Regency Darlings - Ein Lord zum Verführen - Madeline Hunter - E-Book
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Regency Darlings - Ein Lord zum Verführen E-Book

Madeline Hunter

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Beschreibung

Der Scharfsinn einer Lady: Der turbulente Liebesroman »Regency Darlings – Ein Lord zum Verführen« von Madeline Hunter als eBook bei venusbooks. England im 19. Jahrhundert: Als die junge Phaedra Blair ein kleines Verlagshaus erbt, kommt ihr ein höchst verwegener Gedanke – warum nicht die Gelegenheit nutzen, um so die Skandale und Verfehlungen der feinen Londoner Gesellschaft öffentlich zu machen? Fest entschlossen, sich nicht den Mund verbieten zu lassen, überspannt sie den Bogen leicht und landet – sehr unladylike – in einer Arrestzelle! Und ausgerechnete der der unverschämt dreiste Lord Elliot Rothwell kauft sie frei. Phaedra ahnt, was er als Gegenleistung verlangen wird: Sie ist im Besitz eines Manuskripts, das pikante Geheimnisse seiner Familie enthüllt. Aber Phaedra ist nicht bereit, dem selbstverliebten Lord das wertvolle Manuskript einfach auszuhändigen und beschließt, ihm ein Schnippchen zu schlagen … Lady Whistledown bekommt Konkurrenz: »Hunters Liebesromane machen glücklich und lassen Fans sehnsüchtig auf das nächste Buch warten«, sagt Booklist. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die englische Familiensaga »Regency Darlings – Ein Lord zum Verführen« von Bestsellerautorin Madeline Hunter ist der zweite Band ihrer Regency-Reihe, in der alle Romane unabhängig voneinander gelesen werden können. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 482

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Über dieses Buch:

England im 19. Jahrhundert: Als die junge Phaedra Blair ein kleines Verlagshaus erbt, kommt ihr ein höchst verwegener Gedanke – warum nicht die Gelegenheit nutzen, um so die Skandale und Verfehlungen der feinen Londoner Gesellschaft öffentlich zu machen? Fest entschlossen, sich nicht den Mund verbieten zu lassen, überspannt sie den Bogen leicht und landet – sehr unladylike – in einer Arrestzelle! Und ausgerechnete der der unverschämt dreiste Lord Elliot Rothwell kauft sie frei. Phaedra ahnt, was er als Gegenleistung verlangen wird: Sie ist im Besitz eines Manuskripts, das pikante Geheimnisse seiner Familie enthüllt. Aber Phaedra ist nicht bereit, dem selbstverliebten Lord das wertvolle Manuskript einfach auszuhändigen und beschließt, ihm ein Schnippchen zu schlagen …

Lady Whistledown bekommt Konkurrenz: »Hunters Liebesromane machen glücklich und lassen Fans sehnsüchtig auf das nächste Buch warten«, sagt Booklist.

Über die Autorin:

Madeline Hunter studierte Kunstgeschichte und arbeitet heute als Lehrerin an einem College. Seit einigen Jahren schreibt sie außerdem mit großem Erfolg historische Liebesromane. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und sind regelmäßig auf den Bestsellerlisten der »New York Times« und »USA Today« vertreten. Bereits zweimal hat sie den begehrten RITA-Award der »Romance Writers of America« gewonnen. Madeline Hunter lebt mit ihrer Familie in Pennsylvania.

Die Autorin im Internet: www.madelinehunter.com

Madeline Hunter veröffentlichte bei venusbooks ihre »Regency Darlings«-Reihe mit den Bänden:

»Regency Darlings – Ein Lord zum Küssen«

»Regency Darlings – Ein Lord zum Verführen«

»Regency Darlings – Eine Lady zum Verlieben«

»Regency Darlings – Ein Marquis zum Träumen«

Sowie ihre »Regency Flowers«-Reihe mit den Bänden:

»Regency Flowers – Ein skandalöses Rendezvous«

»Regency Flowers – Die widerspenstige Braut«

»Regency Flowers – Eine Lady von zweifelhaftem Ruf«

»Regency Flowers – Lady Daphnes Verehrer«

***

eBook-Neuausgabe Juni 2022

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2007 unter dem Originaltitel »Lessons of Desire« bei Bantam Books, Bantam Dell, Random House, Inc., New York.. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Im Feuer der Leidenschaft« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2007 by Madeline Hunter

This edition published by arrangement with Dell, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96898-180-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Regency Darlings 2« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

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www.instagram.com/venusbooks

Madeline Hunter

Regency Darlings – Ein Lord zum Verführen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Eva Malsch

venusbooks

Kapitel 1

Wer ein Verbrechen begangen hat, muss seine Spuren verwischen. Auch dann, wenn sie von den besten Schuhen hinterlassen wurden, die man für Geld kaufen kann.

Um seine Spuren zu verwischen, kehrte Lord Elliot Rothwell in das Londoner Haus seiner Familie zurück, gemeinsam mit mehreren Gästen, die den Ball seines Bruders erst etwas verspätet besuchten. Dabei benahm er sich wie ein junger Mann, der nur für ein paar Minuten hinausgegangen war und die milde Luft der Mainacht genossen hatte.

Sobald er die Schwelle überquerte, schenkte der hochgewachsene, attraktive jüngste Bruder des vierten Marquess of Easterbrook – jener Gentleman, den man für den normalsten und umgänglichsten der Geschwister hielt – allen Anwesenden ein liebenswürdiges und den Damen ein besonders warmherziges Lächeln.

Eine Viertelstunde später machte Elliot mit Lady Falrith Konversation, und zwar ebenso lässig, wie er vorhin in den Ballsaal geschlendert war. Er schnitt erneut das Thema an, das sie zwei Stunden zuvor schon erörtert hatten. Weil er der Dame so charmant schmeichelte, vergaß sie, dass es bereits eine ganze Weile her war, da er sich entschuldigt hatte. Und schließlich achtete sie gar nicht mehr auf das Verstreichen der Zeit.

Während er sie umgarnte, blickte er sich im Gedränge des Ballsaals nach seinem Bruder um – nicht nach Hayden, der zusammen mit seiner neuen Gemahlin Alexia das Fest veranstaltete. Nein, er suchte Christian, den Marquess of Easterbrook.

Christian erwiderte Elliots Blick zwar nicht. Aber er hatte dessen Rückkehr durchaus bemerkt. Nun entfernte er sich von ein paar Gentlemen am anderen Ende des Raumes und ging zur Tür.

Ehe Elliot die Mission dieser Nacht erfüllen würde, tanzte er einen Walzer mit Lady Falrith. Das tat er als Buße, da er sie für seine Zwecke benutzt hatte, und um ihr für die unwissentliche Hilfe zu danken. Zum Glück besaß sie ein ziemlich vages Zeitgefühl und ein optimistisches Gedächtnis. Am nächsten Morgen würde sie glauben, er hätte sie die ganze Ballnacht voller Bewunderung umworben. Gewiss würde ihm ihr Vertrauen in die eigenen Reize helfen, sollten sich irgendwelche Verdachtsmomente bezüglich seiner Tätigkeiten an diesem Abend ergeben.

Nach dem Walzer entschuldigte er sich wieder. Im Gegensatz zu Christian, der die Tür allein und zielstrebig angesteuert hatte, wanderte Elliot langsam und lächelnd durch den Saal. Gelegentlich blieb er stehen, um ein paar freundliche Worte mit den Gästen zu wechseln, dann gesellte er sich zu seiner neuen Schwägerin Alexia.

»Ist das nicht ein grandioser Ball?« Während sie ein Lob von höchster Instanz erhoffte, schweifte ihr Blick durch den Saal.

»Ein Triumph, Alexia.« Das meinte er ernst. Ja, es war ein Triumph ihres bezaubernden Wesens, vielleicht sogar ein Triumph der Liebe.

Sie zählte nicht zu den Frauen, die Hayden nach den Vermutungen der Londoner Gesellschaft hätte heiraten sollen. Denn sie entstammte keiner vornehmen Familie, und sie besaß auch kein Vermögen. Außerdem hatte sie nie gelernt, sich zu verstellen, geschweige denn zu flirten. Trotzdem fungierte sie jetzt als Gastgeberin eines opulenten Balls, und zwar im Haus eines Marquess, das dunkle Haar kunstvoll frisiert. Ebenso wie ihr Diadem entsprach auch das Kleid der neuesten Mode. Das mittellose Waisenmädchen war die Frau eines Mannes geworden, der sie liebte, wie er nie zuvor jemanden geliebt hatte.

Zweifellos werden die beiden eine gute Ehe führen, dachte Elliot. Dafür würde seine Schwägerin sorgen. Wie es die Familiengeschichte bewies, war die Liebe für die Rothwell-Männer eine gefährliche Emotion. Aber die vernünftige, praktisch veranlagte Alexia würde die Liebe zu nutzen wissen und die Gefahr bannen. Er nahm an, sie habe gewiss schon mehrmals ein drohendes Unheil bezwungen.

Zusammen mit ihr bewunderte er den Erfolg des Abends. In einer Ecke des Saals hielt eine blasse kleine Frau Hof. Eine Feder zu viel schmückte die protzige Korona auf ihrem blonden Haar. Unentwegt beobachtete sie die Avancen, die einige Männer einem hübschen Mädchen in ihrer Nähe machten.

