Red Rising: Zeitalter des Lichts Teil 2 - Pierce Brown - E-Book

Red Rising: Zeitalter des Lichts Teil 2 E-Book

Pierce Brown

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Beschreibung

Teil zwei des aufregenden, neuen Red-Rising-Abenteuers von Bestsellerautor Pierce Brown. Der Schnitter ist eine Legende, eher ein Mythos als ein Mensch: der Retter der Welten, der Anführer des Aufstandes, der Sprenger der Ketten. Und doch ist der Schnitter ein Mensch: Darrow, geboren auf der roten Erde des Mars, Ehemann, Vater und Freund. Einst brauchten die Welten den Schnitter, doch nun brauchen sie Darrow. Denn nach dem dunklen kommt ein neues Zeitalter – ein Zeitalter des Lichts, des Triumphs und der Hoffnung. Teil 2 erscheint im Januar 2024. "Browns fesselnde Handlung lässt sich nur mit einer Nitromethan-Wasserbombe vergleichen, die in einen Eimer Benzin geworfen wird. Und er steht mit einem brennenden Streichholz in der Hand und einem Lächeln im Gesicht davor und wartet darauf, dass jemand ruft, er würde sich nie trauen, es fallenzulassen." (NPR über "Das dunkle Zeitalter)

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Seitenzahl: 739

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Inhalt

Dramatis Personae

TEIL III – Sturm

37 Darrow

38 Darrow

39 Darrow

40 Lyria

41 Darrow

42 LYRIA

43 Lysander

44 Lysander

45 Lysander

46 Darrow

47 Lysander

48 Darrow

49 Lysander

50 Lysander

51 Darrow

52 Darrow

53 Darrow

54 Darrow

55 Darrow

56 Darrow

57 Lyria

58 Lyria

59 Darrow

60 Darrow

61 Darrow

62 Darrow

63 Lyria

64 Lysander

65 Lyria

66 Lyria

67 Lyria

68 Lyria

69 Lyria

70 Lyria

71 Darrow

72 Darrow

73 Darrow

74 Darrow

75 Lyria

76 Darrow

TEIL IV – Brüder

77 Darrow

78 Darrow

79 Lysander

80 Darrow

81 Lysander

82 Darrow

83 Lysander

84 Lysander

85 Darrow

86 Darrow

87 Darrow

88 Lysander

89 Darrow

DANKSAGUNGEN

Dramatis Personae

Die Sonnenrepublik

Darrow von Lykos/Der Schnitter Erzimperator der Sonnenrepublik, Virginias Ehemann, ein Roter

Virginia Augustus/Mustang herrschendes Oberhaupt der Sonnenrepublik, Darrows Ehefrau, Primus von Haus Augustus, Schwester des Mars-Schakals, eine Goldene

Pax Augustus Sohn von Darrow und Virginia, ein Goldener

Dio von Lykos Eos Schwester, Kieran von Lykos’ Ehefrau und Rhonnas Mutter, eine Rote

Kieran von Lykos Darrows Bruder, Erzgouverneur des Mars, ein Roter

Rhonna von Lykos Darrows Nichte, Kierans Tochter, Heuler-Lanzenreiterin, Welpe zwei, eine Rote, beim Fall von Heliopolis verschollen

Deanna von Lykos Darrows Mutter, eine Rote

Sevro Barca/Der Goblin Imperator der Republik, Victras Ehemann, Heuler, ein Goldener

Victra Barca Sevros Frau, geb. Victra au Julii

Electra Barca Tochter von Sevro und Victra, eine Goldene

Ulysses Barca Sohn von Sevro und Victra, wurde von Harmony und der Roten Hand getötet

Dancer/Senator O’Faran Senator, ehemaliger Leutnant der Söhne des Ares, Tribun des Roten Blocks, ein Roter, kam am Tag der Roten Tauben ums Leben

Kavax Telemanus Primus des Hauses Telemanus, Klient von Haus Augustus, ein Goldener

Niobe Telemanus Kavax’ Ehefrau, Klientin von Haus Augustus, eine Goldene

Daxo Telemanus Erbe von Haus Telemanus, Sohn von Kavax und Niobe, Senator, Tribun des Goldenen Blocks, ein Goldener, wurde von Lilath au Faran getötet

Thraxa Telemanus Prätor der Freien Legionen, Tochter von Kavax und Niobe, Heulerin, eine Goldene

Alexandar Arcos ältester Enkel von Lorn au Arcos, Erbe von Haus Arcos, verbündet mit Haus Augustus, Welpe eins, ein Goldener, wurde von Lysander au Lune getötet

Lorn au Arcos ehemaliger Ritter des Zorns, Oberhaupt von Haus Arcos, Mentor von Darrow von Lykos, ein Goldener, wurde von Lilath au Faran und Adrius au Augustus getötet

Cadus Harnassus Imperator der Republik, stellvertretender Kommandant der Freien Legionen, Ingenieur, ein Oranger

Orion Aquarii Navarch der Republik, Imperator der Weißen Flotte, ein Blauer, kam bei Operation Tartarus ums Leben

Oro Sculpturus Navarch der Republik, Kommandant von Phobos’ Astralabwehr, ein Blauer

Colloway Char Pilot mit den meisten Abschüssen der Republikflotte, Heuler, ein Blauer

Holiday Nakamura Dux von Virginias Löwenwache, Triggs Schwester, Klientin von Haus Augustus, Zenturio der Pegasus-Legion, eine Graue

Quicksilver/Regulus Sun reichster Mann der Republik, Chef von Sun Industries, ein Silberner

Matteo Regulus Suns Ehemann, ein Pinker

Theodora Anführerin der Splitteragenten, Klientin von Haus Augustus, eine Pinke Rose, wurde von Vox Populi hingerichtet

Clown Heuler, Klient von Haus Barca, ein Goldener

Pebble Heulerin, Klientin von Haus Barca, eine Goldene

Min-Min Heulerin, Scharfschützin und Waffenexpertin, Klientin von Haus Barca, eine Rote, wurde von der Abscheulichkeit getötet

Screwface Heuler, Klient von Haus Augustus, ein Goldener

Cassius Bellona Sohn von Julia au Bellona, ehemaliger olympischer Ritter, ehemaliger Mentor von Lysander au Lune, ein Goldener

Die Weltengesellschaft

Atalantia au Grimmus Diktatorin der Weltengesellschaft, Tochter von Magnus au Grimmus, dem Herrn der Asche, Ajas und Moiras Schwester, ehemalige Klientin von Haus Lune, eine Goldene

Lysander au Lune Enkel des ehemaligen Oberhaupts Octavia, Erbe von Haus Lune, ehemaliger Patron von Haus Grimmus, ein Goldener

Atlas au Raa/Der Ritter der Furcht Bruder von Romulus au Raa, Legat der Null-Legion (»die Gorgonen«), ehemaliges Mündel von Haus Lune, Klient von Haus Grimmus, ein Goldener

Ajax au Grimmus/Der Ritter des Sturms Sohn von Aja au Grimmus und Atlas au Raa, Erbe von Haus Grimmus, Legat der Eisenleoparden, ein Goldener

Kalindora au San/Die Ritterin der Liebe Olympische Ritterin, Alexandar au Arcos’ Tante, Klientin von Haus Grimmus, eine Goldene

Julia au Bellona Cassius’ entfremdete Mutter und Darrows Feindin, Primus der Überreste von Haus Bellona, Princeps Senatus der Zweihundert, eine Goldene

Pallas au Grecca Kommandant von Bellonas Streitwagenteams, Klient von Bellona, ein Goldener

Scorpio au Votum Primus von Haus Votum, ein Goldener

Cicero au Votum Erbe von Haus Votum, Legat der Skorpionlegion, ein Goldener

Horatia au Votum Cicero au Votums Schwester, Mitglied des Reformblocks bei den Zweihundert, eine Goldene

Cipio au Falthe Primus von Haus Falthe (die reinheitsbesessenen Kriegsherren der Erde), ein Goldener

Asmodeus au Carthii Primus von Haus Carthii (die Schiffsbauer der Venus), ein Goldener

Valeria au Carthii Tochter von Asmodeus au Carthii und eine seiner vielen Erben, eine Goldene

Rhone ti Flavinius Dux von Haus Lune, Kommandant der XIII. Drakoner-Prätorianerwache, ein Grauer

Demetrius ti Interimo Lunese, Erzzenturio der XIII. Drakoner, ein Grauer

Markus ti Lacrima Lunese, Zenturio der XIII. Drakoner, ein Grauer

Drusilla ti Pistris Lunesin, Dekurio der XIII. Drakoner, eine Graue

Kyber ti Umbra Lunesin, Legionärin der XIII. Drakoner, Flüsterin von Lysander au Lune, eine Graue

Magnus au Grimmus/Der Herr der Asche ehemaliger Erzimperator von Octavia au Lune, der Verbrenner von Rhea, ein Goldener, wurde von den Heulern und Apollonius au Valii-Rath getötet

Octavia au Lune ehemaliges Oberhaupt der Weltengesellschaft, Lysanders Großmutter, eine Goldene, wurde von Darrow getötet

Aja au Grimmus Tochter von Magnus au Grimmus, dem Herrn der Asche, eine Goldene, wurde von Sevro, Cassius, Virginia und Darrow getötet

Glirastes der Meistermacher Architekt und Erfinder, ein Oranger

Exeter Glirastes’ Diener, ein Brauner

Pytha xe Virgus Captain der Lichtbringer, ehemalige Co-Pilotin der Archimedes, eine Blaue

Das Randzonenreich

Dido au Raa Co-Konsul des Randzonenreichs, Ehefrau von Romulus au Raa, dem ehemaligen Oberhaupt des Randzonenreichs, geborene Dido au Saud, eine Goldene

Diomedes au Raa/Der Ritter des Sturms Sohn von Romulus und Dido, Taxiarchos der Blitzphalanx, ein Goldener

