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Drei Ladys und die Liebe: Der Sammelband der romantischen »Regency Flowers«-Reihe von Bestsellerautorin Madeline Hunter jetzt als eBook bei venusbooks. Wie verführt man einen Regency-Lord? Über diese Frage können drei Freundinnen nur die Augen verdrehen: Gibt es denn nichts Wichtigeres als Männer und Heirat? Für Audrianna hat das sorglose Leben jedoch schlagartig ein Ende, als ihre Familie in Ungnade fällt. Um den Irrtum hinter diesem Skandal zu beweisen, schließt sie einen Pakt mit dem undurchschaubaren (und unverschämt attraktiven!) Lord Summerhays. Aber könnte womöglich er die größte Gefahr für ihren guten Ruf sein? Auch Verity gerät in die Bredouille: Niemand weiß, dass sie auf dem Papier schon seit Jahren verheiratet ist. Und Lord Hawkeswell scheint auf einmal fest entschlossen, ihr Herz doch noch für sich zu gewinnen … Celia hingegen muss sich in dem Stadthaus, das sie erbt, plötzlich mit einem Mitbewohner arrangieren: Jonathan Albrighton ist genau die Klasse arroganter, gutaussehender Adelsmann, die sie verabscheut – kann das gutgehen? »Eine brillante Romanreihe mit unvergesslichen Figuren und sinnlichen Lovestories.« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die drei ersten Romane der großen »Regency Flowers«-Reihe von New-York-Times-Bestsellerautorin Madeline Hunter endlich im Sammelband – für alle Fans von »Bridgerton« und Georgette Heyer. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 1471
Über dieses Buch:
Wie verführt man einen Regency-Lord? Über diese Frage können drei Freundinnen nur die Augen verdrehen: Gibt es denn nichts Wichtigeres als Männer und Heirat? Für Audrianna hat das sorglose Leben jedoch schlagartig ein Ende, als ihre Familie in Ungnade fällt. Um den Irrtum hinter diesem Skandal zu beweisen, schließt sie einen Pakt mit dem undurchschaubaren (und unverschämt attraktiven!) Lord Summerhays. Aber könnte womöglich er die größte Gefahr für ihren guten Ruf sein? Auch Verity gerät in die Bredouille: Niemand weiß, dass sie auf dem Papier schon seit Jahren verheiratet ist. Und Lord Hawkeswell scheint auf einmal fest entschlossen, ihr Herz doch noch für sich zu gewinnen … Celia hingegen muss sich in dem Stadthaus, das sie erbt, plötzlich mit einem Mitbewohner arrangieren: Jonathan Albrighton ist genau die Klasse arroganter, gutaussehender Adelsmann, die sie verabscheut – kann das gutgehen?
Über die Autorin:
Madeline Hunter studierte Kunstgeschichte und arbeitet heute als Lehrerin an einem College. Seit einigen Jahren schreibt sie außerdem mit großem Erfolg historische Liebesromane. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und sind regelmäßig auf den Bestsellerlisten der »New York Times« und »USA Today« vertreten. Bereits zweimal hat sie den begehrten RITA-Award der »Romance Writers of America« gewonnen. Madeline Hunter lebt mit ihrer Familie in Pennsylvania.