»Dieser Triumph ist dein Verdienst, Alexia«, betonte Elliot. »Aber ich glaube, meine Tante will die kostbarste Beute dieser Jagdsaison nach Hause mitnehmen.«

»Verständlicherweise freut sich deine Tante Henrietta über Carolines erste Saison. Seit ein paar Tagen bemühen sich immerhin schon zwei Aristokraten um die junge Dame, und ihre Mutter ist mir böse, weil ich diese Gentlemen nicht zu unserem Ball einladen wollte – obwohl sie es mir befohlen hatte.«

Tante Henriettas Groll interessierte Elliot nicht so sehr wie die Gästeliste. »Bisher habe ich Miss Blair nicht gesehen, Alexia. Kein schwarzes Kleid, kein ungekämmtes Haar. Hat Hayden dir verboten, die Dame einzuladen?«

»Keineswegs. Phaedra hält sich im Ausland auf. Vor zwei Wochen ist sie abgereist.«

Wenn er auch nicht neugierig erscheinen wollte ... »Im Ausland, sagtest du?«

In ihren violetten Augen funkelte es belustigt. Nun schenkte sie ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, auf die er angesichts des Gesprächsthemas allerdings lieber verzichtet hätte. »Erst Neapel, dann eine Fahrt durch den Süden. Ich habe ihr erklärt, du würdest eine Reise nach Italien in der Sommerhitze unklug finden. Aber sie möchte die Rituale und Feste während dieser Jahreszeit studieren.« Vertraulich neigte sie sich zu ihm. »Ich glaube, der Tod ihres Vaters hat sie schmerzlicher getroffen, als sie es zugibt. Und die letzte Begegnung mit ihm war sehr ... emotional. Wahrscheinlich unternimmt sie die Reise, um sich von ihrer Trauer abzulenken.«

Elliot bezweifelte nicht, dass ein Abschied am Sterbebett eines Vaters ziemlich emotional verlaufen konnte. Der Tod des eigenen Vaters hatte auch ihn in eine tiefe Verwirrung gestürzt.

Doch an diesem Abend erschienen ihm Miss Blairs Verbleib und ihre letzte Unterredung mit dem Vater etwas wichtiger. »Wenn du weißt, wo sie in Neapel abgestiegen ist, würde ich sie aufsuchen – falls sie noch immer dort wohnt.«

»Sie hinterließ die Adresse eines Hotels, in dem sie sich einquartieren wollte. Die hatte sie von einer Freundin bekommen. Sollte sie vor deiner Abreise nicht zurückkehren, wäre ich dir dankbar, wenn du dich um sie kümmern würdest. Manchmal führt ihr Unabhängigkeitsstreben zu einer Art Leichtsinn, und ich mache mir Sorgen.«

Nach seiner Ansicht würde es Phaedra Blair gewiss nicht schätzen, wenn sich jemand um sie sorgte. Aber es war immerhin sehr nett von Alexia.

»Ach, du meine Güte«, murmelte sie.

Als er ihrem Blick folgte, sah er, was sie bekümmerte. Tante Henrietta kam zu ihnen, mit heftig wippenden Federn. In den sonst so träumerischen Augen leuchtete eine wilde Entschlossenheit.

»Ich glaube, sie hat es auf dich abgesehen«, wisperte Alexia. »Nun solltest du aber verschwinden. Oder sie wird dir die Ohren volljammern und sich über Easterbrook beschweren, der mich zur Gastgeberin dieses Balls ernannt hat, ohne sie um Erlaubnis zu bitten. Offenbar hält sie sich für die Hausherrin, nur weil sie hier wohnt.«

Noch vor der Ankunft seiner Tante hatte er das Weite gesucht.

***

Durch den Dienstbotenkorridor eilte er zur Hintertreppe und zu Christians Suite hinauf, betrat den Salon und sah seinen Bruder in einem Polstersessel hängen. Der Blick, der ihn empfing, verriet ihm, dass der Marquess keineswegs so entspannt war, wie seine Körperhaltung es vorgab.

»Ich habe es nicht gefunden«, beantwortete Elliot die Frage in den dunklen Augen. »Wenn es weder in seinem Büro noch bei ihm zu Hause liegt, muss es gut versteckt sein.«

Mit einem abgrundtiefen Seufzer drückte Christian seinen Ärger über diese Angelegenheit aus, die ihn neuerdings daran hinderte, seine Tage so zu verbringen, wie es ihm beliebte. Womit er sich beschäftigte, wusste Elliot nicht. In letzter Zeit schien das niemand auch nur zu ahnen.

»Vielleicht hat er es verbrannt«, fügte Elliot hinzu, »weil er annahm, er würde bald sterben.«

»Wenn Merris Langton auch auf der Schwelle des Todes stand – der Wunsch, andere Leute zu schonen, passte doch nicht zu seinem Charakter.« Christian steckte einen Finger in seine vollendet geknotete Krawatte und lockerte sie ein wenig. An diesem Abend sah er großartig aus, jeder Zoll ein Aristokrat. Sämtliche Fasern seiner Kleidung bekundeten erstklassige Qualität. Trotzdem deutete die Geste an, wie sehr ihm der formelle Zwang des Abends missfiel, ebenso wie sein unmodisch langes, im Nacken zusammengebundenes Haar auf exzentrische Neigungen hinwies.

Elliot vermutete, sein Bruder würde die eleganten Symbole der Zivilisation am liebsten ignorieren und sich in die exotische Robe hüllen, die er so oft trug. Gewöhnlich traf man ihn in diesen Räumen barfuß an, ohne Seidenstrümpfe und Schuhe. Jetzt bezeugte nur der aufgeknöpfte Gehrock sein Faible für legere Kleidung, ebenso wie die lässige Haltung den Hang zur Bequemlichkeit.

»Hast du nach losen Bodenbrettern gesucht?«, fragte er.

»Nein, sonst hätte ich’s doch riskiert, ertappt zu werden. In beiden Häusern blieb ich viel zu lange. Als ich das Bürogebäude in der Innenstadt verließ, ging gerade ein Constable vorbei. Obwohl es dunkel war – neben dem Eingang steht ein Lampenpfosten ...« Mit der Schilderung des Abenteuers erweckte Elliot den Eindruck einer Vorsicht, die er gar nicht praktiziert hatte. Er glaubte zwar, in gewissen Situationen müsste man notgedrungen gegen die Gesetze verstoßen, hatte aber nicht erwartet, an diesem Abend so kühl und gleichmütig zu Werke zu gehen.

»Falls jemand Fragen stellt – du warst die ganze Zeit auf dem Ball«, sagte Christian. »Langton besaß einen kleinen Verlag, der sich auf radikale Texte spezialisiert hatte. Und er bevorzugte, wie wir festgestellt haben, erpresserische Methoden. Leider starb er, bevor ich ihn bezahlen konnte. Nun befindet sich Richard Drurys Manuskript weiß Gott wo, und die niederträchtige Lüge über unseren Vater kommt womöglich noch ans Licht.«

»Das werde ich verhindern.«

»Meinst du, jemand anders hat sich das Geschreibsel angeeignet? Schätzungsweise bin ich nicht der Einzige, an den Langton herantrat.«

»Da gab es keine Spuren, die verraten hätten, dass seine Sachen bereits durchstöbert worden wären – nicht einmal von seinem Anwalt oder seinem Nachlassverwalter. Erst heute Nachmittag wurde er begraben. Und ich glaube, zum Zeitpunkt seines Todes lag das Manuskript weder in seinem Büro noch in seinem Haus.«

»Äußerst unangenehm ...«

»Aber nicht hoffnungslos. Keine Bange, ich werde es finden und vernichten.«

Christians Augen verengten sich. »Warum bist du so zuversichtlich? Weißt du denn, wo es sich befindet?«

»Zumindest habe ich einen begründeten Verdacht. Wenn er zutrifft, ist das alles bald erledigt. Aber es wird dich was kosten.«

»Und wenn schon – ich bezahle jede Summe. Richard Drury war ein Parlamentarier und trotz seiner extremen Ansichten ein angesehener Intellektueller. Falls seine Memoiren jene Anschuldigungen gegen unseren Vater enthalten, werden es sehr viele Leute ernst nehmen.«

Ja, sie werden es glauben, weil es zu alldem passt, was sie ohnehin schon für die Wahrheit halten. Diese Gedanken sprach Elliot allerdings nicht aus. Seit er gehört hatte, Langton würde Drurys Memoiren posthum veröffentlichen, ging ihm die Vermutung durch den Sinn. Das Buch würde Geheimnisse und Skandale enthüllen, die ein schlechtes Licht auf mehrere prominente, einflussreiche Personen, lebende und verstorbene, werfen müssten. Und was die Anklage gegen den Vater betraf, so würden sich die Gerüchte über seine Ehe, die in der Londoner Gesellschaft kursierten, bewahrheiten.

Doch die Leute irrten sich. Das hatte der Vater ihm versichert, und zwar in einem Augenblick, da ein Mann nicht lügen würde.

Du warst ihr Liebling. Ständig behielt sie dich bei sich, und ich erlaubte es, weil du der Jüngste bist. Ich fühlte mich erleichtert, wenn sie sich manchmal auf ihre Mutterschaft besann. Aber nun sterbe ich, und ich kenne dich kaum. Ich erwarte weder Liebe noch Trauer von dir, doch du sollst mich nicht für das Monstrum halten, als das sie mich wahrscheinlich bezeichnet hat.

