cicero au Votum Erbe von Haus Votum, Legat der Skorpionlegion, ein Goldener
Horatia au Votum Cicero au Votums Schwester, Mitglied des Reformblocks bei den Zweihundert, eine Goldene
Cipio au Falthe Primus von Haus Falthe (die reinheitsbesessenen Kriegsherren der Erde), ein Goldener
Asmodeus au Carthii Primus von Haus Carthii (die Schiffsbauer der Venus), ein Goldener
Valeria au Carthii Tochter von Asmodeus au Carthii und eine seiner vielen Erben, eine Goldene
Rhone ti Flavinius Dux von Haus Lune, Kommandant der XIII. Drakoner-Prätorianerwache, ein Grauer
Demetrius ti Interimo Lunese, Erzzenturio der XIII. Drakoner, ein Grauer
Markus ti Lacrima Lunese, Zenturio der XIII. Drakoner, ein Grauer
Drusilla ti Pistris Lunesin, Dekurio der XIII. Drakoner, eine Graue
Kyber ti Umbra Lunesin, Legionärin der XIII. Drakoner, Flüsterin von Lysander au Lune, eine Graue
Magnus au Grimmus/Der Herr der Asche ehemaliger Erzimperator von Octavia au Lune, der Verbrenner von Rhea, ein Goldener, wurde von den Heulern und Apollonius au Valii-Rath getötet
Octavia au Lune ehemaliges Oberhaupt der Weltengesellschaft, Lysanders Großmutter, eine Goldene, wurde von Darrow getötet
Aja au Grimmus Tochter von Magnus au Grimmus, dem Herrn der Asche, eine Goldene, wurde von Sevro, Cassius, Virginia und Darrow getötet
Glirastes der Meistermacher Architekt und Erfinder, ein Oranger
Exeter Glirastes’ Diener, ein Brauner
Pytha xe Virgus Captain der Lichtbringer, ehemalige Co-Pilotin der Archimedes, eine Blaue
Dido au Raa Co-Konsul des Randzonenreichs, Ehefrau von Romulus au Raa, dem ehemaligen Oberhaupt des Randzonenreichs, geborene Dido au Saud, eine Goldene
Diomedes au Raa/Der Ritter des Sturms Sohn von Romulus und Dido, Taxiarchos der Blitzphalanx, ein Goldener
Seraphina au Raa Tochter von Romulus und Dido, Lochagos der Elften Staubläufer, eine Goldene, im Kampf gefallen
Helios au Lux zusammen mit Dido Co-Konsul des Randzonenreichs, ehemaliger Ritter der Wahrheit, ein Goldener
Romulus au Raa/Der Herr des Staubs ehemaliger Primus von Haus Raa, ehemaliges Oberhaupt des Randzonenreichs, ein Goldener, starb durch rituellen Selbstmord
Gaia au Raa Mutter von Romulus au Raa und Großmutter von Diomedes und Thalia, eine Goldene
Thalia au Raa Diomedes’ jüngere Schwester, eine Goldene
Vela au Raa Schwester von Atlas und Romulus, eine Legatin, eine Goldene
Grecca au Codovan Herrin von Ganymed, eine Goldene
Sefi die Stille Königin der Obsidianen, Anführerin der Walküren, Ragnar Volarus’ Schwester, eine Obsidiane, wurde von Volsung Fá getötet
Valdir der Ungeschorene Kriegsherr und Sefis königlicher Geliebter, wurde wegen Verrats an der Republik inhaftiert, ein Obsidianer
Ragnar Volarus ehemaliger Anführer der Obsidianen, Heuler, ein Obsidianer, wurde von Aja getötet
Volsung Fá König der Obsidianen, Sefis Vater, Volga Fjorgans Großvater, früher unter dem Namen Vagnar Hefga bekannt, ein Obsidianer
Volga Fjorgan Ragnars Tochter, Ex-Mitarbeiterin von Ephraim ti Horn, eine Obsidiane
Ur der Freudenfresser wurde zum Speer des Throns von Ultima Thule ernannt, ein Obsidianer
Skarde Olsgur Jarl des Volks, Stamm des Blutbocks, ein Obsidianer
Sigurd Olsgur Skardes Sohn, Krieger des Blutbocks
Aurae Eine Raa-Hetaera und Cassius’ Gefährtin, eine Pinke
Apollonius au Valii-Rath/Der Minotaurus Erbe von Haus Valii-Rath, geschwätzig, ein Goldener
Tharsus au Rath Bruder von Apollonius au Valii-Rath, ein Goldener
Vorkian ti Hadriana Zenturio bei den Rath-Hauslegionen, ein Grauer
Lyria von Lagalos Gamma vom Mars, Klientin von Haus Telemanus, eine Rote
Liam von Lagalos Lyrias Neffe, Klient von Haus Telemanus, ein Roter
Cheon Chiliarch der Schwarzen Eulen, eine von Athenas Töchtern, eine Rote
Harmony Anführerin der Roten Hand, ehemaliger Leutnant der Söhne des Ares, eine Rote, wurde von Victra getötet
Erscheinung Freiberufler, ein Brauner, tot
Fitchner au Barca/Ares ehemaliger Anführer der Söhne des Ares, Sevros Vater, ein Goldener, wurde von Cassius au Bellona getötet
Ephraim ti Horn Freiberufler, ehemaliges Mitglied der Söhne des Ares, Ehemann von Trigg ti Nakamura, ein Grauer, wurde von Volsung Fá getötet
Ja, und sollte ein Gott mich in die weindunkle Tiefe schleudern, werde ich sie ertragen … Denn ich habe schon so viel erlitten und mich geplagt in Wellen und Kriegen.
Fügt das diesen Geschichten hinzu.
– HOMER
Unsere Sonne treibt in der Dunkelheit, umgeben von Monden aus Müll.
Vor langer Zeit, als die Menschheit die Planeten neu gestaltete, wurden die Überreste ihrer Terraforming-Missionen von Orbitalpressen zu mondgroßen Kugeln verdichtet und in Richtung Sol gestoßen. Dort wurden sie von der Schwerkraft der Sonne erfasst und begaben sich auf ihre jahrhundertelange Begräbnisprozession zu deren nuklearen Flammen. Einige Hundert Nachzügler kreisen jedoch weiterhin um ihr unvermeidliches Ende.
Eine gestrandete Korvette namens Archimedes klammert sich im Schatten eines kilometerhohen Abfallbergs an die karge Landschaft eines solchen Müllmonds. Er trägt die Bezeichnung Marcher-1632. Marsianische Ex-Sklaven-Ex-Soldaten-Schiffbrüchige kriechen über das Schiff. Unsere Schweißbrenner blitzen am Rumpf auf. Unsere Raumanzüge sind stinkende Scheißhäuser. Wir sind zweihundert Millionen Kilometer von zu Hause gestrandet, und in mir steigen Schweiß, Übelkeit und Unmut auf.
Dieser gottverdammte Bellona. Dieser arrogante Scheißkerl von Einzigartigem.
Ich werde ihm das Knie brechen, wenn ich ihn je wiedersehe. Er sollte auf diesem Schiffsrumpf hocken. Das würde ich ihm ins Gesicht sagen, aber während ich schlief, hat er das letzte flugtaugliche Relikt aus dem Hangar der Basis geholt und ist mit Aurae, seiner Pinken Komplizin, abgehauen. Er zeichnete eine kurze Nachricht auf, in der er mir sagte, ich solle mich um meine Wunden kümmern, und hat uns mit diesem Problem – seinem lahmgelegten Schiff, das wir reparieren müssen – zurückgelassen. Der Bastard.
Obwohl Cassius Olympias luftige Gruften vor über einem Jahrzehnt verlassen hat, ist er immer noch geradezu spektakulär herablassend. Schlimmer ist allerdings, dass er sich Zeit lässt, was typisch für ihn ist. Seit sechs Wochen ist er nun nach Starhold unterwegs, einem Ekliptischen Handelsposten zwischen den Umlaufbahnen des Merkurs und der Venus, um uns das Helium zu besorgen, das wir für die Archimedes benötigen. Während ich hier bin: entweder dahindämmernd in der alten Basis der Söhne des Ares, die sich im Inneren des Müllmonds verbirgt, oder an den Schiffsrumpf geheftet wie eine eifrige Seepocke, tagein, tagaus schweißend, obwohl ich weiß, dass die Zeit verrinnt.
Hades, sie könnte schon verronnen sein.
Ohne Kommunikation mit der Außenwelt weiß ich nicht, wie der Krieg verläuft, den ich angefangen habe. Ich weiß nicht, ob Virginia und Victra sich der geballten Macht der Goldenen der Randzone und des Kerns widersetzen konnten. Ich weiß nicht, ob Sefi zur Republik zurückgekehrt ist oder ob Lysander meine Niederlage auf dem Merkur dazu genutzt hat, um sich auf den Morgenstuhl zu setzen.