Die Autorin im Internet:
www.madelinehunter.com
www.facebook.com/MadelineHunter/
In ihrer »Regency Flowers«-Reihe erscheinen bei venusbooks:»Regency Flowers – Ein skandalöses Rendezvous«»Regency Flowers – Die widerspenstige Braut«»Regency Flowers – Eine Lady von zweifelhaftem Ruf«»Regency Flowers – Lady Daphnes Verehrer«
Auch bei venusbooks erscheint ihre »Regency Darlings«-Reihe:»Regency Darlings – Ein Lord zum Küssen«»Regency Darlings – Ein Lord zum Verführen«»Regency Darlings – Eine Lady zum Verlieben«»Regency Darlings – Ein Marquis zum Träumen«
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Sammelband-Originalausgabe Juli 2023
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Eine Übersicht über die Copyrights der enthaltenen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2023 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96898-238-0
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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags
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Madeline Hunter
Regency Flowers
Die ersten drei Romane der großen Saga in einem eBook
venusbooks
Aus dem Amerikanischen von Stephanie Pannen
England im 19. Jahrhundert. Die schöne Lady Audrianna gilt als Stern der Londoner Ballsaison – doch mit galanten Verehrern und Einladungen zur Teestunde ist es schlagartig vorbei, als ihr Vater wegen angeblich zwielichtiger Machenschaften in Ungnade fällt. Um den Ruf ihrer Familie zu retten, bleibt Audrianna nur eine Wahl: Sie muss sie Wahrheit herausfinden! So begegnet sie dem ebenso undurchsichtigen wie gefährlich verführerischen Lord Summerhays, der mehr über die Geschicke ihrer Familie zu wissen scheint, als er zugibt. Mit einer cleveren Finte will Audrianna ihm auf die Schliche kommen, aber dabei landet sie nicht nur versehentlich in seinen Armen – sie werden auch noch in dieser verfänglichen Situation ertappt! Um Audrianna einen weiteren Skandal zu ersparen, bietet Lord Summerhays ihr eine Heirat als Ausweg an … aber verfolgt er damit ganz eigene Pläne?
Eine unabhängige Frau ist eine schutzlose Frau. Nie hatte Audrianna die erste Lektion ihrer Cousine Daphne besser verstanden als heute.
Eine unabhängige Frau war außerdem eine Frau von zweifelhafter Ehrbarkeit.
Als sie durch die Tür des kurz vor Brighton gelegenen Gasthofs Two Swords trat, zog dies mehr Aufmerksamkeit auf sie, als einer anständigen jungen Dame recht sein konnte. Unverhohlen musterten die Leute sie von Kopf bis Fuß. Mehrere Männer beobachteten ihren einsamen Weg durch den Schankraum mit einem kühnen Interesse, dem sie so noch nie unterworfen worden war.
Die Vermutungen, die man ihr mit diesen Blicken unterstellte, verschlechterten ihre Stimmung noch mehr. Sie hatte sich voll rechtschaffener Entschlossenheit auf diese Reise begeben. Die für den späten Januar ungewöhnlich intensiv scheinende Sonne und die milden Temperaturen schienen von der Vorsehung geschickt worden zu sein, um ihre große Mission zu unterstützen.
Doch die Vorsehung hatte sich als wankelmütig erwiesen. Eine Stunde nachdem sie London verlassen hatte, sorgten Wind, Regen und die zunehmende Kälte dafür, dass sie es zutiefst bereute, den Platz auf dem Kutschbock gewählt zu haben. Nun war sie vom stundenlangen kalten Regen völlig durchnässt und mehr als nur ein wenig unleidlich.
Doch sie versuchte, Haltung zu bewahren, während sie den Gastwirt ausfindig machte. Sie fragte ihn nach einem Zimmer für die Nacht. Er musterte sie streng, dann sah er sich nach dem Mann um, der sie verloren haben musste.
»Hat Ihr Ehemann noch im Stall zu tun?«
»Nein, ich bin allein.«
Sein bleiches, faltiges Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Er schürzte die Lippen, während er sie erneut ausgiebig taxierte.
»Ich habe eine kleine Kammer, die Sie haben können, aber sie geht zum Stallhof raus.« Sein widerwilliger Tonfall machte deutlich, dass er sie entgegen seines besseren Wissens aufnahm.
Anscheinend bekam eine alleinstehende Frau das schlechteste Zimmer in einem Gasthof. »Es wird genügen, solange es trocken und warm ist.«
»Dann folgen Sie mir.«
Er brachte sie zu ihrem Zimmer am Ende des ersten Stocks. Dann machte er ihr ein Feuer im Kamin an, jedoch nur ein kleines. Ihr fiel auf, dass es nicht genügend Brennholz gab, um es viel wärmer zu machen, und es würde auch keinesfalls für die ganze Nacht reichen.
