Regency Flowers - Lady Daphnes Verehrer - Madeline Hunter - E-Book
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Regency Flowers - Lady Daphnes Verehrer E-Book

Madeline Hunter

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Beschreibung

Ein Duke zum Verlieben: Das historische Romantik-Highlight »Regency Flowers – Lady Daphnes Verehrer« von Madeline Hunter jetzt als eBook bei venusbooks. England, Anfang des 19. Jahrhunderts: Die junge Daphne Joyes liebt das Leben auf dem Land, ihre kleine Gärtnerei – und vor allem das Fernbleiben jeglicher Schwerenöter und Herzensbrecher. Doch dann geht das Anwesen, auf dem Daphne ihr rosenumranktes Cottage gepachtet hat, plötzlich an einen neuen Erben über: der Duke von Castleford ist nicht nur überaus arrogant und unverschämt gutaussehend, er scheint auch nichts anderes zu tun zu haben, als Daphne fortan das Leben schwer zu machen! Als sich allerdings herausstellt, dass die beiden tatsächlich einen gemeinsamen Gegner haben, müssen sie sich verbünden. Ein Pakt, den der Duke nur zu gern mit einem Kuss besiegeln würde … Ein Muss für alle »Bridgerton«-Fans: »Die wunderbare Charakterzeichnung und die intensiven Gefühle ziehen die Leser in ihren Bann.« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Regency Flowers – Lady Daphnes Verehrer« von Bestseller-Autorin Madeline Hunter; der vierte Band ihrer Regency-Saga, in der alle Romane unabhängig voneinander gelesen werden können. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 529

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Über dieses Buch:

England, Anfang des 19. Jahrhunderts: Die junge Daphne Joyes liebt das Leben auf dem Land, ihre kleine Gärtnerei – und vor allem das Fernbleiben jeglicher Schwerenöter und Herzensbrecher. Doch dann geht das Anwesen, auf dem Daphne ihr rosenumranktes Cottage gepachtet hat, plötzlich an einen neuen Erben über: der Duke von Castleford ist nicht nur überaus arrogant und unverschämt gutaussehend, er scheint auch nichts anderes zu tun zu haben, als Daphne fortan das Leben schwer zu machen! Als sich allerdings herausstellt, dass die beiden tatsächlich einen gemeinsamen Gegner haben, müssen sie sich verbünden. Ein Pakt, den der Duke nur zu gern mit einem Kuss besiegeln würde …

Ein Muss für alle »Bridgerton«-Fans: »Die wunderbare Charakterzeichnung und die intensiven Gefühle ziehen die Leser in ihren Bann.« Romantic Times

Über die Autorin:

Madeline Hunter studierte Kunstgeschichte und arbeitet heute als Lehrerin an einem College. Seit einigen Jahren schreibt sie außerdem mit großem Erfolg historische Liebesromane. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und sind regelmäßig auf den Bestsellerlisten der »New York Times« und »USA Today« vertreten. Bereits zweimal hat sie den begehrten RITA-Award der »Romance Writers of America« gewonnen. Madeline Hunter lebt mit ihrer Familie in Pennsylvania.

Die Autorin im Internet: www.madelinehunter.com

Madeline Hunter veröffentlichte bei venusbooks bereits ihre Romane:

»Regency Flowers – Ein skandalöses Rendezvous«

»Regency Flowers – Die widerspenstige Braut«»Regency Flowers – Eine Lady von zweifelhaftem Ruf«

***

eBook-Neuausgabe Mai 2022

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2011 unter dem Originaltitel »Dangerous in Diamonds« bei Jove Books, The Berkley Publishing Group, published by the Penguin Group (USA). Die deutsche Erstausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Lady Daphnes Verehrer« bei LYX, verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2011 by Madeline Hunter

This edition published by arrangement with Berkley, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2013 bei EGMONT Verlagsgesellschaften mbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motivs von © Period Images sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96898-156-7

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Lady Daphnes Verehrer« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

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Madeline Hunter

Regency Flowers – Lady Daphnes Verehrer

Roman

Aus dem Amerikanischen von Antje Görnig

venusbooks

Kapitel 1

Der Tod eines Herzogs ist für viele Menschen ein Grund zur Trauer, vor allem jedoch für diejenigen, die finanziell auf ihn angewiesen sind. Und so beweinte manch ein Verwandter und Bediensteter das Ableben des vierten Herzogs von Becksbridge. Einige aber mussten sich ein ungebührliches Grinsen verkneifen, insbesondere die Personen, die er in seinem Testament mit Zuwendungen oder Pensionen bedacht hatte.

Einer der Begünstigten allerdings war weder traurig noch erfreut. Erst am Dienstag nach der Beerdigung des Herzogs befasste er sich mit dem kuriosen Umstand, dass er etwas von ihm bekommen hatte.

»Ich hoffe, ich muss deshalb nicht im Gedenken an ihn Trauer tragen«, brummte Tristan Herzog von Castleford.

Er prüfte die Urkunden der Liegenschaften, die er geerbt hatte. Hätte er keine Kopfschmerzen von der Abstinenz gehabt, die er jeden Dienstag hielt, hätte er vielleicht einen gewissen Kummer wegen seines verschiedenen Standesgenossen verspürt. Doch selbst an einem guten Tag hätte ihn das große Mühe gekostet.

Becksbridge war nur ein entfernter Verwandter von ihm gewesen, und die meisten Besitztümer, die er ihm vermacht hatte, schienen genauso weit entfernt zu sein. Und klein. So klein und unbedeutend, dass sie kaum die Tinte wert waren, mit der die Zuwendung im Testament verzeichnet worden war.

»Sie beabsichtigen nicht, zu trauern? Er war ein bedeutender, hoch angesehener Mann«, bemerkte Mr Edwards, sein bebrillter Sekretär, von seinem mit Papieren bedeckten Schreibtisch im Arbeitszimmer aus, wo sie gemeinsam Castlefords geschäftliche Angelegenheiten regelten.

»Er war ein Dummkopf. Ein langweiliger, eingebildeter Wichtigtuer. Seine langweilige Art war einfach nur lästig, aber seine Arroganz war unverzeihlich.«

Letztere war ein vererbter Charakterzug, was jedoch nach Castlefords Meinung nicht entschuldigte, dass Becksbridge die Neigung bis zum Äußersten ausgelebt hatte. Es war regelrecht zum Kotzen, was diese ganze Seite des verästelten Familienstammbaums sich auf ihre Tugendhaftigkeit einbildete. Gleichwohl wäre Becksbridge noch zu ertragen gewesen, wenn er das Motto »Leben und leben lassen« beherzigt hätte.

Aber leben lassen, das hatte er natürlich nicht gekonnt. Die Becksbridges dieser Welt glaubten, es sei die Aufgabe von Tugendbolden wie ihnen, andere zu einem ebenso tristen Leben wie dem ihren anzuhalten. Becksbridges Sohn und Erbe Gerome, der Graf von Latham, hatte sogar in Erwartung seiner Erbschaft mehrere Schriften über Moral und Sittlichkeit veröffentlicht. Der nächste Herzog von Becksbridge hatte seine Gesellschaftsschelte bereits in gedruckter Form in die Welt hinausgetragen und sich mit seinen verdammten Essays einen Ruf als Sittenwächter erworben.

Was für eine Ironie! Castleford hatte nur Hohn und Spott für ihn übrig, aber wenn er sich weiter mit dem Thema beschäftigte, würden seine Kopfschmerzen noch schlimmer werden. Dennoch, er kannte Latham besser als jeder andere. Sie waren ungefähr gleichaltrig und hatten früher zusammen die Nacht zum Tag gemacht. Selbst gut gepflegte Zweige von Stammbäumen brachten manchmal wurmstichige Früchte hervor: Die Nachfolge des langweiligen alten Trottels trat nun ein gefährlicher Heuchler an.

»Sie haben wieder diesen gequälten Ausdruck im Gesicht, den Sie immer aufsetzen, wenn Sie an Ihren Worten zu ersticken drohen, Edwards. Missfällt es Ihnen, dass ich schlecht von dem Toten spreche?«

Edwards errötete. Er war erst fünfundzwanzig und hatte noch nicht gelernt, dienstags seine Meinung für sich zu behalten, vor allem wenn ihn sein Dienstherr aufforderte, freimütig zu sprechen. »Der Herzog war ein einzigartiger Mensch und sehr großzügig. Es heißt, er habe in seinem Testament ein Waisenhaus beschenkt.«

»Einzigartig? Wollen Sie mir damit etwa ins Gesicht sagen, ich wäre ihm nicht ebenbürtig? Das ist sehr undankbar von einem Sekretär, der vielleicht einen Tag pro Woche richtig arbeiten muss, wenn ich mich um meinen Besitz kümmere, und ansonsten mehr Freiheiten hat, als ein Diener haben sollte.«

»Ich ... das heißt, Sie sind natürlich ebenso einzigartig, Hoheit. Das sagt jeder und ...«

»Ich bin nicht der Ansicht, dass man liebevoll eines Idioten gedenken sollte, nur weil er die Mittel hatte, mit Geschenken um sich zu werfen, damit andere sich ihm verpflichtet fühlen. Und was seine Großzügigkeit mir gegenüber angeht: Weder brauche ich diese kleinen Liegenschaften noch will ich sie. Der Mann hat es geschafft, selbst über seinen Tod hinaus eine Plage zu bleiben.«

»Die Liegenschaften sind alle verpachtet. Es wird nicht viel Mühe machen, sie zu verwalten.«

Castleford warf einen Blick auf die Urkunden. »Es ist einfach sonderbar, dass er sie mir überschrieben hat. Wir mochten uns nicht besonders. Wir haben seit Jahren kein freundliches Wort miteinander gewechselt.« Das war eine Untertreibung. Ihre seltenen Begegnungen waren von Vorwürfen von Becksbridges Seite und Spott von Castlefords Seite geprägt gewesen.

