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Eine Frau, die ein renommiertes Londoner Auktionshaus leitet? Undenkbar! Doch genau das hat Emma Fairbourne nach dem Tod ihres Vaters vor, der ihr dieses lukrative Etablissement hinterlassen hat. Zuvor muss sie allerdings noch den ehemaligen Geschäftspartner ihres Vaters von ihrem Vorhaben überzeugen, den ebenso arroganten, wie gut aussehenden Earl of Southwaite.
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Seitenzahl: 521
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
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Die Autorin
Die Romane von Madeline Hunter bei LYX
Impressum
MADELINE HUNTER
Miss Fairbourne
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Anja Mehrmann
Zu diesem Buch
Nach dem Tod ihres Vaters ist Emma Fairbourne fest entschlossen, das renommierte Auktionshaus der Familie weiterzuführen. Im Gegensatz zum Rest der Welt ist sie davon überzeugt, dass ihr verschollener Bruder, der eigentliche Erbe, noch am Leben ist. Für ihn will sie das Vermächtnis ihres Vaters bewahren. Doch da sie eine Frau ist, hat sie wenig Chancen, von Geschäftspartnern ernst genommen zu werden. Als wäre das nicht schon Herausforderung genug, versucht der attraktive Earl of Southwaite sie davon zu überzeugen, das Etablissement zu verkaufen. Er ist stiller Teilhaber und hat den Verdacht, dass Emmas Vater ermordet wurde, weil dieser in dunkle Geschäfte verwickelt war. Emma ist nicht gewillt, sich dem arroganten Lord einfach so zu beugen, obgleich dieser ihr Herz bei jeder Begegnung schneller schlagen lässt und entschlossen scheint, sie zu verführen. Unbeirrt von Southwaites Einmischung bereitet sie weiter die nächste große Auktion vor. Doch dann kommen gefährliche Geheimnisse der Vergangenheit ans Licht, und Emma braucht die Hilfe des Earls, um sich und die Ehre ihrer Familie zu retten.
In Erinnerung
an meinen Bruder
Nicholas Cirillo
Mai 1798
Die letzte Versteigerung im Auktionshaus Fairbourne erwies sich als traurige Angelegenheit. Das lag nicht allein daran, dass der Eigentümer kurz zuvor bei einem Spaziergang entlang der Klippen von Kent in den Tod gestürzt war. Vom Standpunkt der Sammler aus gesehen bestand das Angebot aus unbedeutenden Werken und war somit kaum der ausgezeichneten Reputation würdig, die Maurice Fairbourne für sein Geschäft aufgebaut hatte.
Die Mitglieder der feinen Gesellschaft waren dennoch erschienen; die einen aus Sympathie und Respekt, die anderen, um sich von der nicht nachlassenden Furcht vor der erwarteten Invasion der Franzosen abzulenken, gegen die sich das ganze Land gewappnet hatte. Wieder andere flogen ein wie Aaskrähen, angezogen von den Überresten des einstmals blühenden Geschäfts und in der Hoffnung, einige Bröckchen aus dem Kadaver hacken zu können.
Ebendiese konnte man dabei beobachten, wie sie Gemälde und Drucke genauestens unter die Lupe nahmen, immer auf der Suche nach dem einen kostbaren Objekt, das dem weniger scharfen Blick der Mitarbeiter des Auktionshauses entgangen sein könnte. War ein Kunstwerk nicht korrekt beschrieben worden, ließ sich ein gutes Geschäft machen. Und ein solcher Sieg schmeckte umso süßer, weil solche Versehen mit erstaunlicher Regelmäßigkeit zumeist zu Lasten des Käufers gingen.
Auch Darius Alfreton, Earl of Southwaite, sah ganz genau hin. Obgleich er Sammler war, hoffte er nicht darauf, billig einen Caravaggio zu erwerben, der im Katalog fälschlich als Honthorst beschrieben worden war. Vielmehr überprüfte er die Kunstwerke und ihre Beschreibungen, um herauszufinden, wie sehr Fairbourne’s Reputation durch die Unfähigkeit seiner Mitarbeiter gefährdet war.
Er ließ den Blick über die Menschenmenge schweifen, die sich inzwischen eingefunden hatte, und beobachtete, wie das Rednerpult vorbereitet wurde. Auf einer kleinen Bühne stand ein schmales, hohes Pult, das Darius stets an die Kanzel eines Predigers erinnerte. Auktionshäuser wie Fairbourne’s luden häufig zu abendlichen Vernissagen ein, um die Bieter mit einem prachtvollen Fest anzulocken und den eigentlichen Verkauf erst am Tag danach abzuhalten. Fairbourne’s Belegschaft hatte jedoch beschlossen, alles auf einmal am heutigen Tag durchzuführen, und bald würde der Auktionator sich an seinen Platz hinter dem Pult begeben, jedes Auktionslos einzeln aufrufen und mit dem Hammer im wahrsten Sinne des Wortes zuschlagen, wenn kein höheres Gebot mehr folgte.
Angesichts des kümmerlichen Angebots und der Kosten einer großen Vernissage entschied Darius, dass es klug gewesen war, das Fest am Vorabend ausfallen zu lassen. Weniger erklärlich erschien ihm das Versäumnis der Mitarbeiter, ihn von diesem Vorhaben zu unterrichten. Er hatte von dieser Auktion durch die Anzeigen in den Zeitungen erfahren.
Das Zentrum der Menschenmenge befand sich nicht bei den Gemälden, die übereinander an den hohen, grauen Wänden hingen. Die Gestalten bewegten sich, und der wahre Gegenstand ihres Interesses wurde sichtbar. Miss Emma Fairbourne, Maurices Tochter, stand in der Nähe der linken Wand, begrüßte die Gäste und nahm ihre Beileidsbekundungen entgegen.
Ihre schwarze Kleidung stand in starkem Kontrast zu der sehr hellen Haut, und ein einfacher schwarzer Hut blitzte allzu keck auf ihrem braunen Haar. Das auffallendste Merkmal ihres Gesichts – blaue Augen, aus denen sie ihr Gegenüber mit befremdlicher Direktheit anzublicken vermochte – richtete sie so konzentriert auf jeden einzelnen Besucher, dass dieser glauben konnte, der einzige Gast in Sichtweite zu sein.
»Wie eigenartig, dass sie hier ist«, sagte Yates Elliston, Viscount Ambury. Er stand an Darius’ Seite und war ungeduldig, weil sie hier ihre Zeit verschwendeten. Sie trugen beide Reitkleidung und sollten sich eigentlich auf dem Weg zu Küste befinden.
»Sie ist Fairbournes einzige Hinterbliebene«, sagte Darius. »Vermutlich hofft sie, die Kunden mit ihrer Gegenwart zu beruhigen. Aber niemand wird sich täuschen lassen. Die Größe und Qualität dieser Auktion ist symbolisch für das, was geschieht, wenn die Persönlichkeit verschwindet, die ein solches Unternehmen geführt und ihm seinen Charakter verliehen hat.«
»Ich nehme an, du bist ihr schon einmal begegnet, weil du ihren Vater gut kanntest. Ihre Zukunft sieht düster aus, nicht wahr? Und sie muss bereits Mitte zwanzig sein. Wenn sich schon zu Lebzeiten ihres Vaters und bei florierendem Geschäft kein Ehemann für sie gefunden hat, wird das wohl auch in Zukunft recht unwahrscheinlich sein.«
»Ja, ich bin ihr schon einmal begegnet.« Zum ersten Mal vor mehr als einem Jahr. Eigenartig, dass er Maurice Fairbourne schon jahrelang gekannt hatte und in all der Zeit nie seiner Tochter vorgestellt worden war. Robert, Maurices Sohn, hatte sich gelegentlich an ihren Unterhaltungen beteiligt, nie jedoch seine Schwester.
Seit jener Begegnung hatte er bis vor sehr kurzer Zeit nicht mehr mit Emma Fairbourne gesprochen. In seiner Erinnerung war sie eine unscheinbare Frau, scheu und zurückhaltend wie ein Schatten im Vergleich zu dem strahlenden Licht, das von ihrem beredten und extravaganten Vater ausging.
»Andererseits …« Ambury spähte unter gesenkten Lidern in Miss Fairbournes Richtung. »Keine echte Schönheit, aber sie hat irgendetwas an sich … schwer zu sagen, was es ist …«
Ja, sie war von einer besonderen Aura umgeben. Darius war beeindruckt, dass Ambury es so schnell bemerkt hatte. Andererseits hegte Ambury ohnehin eine besondere Sympathie für Frauen, während Darius das weibliche Geschlecht oftmals zwar als notwendig und amüsant, letztlich jedoch als verwirrend empfand.
»Ich habe sie wiedererkannt«, sagte Ambury und drehte sich zu einem Landschaftsmotiv um, das über ihren Köpfen an der Wand hing. »Ich habe sie einmal in der Stadt gesehen, in Begleitung von Barrowmores Schwester, Lady Cassandra. Vielleicht ist Miss Fairbourne unverheiratet geblieben, weil sie die Unabhängigkeit bevorzugt, genau wie ihre Freundin.«
Mit Lady Cassandra. Interessant. Darius dachte, dass es mit Emma Fairbourne vielleicht mehr auf sich haben könnte, als er angenommen hatte.
Ihm war nicht entgangen, dass sie es fertiggebracht hatte, mit ihrem durchdringenden Blick dem seinen auszuweichen. Wenn er sie nicht direkt begrüßte, würde sie so tun, als wäre er gar nicht da. Und ganz gewiss wusste sie nicht zu würdigen, dass er an dem Ergebnis der Auktion ebenso interessiert war wie sie.