»Ich brauche die Bezahlung für die erste Nacht im Voraus.«
Audrianna schluckte ihre Verärgerung über diese Beleidigung herunter und griff tief in ihr Ridikül, dem sie drei Shilling entnahm. Das war mehr als genug, um das Zimmer eine Nacht lang zu mieten, aber sie drückte dem Mann alles in die ausgestreckte Hand.
»Wenn jemand ankommt und sich nach einem Mr Kelmsley erkundigt, schicken Sie diese Person bitte zu mir hoch. Sagen Sie aber nichts von meiner Anwesenheit oder sonst etwas über mich.«
Er runzelte zwar die Stirn über ihre Anweisung, doch die Münzen in seiner Hand ließen ihn schweigen. Als er mit dem Geld einfach davonging, nahm sie an, dass sie eine Abmachung getroffen hatten. Jetzt hoffte sie nur noch, dass die Ergebnisse dieser Mission die Beschädigung ihrer Reputation wert waren.
Sie zählte kurz nach, wie viel Geld noch in ihrem Handbeutel war. Wahrscheinlich würde sie bis zum Morgen einen Großteil davon ausgegeben haben. Sie würde London nur zwei Tage lang fernbleiben, aber diese Reise würde die Ersparnisse, die sie durch die vielen Musikstunden angesammelt hatte, vollkommen aufbrauchen. Nun musste sie weitere Monate mit nörgelnden Mädchen und schlecht gesungenen Tonleitern ertragen, um den Verlust zu ersetzen.
Dann zog sie ein Stück Papier aus ihrem Ridikül. Sie hielt das Blatt in den Lichtschein des Feuers, auch wenn sie die Worte darauf bereits auswendig kannte. Der Domino erbittet, dass Mr Kelmsley ihn in zwei Tagen im Two Swords in Brighton trifft, um eine Angelegenheit von beiderseitigem Nutzen zu besprechen.
Nur durch reines Glück hatte sie von dieser Anzeige in der Times überhaupt erfahren. Wenn ihre Freundin Lizzie nicht stets in jeder Zeitung diese Bekanntmachungen durchgehen würde, wäre sie Audrianna wohl entgangen.
Der Nachname war zwar falsch geschrieben, aber sie war sich sicher, dass es sich bei dem hier erwähnten Mr Kelmsley um ihren Vater Horatio Kelmsleigh handelte. Offensichtlich wusste die Person, die sich mit ihm treffen wollte, noch nicht, dass er tot war.
Erinnerungen an ihren Vater drängten sich ihr auf. Audriannas Herz wurde schwer und ihre Augen begannen zu brennen, wie immer, wenn die Erinnerungen sie überwältigten.
Sie sah vor ihrem inneren Auge, wie er mit ihr im Garten spielte und sie vor Mama in Schutz nahm, die über ihre schmutzigen Schuhe schimpfte. Dann kam ihr eine andere, lang zurückliegende Erinnerung in den Sinn, wahrscheinlich ihre früheste. Er trug seine Armeeuniform, also musste sie aus der Zeit stammen, bevor er sein Offizierspatent verkauft hatte. Nach der Geburt ihrer Schwester Sarah nahm er eine Stelle im Munitionsamt an, das während des Krieges die Produktion von Munition überwacht hatte.
Doch am häufigsten erinnerte sie sich an sein trauriges, sorgenvolles Gesicht während der letzten Monate, als er zur Zielscheibe der Verachtung geworden war.
Sie steckte die Anzeige weg. Sie hatte ihr ins Gedächtnis gerufen, warum sie hier war. Nichts anderes war wichtig, weder der Regen noch die Blicke oder die Unhöflichkeit. Hoffentlich hatte sie recht mit der Annahme, dass der Domino über Informationen verfügte, die dabei helfen konnten, den Namen ihres Vaters reinzuwaschen.
Audrianna legte ihren blauen Mantel und die graue Pelisse ab und hing sie an die Garderobe zum Trocknen. Dann entfernte sie ihre Haube und schüttelte den Regen ab. Schließlich stellte sie die einzige Lampe des Zimmers auf einen Tisch neben der Tür und den einzigen Stuhl in die Schatten der gegenüberliegenden Ecke jenseits des Feuerscheins aus dem Kamin. Wenn sie dort saß, würde sie sofort sehen können, wer hereinkam, aber diese Person wäre ihrerseits nicht in der Lage, sie direkt zu erkennen.