Den Urkunden lag ein Brief bei. Castleford riss ihn auf.

Castleford,

Dich wird das Erbe, das ich Dir hinterlasse, zweifelsohne überraschen, denn gerade Du brauchst es am allerwenigsten. Die Ländereien wie auch das Geld sind nur ein winziger Tropfen im Meer Deiner Reichtümer. Daher wird es Dich vermutlich auch nicht kümmern, dass es nie meine Absicht war, Dich die Früchte von beidem genießen zu lassen. Vielmehr baue ich auf das, was von Deinen besseren Eigenschaften noch übrig ist, und bitte Dich, eine Angelegenheit diskret für mich zu regeln, die ich lieber nicht testamentarisch klären möchte.

Die Liegenschaften, die ich Dir vermacht habe, werden gegenwärtig von Pächtern bewirtschaftet, an deren Wohlergehen mir sehr gelegen ist. Es ist mein Wunsch, dass den Pächtern gestattet wird, auf unbestimmte Zeit zu bleiben, und zwar zur derzeit gültigen Pacht von jährlich einem Pfund. Und das Geld, das Du von mir bekommst, soll dafür verwendet werden, dass es den Familien der Pächter niemals am Lebensnotwendigen mangelt.

Ich gehe davon aus, dass dies nur eine Kleinigkeit ist, die Deine Angestellten erledigen können, ohne Dich damit zu behelligen. Sie sollte Dich in keiner Weise von den Ausschweifungen abhalten, mit denen Du für gewöhnlich Deine Zeit verbringst. (Und die, wie ich Dich erinnern muss, Deinen Namen und Dein Geblüt in Verruf bringen, Dir einen frühen Tod bescheren sowie Deiner Seele ewige Verdammnis.)

Becksbridge

Castleford schüttelte den Kopf. Nicht einmal in diesem Brief – in dem er einem entfernten Verwandten, der keine guten Erinnerungen an ihn hatte, eine unliebsame Verpflichtung aufbürdete – konnte Becksbridge sich das Schelten verkneifen.

»Ich muss mir diese entlegenen Fleckchen wohl bald einmal ansehen, sonst vergesse ich sie noch völlig. Bringen Sie Karten herbei und markieren Sie die Liegenschaften darauf, Edwards. Ich will das erledigt haben, bevor der Sommer zu Ende ist.«

»Das könnte schwierig werden, Sir. Es gibt bis dahin nicht mehr genug Dienstage für solche Ausflüge, wenn Sie sich auch um Ihre gewohnten Angelegenheiten kümmern wollen.«

»Beruhigen Sie sich, Edwards. Ich muss nicht nüchtern sein, um meine Besitztümer zu besuchen.«

Daphne Joyes sah die Post durch, die Katherine ihr gebracht hatte. Sie ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken, als sich herausstellte, dass der Brief, auf den sie wartete, nicht dabei war.

Ihr schwante nichts Gutes. Wenn dieser Brief bis heute nicht gekommen war, würde er wahrscheinlich nie mehr kommen. Sie musste sich damit auseinandersetzen, was das für die Zukunft bedeutete. Sie hatte für diesen Fall bereits Pläne geschmiedet, doch sie dachte nicht gerne in diese Richtung. Und was noch schlimmer war: Die Ziele, die sie schon bald zu erreichen geglaubt hatte, rückten nun wieder in weite Ferne. Und blieben womöglich für immer unerreichbar.

Diese Aussicht bedrückte sie. Doch sie wahrte die Fassung und litt im Stillen, wie sie es schon seit Jahren tat.

Katherine setzte sich zu ihr an den Tisch am großen Fenster im rückwärtigen Salon, wo sie zusammen Kaffee tranken. Obwohl sie sich den ganzen Morgen um die Pflanzen gekümmert hatte, war ihr dunkles Haar ordentlich frisiert, ihre Kleidung adrett und ihre Schürze makellos, und sie wartete geduldig ab, ob Daphne ihr Neuigkeiten aus der heutigen Post anvertrauen würde.

Sie wirkte ein wenig fremdländisch, befand Daphne nicht zum ersten Mal. Katherines hohe Wangenknochen und ihre dunklen, mandelförmigen Augen entsprachen nicht dem typisch englischen Erscheinungsbild, aber eigentlich kam dieser Eindruck durch die leichte Bräunung ihrer Haut von der Sommersonne zustande. Selbst eine Haube mit breiter Krempe konnte den Teint einer Frau nicht vollständig schützen, wenn sie jeden Tag mehrere Stunden im Garten verbrachte.

»Audrianna schreibt, dass sie und Lord Sebastian heute an die Küste fahren, um der Hitze in London zu entfliehen«, sagte Daphne.

»Das ist wohl das Vernünftigste, in ihrem Zustand. Wird sie bis nach der Geburt dort bleiben?«, entgegnete Katherine.

»Das nehme ich an, obwohl sie nichts davon schreibt.«

Daphne öffnete und las den nächsten Brief. Katherine trank ihren Kaffee und stellte auch zu der Absenderin dieses Schreibens keine Fragen, obwohl sie eine besondere Beziehung zu ihr hatte.

Katherine hielt sich strikt an die Regeln des Hauses. Die wichtigste von ihnen war, dass es den Frauen, die dort lebten, verboten war, im Leben und in den Privatangelegenheiten ihrer Mitbewohnerinnen herumzuschnüffeln. Seit Daphne ihr Zuhause mit Frauen teilte, die wie sie ganz allein dastanden, hatte diese Regel immer ihren Zweck erfüllt und für Harmonie gesorgt. Manche der Frauen machten außerdem von dem Recht Gebrauch, ihre Meinung stets für sich zu behalten. Katherine war eine von ihnen.

Die ehemaligen und gegenwärtigen Bewohnerinnen des Hauses ließen sich in zwei Gruppen aufteilen, dachte Daphne und unterbrach die Lektüre des Briefs. Sie zählten entweder zu denen, die ihre Vergangenheit nicht losließ, oder zu den Gejagten. Auf einige wenige – wie Katherine – schien beides zuzutreffen.

Es war schwer, nicht neugierig zu sein. Und nicht zu glauben, dass man helfen könnte, wenn man nur die Wahrheit erführe. Aber Daphne wusste es besser. Schließlich hatte auch sie ihr Päckchen zu tragen, und daran würde sich nie etwas ändern.

»Verity schreibt hauptsächlich über die täglichen Begebenheiten bei ihr zu Hause in Oldbury«, sagte sie und gab den Brief an Katherine weiter. »Lord Hawkeswell ist nach Norden gereist, um zu prüfen, ob sich die Unruhen dort oben auf ihr Eisenwerk auswirken.«

Katherine runzelte die Stirn, während sie den Brief las. »Ich bin froh, dass Verity nicht mit dem Earl gefahren ist. Die Zeitungen sind voll von düsteren Prognosen und Warnungen vor Gewalttätigkeiten.«

»Die übertreiben häufig. Wie man sieht, war ihr Mann nicht der Ansicht, dass Gefahr für ihr Anwesen und ihre Familie besteht.«

»Das könnte sich im August ändern. Da ist doch diese große Protestkundgebung geplant.«

»Pläne sind ungewiss«, sagte Daphne, aber es war möglich, dass im August tatsächlich alles anders wurde. Ein weiterer Punkt, den sie in Betracht ziehen musste, wenn sie die Zukunft neu überdachte.

Daphne nahm die Zeitung zur Hand. Außer den Nachrichten über die Vorgänge im Norden standen in der Times auch andere politische Geschichten sowie Korrespondentenberichte vom europäischen Festland. Einer davon erregte ihre Aufmerksamkeit. Der neue Herzog von Becksbridge war zwei Wochen zuvor mit einem Dinner geehrt worden, bei dem die Besten der feinen Pariser Gesellschaft zugegen gewesen waren. Es war, wie dort zu lesen stand, ein Fest zu seiner Verabschiedung gewesen, bevor er nach London abreiste, um sich den Aufgaben zu widmen, die seine Erbschaft mit sich brachte.

Würde er fortan in England leben? Oder würde er, wie sie hoffte und wie es seit Kriegsende etliche andere Adelige getan hatten, nach Frankreich zurückkehren und sich dort dauerhaft niederlassen?

»Wer ist das denn?«, sagte Katherine unvermittelt.

Daphne schaute auf. Katherine hatte sich aufgerichtet und blickte aus dem Fenster hinter Daphnes Sofa.

Sie drehte sich um. »Ich sehe niemanden.«

Katherine stand auf und kam näher, um in den Garten zu spähen. »Ein Mann ist gerade über den Rasen gegangen, keine fünfzehn Meter von diesem Fenster entfernt. Jetzt ist er bei der Rosenlaube.«

Daphne sah in die Richtung, in die Katherines Zeigefinger wies, und nahm die Bewegung einer dunklen Gestalt neben der Laube wahr.

In diesem Augenblick kam Mrs Hill, die Haushälterin, mit einem finsteren Ausdruck in ihrem Vogelgesicht herein. »Vor dem Haus ist ein Pferd. Ich habe es nicht kommen hören, aber nun steht es da, und der Reiter ist verschwunden.«

»Der Reiter ist im Garten.« Daphne konnte ihn nicht mehr sehen und legte ihre Schürze ab. »Ich werde nach draußen gehen und ihn ersuchen, das Grundstück zu verlassen.«

»Soll ich die Pistole holen?«, fragte Katherine.