»Was glaubst du, wo das Manuskript liegt?«, fragte Christian. »Du musst mich regelmäßig über deine Unternehmung informieren. Wenn du keine Fortschritte erzielst, nehme ich die Sache selber in die Hand.«

Wie er vorgehen würde, blieb rätselhaft, und das hatte Elliot bewogen, selber Nachforschungen anzustellen. Womöglich würde sein Bruder keine Skrupel kennen, wenn er die Echos aus der Vergangenheit zum Schweigen brachte. »Das Manuskript fand ich noch nicht gefunden, dafür aber einige finanzielle Unterlagen in Langtons Büro. Der Verlag steckt in Schwierigkeiten. Noch bedeutsamer sind Dokumente bezüglich der Eigentumsrechte. Von Anfang an war Richard Drury als ein stiller Teilhaber dabei. Das muss auch der Grund gewesen sein, warum Langton die Memoiren erhalten hat.«

Interessiert hob Christian die Brauen. »Wir müssen uns an Langtons Anwalt wenden und herausfinden, wer diese Schriftstücke erbt.«

»Wie ich den Dokumenten entnehmen konnte, geht Drurys Anteil an sein einziges Kind, das bei der Erpressung vermutlich seine Hand im Spiel hatte.«

»Was, sein einziges Kind? Oh, zum Teufel!« Die Augen geschlossen, presste Christian seinen Kopf an die Sessellehne und stöhnte erbost. »Verdammt, nicht Phaedra Blair!«

»Doch, Phaedra Blair.«

Christian murmelte noch einen Fluch vor sich hin. »Ja, das sieht Mr Drury ähnlich, so etwas passt zu seinen radikalen Ansichten und seinem unkonventionellen Lebensstil. Eine geschäftliche Partnerschaft einer Frau zu vermachen, noch dazu seiner unehelichen Tochter! Natürlich wird sie sich über eine Bestechung freuen, wenn sie mit ihrem Verlag finanzielle Probleme hat. Und vielleicht zieht sie es sogar vor, die Memoiren nicht zu veröffentlichen. Ganz bestimmt enthalten sie private Einzelheiten über ihre Mutter und sie selbst.«

»Mag sein.« Elliot fürchtete, die Verhandlungen würden nicht so einfach ablaufen, denn Miss Blair könnte höchst unwillkommene Komplikationen verursachen. Möglicherweise glaubte sie, die Memoiren und ihre pikanten Geheimnisse würden sich großartig verkaufen und den Verlag retten können. Noch schlimmer – vielleicht wollte sie ihren sozialen Gerechtigkeitssinn befriedigen, indem sie die Verfehlungen der Crème de la Crème enthüllte.

»Soviel ich weiß, hat Langton ihr eigenes Buch publiziert«, sagte Christian. »Das steht irgendwo in unserer Bibliothek. Wie ich gestehen muss, habe ich es nicht gelesen. Für Mythen und Folklore interessiere ich mich nicht besonders, und für philosophische Ergüsse über solche Themen noch weniger.«

»Nun, ich habe gehört, dass Miss Blair eine hervorragende Wissenschaftlerin sein soll.« Eine Anerkennung, die sie verdiente, wollte Elliot ihr nicht missgönnen. »Offensichtlich hat sie die Intelligenz ihrer Eltern geerbt – und deren Verachtung aller gesellschaftlichen Regeln und Konventionen.«

»Unter diesen Umständen könnte uns ihr geistiges Erbe ebenso schaden wie ihr materielles.« Christian stand auf, knöpfte seinen Gehrock zu und rückte die Krawatte zurecht. »Jetzt werde ich in den Ballsaal zurückkehren. Erzähl Hayden lieber nichts von alldem. Natürlich will er seine Frau vor Unannehmlichkeiten schützen, und Miss Blair ist ihre Freundin. Falls du rigorose Mittel anwenden musst, so ist es besser, wenn die beiden Turteltäubchen nichts davon wissen.«

»Vor zwei Wochen ist Miss Blair nach Neapel gesegelt. Ich werde die Sache regeln, bevor sie mit Alexia sprechen kann.«

»Wirst du ihr folgen?«

»Ich wollte ohnehin in diesem Herbst nach Italien fahren, um die neuesten Ausgrabungen in Pompeji zu studieren. Davon handelt mein nächstes Buch. Also werde ich die Reise einfach vorverlegen.«

Seite an Seite schlenderten sie zur Treppe. Bei jedem Schritt hörten sie die Musik und das Stimmengewirr deutlicher. Während sie die Stufen hinabstiegen, bemerkte Elliot die gerunzelte Stirn seines Bruders.

»Reg dich nicht auf, Christian. Die Anschuldigungen gegen unseren Vater werden niemals in Druck gehen. Das verspreche ich dir.«

Christians flüchtiges Lächeln erhellte seine Miene jedoch nicht. »Natürlich vertraue ich deinen Fähigkeiten und deiner Entschlusskraft. Daran habe ich nicht gedacht.«

»Woran denn sonst?«

»Nun, ich habe überlegt, ob es wohl einen Mann gibt, der es mit Phaedra Blair aufnehmen kann.«

***

Elliot eilte durch die Finsternis, eine kleine Lampe in der Hand, die nur schwaches Licht auf seinen Weg warf.

Inzwischen hatten die Gäste die Residenz des Marquess verlassen, die Dienstboten schliefen. Hayden und Alexia genossen wahrscheinlich das Ehebett in ihrem Haus an der Hill Street. Vielleicht war Christian noch wach. Aber er würde seine Suite gewiss tagelang nicht verlassen.

Die vergoldeten Bilderrahmen in der Galerie reflektierten das trübe Licht. Durch die hohen Fenster in der gegenüberliegenden Wand drangen Mondstrahlen herein. Elliot blieb vor zwei Porträts stehen. Um diesen Raum aufzusuchen, war er jedoch nicht heruntergekommen. Seine Absicht aber hing mit dem Mann und der Frau zusammen, die auf diesen Gemälden verewigt waren.

Für beide Personen hatte der Künstler so ähnliche Hintergründe gewählt, dass der Eindruck entstand, das eine Bild würde das Ambiente des anderen fortsetzen. Elliot fand es erfreulich, seine Eltern auf diese Weise vereint zu sehen, zwei Hälften eines Ganzen, selbst wenn die dargestellte Verbundenheit eine Lüge war. Die Augenblicke, da er seine Mutter und seinen Vater im selben Zimmer angetroffen hatte, konnte er an einer Hand abzählen.

Du sollst mich nicht für das Monstrum halten, als das sie mich wahrscheinlich bezeichnet hat.

Da hatte sich der Vater geirrt. Abgesehen von einem einzigen Gefühlsausbruch hatte seine Mutter die Hintergründe jener Entfremdung nie erwähnt. Während der gemeinsamen Stunden in der Bibliothek von Aylesbury hatte sie überhaupt nur selten gesprochen.

Elliot hatte seinen Vater aus eigenem Antrieb gefürchtet, ohne den Einfluss der Mutter. Andererseits genoss er die seltenen Augenblicke, wenn ihm der Vater seine Aufmerksamkeit schenkte. Meistens hatte er den Anschein erweckt, er würde sich gar nicht entsinnen, dass aus seiner Ehe nicht zwei, sondern drei Söhne hervorgegangen waren.

Nun setzte Elliot seinen Weg zur Bibliothek fort und dachte an jenes lange Gespräch mit seinem Vater – das einzige und zugleich letzte. Dabei hatte er wichtige Tatsachen erfahren, über Menschen und Leidenschaften, über den Stolz und die Seele, über die Art und Weise, wie ein Kind die Welt ringsum missversteht. Diese Unterredung nahm ihm die Angst. Danach hatte er sich zum ersten Mal wie der Sohn seines Vaters gefühlt.

Er ließ den Lampenschein über die Lederbände in der Bibliothek gleiten, suchte die Bücher im untersten Fach des Regals in der Ecke.

Nach dem Tod seiner Mutter hatte er ihre Privatsammlung hierher gebracht. Diese Bücher hatte er sie während ihres Exils in Aylesbury lesen sehen.

Warum er jene Werke nach London mitgenommen hatte, wusste er nicht. Vielleicht, damit auch ein Teil von ihr an dem Ort blieb, wo die Zusammenkünfte der Rothwells stattfanden. Es war eine Eingebung gewesen, lange vor jenem Gespräch mit dem Vater, das rebellische Bestreben, alles zu beenden, was die Mutter aus dem Familienleben verbannt hatte.

Niemand bemerkte die zusätzlichen Bücher neben den vielen Hundert anderen. In dieser versteckten Ecke spielte es keine Rolle, dass die Buchrücken nicht zusammenpassten. Er strich über einige Werke, die nicht einmal gebunden waren. Vorsichtig zog er die dünnen, abgegriffenen Pamphlete hervor, breitete sie auf dem Boden aus und beleuchtete die Titel. Bald fand er, was er suchte – eine radikale Streitschrift gegen die Ehe, vor dreißig Jahren von einem berühmten Blaustrumpf verfasst. Die Autorin hatte ihr Leben nach ihren Überzeugungen gestaltet und sich sogar geweigert, den Vater ihres Kindes zu heiraten – Richard Drury, ihren langjährigen Liebhaber.

Das Pamphlet und die Lampe in den Händen, ging er zu dem Regal, das die neuesten Errungenschaften enthielt, und nahm eine mythologische Dissertation heraus. Der Einband roch immer noch nach frischem Leder.

Diese beiden Werke trug er in sein Zimmer, begann darin zu lesen und bereitete sich auf seine Auseinandersetzung mit Phaedra Blair vor.