Ich weiß nicht, ob der Feind Mars bereits verbrannt hat und mit ihm meine Familie und meine Heimat.
Ich denke an den Mars und seine Hochlandmoore, seine flüsternden Wälder …
Nein. Virginia hat mir gesagt, ich müsse das ertragen.
Ich bin nicht das erste Mal gefangen. Ich weiß, dass ich die Gedanken an die Heimat verdrängen muss, bevor sie mich zerstören. Wieder einmal suche ich Zuflucht in der Wut. Ich will einen Kampf. Ich brauche einen Kampf. Dafür wurde ich gemacht: für diesen ewig währenden, vergeblichen Kampf. Doch anstelle eines Kampfs, anstelle des Vorwärtsgehens, das meine rastlose Natur besänftigt, bekomme ich das monotone Summen der Generatoren und Tage, die alle so gleich verlaufen, dass sie miteinander verschwimmen.
Ich habe diesen Krieg angefangen. Andere beenden ihn. Ich muss fliehen. Atalantia muss sterben. Atlas muss sterben. Lysander muss sterben. Ich stelle mir vor, wie sie mich anflehen, doch meine Ohren sind taub, während meine Hand das Leben aus ihnen herauswürgt und ihre Augen in Blut schwimmen.
Diese Gewaltfantasien trösten mich jedoch nicht. Die Wut, die einst Planeten erzittern ließ, ist nun zahnlos. Meine Niederlage hat mich den Mythos gekostet. Meine Fehler haben mich meine Armee gekostet. Die Ansprüche, die ich stellte, haben mich Freunde und Familie gekostet. Ich weiß, dass Hass mir das Verlorene nicht wiederbringen und das Zerschlagene nicht reparieren kann.
Die Sonne wütet seit 4,6 Milliarden Jahren. Ich wüte seit sechzehn. Kein Wunder, denn die Sonne kann mehr Treibstoff aufbringen. Sogar meine Wut auf Cassius fühlt sich gekünstelt an. Ich kann sie nicht mehr aufrechterhalten, kann nicht mehr ständig wütend auf mich selbst und alle anderen sein. Nicht nach dem, was ich getan habe.
Ich konnte lebend vom Merkur entkommen, doch die Schlacht hat mich die Freien Legionen und den Rest meiner Würde gekostet. Ich habe die Kinder des Mars zu einem Planeten weit weg der Heimat geführt und ihnen versprochen, dass wir den Krieg dort beenden würden. Stattdessen lieferte ich sie dem Feind aus, um meine Haut zu retten. Mein Herz ist mit meiner Armee im Sand dort begraben. Doch mein Körper schleppt sich weiter, so wie immer, egal welche Verwüstungen er hinterlässt.
Seit ich mit einer kleinen Gruppe Überlebender vom Merkur geflohen bin, geht es bergab. Cassius konnte gerade einmal zweihundert von uns aus Heliopolis retten, aber das war keine saubere Flucht. Die Grimmus-Fackelschiffe bedrängten uns, weshalb wir die Telemanus-Flotte verpassten. Und damit unsere Chance auf eine Rückkehr nach Hause. Wir konnten gerade noch zu der Basis auf dem Marcher hinken, bevor Cassius losflog.
Das Plappern der anderen Schweißer unterbricht die Stille. Einer erzählt einen Witz. Er ist so lustig, dass ich aufhöre, mich selbst zu geißeln. Ich lausche den anderen Stimmen. Sie erinnern mich an die Bohrerjungs und wie sie sich früher auf Lykos im Tunnel über meinem Greifbohrer unterhielten. Ihre schlechten Witze trösten mich, und meine Gedanken wandern zu dem ramponierten Buch, das Aurae in den Helm meines Raumanzugs legte, bevor sie sich mit Cassius davonschlich.
Sie hinterließ auch eine Notiz, in der sie sagte, dass sie dank dieses Buchs die dunkle Zeit der Knechtschaft in der Randzone überstanden hätte. Ich war so wütend auf Aurae und Cassius, dass ich es beinahe als Toilettenpapier benutzt hätte. Doch ich war schon immer der Ansicht, dass keine Farbe mehr unterdrückt wird als die Pinken und dass sie durch dieses Leid eine fast schon übernatürliche innere Kraft erlangt haben. Evey und Theodora haben mich das gelehrt. Also las ich die erste Seite aus Respekt vor ihnen, nicht vor Aurae. Der unzugängliche Stil ging mir auf die Nerven. Das Buch las sich wie eine Prophezeiung, bei der gängige Weisheiten mit esoterischen Metaphern ausgedrückt wurden. Trotzdem erinnere ich mich an ein paar Zeilen, die mir passend erscheinen.
Der Weg besteht aus vielen Steinen, die alle gleich aussehen. Wenn du auf das Böse trittst, bleibe nicht stehen oder sieh nach unten, denn das Gute ist nur einen Schritt entfernt. Der nächste bringt vielleicht Verwüstung, der übernächste Freude, aber diese Steine sind nicht dein Schicksal. Sie sind nur die Reise zum Ende des Wegs.
Ich denke darüber nach, als ich eine neue Platte an den Rumpf schweiße. Vielleicht ist dies nur ein Zwischenschritt. Vielleicht ist dieser Ort nicht die Verdammnis. Vielleicht ist er ein Geschenk.
Wahr ist, dass ich auf dem Merkur hätte sterben sollten. Wahr ist, dass alles nach jener Hölle ein Geschenk ist, sogar dieser Ort. Diese antike, fünfzig Meter lange Korvette mit Handwerkzeugen zu reparieren, ist zwar mühselig, doch Arbeit gibt einem Mann ein Ziel, nehme ich an. Jede angeschweißte Platte ist ein Schritt nach vorn. Jeder Schritt nach vorn bringt mich meiner Familie näher. Wenn Cassius mit dem Helium zurückkehrt, das wir für den Reaktor brauchen, und Harnassus diesen Reaktor repariert, werden wir nach Hause fliegen.
Vielleicht lese ich heute Abend noch eine Seite.
Aber ich bin ein sturer Bastard, also vielleicht auch nicht.
Mein Kom rauscht. »Schweißer dreiundzwanzig, bitte kommen.« Ich stecke mein Schweißgerät weg und lehne mich an der Sicherheitsleine zurück. »Schweißer dreiundzwanzig. Ignorier deine Existenzangst für einen Moment und antworte …«
»Schweißer dreiundzwanzig hört. Was ist los, Thraxa? Wieder Probleme mit Ausschlag?«
Da wir für Thraxa und ihre gewaltigen Oberschenkel keinen Raumanzug finden konnten, muss sie in der Basis bleiben. Die kriegerische Frau nörgelt täglich, dass sie den ehrenvollen Selbstmord, den sie auf Heliopolis begehen wollte, diesem monotonen Schichtmanagement vorgezogen hätte.
»Die Sonne taucht in dreißig auf. Sei so gut und hol deine Leute rein, bevor ihr alle in eurem Anzug gekocht werdet.«
Über meine Schulter betrachte ich den östlichen Horizont des Müllmonds. »Ist das nicht ein bisschen früh?«
»Die Masse der Archimedes beschleunigt die Rotation des Monds. Wir alle wissen, dass du Physik übersprungen hast, aber du solltest mir glauben. Sonst sieht dein Schwanz morgen wie eine Hydra aus. Du hast eh schon viel Strahlung abbekommen.«
»Wir können mit dem Rumpf in dieser Schicht fertig werden«, sage ich.
»Das kann die nächste Schicht auch. Ohne Helium und einen reparierten Reaktor geht es eh nicht los. Sag deinen Leuten Bescheid.«
Murrend stimme ich zu und sage meinem Team, dass die Schicht vorbei ist. Die Schweißer eilen an ihren Sicherheitsleinen zur Basis, während ich sie durchzähle. Als der Letzte den Rumpf verlassen hat, stoße auch ich mich in Richtung Basis ab und gleite in die Luftschleuse.
Am Rand der Luftschleuse halte ich inne und tue etwas, das ich bisher nach keiner Schweißerschicht getan habe. Ich nehme mir die Zeit, den zerklüfteten Horizont zu betrachten. Eine schmale Sichel aus Sonnenlicht schneidet sich in den Müllmond. In der Hitze wölbt sich die fleckige Oberfläche nach oben, Einsturzkrater kehren sich um, bis sie Staub und giftiges Gas spucken. Der Staub und das Gas sammeln sich an einer Steilwand aus schwarzgrünem Plastik, bevor sie hinter dem Mond zu einem Schweif aus leuchtenden Partikeln werden.
Ich habe Dinge gesehen, die ein Roter nie hätte sehen sollen – unaussprechliche Schrecken und unglaubliche Schönheit. Im Vergleich dazu hätte ein Schweif aus leuchtenden Partikeln alltäglich wirken sollen. Doch heute sehe ich das ein bisschen anders. Ich nehme die Schönheit hier auf diesem Zwischenschritt wahr. Vielleicht liegt das am Buch. Vielleicht an der Strahlung. Was auch immer, jedenfalls habe ich heute die Kraft, einen Blick in die andere Richtung zu werfen, vorbei am Schatten der Archimedes zu den Sternen im Hintergrund, wo meine Augen sich auf ein schwaches, rotes Licht richten.