Seraphina au Raa Tochter von Romulus und Dido, Lochagos der Elften Staubläufer, eine Goldene, im Kampf gefallen

Helios au Lux zusammen mit Dido Co-Konsul des Randzonenreichs, ehemaliger Ritter der Wahrheit, ein Goldener

Romulus au Raa/Der Herr des Staubs ehemaliger Primus von Haus Raa, ehemaliges Oberhaupt des Randzonenreichs, ein Goldener, starb durch rituellen Selbstmord

Gaia au Raa Mutter von Romulus au Raa und Großmutter von Diomedes und Thalia, eine Goldene

Thalia au Raa Diomedes’ jüngere Schwester, eine Goldene

Vela au Raa Schwester von Atlas und Romulus, eine Legatin, eine Goldene

Grecca au Codovan Herrin von Ganymed, eine Goldene

Die Obsidianen

Sefi die Stille Königin der Obsidianen, Anführerin der Walküren, Ragnar Volarus’ Schwester, eine Obsidiane, wurde von Volsung Fá getötet

Valdir der Ungeschorene Kriegsherr und Sefis königlicher Geliebter, wurde wegen Verrats an der Republik inhaftiert, ein Obsidianer

Ragnar Volarus ehemaliger Anführer der Obsidianen, Heuler, ein Obsidianer, wurde von Aja getötet

Volsung Fá König der Obsidianen, Sefis Vater, Volga Fjorgans Großvater, früher unter dem Namen Vagnar Hefga bekannt, ein Obsidianer

Volga Fjorgan Ragnars Tochter, Ex-Mitarbeiterin von Ephraim ti Horn, eine Obsidiane

Ur der Freudenfresser wurde zum Speer des Throns von Ultima Thule ernannt, ein Obsidianer

Skarde Olsgur Jarl des Volks, Stamm des Blutbocks, ein Obsidianer

Sigurd Olsgur Skardes Sohn, Krieger des Blutbocks

Weitere Figuren

Aurae Eine Raa-Hetaera und Cassius’ Gefährtin, eine Pinke

Apollonius au Valii-Rath/Der Minotaurus Erbe von Haus Valii-Rath, geschwätzig, ein Goldener

Tharsus au Rath Bruder von Apollonius au Valii-Rath, ein Goldener

Vorkian ti Hadriana Zenturio bei den Rath-Hauslegionen, ein Grauer

Lyria von Lagalos Gamma vom Mars, Klientin von Haus Telemanus, eine Rote

Liam von Lagalos Lyrias Neffe, Klient von Haus Telemanus, ein Roter

Cheon Chiliarch der Schwarzen Eulen, eine von Athenas Töchtern, eine Rote

Harmony Anführerin der Roten Hand, ehemaliger Leutnant der Söhne des Ares, eine Rote, wurde von Victra getötet

Erscheinung Freiberufler, ein Brauner, tot

Fitchner au Barca/Ares ehemaliger Anführer der Söhne des Ares, Sevros Vater, ein Goldener, wurde von Cassius au Bellona getötet

Ephraim ti Horn Freiberufler, ehemaliges Mitglied der Söhne des Ares, Ehemann von Trigg ti Nakamura, ein Grauer, wurde von Volsung Fá getötet

TEIL III

Sturm

Oh wie schamlos diese Sterblichen sind,wenn sie den Göttern die Schuld geben.Nur wir, so sagen sie, sind für ihr Leid verantwortlich.Ja, doch mit ihrem Leichtsinn vergrößern sieden Schmerz über das Nötige hinaus.

– HOMER

37Darrow

Kakofonie

Ich spiele mit Pax’ GravBike-Schlüssel, während die Archimedes sich dem Asteroiden nähert, von dem sich die Republik ihre Rettung erhofft. Böses Mädchen, Thraxas Razor, liegt auf meinem Schoß. Ich bin dankbar für beides. Das eine erinnert mich daran, den Weg nicht zu verlassen, das andere ist ein Werkzeug, das mir dabei helfen wird.

Der Asteroid sieht nach nichts aus. Er ist grau, länglich und befindet sich in einem Ausläufer des Gürtels, in dem schon vor dem Zeitalter des Ovidius Metall abgebaut wurde.

»Wenigstens sind wir heil hier angekommen«, sagt Cassius und nippt an seinem Kaf. Er hat sich die Thermalkleidung bis zum Hals hochgezogen. Darunter schaut eine Prellung hervor, die sich bis zum rechten Ohr ausdehnt. »Das Schwerste ist geschafft.«

»Du hast dich noch nie mit Quicksilver unterhalten«, sage ich und stemme die Füße gegen die Wand. Er boxt mich auf die Schulter. »Entschuldigung.« Ich stelle die Füße wieder auf den Boden.

»Ihr beide steht euch nahe«, sagt er. »So hatte ich das zumindest verstanden. Ich dachte, du seist sein Liebling.«

»Das stimmt, aber … er kann schwierig sein.«

»Noch keine Energieanzeigen. Ich sehe Metall. Aber das war ein Schürfsektor … Soll ich den Asteroiden anfunken?«, fragt er.

»Wenn er hier ist, hat er uns schon gesehen«, sage ich.

»Wir haben einen Tarnrumpf.«

»Der von seiner Firma hergestellt wurde. Er erschafft keine Fragen, auf die er keine Antwort hat. Wenn er hier ist, beobachtet er uns bestimmt schon seit einer Weile.«

»Ich wette, dass er über den Zustand des Rumpfes ebenso entsetzt ist wie ich. Mein armes Schiff fällt auseinander. Ganz ehrlich, mit dir und Sevro an Bord wundert es mich nur, dass in den Gängen noch keine Scheiße liegt.«

»Tut mir leid«, sage ich. »Wir haben normalerweise Hausmeister an Bord.«

»Wirklich? Er benutzt nicht einmal die Klospülung. Ein privilegiertes Leben ist keine Entschuldigung für Schlampigkeit.« Er stellt seinen Kaf ab, sprüht Reinigungsmittel auf die Stelle, an der meine Füße die Wand berührt haben, und wischt sie ab. »Du solltest stolz auf die Dinge sein, die du besitzt, Darrow.«

Wir werden still, als wir langsam näher an den Asteroiden heranfliegen. Aurae meldet sich ab und zu aus der Sensorenstation, die sich zwischen dem Cockpit und dem Aufenthaltsraum befindet. Die einzig anderen Geräusche sind das Flüstern der Triebwerke und das Wummern von Sevros Musik, die aus der Werkstatt im Heck des Schiffes dringt. Der Asteroid ist nur noch eine halbe Stunde entfernt, was bedeutet, dass der Moment der Wahrheit unmittelbar bevorsteht. Haben wir den ganzen Weg umsonst zurückgelegt?

Unsere 36-tägige Reise ist insgesamt gut verlaufen. Wir waren zwar angespannt und nervös, aber das Schiff war nur selten gefährdet. Die Randzone hat die meisten Streitkräfte bereits aus dem Gürtel abgezogen, um ihre Drachen- und Staubarmada vor dem Angriff auf den Mars zu verstärken. Wir mussten nur ein paar Jagdpatrouillen ausweichen. Das ist eigentlich nicht überraschend. Der Gürtel ist so gewaltig, dass der Versuch, die Größe dieser Asteroidenfülle zu verstehen, den Geist überfordern und in eine Sinnkrise stürzen könnte.

Fülle ist allerdings nicht das richtige Wort. Die Asteroiden im Gürtel sind so weit voneinander entfernt, dass sie wie Inseln in einem unvorstellbar großen Ozean treiben. Nur Metaphern können dem menschlichen Geist dieses Ausmaß vermitteln: Wenn man all das Wasser aus all den Meeren auf allen besiedelten Welten in einen riesigen Ring schütten und ein Sandkorn hineinwerfen würde, wäre es im Vergleich mit dem realen, gewaltigen Gürtel nicht einmal so groß wie die Erde.

Natürlich gibt es hier draußen keine Himmelskörper, die an die Größe der Erde herankommen. Stattdessen treiben und trudeln hier Millionen Asteroiden in Schwärmen oder kleinen Gruppen oder allein durch das All. Nur zweieinhalb Millionen von ihnen haben einen Durchmesser von mehr als einem Kilometer. Wenige sind besiedelt. Noch weniger beherbergen Gebäude, die über einen Bergwerksaußenposten oder einen Piratenunterschlupf hinausgehen. Die Asteroiden, auf denen es richtige Städte gibt, sind so selten und so weit von der Zivilisation entfernt, dass sie kostbar erscheinen, so wie die letzten Lampen vor der schrecklichen Dunkelheit der Kluft. Das Licht dieser Lampen war einst weiß, die Farbe der Republik. Nun leuchten sie entweder Raa-blau oder gar nicht.

Hinter diesen Außenposten liegt die Kluft, die früher als Burggraben zwischen dem Randzonenreich und der Republik fungierte. Sie wirkt wie ein Abgrund, aber ihre Dunkelheit ist nicht endlos. Jenseits der Kluft befindet sich ein Reich aus Schatten und Staub – die gigantischen Gasriesen und die Monde, auf denen sich die Goldenen der Randzone seit Jahrhunderten eine Heimat erschaffen. Haus Raa regiert diese abgelegene Zivilisation und hat seinen Sitz auf dem vulkanischen Mond Io.

Dort draußen gibt es auch Asteroiden mit Städten, zum Beispiel Priam im Trojaner-Schwarm oder Agamemnon im Griechen-Schwarm. Obwohl sich diese Städte in der Umlaufbahn des Jupiters befinden, umgibt sie eine rätselhafte, von der Entfernung geprägte Aura, die durch das verschlossene Einsiedlertum ihrer Bewohner noch verstärkt wird. Selbst ich weiß kaum etwas über diese Städte, ihre Bewohner und Bräuche.