Ambury studierte den Verkaufskatalog, den er vom Auktionsleiter bekommen hatte. »Ich behaupte nicht, so viel von Kunst zu verstehen wie du, Southwaite, aber unter den Gemälden befinden sich etliche aus der ›Schule von‹ oder dem ›Atelier von‹. Das erinnert mich an die angeblichen Kunstwerke, die die Bilderverkäufer auf meiner Kavalierstour durch Italien feilgeboten haben.«
»Die Angestellten verfügen nicht über die gleiche große Sachkenntnis wie Maurice. Immerhin muss man ihnen zugutehalten, dass sie die Bilder zurückhaltend bewertet haben, wenn Herkunft und Echtheit nicht vollständig zu belegen waren.« Darius deutete auf das Landschaftsmotiv über Amburys Kopf. »Wenn Maurice noch leben würde, wäre das vielleicht als ein van Ruisdael verkauft worden und nicht als das Werk eines seiner Schüler. Jeder hätte das Urteil akzeptiert. Penthurst hat das Bild gerade sehr genau untersucht und wird möglicherweise hoch bieten in der Hoffnung, dass es sich als ein echter van Ruisdael erweist.«
»Wenn Penthurst das Bild erwirbt, hoffe ich, dass es vor zwei Wochen von einem Fälscher hingeschmiert worden ist und er einen schönen Batzen Geld zum Fenster hinauswirft.« Ambury wandte seine Aufmerksamkeit wieder Miss Fairbourne zu. »Kein übler Gedenkgottesdienst, wenn ich es mir recht überlege. Vermutlich sind all die gesellschaftlichen Größen hier, die an der Beerdigung nicht teilgenommen haben.«
Darius hatte die Beerdigung einen Monat zuvor besucht. Dort war er der einzige Vertreter des englischen Hochadels gewesen, trotz der Rolle, die Maurice Fairbourne für viele von ihnen als Ratgeber für ihre Kunstsammlungen gespielt hatte. Die feine Gesellschaft wohnte dem Begräbnis eines Geschäftsmannes nicht bei, erst recht nicht zu Beginn der Saison, und darum hatte Ambury recht. Für Fairbourne’s Kunden war diese Auktion tatsächlich so etwas wie ein Gedenkgottesdienst.
»Ich nehme an, alle werden hoch bieten«, sagte Ambury. Sowohl sein Tonfall als auch das kleine Lächeln spiegelten seine liebenswürdige Art wider, die ihn manches Mal in Schwierigkeiten brachte. »Um ihr aus der Klemme zu helfen, jetzt, da sie allein dasteht.«
»Mitgefühl wird sicherlich eine Rolle spielen und zu hohen Geboten anspornen, doch der wirkliche Grund steht dort vorn neben dem Rednerpult.«
»Du meinst den kleinen, weißhaarigen Burschen? Er sieht nicht aus wie jemand, der mich dazu treiben könnte, fünfzig zu bieten, wenn ich eigentlich nur fünfundzwanzig zu zahlen bereit war.«
»Er ist verblüffend unscheinbar, stimmt’s? Außerdem bescheiden, gesittet und stets höflich«, sagte Darius. »Unerklärlicherweise gereicht ihm all das zum Vorteil. Sobald Maurice Fairbourne aufgegangen war, was er an dem kleinen Mann hatte, hat er in diesem Haus nie wieder selbst die Objekte aufgerufen, sondern es stets Obediah Riggles überlassen.«
»Dabei hätte ich den Burschen dort drüben für den Auktionator gehalten. Den, der mir den Katalog gegeben hat.«
Ambury sprach von dem jungen, gut aussehenden Mann, der die Gäste zu ihren Stühlen führte.
»Das ist Mr Nightingale, der Auktionsleiter. Er begrüßt die Gäste, weist ihnen die Plätze an, sorgt dafür, dass sie sich wohlfühlen, und beantwortet Fragen zu den Lots. Du wirst ihn immer neben dem Werk stehen sehen, das gerade versteigert wird. Wie ein menschlicher Wegweiser.«
Dunkelhaarig, groß und überaus akkurat in seinem eleganten Anzug, schien Mr Nightingale mehr durch den Raum zu gleiten als zu gehen. Er ermunterte die Gäste zum Eintreten, plauderte charmant mit ihnen, flirtete. Auf diese Weise sorgte er dafür, dass sich die Sitzreihen füllten und dass alle Damen breite Fächer hatten, mit denen sie ihre Absicht signalisieren konnten, ein Gebot abzugeben.
»Was er macht, macht er offenbar gut«, beobachtete Ambury.
»Ja.«
»Die Damen scheinen ihn zu mögen. Ich vermute, ein wenig Schmeichelei ist sehr hilfreich, um Gebote aus ihnen herauszukitzeln.«
»Vermutlich hast du recht.«
Ambury beobachtete Nightingale noch einen Moment lang. »Einige der Gentlemen scheinen ihn ebenfalls zu favorisieren.«
»Ich wusste, dass du das erwähnen würdest.«
Ambury lachte. »Ich nehme an, es verursacht ihm einiges Unbehagen. Schließlich soll er dafür sorgen, dass sie wiederkommen, stimmt’s? Wie kann man jemanden gleichzeitig ermutigen und entmutigen?«
Darius hätte nicht schwören wollen, dass der Auktionsleiter tatsächlich irgendjemanden entmutigte. Nightingale war äußerst ehrgeizig. »Ich überlasse es dir, deine berühmte Beobachtungsgabe einzusetzen und mich wissen zu lassen, wie er das fertigbringt. So bist du beschäftigt und hörst vielleicht damit auf, dich darüber zu beschweren, dass ich dich heute hierhergeschleift habe.«
»Mich stört nicht der Ort, sondern die Art und Weise. Du hast mich getäuscht. Als du eine Auktion erwähnt hast, habe ich angenommen, dass es sich um eine Pferdeauktion handelt, und das hast du ganz genau gewusst. Es ist viel amüsanter, dir dabei zuzusehen, wie du ein Vermögen für einen Hengst ausgibst als für ein Gemälde.«
Allmählich fand das Publikum zu den Sitzen, und die Geräusche im Saal verebbten. Riggles stellte sich auf einen Schemel, sodass er hinter dem Rednerpult groß wirkte. Mr Nightingale ging zu der Stelle, an der das erste Auktionslos an der Wand hing. Seine perfekten Gesichtszüge erregten bei einigen Gästen vermutlich mehr Aufmerksamkeit als das unbedeutende Ölgemälde, auf das er zeigte.
Emma Fairbourne hielt sich diskret vom Ort des Geschehens zurück, doch sie war für jedermann sehr gut sichtbar. Bietet hoch, bietet oft, schien sie durch ihre bloße Anwesenheit zu bitten. Um sein Andenken und meiner Zukunft willen, lasst mehr dabei herauskommen, als diese Auktion verdient.
Emma ließ den Blick auf Obediah verweilen, doch sie spürte, dass die Leute sie beobachteten. Eine Person vor allem.
Southwaite war da. Vergeblich hatte sie gehofft, dass er vielleicht nicht in der Stadt war. Sie hatte sogar dafür gebetet. Wie ihre Freundin Cassandra ihr berichtet hatte, besuchte er häufig sein Landgut in Kent. Es wäre ideal gewesen, hätte er das auch in dieser Woche getan.
In Reitkleidung stand er hinter der letzten Stuhlreihe, als habe er tatsächlich aufs Land fahren wollen, dann jedoch in die Zeitung geblickt und den Weg hierher eingeschlagen. Dort hinten überragte er die Menge und war nicht zu übersehen. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er sie musterte. Sein auf herbe Weise attraktives Gesicht drückte leichten Unmut angesichts der Vorgänge in diesem Saal aus. Hingegen wirkte sein Begleiter wesentlich freundlicher. Dessen blaue Augen leuchteten fröhlich, ganz im Gegensatz zur düsteren Eindringlichkeit des Earls.
Er denkt, dass wir ihn von der Auktion hätten in Kenntnis setzen müssen, vermutete sie. Er glaubte, dass es ihn etwas anging, was bei Fairbourne’s geschah. Offenbar wollte er sich zu einer Plage entwickeln. Nun, sie würde verdammt sein, wenn sie das jemals zuließe.
Obediah begann mit der Versteigerung des ersten Lots. Die Gebote waren nicht besonders hoch, doch das bereitete ihr keine Sorge. Auktionen begannen immer schleppend, und sie hatte sich gut überlegt, welches Objekt sie opfern sollte, um den Bietern Zeit zum Aufwärmen zu geben.
Auf seine sanfte, ruhige Art rief Obediah die Gebote aus. Er lächelte freundlich die älteren Damen an, die ihre Fächer hoben, und fügte ein »Sehr wohl, Sir« an, wenn ein junger Lord das Gebot gleich um zwei Schritte erhöhte. Er vermittelte den Eindruck, dass es sich um eine geschmackvolle Konversation und nicht um einen lärmenden Wettstreit handelte.
Fairbournes Auktionen hatten nichts Theatralisches an sich. Keine Schmeicheleien, um den Kunden mehr Gebote zu entlocken, und keine raffinierten Andeutungen versteckter Werte. Obediah war der am wenigsten dramatische Auktionator Englands, doch wenn er schließlich den Hammer niedersausen ließ, hatten die Lots meistens höhere Preise erzielt, als vorher vermutet. Die Bieter vertrauten ihm und vergaßen ihren natürlichen Argwohn. Emmas Vater hatte einmal die Bemerkung gemacht, dass Obediah Männer an ihren Butler und Frauen an den lieben Onkel Bertie erinnerte.
Sie rührte sich nicht vom Fleck, nicht einmal, als Mr Nightingale die Aufmerksamkeit der Menge auf die Gemälde und Kunstobjekte in ihrer Nähe lenkte. Einige Leute im Saal würden sich daran erinnern, dass ihr Vater während der Auktionen immer hier gestanden hatte. Genau an dieser Stelle.