Sie stellte ihre Reisetasche auf den Stuhl und öffnete sie. Ihr kam der Rest von Daphnes erster Lektion in den Sinn. Eine unabhängige Frau ist eine schutzlose Frau, daher muss sie lernen, sich selbst zu verteidigen.
Sie griff in die Tasche und zog die Pistole heraus, die sie unter ihren wenigen mitgebrachten Kleidungsstücken vergraben hatte.
Lord Sebastian Summerhays übergab sein Pferd dem Stalljungen. Der Bursche stellte sich in die lange Warteschlange der übrigen Stallknechte im Two Swords.
Sebastian betrat den Schankraum der Gaststube. Ein Querschnitt verschiedenster Menschen drängte sich unter ihrer Balkendecke. Der Regen hatte Reiter gezwungen, hier Unterschlupf zu suchen, und Kutschen waren aufgehalten worden. Die meisten Stühle und Bänke waren von Frauen und Kindern besetzt, während die Männer herumstanden und sich am Feuer abwechselten, um sich aufzuwärmen.
Dort positionierte sich Sebastian, während ein Großteil des Regenwassers von seinem Reitermantel tropfte. Die Luft war erfüllt vom Geruch nasser Wolle und ungewaschener Körper. Ein paar Bedienstete taten ihr Bestes, um einige Seidenhüte und Krepphauben zu retten, während andere überteuertes, unappetitliches Essen servierten. Sebastian warf einen geübten Blick auf das Meer von Gesichtern und suchte nach einem, das ihm verdächtig, ausländisch oder zumindest genauso neugierig vorkam, wie er selbst es war.
Der in der Anzeige verwendete Deckname ärgerte und faszinierte ihn gleichermaßen. Es würde seine Mission schwieriger gestalten, deutete aber auch auf gewisse Geheimnisse hin. Die Anzeige selbst, die an Kelmsley gerichtet war, ließ darauf schließen, dass der Verfasser nicht wusste, dass der Mann seit fast einem Jahr tot war.
Das wiederum deutete darauf hin, dass der Domino nicht aus London stammte und vielleicht nicht einmal aus England. Da der Name nicht richtig geschrieben war, konnte der Domino kein guter Freund oder enger Bekannter von Horatio Kelmsleigh sein. Mit ein wenig Glück wusste der Domino nicht einmal, wie Kelmsleigh aussah.
Kelmsleighs Selbstmord war in vielerlei Hinsicht unglücklich gewesen, vor allem bot er eine viel zu einfache Lösung für ein Geheimnis an, das sicherlich noch viele weitere Facetten besaß. Er hoffte, an diesem Abend herauszufinden, ob er recht damit hatte.
»Wen sehe ich denn da – Summerhays! Ich hätte nicht erwartet, in dieser jämmerlichen Absteige ausgerechnet auf dich zu treffen.«
Die Begrüßung direkt neben seinem Ohr riss Sebastian aus seiner Beobachtung des Raumes. Grayson, der Earl von Hawkeswell, stand neben ihm mit einem fast leeren Krug warmen Weines in der Hand. Er hatte blaue Augen und elegant geschnittenes schwarzes Haar, und auf seinem Gesicht prangte ein breites Lächeln.
»Mich hat vor fünf Meilen ein Wolkenbruch erwischt«, erwiderte Sebastian. Hawkeswell war ein alter Freund und enger Gefährte seiner wilderen Tage. Normalerweise wäre Sebastian erfreut gewesen, seine Gesellschaft zu haben, um eine voraussichtlich miserable Nacht hinter sich zu bringen, doch Sebastians Grund, hier zu sein, ließ Hawkeswells Erscheinen zu einer lästigen Sache werden. »Bist du auf dem Weg nach London, oder kommst du gerade von dort?«
»Auf dem Weg dorthin. Ich hatte heute Morgen in Brighton einen Termin mit einem Makler.«
»Dann verkaufst du das Anwesen also?«
»Mir bleibt keine Wahl.«
Sebastian drückte ihm sein Mitgefühl aus. Seit Hawkeswell den Titel geerbt hatte, stand es schlecht um seine Finanzen, und ein Großteil des veräußerbaren Erbes war bereits fort. Der Versuch, das Problem durch Heirat zu beseitigen, war fürchterlich schiefgegangen, als seine reiche Braut an ihrem Hochzeitstag verschwunden war.