Zuhause.
Das All ist leer und still, aber meine Erinnerung ist erfüllt von den Klängen der Heimat. Wenn ich die Augen schließe, höre ich das Flüstern der Gottbäume, das Säuseln des thermischen Meers, das Flattern von Greifenflügeln, Victra, die Sophocles anschnauzt, Sevro, der seine Mädchen anlacht, Pax, der klimpernd und surrend in der Garage herumbastelt, die Stimme meiner Frau.
Einen perfekten Moment lang sehe ich die versprochene Morgendämmerung, meine Rückkehr zum Mars, meiner Heimat. Dann ist er vorbei. Der Mond hat sich der Sonne zugewandt. Das Licht bohrt sich in meine Lider, bis selbst meine goldenen Augen es nicht mehr ertragen können. Es ist Zeit, nach unten zu gehen.
Wenn der Merkur ein nicht enden wollender Frontalangriff auf die Nerven war, dann ist Marcher-1632 eine langsame Belagerung des Verstands.
Die alte Basis der Söhne des Ares ist beengt und spartanisch. Sie wurde im Inneren des Marchers gebaut, um den ersten Söhnen bei ihrem Kampf gegen venusianische Sklavenhändler einen sicheren Hafen zu verschaffen. Vor elf Jahren, als die Garnison sich meiner Flotte und dem verzweifelten Angriff auf Luna anschloss, wurde die Basis aufgegeben. Vor acht Monaten krochen wir hierher, doch die Räume waren eisig und dem Vakuum ausgesetzt. Wir aktivierten den mit Sonnenenergie betriebenen Generator und machten die Basis wieder bewohnbar. Wir fanden Wasservorräte und dringend benötigte Kalorien. Doch die Temperaturen und die Schwerkraft sind niedrig, und die feindliche Strahlung jenseits der mit Blei ausgekleideten Wände vermittelt uns das Gefühl, belagert zu werden. So sehen wir auch aus. Wir sind dünn und blass, trotz der Merkur-Sonnennarben auf unserem Gesicht. Wir sind fast alle kahlköpfig, und wer kann, lässt sich zum Gedenken an Ragnar einen Bart wachsen.
Wir sind vom Krieg separiert, von Freunden und Feinden, von allen Nachrichten aus der Heimat. Sorge ist unser ständiger Begleiter, Routine unsere einzige Erlösung.
Ich sorge mich um meinen Sohn, als ich mich mit meinem Team in der Spülung von der Strahlung reinige. Ich umklammere den GravBike-Schlüssel, den Pax mir kurz vor meinem Aufbruch nach Luna gab, wie Eos Ehering damals in der Lykos-Spülung. Ich sorge mich um Virginia, als ich geduckt durch die schmalen, in den Müll gebohrten Gänge zur Messe gehe. Ich sorge mich um Sevro – verschollen, als Luna an die Vox fiel –, während ich den gefriergetrockneten Amino-Brei schlürfe. Die anderen, wie ich kahlköpfig, sorgen sich rechts und links von mir. Um ihre Familie. Ihr Zuhause. Verlorene Zeit. Verlorene Welten. Zusammen bilden wir ein Meer der Sorge unter den trüben, chemischen Lampen. Wir versuchen, unsere Sorge vor den anderen zu verbergen, als sei sie etwas Dunkles und Geheimes und Beschämendes. Meine Überlebenden sind wie alle verlorenen Soldaten müde und ruhig, außer dann, wenn sie grotesk, respektlos oder vulgär sind. Ehrlichkeit findet man nur im betretenen Schweigen oder den stillen Momenten, in denen Auraes Lyra die Messe mit Liedern aus der Randzone erfüllt, die uns irgendwie an unser eigenes Zuhause erinnern.
Nicht zum ersten Mal fehlen mir ihre Lieder. Die Basis ist nicht mehr dieselbe, seit sie und Cassius sich davongeschlichen haben.
Ich esse rasch auf, räume mein Tablett weg, wünsche meinen Soldaten eine gute Nacht und widerstehe der Versuchung, mich mit einem Scherz zu erniedrigen, damit ich ein Lächeln bekomme. Sie wissen, dass ich ihre Freunde für meine Fehler habe sterben lassen. Und sie wissen, dass ich sie beim nächsten Zyklus schuften lassen werde, bis sie halb tot sind. Das ist mein Job. Eine Maschine, die man nicht benutzt, geht kaputt. Wie die Söhne des Ares, als wir sie ins Militär der Republik integrierten, wie diese Basis. Doch wenn man etwas zu oft benutzt, bricht es auseinander, wie Orion auf dem Merkur. Wie Sevro nach der Venus. Führung ist ein Drahtseilakt, vor allem, wenn man verliert.
Ich gehe zur Werkstatt, um mich von Harnassus auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Der Orange Imperator beugt sich zusammen mit einem Schwarm Mechaniker über Teile des Archimedes-Reaktors. Er ist ein affenartiger Mann, mit großen Fingerknöcheln und einer Trinkernase. Sein Bart ist ausgeprägter als meiner und von grauen Strähnen durchzogen. Schraubenschlüssel und Drehmaschinen rattern im Hintergrund, als er herüberkommt, um mit mir zu sprechen.
»Cadus.«
»Darrow. Hab’ gehört, der Rumpf ist repariert«, sagt er.
»Fast. Die dritte Schicht hat die Ehre, ihn fertig zu machen. Wird nicht mal eine halbe Stunde dauern. Bist du sicher, dass die Verkleidung sensorresistent ist? Wir kommen nur nach Hause, wenn wir unentdeckt bleiben.«
»Theoretisch ist sie das. Solange wir die Verkleidung nicht zu sehr ausgedünnt haben«, sagt er. »Wir werden knapp nach euch fertig werden.«
Meine Stimmung hellt sich auf. »Wirklich? Der Testlauf wirkte nicht vielver…«
»Nur, weil du kein Ingenieur bist. Wenn wir das Helium bekommen, das wir brauchen, wird die Archimedes bei Bellonas Rückkehr startklar sein. Wenn Bellona nicht gerade in einer Grimmus-Qualkugel gefoltert wird.«
»Außer dir glaubt wahrscheinlich keiner hier, dass er vorhat, zurückzukommen«, sage ich mit einem Blick auf seine Leute.
Er zuckt mit den Schultern. »Wir können nur deswegen noch hier stehen und an ihm zweifeln, weil er uns auf dem Merkur gerettet hat. Ich befürchte allerdings, er könnte bettblind sein. Wir sollten seine Pinke im Auge behalten.«
»Es geht mich zwar nichts an, aber ich glaube nicht, dass sie miteinander schlafen«, sage ich.
Das schockiert ihn. »Wirklich? Der Kerl muss völlig in sie verschossen sein.«
»Ich glaube nicht, dass ihm eine Wahl bleibt«, erwidere ich.
Cassius hat mir die Geschichte seiner Flucht aus der Randzone nach unserer Landung auf dem Marcher erzählt. Er war zusammen mit Lysander in der Randzone gefangen gehalten worden und hatte an einer Reihe unfairer Duelle auf Io teilnehmen müssen. Diomedes au Raa war dabei so beeindruckt von Cassius, dass er seinen Tod vortäuschte, nachdem er die Duelle überlebt hatte. Diomedes versteckte Cassius auf seinem Anwesen auf dem nahe gelegenen Mond Europa. Der musste jedoch versprechen, bis zum Kriegsende von einer Flucht abzusehen. Aurae, eine Hetaera von Haus Raa, sorgte dafür, dass sie und Cassius auf der Archimedes von Diomedes’ Anwesen fliehen konnten. Sie behauptete, mit der Republik zu sympathisieren. Sie flogen hastig zurück zu dem Kern, um die Republik davor zu warnen, dass die Randzone plante, in den Krieg einzutreten. Sie kamen zu spät. Seitdem fungiert Aurae als Cassius’ Besatzungsmitglied.
»Selbst wenn sie nicht bumsen, nur weil sie wie eine Nymphe aussieht, singt wie eine Sirene, redet wie ein Orakel und ein gottverdammtes Alibi hat, heißt das noch lange nicht, dass sie keine Krypteia ist.«
»Wenn sie zum Randzonen-Geheimdienst gehören würde, wären wir längst tot«, sage ich. Die Krypteia als »Randzonen-Geheimdienst« zu bezeichnen, fällt unter Kompliment. Geheimdienstarbeit gehört natürlich zu ihren Aufgaben. Doch ihre schändlichste Pflicht ist die Aufrechterhaltung der Hierarchie im Randzonenreich, und das um jeden Preis.