Kapitel 2

»Also wirklich, signora, ich glaube nicht, dass ich für diese Räume bezahlen muss, wenn ich sie doch gar nicht mehr bewohnen will.« Phaedra formulierte ihren Protest mit der Hilfe ihrer Lateinkenntnisse und einiger neapolitanischer Dialektausdrücke, die sie gelernt hatte. Dabei hoffte sie, ihr Tonfall werde den Ärger über Signora Cirillos Rechnung bekunden, wenn es die Wahl des Vokabulars nicht vermochte. Die Antwort war ein langer, temperamentvoller Redeschwall, der einen ähnlichen Unmut verriet. Ob Phaedra die Räume benutzen wollte oder nicht, interessierte Signora Cirillo nicht. Außerdem missfiel ihr der königliche Wachtposten, der vor ihrem bescheidenen, aber respektablen Hotel postiert war und die anderen Gäste störte. Deshalb verlangte sie eine zusätzliche Summe.

Nur mühsam widerstand Phaedra der Versuchung, die Frau aufzufordern, die Rechnung dem König zu präsentieren, ging in ihr Zimmer und holte die Münzen. Es war ein Fehler gewesen, in dieser Stadt eine Woche lang zu trödeln, bevor sie die Ruinen aufgesucht hatte. Wenn ihr Hausarrest noch länger dauerte, würde ihr das Geld für die Rückfahrt nach England fehlen, geschweige denn für die Fortsetzung ihrer Mission. Ursprünglich hatte sie einen wesentlich kürzeren Aufenthalt in Neapel geplant. Sie war hier nicht als Touristin hergekommen, sondern aus einem ganz bestimmten Grund. Und sie musste nach ihrer Heimreise einige dringende Dinge erledigen.

Für eine weitere Woche besänftigt, entfernte sich Signora Cirillo. Phaedra kehrte zu ihrem Gepäck zurück und überdachte die Lage. Dann nahm sie einen zusammengerollten schwarzen Schal aus ihrer Reisetasche und wickelte einen Gegenstand aus. Ein großes Juwel fiel ihr in den Schoß. Im gedämpften Licht des Schlafzimmers glänzten die exquisiten Farben eines weißen Reliefs auf dunkelrotem Grund, das eine mythologische Szene des Gottes Bacchus und seines Gefolges darstellte.

Diese Gemme war der kostbarste Teil des Erbes, das ihr die Mutter mit einem handschriftlichen Kodizill hinterlassen hatte. Um die Zukunft meiner Tochter zu sichern, vermache ich ihr meinen einzigen wertvollen Besitz, eine Achatgemme, eine Antiquität aus Pompeji.

Seit dem Tod der Mutter vor sechs Jahren hatte Phaedra kaum an das Kodizill gedacht und die Gemme ebenso in Ehren gehalten wie alle anderen Dinge, die sie an die ungewöhnliche, brillante Artemis Blair erinnerte. Gewiss, das Juwel sicherte ihre finanzielle Zukunft. Doch sie hatte gehofft, es niemals verkaufen zu müssen. Und jetzt warf das Testament Fragen auf, die Antworten verlangten.

Sie packte die Gemme wieder ein und verstaute sie in der Tasche, trat ins Wohnzimmer und öffnete die Läden des Fensters an der Westseite. In der Ferne schimmerte die blaue Bucht, verschwommen zeichneten sich im Hitzedunst die Konturen der Insel Ischia ab. Eine salzige Brise wehte herein und ließ Phaedras langes Haar flattern.

Als sie die Stimme des Wachpostens hörte, beugte sie sich aus dem Fenster im zweiten Stock, um zu sehen, mit wem er sprach. Vor dem Italiener mit dem Metallhelm und der dramatischen Schwertscheide stand ein hochgewachsener Mann, das dunkle Haar zu einer romantischen Windstoßfrisur geschnitten. Um die breiten Schultern schmiegte sich ein teurer Gehrock, und solche edlen Stiefel sah man sonst nur an aristokratischen Füßen in London. Nach der Kleidung zu schließen musste der Fremde ein Engländer sein.

Den Kopf schief gelegt, versuchte sie das Gespräch zu belauschen. Die Anwesenheit eines Landsmanns spendete ihr einen erstaunlichen Trost, selbst wenn er nur nach dem Weg aus den Gassen des spanischen Viertels fragen sollte.

Sollte sie hinuntergehen und ihn um Hilfe bitten? Sie war sich nicht einmal sicher, ob die Engländer in Neapel von ihrem Hausarrest wussten. Und wenn es so war, bezweifelte sie, dass sie sich darum kümmern würden. Wer sie kannte, missbilligte ihren Lebensstil und legte keinen Wert auf ihre Gesellschaft. Normalerweise war ihr das gleichgültig. Aber ihr erfolgloser Versuch, in der englischen Gemeinde von Neapel Kontakte zu knüpfen, hatte schon vor ihrer Haft zu Schwierigkeiten geführt. Offensichtlich wies der Wachtposten das Anliegen des Engländers ab. Seine Gesten schienen ein ehrerbietiges Bedauern auszudrücken. So gern ich Ihnen auch helfen würde, ich muss meine Pflichten erfüllen ...

Der Engländer schlenderte zur anderen Straßenseite und blieb stehen. Die Stirn leicht gerunzelt, schaute er nach oben, seine dunklen Augen suchten die Fassade des Hotels ab.

Erleichtert atmete Phaedra auf, und ihr Herz schlug schneller – nicht nur, weil er ein überaus attraktives Gesicht besaß, das den Puls jeder Frau beschleunigen würde. Diesen Mann kannte sie. Da unten stand Lord Elliot Rothwell, der berühmte Historiker. Wie Alexia ihr erzählt hatte, würde er im Herbst nach Neapel reisen. Und nun war er offenbar schon früher eingetroffen.

Sie neigte sich noch weiter aus dem Fenster, winkte ihm, und er nickte kaum merklich zurück. Warnend legte sie einen Finger an die Lippen und zeigte auf den Wachposten. Dann bedeutete sie ihm, hinter das Hotel zu gehen.

Gemächlich wanderte er davon, als wollte er die Architektur der Häuser studieren. Phaedra schloss die Fensterläden und eilte zur anderen Seite ihres Apartments. Hastig öffnete sie ein Fenster und blickte in einen kleinen Garten hinab.

Bis Lord Elliot dort erschien, dauerte es eine Weile. Schließlich entdeckte sie ihn in der schmalen, mit Abfall übersäten Hintergasse. Seiner Attitüde fehlte jedes Anzeichen verstohlenen Zögerns. Voller Selbstvertrauen öffnete er das Gatter und durchquerte den Garten – ein Mann, der gewöhnt war, stets zu tun, was ihm gefiel. Sogar ohne sein markantes Gesicht, das die Natur mit einem Übermaß an maskuliner Schönheit gesegnet hatte, würde die entspannte und zugleich gebieterische Haltung jeden Betrachter beeindrucken.

Sie war so froh, jemandem aus ihrer Heimat zu begegnen, dass ihr sein kritischer Blick nichts ausmachte. Bei Alexias Hochzeit hatte sie einen ähnlichen Ausdruck in seinen Augen bemerkt – die typische Reaktion eines Mannes, der sie zwar halbwegs amüsant fand, aber ihre äußere Erscheinung missbilligte, ihre Anschauungen, ihre Vergangenheit, ihre Familie, einfach alles.

»Wie erfreulich, Sie bei guter körperlicher und seelischer Gesundheit anzutreffen, Miss Blair.« Ein schwaches Lächeln begleitete seine Grußworte.

»Auch ich freue mich, Sie zu sehen, Lord Elliot.«

»Alexia nannte mir den Namen Ihres Hotels und bat mich herauszufinden, ob Sie irgendetwas brauchen.«

»Oh, das war sehr freundlich von ihr. Tut mir leid, dass ich Sie nicht gebührend empfangen kann, Sir.«

»Offenbar können Sie mich überhaupt nicht empfangen.«

Damit beendete er die einleitenden Höflichkeitsfloskeln. »Zweifellos finden Sie meinen Hausarrest erstaunlich, sogar schockierend.«

»Ich bin nur selten schockiert. Aber ich gestehe Ihnen eine gewisse Neugier. Sie halten sich erst seit ein paar Wochen in Neapel auf, Miss Blair. Und die meisten Leute würden mindestens ein Jahr brauchen, um Verbrechen zu begehen, die eine solche Strafe rechtfertigen.«

Machte er sich über die Situation lustig? Unter diesen Umständen erschien ihr sein Faible für witzige Konversation unangemessen. »Natürlich habe ich nichts verbrochen. Nur ein kleines Missverständnis ...«

»Klein? Miss Blair, vor der Haustür steht ein Mitglied der königlichen Wache.«

»Nun, ich glaube nicht, dass der König den Mann hier postiert hat. Das verdanke ich viel eher einem Höfling, einem widerlichen kleinen Kerl mit zu großem Einfluss und geringer Intelligenz.«

Lord Elliot verschränkte die Arme vor der Brust. Dadurch wirkte er ziemlich arrogant und erweckte auch den Anschein, er würde vorschnell urteilen. Phaedra hasste es, wenn Männer diese Haltung einnahmen, die alles personifizierte, was mit dem vermeintlich stärkeren Geschlecht nicht stimmte.

»Vorhin sprach der Wachposten von einem Duell«, sagte er.