Als die letzten Lose aufgerufen wurden, stellte sich Mr Nightingale neben sie. Sie fand das sonderbar, doch er hatte sich heute in jeder Hinsicht besonders beflissen gezeigt. Angesichts der Art, wie er die Beileidsbekundungen der Gäste auf der Vernissage entgegengenommen und dabei mehrmals beinahe die Fassung verloren hatte, hätte man glauben können, sein eigener Vater wäre in den Tod gestürzt.
Als der Hammer den Zuschlag für die letzte Lotnummer verkündet hatte, seufzte Emma vor Erleichterung. Die Auktion war wesentlich besser verlaufen, als sie zu hoffen gewagt hatte. Damit war es ihr gelungen, etwas Zeit zu gewinnen.
Lärm erfüllte den Saal mit der hohen Decke, als plötzlich die Gespräche wieder auflebten und Stühle über den Holzboden schrammten. Neben ihr verabschiedete Mr Nightingale sich von den älteren Damen der feinen Gesellschaft, die lächelnd mit ihm flirteten, und von einigen Gentlemen, die sich dazu herabließen, ihre Bekanntschaft mit ihm zu zeigen.
»Miss Fairbourne«, sagte er und schenkte den vorbeigehenden Gästen weiterhin sein bezauberndes Lächeln. »Wenn der Tag Sie nicht zu sehr ermüdet hat, würde ich gern ein paar Worte unter vier Augen mit Ihnen wechseln, nachdem alle gegangen sind.«
Ihr sank der Mut. Er würde seine Anstellung aufgeben. Mr Nightingale war ein ehrgeiziger junger Mann, und er würde hier nun keine Zukunft mehr für sich sehen. Ohne Zweifel nahm er an, dass Fairbourne’s nach dem heutigen Tag für immer seine Türen schließen würde. Und selbst wenn das Auktionshaus bestehen bliebe, würde er ohne die Verbindungen, die ihr Vater ihm ermöglicht hatte, nicht bleiben wollen.
Sie ließ den Blick zum Rednerpult schweifen, von dem Obediah auf die Bühne hinunterstieg. Es wäre ein schwerer Schlag, Mr Nightingale zu verlieren. Doch wenn Obediah Riggles wegging, würde Fairbourne’s definitiv aufhören zu existieren.
»Selbstverständlich, Mr Nightingale. Gehen wir doch ins Lager, wenn es Ihnen recht ist.«
Gemeinsam mit Mr Nightingale machte sie sich auf den Weg. Sie blieb kurz stehen, um Obediah zu loben, der in seiner zurückhaltenden Art errötete.
»Wären Sie so gut, sich morgen hier mit mir zu treffen, Obediah? Ich wünsche Ihren Rat in einigen sehr wichtigen Angelegenheiten«, fügte sie hinzu.
Obediah blieb der Mund offen stehen. Er nimmt an, dass ich seinen Rat in der Frage brauche, wie ich Fairbourne’s am besten schließen kann, vermutete sie. »Selbstverständlich, Miss Fairbourne. Ist Ihnen elf Uhr recht?«
»Ausgezeichnet. Wir sehen uns dann.« Während sie sprach, bemerkte sie, dass zwei Männer den Auktionssaal noch nicht verlassen hatten. Southwaite und sein Begleiter standen noch immer hinten im Saal und beobachteten die Angestellten dabei, wie sie Gemälde von den Wänden nahmen, um sie den Höchstbietenden zu übergeben.
Southwaite fesselte ihre Aufmerksamkeit. Er schien sie mit seinem Blick an Ort und Stelle festnageln zu wollen. Als er auf sie zuging, gab sie vor, es nicht zu bemerken. Schnell drängte sie Mr Nightingale zum Weitergehen und floh in den Lagerraum.
»Der tragische Tod Ihres Vaters hat alles verändert; da stimmen Sie mir sicher zu«, sagte Mr Nightingale. Tadellos in Gehrock und Halstuch gekleidet stand er vor ihr. So sah er immer aus. Groß, schlank, dunkelhaarig und perfekt. Emma malte sich aus, wie viele Stunden am Tag er damit verbringen mochte, sich so sorgfältig herauszuputzen.
Sie hatte ihn nie besonders gemocht. Mr Nightingale gehörte zu den vielen Menschen, die der Welt ein falsches Gesicht zeigen. Alles an ihm war berechnet und allzu glatt, zu geschliffen und einstudiert. Während er die Angehörigen der feinen Gesellschaft imitierte, hatte er ihre schlechtesten Charaktereigenschaften übernommen.
Sie befanden sich in dem großen Hinterzimmer, in dem die zur Versteigerung eingelieferten Objekte darauf warteten, untersucht und katalogisiert zu werden. An einem Ende des Raums gab es Behälter für Gemälde, am anderen Regale und große Tische für weitere Objekte. Außerdem stand ein Schreibtisch dort, hinter dem sie nun saß. Mr Nightingale hatte sich neben sie gestellt, sodass die Schreibtischplatte ihn nicht auf Abstand hielt, was ihr wesentlich lieber gewesen wäre.
Selbstverständlich war Emma mit ihm einer Meinung, dass sich alles geändert hatte. Diese Feststellung war so offensichtlich, dass sie nicht ausgesprochen werden musste. Sie mochte es nicht, wenn jemand so mit ihr sprach und ihr selbstverständliche Dinge erklärte. Vor allem Männer neigten dazu, wie sie bemerkt hatte.
Also nickte sie nur und wartete. Sie wünschte, er würde sich beeilen. Dieses Geplänkel ging völlig am eigentlichen Punkt vorbei, der darin bestand, dass er kündigen würde. Und darum würde sie es begrüßen, wenn er offen mit ihr sprach.
Schlimmer noch, es fiel ihr schwer, ihm nur zuzuhören. In Gedanken war sie wieder im Auktionssaal und fragte sich, was Southwaite gerade tat und ob er noch dort sein würde, wenn sie diesen Raum verließ.
»Sie sind jetzt allein. Ungeschützt. Fairbourne’s hat seinen Herrn verloren. Heute waren unsere Kunden freundlich, doch sie werden schnell das Vertrauen in die Auktionen verlieren, falls Sie vorhaben, sie fortzusetzen.«
Nun hatte er ihre Aufmerksamkeit erregt. Mr Nightingale war ihr immer wie eine wandelnde Modepuppe vorgekommen. Ganz und gar oberflächlich und künstlich. Ohne jede Tiefe.
Jetzt aber bewies er unerwartete Einsichtsfähigkeit, indem er vermutete, dass sie weiterhin Auktionen bei Fairbourne’s abzuhalten gedachte.
»Ich bin den Kunden wohlbekannt«, fuhr er fort. »Sie respektieren mich. Mein Auge für Kunst habe ich bei den Vernissagen immer wieder unter Beweis gestellt.«
»Kein so gutes Auge wie das meines Vaters allerdings.« Oder wie meines, hätte sie am liebsten hinzugefügt.
»Ohne Zweifel. Aber gut genug.«
Unglücklicherweise war »gut genug« in dieser Lage nicht wirklich gut genug.
»Ich habe Sie immer bewundert, Miss Fairbourne.« Er ließ sein charmantes Lächeln aufblitzen. Noch nie hatte er es ihr gegenüber benutzt. Und als er es nun tat, fand sie es nicht annähernd so gewinnend wie sonst, wenn er einer älteren Dame der Gesellschaft damit derart schmeichelte, dass sie ein bisher übersehenes Gemälde in Betracht zog.
Allerdings war er ein sehr gut aussehender Mann. Beinah unnatürlich gut aussehend. Und das wusste er. Kein Mann konnte so aussehen, ohne sich der Vollkommenheit seines Gesichts bewusst zu sein. Allzu vollkommen, so, als würde ein Maler ein durchschnittlich attraktives Gesicht so hübsch gestalten, dass es seinen Charakter und die menschlichen Züge verlor.
»Wir haben vieles gemeinsam«, fuhr er fort. »Fairbourne’s. Ihren Vater. In Herkunft und gesellschaftlichem Rang unterscheiden wir uns kaum. Ich glaube, wir würden gut zueinanderpassen, und ich hoffe, dass Sie meinen Heiratsantrag wohlwollend in Betracht ziehen werden.«
Regungslos starrte sie ihn an. Das hatte sie nicht erwartet. Sie war so perplex, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte.