»Der Mann ist sicher nur neugierig geworden, als er den Namen The Rarest Blooms auf dem Schild gelesen hat. Wahrscheinlich hat er nur haltgemacht, um sich anzusehen, welche seltenen Blumen es hier gibt.«

Katherine blieb angespannt und starrte in den Garten. Als wäre etwas hinter ihr her, dachte Daphne abermals.

»Ich würde vorschlagen, du beobachtest das Ganze vom Gewächshaus aus, Katherine. Sollte der Eindringling sich bedrohlich verhalten, wenn ich ihn anspreche, kommst du heraus und richtest die Pistole auf ihn. Aber schieß nur, wenn es unbedingt erforderlich ist.«

Daphne verließ das Haus, als wollte sie einen mittäglichen Rundgang machen. Sie schlenderte am Küchengarten vorbei, dann folgte sie dem Pfad durch die Beete mit den Sommerblumen. Das Gewächshaus grenzte an die Pflanzungen zu ihrer Rechten, und links von ihr säumte eine Mauer mit Spalierobstbäumen den Garten, in den man durch zwei Tore zu beiden Seiten des Gewächshauses gelangte. Der Eindringling musste durch eines von ihnen gekommen sein.

Sie hielt auf die Laube zu, die sich in der Nähe der Mauer befand. Die Kletterrosen, die Schutz vor der Sonne boten, waren noch nicht erblüht, aber ihre Blätter schufen einen lauschigen, schattigen Zufluchtsort. Als sie näher kam, sah sie den Mann auf der Bank im Inneren der Laube sitzen.

Er sah sie ebenfalls. Er hielt den Kopf ein wenig geneigt, als beobachtete er sie voller Faszination. Es schien ihn nicht im Geringsten zu beunruhigen, dass sie ihn entdeckt hatte. Er blieb ruhig sitzen – ja, er fläzte regelrecht auf der Bank. An das Rankgitter der Laube gelehnt, hatte er ein Bein ausgestreckt, sodass die Sonne auf seinen Stiefel schien.

Es war ein sehr hübscher Stiefel, stellte sie bei näherem Hinsehen fest. Von Meisterhand aus edlem Leder gefertigt und blitzblank poliert.

Bei dem Eindringling handelte es sich also um einen Mann von Stand.

Ungefähr fünf Meter vor der Laube blieb sie stehen und wartete darauf, dass er das Wort ergriff. Und vielleicht eine Entschuldigung vorbrachte. Oder Interesse an ihren Gärten bekundete. Doch er betrachtete sie nur stumm, als studierte er ein Gemälde, auf dem unerklärlicherweise eine Gestalt durch die Ölfarben gedrungen war.

Daphne wurde die Situation unangenehm. Sie schaute zum Gewächshaus und suchte hinter den kleinen Glasscheiben nach Katherines dunklem Schopf. Sie rechnete zwar nicht mit Problemen, war jedoch sehr erleichtert, als sie Katherine ausmachen konnte.

Da man, was solche Stiefel anging, mit Freundlichkeit mehr erreichte als mit Anschuldigungen, lächelte sie dem fremden Mann zu. »Willkommen bei The Rarest Blooms, Sir. Sind Sie gekommen, um die Blumen zu bewundern? Haben Sie ein besonderes Interesse am Gartenbau?«

»Damit kenne ich mich überhaupt nicht aus, aber dieser Garten ist wirklich bewundernswert.« Er erhob sich, wie es die Etikette verlangte, trat jedoch nicht aus der Laube, sondern blieb im Schatten.

Er war groß. Größer als sie, obwohl sie dank ihrer hoch aufgeschossenen Statur oft auf Augenhöhe mit Männern war, wenn sie nicht sogar auf sie hinuntersehen musste. Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen und sah recht gut aus. Er war jung, aber kein Jüngling mehr. Um die dreißig, schätzte sie.

»Möchten Sie vielleicht eine Auswahl besonderer Blumen für Ihre Herzensdame erwerben?«

»Nein, das hatte ich nicht vor.«

Er schien ihr nicht verraten zu wollen, was sein Ansinnen war. Er benahm sich sogar so, als ginge es sie nichts an. Sie entwickelte allmählich eine Abneigung gegen ihn. Sie fand sein Verhalten arrogant und seine laxe Art herablassend.

»Vielleicht sollten Sie es in Erwägung ziehen. Für Damen sind Blumen etwas sehr Romantisches. Sie lieben solche Geschenke.«

»Sie tun nur so! Im Grunde sind sie enttäuscht. Sie bekommen lieber Schmuck als Blumen geschenkt, wie selten sie auch sein mögen. Ich würde sagen, das dünnste Silberkettchen findet mehr Gefallen bei ihnen als die exotischste Pflanze.«

»Sie reden wie ein Experte – als wüssten sie, was jede einzelne Frau auf der Welt will.«

»Ich habe genug Frauen kennengelernt, um Bescheid zu wissen.«

Nun war sich Daphne sicher, dass sie ihn nicht mochte. »Ich liebe Blumen sehr, wie diese Gärten erahnen lassen. Mir scheint, was die Wünsche von Frauen angeht, fehlt es Ihnen an Erfahrung.«

Das amüsierte ihn. »Hätten Sie die Wahl zwischen der seltensten Blume der Welt und einem Diamanten von hoher Reinheit, würden Sie sich für Letzteren entscheiden. Es wäre dumm, es nicht zu tun, und Sie machen wirklich keinen törichten Eindruck auf mich.«

»Hätte ich die Wahl zwischen exquisiter Vergänglichkeit und exquisiter Beständigkeit, und wäre der Diamant von höchster Güte, würde ich den Stein nehmen. Aber wäre der Diamant nicht lupenrein, würde ich es nicht tun. Und nun ist es – da Sie nichts kaufen wollen und nur ein vorübergehendes Interesse an Gärten haben – an der Zeit, dass Sie Ihre Reise an den Ort fortsetzen, zu dem Sie unterwegs waren, bevor Sie einen Abstecher zu uns gemacht haben.«

»Ich habe keinen Abstecher gemacht. Ich bin am Ziel meiner Reise. Ich bin zu früh angekommen und habe mir hier die Zeit vertrieben, damit ich nicht zu unchristlicher Stunde aufwarte.« Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr. »Immer noch zu früh, aber vielleicht könnten Sie Mrs Joyes sagen, dass ich hier bin, wenn Sie meinen, dass es ihr nichts ausmacht, mich jetzt zu empfangen.«

»Mrs Joyes? Sind Sie ein Freund von ihr?«

»Wir haben gemeinsame Freunde, aber sie und ich sind uns meines Wissens noch nie begegnet.«

»Wenn Sie ihr noch nicht begegnet sind, wurden Sie ihr auch noch nicht vorgestellt. Ich bezweifle, dass sie Sie unter diesen Umständen empfängt.«

»So streng ist sie, ja?«

»Oh ja.« Vor allem, was Sie angeht, dachte sie.

»Verdammt. Was für ein lästiges Ärgernis.«

Mit solchen Beleidigungen machte er sich gewiss nicht bei ihr beliebt. »Vielleicht sollten Sie noch einmal mit einem Empfehlungsschreiben von einem dieser gemeinsamen Freunde wiederkommen.«

»Ich würde sie gern heute sprechen, da ich nun schon einmal hier bin.«

Er klang verdrossen, und sein Ton war herrisch, so als hätten seine Wünsche Vorrang vor allem anderen. Sie beschloss, dass Mrs Joyes ihm kein Gehör schenken würde.

»Ich kenne sie sehr gut und weiß, dass sie Sie ohne Empfehlung nicht empfangen wird. Wie ärgerlich für Sie, dass sie so über die Maßen streng ist.«

»Es ist ärgerlich für uns beide. Ich bin nicht hier, um ihr einen privaten Besuch abzustatten. Ich komme vielmehr wegen des Nachlasses des Herzogs von Becksbridge.«

Ihre Verärgerung wich einer großen Erleichterung, und sogleich betrachtete sie den Besucher mit mehr Wohlwollen. Kein Wunder, dass sie keinen Brief erhalten hatte: Sie wohnte so nah bei London, dass man sie persönlich aufsuchen konnte. Und dieser Herr wollte sich natürlich ein Bild von dem Anwesen machen, wenn er mit der Vollstreckung des Testaments des Herzogs befasst war.

»Äh ... unter diesen Umständen lässt sich Mrs Joyes vielleicht überreden, Sie zu empfangen.«

»Es wäre in ihrem eigenen Interesse. Wenn unbedingt die Form gewahrt werden muss, gehe ich zu diesem Tor hinaus und begebe mich zur Haustür, um mich vorzustellen. Vielleicht könnten Sie aber auch ins Haus gehen und sie von meiner Anwesenheit in Kenntnis setzen.«

»Keines von beiden wird nötig sein.« Sie schenkte ihm ein, wie sie hoffte, versöhnliches Lächeln. »Ich bin nämlich Mrs Joyes.«

Er musterte sie von Kopf bis Fuß. »Tatsächlich?«

»Verzeihen Sie mir das kleine Täuschungsmanöver. Sie hätten ein gefährlicher Verbrecher sein können. Ein anderes Mitglied unseres Haushalts hatte sicherheitshalber die ganze Zeit eine Pistole auf Sie gerichtet.«

»Ach ja, die Pistole. Davon haben mir unsere gemeinsamen Freunde berichtet.« Er ließ seinen Blick über das Haus schweifen, und wahrscheinlich hielt er dabei Ausschau nach einem Waffenlauf, der aus einem Fenster herauslugte. »Dann ist es ja gut, dass ich nicht dem spontanen Drang nachgegeben habe, Sie in diese Laube zu zerren und zu küssen.«

Sie lachte höflich über seinen unangemessenen kleinen Scherz. Sein schmales Lächeln verriet jedoch, dass seine Bemerkung gar nicht so scherzhaft gemeint gewesen war, wie sie angenommen hatte.