»Konnte ich denn wissen, wie besitzergreifend diese Männer sind? Warum versuchen sie einander zu töten, wenn die Frauen mit jemandem reden ...«

»Schwerter und Dolche. Und der Wachtposten erwähnte, dabei sei Blut geflossen.«

»Marsilio ist ein junger Künstler, ein halbes Kind. Eigensinnig, aber sehr süß. Ich hatte keine Ahnung, dass er unsere Freundschaft missdeuten und Pietro zum Duell fordern würde, nur weil ich mit diesem Mann am Strand spazieren ging.«

»Bedauerlicherweise ist der eigensinnige, süße Junge ein Verwandter des Königs. Bei dem Duell wurde er beinahe getötet. Doch Sie dürfen sich glücklich schätzen, Miss Blair. Wie mir der Wächter mitteilte, wird Marsilio am Leben bleiben.«

»Oh, Gott sei Dank! Aber in Neapel neigt man zu maßlosen Übertreibungen. Nach meiner Kenntnis wurde er nur leicht verletzt. Allerdings sind in diesem Klima sogar geringfügige Wunden gefährlich ... Der unselige Zwischenfall belastet mein Gewissen. Selbstverständlich habe ich mich entschuldigt, in langsamem Englisch und Latein, in der Hoffnung, man werde mich verstehen. Leider wollte der widerwärtige, dumme kleine Beamte nicht auf mich hören und nannte mich sogar eine Prostituierte. Was für eine Unverschämtheit! Natürlich versicherte ich ihm, ich hätte noch nie einen Penny von einem Mann angenommen.«

»Haben Sie Ihre Tugend und Ehre verteidigt – oder dem widerwärtigen, dummen kleinen Beamten erklärt, die Frauen sollten sich umsonst hingeben?«

Als er diese Frechheit aussprach, erschien ein wissender Ausdruck in seinen Augen, der sie in Wut brachte. Wäre sie nicht in einer so lächerlichen Lage gewesen, sie hätte erwidert, sie sei zwar unkonventionell, das berechtigte ihn jedoch nicht zu so unhöflichen Äußerungen. Allerdings musste sie sich diplomatisch verhalten.

»Nun, ich betonte, ich würde die freie Liebe bevorzugen. Und die darf man nicht mit kostenloser Hingabe gleichsetzen, Lord Elliot. Ich versuchte den Mann zu belehren. Auch Ihnen würde ich gern eine Lektion erteilen, sollten wir uns jemals in einer angenehmeren Lage wiedersehen.«

»Welch ein verlockendes Angebot, Miss Blair ... Doch ich fürchte, der Höfling war nicht allzu begeistert von Ihrem philosophischen Vortrag. Hätten Sie ihm doch lieber erzählt, Sie seien eine Kurtisane. Mit dergleichen weiß man hierzulande umzugehen. Hingegen sind radikale Ideen über die freie Liebe – nun ja ...«

Statt den Satz zu beenden, winkte er lässig ab, was in etwa besagte: Was erwarten Sie denn, Mädchen. Sie ignorieren alle gesellschaftlichen Regeln. Allein Ihr Äußeres fordert schon Missverständnisse heraus.

Erneut bekämpfte sie eine heftige Reaktion. Wenn sie ihm widersprach, würde sie ihn in die Flucht schlagen. Doch sie wünschte, er würde etwas länger hierbleiben. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie einsam sie sich in ihrem Apartment fühlte, wie schmerzlich sie unter der Isolation litt. Und es war ein Trost, endlich wieder ihre Muttersprache zu hören. »Glauben Sie, man wird mich bald freilassen?«

Schon wieder diese lässige Geste ... Diesmal ersetzte sie ein Achselzucken. »In Neapel gibt es keine Verfassung, keine Gerichtsbarkeit, die – so wie in England – von Präzedenzfällen ausgeht. Keine festgesetzten Rechte. Das hier ist eine altmodische Monarchie. Vielleicht werden Sie morgen freigelassen oder nach England zurückgeschickt oder vor Gericht gestellt – oder Sie bleiben jahrelang in diesen Gemächern, je nach Lust und Laune des Königs.«

»Jahrelang? Das ist unzivilisiert!«

»Dazu wird es wohl auch kaum kommen. Doch es könnte einige Monate dauern, bis Ihr widerwärtiger, dummer kleiner Beamte das Interesse an Ihnen verliert.« Lord Elliot musterte die Rückfront des Hotels, dann die Gartenpforte. »Jetzt kann ich aber nicht länger in diesem Garten bleiben, Miss Blair. Oder ich werde ebenfalls die Gastfreundschaft der königlichen Wache genießen. Ich lasse Ihnen eine Mahlzeit schicken und hinterlege eine gewisse Summe für Ihr Apartment, das Sie zweifellos immer noch bezahlen müssen. Zudem werde ich den britischen Gesandten bitte, hin und wieder nach Ihnen zu sehen.«

Großer Gott, er wollte fortgehen! Womöglich würde sie in diesen Räumen festsitzen, bis sie graue Haare bekam, oder verhungern, wenn ihr das Geld ausging.

Auf die Unterstützung und den Schutz eines Mannes war sie natürlich nicht angewiesen. Und in diesem Gespräch hatte sich Lord Elliot auch nicht als besonders liebenswertes Exemplar dieser Spezies erwiesen. Aber angesichts ihrer ungewissen Zukunft musste sie ihn wohl oder übel um Hilfe ersuchen.

»Lord Elliot!«, rief sie ihn zurück, als er zur Gartenpforte ging. »Sicher wird meine Situation keinen einzigen Diplomaten interessieren. Aber wenn Sie sich für mich einsetzen ... Das Ansehen Ihrer Familie und der Ruhm, den Sie mit Ihren historischen Werken erworben haben, das müsste den widerlichen kleinen Mann doch beeindrucken. Vielleicht, wenn Sie ein gutes Wort für mich einlegen ...«

Nur zögernd hatte er sich wieder zu ihr gewandt. Seine Miene wirkte mitfühlend, aber nicht ermutigend. »Bedenken Sie bitte, ich bin ein jüngerer Sohn. In Italien bedeutet meine Stellung nicht viel, und mein Ruhm ebenso wenig. Außerdem hat der neapolitanische Hof keinen Grund, mir einen Gefallen zu tun.«

»Jedenfalls wird man Ihnen aufmerksamer zuhören als mir. Zumindest beherrschen Sie die Sprache dieser Leute. Ich sah Sie mit dem Wachtposten reden.«

»In diesem Dialekt kann ich mich gewiss nicht gut genug ausdrücken, um Ihre Freilassung zu erreichen.«

»Wenn Sie es versuchen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.« Was war eigentlich aus der Ritterlichkeit geworden? Von solchen veralteten Werten hielt sie zwar nichts, aber er doch umso mehr. Sie war eine Dame in höchster Not, und dieser Gentleman müsste eigentlich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu retten. Stattdessen stand er da unten im Garten und schien zu wünschen, er hätte sie niemals in ihrem Fenster erblickt.

Eine Zeit lang dachte er über ihr Ansinnen nach, und sie spürte, wie ihr Lächeln zu einer flehenden Grimasse erstarrte.

»Hier sind wir nicht in England, Miss Blair. Wenn ich mich erfolgreich für Sie verwende, werden Ihnen die Bedingungen, die man an Ihre Freilassung knüpft, möglicherweise misshagen.«

»Nun, ich werde mich jeder Bedingung fügen. Allerdings bitte ich Sie zu verhindern, dass man mich sofort nach England zurückschickt. Vor meiner Abreise möchte ich die Ausgrabungen in Pompeji besuchen. Davon träume ich schon so lange.«

Jetzt dachte er noch länger nach, dann verriet ein übertriebenes Seufzen, dass er eine Entscheidung wider sein besseres Wissen traf. »Ich habe Alexia versprochen, mich um Sie zu kümmern. Also werde ich tun, was in meiner Macht steht. Wahrscheinlich ist es schwierig, den Mann aufzuspüren, der für Ihre Gefangenschaft verantwortlich ist. Kennen Sie seinen Namen? Ich würde es vorziehen, mich am Hof nicht nach einem widerwärtigen, dummen kleinen Mann erkundigen zu müssen. Vielleicht würde ihm diese Beschreibung zu Ohren kommen. Und vermutlich trifft sie auf zu viele königliche Beamte zu.«

Offensichtlich kapitulierte er nur, weil er seinem Pflichtgefühl gehorchte – nicht dem Wunsch, ihr zu helfen. Aber in ihrer Verzweiflung ignorierte sie seine Beweggründe. »Er heißt Gentile Sansoni. Warum runzeln Sie die Stirn? Kennen Sie ihn?«

»O ja. Was Sie zu Ihrer Verteidigung vorbrachten, stieß auf taube Ohren, Miss Blair. Sansoni spricht weder Englisch noch Latein. Und er ist Neapolitaner durch und durch – keine allzu gute Neuigkeit.«

***

Das war typisch für Phaedra Blair, die Aufmerksamkeit Gentile Sansonis zu erregen, eines Hauptmanns der königlichen Geheimpolizei ... Natürlich, mit ihrem langen roten Haar, das unfrisiert und ungebändigt auf ihren Rücken hinabfiel, war sie vermutlich in ganz Neapel aufgefallen.

Bei seinem letzten Aufenthalt in dieser Stadt, vor drei Jahren, hatte Elliot einiges über Miss Blairs Widersacher erfahren. 1820 war Sansoni durch Blut gewatet, während eine kurzfristige republikanische Regierung in diesem Land grausam gestürzt und die Monarchie wieder eingesetzt worden war.