Jenseits des Jupiters befinden sich natürlich die Umlaufbahnen von Uranus, Saturn und Neptun. Ich bin noch nie dort hingeflogen und werde es wahrscheinlich auch nicht. Und hinter ihnen … weit, weit hinter ihnen dreht sich der einsame Pluto, an dem die Zivilisation endet. Zwischen ihm und der wahren Dunkelheit gibt es nur noch den Kuipergürtel. Funken der Weltengesellschaft sind dort schon einige Male aufgeflammt, doch immer wieder erloschen.

Es fühlt sich seltsam an, über das Leben auf diesen Welten nachzudenken. Schon im Gürtel kommt es mir so vor, als sei ich tief ins Reich der Dunkelheit vorgestoßen, aber diejenigen, die im Schatten der Gasriesen leben, würden das gerade einmal als Schwelle bezeichnen.

Als ich das letzte Mal so weit von der Sonne entfernt war, flog ich auf der Morgenstern in Richtung Luna. Nun schläft Lysander in meinem alten Bett auf der Morgenstern, und ich schlafe in seinem auf der Archimedes. Die Wendungen des Schicksals sind merkwürdig.

Hier draußen ist es beängstigend, aber nicht wegen der Randzonen-Goldenen oder der berüchtigten obsidianischen Piraten im Gürtel. Es fühlt sich an, als hätte die Sonne, als hätte das Leben dich vergessen, als könntest du einfach so in die Dunkelheit gleiten, ohne dass jemand erfahren würde, wo und wann du verschwunden bist. Dieses Gefühl lässt mich daran zweifeln, dass ich die Götterbaumwälder und die nebelverhangenen Hügel meiner Heimat je wiedersehen werde.

Ich bemerke diese Furcht und lasse sie durch mich hindurchziehen.

Dann zündet Cassius eine mit Angst gefüllte Granate. »Was ist, wenn Quicksilver gar nicht hier ist?«, fragt er. »Diese Lyria scheint recht niederträchtig zu sein.« Er vergewissert sich mit einem Blick über seine Schulter, dass Sevro nicht hinter uns ist. »Sie hat eure Kinder entführt, Mann.« Er deutet mit dem Kinn auf Pax’ Schlüssel. »Ich bin kein Vater, aber so etwas kehrt man doch nicht einfach unter den Teppich. Ich will nicht pessimistisch klingen, aber was, wenn Virginia diese Flotte nur erfunden hat, damit du von deinem Selbstmordkommando absiehst? Dann könnten dich die Raa auf dem Rückweg allerdings trotzdem erwischen.«

»Du meinst also, dass sie meine Hoffnung ausnutzt und mich belügt, damit dem Feind keine Propagandawaffe in die Hände fällt, die dem Mars einen Dolch ins Herz stoßen würde?«, frage ich. »Also meinen Kopf?« Ich nippe an meinem Kaf. »Dann würde ich antworten, dass sie ihren Job macht.«

»Scheiße.« Er lehnt sich auf seinem Sitz zurück. »Ich möchte kein Oberhaupt heiraten.«

»Das habe ich nicht. Ich habe Virginia geheiratet und sie mich. Das Oberhaupt und der Schnitter sind die Schatten, die uns begleiten.«

Er denkt eine Weile darüber nach. »Also … wenn Quicksilver nicht hier ist, oder wenn er hier ist, sich aber weigert, uns zu helfen?«

»Sorge ist eine Spirale, in dessen Mitte der Tod lauert, Cassius«, erwidere ich.

Ich fühle Auraes Lächeln. Cassius verdreht die Augen. »Sorge ist eine Spirale … also wirklich. Versuchst du, den Steinernen zu übertreffen?«

Ich zucke mit den Schultern. Ich bin nicht so zuversichtlich, wie ich mich gebe, aber wie soll man führen, wenn man nicht laufen kann … und wie soll man laufen, wenn man sich vor jedem Schritt fürchtet? Immer, wenn ich an meinen Entscheidungen zweifle, zwinge ich mich, unsere Lage aus dem Blickwinkel von Der Weg zum Tal zu betrachten. Einige Zeilen aus der zehnten Erkenntnis des Buches fallen mir meistens in solchen Momenten ein.

Das Vergessen gehört zum Lernen,

So wie das Ausatmen zum Atmen.

Atme aus, dann ein.

Finde dein Ich,

Und verliere es erneut.

So führt der Weg immer weiter.

Ruhe überkommt mich. Ich atme die Erinnerungen vergangener Fehler und Zweifel aus und atme einen neuen Blickwinkel ein. Meine Sorgen basieren vielleicht auf unangenehmen Wahrheiten, aber sie sind das Produkt – so sagt Aurae – eines trägen Verstands und eines trägen Körpers. Schlimmer noch, denn meine Sorgen bringen nur neue Gefühle der Hilflosigkeit hervor. Anstatt mir Gedanken darüber zu machen, ob ich die richtigen Entscheidungen getroffen habe, konzentriere ich mich auf die nächsten, was auch immer sie sein werden.

Ich erkenne, dass ich wie der Marcher war: Abfall aus der Vergangenheit, der um den Abfluss kreist. Doch an dem Morgen, nachdem wir uns vom Mars abgewandt hatten, wurde mir klar, dass ich vor einer Wahl stand: Ich konnte voller Wehmut zurückblicken und zusehen, wie das Licht der Heimat mit jedem Tag schwächer und kälter wurde, oder ich konnte mich diesem Drang widersetzen.

Ich widersetzte mich ihm an jenem Morgen und fand Stärke in diesem Widerstand. Diese körperliche Wahl ist seitdem zu einer geistigen geworden. Ich habe mich nicht umgedreht, und ich werde das auch nicht. Virginia hat mir einen Auftrag erteilt: Komme so stark zurück, dass wir wenigstens eine Chance auf den Sieg in diesem Krieg haben.

Ich bin jetzt ein Pfeil, der von ihrem Bogen abgeschossen wurde.

Es gab keine Freizeit auf dieser Reise. Ich habe von meinem Feind gelernt und imitiere Apollonius. Ich habe einen Lehrplan aufgestellt, der aus drei Teilen besteht: Körper, Geist, Herz.

Für den Körper trainiere ich jeden Tageszyklus sechs Stunden lang mit Cassius. Drei nach dem Aufwachen, drei vor dem Schlafengehen. Mein Körper ist zerschrammt, meine Muskeln schmerzen, meine Hände sind voller Blasen, und mein Ego liegt jeden Tag am Boden. Er ist ein fantastischer klassischer Schwertkämpfer, und jedes Mal, wenn er mich besiegt, sagt er lächelnd: »Stahl schärft Stahl.«

Er hat nicht unrecht. Auf den chaotischen Schlachtfeldern bin ich nachlässig geworden, mit übergewichtiger Zuversicht. Währenddessen haben meine Feinde erkundet, wie sie mich und den Weg der Weide besiegen können.

Sechsunddreißig mal sechs ist zweihundertsechzehn. So viele Stunden haben wir investiert. Ich spüre bereits die Veränderung. Ich kann jetzt jeden Tag zehntausend Kalorien zu mir nehmen. Meine Körpermasse kehrt zurück, so wie die Haare auf meinem Kopf. Ich habe den Bart behalten. Aus irgendeinem Grund hilft er mir, mich so zu fühlen, als sei ich auf einer Mission.

Mein Herz pflege ich mit dem Buch, das ich schreibe, und dem Buch, das ich lese. Ich schreibe Pax jeden Abend vor dem Schlafengehen, so wie auch schon auf dem Marcher. Das verbindet mich mit meiner Vergangenheit und sorgt dafür, dass ich den Blick auf die Zukunft richte, die er haben wird. Ich entdecke Lektionen in meinen Verlusten, meiner Trauer, und hoffe, dass ich diese übermittle anstatt des Schmerzes. Und ich lese Der Weg. Aurae muss meine unablässigen Fragen über das Buch jeden Tag ertragen, aber wenn sie das nervt, verbirgt sie es gut.

Ich glaube, dass Auraes Stärke von ihrem Umgang mit Leid stammt. Im Gegensatz zu mir gab es für sie keinen einfachen Ausweg. Ich wurde geschnitzt, bekam eine körperliche Karosserie, durch die ich meine Wut auf die Welten ausleben konnte. Aurae ist körperlich verletzlich, daher musste sie ihr Herz stärken. Sonst hätten die Welten sie zermalmt.

Den Geist schärfe ich mit den Informationen, die ich von Virginia bekommen habe. Jeden Tag beschäftige ich mich fünf Stunden lang mit den Erfolgen meiner Feinde. Atlas ist für die meisten verantwortlich. Sein Feldzug auf Luna, bei dem er die Lebensmittelvorräte vernichtete, war genial. Seine Befriedung von Nordamerika ebenfalls. Er ist jetzt weiter nach Südamerika gezogen, aber ich versuche, nicht in Besessenheit zu verfallen. Niemand ist gefährlicher als er, doch der Kampf gegen ihn ist nur ein Teil des Krieges.

Ich erfahre, dass Lysander eine Allianz mit der Randzone anstrebt, lese einen Geheimdienstbericht über die Stärke des Randzonenreichs, über dessen Politik, wichtige Personen, Produktionskapazitäten und über all die Figuren in unserem Stück. Ich erfahre viel über Lyrias Vergangenheit, ebenso Ephraims und Volgas und finde heraus, dass Volga sich freiwillig dazu bereit erklärt hat, Fá zu begleiten. Dieser Teil verstört mich mehr als alles andere – Fá. Wir wissen nur wenig über den geheimnisvollen Kriegsherrn und seine Ascomanni. Die Berichte, die ich über ihn lese, verraten mir, dass etwas nicht stimmt. Seine Taktiken auf dem Mars riechen nach Spezialeinheiten. Auf beiden Seiten gibt es mittlerweile eine Menge von ihnen, die enttäuscht und demotiviert sind, aber ich glaube, es steckt mehr dahinter. Ich brauche mehr Infos.