»Sind Sie der Testamentsvollstrecker? Ein Rechtsanwalt? Als ich nach der Beisetzung des Herzogs nichts gehört habe, befürchtete ich ...«

»Ich bin kein Anwalt, und der alte Becksbridge hätte es nicht gewagt, mich zu seinem Testamentsvollstrecker zu machen. Nicht auszudenken, wenn er mir diese Bürde auch noch aufgehalst hätte!«

Endlich trat er aus der Laube in die Sonne. Abermals fiel ihr die Vollkommenheit seiner Stiefel auf, wie auch die seines Gehrocks und seiner anderen Kleidungsstücke, außerdem der kunstvolle Schnitt seines zerzausten Haars. Mit seinen braunen, goldgesprenkelten Augen, in denen ein verschmitztes Funkeln lag, begutachtete er sie erneut von oben bis unten. Ein Hauch von Gold verlieh auch seinen braunen Haaren Glanz.

Er war ein äußerst gut aussehender Mann, so viel stand fest, und sein Kleidungsstil, der kostspielig und zugleich ungezwungen wirkte, machte ihn noch attraktiver. Dass er so eine beeindruckende Erscheinung war, lag zum Teil daran, dass ihm genau das völlig gleichgültig zu sein schien.

Sie hatte keine Ahnung, wer ihre gemeinsamen Freunde sein mochten, aber er kam ihr irgendwie bekannt vor; als hätte sie ihn zumindest irgendwann einmal aus der Ferne gesehen. Sie durchforschte ihr Gedächtnis und versuchte, ihn einzuordnen. Es war weniger sein Gesicht, das Erinnerungen in ihr weckte, sondern eher seine Haltung und seine arrogante und gleichmütige Ausstrahlung, die man wahrscheinlich schon vom anderen Ende des Gartens aus wahrnehmen konnte.

»Ich wusste nicht, dass Mrs Joyes so jung ist«, sagte er erstaunt und kam auf sie zu. »Ich hatte mir eine Frau in reiferen Jahren mit der eisernen Miene einer Reformerin vorgestellt.«

»Ich bin reif genug und kann, wenn nötig, sehr eisern sein.«

»Da bin ich mir sicher.« Er warf ihr ein Lächeln zu. Ein recht vertrauliches, beinahe aufreizendes. Er tat so, als hätten sie ein gemeinsames Geheimnis, aber sie konnte sich nicht vorstellen, worin dieses Geheimnis seiner Meinung nach bestand.

Langsam und in aller Ruhe, so als hätte er den ganzen Tag dafür Zeit, schlenderte er um sie herum, als wäre sie eine Statue, die zur Betrachtung inmitten der Blumen aufgestellt worden war.

Sie wünschte, sie könnte so tun, als wüsste sie nicht, was er dachte, während er sie umkreiste. Doch es lag unseligerweise in der Luft. Sie drehte sich nicht, um ihn im Auge zu behalten, aber das brauchte sie auch nicht. Sie spürte jeden Schritt von ihm, und sein glühender Blick brannte geradezu Löcher in ihr Kleid.

»Wenn Sie kein Anwalt sind, der mit dem Testament befasst ist, mit wem habe ich es dann zu tun, Sir?«

Er beendete seine Runde und baute sich vor ihr auf. »Ich bin Castleford.«

Castleford? Ach du lieber Himmel – der Herzog von Castleford?

»Fühlen Sie sich nicht wohl, Mrs Joyes? Gerade waren Sie noch außerordentlich gefasst, aber nun scheinen Sie mir fast einer Ohnmacht nahe zu sein. Wenn mein Versäumnis, mich nicht eher vorgestellt zu haben, Sie derart erschüttert hat, bin ich untröstlich.«

Seine teuflischen Augen straften seine liebenswürdigen Worte Lügen. Es freute ihn, dass er sie nervös gemacht hatte. Eigentlich war sie sehr stolz auf ihre Selbstbeherrschung und ihre Unerschütterlichkeit, die es ihr ermöglichten, allzeit die Fassung zu wahren. Das half ihr, wie sie gelernt hatte, anderen gegenüber nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Sie schluckte ihre Überraschung hinunter. »Ich bin weder erschüttert noch fühle ich mich unwohl, also machen Sie sich keine Gedanken. Ich bin nur verwirrt, weil ich nicht weiß, was Sie mit der Testamentsvollstreckung zu tun haben könnten, Eure Hoheit.«

»Ah.« Er kratzte sich am Kopf und gab sich ebenfalls verwirrt. »Nun, wie es aussieht, bin ich der neue Besitzer dieses Anwesens. Aus unerfindlichen Gründen hat Becksbridge es mir hinterlassen.«

Einen Augenblick lang weigerte sich ihr Verstand, zu begreifen, was er gesagt hatte. Als seine Worte schließlich zu ihr durchdrangen, waren ihre Selbstbeherrschung und ihre Unerschütterlichkeit dahin. Zum ersten Mal seit Jahren – vielleicht sogar in ihrem Leben – ergriff ein heilloser Zorn von ihr Besitz.

Becksbridge hatte ihm dieses Anwesen vererbt? Castleford? Einem Mann, der so reich war, dass er für noch mehr Besitztümer gar keine Verwendung hatte? Einem ewig betrunkenen, berüchtigten Wüstling, der sich um nichts und niemanden scherte?

Becksbridge, du unerträglicher, verlogener Schurke!

Kapitel 2

Mrs Joyes war hochrot im Gesicht geworden. Der Blick aus ihren grauen Augen, vor wenigen Minuten noch kühl wie ein bedeckter Winterhimmel, sprühte nun förmlich Feuer. Castleford war froh, dass die Pistole, die sie besaß, nicht in Reichweite war.

Leider hatte ihr lodernder Blick in diesem Moment nichts Gutes zu bedeuten. Was äußerst schade war. Er fragte sich, ob sie auch im Bett so feurig sein konnte, selbstverständlich aus ganz anderen Gründen ...

Sie war eine hinreißende Frau, weshalb er fast augenblicklich begonnen hatte, über erotische Dinge nachzudenken. Sie war groß und elegant und hatte eine bezaubernde Blässe, wie er sie selten gesehen hatte. Ihr ganzes Erscheinungsbild entsprach einer Palette von Weißtönen, die ein wenig mit Farbe versetzt waren. Eine Spur von Gelb in ihrem hellen Haar. Ein Hauch Ocker auf ihrer elfenbeinfarbenen Haut. Grau in ihren intelligenten Augen. Und das hellblaue Kleid, das sie trug, vervollständigte die Komposition. Er hatte einmal Porzellanfiguren in diesen Farben gesehen.

Sie war gewiss keine Frau, die er übersehen oder vergessen oder nicht begehren würde. Deshalb war er, als sie den Gartenweg heruntergekommen war, sicher gewesen, dass er sie schon einmal gesehen hatte, aber er wusste nicht, wo. Möglicherweise waren sie sich auch nur auf den Straßen Londons begegnet.

Nun waren ihre Wangen natürlich gerötet, und in ihren Augen schwelte eine ungeheure Glut. Es gefiel ihm, dass sie nicht so kühl war, wie ihre Farben und ihr Auftreten vermuten ließen. Leidenschaftliche Gefühle standen ihr gut zu Gesicht. Doch sie schien nicht zu wissen, was sie mit ihrer Rage anfangen sollte, und so vermutete er, dass sie sich heftige Emotionen gleich welcher Art nicht sehr oft gestattete.

Er wies auf die Laube. »Vielleicht sollten Sie sich hinsetzen, Mrs Joyes, und sich erst einmal fassen.«

Sie folgte seinem Vorschlag, setzte sich so steif auf die Bank, als hätte sie einen Stock im Rücken, und umklammerte die Vorderkante der Sitzfläche mit ihren schönen schmalen Händen. Dann starrte sie zu Boden. Er sah, dass sie versuchte, sich zur Ruhe zu zwingen, aber es gelang ihr nicht. Er konnte beinahe hören, wie es in ihr brodelte.

Er blieb am Eingang der Laube stehen. Die Blätter der Kletterrosen flatterten über seinem Kopf, und er bemerkte, dass der Wind – passend zu ihrer Stimmung – Gewitterwolken von Westen herübertrieb.

»Sie haben damit gerechnet, dass Becksbridge Ihnen dieses Anwesen vermacht, nicht wahr?«, fragte er, als ihre Anspannung ein wenig nachließ.

Sie sah zu ihm auf, und ihr Blick war vernichtend.

»Hat er es versprochen?«

Sie zögerte und schaute wieder zu Boden. Dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf.

Plötzlich fiel Castleford wieder ein, wo er sie schon einmal gesehen hatte: vor Jahren, bei einer Gartenparty von Becksbridge in London. Bevor er mit Latham gebrochen hatte. Im Verlauf des Fests waren Becksbridges Töchter aus zweiter Ehe mit ihrer Gouvernante auf die Terrasse gekommen.