Angeblich hatte Sansoni das unerwartete Verschwinden der Carbonari oder jener Anhänger einer konstitutionellen Regierungsform arrangiert. Doch er zog es vor, eine nicht näher definierte Autorität auch auf unpolitische Weise zu nutzen. Ein englischer Gentleman würde ihm da wohl kaum imponieren. Und er würde es nicht schätzen, wenn man seine Entscheidungen infrage stellte, indem man sich an seine Vorgesetzten wandte.

Solange Miss Blair unter Hausarrest stand, konnte Elliot auf keinen Fall über die Memoiren ihres Vaters mit ihr verhandeln. Deshalb hatte er sofort beschlossen, sie zu befreien, und sein Zaudern nur geheuchelt. Damit sie glaubte, sie stünde in seiner Schuld ...

Zudem war er der ehrlosen Versuchung erlegen, diese stolze Verfechterin weiblicher Unabhängigkeit zappeln zu lassen, bis sie schließlich notgedrungen um die Hilfe eines Mannes gebeten hatte. Allein Miss Blairs Existenz forderte einen Angehörigen des starken Geschlechts schon heraus. Dementsprechend hatten seine Instinkte reagiert.

Doch die Pflicht rief, und am nächsten Tag begann er sie zu erfüllen. Ein englischer Gentleman würde Sansoni nicht beeindrucken. Aber vielleicht würde er einem Kapitän der englischen Navy wenigstens zuhören. Der neapolitanische Hof erinnerte sich noch immer voller Ehrfurcht an Nelson, der die Franzosen vernichtend geschlagen hatte. Und so bestand die Chance, Sansoni würde den Admiral für einen Bruder im Geiste halten. Immerhin hatte Nelson mitgeholfen, einen anderen, früheren Putsch der Republikaner zu verhindern.

Im neapolitanischen Hafen ankerten ständig britische Schiffe, und so besuchte Elliot einen Kapitän, den er kannte. Zwei Tage nach seinem Gespräch mit Miss Blair begleitete er einen grandios uniformierten Captain Augustus Cornell durch weitläufige Palastkorridore zu Gentile Sansonis Büro.

Wie es sich für einen höfischen Beamten geziemte, der im Schatten agierte, benutzte Sansoni einen Raum im Hintergrund des Gebäudes, so tief unten gelegen, dass die edlen Marmorstufen in schäbigen Kalktuff übergingen. Trotzdem hatte der Polizeibeamte sein Büro mit luxuriösen Möbeln ausgestattet, um seine bedeutsame Stellung zu betonen. Der Raum war zwar groß genug für seine Ambitionen, wirkte wegen der niedrigen Decke aber wie eine unheimliche Höhle.

»Lassen Sie mich reden«, bat Cornell. Sein blasses Gesicht zeigte jene strenge Förmlichkeit, die viele hochrangige Militärs zur Schau trugen. »Da ich schon öfter mit ihm zu tun hatte, weiß ich, dass Vorsicht geboten ist.«

»Beherrschen Sie die Sprache?« Der neapolitanische Dialekt unterschied sich vom Italienisch, das man in Rom oder Florenz sprach, und Elliot hatte Schwierigkeiten damit, obwohl sich Anklänge ans Lateinische darin fanden.

»Hoffentlich gut genug. Halten Sie sich zurück, ich werde als Mittelsmann fungieren – physisch und symbolisch.«

Und so blieb Elliot bei der Tür stehen. Cornell durchquerte den lang gestreckten Raum und näherte sich dem dunkelhäutigen kleinen Mann, der am anderen Ende hinter einem wuchtigen Schreibtisch saß. Offensichtlich hatte Miss Blair den Neapolitaner richtig beschrieben. Er sah abstoßend aus – und in diesem Augenblick auch ziemlich misstrauisch. Über den mandelförmigen Adleraugen, die so typisch für die Bewohner dieser Stadt waren, zogen sich schwarze Brauen zusammen.

Wein wurde angeboten, Toasts ausgebracht, Konversation gemacht.

Schließlich kehrte Cornell zu Elliot zurück. »Da gibt es eine Komplikation«, erklärte er leise. »Dieser Marsilio, Miss Blairs Freund, der bei dem Duell verletzt wurde, ist ein entfernter Verwandter des Königs. Wegen seiner künstlerischen Begabung wird er von der königlichen Familie geschätzt und gefördert. Außerdem hofft Sansoni ihn mit einer seiner Nichten zu verheiraten und dadurch seine eigene Position zu stärken. Aufgrund seiner einfachen Herkunft wird ihm das vermutlich misslingen. Aber er hat Marsilios Wohlergehen zu seiner persönlichen Mission erkoren.« Er neigte sich näher zu Elliot und fuhr im Flüsterton fort: »Wie ich annehme, weiß der König nichts von dem Duell. Ich erwähnte den Titel Ihres Bruders, und Sansoni hat mir sicher nur zugehört, weil er fürchtet, ein englischer Marquess könnte den neapolitanischen König von dem Zwischenfall berichten.«

Das würde ein Marquess tun. Doch es dürfte einige Monate dauern. »Können Sie Miss Blairs Freilassung erwirken?«

»Daran zweifle ich, denn es geht nicht nur um das Duell. Der König besitzt eine Kunstsammlung. Zu einem dieser Räume haben Frauen keinen Zutritt, da er alte Bilder enthält, die obszön wirken. Miss Blair hat den jungen Marsilio dazu überredet, sie dort hineinzuführen. Also zählen auch noch unbefugtes Eindringen und unmoralische Interessen zu ihren Vergehen. Zudem behauptet Sansoni, sie sei eine Prostituierte. Wenn Neapel dieses Gewerbe auch duldet – dass sie sich an Orten in Szene setzt, die der Hof aufzusuchen pflegt ...«

»Unsinn, sie ist keine Prostituierte. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Gewiss, sie mag seltsam und exzentrisch sein, ein Freigeist, aber ehrbar. Auch Sansoni müsste solche Charaktere kennen. Machen Sie ihm das klar.«

»Leider gehört es zu den Aufgaben dieses Mannes,

Freigeister zu bekämpfen. Und das tut er mit dem größten Vergnügen. Trotzdem will ich es versuchen.«

Cornell trat wieder zum Schreibtisch. Diesmal dauerte das Gespräch nicht so lange. Sansonis scharfe schwarze Augen schienen Elliot zu durchbohren.

»Jetzt hat er schneller gesprochen«, berichtete der Kapitän, als er erneut vor Elliot stand, »und ich konnte nicht alles verstehen. Jedenfalls will er wissen, warum Sie und Ihre Familie sich in die Angelegenheit einmischen – ob Sie mit Miss Blair verwandt sind oder ob Sie eine andere Beziehung zu ihr haben.«

Natürlich nicht, dachte Elliot. Doch er wäre unklug, das einzugestehen. »Nun, sie ist eine gute Freundin meiner Familie, und Easterbrook liebt sie wie eine Schwester.« Dieser dreisten Lüge würde man ihn niemals überführen, und Christian hätte unter solchen Umständen genauso gehandelt. »Sagen Sie ihm, wir bemühen uns, Miss Blair unter Kontrolle zu halten. Bedauerlicherweise ist sie völlig unerwartet nach Neapel gereist, weil sie sich unserem Einfluss entziehen wollte. Nun bin ich hierhergekommen, um für sie zu sorgen. Und ich verspreche, es wird keinen Ärger mehr geben. Falls er andeutet, er würde sich bestechen lassen – ich bin auch bereit, ein Lösegeld zu zahlen.«

Cornells drittes Gespräch mit Sansoni verlief etwas lebhafter. Immer wieder unterstrich der Polizeibeamte seine Worte mit ausdrucksvollen Gesten.

Als der Kapitän zurückkehrte, um Bericht zu erstatten, runzelte er besorgt die Stirn. »Ich fürchte, da liegt ein Missverständnis vor, das sich nicht so leicht beseitigen lässt. Gewiss haben meine mangelnden Sprachkenntnisse diese beklagenswerte Entwicklung verursacht.«

»Aber er wirkt viel zugänglicher. Was hat er missverstanden?«

Cornells Gesicht rötete sich. »Irgendwie hat er den Eindruck gewonnen, Sie wären Miss Blairs Verlobter und sie hätte sich nach Neapel geflüchtet, um einer Ehe zu entrinnen, die von Ihrer Familie wegen einer beträchtlichen Mitgift arrangiert werden soll. Und er glaubt, Sie sind ihr gefolgt und wollen Sie zurückholen.«

»In der Tat, ein gottverdammtes Missverständnis! Wie haben Sie denn das fertiggebracht?«

»Da bin ich mir nicht sicher. Die Wörter für ›Familie‹, ›Schwester‹, ›Geld‹ und ›Flucht‹ müssen durcheinandergeraten sein und eine unbeabsichtigte Bedeutung gewonnen haben.« Seufzend wandte sich Cornell ab, um den Irrtum zu berichtigen.