»Außer, wenn sie die Krypteia gerade zu uns führt. Du musst zugeben, dass sie selbst für eine Raa-Hetaera beeindruckend viele unterschiedliche Fähigkeiten besitzt. Medizinische. Mechanische. Erwartet man nicht bei einer Kurtisane.«
Meine Augen werden schmal. »Hast du mit Screwface geredet?«
Er verzieht das Gesicht. »Der Kerl redet in letzter Zeit viel. Sät Zweifel, als sei das sein Job. Wäre vielleicht nicht schlecht, wenn du ihn dir mal ansiehst.«
Ich weiß nicht, ob ich irgendetwas sagen kann, das Screw aus seiner Depression reißen wird. Mir kommt ein Gedanke. Vielleicht wird er für Auraes Buch empfänglicher sein als ich. Er liest gern. Ich klopfe Harnassus auf die Schulter und gehe zur Tür. Über meine Schulter rufe ich: »Cadus, wenn du glaubst, Aurae könnte eine Krypteia sein, wieso hast du ihr eine Lyra gebaut?«
Bevor Aurae den Mond mit Cassius verließ, spielte sie nach dem Abendessen für die Soldaten auf ihrer Lyra und sang ihnen Lieder von ihren Monden vor. Harnassus ließ sich keine Vorstellung entgehen.
»Das habe ich für die Kameraden gemacht«, lügt er und errötet.
Ich sage mir, dass ich Screwface nur aufsuche, um ihn zu unterstützen, aber in Wirklichkeit motiviert mich Einsamkeit zu diesem Besuch. Er ist der einzige Überlebende, der mit mir im Institut war. Ich möchte nur einen Funken unserer ruhmreichen Zeit mit einem Mitglied meines alten Rudels teilen.
Ich fülle zwei Thermoskannen verdünnten Kafs am Prozessor ab, hole meinen Trainingsrucksack und Auraes Buch aus meinem Zimmer und gehe durch das obere Labyrinth der Basis zum Kom-Raum. Dort sitzt er im bleichen Licht der Monitore unter Heizdecken neben einem Heizofen. Er sieht nicht mehr wie eine Legende aus, sondern wie ein Haufen Schmutzwäsche. Das bricht mir das Herz.
Screwface ist jemand, den die Öffentlichkeit nie gefeiert hat, weil er seine Opfer in den Schatten brachte. Er lebt gern auf großem Fuß und beneidet Colloway Char und Sevro um ihren Ruhm. Als ich ihn im Institut kennenlernte, war er hässlich, faul und geizig. Er ist immer noch geizig und würde sich eher einen Hoden amputieren, als für ein Getränk zu bezahlen. Aber nach drei Jahren hinter feindlichen Linien, nachdem er von Mickey modifiziert worden war und von Theodora eine neue Identität erhalten hatte, damit er die Aschelegionen infiltrieren konnte, darf ihn niemand mehr faul nennen.
Anfangs war er begeistert von seiner Geheimmission. Er litt unter einer chronischen Unsicherheit, und als er Mickeys Erholungsraum verließ, mit breiten Schultern, einem verwegenen, römischen Gesicht und einem Kinn, das es mit Cassius’ hätte aufnehmen können, fühlte er sich in seiner Haut wohler als je zuvor.
»Fit bin ich. So gottverdammt fit, dass ich eine ganze Balletttruppe bumsen könnte. Wer ist Bellona, richtig? Aschelegionen, ich komme«, sagte er und posierte wie ein Olympischer. Er war nackt. Unglaublich gut proportioniert. Theodora applaudierte sogar.
Aber jetzt? Jetzt ist Screwface wieder hässlich, und das hasst er. Beim Fall von Heliopolis wurde er skalpiert und verlor ein Bein. Er versteckt die bläuliche Narbe, die knapp über seinen Augenbrauen anfängt, unter einer Wollmütze, aber in der Basis gibt es keine Prothesen. Deshalb muss er sich mit einem Bein aus Plastikabfall begnügen, das er mit Verpackungsschaum rund um den Stumpf gepolstert hat.
Meine Führung hat diesen Mann verwüstet. Zweimal. Verbitterung begleitet jedes seiner Worte, aber er war in Heliopolis bis zum Fall für mich da. Er hat mich aus der Verzweiflung zurückgeholt. Also ertrage ich seine Verbitterung. »Gibt es etwas Neues von Bellona?«, frage ich und reiche ihm den Kaf.
Er bedankt sich nicht. »Oh, nennen wir den Köpfer von Ares heute bei seinem richtigen Namen?« Er schmollt. »Aber nein, das Kinn und die Sirene sind immer noch auf Abwegen.«
»Musst du das jedes Mal aufwärmen?«, frage ich.
»Ach, komm schon. Das Gerede gestern hat Spaß gemacht. Dir sind so viele Adjektive für den nichtsnutzigen Wichser eingefallen. Der fliegende Verräter. Sogar ein paar Adverbien.«
»Ich war …«
»Verbittert und betrunken?«, fragt er. »Du bist so zornig, wenn du verbittert und betrunken bist. Ehrlich gesagt glaube ich, du hättest den Krieg schon gewonnen, wenn du immer so wärst, aber dann würden wohl nur noch du und ich über eine Autarkie herrschen.« Er erfreut sich an solch vornehmen Begriffen, weil er aus ganz und gar nicht vornehmen Kreisen stammt. »Aber wir können offen reden. Alle sind schon ein Leben lang wegen Bellona verbittert. Dieser verfaulte Adonis hielt alle Asse in der Hand, richtig?«
»Und er hat alle falsch ausgespielt«, erwidere ich.
»Abgesehen von dem Kinn mit dem Grübchen. Oh, die taubesetzten Täler, die es erkundet hat. Was würde ich dafür geben, ein Haar auf diesem Mentum zu sein …«
Ich widerstehe der Versuchung, einen Blick auf Screwface’ Kinn zu werfen, dessen Grübchen deutlich zu sehen ist. Im Gegensatz zu uns anderen rasiert er sich weiterhin.
»Melden die Sensoren etwas?«, frage ich.
»Nichts, mein kahlköpfiger, bärtiger Herrscher.« Er nimmt die Thermoskanne in beide Hände, um sich zu wärmen. Seine Fingernägel sind bis nach unten zerkaut. »Radar und Lidar sind noch verstopft. Ich habe versucht, ein paar Filter einzubauen, um das Gröbste aus der Suppe herauszufiltern … das weißt du ja alles.« Er kaut auf einem Kaf-Stab, trinkt einen Schluck Kaffee und legt den Kopf in den Nacken. »Routine ist vielleicht deine Rettung, aber mich treibst du damit in den Wahnsinn.«
»Du hast diesen Raum seit drei Tagen nicht verlassen«, sage ich und deute mit dem Kinn auf seinen Toiletteneimer. »Hier sieht es langsam aus wie bei Sevro.«
Er betrachtet seine Umgebung. »Keine Jade. Keine goldenen Wände. Keine Seide. Ich habe nichts mit der Höhle von diesem Deserteur gemeinsam.«
»Screw, du weißt, dass er das tat, was er für richtig hielt.«
Screw spuckt auf den Boden. »Ich habe im Namen der Republik drei Jahre mit Atalantias Soziopathen verbracht, während er am Busen Goldener Höflinge genuckelt hat. Sieh dir meine Belohnung an.« Er zieht die Mütze ab, um mir seinen verstümmelten Schädel zu zeigen. »Während wir starben, rannte Sevro nach Hause. Und jetzt warte ich darauf, dass diese Pinke die Staubläufer zu uns führt.«
»Sie ist nicht ohne, aber sie ist keine Krypteia«, sage ich.
Er runzelt die Stirn. »Was ist sie dann?«
Ich denke an Auraes Fähigkeiten, an das Buch, daran, dass sie mich manchmal wie eine Richterin mustert. »Eine Freundin, hoffe ich.«
»Dann sollten wir beten, dass du recht hast. Weil die da draußen Jagd auf uns machen. Sie wollen dir den Kopf abschlagen, weil du die Schiffswerften auf Ganymed zerstört hast. Du und Victra. Und Staubläufer machen immer weiter, bis sie ihr Ziel gefunden haben.«
Ich teile seinen Respekt für die Pirschjägereinheiten der Randzone, aber nicht seine hysterische Einstellung. Es wäre fast schon ironisch, wenn sie uns fänden und mich zur Randzone schleppen würden, damit ich für meine Sünden büßen kann. Aber Screw hat nicht wegen ihnen oder Aurae so große Angst, seine Sensorstation zu verlassen, dass er in einen Eimer scheißt. Auch nicht wegen Ajax au Grimmus, der uns vor fünf Monaten beinahe entdeckt hätte, als sein Zerstörer Panthera sich uns bis auf fünfzig Kilometer näherte. Screw hat zu Recht nur Angst vor Furcht persönlich.
Ich verstehe das, denn so geht es mir auch.