Er sah vor sich, wie Mrs Joyes mit den Mädchen gescherzt und gelacht hatte. Damals war sie nicht so kühl gewesen. Und selbst noch nicht viel älter als ein Kind.

Sie war bei Becksbridge angestellt gewesen, und nun lebte sie zu einem symbolischen Pachtzins auf einer seiner Liegenschaften. Sie war eine Pächterin, an deren Wohlergehen ihm sehr gelegen war, wie er geschrieben hatte, die er aber in seinem Testament nicht hatte nennen wollen, damit die anderen Tugendbolde in seiner Seitenlinie des Familienstammbaums nichts von ihr erfuhren.

Sie hatte erwartet, das Anwesen durch das Testament für immer übertragen zu bekommen. Und wenn ihn seine Augen nicht täuschten, rührte die Röte in ihrem Gesicht nun weniger von Zorn her als vielmehr von Beschämung.

Sieh an, sieh an. Becksbridge, du unerträglicher, scheinheiliger Trottel!

»Zu Ihrer Beruhigung kann ich ...«

»Ich bin nicht beunruhigt. Nur überrascht, Hoheit.«

»Dieser kolossalen Überraschung kann ich vielleicht abhelfen, indem ich Ihnen mitteile, dass der Herzog dem Wunsch Ausdruck verliehen hat, dass Sie hier wohnen bleiben, zu den gleichen Bedingungen wie bisher.«

Das war wenigstens etwas. Nicht das, was sie erwartet hatte. Nicht das, was ihr angedeutet worden war. Aber immerhin fiel das Anwesen nicht dem neuen Becksbridge in die Hände.

Der Gedanke, dass sie von Glück sagen konnte, dass es so gekommen war, war ihr jedoch kein Trost. Sie kämpfte immer noch gegen den schier unbezwingbaren Drang an, jemanden zu schlagen. Castleford zum Beispiel. Er überbrachte ihr nicht nur schlechte Nachrichten, sondern schien auch noch in einem ungehörigen Maß Freude an ihrer kolossalen Überraschung zu haben. Trotz seiner beflissenen Anteilnahme beobachtete er sie auf die Art und Weise, wie die Augen in einer Menge ein brennendes Gebäude beobachteten.

Als sie sich etwas beruhigt hatte, ging ihr noch einmal der genaue Wortlaut seiner letzten Äußerung durch den Kopf. »Sie sagten, der Herzog habe den Wunsch geäußert, dass alles so bleibt, wie es ist. Beabsichtigen Sie, diesem Wunsch nachzukommen?«

Castleford überlegte. »Ich habe mich noch nicht entschieden.«

»Bei den vielen Ländereien, die Sie besitzen, haben Sie doch gar keine Verwendung für so ein kleines Stückchen Land.«

»Man kann nie wissen.«

Wollte er sie necken? Sie noch weiter aus der Reserve locken? »Wenn Sie um die Einnahmen bangen, kann ich selbstverständlich einen höheren Pachtzins zahlen. Dann hätte ich allerdings auch gern einen entsprechenden Pachtvertrag von Ihnen.«

»Mrs Joyes, es geht mir gar nicht darum, mit Ihnen einen Preis auszuhandeln. Ich habe mich nur noch nicht entschieden, weil ich meine Entscheidungen auf eine Art und Weise treffe, die mir bekommt. Ich hebe mir alle lästigen Dinge für einen bestimmten Wochentag auf. Und heute ist nicht dieser Tag.«

»Sie wollen mich allen Ernstes im Ungewissen lassen, weil heute nicht Dienstag ist?«

Er setzte sich zu ihr auf die Bank. Dabei machte er es sich reichlich bequem. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie musste sich ihm zuwenden, um sein Gesicht zu sehen.

»Davon wissen Sie? Von meinen Dienstagen?«

»Wir haben tatsächlich gemeinsame Freunde und ein paar Castleford-Geschichten haben sie mir erzählt.«

»Wie indiskret von ihnen!«

»Ich glaube nicht, dass es Ihnen etwas ausmacht. Sonst hätten Sie sich schon vor langer Zeit gebessert.«

»Um so langweilig zu werden wie unsere geläuterten gemeinsamen Freunde? Eher sterbe ich!«

»Das entspricht ungefähr dem, was ich über Sie gehört habe. Deshalb möchte ich unabhängig von der Höhe des Pachtzinses einen Vertrag haben. Einen sehr ausführlichen.«

»Wie ich sehe, geht es Ihnen schon wieder besser. Ich hoffe, Sie haben, wenn Sie mehr Sie selbst sind, keinen Hang zum Schelten.«

»Es ist nicht an mir, Sie zu schelten, Sir. Meine Sorge gilt nicht Ihrem Benehmen oder Ihrer Gesundheit, sondern meiner Zukunft und inwieweit Ihre Trinkerei, Ihre Schlägereien und Duelle sie gefährden könnten.«

»Hat man Ihnen auch noch etwas anderes über mich erzählt? Abgesehen von der Trinkerei, den Schlägereien und Duellen?«

Sie hatten ihr jede Menge Geschichten erzählt und die Skandalblätter hatten diese noch um zahlreiche schlüpfrige Details ergänzt. »Dass Sie Freude daran haben, unverbesserlich zu sein.«

»Gut ausgedrückt. Und eine sehr treffende Beschreibung. Oder haben Sie jemals gehört, dass jemand Freude daran hat, immer tugendhaft zu sein? Das ist nicht spaßig und alles andere als eine Freude. Immer nur gut sein, von morgens bis abends.«

»Ist Ihr lasterhaftes Leben denn so abwechslungsreich, dass Sie immer noch Freude daran haben? Ich würde meinen, alles wird nach einer gewissen Zeit langweilig.«

Er sah sie aufmerksam an. »Wie scharfsinnig Sie sind! Man muss sich schon anstrengen, damit Lasterhaftigkeit nicht langweilig wird. Man muss immer neue Herausforderungen und Erfahrungen suchen. Unsere gemeinsamen Freunde denken vielleicht, ich hätte ein leichtes Leben, aber so verrufen zu sein wie ich ist nach einiger Zeit harte Arbeit.«

Sie musste lachen. Das schien ihm zu gefallen.

»Was für ein vergnüglicher Ausflug das doch geworden ist, Mrs Joyes. Gesunde Landluft, eine liebreizende Frau, von Überraschung überwältigt, und eine angenehme Unterhaltung. Hätte ich gewusst, was mich erwartet, wäre ich schon eher hergekommen. Ich hoffe, meine Besuche der anderen Liegenschaften verlaufen ebenso erfreulich.«

»Der anderen Liegenschaften?«

»Vier sind es insgesamt.«

Sie konnte nur mit Mühe dem Drang widerstehen, ihn genauer zu diesen anderen Hinterlassenschaften zu befragen. Dass es sie gab, bekümmerte sie, denn sie deuteten darauf hin, dass die Vereinbarung, die Becksbridge mit ihr getroffen hatte, kein einmaliger Fall gewesen war. Das hatte sie schon lange vermutet. Aber leider konnte sie nicht nachhaken, ohne dass Castleford sich über ihre Neugier wundern würde.

»Warum beschäftigen Sie sich überhaupt persönlich mit solchen belanglosen Angelegenheiten? Sie müssen doch Diener haben, die alles in Erfahrung bringen können, was Sie wissen wollen.«

»Das bezweifle ich. Ich habe beschlossen, mich selbst darum zu kümmern, weil das Testament meine Neugier geweckt hat. Becksbridge hatte eine tiefe Abneigung gegen mich und hielt rein gar nichts von mir. Also dachte ich, ich sehe mir an, um was es eigentlich geht. Und jetzt weiß ich es.«

In dem letzten Satz lag keine Anschuldigung, aber seine Vermutung dazu, warum Becksbridge sie auf dem Anwesen hatte wohnen lassen, und dass er davon ausging, das Gleiche auf den anderen Besitzungen vorzufinden, war deutlich herauszuhören.

Der Himmel hatte sich erheblich verdüstert. In der Ferne, jenseits des Dachs des Gewächshauses, kündete ein Blitz von dem nahenden Gewitter. Sie erhob sich.

»Ich habe Sie zu lange aufgehalten, Sir. Wenn Sie zurück in die Stadt reiten, laufen Sie Gefahr, völlig durchnässt zu werden. Es wäre ratsam, die Nacht in dem Gasthaus in Cumberworth zu verbringen. Ich erwarte Ihre Nachricht in Bezug auf Ihre Entscheidung nach dem kommenden Dienstag.«

Er stand auf und trat aus der Laube, um einen Blick auf die dunklen Wolken am Himmel zu werfen. Da platschten auch schon die ersten großen Regentropfen auf den Weg.

»Laut Hawkeswell gibt es in dem Gasthof in Cumberworth Bettwanzen. Ich erinnere mich sehr genau an seine Warnung, aber wann und warum er sie ausgesprochen hat, fällt mir beim besten Willen nicht ein.«

»Drei Kilometer östlich liegt ...«

»Ich denke, ich bleibe lieber hier.«

Sie sah ihn prüfend an und fragte sich, ob er einen weiteren merkwürdigen und unangemessenen Scherz gemacht hatte. Doch er schaute nur zum Haus und begutachtete es interessiert.

»Wir sind ein reiner Frauenhaushalt, Hoheit. Es wäre ...«

»Sehr großzügig und freundlich von Ihnen, mir Ihre Gastfreundschaft anzubieten. Ich weiß, dass Sie schon männliche Gäste gehabt haben. Unsere gemeinsamen Freunde haben mir auch ein paar Geschichten erzählt. Außerdem ist es nicht anstößig, wenn ein Mann auf seinem eigenen Besitz übernachtet.«

Deutlicher hätte er es nicht sagen können. Und wie sein unbekümmerter Ton erkennen ließ, ging er fest davon aus, dass er seinen Willen bekam.