Elliot hielt ihn am Arm fest. »Wird Miss Blair gehen dürfen, wenn wir es dabei belassen?«

»Ja, aber ...«

»Wissen Sie das ganz genau?«

»Ob ich ihn richtig verstanden habe, kann ich nicht sagen. Jedenfalls habe ich diesen Eindruck gewonnen.«

»Dann bleiben wir dabei.«

»Keine Ahnung, ob das ehrenwert wäre ...«

»Nun, Sie haben nicht gelogen, Sir. Und Sie sind nicht einmal sicher, ob er Sie missverstanden hat.« Elliot umfasste Cornells Schulter. »Betrachten wir diese Wende als ein Geschenk des Schicksals. Dieser Mann wird ja von der hiesigen englischen Gemeinde nicht akzeptiert. Also dürfte ihn niemand auf seinen Irrtum hinweisen.«

Schließlich gab sich der Kapitän geschlagen. »Wenn Sie es wünschen ... Begleiten Sie mich. Er möchte von Ihnen persönlich hören, Sie würden Miss Blair im Zaum halten, solange sie sich in diesem Königreich aufhält. Bis zu ihrer Abreise müssen Sie die junge Dame ständig beaufsichtigen. Sollte sie neue Schwierigkeiten machen, wird man es Ihnen anlasten. Würden Sie schwören, dass Sie das verhindern werden?«

Elliot nickte, folgte Cornell zum anderen Ende der düsteren Höhle, und der widerwärtige Gentile Sansoni übertrug ihm die Verantwortung für Miss Blair.

Kapitel 3

Seufzend erkannte Phaedra die Stimme der Hotelbesitzerin, die draußen im Flur erklang, und erhob sich von ihrem Schreibtisch. Würde die Frau schon wieder Geld verlangen?

Als sie die Tür öffnete, erwartete sie ein wundervoller Anblick, denn Signora Cirillo war nicht allein. Lord Elliot stand an ihrer Seite. Nur mühsam unterdrückte Phaedra einen Freudenschrei.

Wenn er sie besuchte, konnte dies nur eins bedeuten. »Kommen Sie bitte herein, Sir. Grazie, signora.«

Missbilligend hob Signora Cirillo die Brauen. Offenbar missfiel ihr, dass sie einfach weggeschickt wurde.

Aber Phaedra beachtete sie nicht weiter und schloss die Tür, nachdem Lord Elliot das Zimmer betreten hatte. »Hoffentlich bringen Sie mir gute Nachrichten, Sir.«

»Ihr Hausarrest ist beendet, Miss Blair. Das verdanken wir Captain Cornell von der Euryalus, der mit Sansoni gesprochen und sich für Sie eingesetzt hat.«

»Oh, Gott segne die Royal Navy!« Sie eilte zum Fenster und öffnete die Läden. Tatsächlich, der Wachposten war verschwunden. »Heute Abend muss ich an der Bucht spazieren gehen. Ich kann es kaum glauben ...« Vor Glück strahlend kehrte sie zu Elliot zurück und umarmte ihn. »Ich bin Ihnen ja so dankbar!«

Als sie ihn losließ, lächelte er sie freundlich an. Offenbar verstand er ihre freudige Erregung und verzieh ihr den Überschwang. Und falls die Umarmung seinen Blick ein wenig erwärmt hatte – nun ja, er war immerhin ein Mann.

In seinem maßgeschneiderten braunen Gehrock und den hohen Stiefeln sah er fabelhaft aus. Und sein Lächeln milderte die Strenge der prägnanten Rothwell-Züge. Man sagte ihm nach, im Gegensatz zu seinen älteren Brüdern sehr oft zu lächeln. Offenbar stimmte das.

Er schaute sich im Zimmer um und musterte den Schreibtisch. »Vermutlich habe ich Sie bei Ihrer Korrespondenz gestört, Miss Blair. Tut mir leid.«

»Diese Unterbrechung weiß ich durchaus zu schätzen. Gerade habe ich an Alexia geschrieben und ihr mein Leid geklagt – in der Hoffnung, ich könnte Ihnen wenigstens diesen Brief anvertrauen, wenn Sie in mein Apartment zurückkehren.«

»Warum beenden Sie den Brief dann nicht? Erklären Sie Alexia, nun sei alles in Ordnung, und ich bringe das Schreiben zu Cornell. In zwei Tagen läuft die Euryalus aus, mit Kurs auf Plymouth. Von dort wird er den Brief nach London senden.«

»Was für eine großartige Idee – falls Sie es nicht unhöflich finden, wenn ich noch ein paar Zeilen hinzufüge ...«

»Gewiss nicht, Miss Blair.«

Sie setzte sich an den Tisch, griff zur Feder und schilderte in knappen Worten, wie ihr Problem gelöst worden war – dank dem hilfsbereiten Schwager Alexias. Sie faltete das Papier zusammen, schrieb die Adresse darauf und versiegelte es. Dann stand sie auf und reichte es Lord Elliot, der es in die Tasche seines Gehrocks steckte.

Nun sah er sich erneut im Zimmer um. »Sie haben die Tür selbst geöffnet, Miss Blair. Wo ist Ihre Zofe?«

»Ich beschäftige keine Zofe, Sir. Keine Dienstboten. Nicht einmal in London.«

»Gehört auch das zu Ihren philosophischen Ansichten?«

»Nein, es beruht auf einer praktischen Überlegung. Ein Onkel hinterließ mir ein respektables Einkommen. Dieses Geld gebe ich lieber auf andere Weise aus.«

»Wie vernünftig ... Aber der Mangel an Dienstboten muss Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten.«

»Keineswegs.« Phaedra drehte sich um die eigene Achse, die Falten ihres schwarzen, weit geschnittenen Gazekleids flatterten ebenso wie ihr langes Haar. »Um ein solches Kleid anzuziehen, brauche ich doch keine Zofe, die mich einschnürt. Und meine Frisur erfordert nur eine Bürste.«

»An Ihre Aufmachung denke ich nicht. Ich muss mit Ihnen über die unmittelbare Zukunft sprechen. Und da Sie ohne Zofe in diesem Apartment wohnen ...«

Also sorgte er sich um ihren Ruf, weil sie in diesem Raum mit einem Mann allein war. Wie charmant, dachte sie. »Glauben Sie mir, Lord Elliot, Sie können mich gar nicht kompromittieren, denn ich stehe über diesen albernen gesellschaftlichen Regeln. Außerdem ist das eine geschäftliche Besprechung, nicht wahr? In einer solchen Situation ist unsere Zweisamkeit nicht nur erlaubt, sondern sogar nötig.« Würde er ihre immerhin logischen Argumente anerkennen? Daran zweifelte sie. Männer von seiner Sorte ließen sich nie davon überzeugen.

Zu ihrer Verblüffung kapitulierte er sofort. »Da haben Sie recht. Deshalb sollten wir diese geschäftliche Unterredung ohne Umschweife fortsetzen. Möchten Sie Platz nehmen? Es wird eine Weile dauern.«

Plötzlich wirkte er sehr ernst. Sogar streng – und kühl. Er zeigte zum Sofa, und seine Geste wirkte nicht besonders höflich, eher wie ein Befehl. Beinahe war sie versucht, stehen zu bleiben. Aber da er ihr zur Freiheit verholfen hatte, setzte sie sich.

Lord Elliot sank ihr gegenüber in einen Sessel und betrachtete sie abschätzend, als wäre er ihr nie zuvor begegnet und versuchte jetzt ihre eigenartige äußere Erscheinung zu deuten.

Seltsamerweise gewann auch sie den Eindruck, sie hätte ihn noch nie gesehen. Das lässige Amüsement, das seine Miene gewöhnlich ausdrückte, war verschwunden, verdrängt von einem forschenden, durchdringenden Blick, der sie unbehaglich stimmte. In ihrem Innern regten sich viel zu viele feminine Gefühle.

Darin lag ein schwieriges Problem, wann immer man es mit einem attraktiven Mann zu tun hatte. Wenn er seine Aufmerksamkeit auf eine Frau richtete, wurde sie wegen seiner Schönheit benachteiligt. Und dieser Mann war ungewöhnlich attraktiv. Zudem wirkte er äußerst maskulin – und subtil auf die allerschlimmste Art. In diesem Augenblick wollte er sie wahrscheinlich beunruhigen. Nicht aus erotischen Gründen, da war sie sich sicher. Aber seine Aura strahlte auch eine solche Verlockung aus und erwärmte ihr Blut.

Schutz, Besitzergreifung, Eroberung – lauter Facetten desselben primitiven Instinkts, nicht wahr? Der einen Neigung konnte ein Mann nicht folgen, ohne auch die anderen zu empfinden. Und eine Frau wurde nur allzu leicht bezwungen, wenn sie nicht aufpasste.

Welcher uralte Teil des männlichen Charakters mochte Seine Lordschaft in diesem Augenblick anregen?

»Alexia hat mich gebeten, für Sie zu sorgen, Miss Blair. Das erwähnte ich bereits, und es war keine Lüge. Aber heute kam ich aus anderen Gründen zu Ihnen. Darüber müssen wir jetzt sprechen.«

»Da wir uns in England nur ein einziges Mal – und nur ganz kurz – getroffen haben, nämlich auf Alexias Hochzeit, kann ich mir nicht vorstellen, was Sie zu mir führt.«

»Doch, das können Sie.«

»Leider nicht«, erwiderte sie ungehalten.