»Atlas jagt uns nicht«, sage ich. Er sieht zu mir auf wie Pax, wenn ich ihn während eines Albtraums weckte. »Unsere Spur ist längst erkaltet. Verglichen mit dem Sonnensystem sind wir kleiner als Zooplankton auf dem Rücken eines Krills in allen Weltmeeren zusammen. Atlas wird keine Zeit mit einer Suche nach uns verschwenden, selbst wenn er glaubt, dass wir noch leben.«
»Weil er weiß, wohin wir wollen, richtig?«, murmelt Screw. Vielleicht hätte ich ihn nicht zu dieser Schlussfolgerung führen sollen. »Scheiße, Boss. Selbst wenn Bellona mit dem Helium zurückkommt … es ist ein langer Flug nach Hause, und wir stehen ganz unten in der Nahrungskette. Wenn eine feindliche Patrouille uns entdeckt … werden wir nicht abhauen können. Diese Randzonenschiffe sind schneller als wir. Ist aber wahrscheinlich eh egal. Die meisten Jungs und Mädels hier glauben, dass der Mars längst gefallen ist.«
»Hör auf, so einen Pessimismus zu fördern. Du bist ein Heuler. Dein Verhalten beeinflusst die Stimmung aller. Auch meine. Aus dem alten Rudel sind nur du und ich hier.«
»Rudel? Zwei sind kein Rudel, mein Bester. Zwei sind Krümel, die um den Abfluss kreisen.« Er mustert mich. »Du willst es nicht wahrhaben, Boss. Die Tatsachen. Sefi und ihr Volk haben die Freien Legionen im Stich gelassen, um ein Königreich auf dem Mars zu stehlen. Die Weiße Flotte gibt es nicht mehr. Orion ist tot. Die Freien Legionen liegen im Staub. Der Senat lässt uns am ausgestreckten Arm verhungern. Virginia hat keine Verstärkung zum Merkur geschickt. Sevro hat uns für seine kleine Goldene Familie hängen lassen. Clown und Pebble haben ihr Pixie-Ding gemacht. Unser Rudel ist erledigt. Unsere Armee verrottet. Ich gebe dir nicht die Schuld. Auch nicht mir. Oder den Truppen. Ich gebe dem zögerlichen Mob die Schuld und den Politikern mit ihren Verschwörungen.«
So viel zu dem Funken, den ich gesucht habe. Ich hole Auraes Buch nicht aus meiner Tasche. Screw braucht keine Worte. Er braucht sein Zuhause.
»Wie dem auch sei … Beschwer dich bei mir, nicht bei den anderen«, sage ich.
»Ja. Ja.« Er nippt an seinem Kaffee. »Mein Fehler.«
Ich habe Screwface’ Zustand zwar nicht verbessert, aber auch nicht verschlechtert. Das hoffe ich zumindest, als ich durch den Versorgungsschlauch, der die Archimedes mit der Basis verbindet, zum Trainingsraum des Schiffs gehe. Die weiße Polsterung ist von Schweißflecken übersät. Die meisten dürften Cassius und Lysander verursacht haben, aber ich habe meine hinzugefügt. Da Lysander meine Klinge zerbrochen hat, muss ich die Übungs-Razor benutzen … die gleichen, mit denen Lysander trainiert hat. Als ich eine von der Wand nehme, komme ich mir albern vor. Screws Worte nagen stärker an mir, als mir lieb ist.
Wieso trainiere ich überhaupt? Die Klinge in meiner Hand kann das, was zerbrochen ist, nicht reparieren.
Ich gebe nur widerstrebend zu, dass die Abneigung gegen Sevro ebenso tief in mir sitzt wie in Screwface. Sevro hat mich im Stich gelassen, als ich ihn so dringend brauchte. Das könnte ich ihm verzeihen. Es fällt mir schwerer, seinen Verrat an meiner Armee zu vergeben. Er war der erste Bruder der Freien Legionen; als er ging, machten sich Zweifel unter den Soldaten breit. Und auch bei mir. Schlimmer noch, Sevros Entscheidung beeinflusste meine eigene. Ich wollte unbedingt zu Pax zurückkehren, als er entführt wurde. Um ihn zu retten. Um ihm zu beweisen, dass ich doch für ihn da war. Doch ich stellte meine Pflicht als Imperator über meine Pflicht als Vater. Nun bin ich allein und spiele mit Klingen.
Die Stille erstickt mich.
Ich kehre beinahe um. Niemand wird bemerken, wenn ich einen Tag aussetze. Niemand wird zu sagen wagen, dass ich nicht hart genug arbeite. Ich gähne erneut. Vielleicht nur ein paar Dehnübungen heute. Der Körper kann sie gut gebrauchen. Es ist besser, wenn ich mich für den morgigen Tag ausruhe.
Ich gebe fast nach. Doch ich weiß mittlerweile, dass diese Stimme der Vernunft der Feind ist. In mir steckt ein Feigling, der Angst vor Unbehagen hat. Dieser Feigling bietet Trost in Form von Ausreden. Doch es ist dieser Feigling, der einen Menschen auf Niederlagen vorbereitet. Der Feigling sorgt dafür, dass er sie akzeptiert, weil er daran gewöhnt ist, gute Gründe für das Aufhören zu finden. Der Feigling im Inneren kann nur auf eine Weise getötet werden. Ich stelle meine Tasche ab und ziehe meine Trainingskleidung an.
»Hallo, Lehrer«, sage ich zum Computer des Raums.
»Willkommen, Klingenmeister drei.« Die Computerstimme ist feminin und verführerisch, so wie Cassius sie mag. Vor zehn Jahren hätte es mich verblüfft, dass ich mit einem Computer reden kann, aber der Technikboom in der Republik hat dafür gesorgt, dass diese einst verbotene Technologie seltsam normal geworden ist. Verglichen mit einigen von Quicksilvers Systemen ist dieser Computer ein Neandertaler.
»Wieder das Profil: Marsianische Schwerkraft?«
»Nein.«
»Profil: Asteroidenkampf?«
»Nein. Zufällige Intervalle zwischen einem Minimum von null Komma zwei und einem Maximum von vier Komma fünf G. Wir arbeiten uns durch das System und beenden das Ganze auf dem Mars.« Ich reibe meinen linken Unterarm und hoffe, dass er mehr als vier G aushält.
»Verstanden. Dauer?«
»Entscheide du.«
»Verstanden, Klingenmeister drei. Bereite Trainingszyklus eins sechs acht vor.«
Ich unterdrücke ein weiteres Gähnen, als sich der Raum aufwärmt. Ich lockere meine Schultern. Sie sind durch das Schweißen steif geworden, aber auch, weil ich sie mir über die Jahre hinweg so oft ausgekugelt habe. Mein linker Lungenflügel krampft sich zusammen, als ich tief einatme, ein Andenken an den Razor, den mir Lysander in Heliopolis in die Brust gerammt hat. Ich schüttele meinen linken Arm, der zertrümmert wurde, als meine Slingblade mit der Klinge kollidierte, die Lysander Alexandars Leiche abgenommen hatte. Aurae, die sich verdächtig gut mit Medizin auskennt, hat die Knochen in meinem linken Arm gerichtet und einen Kalziumbeschleuniger angewandt, aber nur ein Graveur wird seine volle Funktionalität wiederherstellen können.
Mein Arm schmerzt. Eine gute Erinnerung an eine noch ausstehende Angelegenheit.
Als sich die Schwerkraftquellen des Raums aufwärmen, kommt mir ein Gedanke. Lorn sprach beim Training immer mit mir, wenn ich durch die Formen des Weidenwegs glitt. Ich vermisse die metronomische Präsenz seiner Stimme, und ich habe genug von der Stille.
»Computer, verbinde dich mit meinem Datenpad.« Ich hole mein Datenpad und Auraes Buch aus der Tasche und scanne die ersten zwei Dutzend Seiten. Ich befehle dem Computer, den Text zu sprechen, und nehme die Winterhaltung des Weidenwegs ein, indem ich die Klinge mit beiden Händen über meinen Kopf hebe. Ich halte inne. »Computer. Stimmprobe von Holodatei eins drei eins: Saturnalia-Ansprache des Oberhaupts.«
Einen Moment später hallt Virginias Stimme durch den Raum.
»Für die, die schrieben, sodass wir lesen können; für die, die fielen, sodass wir gehen können; für die, die vor uns kamen, sodass wir folgen können; in Dankbarkeit.«
Der Computer startet sein Programm. Die Schwerkraft verändert sich zuerst langsam und wechselt gelegentlich die Richtung, während ich den ersten Ast der Winterhaltung absolviere und die Klinge diagonal von oben nach unten schwinge. Ich knurre vor Schmerzen, als mein Körper sich aufwärmt und die Steifheit verschwindet. Ich höre nichts außer dem Flüstern der Übungsklinge, den Tritten meiner Füße, meinem Atem und Virginias Stimme.