Die Geschäftigkeit, die ich mir selbst auferlegt habe, beeinflusst auch andere. Die ganze Archimedes scheint in einem harmonischen, produktiven Rhythmus zu summen. Nur Sevro schlägt Misstöne an.

Ich werde aus meinen Gedanken über unsere Reise gerissen, als Cassius mich an der Schulter packt. »Kommt mir das nur so vor, oder sieht dieser Krater so aus, als würde er den Mund öffnen und uns anspucken?«, fragt er.

»Ich glaube, er spuckt.« Ich betrachte grinsend die seltsamen Raumschiffe, die aus dem versteckten Hangar im Asteroidenkrater strömen. Sie sind kantig und bestehen aus einem teils perlweißen, teils transparenten Material. Ich habe solche Schiffe noch nie gesehen.

Cassius’ Miene verdunkelt sich. »Sie haben kein Cockpit«, sagt er. »KI?«

»Vielleicht. Aber wahrscheinlich Drohnen mit Fernsteuerung.«

»Mhm.«

Ein hoher Ton pfeift durch das Schiff, und die Lichter flackern. Ein Gesicht erscheint über dem Kom-Projektor. Der Mann sieht gut aus und ist Anfang fünfzig. Seine Augen haben die Farbe von Rosenquarz. Er begrüßt uns mit einem Lächeln. »Darrow von Lykos. Du hast einen Bart!«

»Matteo«, sage ich erleichtert. »Es überrascht dich nicht, mich zu sehen.«

»Nein, aber wie immer erfreut es mich.« Seine Stimme wird schärfer. »Unsere Spitfires werden euch hineinführen. Steuern Sie bitte nicht selbst, au Bellona.«

»Nur Bellona«, sagt Cassius.

Matteo scheint das zu gefallen. »Interessant. Darrow, wir sehen uns bald hier unten.«

Er verschwindet. Ich stehe auf, packe Cassius an den Schultern und küsse seinen Kopf. »Jetzt kommt der schwierige Teil«, sage ich und gehe zum Heck.

Er ruft mir nach: »Sag Sevro, dass er die Spüle sauber machen soll!«

Ich verlasse das Cockpit, passiere die Sensoren, gehe durch den Aufenthaltsraum, an den Besatzungsquartieren, den Geschützröhren und den Wartungsräumen vorbei, dann eine Rampe hinunter zur Tür der Werkstatt. Sie ist verschlossen, und ich klopfe. Sevro antwortet nicht, also öffne ich die Tür einen Spalt.

Seine kreischende Musik wirft mich beinahe zurück. Mein Freund macht Messer. Er trägt kein Hemd, ist tätowiert und starrt konzentriert auf die Klinge eines riesigen Hackmessers. Funken sprühen, als er die Klinge schärft. Er sieht auf, bemerkt, dass ich ihm etwas zurufe, und kehrt zu seiner Arbeit zurück.

Sevro will nicht hier sein. Er ist mitgekommen, weil er es musste. Er weiß, wie wichtig unsere Mission ist, aber er macht es uns trotzdem nicht leicht. Er hat Regeln aufgestellt. Er hält sich nur im selben Raum wie wir auf, wenn es wegen einer Mahlzeit oder einer Aufgabe nötig ist. Er erzählt keine Geschichten. Er macht keine Witze. Beim Abendessen hört er manchmal Auraes Liedern zu, aber meistens kehrt er in die Werkstatt zurück oder in sein Quartier in der Rettungskapsel.

Ich rufe ein paarmal seinen Namen, aber ich habe schon auf Schlachtfeldern gestanden, die weniger Lärm verursachten als die Musik der Straßenszene von Agea. Grüne hätten sich nie mit Obsidianen treffen sollen, so sehe ich das. Sie nennen diese Musikrichtung Kakofonie. Ich schalte sie ab, sodass nur noch das Kreischen des klingenschärfenden Lasers zwischen uns steht. »Ich arbeite«, sagt er, schaltet den Laser aber aus. Er wischt sich mit einem Lappen den Schweiß vom Körper und isst mit einem Löffel Sonnenblumenbutter aus einem Becher. Das ist seine neueste Sucht. »Es gibt eine Regel«, sagt er. »Die Tür war zu.«

»Wenn du dich an Cassius’ Regeln hältst, halte ich mich an deine. Wir sind auf seinem Schiff, aber du machst die Spüle nie sauber.«

Er grunzt. »Das war Aurae. Für ’ne Pinke ist sie echt ein Schwein.«

»Wenn du schon lügst, dann gib dir wenigstens Mühe. Also, wir sind da. Ich habe gerade mit Matteo gesprochen. Wir können in einem seiner Hangars landen.«

Sevro wirft den Lappen in die Luft. Seine neue Klinge spaltet ihn in zwei Hälften. »Nett.«

»Wie heißt das Messer?«

»Abscheulichkeit.« Er dreht das Hackmesser. Ich betrachte die Wand, die er in seine private Waffenkammer verwandelt hat. Bisher hat er einen Lysander, eine Lilath, einen Atlas und einen Apollonius hergestellt. Ich bezweifle, dass es gesund ist, Messer nach Menschen zu benennen, die ihn traumatisiert haben, aber wir alle gehen auf unsere eigene Weise damit um.

»Kommst du mit?«, frage ich.

Er dreht Abscheulichkeit ein paarmal in der Hand. »Ich denke gerade über etwas nach.«

Es fühlt sich falsch an, ohne ihn zu Quicksilver zu gehen, aber sie waren schon immer wie Öl und Wasser. »Du hast mir noch nicht geantwortet. Wirst du mir auf dem Rückweg beibringen, wie man so eins macht?«

Er mustert mich, geht mit Abscheulichkeit in der Hand auf mich zu, führt die Klinge an meinem Gesicht vorbei und schaltet die Musik mit der Messerspitze wieder ein. Kakofonie stellt sich krachend zwischen uns, und ich verstehe den Wink.

38Darrow

Tabula Rasa

Regulus ag Sun ist ein wortgewandter, vielschichtiger, unhöflicher und unglaublich intelligenter Mann, dessen Pläne sich oft ändern. Doch vor allem ist er, der den Spitznamen Quicksilver trägt, vorsichtig. Diese Tugend hat er erlernt, während er über ein Jahrzehnt hinweg die Söhne des Ares finanzierte. Vielleicht besaß er sie auch schon, bevor er Fitchner kennenlernte. Unser Schiff wird auf Atomwaffen und wer weiß was noch gescannt, während wir in den Hangar unter einem großen Asteroidenkrater eskortiert werden.

Als sich die Tür des Schiffes öffnet und die Rampe sich ausfährt, gehe ich sie allein hinunter. Sevros Musik tröpfelt hinter mir heraus. Trotz der freundlichen Begrüßung habe ich mit einer Roboterphalanx gerechnet, aber Matteo steht allein dort. Er wirkt in dem trostlosen Hangar fehl am Platz. Besser würde er an den luxuriösen Venushof passen oder in ein hochgeschätztes lunesisches Symposium als in diese Bruchlinie zwischen den Zivilisationen hier draußen.

»Darrow, mein Bester, mein Kämpfer. Wieder von den Toten auferstanden.«

Ich hatte gedacht, ich würde ihn Deserteur nennen, aber ich kann Matteo nicht böse sein. Lorn hat mir zwar das Töten beigebracht, doch Matteo war nach den Bergwerken der erste Lehrer in meinem Leben … und in vielerlei Hinsicht auch der wichtigste. Er hat mich gelehrt, ein Goldener zu sein.

Als ich auf ihn zugehe und ihm die Hand geben will, breitet er die zarten Arme aus und windet sie um meinen Oberkörper. Ich schlinge meine Arme um seine Schultern und küsse ihn auf den Kopf. Seine Haare sind dunkler als früher und riechen nach Jasmin.

»Wie geht es dir?«, fragt er, als wir uns voneinander lösen. »Wir haben uns einiges zu erzählen.«

»Es tut mir leid, Matteo, aber ich habe nicht viel Zeit …«

»Du hast mehr Zeit, als du glaubst«, sagt er. Ich runzele die Stirn. »Wie geht es dir?«

»Ich bin verzweifelt, aber das weißt du ja.«

»Das sind Auferstandene normalerweise. Die Toten kehren nicht grundlos zurück.« Sein Blick gleitet zum Schiff. »Sehr schöner Rumpf. Ich bewundere die Handwerkskunst. Aber was hast du damit angestellt? Es sieht aus wie der Schuh eines Bettlers, der nur von guten Absichten zusammengehalten wird.«

»Die Gebühr für die Abreise vom Merkur«, sage ich. »Harnassus hat das Schiff so gut wie möglich repariert.«

»Grauenhaftes Werk.«

»Na ja, er ist ein Militäringenieur. Klammern anstatt Nähen und so.«

»Ich meinte den Merkur.« Sein tiefes Seufzen verrät Empathie. »Ich kann mir die Schrecken nicht vorstellen, die dir dort begegnet sind.« Matteo betrachtet meine verletzten Gliedmaßen, meine sonnenversengte, nun sonnenhungrige Haut, meine frischen Narben. Er sieht nicht weg wie die meisten, um den Mythos des unverletzlichen Schnitters aufrechtzuerhalten. Stattdessen bewundert er meine Mängel, katalogisiert die Wunden, um meine Geschichte zu verstehen, und liebt mich umso mehr dafür. Allerdings merke ich, dass ihm der Bart nicht gefällt.