Wie sein Tonfall verriet, ärgerte sie ihn genauso. »Miss Blair, ich habe erfahren, dass Sie die Partnerschaft Ihres Vaters an Merris Langtons Verlag geerbt haben.«

»Diese Tatsache habe ich nicht bekannt gegeben. Die Männer trauen den Frauen keine geschäftlichen Erfolge zu. Und viele Leute finden es unnatürlich, wenn eine Frau danach strebt. Deshalb beschloss ich, mein Erbe geheim zu halten. Solche Vorurteile würden dem Verlag nur schaden.«

»Wollen Sie sich an der Verlagsarbeit beteiligen?«

»Nun, ich werde die Auswahl der veröffentlichten Bücher mitbestimmen. Aber ich nehme an, Mr Langton möchte sich weiterhin um die praktischen Dinge kümmern. Ich wüsste gern, von wem Sie eingeweiht wurden. Wenn mein Anwalt indiskret war ...«

»Nein, diesen Gentleman trifft keine Schuld.« Lord Elliot wandte seinen Blick von ihr ab. Die Stirn gefurcht, starrte er ins Leere. Seine nachdenkliche Miene wies auf den Intellekt hinter der eleganten, weltmännischen Fassade hin, auf das außergewöhnliche Talent, das ihn befähigt hatte, schon vor seinem vierundzwanzigsten Lebensjahr ein viel gepriesenes historisches Werk zu schreiben. »Bedauerlicherweise muss ich Ihnen schlechte Neuigkeiten mitteilen, Miss Blair. Nachdem Sie London verlassen hatten, erlag Merris Langton seiner Krankheit. Kurz vor meiner Abreise wurde er begraben.«

Obwohl sie bereits befürchtet hatte, Mr Langton würde sich nicht erholen, war sein Tod doch eine Überraschung. »In der Tat, eine betrübliche Nachricht. Danke für die Nachricht, Sir. Allzu gut kannte ich ihn nicht. Aber es ist immer traurig, wenn ein Mensch stirbt. Ich hatte mit seiner Hilfe bei der Leitung des Verlags gerechnet. Nun muss ich diese Aufgabe aus eigener Kraft bewältigen.«

»Gehört jetzt alles Ihnen?«

»Mein Vater hat die Firma gegründet und bis zu seinem Tod finanziell unterstützt. Seine Partnerschaft konnte er weitervererben. Aber Mr Langtons Anteil sollte bei seinem Tod an meinen Vater gehen, also bin ich jetzt die alleinige Eigentümerin.«

Lord Elliots Gesicht nahm wieder einen strengen, kalten Ausdruck an. »Bevor Langton erkrankte, wandte er sich an meinen Bruder und erwähnte die Memoiren Ihres Vaters, die veröffentlicht werden sollten. Er versprach, er würde gewisse Passagen dieses Manuskripts streichen, die meine Familie betreffen. Dafür verlangte er eine beträchtliche Summe.«

»Oh, wie schrecklich! Glauben Sie mir, ich bin schockiert über diesen Verrat an den Prinzipien meines Vaters. Und ich entschuldige mich für meinen Partner.«

Zutiefst erschüttert, stand Phaedra auf und begann umherzuwandern. Auch Elliot erhob sich höflich. Doch sie ignorierte ihn, während sie über die möglichen Folgen von Mr Langtons Vergehen nachdachte. Vielleicht würde es den maroden Verlag endgültig ruinieren. Sie kannte die finanziellen Probleme. Nun war sie ganz allein für die unbezahlten Rechnungen verantwortlich. Sie hatte gehofft, die Memoiren ihres Vaters würden das Unternehmen von der Schuldenlast befreien. Aber wenn Mr Langtons Erpressungsversuch der Integrität des Buches schadete, würde es keine seriösen Leser interessieren.

»Daran ist Harriette Wilson schuld.« Heißer Zorn verdrängte Phaedras Erschütterung. »Sie ging mit schändlichem Beispiel voran, als sie ihre Liebhaber bat, uns Geld anzubieten und ihren Namen aus dem Manuskript entfernen zu lassen. Deshalb schrieb ich ihr, es sei unmoralisch, Memoiren aus reiner Gewinnsucht zu verfälschen, und wir würden uns nicht erpressen lassen. Nun muss sie eben die Konsequenzen des abhängigen Lebensstils ertragen, den sie gewählt hat, und ihre albernen Extravaganzen.« Mit energischen Schritten ging sie auf und ab. »Zweifellos trat Mr Langton auch an andere Leute heran. Unfassbar, dass er die Ethik unseres Verlags auf diese Weise gefährdet hat!«

»Bitte, Miss Blair, ersparen Sie mir diese theatralische Szene. Meine Familie war bereit, Langton zu bezahlen. Und nun kam ich hierher, um zu versichern, wir würden das Geld auch Ihnen geben. Sogar sehr gern.«

Eine theatralische Szene? Entrüstet blieb Phaedra stehen und starrte ihn an. »Sir, ich habe Sie hoffentlich missverstanden. Deuten Sie an, ich würde mich bestechen lassen und die Memoiren nach Ihren Wünschen kürzen?«

»Genau das schlage ich Ihnen vor.«

Phaedra ging zu Lord Elliot, bis sie nahe genug vor ihm stand, um in seinen Augen zu lesen, was er dachte. »Heiliger Himmel, glauben Sie etwa, ich hätte von Mr Langtons verwerflichem Verhalten gewusst? Ich wäre seine Komplizin gewesen?«

Statt zu antworten, blickte er sie skeptisch an.

Wütend und beleidigt wandte sie sich ab. »Sobald ich nach England zurückkehre, werden die Memoiren meines Vaters veröffentlicht, Lord Elliot. Und zwar jeder einzelne Satz. Diesen Auftrag erteilte er mir kurz vor seinem Tod. Niemals würde ich entscheiden, welches seiner Worte die Welt lesen dürfte und welches nicht. Gewiss, ich bin Ihnen dankbar, weil sie mit Sansoni gesprochen und meine Freilassung erwirkt haben. Aber nun sollten wir dieses Gespräch beenden. Hätte ich einen Dienstboten, er würde Sie hinausführen. So, wie die Dinge liegen, müssen Sie den Weg selber finden.«

Um ihn unmissverständlich fortzuschicken, eilte sie in ihr Schlafzimmer und schloss die Tür.

Doch ehe sie sich fassen konnte, wurde die Tür geöffnet.

Lord Elliot folgte ihr seelenruhig und schloss die Tür hinter sich. »Noch ist mein Besuch nicht beendet, Miss Blair, und unsere Geschäfte sind keineswegs abgeschlossen.«

»Wie können Sie es wagen? Das ist mein Schlafzimmer, Sir.«

Die Arme vor der Brust verschränkt, nahm er eine irritierende, gebieterische maskuline Pose ein. »In einem anderen Fall würde ich das berücksichtigen. Aber Sie stehen ja über den albernen gesellschaftlichen Regeln, die meinen Aufenthalt im Schlafzimmer einer Dame verbieten würden. Erinnern Sie sich?«

Dieses besondere gesellschaftliche Gesetz erschien ihr gar nicht so dumm, denn es existierte aus gutem Grund – aus einem primitiven Grund. Das Zimmer war ihr privater Zufluchtsort. Während Lord Elliot den Schrank mit ihren Kleidern und den Toilettentisch musterte, in dessen Schubfächern sie private, intime Gegenstände verwahrte, schien sich die ganze Atmosphäre zu ändern. Langsam schweifte sein Blick über das Bett und kehrte zu ihr zurück.

Seine Gedanken verbarg er nicht so gut, wie er das glaubte. Sie bemerkte die subtile Nuance, die seine Augen verdunkelte. Und es entging ihr nicht, wie seine Gesichtszüge einen sanfteren Ausdruck annahmen. Sobald ein Mann das Bett einer Frau sah – gingen ihm wie von selbst gewisse Spekulationen durch den Sinn. Das war einfach ein Fluch seiner Natur.

Zu ihrem Ärger kam sie auf ähnliche Gedanken. Seine beleidigenden Worte hatten sie doch eigentlich gegen die Intimität der Situation wappnen müssen. Aber das kurze Schweigen erzeugte einen magnetischen Reiz, der sie gegen ihren Willen erregte.

In ihrer Fantasie entstand ein Bild von Lord Elliot, der auf sie herabschaute, sein Gesicht dicht vor dem ihren, das dunkle Haar nicht aus modischen Gründen zerzaust, seine Gedanken unmaskiert. Sie glaubte seine nackten Schultern zu sehen, das Gewicht seines Körpers zu spüren, seine Haut war an ihre gepresst. Und sie fühlte ...

Energisch verdrängte sie die Vision. Aber sie merkte seinen Augen an, dass er ihre Gedanken erriet – so wie sie seine gelesen hatte.

Er ließ seine Arme sinken, und sie glaubte schon, er wollte nach ihr greifen. Würde er sie noch niederträchtiger beleidigen? Es gab Männer, die ihre Lebensweise missverstanden und ihr aus reiner Ignoranz Avancen machten. Aber Lord Elliot war nicht dumm. Wenn er das erotische Knistern zwischen ihnen ausnutzte, würde er sie absichtlich und grausam kränken.

Schließlich wandte er seinen Blick ab und milderte die sinnliche Atmosphäre, ohne sie vollends aufzuheben. Immerhin wurde ihr Stolz gerettet, obwohl die primitive Seite ihres Wesens eine beschämende Enttäuschung erlitt.

»Ist das Manuskript hier?«, fragte er. »Haben Sie es mitgenommen?«

»Natürlich nicht. Warum sollte ich das tun?«

»Schwören Sie es?« Er betrachtete den Schrank. »Wenn nicht, muss ich danach suchen.«

»Ja, ich schwöre es. Unterstehen Sie sich, meine Sachen anzurühren, Sir! Sie hatten kein Recht, diesen Raum zu betreten.«

»Doch. Aber das werden wir später erörtern.«

Was sollte das bedeuten? »Dieses Manuskript habe ich in London zurückgelassen, an einem sicheren Ort. Es enthält die Memoiren meines Vaters, seine letzten Worte. Damit würde ich niemals achtlos umgehen.«

»Haben Sie es gelesen?«

»Natürlich.«