Hawkeswell schaute sich suchend um. »Kein Gepäck? Ich hoffe doch, du hast nichts am Pferd gelassen. Alles von Wert wird bis zum Morgen gestohlen sein.«
Sebastian lachte unverbindlich. Er hatte kein Gepäck, weil er vorhatte, noch am gleichen Abend ungeachtet des schlechten Wetters und der Dunkelheit wieder nach London zu reiten.
»Hast du ein Einzelzimmer? Ist dein Gepäck dort? Ich habe um eines gebeten, aber der Wirt sagt, er hätte schon alle vergeben. Selbst mein Titel hat mir nichts genutzt. Aber wenn du eins hast, könnten wir hochgehen, ein wenig rauchen und trinken und dem Gestank hier unten entgehen.«
»Ich habe kein Zimmer. Tut mir leid.«
Hawkeswell hob die Brauen und schaute ihn wissend an. »Ach, du hast hier gar keinen Unterschlupf vor dem Regen gesucht, was? Und bist auch gar nicht auf dem Weg nach Brighton, möchte ich wetten. Du bist hier, um eine Frau zu treffen. Nein, sag nichts. Ich habe vollstes Verständnis für dein Bedürfnis nach raffinierten Ablenkungsmanövern. Du bist ja inzwischen praktisch der Marquess, oder? Kannst ja schlecht immer noch jedem Rock hinterherjagen, wie es dir passt.« Er legte scherzhaft seinen Zeigefinger an die Lippen, um Diskretion anzudeuten.
Diese Erklärung war so gut wie jede andere, daher beließ es Sebastian dabei. Er blieb freundlich und aufmerksam, während er seine genaue Überprüfung aller Gesichter abschloss. Niemand wirkte auf ihn augenscheinlich wie der Domino.
Wie es schien, hatte Hawkeswell vor, ihn den ganzen Abend mit seiner Gesellschaft zu beglücken. Sebastian musste ihn irgendwie loswerden und entschied, dass Hawkeswells eigene Theorie dafür herhalten musste.
»Du wirst mich entschuldigen müssen. Ich muss mit dem Wirt über die Person sprechen, mit der ich mich hier treffen wollte.«
Das ermöglichte ihm einen sauberen Abgang. Er fand den Gastwirt, der gerade einem drahtigen Burschen mit einem tief in die Augen gezogenen, braunen Hut ein Ale servierte.
»Hat irgendjemand nach Mr Kelmsley gefragt oder Erkundigungen über diesen Namen eingezogen?«
Der Wirt musterte ihn, dann nahm er das Geld seines Kunden entgegen. »Oben, am Ende des Ganges, letzte Tür. Der Gast dort ist wohl der, den Sie suchen, und ich will gar nicht wissen, warum.«
Sebastian ging zur Treppe. Er wünschte, Hawkeswell hätte richtig gelegen. Das nasskalte Wetter da draußen mit weiblicher Gesellschaft in einem Federbett abzuwarten, wäre eine angenehme Entschädigung für den erbärmlichen Ritt hierher. Doch stattdessen musste er seiner Pflicht nachkommen und eine lange Unterhaltung mit jemandem führen, der als der Domino bekannt war.
Audrianna schlang im Schatten ihr Schultertuch noch enger um sich. Das schwache Feuer hatte der feuchten Kälte in diesem Raum nichts entgegenzusetzen. Doch das war nicht der einzige Grund, warum sie zitterte.