»Was auf dem Merkur passiert ist, tut mir leid, Darrow. Dass du wegen der Unzulänglichkeiten des Senats keine Verstärkung bekommen hast. Ich trauere um die Freien Legionen.« Matteo will mein Gesicht in seine Hände nehmen. Ich versuche, den Kopf zurückzuziehen, aber er hält mich fest. »Ich trauere um Theodora.«

Etwas in seinem Blick lässt mich aufgeben. Vielleicht, weil er mich in meiner Jugend, als Eo starb, auf dem Höhepunkt meines Zorns erlebte. Vielleicht, weil er mir das Tanzen beibrachte, als ich ein neugeborenes Goldenes Fohlen auf Steroiden war. Vielleicht, weil ich mich in seinem Blick gesehen fühle.

»Theodora wurde ihr Leben lang begehrt, aber nicht geschätzt. Du hast sie geschätzt, und dafür hat sie dich geliebt. Ich kenne keine Pinke, die auf eine solch reine Weise loyal ist. Sie war erfindungsreich, intelligent, aber vor allem war sie zufrieden, weil sie dir und dann der Republik als Top-Spionin dienen durfte. Diese Zufriedenheit verschmolz mit einem Ziel. Etwas, das sich so vielen von uns entzieht. Sie war eine Heldin unserer Farbe. Alle freien Pinken feiern ihren Namen. Es war ihr eine Ehre, dir zu dienen, und es war mir eine Ehre, sie zu kennen.«

Dieser Nachruf kommt für mich unerwartet.

»Ich trauere um Orion«, fährt er fort, obwohl ich zusammenzucke. »Sie war eine Sternschnuppe, und es wird ein ganzes Zeitalter vergehen, bis die Menschheit wieder jemanden wie sie bekommt. Ich trauere um Alexandar. Ich weiß, dass du ihn nur mitnahmst, um Lorn einen Gefallen zu tun, aber dass du ihn schließlich doch geliebt hast, obwohl du so viel von dir in ihm sahst. Er war der beste Goldene seiner Generation, aber er wollte sein wie du, ein Roter, und das wurde er. Als die Wellen auf Tyche zurollten, bewies er, dass er für mehr als sich selbst lebte.«

Meine Stimme stockt. »Du weißt davon?«

Er nickt.

Ungewollte und unwillkommene Tränen steigen mir in die Augen. Alles in mir möchte sich diesem Schmerz verschließen. Stattdessen erlaube ich ihn mir und ehre durch diese Erlaubnis mit Matteo die Toten und fühle, dass ihr Licht gesehen wurde. Nicht nur von mir, sondern von diesem Mann, der meine Geschichte kennt und die Geschichten derer, die mir wichtig waren. Ich hatte gedacht, Sevro würde mir Trost bringen, doch es ist Matteo, der das tut.

»Ich trauere um Dancer.«

Ich gebe keinen Laut von mir, aber als Matteo den Namen meines alten Freundes in den Mund nimmt, fühle ich mich wieder wie ein Junge. Ich sehe Dancer, der einen Burner raucht, während Matteo und ich Goldene Verhaltensweisen üben. Ich sehe seine väterliche Besorgnis, als ich das Shuttle besteige, das mich zum Institut bringen wird. Seine Furcht, als er am Tag der Roten Tauben an seinem eigenen Blut erstickt.

Ich vermisse Dancer heute mehr als meinen Vater, sogar mehr als Eo. Sie waren ein Teil meines ersten Lebens. Dancer schenkte mir mein zweites.

»Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der so aufrichtig ist wie Dancer«, fährt Matteo fort. »Er wurde als Aussätziger unter Geknechteten geboren und wurde zum Prinzen. Er war rechtschaffen und ehrlich, wie Menschen sein sollten. Er war stur, manchmal naiv, aber nie dumm. Er verehrte dich, den Jungen, den wir zum Mann machten. Und er verehrte auch den Mann, selbst wenn er sich dir manchmal in den Weg stellen musste.«

Ich nicke. Zu mehr bin ich nicht fähig.

»Am meisten trauere ich um Sevro …«

»Ziemlich mies«, murmelt Sevro. »Um jemanden zu trauern, der nich’ mal tot ist.« Matteos Augen weiten sich, als er sieht, wie Sevro über unsere Schiffsrampe marschiert. Anscheinend wissen Matteo und Quick nicht alles. »Entschuldigt die Verspätung. Musste noch abwaschen. Aber wir sind wegen Metall hier, Matteo. Nicht um uns zu besteigen. Nicht um zu heulen. Wegen Metall. Also wenn es dir nichts ausmacht, kannst du uns zu deinem Typen führen.« Er sieht mich an. »Einer von uns hat es eilig.«

Wir betreten Quicksilvers Arbeitszimmer und stehen auf den Straßen von Luna. Das Arbeitszimmer verbirgt sich hinter einem lebensgroßen Hologramm. Sevro beschwert sich murmelnd über die Melodramatik.

Das Hologramm zeigt einen Mob Niederer Farben, der sich banner- und kettenschwenkend durch die Straßen von Luna bewegt. Wolkenkratzer und Seilwinden verbergen den Himmel. Ein Schiff zieht Feuer hinter sich her. Luna ist kurz nach dem Tag der Roten Tauben von einer trunkenen, perversen Euphorie erfasst. Der Mob singt das Verbotene Lied und jubelt, als GravBikes vorbeischießen, die verstümmelte Silberne Leichen hinter sich herziehen. Viele aus der Geschäftskaste tragen das Emblem von Sun Industries, aber nicht alle.

Ich entdecke Quicksilver in den Hologrammen. Er schwebt über dem Abbild der Menge. Er ist beleibt, kahlköpfig, arrogant und so streitsüchtig wie immer. Er trägt einen grün gesäumten, schwarzen Kimono und leuchtende Pantoffeln.

»Ich dachte, es würde mich trösten, dass jetzt alle verhungern, nachdem sie die Republik gegen ein Kabal aus Wahnsinnigen, Perversen, Klonen, Knochenreitern, Grimmusen und – am schlimmsten – Sozialisten eingetauscht haben«, sagt Quick, als ich durch die Krawalle schreite. Sevro folgt mir nicht weiter in den Raum hinein. Er bleibt am Eingang zum Arbeitszimmer stehen, lehnt sich mit dem Rücken an die Wand und sucht mit zuckenden Blicken nach Gefahren. »Ich fühle keine Genugtuung. Wenn überhaupt, fühle ich … nichts.« Quicksilver runzelt die Stirn und schweigt einen Moment lang. »Natürlich frage ich mich, was ich anders hätte machen können. Ich weiß, dass das dein Lied ist, Darrow. Der einzige Unterschied besteht darin, dass du dir die Schuld gibst, während ich weiß, wer die Schuld hat: der Mob.«

Er wirft einen düsteren Blick auf den Mob, als bestünde er aus Ameisen, die ihm das Picknick ruinieren.

»Das machst du also den ganzen Tag«, sagt Sevro.

»Ah, nichts geht über den Sarkasmus von nicht eingeladenen Gästen«, erwidert Quick. »Mit diesem Bart siehst du übrigens wirklich wie dein Vater aus, Sevro. Zu deiner eigenen Sicherheit möchte ich dich bitten, auf Gewalt zu verzichten. Ich musste euch beide nicht an Bord lassen. Bedenke das.«

»Du wirst uns bestimmt noch ein paarmal daran erinnern«, sagt Sevro. »Wenn du von dem Kreuz heruntergestiegen bist.«

Matteo und ich lächeln kurz. Sevro und Quick gehen immer wie Bastarde miteinander um, aber Quick erträgt Sevro, als sei er ein missratener Sohn. Er kannte Fitchner schon, als Sevro noch ein Baby war, und hat ihn aus der Ferne aufwachsen sehen. Sevro trägt seit Langem einen Groll auf den Silbernen mit sich herum. Als fände er es ungerecht, dass das Geld überlebt hat, während der Mann, der die ganze Arbeit erledigte, sein Vater, sterben musste.

Er hat nicht unrecht, aber ich glaube, ihm fällt nicht auf, dass niemand außer ihm so mit Quick reden darf.

Quicksilver beschleunigt die Szene gelangweilt. Der Mob fließt vorbei, und dann lösen sich die Straßen und die singenden Menschen in digitalen Rauch auf. Seine Pantoffeln verdunkeln sich, und er schwebt zu Boden.

Quicks Arbeitszimmer ist groß, aber spärlich eingerichtet. Der Boden besteht aus grünem Gestein. Ein fast blickdichtes Fenster geht zum Garten hinaus. Der Rest der Wände ist voller Bildschirme, über die unablässig Informationen fließen. Außer der Wand hinter dem Schreibtisch. Sie ist angefüllt mit Relikten der Vergangenheit. Zwischen uralten Speeren und Steintafeln entdecke ich ein paar Gegenstände, die ich kenne, darunter einen schwarzen Helm und ein Strahlenkranzwappen.

Quicksilver reibt seinen mysteriösen Ring mit dem Goldenen Augapfel in der Mitte, den er schon trug, als ich ihn zum ersten Mal traf. Ich lasse mich von ihm mustern.

Wenn Sevro das schwarze Schaf ist, dann bin ich sein goldener Sohn.

»Darrow.« Er ergreift meine Arme. »Mein Junge. Ihr Götter. Der Merkur.« Er atmet aus. »Es tut mir leid um deine Truppen. Alle waren Patrioten. Helden. Der Mob hat ihr Opfer nicht verdient. Aber wo bist du gewesen?«

Matteo stellt klar: »Wir haben die Archimedes seit ihrem Eintritt in den Gürtel beobachtet.« Ich drehe mich um. Sie müssen sehr gute Augen haben. »Und wir wissen, dass Kavax Cassius mit diesem frischen Schiff losgeschickt hat, um dir bei der Flucht vom Merkur zu helfen, aber wo warst du danach?«

»Auf einem der Marcher gestrandet«, sage ich.