»Wenn Sie auf Ihre Eigentumsrechte pochen, wäre es natürlich töricht von mir, es Ihnen auszuschlagen.«

»Und wie ich auf den ersten Blick erkannt habe, Mrs Joyes, sind Sie keineswegs töricht.«

»Das will ich hoffen. Doch wenn wir Ihnen unsere Gastfreundschaft anbieten, wie Sie es erwarten, lassen Sie uns eines gleich vorweg klären, Sir.«

»Wie streng Sie klingen!« Wieder dieser allzu vertrauliche Blick und das süffisante Lächeln. Er hatte die Begabung, Grenzen zu überschreiten, ohne erkennbare Schritte in diese Richtung zu tun. »Es muss Ihnen sehr wichtig sein.«

Sie versuchte in der Tat, sehr streng zu klingen. »Zurzeit wohnt hier auch eine junge Frau. Wenn Sie sie in Ihrem Bemühen um Abwechslung auf irgendeine Weise belästigen, wenn Sie auch nur mit ihr tändeln, erschieße ich Sie!«

Inzwischen fielen die Regentropfen immer schneller und einer landete genau auf ihrer Nase. Die Natur hatte offensichtlich vor, die Autorität zu untergraben, die sie zu vermitteln versuchte.

Er lächelte – für ihren Geschmack viel zu amüsiert – und schnippte den Wassertropfen von ihrer Nase. »Wenn Sie mich töten, wird man Sie hängen.«

»Keineswegs. Mein Anwalt wird den Gerichtssaal mit anderen Frauen füllen, die Sie verführt haben, und sämtliche Väter unter den Geschworenen werden dafür stimmen, dass man mich freispricht.«

Er legte die Hand auf sein Herz. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass ich diese junge Frau behandeln werde, als wäre sie meine Schwester.«

Er wirkte aufrichtig, obwohl in seinen Augen wieder dieses ungehörige Funkeln lag.

»Dann lade ich Sie ein, unser einfaches Dinner mit uns zu teilen und in einem der Gästezimmer zu übernachten.«

Nun ergossen sich wahre Sturzfluten vom Himmel. Sie eilten zur Hintertür, und als er ihr ins Haus folgte, sah er sich neugierig um.

Als Katherine aus dem Gewächshaus hereinkam, stellte Daphne sie ihm vor. Katherine machte einen Knicks und suchte rasch das Weite.

»Ich bezweifle, dass Sie Miss Johnson noch einmal wiedersehen werden«, sagte sie. »Wahrscheinlich war es unnötig, Ihr Wort einzufordern.«

»Ganz gewiss. Ich habe kein Interesse an Miss Johnson. Es ist nämlich so, Mrs Joyes: Stünde mir der Sinn danach, eine Frau in diesem Haus zu verführen, dann wären Sie es.«

Gegen acht Uhr am Abend kam Castleford der Gedanke, dass es eine Gnade wäre, wenn ihm jemand eine Waffe an die Schläfe halten würde.

Die bezaubernde Mrs Joyes hatte ihn den ganzen Nachmittag über gemieden. Zuerst hatte er sich um sein Pferd gekümmert – eine Arbeit, die er seit unzähligen Jahren nicht mehr selbst verrichtet hatte. Als er sie beendet hatte, war er äußerst schlechter Stimmung gewesen und hatte im Stillen vor sich hingebrummt, dass Mrs Joyes hoffentlich die Unannehmlichkeiten wert war, die ihm aus seiner impulsiven, heftigen Begierde nach ihr erwuchsen.

Danach war er sich selbst überlassen gewesen in ihrer kleinen Frauenbibliothek. Das Haus war förmlich von der Anwesenheit von Frauen durchdrungen, und ihre kaum wahrnehmbaren leichten Schritte und leisen Stimmen waren seiner Konzentration beim Lesen des Buchs, das er sich als Zeitvertreib ausgesucht hatte, nicht eben förderlich.

Schließlich hatte ihn die Haushälterin Mrs Hill, eine mürrische kleine Frau mit dunklen Augen und Habichtsnase unter der Spitzenborte ihrer Haube, in ein Schlafgemach geführt, das in femininen Gelb- und Blautönen gehalten war. Dort machte er sich für ein zwangloses Dinner bereit.

Zu seiner Freude war Katherine nicht zugegen, und er war ganz allein mit seiner Gastgeberin. Als er am Tisch Platz nahm, erhoffte er sich ein lebhaftes Gespräch, bei dem er Mrs Joyes abermals die Röte ins Gesicht treiben und – wenn alles nach seinen Vorstellungen verlief – zu einem weiteren Gefühlsausbruch bringen könnte. Und er würde dafür sorgen, dass dieser eine ganze Weile andauerte.

So erkundigte er sich gleich zu Anfang nach den Gärten und dem Geschäft, das den Namen The Rarest Blooms trug. Das erwies sich als Fehler. Nun lauschte er schon seit zwei Stunden ihren detaillierten Schilderungen und konnte sich das Gähnen kaum noch verkneifen. Mrs Hill servierte ein einfaches Mahl bestehend aus Suppe, kaltem Schinken und einem Trifle, das wahrscheinlich extra seinetwegen zubereitet worden war.

Mrs Joyes war die ganze Zeit ein Ausbund an Selbstbeherrschung und kühler Gelassenheit. Ihre Umgangsformen waren tadellos, und während sie ruhig und freundlich mit ihm plauderte, drohten ihm wegen ihrer leisen monotonen Sprechweise mehrmals die Augen zuzufallen. Er war genau in der Art höflicher Konversation gefangen, die er hasste. Die Situation war dermaßen unerträglich, dass er sogar aufhörte, sich zu fragen, wie diese Frau wohl nackt aussah.

Es war an der Zeit, die Sache in die Hand zu nehmen und den Abend ein bisschen anregender zu gestalten. Da er ein beträchtliches Interesse an Mrs Joyes hatte, übernahm er die Gesprächsführung.

»Wie ich hörte, sind Sie Witwe«, sagte er, als sie endlich innehielt, nachdem sie ihm jede einzelne verdammte Verbenenart in ihrem Gewächshaus aufgezählt hatte.

»Mein Mann ist im Krieg umgekommen.« Sie senkte den Blick, um ihm zu verstehen zu geben, dass dieses Thema vermieden werden sollte.

Vielleicht hätte er es tatsächlich meiden sollen, aber wenn er jedem Wink gehorchte, würde er nie etwas Brauchbares erfahren. »Waren Sie lange verheiratet?«

»Keine zwei Jahre.«

»Und er war die meiste Zeit davon im Krieg, nehme ich an.«

»Ich gehörte zum Tross, also waren wir wenigstens zusammen.«

»Trotzdem, es ist ein großes Unrecht, dass Sie Witwe wurden, bevor sie die Freuden der Ehe auskosten konnten.«

Ihre Miene war so ausdruckslos, dass man hätte meinen können, ihr sei die sinnliche Anspielung entgangen, welche eine unsichtbare Tür einen winzigen Spaltbreit geöffnet hatte. Sie war wirklich gut, das musste er ihr lassen. Sie trug ihre Contenance wie einen Schutzschild vor sich her. Mrs Joyes dazu zu bringen, sie zu verlieren, und sei es nur für einen Augenblick, empfand er allmählich als Herausforderung.

Er ließ seinen Blick durch das Speisezimmer schweifen. »Ist es keinem unserer gemeinsamen Freunde merkwürdig vorgekommen, dass Ihnen ein Hauptmann der Armee ein Anwesen wie dieses hinterlassen hat? Das denken sie doch, nicht wahr? Dass Sie es durch Ihren Mann bekommen haben.«

»Ich nehme an, dass sie das denken. Man hat mich nie danach gefragt.«

Seit sie sich ihm im Garten zu erkennen gegeben hatte, waren ihm einige Bemerkungen über sie eingefallen, die er in der Vergangenheit gehört hatte. »Gibt es deshalb in diesem Haus die Regel, dass man nicht in der Vergangenheit der anderen herumschnüffeln darf? Damit niemand fragt und Sie keine Erklärungen abgeben müssen?«

Ihre Augen begannen unheilvoll zu funkeln. Das Thema passte ihr nicht. Er wiederum hatte nicht vor, sich weiter mit endlosen Aufzählungen von lateinischen Blumennamen langweilen zu lassen. Das hatte sie nicht von ungefähr getan, war ihm inzwischen klar. Mrs Joyes hatte mit voller Absicht versucht, ihn einzulullen, bis er nicht mehr klar denken konnte. Es war wohl seiner Andeutung, sie verführen zu wollen, zu verdanken, dass sie nun auf der Hut vor ihm war. Wie unbedacht von ihm.

»Lady Sebastian Summerhays hat kurz hier gewohnt. Sie ist Ihre Cousine, nicht wahr?«, bohrte er weiter. »Man würde doch meinen, dass sich eine nahe Verwandte nach solchen Dingen erkundigt.«

»Ich habe diese Regel nicht aufgestellt, um Audrianna oder sonst jemandem die Großzügigkeit des Herzogs im Hinblick auf dieses Anwesen zu verheimlichen, sondern um die Frauen zu schützen. Es waren einige unter ihnen, für die Diskretion besonders wichtig war. Manche Frauen haben einen guten Grund, die Vergangenheit hinter sich zu lassen«, erklärte sie mit einer gewissen Schärfe.