Er atmete tief ein, als wollte er sich für eine unangenehme Aufgabe wappnen. »Wie ich sehe, überrascht Sie mein Anliegen. Haben Sie etwa geglaubt, dass mir in den letzten Jahren entgangen ist, wie schön Sie sind? Vielleicht war ich zu dezent in der Bekundung meines Interesses. Schreiben Sie dies meinem Respekt vor Ihnen und Ihrem Vater zu. Dennoch haben Sie mein Herz gestohlen, und ich träume seit vielen Monaten von dem Tag, an dem Sie vielleicht endlich mir gehören. Ich habe immer geglaubt, dass wir beide besondere Sympathien füreinander hegen, und unter den gegebenen Umständen erlaube ich mir …«
»Mr Nightingale, bitte, lassen Sie uns aufrichtig über diese Sache reden, wenn wir überhaupt darüber reden müssen. Erstens wissen wir beide, dass ich nicht schön bin. Zweitens haben wir nie eine heimliche Vorliebe füreinander gehabt. Tatsächlich haben wir uns kaum je zwanglos unterhalten. Drittens waren Sie nicht zu dezent in der Bekundung Ihres Interesses, vor allem, weil Sie nie derartige Gefühle für mich hegten. Sie sind an Ihrem Liebesgeständnis gerade beinahe erstickt. Sie wollten mir eine Zweckehe vorschlagen, und vielleicht sollten Sie dabei bleiben und nicht versuchen, mich von Ihrer heimlichen Liebe zu überzeugen.«
Nur einen Moment lang hatte sie ihn aus der Fassung gebracht. »Sie sind schon immer eine äußerst offene Vertreterin des weiblichen Geschlechts gewesen, Miss Fairbourne«, sagte er mit fester Stimme. »Das ist eine Ihrer eher … bemerkenswerten Eigenschaften. Wenn ich lieber aufrichtig und pragmatisch sein soll – einverstanden. Ihr Vater hat Ihnen ein Geschäft hinterlassen. Es kann weiterbestehen, doch nur, wenn bekannt ist, dass es Eigentum eines Mannes ist und von einem Mann geführt wird. Niemand wird Fairbourne’s unterstützen, wenn eine Frau die Hauptverantwortliche ist. Ich schlage also vor, dass wir heiraten und ich den Platz Ihres Vaters einnehme. Sie können weiterhin das angenehme Leben führen, das Fairbourne’s Ihnen bisher ermöglicht hat, mit all der Sicherheit und dem Schutz.«
Um ihn nicht zu sehr zu beleidigen, gab sie vor, darüber nachzudenken. »Wie rücksichtsvoll von Ihnen, dass Sie mir zu helfen versuchen, Mr Nightingale. Unglücklicherweise glaube ich ganz und gar nicht, dass wir gut zusammenpassen.«
Sie wollte sich erheben, doch er blieb regungslos stehen. Als er sie nun von oben herab musterte, machte Mr Nightingale keinen charmanten Eindruck mehr. Nicht im Geringsten charmant.
»Ihre Entscheidung ist verantwortungslos und unvernünftig. Was nutzt es Ihnen, Fairbourne’s zu erben, wenn Sie die Geschäfte nicht weiterführen können? Die heutigen Einnahmen werden Sie nicht lange über Wasser halten. Und ich bezweifle, dass Sie eine bessere Partie als mich finden werden, wenn das bis jetzt nicht geschehen ist.«
»Vielleicht ist es ja schon geschehen.«
»Lassen Sie uns aufrichtig und pragmatisch sein, so, wie Sie es verlangt haben. Ihrem eigenen Bekunden nach sind Sie keine große Schönheit. Zudem sind Ihr Auftreten und Ihre sehr direkte Art dem romantischen Interesse eines Mannes kaum förderlich. Sie sind eigensinnig und manchmal zänkisch. Kurz gesagt, es gibt einen Grund dafür, dass Sie eine alte Jungfer sind, sogar mehr als einen. Ich bin bereit, über all das hinwegzusehen. Ich habe kein großes Vermögen, aber mit meinen Fähigkeiten kann ich dafür sorgen, dass Fairbourne’s weiterhin florieren wird. Das Schicksal führt uns auf Gedeih und Verderb zusammen, Miss Fairbourne, selbst wenn es die Liebe nicht tut.«
Sie fühlte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Dass sie eigensinnig war, gab sie zu. Aber zänkisch … das ging wirklich zu weit.
»Ich werde mich nicht über Ihre bemerkenswert vollständige Beschreibung meines Mangels an Attraktivität mit Ihnen streiten, Sir. Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass Sie überhaupt bereit sind, sich meiner zu erbarmen. Ich fürchte jedoch, dass Sie sich in einem wesentlichen Punkt irren und dass Ihre Opferbereitschaft schwinden wird, sobald ich Ihnen diesen erkläre. Denn es handelt sich um das Einzige, was in Ihren Augen für mich spricht. Sie halten mich für die Erbin meines Vaters. Das bin ich jedoch nicht. Selbstverständlich erbt mein Bruder. Wenn Sie mich heiraten, wird Ihnen Fairbourne’s also nicht gehören. Jedenfalls nicht lange.«
Er besaß die Unverfrorenheit, vor Ärger aufzustöhnen. »Ein toter Mann kann nicht erben.«
»Er ist nicht tot.«
»Beim Zeus, Ihr Vater hegte unrealistische Hoffnungen, doch dass auch Sie das tun, ist mir unbegreiflich. Ihr Bruder ist ertrunken, als sein Schiff sank. Er ist fast mit Sicherheit tot.«
»Seine Leiche wurde nie gefunden.«
»Weil das verdammte Schiff mitten auf dem verdammten Ozean gesunken ist.« Er nahm sich zusammen und sprach mit leiserer Stimme weiter. »Ich habe einen Anwalt zurate gezogen. In solchen Fällen besteht keine Notwendigkeit, ewig zu warten, um die Person für tot erklären zu lassen. Sie müssen nur zum Gericht gehen und …«
Dieser arrogante Kerl hatte es gewagt, sich zu erkundigen, wie sie ihren Anspruch auf das Vermögen geltend machen konnte, welches er zu heiraten gedachte. Er erwartete von ihr, seine Habgier zu befriedigen und ihre tiefe innere Gewissheit aufzugeben, dass Robert noch lebte. »Nein. Das werde ich nicht tun. Wenn Fairbourne’s überhaupt weiterbesteht, dann für Robert, wenn er zurückkommt.«
Stolz richtete er sich zu voller Größe auf. »Dann werden Sie verhungern«, sagte er pathetisch. »Denn wenn ich gehe, ohne dass Sie mein Angebot annehmen, werde ich nicht zurückkommen und dieses Geschäft für Sie am Laufen halten, geschweige denn für Ihren Bruder.«
Wütend blickte er sie an, überzeugt, dass sie den Fehdehandschuh nicht aufnehmen würde. Sie starrte zurück, während sie in Gedanken überschlug, welche Schwierigkeiten sein Rückzug ihr bescheren würde. Möglicherweise ziemlich große, musste sie sich eingestehen.
»Obediah wird ausrechnen, was wir Ihnen schuldig sind. Sobald die heutigen Zahlungen eingehen, senden wir Ihnen Ihren Lohn zu. Guten Tag, Mr Nightingale.«
Mr Nightingale drehte sich auf dem Absatz um und marschierte aus dem Lagerraum. Emma bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Mit dem Erfolg der heutigen Auktion hatte sich eine Tür in die Zukunft geöffnet, doch eine andere war zugefallen, weil sie ihren Auktionsleiter verloren hatte.
Müdigkeit drohte sie zu überwältigen. Und Beschämung angesichts der Dreistigkeit, mit der Mr Nightingale ihre Makel beschrieben hatte. Es hatte geklungen, als stünden noch schlimmere Fehler auf seiner Liste, die er nur aus beispielhaftem Taktgefühl nicht genannt hatte.
Es gibt einen Grund dafür, dass Sie eine alte Jungfer sind. Damit hatte er sicherlich recht. Sie war vor allem deshalb eine alte Jungfer geworden, weil bisher alle Heiratsanträge mehr oder weniger dem von heute geähnelt hatten. Die Männer hätten ebenso gut sagen können: »Ich bin überhaupt nicht daran interessiert, Sie zu heiraten, aber wenn ich dafür Fairbourne’s erbe, nehme ich es eben in Kauf.«
Vermutlich sollte sie nicht einmal etwas dagegen haben. Doch das hatte sie.
Ein Klopfen an der Tür erregte ihre Aufmerksamkeit. Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, und Obediah steckte den Kopf herein. »Besuch für Sie, Miss Fairbourne.«
Bevor sie fragen konnte, wer der Besucher war, schwang die Tür weit auf. Der Earl of Southwaite trat mit energischen Schritten ein, und eine unsichtbare Sturmwolke schien über seinem dunklen Kopf zu schweben.
Ein arroganter Mann ging, der nächste kam. Eigentlich hätte Southwaite wissen müssen, dass sie ihn nicht sehen wollte. Es war ein anstrengender und herausfordernder Tag gewesen, und sie war nicht in der Stimmung, sich mit ihm zu messen.
Bei seinem Anblick unterdrückte sie den Drang zu stöhnen. Dann stand sie auf und deutete einen Knicks an. Sie zwang sich, zu lächeln und ihre Stimme melodisch und nicht matt klingen zu lassen.
»Guten Tag, Lord Southwaite. Wir fühlen uns geehrt, dass Sie Fairbourne’s heute einen Besuch abstatten.«
Emma Fairbourne schien nicht im Geringsten verlegen zu sein, als sie ihn begrüßte. Sie saß hinter dem großen Schreibtisch im Lagerraum und lächelte ihn strahlend an. Sie benahm sich, als hätte er sein Pferd erst vor wenigen Minuten draußen angebunden.
»Tatsächlich? Ich bin es nicht gewohnt, von jemandem geschnitten zu werden, der sich geehrt fühlt, Miss Fairbourne.«
»Glauben Sie, dass ich Sie absichtlich übersehe, Sir? Dann entschuldige ich mich. Wenn Sie an der Auktion teilgenommen haben, habe ich Sie tatsächlich nicht gesehen. Die guten Wünsche und Beileidsbekundungen der Gäste haben meine ganze Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch genommen.« Sie rutschte auf ihrem Stuhl näher an den Schreibtisch heran. »Und ist es nicht eine Sache des gesellschaftlichen Umgangs, jemanden absichtlich zu übersehen? Wenn ich es versäumt habe, Ihre Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen, verstehe ich nicht, wie ich Sie hätte schneiden können, denn wir pflegen keinen gesellschaftlichen Umgang.«
Er hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Ob Sie mich gesehen haben oder nicht, spielt keine Rolle. Sicherlich sehen Sie mich aber jetzt.«
»Natürlich. Ich bin schließlich nicht blind.«
»Und als wir uns das letzte Mal gesehen haben, habe ich Sie darüber informiert, dass ich die Zukunft von Fairbourne’s prüfen und Ihnen innerhalb eines Monats meine Pläne für den Verkauf darlegen würde.«
»Ja, ich glaube, Sie haben dahingehend etwas gesagt. Ich kann es nicht beschwören. Damals fühlte ich mich ein wenig überrumpelt.«
»Das ist verständlich.« Sie war mehr als überrumpelt gewesen. Sie schien bereit zu sein, ihn umzubringen, so wütend war sie. Ihr Gefühlszustand war der Grund, warum er seine Berechnungen verschoben hatte. Das war eindeutig ein Fehler gewesen.