»Icarus-Basis?« Quicksilver lacht schallend. »Wirklich? Ihr Götter, da werde ich ganz nostalgisch. Weißt du noch, wie wir Teams ausgesandt haben, die das verdammte Ding bauen sollten, Matteo?«

»Wie könnte ich das vergessen? Du bist Tag und Nacht durch das Penthouse gelaufen und hast behauptet, Fitchner sei leichtsinnig. Du dachtest, die Votum würden die Konstruktionsschiffe sehen und uns an die Prätorianer verraten.«

»Ach, die gute alte Zeit.« Quicksilvers Augen funkeln. »Das war wirklich aufregend. Ist aber eine spartanische Basis. Das war bestimmt unangenehm.«

»Es war … lehrreich«, sage ich.

»Und was hast du gelernt?«

»Perspektive.«

»Perspektive, hm? Ich habe einmal gehört, wie Magnus au Grimmus zu deinem alten Kameraden Roque sagte, dass man nach dem Verlust einer Armee entweder zum Philosophen oder zum Selbstmörder wird. Ich bin froh, dass du nicht so entschieden hast wie Fabii.«

»Danach waren wir auf den Werften der Venus.«

Quicksilver und Matteo sehen sich kurz an und lachen. »Das warst du?«

»Um genau zu sein, war er das.« Ich deute mit dem Kinn auf Sevro.

Sie runzeln die Stirn. Also wissen sie nichts von der Auktion. Sevro sieht mich an. Er möchte offensichtlich nicht, dass sie davon erfahren. Er schämt sich. »Wenn du schon wusstest, dass wir kommen, dann weißt du wahrscheinlich auch, weshalb wir hier sind. Virginia hat fünf andere Schiffe geschickt. Hat eins von ihnen es geschafft?«

»Nein. Aber die Agentin deiner Gattin hat Matteo eines sehr deutlich erklärt. Sie denkt, dass die Rettung der Republik in unseren Händen liegt«, sagt Quicksilver.

»Wirklich?« Ich sehe mich im Zimmer um. Die Datenströme könnten in uraltem Mandarin geschrieben sein, so wenig, wie ich davon verstehe. Doch die Fahrt mit Matteo im Aufzug, hinunter zu Quicksilvers Arbeitszimmer, hat so lange gedauert, dass er vermutlich den kompletten Asteroiden ausgehöhlt hat. Eine Herkulesaufgabe. Vielleicht hatte Virginia doch recht. Vielleicht gibt es hier Werften und neue Kriegsschiffe. Nur ein Bauchgefühl verrät mir, dass es hier etwas anderes gibt. Aber was?

»Komm«, sagt Quicksilver. »Setzen wir uns, wenn wir uns schon streiten müssen.«

Er führt uns zu einem in den Boden eingelassenen Sitzbereich mit vielen Kissen. Von der Decke tropft eine neptunische Regensäule. Sie ist wie eine Träne geformt und besteht aus Tausenden Diamanten, die auf diese weit entfernte Welt herabregnen. Sevro setzt sich nicht zu uns auf die Kissen. Er hockt sich an den Rand des Sitzbereichs und hält Wache.

»Sevro, nimm doch Platz«, sagt Quicksilver. »Was auch immer dir auf Luna zugestoßen ist, war nicht meine Schuld. Das weißt du. Wir sind Freunde, du und ich. Also lass uns zusammen hier sitzen und miteinander reden.« Sevro zeigt ihm den Mittelfinger. Quick wirft mir einen besorgten Blick zu. »Also gut. Okay. Du hast eine schwere Zeit hinter dir, Junge. Eine schwere Zeit. Also benimm dich, wie du willst. Das ist dein Recht.« Er lächelt verschmitzt. »So verhält man sich doch in Virginias Republik, richtig?«

»Sie hält sich sehr zurück«, sage ich. »Vor allem, was dich betrifft.«

»Also wirklich. Wenn sie auf mich gehört hätte, wären die Vox schon vor Jahren zerschlagen worden. Wenn sie mit ihnen ebenso konsequent umgegangen wäre wie mit meinen Silbernen, würde die Weltengesellschaft schon in Schutt und Asche liegen. Und sie hätte ihren Gatten nicht hierherschicken müssen, um mich zurück in den Schlachthof zu zerren.«

»Ich bin nicht hier, um dich zurückzuholen. Ich will nur reden.«

Er ist skeptisch. »Dann rede.«

»Die Republik wird das Jahr ohne deine Hilfe vermutlich nicht überstehen«, sage ich. »Phobos ist an die Allianz aus Lysander und der Randzone gefallen. Ein Regen auf den Planeten könnte unmittelbar bevorstehen, wenn er nicht schon passiert ist. Abgesehen davon wartet Atalantia während ihrer Belagerung von Luna auf eine günstige Gelegenheit. Es sind jetzt schon Millionen Menschen verhungert. Wir brauchen alle Schiffe und Waffen, die du uns besorgen kannst, sonst wird unser lebenslanger Traum sterben. Ich verstehe, dass du wütend auf mich und auf Virginia bist. Ich war nicht immer der beste Partner, und ich habe auch nicht immer die versprochenen Resultate geliefert. Mir fehlt Fitchners Weitsicht. Und seine Subtilität. Aber wir haben diesen Krieg gemeinsam angefangen, und wir müssen ihn gemeinsam beenden. Ich habe dir immer den Rücken freigehalten, Quick. Du musst jetzt ein letztes Mal meinen freihalten. Gib mir die Waffen, die wir für diesen Kampf brauchen.«

Er nippt an seinem Whiskey und sieht Matteo an.

»Sehr gut gesagt, aber wer behauptet, dass ich Waffen habe?«

»Virginia hat deine Bücher bekommen«, sage ich. »Von deinem alten Logos.«

Eine Augenbraue hebt sich in Matteos Richtung. »Unser loser Faden. Ich dachte, ich hätte ein Team angeheuert.«

»Ich habe drei angeheuert«, sagt Matteo.

»Ah, Scheiße. Es ist, wie es ist.«

Ich bedränge ihn. »Wir wissen, dass du Metall und Material gehortet hast. Die Flotte oder Waffen oder was auch immer du gebaut hast, erfüllt hier draußen keinen Zweck. Ich möchte dich bitten, mir diese Schiffe zu leihen. Lass mich ihnen einen Zweck geben. Wenn ich von dir die Waffen bekomme, die ich für diesen Krieg brauche, werde ich ihn beenden.«

Quicksilver seufzt. »Leider können wir das nicht, Darrow.«

»Ihr könnt nicht oder wollt nicht?«, fragt Sevro.

»Beides.«

»Das stimmt nicht ganz«, sagt Matteo.

Quicksilver wirft ihm einen finsteren Blick zu und lächelt mich an. »Darrow, es ist nicht so, als hätte ich den Glauben an dich verloren. Ich habe dich gebeten, Berge zu versetzen, und das hast du getan. Ich habe dich gebeten, gegen den Himmel Krieg zu führen, und das hast du getan. Scheiße, Jungs, tote Götter säumen euren Weg. Dass du den Merkur überlebt hast, Darrow, dass ihr hierhergekommen seid …« Er schüttelt den Kopf mit einer wahren und uneingeschränkten Bewunderung, die mich sofort anwidert. »Also bei so etwas glaube sogar ich alter Nihilist wieder an Helden. Ich glaube an dich, Darrow, in dem Sinne, dass ich glaube, du und Sevro werdet bis zum letzten Atemzug kämpfen. Aber Gold erhebt sich wieder. Atalantias Streitkräfte vervielfältigen sich mit jedem Tag. Lune – ein Lune, zu dessen Tod ich geraten hatte, weißt du noch? – erweckt ihren schlummernden moralischen Geist und hat die Randzone für sich gewonnen. Trotz der letzten Entwicklungen hat unsere Sache ihre Endstation erreicht.«

»Letzte Entwicklungen?«, frage ich.

Er ignoriert das. »Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass die Menschen den Willen zum Sieg haben. Ich glaube gar nicht mehr an die Menschen.«

»Das hast du noch nie«, beschuldigt ihn Sevro.

Matteo sieht ihn hart an.

»Aber du, ja?« Quicksilver lacht. »Dann sag es. Behaupte, dass die Menschen die Macht der Republik darstellen.« Quicksilver wartet, aber Sevro starrt nur düster vor sich hin. »Nein? Verstehe. Die Menschen vertrauen auf eine schmale, scharfe Klinge. Das Volk. Ihr beide. Die Freien Legionen. Die Menschen hocken sich nur zusammen, nörgeln und warten. Du hasst die Menschen auch, Sevro. Du hältst sie für Schleim. Wann haben sie dich je anständig behandelt? Wann haben sie dich unterstützt? Dich interessiert nur deine Familie. Deine Frau. Deine Kinder. Und weißt du, was? Das ist in Ordnung. Das ist natürlich. Normal. Aber tu nicht so, als sei ich schlechter als du. Du hast die Freien Legionen im Stich gelassen. Du hast Darrow noch vor mir verrotten lassen.« Sevro senkt beschämt den Blick. »Ich bin erst gegangen, nachdem die Menschen mir mein Geschenk der Freiheit auf der Spitze einer Lanze zurückgegeben haben.«

Nun senkt Matteo den Blick. Quicksilver lehnt sich zurück und stellt die Füße auf die Regensäule. Wenn man sie verkaufen würde, könnte man zwanzig Eingliederungslager zehn Jahre lang finanzieren.

»Quick, du kannst so viel heulen und klagen, wie du willst, aber du kannst dich nicht für immer hier draußen verstecken«, sage ich. »Wenn die Goldenen die Republik niederschlagen, glaubst du, dass sie dich in Ruhe lassen werden? Atalantia hat dem Mann oder der Frau, die ihr dich oder Matteo als neues Spielzeug bringen, Ceres versprochen. Wenn die Republik fällt, bist du als Nächster an der Reihe. Du kannst dich nirgendwo verstecken. Es gibt keinen Ausweg.«

Ein rätselhaftes, angedeutetes Lächeln tritt auf sein Gesicht.