»Die erste Erkenntnis: Der Weg ins Tal ist unergründlich, ewig und perfekt. Er kann weder mit den Augen gesehen noch mit den Füßen gefühlt werden. Er windet sich so, wie es ihm gefällt. Er endet, wo er enden muss. Er führt bergauf, wenn es so ist. Er führt bergab, wenn er soll.«
Ich gehe zu den Herbstschlägen über, beuge mich nach hinten und stoße die Klinge vor.
»Er erstreckt sich tief in den Fels, den wir ausgraben, und zurück in unser Herz. Er windet sich vor und hinter uns, in alle Richtungen und in keine. Wir können zwar auf ihm gehen, ihn aber nie beherrschen. Wir sehen den Weg, doch werden nie die Wahrheit erkennen. Der Weg ins Tal ist unergründlich, ewig und perfekt. Man muss ihm um jeden Preis folgen.«
Sechs weitere Erkenntnisse folgen auf diese erste, während ich die Jahreszeiten des Weidenwegs in der veränderlichen Schwerkraft durchlaufe. In dieser Stunde höre ich die Worte ein Dutzend Mal, auch als ich schon keuchend auf dem Rücken liege.
»Die vierte Erkenntnis: Das oberste Gute ist der Wind der Tiefminen. Er umweht Gestein, Menschen und das ganze Land. Der Wind nimmt keine Hindernisse wahr, obwohl sie seinen Weg formen. Wenn du Rost in seinem Atem riechst oder den Widerhall von Werkzeugen in der Dunkelheit hörst, dann lächle und sei froh. Der Weg liegt vor dir, und du hast ihn betreten. Du musst nun nur noch gehen.«
Mein linker Arm schmerzt. Meine verkrampfte Lunge brennt, aber mein Verstand ist wunderbar leer, während ich dort liege und Virginias Stimme lausche. Die Worte des Buchs sind, wie ich schon anfangs dachte, undurchsichtig. Ich verstehe sie noch nicht und akzeptiere sie erst recht nicht, aber sie erinnern mich an etwas, das ich vor langer Zeit gelesen habe, als ich mit Matteo trainierte. Nicht Dumas oder die Griechen, sondern etwas, das durchgerutscht ist. Das Buch ist mir vertraut und so tröstlich wie das Echo eines Schlaflieds aus meiner Kindheit.
Ich kehre wie in Trance in mein Quartier zurück. Da Wasser knapp ist, kratze ich mir Schweiß und tote Haut mit einem stumpfen Messer ab, bevor ich meine nächtlichen Rituale fortsetze. Ich zeichne eine Nachricht an meine Frau auf, als hätten wir uns gerade unterhalten, und speichere sie bei den anderen ab, ohne sie mir noch einmal anzuhören. Dann zeichne ich eine Nachricht für meinen Sohn auf, ein weiteres Kapitel in der Chronik eines abwesenden Vaters.
Seit einigen Monaten erzähle ich ihm meine Lebensgeschichte, was ich von Angesicht zu Angesicht hätte tun sollen. Selbst wenn ich nicht mehr zu ihm gelange, wird es dieser Geschichte vielleicht gelingen. Heute fange ich mit dem Tag an, an dem ich Virginia im Institut kennenlernte, und höre auf, als Cassius, Sevro und ich heulend wie Wölfe mit Minervas Standarte über die vom Mond erhellten Ebenen rasten.
Als ich fertig bin, sitze ich leer und zufrieden auf meinem Bett. Im Buch stand, dass wir Leere nutzen. Kisten, Tassen. Voll sind sie für uns nutzlos, weil wir ihre Leere brauchen, um sie zu befüllen. Ich suche im Buch nach dieser Stelle. Doch bevor ich sie finde, heult der Annährungsalarm auf.
Sie haben uns gefunden.
Ich springe vom Bett und fühle mich schuldig über meine Freude. Endlich ein Kampf, eine Chance, ich weiß, was ich zu tun habe. Nüchterne Fröhlichkeit erfüllt mich. Ich bin zum Töten bereit.
Screwface’ Stimme hallt durch mein Zimmer.
»Kampfstationen. Kampfstationen. Annährungsalarm. Votum-Fackelschiff im Anflug.«
In der ganzen Basis heulen Sirenen. Ich laufe durch den Gang und fange eine Railrifle, die Thraxa mir zuwirft, als sie sich mir anschließt. Sie grinst mit offenem Mund wie eine Wahnsinnige. Sie besitzt den einzigen Razor auf dem Marcher und scheint keine Lust zu haben, ihn sich mit jemandem zu teilen. »Wie viele Schiffe?«, frage ich.
Ihre Augen funkeln. »Nur eins«, sagt sie. »Aber groß genug, um uns zu verglasen. Ich schlage vor, dass wir uns tot stellen. Sie sollen an Bord kommen. Wir bringen alle um, fliegen mit ihrem Shuttle zu ihrem Schiff, kapern es und …«
Fliegen nach Hause.
Meine Augen verdunkeln sich. »Wir könnten die Hälfte unserer Leute verlieren.«
»Mehr«, sagt sie.
Wir sind miteinander verbunden, als würden wir uns ein Bewusstsein teilen. Unsere Truppen scharen sich um uns. Sie sind so klein. Sie sehen zu uns, ihren Generälen, auf und suchen nach Bestätigung. Thraxa packt mich und sagt leise: »Wenn sich die Gelegenheit bietet, müssen wir tun, was nötig ist.«
»Das Fackelschiff kommt näher! Es weiß, dass wir hier sind!«, ruft Screw.
»So viel zum Thema Totstellen«, sage ich. Ich werfe einen Blick auf Thraxas Klinge, Böses Mädchen. Sie schiebt ihren Körper zwischen mich und den Razor. Wir laufen weiter.
Wir stürzen uns so schnell in den Hauptgang, dass wir fast mit Ingenieuren kollidieren, die gerade aus ihrer Kaserne strömen. Die meisten tragen nur ihre Brustrüstung, die nach dem Marsch durch den Ladon zerkratzt und verbeult ist. Jemand reicht mir eine Brustplatte, und ich schare zwei Dutzend Ingenieure um mich. Thraxa wird die Railgun-Batterien übernehmen, während ich mich um die Verteidigung des Hangars kümmere.
»Ich sollte die Klinge bekommen«, rufe ich, als wir uns trennen.
Sie lacht dröhnend. »Du hattest eine!«
Das stimmt. Ich vermisse das Geschenk meiner Frau. Ohne es fühle ich mich nackt. Schusswaffen sind nicht schlecht, aber ich mache mich nicht gern von der Rüstungsqualität eines Feindes abhängig. Lieber komme ich ihm nahe, damit sein Tod gewährleistet ist.
»Haben sie uns entdeckt?«, frage ich in mein Kom-Gerät. »Screw?«
Screw antwortet nicht. Im Hangar stoße ich auf Harnassus und einige Orange, die eine Schützenlinie hinter einer Barrikade bilden. Harnassus versucht, die Furcht aus seiner Stimme zu verbannen. »Die Obsidianen-Berserker werden als Erste durch die Tür kommen«, erklärt er, als ich neben ihn trete.
»Screw, ich brauche deinen Bericht«, sage ich in mein Kom-Gerät. »Ist das Schiff schon in Reichweite unserer Railguns? Screw?«
»Es schickt eine Nachricht.« Eine Pause. Mein Herz pocht. Railguns werden entlang der Schützenlinie aktiviert. Dann lacht Screw auf. »Ich fasse es nicht.« Ist er endgültig durchgedreht? Wie Orion? Wie Sevro? »Boss, sag Thraxa, dass sie die Finger von den Waffen lassen soll. Gefechtsbereitschaft aufheben! Das Fackelschiff ist kein Feind. An Bord ist das Verlorene Kinn. Und es hat Freunde mitgebracht.«
Das Fackelschiff rollt einen Versorgungsschlauch aus, der sich mit unserer Basis verbindet. Meine Soldaten drängen sich um die Öffnung, als Colloway Char herausschleicht. Harnassus, Thraxa und ich warten auf ihn. Screw hat sich nicht die Mühe gemacht, herzukommen.
Der beste Pilot der Republik eilt nicht etwa zu mir, sondern hält inne. Colloway Char ist spindeldürr. Seine dunkle Gesichtshaut spannt sich, sodass man die Konturen seines Schädels genau erkennen kann. Er betrachtet die Soldaten nicht etwa mit müder Duldung, so wie sonst, sondern mit steinerner Souveränität. Char hielt nie viel von Verantwortung. Ich habe gehofft, dass er eines Tages ein Anführer werden würde. Diese Verwandlung setzte auf Heliopolis nach Orions Tod ein, doch vollendet hat er sie in meiner Abwesenheit.
»Gehören Sie zur Telemanus-Flotte?«, ruft ein Roter Ingenieur ihm zu.
»Ist der Mars gefallen?«, brüllt ein Brauner Schütze mit verrosteten Mod-Armen und von der Sonne ausgebleichten Augen.