»Ich bezweifle, dass Sie das verstehen, Sir. Aber bitte, fahren Sie fort. Ich glaube, Sie wollten mich gerade belehren. Oder ausschimpfen. Schwer zu sagen, was von beidem es war.«
Verdammt, wie ihn diese Frau ärgerte. Da saß sie, und ihre Gelassenheit erschien ihm verdächtig. Aus der Art, wie Nightingale aus dem Raum gestürmt war, folgerte er, dass sie bereits in den Genuss einen ordentlichen Streits mit dem Mann gekommen war und nun die nächste Auseinandersetzung suchte.
»Weder Belehrung noch Tadel stehen Ihnen bevor. Ich versuche nur zu erklären, was Sie vielleicht an jenem Tag in der Anwaltskanzlei nicht gehört haben.«
»Alles Wichtige habe ich vernommen. Es war ein Schock für mich zu erfahren, dass mein Vater Ihnen vor drei Jahren die Hälfte der Anteile an Fairbourne’s verkauft hat, das gebe ich zu. Ich habe mich jedoch damit abgefunden, also ist keine weitere Erklärung nötig.«
Schnell ging er vor dem Schreibtisch auf und ab und versuchte abzuschätzen, wo sie mit ihren Gedanken und Gefühlen wirklich war. Ein Stoß Bilder lehnte an einer Wand und begrenzte seine Schritte in der einen Richtung, ein Tisch mit Silbergeschirr behinderte ihn auf der anderen Seite, sodass er sich in einem kleinen, unbefriedigenden Kreis drehte. Das Schwarz ihres Kleides sprang ihm ins Auge. Natürlich, sie trauerte noch. Die Erkenntnis dämpfte seinen schwelenden Zorn mehr als alles andere.
Nun, das stimmte nicht ganz. Ambury hatte recht damit, dass Emma Fairbourne zwar keine große Schönheit war, trotzdem aber etwas Besonderes an sich hatte. In der Anwaltskanzlei war es offensichtlich gewesen, und auch hier trat es deutlich zutage. Es hatte wahrscheinlich viel mit ihrer Direktheit zu tun. Die Art, wie sie auf jede Künstlichkeit verzichtete, schuf eine seltsame … Vertrautheit.
»Sie haben mich nicht über die heutige Auktion informiert«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass das ein Versehen war. Dabei habe ich Ihnen damals gesagt, dass ich über alle Vorgänge unterrichtet zu werden wünsche.«
»Verzeihung. Wir haben beschlossen, keine Einladungen zu versenden, weil es keine große Vernissage geben sollte. Dabei habe ich nicht daran gedacht, spezielle Vorkehrungen für Sie als einen unserer besonders illustren Kunden zu treffen.«
»Ich bin nicht nur ein Kunde. Ich bin einer der Eigentümer.«
»Nun, ich nahm an, Sie wollten nicht, dass das allgemein bekannt wird. Es riecht so schnell nach Arbeit, wenn man mit anfasst. Und Ihnen als Einzigem unter allen Angestellten so viel Aufmerksamkeit zukommen zu lassen … nun, ich dachte, es wäre Ihnen lieber, wenn ich das vermeide.«
Er musste zugeben, dass das in gewisser Weise Sinn ergab. Verdammt, sie war ein heller Kopf.
»In Zukunft brauchen Sie sich nicht um so große Diskretion zu bemühen, Miss Fairbourne. Dafür gibt es keinen Grund mehr. Die letzte Auktion ist abgehalten worden, wenn auch ohne meine Erlaubnis.«
Bei dem Wort Erlaubnis blinzelte sie zweimal, doch das war ihre einzige Reaktion darauf.
»Der Verkauf scheint gut verlaufen zu sein«, sagte er, blieb vor ihr stehen und versuchte, weniger streng zu klingen. »Der Ertrag sollte ausreichen, um Sie bis zum Verkauf des Geschäfts zu versorgen, nehme ich an. Beim Katalog haben die Mitarbeiter vorbildliche Arbeit geleistet. Ich habe keine offensichtlichen Fehler bei den Bewertungen gefunden. Mr Nightingales Schätzungen vermutlich?«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Wurde weicher. Trauriger. Genau wie ihre Stimme. »Eher Obediahs Schätzungen, weniger die von Mr Nightingale. Obediah hat meinem Vater oft beim Katalog geholfen, wie bei vielen anderen Dingen auch. Er hat einen exzellenten Blick. Allerdings, um ehrlich zu sein … der Großteil des Verzeichnisses wurde schon vor Papas Tod erstellt. Diese Auktion war fast vollständig vorbereitet und konnte sofort beginnen.«
Sie musterte ihn unverwandt. So unverwandt, dass ihr Blick seine Seele zu berühren schien. In einem Moment, der sich in die Unendlichkeit zu dehnen schien, zerstoben all seine Gedanken unter diesem Blick.
Er ertappte sich dabei, dass er Kleinigkeiten bemerkte, die er zuvor allenfalls flüchtig wahrgenommen hatte. Dass ihre Haut in dem Licht, das durch das Fenster hereinfiel, wie mattes Porzellan wirkte und vollkommen makellos war. Dass die Farbe ihrer Augen aus so vielen Schichten zu bestehen schien, dass er ihr tatsächlich in die Seele zu blicken glaubte. Dieses schlicht geschnittene schwarze Kleid, das dank der hohen Taille und des breiten Bandes unter ihren Brüsten Formen erahnen ließ, die im besten Sinne weiblich waren und …
»Ich hielt es für sinnlos, all diese Einlieferungen an die Verkäufer zurückzugeben, wenn ich nur die Türen öffnen und Obediah tun lassen musste, worauf er sich so gut versteht.«
»Natürlich«, hörte er sich murmeln. »Das ist verständlich.«
»Es erleichtert mich, das aus Ihrem Mund zu hören, Lord Southwaite. Als Sie gerade hereinkamen, wirkten Sie verärgert. Ich hatte schon befürchtet, dass irgendetwas Ihr Missfallen erregt hat.«
»Oh, nein. Ganz und gar nicht. Überhaupt nicht.«
»Nun, das ist wirklich gut zu wissen.«
Er bemühte sich, die Fassung wiederzugewinnen, nahm seinen Verstand zusammen und verabschiedete sich von Miss Fairbourne. »Ich verlasse die Stadt«, sagte er. »Wenn ich zurückkomme, werde ich Sie aufsuchen, um über … diese andere Sache mit Ihnen zu sprechen.« Es fiel ihm schwer, sich zu erinnern, worum es sich bei dieser anderen Sache handelte.
»Natürlich, Sir.«
Er kehrte in den Ausstellungssaal zurück. Ambury tauchte auf und ging im Gleichschritt neben ihm her.
»Können wir endlich los?«, fragte Ambury. »Wir verspäten uns um mindestens eine Stunde bei dem Treffen mit Kendale, und du weißt, wie er sein kann.«
»Ja, lass uns gehen.« Zur Hölle, ja.
»Hast du dich mit der Lady einigen können, so wie du es angekündigt hast?«
Darius erinnerte sich undeutlich, polternd etwas Derartiges von sich gegeben zu haben, bevor er in den Lagerraum geplatzt war. Nun, da ihm seine Gedanken wieder gehorchten, ordnete er die Dinge, die danach geschehen waren.
»Natürlich habe ich das, Ambury. Wenn man standhaft ist, kann man immer zu einer guten Einigung kommen, besonders mit Frauen.«
Doch als er auf sein Pferd stieg, gestand Darius sich die Wahrheit ein. Irgendwie war es Miss Fairbourne gelungen, den Spieß umzudrehen. Brüllend wie ein Löwe war er in das Lager hineingestürzt, blökend wie ein Lamm war er herausgekommen.
Er gab es äußerst ungern zu, aber dieser Frau war es heute gelungen, ihn zum Narren zu machen.
»Wir werden nicht lügen, Obediah. Wir erlauben den Leuten nur, das zu glauben, was sie ohnehin zu glauben geneigt sind. Ohne Sie gelingt mir das nicht. Sie haben eine Versteigerungserlaubnis, und mir werden die Behörden niemals eine erteilen.«
Obediah wirkte nur auf dem Rednerpult tüchtig und bedeutend. Sobald er den Hammer zur Seite legte, wurde aus ihm ein blasser, kleiner Mann mit bescheidenem Auftreten und großen Augen, die ihn fortwährend erstaunt wirken ließen. In diesem Moment drückten diese Augen sein Unbehagen über den kleinen Schwindel aus, den Emma ihm gerade erläuterte.
Die Stille dehnte sich. Während Obediah seinen Schock angesichts ihrer ungewöhnlichen Bitte verdaute, nahm Emma ein kleines, gerahmtes Ölgemälde in die Hand, das an der Wand des Lagerraums lehnte.