Diese Nachtwache gab ihr Gelegenheit, ihren Entschluss zu hinterfragen, den sie eigentlich durch das erneute Lesen der Anzeige hatte bekräftigen wollen. Inzwischen begann sie, diesen Plan aus einer anderen Perspektive zu sehen, nämlich aus der ihres gesamten Lebens bis vor sieben Monaten.
Von diesem Standpunkt aus wirkte ihr heutiges Benehmen vollkommen verrückt und unentschuldbar leichtsinnig.
Mama wäre sicherlich dieser Meinung und Papa hätte ihr zugestimmt. Roger wäre entsetzt, wenn er es ebenfalls wüsste. Anständige junge Damen fuhren nicht allein mit öffentlichen Kutschen zu Wirtshäusern und warteten in dunklen Zimmern darauf, dass sich unbekannte Männer zu ihr gesellten.
Diese Expedition kam ihr allmählich wie ein seltsamer Traum vor. Sie riss sich zusammen und bemühte sich, wieder etwas ihrer früheren Entschlossenheit zurückzugewinnen.
Sie war hier, weil niemand sonst es tun würde. Die Welt hatte den guten Namen ihres Vaters zusammen mit seinem Leichnam beerdigt. Sein Tod war Beweis genug gewesen, dass die Anschuldigungen gegen ihn der Wahrheit entsprachen. Man nahm an, dass ein schlechtes Gewissen der Grund für seinen Selbstmord gewesen war, nicht etwa tiefe Melancholie und Niedergeschlagenheit.
Immer noch litt die ganze Familie unter dieser Schande. Mama beklagte den Verlust ihres Freundeskreises, während sie tapfer sein Andenken verteidigte. Selbst Onkel Rupert hatte aufgehört zu schreiben, als der Skandal ausgebrochen war, natürlich in dem Versuch, sich durch die Beendigung jeglicher Beziehungen reinzuwaschen. Und Roger – nun, auch seine unsterbliche Liebe hatte den Skandal nicht überlebt.
Sie versuchte, sich deswegen den Anschein von Gleichgültigkeit zu geben, aber bei dem Gedanken an Roger wurde ihr Herz von tiefem Bedauern erfasst. Sie war sich sicher, dass das irgendwann vorbei sein würde. Wenigstens konnte sie sich damit trösten, nie wieder so enttäuscht zu werden. Nach der tragischen Wendung, die ihr Leben genommen hatte, würde ihr kein anderer Mann mehr einen Heiratsantrag machen.
Sie hatte ihrer Mutter gesagt, sie würde zu ihrer Cousine Daphne ziehen, um die finanziellen Belastungen zu mildern, die nach Papas Tod die Einkünfte der Familie auf Mamas kleines Einkommen reduziert hatten. In Wahrheit wollte sie jedoch ihrem in Schwemut erstarrten Leben entkommen und ein neues beginnen, das ihr in ihrer Situation ein wenig Zufriedenheit versprach.
Die Menge unten im Schankraum verursachte gedämpften Lärm, der nur schwach an ihr Ohr drang. Hier im Obergeschoss war bis auf das gelegentliche Türenschlagen alles ruhig. Die Stille rief weiteres Unbehagen hervor. Doch es befanden sich andere Reisende in diesen Zimmern. Sollte dieser Domino etwas Ungehöriges versuchen, würde sie schreien und darauf vertrauen, dass schnell Hilfe einträfe.
Audrianna zog das Schultertuch höher, um ein weiteres Frösteln abzuwehren. Unter seiner wollenen Wärme schloss sie ihre Hand um Daphnes Pistole. Sie hatte sie mitgebracht, um sich Mut zu machen und damit Daphne ihr später nicht vorwerfen konnte, keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben. Bedauerlicherweise ließ sie das Gewicht in ihrer Hand erneut schaudern.
Sebastian drückte die Klinge herunter. Zu seiner Überraschung gab sie nach. Mit Leichtigkeit öffnete er die Tür zu dem Zimmer.
Eine Lampe direkt neben der Tür blendete ihn und ließ den Rest des Raumes zu einem Meer von Dunkelheit werden. Er trat hinein, um dem grellen Licht zu entgehen. Langsam passten sich seine Augen an.