»Mit Ihrem Mangel an Neugier machen Sie Ihrem Geschlecht alle Ehre. Ich glaube nicht, dass ich so beherrscht sein könnte.«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich nie neugierig war. Aber deshalb muss man noch lange nicht in anderer Leute Angelegenheiten herumschnüffeln.«

»Ich schnüffle immer herum, wenn ich neugierig bin. Ein gutes Mittel gegen die Langeweile.«

Er trank etwas von dem süßen Punsch, der zum Abendessen serviert worden war. Er schmeckte nach Beeren und war wahrscheinlich hausgemacht. Es war die Art Getränk, die ihm sein Arzt empfehlen würde.

»Ganz köstlich!«, sagte er. »Mit einem Schuss Brandy wäre er sogar noch besser.«

»Wir haben nur kleine Mengen Spirituosen hier und lediglich für medizinische Zwecke.«

Er hatte einen Flachmann in seiner Satteltasche, aber es wäre unhöflich gewesen, ihn zu holen. Sie hätte ihn schon fragen müssen, ob er einen dabei habe, und ihn dazu ermuntern müssen. Doch wie es schien, fand sie Vergnügen daran, genau das nicht zu tun.

»Ich wusste, dass Sie sich im Gasthaus wohler gefühlt hätten«, bemerkte sie nicht ohne Genugtuung. »Daher habe ich Ihnen ja auch vorgeschlagen, dort zu übernachten.«

»Ist das auch so eine Regel? Trinkt niemand in diesem Haus – auch nicht heimlich? Und nicht einmal Sherry oder Wein?«

»Wein ist erlaubt, wenn wir welchen dahaben. Aber zurzeit haben wir keinen.«

»Schade.«

»Ja, es tut mir furchtbar leid.«

Ha, es tat ihr kein bisschen leid! Mrs Joyes machte aus diesem Tag mit voller Absicht einen Dienstag. Es war die Strafe dafür, dass er seinen Einlass in dieses Frauenkloster erzwungen hatte.

Nach dem Essen war sie offenbar sehr zufrieden damit, wie gut sie mit ihm fertiggeworden war, und schien sich zurückziehen zu wollen. Aber als Herzog hatte man seine Privilegien. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie noch nicht gehen durfte.

Das Fenster des Speisezimmers ging nach Norden, und das trübe Abendlicht, das durch die Scheiben hereinfiel, schmeichelte ihr und ließ ihre Augen dunkler als sonst erscheinen.

»Ich habe Sie wiedererkannt«, sagte er. »Als Sie im Garten auf die Laube zukamen, wusste ich, dass ich Sie schon irgendwo gesehen habe. Sie waren vor neun Jahren die Gouvernante der Töchter von Becksbridge und sind mir bei einer Gartenparty aufgefallen.«

Ihre blassen Wangen färbten sich rosig.

»Für einen Mann, von dem gesagt wird, er ertränke sein Gehirn in Alkohol, haben Sie ein ausgezeichnetes Gedächtnis, Hoheit.«

Sie blieb zwar gefasst, war anscheinend jedoch hinter ihrer kühlen Fassade so verärgert, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm. Er war froh, ein wenig Temperament aufblitzen zu sehen, wo sie doch offenbar danach trachtete, ihn zu Tode zu langweilen.

»Mein Gehirn geht so schnell nicht unter, Mrs Joyes. Und es ist besonders rege, wenn sich mir Fragen stellen, die meine Neugier entfachen.«

»Geschieht das oft? Ich nehme an, es kostet einige Anstrengung, gegen den Strom zu schwimmen.«

»Zugegebenermaßen nicht sehr oft. Eine schöne Frau vermag meine Neugier jedoch durchaus zu wecken, und Sie sind eine außergewöhnlich schöne Frau.«

Sie begann nervös am Griff ihres silbernen Messers zu spielen, ohne sich ihres Tuns bewusst zu sein.

Es gefiel ihm, dass sie nicht abwiegelte oder so tat, als wisse sie nicht um ihr Aussehen, das ihr ihr Leben lang Komplimente eingetragen haben musste. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Frauen mit falscher Bescheidenheit auf ein Lob ihrer Intelligenz oder Schönheit reagierten.

»Wie kam es dazu, dass Sie auf dieser Party waren? Ich hätte nicht gedacht, dass die Familie Becksbridge einen Mann mit Ihrem Ruf einlädt«, sagte sie.

»Mein Ruf steckte noch in den Kinderschuhen. Damals war ich sehr diskret, was meine Sünden angeht, und ich war als Freund von Latham und als Verwandter eingeladen.«

Sie erstarrte. »Sie sind mit Latham befreundet? In Anbetracht seiner Essays muss das für Sie eine recht unangenehme Freundschaft sein. Heilige und Sünder kommen normalerweise nicht besonders gut miteinander aus.«

Latham, jetzt der neue Herzog von Becksbridge, war kein Heiliger. Er war nie einer gewesen. Er hatte seine Ausschweifungen lediglich geheim gehalten, statt ehrlich zu seinem Tun zu stehen. »Wir sind schon seit einer ganzen Weile nicht mehr befreundet.«

»Das freut mich«, sagte sie und seufzte. Es war vermutlich ihre erste spontane Äußerung an diesem Abend.

»Seinetwegen? Weil ich ihn sonst verderben könnte?«

Sie zögerte und wählte ihre Worte wieder mit Bedacht. »Er war in meinen Augen schon immer kapriziös und nicht vertrauenswürdig. Um ihn schere ich mich einen feuchten Kehricht. Es würde mir nicht gefallen, wenn er Einfluss auf Ihre Dienstagsentscheidung hätte.«

Na, das war interessant! Fast alle liebten Latham. Die Pfarrer zitierten auf der Kanzel seine verdammten Essays. Derzeit waren die Zeitungen voll von Artikeln über seine Erbschaft, in denen seine Rückkehr nach England gepriesen wurde, als wäre er der Retter der Welt. Man hörte kaum ein böses Wort über ihn.

Mrs Joyes hingegen schien nicht viel Achtung vor ihm zu haben, denn ihre Miene verfinsterte sich zusehends. Vielleicht wusste sie von Lathams schlimmsten Sünden. Da sie im Haus seines Vaters wohnte, war es gut möglich, dass sie die Bediensteten über den Sohn ihres Herrn reden gehört hatte.

Unvermittelt drängte sich eine Erinnerung an eine hässliche Begebenheit in sein Bewusstsein, bei der Latham zu weit gegangen war und eine Grenze überschritten hatte, die ein Mann nicht überschreiten sollte. Die Bilder riefen eine abgrundtiefe Abscheu in ihm hervor; vor sich selbst wie auch vor Latham.

Er betrachtete grollend sein Punschglas, während er die Gedanken und Gefühle zu bezwingen versuchte, die diese Erinnerung auslöste. Er hatte seit Jahren nicht mehr an jenen Tag gedacht. Und er hätte es wahrscheinlich auch jetzt nicht getan, wenn Mrs Joyes ihm nicht unversehens einen verdammten Dienstag beschert hätte.

»Was ihn betrifft, sind wir einer Meinung, Mrs Joyes. Ich kann Ihnen versichern, dass er keinerlei Einfluss auf mich ausüben kann – und ich nicht auf ihn –, sofern keine Pistolen im Spiel sind.« Er beugte sich zu ihr vor. »Aber kommen wir nun zu den Fragen, die sich mir hier stellen ...«

»Ich wüsste nicht, welche das sein könnten, also brauchen Sie Ihr Gehirn nicht unnötig strapazieren«, unterbrach sie ihn.

»Oh doch, es gibt einige Fragen, die der Klärung bedürfen. Dieser Nachlass war schon reichlich sonderbar. Und dass ich Sie hier vorgefunden habe, hat mich doppelt neugierig gemacht. Das geschieht mittlerweile so selten, dass ich nach Erklärungen suche, wann immer ich auf Rätsel stoße.«

»Sie wissen bereits, warum und wie ich hier lebe. Das Einzige, was noch zu klären wäre, ist Folgendes: Mein Vater war ein in Becksbridges Grafschaft ansässiger Edelmann und mit ihm befreundet. Als er starb und meine Verwandten mir weder ein Heim noch finanzielle Unterstützung boten, hat der Herzog mich freundlicherweise als Gouvernante in seinem Haus aufgenommen. Da er meinen Vater gekannt hatte, wurde ich weitaus besser behandelt, als man es als Frau in dieser Situation erwarten kann. Ich blieb etwas weniger als ein Jahr, bevor ich die Familie wieder verließ.«

»Um Hauptmann Joyes zu heiraten.«

Sie antwortete mit einem Nicken. »Als ich danach erneut auf mich allein gestellt war, hat mir der Herzog erlaubt, dieses Anwesen zu bewohnen. In seiner Güte hat er abermals versucht, mir zu helfen und dafür zu sorgen, dass ich nicht mittellos dastand.«

»Aber Sie haben erwartet, dass Sie irgendwann das Eigentumsrecht bekommen.«

»Das war eine dumme Hoffnung, keine Erwartung. Ich hatte keinen Anspruch darauf.«

Es war eine gute Erklärung. Die vermutlich der Wahrheit entsprach. Und sie machte es nicht erforderlich, dass er sich zurückhielt. Sie war Witwe, schätzungsweise Ende zwanzig, und gewiss nicht mehr unschuldig. Er konnte sie verführen, wenn er Lust dazu hatte. Und die hatte er.