»Der Eigentümer behauptet, dass es sich um eine Skizze von Angelica Kauffman handelt«, sagte sie nachdenklich und kippte das Bild ein wenig, damit mehr Licht auf die Oberfläche fiel. »Ich bin geneigt, das zu glauben, genau wie mein Vater. Es ist gut genug ausgeführt, und es entspricht ihrem Stil. Sind Sie damit einverstanden, es ihr zuzuschreiben?«
»Um das zu beurteilen, kenne ich mich nicht gut genug aus, Miss Fairbourne. Und darum funktioniert Ihr Vorschlag nicht. Ich kann Ihnen nicht den Unterschied zwischen einem Tizian und einem Rembrandt sagen, und wenn Sie mir eine Pistole an die Schläfe halten. Gar nicht zu reden von einem Gemälde dieser Frau.«
»Aber ich kann es. Was die Bilder betrifft, die schon am Lager sind: Papa hat sie schon begutachtet, ihr Wert steht also fest.«
Angst und Schrecken, große Bestürzung. »Haben Sie etwa vor, noch eine Auktion abzuhalten? Ich nahm an, dass Sie gestern nur die besseren Bilder genommen haben, damit die schwächeren nicht den Wert der gesamten Versteigerung mindern. Ich wollte sie gerade den Eigentümern zurückgeben.«
»Ich habe weitere Bilder ausgewählt, um eine hervorragende Auktion zustande zu bringen. Wenn wir schon schließen müssen, dann mit Glanz und Gloria und nicht mit drittklassigen Werken, wie sie bei der gestrigen Versteigerung angeboten wurden.«
Mit Obediah im Schlepptau kehrte Emma in den Ausstellungssaal zurück. Die Wände waren jetzt leer, denn die Gemälde befanden sich auf dem Weg zu ihren neuen Eigentümern.
»Das macht einen sehr merkwürdigen Eindruck. Alle haben geglaubt, dass gestern die letzte Auktion abgehalten wurde. Und nun soll es eine weitere letzte Versteigerung geben«, murmelte Obediah.
»Es handelt sich nicht um noch eine letzte Auktion, sondern um den zweiten Teil der gestrigen. Viele Werke, die wir dabei versteigern werden, sind erst gestern eingeliefert worden.«
»Also ist es der letzte Teil der letzten Auktion?« Obediah war ein einfacher Mann, und die Frage von nicht ganz endgültigen Endgültigkeiten machte ihm schwer zu schaffen.
Tatsächlich würde es vielleicht in den kommenden Jahren überhaupt keine letzte Auktion geben, wenn sie ihre Pläne verwirklichen konnte. Sie hatte beschlossen, dass Fairbourne’s für ihren Bruder und zum Andenken ihres Vaters weiterbestehen sollte. Verwirrt wie Obediah bereits war, würde sie ihn jedoch im Augenblick nicht mit weiteren Einzelheiten belasten.
»Miss Fairbourne, ich verstehe mich darauf, Gebote auszurufen, ob für Kunstwerke oder für Fisch, aber das ist auch schon alles. Ihr Vater hat die Ware hereingeholt und ihre Echtheit bestätigt. Er hat sich auch um die Finanzen und Verzeichnisse gekümmert. Auf keinen Fall kann ich seinen Platz auf die Art und Weise einnehmen, wie Sie es wünschen.«
»Aber ich kann es, Obediah. Ich habe meinem Vater mehr geholfen, als Sie glauben. Ich habe an seiner Seite viel gelernt. Genau wie Robert bin ich bei ihm in die Lehre gegangen.« Sie empfand einen Anflug von Panik, denn Obediah wirkte zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, halsstarrig. »Ich kann uns durchbringen, aber nur, wenn Sie die Leute glauben lassen, dass Sie das Unternehmen jetzt führen. Alles, was ich will, ist eine kleine List, denn niemand wird der Geschäftsführung einer Frau vertrauen.« Sie hörte, wie ihre Stimme einen flehenden Unterton annahm. »Ich bin sicher, mein Vater hätte gewollt, dass es Fairbourne zumindest eine Weile lang noch gibt.«
Mit den Händen deutete sie auf die Saaldecke und die Wände, auf all das, was ihr Vater aufgebaut hatte. Es wäre furchtbar, wenn von einem Augenblick zum anderen alles vorbei wäre. Bei der bloßen Vorstellung wurde sie todtraurig. Sie fürchtete sich bei dem Gedanken, dass ihr Bruder Robert nach Hause kam und feststellen musste, dass der größte Teil seines Erbes vernichtet war. Auch der Gedanke, das Geschäft aufzugeben, Papas größte Errungenschaft, war unerträglich.
Einige Jahre zuvor hatte ihr Vater dieses Grundstück gekauft und die Gründung des Auktionshauses Fairbourne’s verkündet. Der Standort nahe der Piccadilly Street machte es der feinen Gesellschaft leicht, an den großen Vernissagen und Versteigerungen teilzunehmen, und der riesige Ausstellungssaal strahlte Stolz und Würde aus, sei es hinsichtlich seiner Ausmaße, der Dekoration oder der hohen, großen Fenster an der Nordseite. Der Umzug hierher hatte ihnen bessere Ware eingebracht, höhere Gebote und ein ausgezeichnetes Prestige.
Sie erinnerte sich, wie aufgeregt sie und ihr Bruder zugesehen hatten, als die Zwischendecke zum zweiten Stock durchbrochen wurde, damit der Saal seine hohe Decke erhielt. Robert hatte sie beinah an jedem Abend in der Kutsche hergebracht, damit sie die Fortschritte sehen konnte. Bei diesen Fahrten erfreute er sie mit seinen Zukunftsträumen für Fairbourne’s. Manchmal hielt Papa kleinere Auktionen wie die, die gestern stattgefunden hatte, selbst ab, oder er versteigerte ganze Sammlungen und weniger kostspielige Objekte. Robert hatte jedoch ehrgeizigere Pläne, und er sah in Fairbourne’s ein Haus, das in jeder Weise mit Christie’s konkurrieren konnte.
Bald waren sie auf dem besten Weg, diesen Status zu erlangen. Das erste Jahr in diesen Räumen – das letzte vor Roberts Verschwinden – war das beste, soweit sie sich erinnern konnte, voller Optimismus, guter Nachrichten und mit einem nicht abreißenden Strom eindrucksvoller Einlieferungen.
Im Geiste sah sie Vater und Bruder so deutlich in diesem großartigen Saal vor sich, als wären sie wirklich anwesend. Plötzlich wurde ihr klar, dass dies der Grund sein musste, warum ihr Vater Anteile an Southwaite verkauft hatte. Er hatte das Geld für den prächtigen Saal verwendet. Diese Verbindung hatte sie zuvor nicht gesehen.
Als der Anwalt sie über die Teilhaberschaft informierte, hatte sie sich über Papa geärgert. Doch nun erfüllte die Erinnerung an jenes ruhmreiche Jahr ihr Herz mit süßer Wehmut, und sie verstand ihn besser.
Sie blickte Obediah an. »Was meinen Sie dazu, mein Freund? Entweder wir machen zusammen weiter, oder Fairbourne’s ist gestern sang- und klanglos untergegangen.«
Obediahs feuchte Augen schienen zu sagen, dass er in Gedanken genau wie sie in der Vergangenheit verweilte. »Wenn Sie so fest entschlossen sind, sollten wir es wenigstens versuchen, scheint mir«, sagte er. »Meine Auktionslizenz hat Ihr Vater bezahlt, stimmt’s? Dann ist es nur recht und billig, dass ich beim letzten Teil der letzten Versteigerung ausrufe.« Er lächelte mild. »Ich werde mein Bestes tun, damit es so wirkt, als wüsste ich mehr, als ich tatsächlich weiß. Aber ich bin sicher: Wenn jemand mich entlarven will, wird es ihm gelingen.«
»Niemand wird das versuchen, Obediah. Warum sollte jemand so etwas tun?«
Obwohl er nicht überzeugt zu sein schien, widersprach er nicht. »Ich nehme an, ich soll das Silber auspacken, das Sie weggelegt haben? Dann kann es in die Liste aufgenommen werden.« Und mit diesen Worten ging er zurück in den Lagerraum.
Emma schickte sich an, nach Hause zu gehen. Sie war erleichtert, weil Obediah bleiben und die neue Rolle übernehmen würde, die sie ihm zugedacht hatte. Auch würde niemand seine Fähigkeiten infrage stellen. Schließlich hatte er schon immer die Versteigerungen abgehalten. Niemand würde je erfahren, wie Fairbourne’s arbeitete und wer Experte auf welchem Gebiet war, wenn sie die Sache nur richtig angingen.
Nun, eine Person wusste es vielleicht doch, gestand sie sich wehmütig ein. Southwaite war möglicherweise bewusst, welche Mitarbeiter sich womit auskannten. Außerdem besaß er selbst genug Sachkenntnis, um einen Quacksalber von einem Kenner zu unterscheiden.
Sie musste ihr Möglichstes tun, um zu verhindern, dass er Fairbourne’s noch einmal aufsuchte. Mit etwas Glück würde er in Kent zu beschäftigt sein, um sich mit ihnen aufzuhalten.
»Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht«, sagte Emma und beendete ihren Bericht über die unangenehme Begegnung mit Mr Nightingale nach der Auktion.
Cassandra riss die blauen Augen weit auf. Die sehr dunklen Wimpern, die diese Augen umrahmten, ließen ihre Überraschung noch dramatischer wirken. Dasselbe galt für die vollen, roten, halb geöffneten Lippen.
Emma hatte beobachtet, welche Wirkung Cassandras erstaunter Gesichtsausdruck auf Männer hatte. Sie fragte sich, ob sie darauf ansprangen, weil sie dann wie ein verwirrtes kleines Mädchen aussah, obwohl sie das schon seit vielen Jahren nicht mehr war.
»Hat er dir seine Liebe gestanden?« Cassandra war nun sehr interessiert an der Geschichte und rückte näher.