Ein schwaches Lodern im Kamin schuf seine eigene kontrastreiche Malerei. Und genau wie in derartigen Gemälden begannen sich nach und nach aus der Dunkelheit Formen und Gestalten herauszubilden, je länger er hineinschaute.
Es erschien das Kopfende des von Vorhängen umgebenen Bettes, welches dem Kamin gegenüberstand. An den Wänden hingen Gobelins. Schließlich enthüllten die Ecken des Zimmers ihren Inhalt. Ein Schreibtisch. Der klobige Umriss eines Schrankes.
In einer anderen Ecke des Zimmers nahm eine Ansammlung von weichen Formen langsam Gestalt an. Sie wurden zu etwas, das er erkannte: eine Frau.
Ihre Anwesenheit ließ ihn innehalten. Er war davon ausgegangen, dass es sich bei dem Domino um einen Mann handelte. Diesen Fehler konnte man ihm sicherlich nachsehen, dennoch war es eine unzutreffende Annahme gewesen.
Die Entdeckung, dass der Domino nur eine Frau war, verbesserte seine Laune enorm. Er würde schnell herausfinden, was er wissen wollte, und könnte dieses Treffen schnell hinter sich bringen.
Er schenkte ihr ein Lächeln, das seinerzeit schon viele Frauen bezirzt hatte. Dann ging er zum Kamin.
»Bitte bleiben Sie dort«, sagte sie. »Ich muss darauf bestehen.«
Sie musste darauf bestehen? Das ließ ihn noch breiter lächeln. Sie hatte eine junge Stimme, jedoch nicht mädchenhaft. Während er sie genauer betrachtete, konnte er sie immer deutlicher erkennen.
Sie hatte dunkles Haar. Vielleicht diese faszinierende Mischung aus Rot und Braun. Es war schwer, ihr Alter zu beurteilen, aber er schätzte, dass sie Mitte zwanzig war. Ihr Gesicht wirkte sehr hübsch, aber bei diesem Dämmerlicht sähen die meisten Frauen attraktiv aus. Über ihren Oberkörper hatte sie ein dunkles Tuch gelegt. Die Farbe ihres Kleides war entweder Grau oder Lila, und es war, soweit er sehen konnte, recht schlicht.
»Ich wollte mich nur am Feuer aufwärmen«, sagte er. »Ich bin auf dem Weg hierher vollkommen durchnässt worden.«
Sie legte ihren Kopf ein wenig zurück, während sie über seine Erklärung nachdachte. »Dann also ans Feuer, aber nicht näher.«
Er legte seinen Reitermantel ab. Sie zuckte sichtlich zusammen.
»Ich würde ihn gerne zum Trocknen aufhängen, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, erklärte er.
Sie nickte.
Er hängte den Mantel an die Garderobe. Da er sich inzwischen an das Halbdunkel des Zimmers gewöhnt hatte, erkannte er, dass es sich bei den anderen Sachen, die dort hingen, um einen Frauenmantel und eine Pelisse handelte. Er positionierte sich am Kamin und gab vor, sich auf das Feuer zu konzentrieren, während er sie in Wirklichkeit aus dem Augenwinkel beobachtete.
Als er nun seinen Rücken der Wärme zuwendete, lächelte er sie erneut an. Sie rutschte unruhig unter dem Tuch herum.
»Ich sollte Sie warnen, dass ich eine Pistole besitze.« Ihre Stimme zitterte vor Aufregung.
»Seien Sie versichert, dass Sie sie nicht brauchen werden.«
Doch sie schien nicht überzeugt. Grüne Augen, dachte er. In ihnen erkannte er Entschlossenheit und ein wenig Angst. Letzteres war ein gutes Zeichen. Es ließ darauf schließen, dass sie nicht dumm war, und etwas Furcht würde nützlich sein.
»Ich hatte einen Mann erwartet«, sagte er.
»Mr Kelmsleigh war nicht verfügbar, also bin ich an seiner Stelle gekommen. Ich nehme an, dass Sie für Ihre Informationen eine Entlohnung erwarten. Ich bin dazu bereit, solange die Summe akzeptabel ist.«
Er verbarg seine Überraschung. Sie glaubte, er wäre der Domino. Was natürlich bedeutete, dass sie es nicht war.