Allerdings wurde er den Verdacht nicht los, dass der Herzog sich aus weniger noblen Gründen als der Freundschaft zu ihrem Vater verpflichtet gefühlt hatte, für sie zu sorgen.

Er ging immer noch davon aus, dass sie Becksbridges Mätresse gewesen war, als sie in seinem Haus gewohnt hatte. Aber vielleicht wollte er es andererseits auch nur glauben.

Nun, er würde Gewissheit haben, wenn er die anderen kleinen Liegenschaften besucht und überprüft hatte, ob sie ebenfalls von Frauen wie Mrs Joyes bewohnt wurden.

Und in der Zwischenzeit ...

Er erhob sich. »Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft und Ihre entzückende Gesellschaft beim Essen, Mrs Joyes. Wie ich sehe, regnet es nicht mehr, und ich denke, ich mache einen Ausritt und sehe mich ein wenig in der Gegend um, solange es noch hell ist. Vielleicht hätten Sie, wenn ich zurückkehre, die Freundlichkeit, mir Ihre überaus seltenen Blumen zu zeigen.«

Ein Blick aus ihren grauen Augen. Unverhohlen. Wissend. Sie durchschaute sein Spiel. Was nicht bedeutete, dass er die Partie nicht gewinnen würde.

»Wir begeben uns früh zur Ruhe, Sir.«

»Ich werde nicht lange weg sein.«

»Vielleicht morgen früh ...«

»Ich habe vor, zeitig aufzubrechen. Heute Abend würde es mir viel besser passen.«

»Aber es wird zu dunkel sein, um noch etwas zu sehen.«

»Wir nehmen eine Laterne mit.«

Sie legte verärgert die Stirn in Falten. »Sie sind es offensichtlich gewohnt, Ihren Willen zu bekommen.«

»Seinen Willen zu bekommen ist das Beste daran, Herzog zu sein.«

»Dann wäre es – ich wiederhole mich – töricht von mir, es Ihnen auszuschlagen.«

Er machte eine Verbeugung, um sich zu verabschieden. »Sie können mir ausschlagen, was Sie wollen, Mrs Joyes. Ich werde es Ihnen nicht übel nehmen.«

Kapitel 3

Er hatte schöne Hände. Das war Daphne bereits beim Essen aufgefallen.

Diese Hände, durch und durch männlich, jedoch auch unleugbar elegant, hatten immer wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie hatte schon viele Männerhände gesehen, aber keine so makellosen, dessen war sie sich sicher. Sie waren viel zarter als ihre, wie sie sofort bemerkt hatte. Alle Handschuhe und Cremes der Welt konnten die Hände einer Dame nicht schützen, wenn diese häufiger mit Hacken und Schaufeln zugange war, als es sich für sie geziemte.

Sie hätte ihm wahrscheinlich etwas Brandy oder Wein ausschenken sollen. Vielleicht war es falsch gewesen, es nicht zu tun. Das war die Frage bei einem Mann, der so viel trank wie Castleford: Machte ihn der Alkohol duselig oder übermütig?

Da sie es nicht wusste, war sie auf die Geschichten über seine Herumhurerei und seine Saufgelage angewiesen, die ihr die gemeinsamen Freunde erzählt hatten. Das eine schien mit dem anderen einherzugehen, und sie hatte es für das Beste gehalten, erst gar kein Feuer zu schüren. Aber wenn beides tatsächlich verknüpft war, gab er sich vielleicht nur mit Huren ab, wenn er trank, und ließ ihresgleichen in Ruhe.

Sie schritt in der Bibliothek auf und ab, nachdem er gegangen war. Sie konnte sich einfach zu Bett begeben, um nicht mehr verfügbar zu sein, wenn er zurückkehrte. Er hatte gesagt, sie könne ihm ausschlagen, was sie wolle. Nur glaubte sie nicht, dass er die Gartenbesichtigung gemeint hatte. Ihrer Vermutung nach hatte er sich auf das bezogen, was er zu tun versuchen würde, wenn sie erst einmal im Garten waren.

Der Schurke wollte sie verführen, obwohl sie sich gerade erst kennengelernt hatten! Dieser eingebildete Kerl dachte, sie würde sich ihm einfach fügen und sich einem Trunkenbold hingeben, den sie kaum kannte und für den das bisschen, was sie über ihn wusste, keine gute Empfehlung war. Sein unerklärliches Selbstvertrauen war ohne Beispiel.

Verließ er sich darauf, dass sie ihm nicht glaubte, dass sie ihm etwas ausschlagen könne? Erwartete er wegen dieses Anwesens Gefügigkeit von ihr? Das wäre schlichtweg böse. Und das hatte er ihr immerhin zugesichert, nicht wahr? Dennoch sorgte sie sich, dass er, wenn sie ihn zurückwies, vielleicht gekränkt wäre und die Dinge daraufhin am Dienstag, dem Tag der Entscheidung, schlecht für sie ausgehen könnten.

Nachdem sie lange darüber nachgedacht hatte, wurde ihr klar, dass ihr keine Wahl blieb. Sie musste ihn beim Wort nehmen. Falls er sie alle vor die Tür setzte, weil sie ihm seine Wünsche nicht erfüllte, würde sie dafür sorgen, dass die gemeinsamen Freunde die Wahrheit erfuhren.

Möglicherweise war Letzteres sogar die beste Absicherung. Hoffentlich lag Castleford an seiner langen Freundschaft zu Veritys Mann, dem Earl of Hawkeswell, und zu Lord Sebastian Summerhays, der ihre Cousine Audrianna geheiratet hatte.

Als sie draußen das Pferd hörte, erschrak sie, und ihr Magen zog sich zusammen. Wenigstens würde es im Garten dunkel sein. Sie würde sein Mienenspiel und seine teuflischen Augen nicht sehen.

So war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass er sie in seinen Bann zog mit der faszinierenden Kombination aus sorgloser Unbekümmertheit – mit der eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber allem einherging – und dieser Leidenschaft, die er ausstrahlte und die auf genau das Gegenteil hindeutete.

Er war gefährlich attraktiv, was einem Mann ungerechterweise immer einen Vorteil verschaffte. Aber sie war kein Mädchen mehr, das sich von den verführerischen Schmeicheleien gut aussehender Männer den Kopf verdrehen ließ.

Dann kam ihr in den Sinn, dass etwas Licht vielleicht doch ganz gut wäre. Möglicherweise wäre er weniger dreist, wenn es nicht ganz dunkel war. Wenn sie den richtigen Weg wählte, würden sie wegen der Laterne vom Haus aus zu sehen sein.

Sie eilte in den hinteren Salon und hantierte hektisch an der Laterne herum, während er sich draußen um sein Pferd kümmerte. Vermutlich gefiel es ihm nicht, diese Arbeit selbst zu verrichten, aber sie hatte keinen Stallburschen oder sonstige männliche Bedienstete. Und da sie ihr Kutschpferd selbst versorgte, war es wohl nicht zu viel verlangt, wenn er das Gleiche tat.

Sie hörte ihn ins Haus kommen und den Korridor entlanggehen. Gemessen. Entschlossen. Selbstbewusst. In diesem Haus waren so selten Männer zu Gast, dass seine Schritte es zum Beben zu bringen schienen. Und wie sie feststellte, bebte sie ebenfalls.

Rasch setzte sie sich und gab vor, im Schein der Laterne zu lesen. Sie war nervös und unruhig und furchtsamer, als es ihr Verstand für gerechtfertigt hielt. Es beschämte sie, sich eingestehen zu müssen, dass ihre Unrast von einer ungewöhnlichen Aufregung durchdrungen war, die Empfindungen in ihr hervorrief, die nicht unangenehm waren. Es war Jahre her, dass sie diese Art von Erregung verspürt hatte. Eine Ewigkeit.

Vielleicht hatte er die Idee mit der Führung durch den Garten aber auch schon wieder vergessen und überließ sie ihrer Lektüre, sodass sie ...

»Ich nehme an, dass wir die Laterne schon bald brauchen werden, Mrs Joyes, aber noch erhellt etwas Dämmerlicht den Garten.«

Trotz seines umwerfenden Aussehens gelang es ihr, sich desinteressiert zu geben. Er stand im Türrahmen und der Schein der Laterne erreichte ihn kaum, doch was sie von ihm sehen konnte, ließ ihr Herz schneller schlagen.

Das Spiel von Licht und Schatten zeichnete scharfe Konturen und starke Kontraste und verhärtete seine Gesichtszüge, obwohl er lächelte. Sein Haar war vom Reiten zerzaust, sodass er viel verwegener aussah als vorher. Seine Augen jedoch waren das Schlimmste. Das Funkeln in ihnen verriet mehr Interesse an diesem Spaziergang als ihr recht sein konnte.

Du lieber Himmel. Sie war völlig überfordert. Dieser Mann war ein berüchtigter Wüstling, und sie war – nun ja, sie war in diesen Dingen wahrlich keine Expertin.

Sie stand auf und warf sich einen Schal um die Schultern. Welches Spiel er auch zu spielen hoffte, es würde nichts geschehen, was sie nicht gestattete, und sie hatte vor, ihm rein gar nichts zu gestatten.

»Sehr beeindruckend«, sagte Castleford, als er sich die Pflanzen im Gewächshaus ansah. »Das ist ganz offensichtlich kein schmückendes Beiwerk zum Haus, sondern ein Ort, an dem ernsthaft gearbeitet wird.«

Daphne konnte keinen Spott aus seinen Worten heraushören und war ungeheuer stolz über das Lob.