»Er hat es versucht. Stell dir eine Stimme vor, die wie das Summen einer Fliege klingt und die vorhersehbare Worte mit einer Begeisterung ausspricht, als hätte er sie für die Schule auswendig gelernt. Ich habe ihn zum Schweigen gebracht und darauf bestanden, dass wir einander nicht mehr Gefühl vorspielen, als wir je empfunden haben.«
Emma nahm eines der Colliers in die Hand, die auf Samtstoff gebettet auf ihrem Esszimmertisch lagen, und betrachtete es genau, während sie ihre Geschichte zu Ende erzählte. »Danach blieb von all dem nur noch ein trostloser, sachlicher Antrag übrig. Am Ende drohte er mir damit, seine Stelle bei Fairbourne’s aufzugeben, wenn ich ihn nicht heirate.«
Voller Mitgefühl blickte Cassandra sie an. »Mr Nightingale ist sehr attraktiv. Er macht eine gute Figur und kommt gut mit der feinen Gesellschaft zurecht. Vermutlich hat er geglaubt, dass du seinen Antrag begrüßen würdest.«
»Begrüßen? Du unterschätzt seinen Dünkel. Er nahm an, dass ich als alte Jungfer mich ob eines solch guten Fanges glücklich schätzen, ja in Verzückung geraten würde, obwohl ich ihm nie Anlass zu der Annahme gegeben habe, dass ich ihn überhaupt bevorzuge.«
»Du redest, als würde dir all das nichts ausmachen, aber du wirst rot dabei«, sagte Cassandra. »Ich glaube, sein Antrag hat dich nicht nur wegen der Anmaßung verärgert, die dahintersteckt.«
Emma drehte die winzigen Glieder einer zarten Halskette zwischen den Fingern hin und her. »Er nahm außerdem an, dass ich Anspruch auf den Nachlass meines Vaters erheben würde«, gab sie zu. »Er dachte, dass er einer reichen Erbin einen Heiratsantrag macht. Als ich ihn von diesem Irrtum befreite, versuchte er mich mit grausamen und barschen Worten vom Tod meines Bruders zu überzeugen.«
Cassandra schürzte die Lippen wie jemand, der seine Worte hinunterschluckt. Da ihr Mund nicht klein und schmal war, verfehlte die Geste ihre Wirkung nicht.
»Willst du mir etwas sagen? Dann halte dich meinetwegen nicht zurück«, sagte Emma.
»Ich will nichts sagen. Aber wenn ich es wollte, würde ich vielleicht ein wenig mit dir schimpfen. Es ist nicht fair, einem Mann böse zu sein, weil er glaubt, dass jemand auf einem sinkenden Schiff nicht überlebt hat. Sein Standpunkt ist unbestreitbar logisch.«
»Ich habe ihm – genau wie dir – viele Male erklärt, dass die fragliche Person in diesem Fall überlebt hat.«
»Bitte beruhige dich, Emma. Fahr fort und erzähl mir, wie dieser Heiratsantrag ausgegangen ist.«
»Danach war es glücklicherweise schnell vorbei. Er ist ohne Anstellung und ohne reiche Verlobte gegangen, und ich bin ohne zukünftigen Ehemann und Auktionsleiter zurückgeblieben. Letzteren Verlust werde ich noch schmerzlich spüren.«
Cassandra wirkte nicht annähernd so mitfühlend, wie ihre Freundin es von ihr erwartete. »Emma, hättest du nicht dafür sorgen können, dass er bleibt, zumindest bis zur nächsten Versteigerung? Hättest du deine Entscheidung für oder gegen seinen Heiratsantrag nicht aufschieben können?«
»Du meinst, ich hätte ihn zappeln lassen sollen.«
»Du hättest ihm seine Hoffnung lassen und deine Gefühle überprüfen können, das meine ich.«
»Ich weiß bereits, was ich fühle. Es wäre unaufrichtig gewesen, ihn glauben zu lassen, dass eine Heirat infrage kommt.«
»Ich vermute, Mr Nightingale hätte sich mit weniger zufriedengegeben. Schon die Aussicht, wenn nicht deine Hand, dann wenigstens deine Zuneigung zu gewinnen, hätte ihn zum Bleiben bewegen können.«
»Damit willst du hoffentlich nicht andeuten, dass ich mit ihm hätte flirten sollen.«
Cassandra lachte. »Du sagst das, als wäre es ein Verbrechen. Ich weiß, du glaubst, dass offene Worte am besten sind, aber ein bisschen flirten ist doch harmlos. Du solltest es mal versuchen. Wirklich, das solltest du. Es würde dir guttun. Schließlich ist Mr Nightingale dafür bekannt, dass er zur rechten Zeit mit den richtigen Mitteln zu umgarnen versteht, und ein paar seiner Schmeicheleien wären dir vielleicht auch gut bekommen.«
Emma beherrschte noch nicht die Kunst, die subtile Vieldeutigkeit von Cassandras Worten zu entschlüsseln, und manchmal deutete sie sie falsch. »Du meinst damit nicht seine verbalen Schmeicheleien, stimmt’s?«
»Solange seine Geliebten an seine Bewunderung glauben können, bezweifle ich, dass es ihnen darauf ankommt, auf welche Weise er sie zum Ausdruck bringt.«
Emma spürte, dass ihr Gesicht heiß wurde. Cassandra redete nun über Dinge, von denen Emma kaum etwas wusste. Sie hatte ein Alter erreicht, in dem sie sich manchmal selbst über ihren Mangel an Erfahrung ärgerte.
»Ich bin an den Schmeicheleien dieses Mannes nicht interessiert, egal, welcher Art sie sind. Und was Bewunderung betrifft – er hat deutlich gesagt, dass er mich nicht bewundert. Bitte erspare mir die Demütigung zu beschreiben, wie deutlich.«
Cassandras Augen funkelten schelmisch. »Dann müssen wir einen anderen Mann für dich finden, einen, der nicht so dumm ist, dich zu beleidigen, wenn er deine Gunst gewinnen will.«
»Du wirst nichts dergleichen tun, Cassandra. Für solch albernen Zeitvertreib bin ich viel zu beschäftigt. Und jetzt genug davon. Lass uns über deine bemerkenswerten Juwelen reden.«
»Wenn du darauf bestehst. Aber ich freue mich auf den Tag, an dem du herausfindest, dass man davon nie genug kriegen kann.«
»Cassandra!«
»Oje! Ich habe dich schockiert. Ja, lass uns ein langweiliges Gespräch über meine katastrophale finanzielle Lage und meine einzige Hoffnung führen, wie ich den Untergang abwenden kann.« Cassandra blickte auf die Sammlung hinunter, die sie mitgebracht hatte. Die Juwelen bedeckten den Tisch wie ein Beet intensiv gefärbter, glitzernder Blumen. »Ich werde weinen, wenn sie verkauft werden, aber ich habe keine Wahl, will ich nicht in das Haus meines Bruders zurückkehren und dort das eintönigste Leben führen, das du dir vorstellen kannst.«
»Ich weiß, dass deine Tante dir einige dieser Schmuckstücke geschenkt hat. Wird sie nicht zornig sein, wenn sie hört, dass du sie verkauft hast?«
»Ich habe ihr von meinem Vorhaben berichtet, und sie hat mich in der Frage beraten, welche Stücke ich einliefern soll. Ich hoffe, du kannst die zweitausend erzielen, die dein Vater veranschlagt hat.«
»Da du mir erlaubt hast, alles noch aufzubewahren, denke ich, dass es mir gelingen wird. Gestern wäre dein Schmuck verschwendet gewesen, aber er wird das Glanzstück der nächsten Auktion sein und sollte wenigstens diesen Betrag einbringen.«
Cassandra wirkte skeptisch. »Du bist also ganz sicher, dass es noch eine Versteigerung geben wird? Auch ohne Mr Nightingale?«
»Aber ja. Obediah bleibt bei Fairbourne’s. Ich werde auch die anderen Objekte für die Ausstellung vorbereiten und um weitere Einlieferungen werben. Ich tue, was ich kann, um dich nicht zu enttäuschen.«
Emma meinte, was sie sagte, doch ihre Worte erinnerten sie daran, wie viel in den nächsten Wochen noch zu tun war. Sie musste das Auktionsangebot mit weiteren Einlieferungen aufbessern und Raritäten anbieten, um das Interesse der besten Kunden zu wecken. Alles musste vor dem Ende der Saison fertig sein, damit die feine Gesellschaft noch in London war, wenn die Auktion abgehalten wurde.
»Willst du den Schmuck mit nach Hause nehmen und ihn bis zum Verkauf behalten?«, fragte Emma, während sie den Samtstoff zusammenrollte, der jedes Objekt schützend umhüllte.
»Es war schwer genug, sie heute herzubringen. Wenn ich es noch einmal tun muss, kann ich mich vielleicht nicht mehr dazu entschließen.«
»Dann komm mit. Ich zeige dir, wie sicher sie aufbewahrt werden.«
Emma trug das Kästchen mit den kleinen Rollen darin die Treppe hinauf und in die Wohnstube ihres Vaters. Als sie sich der Tür näherte, verlangsamte sie ihre Schritte. Sie hielt sich nicht mehr gern in Papas Wohnung auf. Bei jedem kurzen Besuch schnitt ihr der Kummer ins Herz wie ein feingeschliffenes Schwert.
Als sie eingetreten war, blieb sie stehen und versuchte die Fassung zu wahren.
Sie hatte ihren Vater nur selten in seiner Schlafkammer aufgesucht, doch sie hatte ihn oft in diesem kleinen Vorraum gesehen. Die Wand voller Bücherregale machte die Kammer zu einer winzigen Privatbibliothek, und Papa hatte häufig große Folianten auf dem Fußboden ausgebreitet, in denen sich Kupferstichkopien von Gemälden befanden. Oft hatte sie ihn angetroffen, wenn er auf Händen und Knien über mehrere aufgeschlagene Büchern gebeugt war und sie so nach pikanten Informationen über einen Künstler durchstöberte, dessen Werke eingeliefert worden waren. Häufiger noch saß er an dem kleinen Schreibtisch an der Wand gegenüber den Bücherregalen und kritzelte mit der Feder Briefe an seine Sammler.