Colloway wendet sich dem Braunen zu. »Ist der Mars gefallen? Ist der Mars gefallen?« Er lächelt verächtlich. »Wo ist deine Zuversicht, Marsianer? Der Mars steht. Und so wird es auch immer sein.«
Vor Erleichterung stoßen die Soldaten Laute aus, die wie ein Klagegesang klingen. Char drängt sich zwischen ihnen hindurch und will salutieren, doch ich schließe ihn in die Arme. Seine Schädeldecke kommt nicht einmal an mein Kinn heran. Ich dachte, ich sei dünn geworden, aber ich spüre seine Schulterblätter durch den Overall. Hinter ihm kommen einige Dutzend Blaue und Graue herein und suchen Freunde unter meinen Leuten. Ich trete von Char zurück. Nachdem er Thraxa und Harnassus begrüßt hat, stoße ich hervor: »Virginia. Lebt sie? Lebt Pax?«
Er sieht mich mit dem Blick eines erschöpften Schiffbrüchigen an, der so viel erlebt hat, dass die Menschen, die er früher kannte, zu vagen Konzepten geworden sind. Nach einem Moment nickt er.
»Virginia lebt«, murmelt er. »Sie regiert in Agea. Ich weiß nichts über deinen Sohn.« Ich muss mich auf seine Schultern stützen. Thraxa klopft mir auf den Rücken. »Sie hat vor drei Tagen noch eine Rede gehalten, Darrow. Victra stand neben ihr. Ebenso Kavax und Niobe und dein Bruder Kieran. Er ist jetzt Erzgouverneur.«
Ich werde von so starken Emotionen überwältigt, dass es sich wie Trauer anfühlt. Ich kann nichts sagen.
»Kieran? Was ist denn mit Rollo?«, fragt Harnassus.
»Rollo ist vor Monaten einem Attentat zum Opfer gefallen«, sagt Char.
Der Tod ist mir so vertraut, dass ich nicht einmal blinzele.
Erzgouverneur Kieran. Seltsam. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein reservierter, höflicher Bruder das Amt übernommen hat, das einst Nero au Augustus bekleidete. »Erzähl uns mehr. Wir tappen seit Monaten im Dunkeln. Was noch?« Ich bin wie betrunken und kann nicht genug bekommen.
»Nicht viel. Das System ist eine dunkle Suppe. Eine neue Goldene Waffe oder vielleicht eine von unseren. Von der Randzone? Von Quicksilver? Wer weiß? Sie lässt die Sensoren und Übertragungen von hier bis zum Gürtel verrücktspielen. Ständig falsche Signaturen. Sonneneruptionen. Laserbeschuss von Teleskopen. Drohnen mit Atomwaffen. Hinzu kommen die Schiffswracks, die überall kreisen. Es herrscht Chaos. Wir legen uns mächtig ins Zeug, glaube ich, aber wir gewinnen den Krieg nicht. Die Randzone mischt sich mit ganzer Stärke ein.«
»Wer hat das Kommando?«, fragt Harnassus.
»Helios befehligt die Staubarmada, Dido die Drachenarmada«, antwortet Char.
Thraxa und ich sehen uns an. Die Randzone hat zwei ihrer drei Hauptarmadas mitgebracht. Helios ist auch eine schlechte Nachricht. Er ist einer ihrer besten Astralkommandanten. Ein gestählter Veteran, doppelt so alt und erfahren wie ich. »Und Quicksilver? Ist er wieder auf dem Mars?«, frage ich.
Char runzelt die Stirn. »In der Weltengesellschaft munkelt man, er habe den Krieg aufgegeben.«
Ich starre Char an. »Aufgegeben? Er und Fitchner haben ihn doch angefangen.«
Es scheint ihm auf die Nerven zu gehen, wie wenig ich weiß. »Sefi ist auch tot. Ragnars Vater hat sie zum Blutadler gemacht.«
Ich starre ihn an. Spricht er noch die Gemeinsprache?
»Er herrscht über die Obsidianen und hat die besten Schiffe der Volksflotte gestohlen, bevor er vom Mars geflohen ist.«
Thraxa und ich werfen uns einen kurzen Blick zu. Sie ist bedeckt von obsidianischen Tätowierungen. »Ragnars Vater müsste uralt sein. Wenn er überhaupt noch lebt.«
»Ein Betrüger«, schnaubt Thraxa. »Sie sind vom Mars geflohen? Auch die Ungeschorenen?«
Unsere vielen Fragen scheinen Char zu überwältigen.
»Das ist jetzt egal«, fahre ich sie an. »Was ist mit Sevro?« Thraxa stößt einen frustrierten Laut aus, weil sie sich mehr für die Obsidianen interessiert. »Wo ist er?«
Char antwortet nicht. Etwas trennt uns voneinander. Vorwürfe. »Ich dachte, du seist tot. Sie sagten, du seist tot – die Schmuggler, die uns vom Merkur holten. Alle halten dich für tot«, sagt er. »Du siehst auch fast so aus.«
Ich fühle Kummer. Als hätte man mich zurückgelassen. Veraltet, vergessen.
»Ich war mir nicht sicher, ob noch andere den Merkur verlassen konnten«, murmele ich. Suchend sehe ich über seine Schulter. »Ist Rhonna nicht bei dir?«
»Nein.« Mir schnürt sich die Kehle zu. Als ich meine Nichte das letzte Mal sah, hatte Lysander ihr Gesicht zerschmettert, nachdem er Alexandar in den Kopf geschossen hatte. Ich senke den Kopf. Wie soll ich Kieran erklären, dass ich seine Tochter zurückgelassen habe? Erzgouverneur Kieran.
»Ihr Shuttle hat es vor dem EMP nicht zur Morgenstern geschafft«, sagt Char. »Sie stürzte in der Stadt ab. Wir sind nur entkommen, weil einige der Kampfshuttles in der Stern durch den Rumpf vor dem EMP geschützt waren. Wir konnten die Umlaufbahn nicht erreichen, also versteckten wir uns in den Bergen, bis wir einige Eisenschmuggler anheuerten, die uns heimlich vom Planeten brachten. Wir stahlen das Fackelschiff der Schmuggler, die es wiederum von der Votum-Flotte gestohlen hatten. Es ist schwerer beschädigt, als es aussieht. Die Hälfte der Waffen fehlt. Ein Teil der Panzerung. Aber es hat einen Votum-Transponder und fliegt wie ein geölter Blitz. Sollte reichen, um uns nach Hause zu bringen.«
»Wie viele seid ihr?«, fragt Harnassus.
»Zweitausendundelf. Mehr konnte ich nicht aus Heliopolis rausbringen. Es ist noch Platz für weitere auf dem Fackelschiff, auch wenn es schon ziemlich eng ist. Ich hoffe, ihr habt etwas zu essen.«
»Alte Feldrationen«, sage ich. »Jede Menge.«
Seine Blicke durchsuchen die Tunnel an der Rückseite des Hangars. »Sind das all deine Leute?« Als ich nicke, wirkt er nicht enttäuscht. Er wirkt wütend. Seine Anklage liegt schwer auf mir.
»Du warst wochenlang auf dem Merkur …«, setze ich an. »Der Rest der Legionen. Die, die nicht fliehen konnten. Was ist mit ihnen passiert?«
Er mustert mein Gesicht. »Interessiert dich das?« Ein Messerstich hätte weniger geschmerzt.
Thraxa stößt ihm den Zeigefinger in die Brust. »Dein Erzimperator hat dich etwas gefragt, Char.«
Wir gehören jetzt zwei verschiedenen Stämmen an. Meine Augen werden schmal. Wie dringend braucht er unsere Nahrung?
»Ein Massaker.« Char sieht zur Seite, und unsere gemeinsame Trauer klagt meine schmal gewordenen Augen an. »Diejenigen, die weder in der Morgenstern verhungerten noch von Atalantias Hunden gefressen wurden, hat Atlas gepfählt. Von Heliopolis bis nach Tyche. Den Rest haben sie in die Votum-Eisenminen geschickt. Ich habe es aus der Luft gesehen. Die Straße, die sie bildeten.«
Von Heliopolis nach Tyche. Ich hätte Atlas töten sollen, als ich ihn in der Hand hatte. So wie ich Lysander hätte töten sollen. Bleibt kein Gnadenakt ungestraft?
»Kein Jubel für den Helden des Tages oder das Helium, das er besorgt hat?«, ruft eine patrizische Stimme aus dem Versorgungsschlauch. Thraxa murmelt einen dazu passenden Fluch. Die goldenen Locken des gottverdammten Bellona leuchten im harten Hangarlicht, als er eintritt und posiert wie ein Razormeister, der sich auf dem Platz des Blutes von schmeichelnden, liebestollen Pixies feiern lässt. Als ihm nur Stille antwortet, seufzt er enttäuscht und stolziert mit vier Kanistern raffiniertem, kriegsschifftauglichem Helium auf den Schultern zu mir. Der Bellona-Adler ist in sie eingestanzt.