»Was, wenn es einen Ausweg gäbe, ein Versteck, zu dem die Goldenen niemals kommen könnten, wo der Gestank ihrer Herrschaft von der Menschheit genommen wurde und wo wir von vorne anfangen könnten … Tabula Rasa … würdest du zu einem Teil dieser Zukunft werden? Würdest du mich begleiten?«

Ich zögere. »Was meinst du?«

»Spiel nicht mehr mit ihm. Das sind unsere Freunde. Zeig es ihnen«, sagt Matteo.

»Sie werden es hassen«, erwidert Quicksilver.

»Wir hatten uns entschieden, es Darrow zu zeigen. Zeig es beiden. Sie sollten erfahren, dass dieser Krieg nicht umsonst war. Das haben sie verdient.«

»Was denn zeigen?«, fragt Sevro.

»Meinen Traum«, entgegnet Quicksilver und sieht Sevro ernst an. »Ich erinnere dich noch einmal daran, dass Gewalt hier nichts bringt.« Stolz lächelnd deutet er mit dem Kinn auf das Gartenfenster. Ich stehe auf und gehe darauf zu. Das Milchglas verbirgt den Garten, deshalb erkenne ich nur, dass es dort Laub gibt und fließendes Wasser. Ich hatte angenommen, dass es sich bei ihm um eine Sauerstofffarm handelt, aber Quicks Worte und die schwach sichtbare Krümmung des Gartens passen nicht dazu.

Dann wird die Scheibe transparent und enthüllt ein Wunder.

Die Zeit bleibt stehen, und ich fühle mich wie damals, als ich hinter Dancer aus dem Gravlift trat und zum ersten Mal die Marsoberfläche sah.

Hinter dieser Scheibe befindet sich nicht nur ein Garten, sondern eine ganze Welt. Eine Miniaturwelt, aber trotzdem vollständig. Hunderte Baumarten und Obstbüsche erstrecken sich entlang der gekrümmten Asteroidenwände. In der Mitte dieser hohlen Welt schwebt eine Sonne. Gestalten laufen zu zweit und dritt durch diese Landschaft. Kinder, erkenne ich nach einem Moment. Die Schwerkraft sorgt dafür, dass sie durch die Bäume rennen und in den Tälern sitzen und ihren Roboterlehrern zuhören können. Sie kleben am Boden, obwohl sie für mich seitlich aus den Wänden ragen oder kopfüber von der Decke hängen. Wo auch immer sie stehen, die kleine Sonne in der Mitte der Welt ist oben.

»Was ist das für ein Ort?«, frage ich.

»Ich wurde so spät geboren, dass ich die Meere nicht mehr erkunden konnte, und ich bin zu boshaft, um den Himmel erkunden zu können, deshalb müssen mir die Sterne genügen. Dies, mein Junge, ist ein interstellares Generationenschiff. Der Traum eines introvertierten Jungen, den er nun mit der Liebe seines Lebens teilen kann.« Matteo ergreift Quicksilvers Hand.

Die Baukunst und die Technologie, die hier sichtbar sind, würden sogar Virginia die Sprache rauben, aber nicht deshalb bekomme ich einen Kloß im Hals. Diese Kinder sind irgendwie seltsam. Ich betrachte ein nicht weit entferntes Mädchen, das vor anderen durch ein Tal voller junger, marsianischer Götterbäume läuft. Das Mädchen hat eine olivfarbene Haut und ist ungefähr sechs Jahre alt. Seine Haare und Augen sind braun, die Hände glatt und leer.

Ohne Siegel.

»Seht es euch an, Jungs. Die Goldenen sind nicht das Problem, beziehungsweise nicht das einzige. Selbst wenn wir sie alle umbringen, bleibt ihr Werk bestehen. Die Farben sind das Problem. Die Hierarchie an sich. Und diese Kinder da unten, unsere Kinder, sind weder Goldene noch Rote noch Blaue oder Grüne. Sie sind Homo sapiens, und sie verdienen als ihr Erbe mehr als die Sünden unserer Welt.«

»Keine Werft, keine Festung«, flüstert Sevro. »Ein Rettungsfloß. Du lässt uns im Stich …«

Zitternd vor Wut steht er auf. »Du hast keine Schiffe. Du hast all das Metall … dafür gebraucht.« Wir drei warten darauf, dass Sevro explodiert. Die Haare auf meinem Nacken stellen sich auf. Sevros wohl auch. Er dreht sich um und sieht, dass ein Dutzend boshafter, roter Augen ihn anstarren. Ich kann nicht erkennen, woran diese Augen befestigt sind, aber ich spüre, dass es sich um etwas Massives und Gefährliches handelt. Sevro zieht die Lippen zurück. Ich glaube nicht, dass er kämpfen wollte, aber als er sieht, wie sinnlos ein Kampf gewesen wäre, wird er so wütend, dass er nicht einmal mehr zittert. Er wendet sich wieder an Quicksilver.

»Sechsunddreißig Tage. Achtundsiebzig, bis wir zurück sind.« Tränen glitzern in seinen Augen. »Du hast uns kommen sehen. Du hättest eine Nachricht schicken können.« Seine Stimme bricht. »Ihr beide seid keine Väter. Das sind nicht eure Kinder. Ihr seid Feiglinge, die Götter spielen wollen. Verrottet da draußen. Verrottet und sterbt, Goldene.«

Dann geht er weg. Seine hilflose Wut bricht mir das Herz. Am Anfang war diese Wut unser Treibstoff. Unser Lebensblut. Wir haben das vor langer Zeit gemeinsam erkannt. Doch heute wird sie uns nicht helfen.

Vergessen gehört zum Lernen,

so wie Ausatmen zum Atmen gehört.

Ich werfe einen Blick zurück in den Garten und atme. Dieser Weg ist blockiert, mein Drücken und Schieben wird nichts daran ändern. »Hat dieser Ort einen Namen?«

»Wir nennen ihn Tabula Rasa.«

»Dann zeige mir deine neue Welt, alter Freund«, sage ich. »Hilf mir, sie zu verstehen.«

39Darrow

Der Goldene Blick

Als ich mit Quick durch den Garten der Tabula Rasa gehe, hallt ein Gespräch, das ich vor langer Zeit mit Nero auf den Löwenstufen führte, durch meine Erinnerung. Nero sagte mir, er wünsche sich, die Menschheit würde dieses verkümmerte Zeitalter hinter sich lassen und die Sterne erkunden und besiedeln.

Ein edler Gedanke. Trotzdem fällt es mir schwer, mein Staunen über den Garten und Quicksilvers Schiff nicht zu dem trotzigen Ärger eines geprellten Geliebten verkommen zu lassen, der gegen ein jüngeres Modell ausgetauscht wurde. Quick und ich hatten einmal dieselben Träume. Ich erkenne zwar, wie schön Quicksilvers Schiff ist, aber ich werfe ihm vor, dass er es gebaut und dafür alles fallen gelassen hat, für das wir so hart gekämpft haben. Gleichzeitig verstehe ich seine Denkweise. Ich weiß, wie frustrierend es ist, zu glauben, man sei der Einzige, der sich gegen den Berg stemmt.

Als die Sonne sich verdunkelt, werden die Kinder von ihren Roboterlehrern weggebracht. Da sie nun Quicks erfundene Welt nicht mehr bevölkern, wirken sie wie ein Tagtraum. Nur gelegentliche Abdrücke kleiner Füße im Gras beweisen, dass es sie gibt.

»Das Schiff wirkt auf mich ziemlich unpraktisch«, sage ich.

»Oh, das ist nur das Herz des Schiffes«, erwidert Quicksilver. »So nennen wir es, und das ist es auch. Wenigstens spirituell. Da draußen erwartet uns ein dunkler Ozean. Metall und Gänge bringen uns da nicht weit. Ich könnte dir die Triebwerke, die Reaktoren, die Wohnquartiere, die Schule und die Wasseraufbereiter zeigen, aber die drehen sich nur um das Wie. Hier geht es um das fantastische Warum.«

»Verstehe.«

»Wirklich?«

»Ich glaube schon. Du willst diesen Kindern eine Chance geben, die du nie hattest.«

Quick mustert mich, als ich mit der Hand über den Stamm eines Götterbaums streiche und mir wünsche, ich stünde auf marsianischem Boden und würde marsianische Luft atmen. »Glaubst du, dass Sevro mich erstochen hätte?«, fragt Quicksilver. »Wenn er wüsste, dass er das könnte.«

»Ich denke, er hat erkannt, dass das nichts bringen würde. Damit würde er das Metall nicht in eine Flotte verwandeln«, sage ich. »Aber du hättest uns nicht an Bord gelassen, wenn wir eine Gefahr für dich darstellen würden.«

»Nein. Ich weiß noch, wie du Lorn in diesen Bürgerkrieg verwickelt hast. Du hast ihn mit Verrat gefesselt, sodass er kämpfen musste.«

»Warum dann?«, frage ich.

»Warum?«

»Warum hast du mich an Bord gelassen, warum bist du überhaupt hier? Wieso hast du mich die ganze Zeit beobachtet?«

»Wir haben Triebwerkstests durchgeführt, als die Agentin deiner Gattin eintraf. Sie sind bereit, aber nun warte ich auf einen günstigen Startzeitpunkt. Meine Triebwerke sind nach einer Weile sehr schnell, aber sie müssen eine ziemlich große Masse in Bewegung setzen, und wenn das passiert ist, kann sich das Schiff nicht mehr verstecken.«

Ich denke darüber nach. Da sich der Krieg auf den Kern konzentriert, sollte er diesen günstigen Zeitpunkt längst haben. »Ah. Die Schattenarmada.«

»Ja, die patrouillierende Flotte der Randzone. Und andere Gefahren.«

»Wo ist sie gerade?«, frage ich.