In diesem kleinen Zimmer hatte er ihr gesagt, dass Roberts Schiff gesunken war, und er hatte ihr versprochen, dass ihr Bruder trotz dieser Tragödie eines Tage zurückkommen würde.
Sanft und liebevoll legte Cassandra die Arme um sie und erinnerte sie damit allzu sehr an die Umarmung ihres Vaters an jenem Tag. Emma akzeptierte die tröstende Geste, doch sie fühlte sich ihren Erinnerungen noch schutzloser ausgeliefert, und eine Weile berührte der Kummer sie tief im Innern. Dann nahm sie sich zusammen und brachte den Schmuck in die Schlafkammer ihres Vaters.
Die Kammer war altmodisch vertäfelt, und es gab einen guten Grund, warum sich das trotz neuer Moden der Raumdekoration niemals ändern würde. Emma näherte sich einer der Holztafeln, fand den versteckten Riegel und zog die Tafel von der Wand ab. Dahinter verbarg sich ein Kasten, der in die Wand geschoben worden war.
Der Schlüssel hing an einer langen Kette um ihren Hals. Sie zog ihn aus ihrem Mieder hervor, öffnete den Kasten und legte den Schmuck hinein.
»Siehst du, schon ist alles versteckt und verschlossen.« Sie drehte sich zu Cassandra und sah, dass ihre Freundin sie nachdenklich beobachtete.
»Du wirkst so stark und flößt so viel Vertrauen ein, dass es leichtfällt, die gewaltige Aufgabe zu übersehen, die du dir selbst gestellt hast, Emma. Es ist eine gute Nachricht, dass Obediah weiterhin ausruft, denn du kannst es mit Sicherheit nicht tun. Aber selbst wenn Mr Nightingale nicht unverzichtbar ist – durch den Tod deines Vaters bist du doch stärker auf ihn angewiesen als in der Vergangenheit.«
»Ich glaube, dass du seine Bedeutung überschätzt, genau wie er selbst.«
»Emma, es gibt Damen, die die Einlieferungen als Vorwand genommen haben, um ihn zu sehen und sich von einem gut aussehenden Mann annehmbarer Herkunft umschmeicheln zu lassen.«
»Ich hoffe, diesmal meinst du die übliche Art von Schmeichelei.«
»Sagen wir einfach, dass du seinen Platz genauso wenig einnehmen kannst wie den von Obediah auf dem Pult. Trotz seines unangemessenen Antrags hättest du ihn überzeugen müssen zu bleiben.«
»Ich konnte ihm nicht erlauben zu bleiben.«
»Dann musst du einen anderen gut aussehenden Mann von annehmbarer Herkunft einstellen, der seinen Platz einnimmt«, sagte Cassandra. »Lass uns nach unten gehen und eine Zeitungsannonce für einen neuen Auktionsleiter aufsetzen.«
Eine halbe Stunde später erhob Emma sich vom Schreibtisch in der Bibliothek und überreichte Cassandra den ersten Entwurf einer Annonce. »Ich will nicht öffentlich anzeigen, dass Fairbourne’s Bewerber sucht, also zähle ich die Anforderungen auf, ohne das Unternehmen oder auch nur das Gewerbe zu nennen. Aber so müsste es gehen, was meinst du?«
Cassandra las, was auf dem Blatt Papier stand. »Das ist ausgezeichnet, wenn du eine Stelle für einen Pfarrer anzubieten hast.«
Emma riss Cassandra den Zettel aus der Hand. »Ich finde, es ist mir gut gelungen.«
»Du suchst nicht irgendjemanden für irgendeine Stelle, Emma. Es muss reizvoller klingen, sodass fähige Männer es interessant finden.« Cassandra stand auf, nahm die Anzeige wieder an sich und ging zum Schreibtisch. Dort setzte sie sich, warf die langen schwarzen Locken über die Schultern zurück und tauchte die Feder in die Tinte ein. »Erstens müssen wir das Wort fleißig streichen. Das klingt nach Zwangsarbeit.«
»Ich dachte nur …«
»Ich weiß, was du dachtest. Ehrlicher Lohn für ehrliche Arbeit.« Cassandra strich das störende Wort durch. »Besonnen muss auch weg. Genau wie zurückhaltend. Kein Mann, den kennenzulernen sich lohnt, bezeichnet sich selbst als zurückhaltend.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Gut, dass ich hier bin und dir Rat geben kann, Emma. Wärst du dir selbst überlassen, würdest du bei einem sehr langweiligen, aber pflichtbewussten Mann landen, und das wird niemals funktionieren.«
Emma dachte, dass es hervorragend funktionieren würde. »Ich bin unschlüssig, ob ich Kunstkenntnisse aufführen soll. Es müsste eigentlich dort stehen, aber es soll nicht dazu führen, dass die Leute sich fragen, ob die Anzeige vielleicht von Fairbourne’s ist.«
»Warum nicht?«
Weil ein bestimmter Earl nichts von ihren Plänen erfahren sollte, darum nicht. Doch sie schwieg, denn nicht einmal Cassandra wusste von Southwaites Teilhaberschaft. Sowohl der Earl als auch Papa hatten damit hinter dem Berg gehalten, wahrscheinlich, weil es tatsächlich geradezu nach Arbeit roch, wie sie Southwaite gestern eindringlich in Erinnerung gerufen hatte.
Emma wusste nicht, wie sie mit dem Earl fertig werden sollte, wenn er von ihren Absichten erfuhr, doch möglicherweise würde sein Bedürfnis nach Verschwiegenheit ihr dabei helfen. Es würde das Beste sein, sich nichts zu verderben, was vielleicht von Vorteil sein konnte.
»Wenn bekannt wird, dass es sich um Fairbourne’s handelt, tauchen alle möglichen Leute hier auf und belagern wochenlang das Gebäude«, sagte sie. »Außerdem soll die Konkurrenz keinen Vorteil daraus ziehen, dass wir im Moment keinen Auktionsleiter haben.«
»Wir können den Hinweis auf Kunst herausnehmen. Ob ein Interessent wirklich etwas davon versteht, wirst du dann allerdings erst feststellen, wenn du ihn in ein Gespräch über das Thema verwickelst.« Cassandra schrieb mit der Feder eine weitere lange Zeile. »Jetzt müssen wir noch klarmachen, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Anstellung handelt. Junge Männer, die gut bei einem Herrenausstatter arbeiten könnten, brauchen sich nicht zu bewerben.« Cassandra tippte sich mit der Feder ans Kinn und kritzelte dann etwas aufs Papier.
Emma blickte ihr über die Schulter. »Vergnügliche Anstellung?«
»Dieser Mann wird an deinen Vernissagen teilnehmen und sich unter die Gäste mischen. Er wird mit den Gentlemen Brandy trinken und ein enger Freund hochwohlgeborener Damen werden. Wenn er …«
»Du hast keinen Beweis dafür, dass es je Intimität geben wird … oder gegeben hat«, sagte Emma verärgert.
»Er wird ein Vertrauter der Damen werden, wenn dir dieses Wort lieber ist. Ich will damit sagen, dass du die Annehmlichkeiten der Stelle verdeutlichen solltest. So ziehst du die Besten an, die du bekommen kannst.«
»Ich frage mich allmählich, wofür ich diese Person überhaupt bezahlen soll. Er sollte mich bezahlen, wenn ich bedenke, welche Chancen ihn erwarten.«
Cassandra lachte und schrieb weiter.
»Hier.« Sie legte den Stift ab. »Wie findest du es?«
Emma überflog das Blatt Papier, das nun zahlreiche Streichungen und Zusätze aufwies. Sie konnte nicht leugnen, dass die hierdurch entstandenen Anforderungen den Ersatz für Mr Nightingale sehr gut beschrieben, vor allem, weil sie Mr Nightingale selbst beschrieben.
»Ich werde dir den Namen eines Anwalts nennen, der als Mittelsmann fungieren wird. Er stellt sicher, dass offensichtlich ungeeignete Interessenten deine Schwelle nicht überschreiten«, sagte Cassandra.
»Ich glaube, du musst dabei sein, wenn ich mit irgendeinem der Männer spreche, die er mir schickt. Vielleicht sollte auch Mr Riggles da sein.«
»Ich glaube nicht, dass er etwas Positives beitragen kann. Wir wollen zwar nicht lügen, was die Stellung angeht, aber ich fürchte, Mr Riggles wird nicht den Ton treffen, der uns vorschwebt.«
»Willst du damit sagen, dass er vielleicht nicht einverstanden ist, wenn ich Fairbourne’s Zukunft uneingeschränkt optimistisch schildere?«
»Vielleicht wird er auch Einwände erheben, wenn wir andeuten, dass ein Leben mit immer größerem Prestige und Wohlstand vor uns liegt.«
Emma stellte sich Obediah bei den Vorstellungsgesprächen vor. Cassandra hatte recht. Er konnte sich nicht gut verstellen und würde nicht viel Nützliches beitragen. »Ich werde die Annonce Anfang nächster Woche drucken lassen. Wollen wir uns in einer Woche wieder hier treffen, um zu sehen, wer sich selbst in dieser Beschreibung wiedererkennt?«
»Es werden ziemlich viele sein, vermute ich«, sagte Cassandra. »Ich hoffe nur, dass einer davon zu dir passt und außerdem den nötigen Stil mitbringt.«
»Dass er zu Fairbourne’s passt, wolltest du wohl sagen.«
Abwesend fuhr sich Cassandra mit den Fingern durch die langen rabenschwarzen Locken. »Natürlich, das wollte ich sagen. Ganz genau.«