Obwohl Cassius widerlich gut aussieht, weit über zwei Meter groß und wie ein Hochschwerkraftboxer gebaut ist und einen prächtigen grauen Reiseumhang trägt, richten sich alle Blicke auf die dunkelhäutige Frau hinter ihm. Aurae trägt zwar nur einen schmutzigen Arbeitsoverall und eine Pistole, wirkt aber zwischen uns unhöflichen Soldaten wie eine Orchidee in einem Munitionsgürtel, und das nicht nur, weil sie und Cassius noch Haare haben.
Aurae ist eine seltene Pinke. Keine billige Sensation mit Engelsflügeln oder Hörnern oder einer geschmeidigen Rute, die in einem Pearl-Club auf Kunden wartet. Auch keine Helena von Troja – so eine funkelnde Edelstute, von der sich Atalantia oder Apollonius begleiten lassen würden. Aurae ist eine Raa-Hetaera. Eine Schönheit aus Schatten und Staub, deren Gesicht von der Tragödie des Herbsts gezeichnet ist. Ihr Gesicht ist lang. Ihre Haut etwas dunkler als oliv. Ihr dichtes Haar ist gewellt und blauschwarz und scheint die Farbe ständig zu ändern. Es ist unmöglich, ihr Alter zu schätzen. Einige glauben, sie ist vierzig, andere dreißig, wieder andere zwanzig. Ihre Augen verraten, dass Letzteres nicht sein kann. Sie stehen weit auseinander, haben eine dunkelpinke Farbe und wirken uralt.
Meine Soldaten tuscheln zwar und äußern sich abfällig, aber als sie sehen, dass Auraes schlanke Arme mit dem Gewicht eines einzelnen Helium-3-Kanisters überfordert sind, stürmen ein Dutzend Männer und halb so viele Frauen los, um ihr zu helfen. Thraxa stößt alle zur Seite und nimmt den Kanister. Harnassus tut so, als sei er nicht neidisch auf das sanfte Lächeln, das Aurae Thraxa schenkt.
Cassius, der an diese Reaktion gewöhnt ist, verdreht nur die Augen und stellt seine vier Kanister schwungvoll ab. Er stellt den Fuß auf einen und stützt sich auf sein Knie. Meine Blicke gleiten zum Helium, und ich stelle mir vor, wie ich Virginia umarme, sobald ich die Archimedes in Agea verlasse.
»Mein Bester, dies ist das edelste marsianische Helium-3, das man bekommen kann, dank des Schmuggels, den meine Mutter auf Starhold betreibt. Ich habe mich schon immer gerne aus ihrer Geldbörse bedient. Also hier ist er. Der Zephirwind, der dich nach Hause wehen wird.« Seine Augen werden schmal. »Solange du nicht mein Schiff so sehr missbraucht hast, dass es sich nicht mehr reparieren lässt.« Er wirft einen Blick auf Colloway, der ihn mit gereizter Feindseligkeit beobachtet. »Hast du es ihm gesagt, Char? Natürlich nicht. Das muss ich übernehmen. Typisch.«
»Was gesagt?«, frage ich.
Cassius seufzt. »Es geht um Sevro. Er ist nicht tot. Ihm ist etwas Schlimmeres widerfahren. Eine schmutzige Angelegenheit. Er wurde auf einer High-Society-Syndikatsauktion verkauft.«
»Verkauft«, wiederhole ich. »An wen?«
Cassius verzieht das Gesicht. »Das ist der Teil, der dir gar nicht gefallen wird.«
Das Hologramm füllt mehr als die Hälfte meines Quartiers aus.
Ein Mann hängt in der Luft des Syndikat-Auktionshauses. Der Mann ist nackt, hager und von Tätowierungen und Narben bedeckt. Ein riesiger Helm, der wie ein Wolfskopf geformt ist, bedeckt seinen Kopf. Als der blassäugige Syndikat-Auktionator winkt, löst sich der Helm und erhebt sich in die Luft. Darunter kommt ein hässliches, mürrisches Gesicht zum Vorschein, das mir mehr bedeutet als mein eigener Körper.
Sevro.
Nur selten hat mir Liebe so große, körperliche Schmerzen bereitet.
Sevros Rote Augen wirken einen Moment lang verwirrt. Die gleichen Augen, die Mickey der Graveur mir nahm und gegen Goldene tauschte. Das Entsetzen, als er erkennt, wo er ist. Er lässt beschämt den Kopf hängen, bevor er ihn kreisen lässt. Trotz seiner gebrochenen Nase, die schiefer ist als ein Blitz, den zerkauten Ohren und den aufgesprungenen Lippen, trotz des zehnjährigen Kriegs und der Ereignisse auf Luna, die seinen Körper ruiniert haben, sehe ich nur den seltsamen kleinen Wolfsjungen, der mich und Cassius davor bewahrte, in einem See zu erfrieren. Der nervige Teenager, der mich unter seinem stinkenden Pelz anstarrte, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, wegzulaufen oder umarmt zu werden. Wie sehr er sich beweisen wollte.
Der Junge in diesem vom Krieg zerrütteten Mann keucht vor Angst. Es bricht mir das Herz, als ich sehe, wie seine Blicke durch das Auktionshaus gleiten, während die Feinde auf ihn bieten. Die Bieter sind anonym. Sie verstecken ihre Identität hinter holografischen Projektoren, die absurde Avatare – Bestien und Götter – erschaffen, während sie selbst in einem Raumschiff oder einer anderen Zuflucht sitzen. Sevro sieht seinen Peinigern nicht einmal in die Augen.
Ich habe ihn noch nie so niedergeschlagen gesehen.
Mitten in der Auktion wechselt das Bild und zeigt uns jetzt prunkvolle, militärische Architektur. Sterne und weit entfernte Kriegsschiffe funkeln vor einem Hangar, den Karyatide der Carthii-Familie flankieren. Ein Fracht-Mech, der von einem Haufen Syndikatsdornen und einem Schlichter der Ophion-Gilde begleitet wird, stampft aus einem dampfenden Blockadejäger. Der Mech stellt eine Frachtkiste am Ende des Schiffs ab. Vier grau gepanzerte Legionäre, auf deren weißen Umhängen ein purpurfarbener Bulle abgebildet ist, öffnen den riesigen Verschluss. Der Frachtcontainer öffnet sich in der Mitte. Druck entweicht zischend.
Im Inneren hängt Sevro an einem Sklavengestell. Sein über Monate gewachsener Bart bedeckt sein spitzes Kinn. Seine Haare sind lang und von weißen Strähnen durchzogen. Motorenbetriebene Exkrementschläuche führen von seinem ausgezehrten Unterleib zu Plastiksäcken. Man hat ihm einen Maulkorb verpasst und ihn bei vollem Bewusstsein verschickt, mit gerade so vielen Kalorien, dass sein Herz nicht aufgibt. Seine blutunterlaufenen Augen sind geöffnet und sehen jemanden hinter dem Hologramm mit vertrautem, aber müdem Hass an.
Eine Männerstimme schnurrt: »Sie flüstern, du seist tot. So hast du mich zurückgelassen: scheinbar tot. Aber ich habe mir ein neues Reich geholt.« Der Hangar verschwindet und wird von einem engelsgleichen, boshaften Gesicht ersetzt. »Bist du tot, Darrow?« Apollonius au Valii-Rath wartet auf eine Antwort, als sei das keine für mich angefertigte Aufzeichnung. »Wenn du tot bist, dann ist dieses dunkle Zeitalter sang- und klanglos zu Ende gegangen.« Er wirkt bedrückt, als er seine grausamen Augen zum Himmel hebt. »Nein. Du bist nicht tot«, sagt er zu sich selbst. Dann richtet er den Blick nach vorn und lächelt. »Du kannst nicht tot sein. Das spüre ich in meinen für den Krieg gezüchteten Knochen. Aber du bist weder auf dem Mars noch auf der Erde, nicht bei deiner diamantharten Frau, die dein Reich verteidigt, und du wütest auch nicht an der Spitze deiner unvergleichlichen Ekliptischen Wache gegen die Streitkräfte von Helios und Atalantia. Also versteckst du dich irgendwo, bist verwundet und schwach. Krabbelst durch die Schatten wie eine Maus in der Dunkelheit. Der junge gekränkte, aber beherzte Ajax, Ajas Sohn, ist auf dein Blut aus. Die Randzone auch, mit ihren unzähligen Jägern, aber vor allem Diomedes dem Sturm. Sie werden dich erwischen, wenn du dich dem Mars näherst, kleine Maus. Sie lauern schon auf dich. Sie sind schlau, geduldig und hungrig. Sie werden nicht zulassen, dass du je wieder eine Armee kommandierst. Komm lieber her. Verbringe etwas Zeit mit mir.«
Er sieht mich an, wie es ein Drache tun würde, der von einem weit entfernten Schatz erfährt: neugierig, listig, entzückt. Er fährt mit der Zunge über seine Zähne.