»Fast weit genug weg.« Er lächelt sanft.

Er beobachtet mich aus dem Augenwinkel, als wir über eine Wiese auf einige Bäume mit roten Blättern zugehen. Die Schwerkraft ist hier höher als auf dem Mars. »Du hast dich verändert seit unserer letzten Begegnung. Vielleicht hat dich die Zeit auf dem Marcher wirklich etwas gelehrt.«

»Vielleicht.« Ich betrachte die auf dem Kopf stehende Welt über mir. Die Entfernung zwischen der Spitze des Baums, an dem ich lehne, und denen, die von der Decke hängen, beträgt mindestens drei Kilometer. »Dieser Ort. Den hast du nicht in ein paar Jahren gebaut. Du hast damit angefangen, als wir noch siegreich waren.«

»Ja.«

»Wegen deiner Zweifel oder deiner Hoffnung?«

»Beidem. Das war schon immer mein Traum, lange bevor Fitchner und ich uns verschworen. Ich habe versucht, ihn zu bauen, als du noch ein Kind warst, aber das war damals zu ambitioniert. Mir fehlten die Technologie und der Zugang zu den richtigen Wissenschaftlern. Als die Planeten dir in die Hände fielen, konnte ich mir die besten der Goldenen aussuchen.«

Er dreht seinen berühmten Ring, eine nervöse Angewohnheit. Der Goldene Augapfel darin beobachtet mich, während Quicksilver sich ins Gras setzt. Wind bewegt das Laub. Es ist seltsam, ihn hier in einem Asteroiden zu spüren, aber die Welt, die Quick erschaffen hat, verfügt nicht nur über eine Sonne und Schwerkraft, sondern auch über ein eigenes Klima.

»All diese Mühen, all die Ressourcen … du hättest mir vier weitere Morgensterne bauen können. Wir hätten die Goldenen schon vor Jahren schlagen können.« Ich versuche, meine Stimme nicht anklagend klingen zu lassen.

»Zum ersten Mal in der Geschichte wird jemand als Schurke bezeichnet, weil er Schwerter in Pflugscharen verwandelt hat.«

»Ich habe dich nicht als Schurken bezeichnet«, sage ich.

»Aber du hast es gedacht, auch wenn du mir Honig ums Maul schmierst. Auf die Dauer wird es langweilig, immer nur in Krieg zu investieren. Was, glaubst du, wird passieren, wenn du siegst, Darrow? Wenn du die Goldenen in Grund und Boden stampfst. Die Vox haben gerade bewiesen, was uns auf der anderen Seite erwartet – mit ein wenig Ansporn der Goldenen natürlich. Trotzdem. Du standest an der Schwelle zum Sieg, und die Menschen stellten sich bereits gegen dich. Selbst wenn du siegreich bist, werden die Welten sich nie von dieser Krankheit befreien. Von Gold. Ich habe diese Lektion vor langer Zeit gelernt.« Er knetet seine Hände und dreht den Ring unablässig. Er betrachtet ihn ohne große Zuneigung. »Weißt du, dass du der Einzige bist, der mich noch nie gefragt hast, warum ich ihn trage?«

»Du trägst ihn, damit Leute dich das fragen. Deshalb habe ich das nie getan.«

Er zögert. »Da wir uns hier das letzte Mal sehen, möchte ich verstanden werden. Was hätte ich nur gegeben, wenn ich so einen Moment mit Fitchner hätte haben können. Völlige Offenheit.«

Er sammelt einen Moment lang seine Gedanken.

»Ich … hatte einen Partner bei meinem ersten Unternehmen, Darrow. Einen Silbernen, den ich so sehr liebte wie Matteo. Er war … besser als ich. Während ich mich bereits der … vernichtenden Realität ergeben hatte und pragmatisch geworden war, hatte er Träume. Seinetwegen adoptierten wir Kinder.«

»Du hattest Kinder?«, frage ich.

»Vier.« Er verstummt und dreht den Ring, immer weiter. »Unser erstes Unternehmen scheiterte, wie das so oft der Fall ist. Damit ruinierten wir unseren Namen. Ich lieh mir Geld bei einem gefährlichen Goldenen, um das zweite zu finanzieren. Ich hatte keine Wahl. Die Gilde lieh mir nichts mehr, also ließ ich in meinem Ehrgeiz einen Wolf auf die Koppel. Der Goldene hielt es für witzig, eine Klausel einzufügen, die es ihm erlaubte, seine Schulden in Fleisch einzufordern, sollten wir pleitegehen.

Uns störte das nicht. Wir waren an solch … erniedrigende Exzentrizitäten gewöhnt, und unser Cash-Flow war solide. Doch dann wurde ein Erzfrachter von Piraten aufgebracht. Dann noch einer. Und noch einer, bis wir die Schulden nicht mehr bezahlen konnten und ich mir für unseren Gläubiger ein Pfund Fleisch aus meinen Oberschenkeln und dem Hintern schneiden musste. Er verfütterte es an seine Pferde. Ja. Er besaß fleischfressende Pferde. Mein Partner war erniedrigt und stellte Nachforschungen über die Piraten an.

Es wird dich natürlich nicht überraschen, dass sich die jüngste Tochter unseres Gläubigers als Anführerin der Piraten herausstellte. Aber ich war überrascht und naiv. So naiv, obwohl ich mich für einen Schüler der Realpolitik hielt. Ich meldete dieses Vergehen der zuständigen Behörde. Leider hatte diese ›zuständige Behörde‹ mit meinem Gläubiger die Rhetorikschule auf Rhodes besucht.

Eine Woche später brachen die Tochter, ihr Vater und ihre Brüder in unser Haus ein. Sie überraschten uns im Bett. Sie wickelten die Kinder in Bettlaken ein, hängten sie von der Decke und schlugen so lange auf sie ein, bis kein Blut mehr herauskam. Ich saß in diesem Regen … diesem roten Regen … und ich erkannte, dass es so etwas wie eine zuständige Behörde nicht gibt. Gewalt ist die einzige Autorität. Sie sagten, einer von uns dürfe weiterleben. Mein Partner weigerte sich, diese Wahl zu treffen. Ich wählte mich.«

Ich schweige, damit er diese Trauer auf seine eigene Weise exhumieren kann.

»Nur Matteo weiß davon. Ich … schämte mich zu sehr, um Fitchner davon zu erzählen. Er wäre für seine Frau gestorben. Ich fürchtete mich vor dem Blick, mit dem er mich ansehen würde, wenn er erführe, dass ich nicht für meinen Geliebten gestorben war.« Er seufzt Jahre der Schande weg und fährt mit distanziertem Tonfall fort: »Ich wurde verschont und musste am Markt Investitionen für meinen Gläubiger tätigen, bis es mir gelang, Schutz unter einem größeren Flügel zu finden. Es dauerte Jahre, bis ich mich rächen konnte. Als ich damit fertig war, hatte der schuldige Goldene seinen Wohlstand verloren und seine Kinder und wurde von Olympischen Rittern gejagt. Ich hatte ihm all das mit Bezahlungen, Gerüchten und der Gewalt anderer angetan. Als ich ihn zum letzten Mal sah, reichte ich ihm einen Löffel und sagte, ich würde ihn am Leben lassen, wenn er mich dafür mit einem Auge bezahlte.«

Sein Daumen kreist um die Iris des Auges, das in seinen Ring eingelassen ist.

»Ich blieb meinem Wort treu. Nachdem er mir das Auge gegeben hatte, schloss ich den Goldenen in einer nuklearbetriebenen Rettungskapsel ein und schoss ihn ins All. Das war vor achtunddreißig Jahren. Dieser Ring empfängt ab und zu seinen Herzschlag.« Mir wird ein wenig übel. »Er lebt noch. Er hängt an den Nahrungsschläuchen, kann sich nicht bewegen, möchte sterben, aber kann es nicht. Wenn wir an ihm vorbeifliegen, wird er erst zweiundachtzig sein. Wir sind auf dem gleichen Kurs und sollten ihn dank der Triebwerke dieser Station in fünf Jahren überholen.

So ist das mit dem Fortschritt. Er springt der Vergangenheit davon, aber wir können dem Trauma, das unseren Kurs bestimmt, nicht entkommen. Ich werde immer der Feigling sein, der zitternd unter den Leichen meines Geliebten und meiner Kinder hockte. Ich werde diese Goldenen Augen nie vergessen, die spöttisch auf mich herabsahen, weil sie wussten, dass es keine Zuflucht für mich gab. Du wirst auch nie Neros Blick vergessen, als er Eo umbrachte. Dieser Goldene Blick sieht immer auf uns herab. Deshalb trage ich diesen Ring. Um mich daran zu erinnern, wie mein Krieg anfing.«

Es wird still zwischen uns. Ich beende das Schweigen nach einigen Minuten.

»Deshalb hast du diesen Ort gebaut? Damit deine Kinder diesen Blick niemals kennenlernen?«, frage ich. Er nickt, und die Roboter ergeben auf einmal Sinn. »Diese Kinder sind dir noch nie begegnet, oder?«

»Nein. Ich bin verseucht«, sagt er. »Wir sind alle verseucht. Die Goldenen haben das Schicksal der Menschheit gekapert. Ich werde nicht zulassen, dass die Kinder die Ketten erben, die von den Goldenen in uns andere hineingehämmert worden sind. Sie sind frei geboren worden, und sie werden dort draußen zwischen den Sternen frei leben. Ich gebe ihnen die Freiheit, den Verstand zu verlieren und sich gegenseitig zu verschlingen, bevor wir den nächstgelegenen Stern erreichen. Oder eine bessere Welt zu erschaffen als die, die wir zurücklassen. Ich gebe ihnen die Freiheit, zu werden, was sie wollen.«

»Vielleicht bist du doch kein Realist«, sage ich.

»Wäre möglich.«

»Wirst du dein Leben mit Telomerasetanks verlängern?«