Er war nie davon ausgegangen, dass das schlechte Schießpulver, das damals an der Front ankam, auf eine reine Nachlässigkeit von Kelmsleigh zurückzuführen war, auch wenn eine solche Nachlässigkeit ausreichte, um einen Mann zu ruinieren. Stattdessen steckten vermutlich Verschwörung und Betrug dahinter, und er bezweifelte, dass Kelmsleigh den Plan ausgeheckt und geleitet hatte. Dennoch hätte er niemals erwartet, dass Frauen an der Sache beteiligt waren. Nun deutete diese Komplizin darauf hin, dass zumindest eine beteiligt gewesen sein musste.
Doch wer zum Teufel war sie? Ihre Identität konnte sich als Verbindung zu den anderen an dieser Verschwörung Beteiligten erweisen.
Sie beobachtete ihn misstrauisch. Er konnte ihre Angst nun deutlich erkennen. Sie war nicht das, was er erwartet hatte, aber er nahm an, dass auch er für sie eine Überraschung darstellte.
Er hatte vorgehabt, sich selbst als Kelmsleigh auszugeben. Stattdessen hatte jemand anderes diese Anzeige gelesen und war gekommen, um ebenfalls Informationen zu kaufen.
Er änderte seinen Plan. Wenn er nicht mehr Kelmsleigh sein konnte, musste er eben den Domino darstellen.
Um Himmels Willen!
Dieser Tag hatte sich definitiv anders entwickelt, als sie ihn sich vorgestellt hatte.
Audrianna hatte nicht damit gerechnet, dass der Domino ein Mann von Stand sein würde. Und sie hatte sicherlich keinen hochgewachsenen, hübschen jungen Gentleman mit einem gewinnenden Lächeln erwartet.
Sie war sich nicht sicher, was sie stattdessen erwartet hatte. Sie wusste nur, dass es nicht dies gewesen war.
Er schien von ihrer Anwesenheit statt der ihres Vaters nicht weiter beunruhigt zu sein, genauso wenig wie von ihrer Erklärung, dass sie im Besitz einer Waffe war. Während er sich vor dem Kamin erwärmte, blieb sein Benehmen entgegenkommend. Immer wieder schenkte er ihr dieses kurze, überwältigende Lächeln, das wohl zu ihrer Beruhigung gedacht war.
Doch es beruhigte sie keineswegs. Stattdessen kam er ihr sehr gefährlich vor.
Das konnte an der Art liegen, wie der Schein des Feuers sein kantiges Gesicht betonte, oder daran, dass sein Blick viel durchdringender und wachsamer wirkte, als es sein Auftreten erforderte. Es konnte an seinem Reichtum liegen, der sich im Schnitt seines dunkelgrauen Reitermantels und der Qualität der hohen Stiefel sowie der eng sitzenden Wildlederhose widerspiegelte. Selbst sein dunkles, schwer zu bändigendes Haar sah mit dem kurzen Schnitt, der von Feuchtigkeit und Wind eher verbessert als ruiniert wurde, noch teurer aus.
Doch seine Erscheinung war nicht die Hauptsache. Sie konnte nicht ignorieren, wie sich bei seiner Ankunft die Atmosphäre im Raum verändert hatte, als ob er winzige, unsichtbare Blitze der Macht ausstrahlte.
»Sir, ich denke, dass wir zum Anlass dieses Treffens kommen sollten.«
»Bei diesem Wetter gibt es keinen Grund zur Eile. Keiner von uns beiden wird in den nächsten Stunden irgendwohin gehen.«
Sie wünschte, sie hätte ihm nicht gestattet, ihr so nahe zu kommen. Er stand jetzt nicht mehr als sechs Fuß von ihr entfernt und überragte sie förmlich. Sie konnte weder seine Größe ignorieren noch die Art, wie sie sich in seiner Gegenwart klein und verletzlich und viel benachteiligter fühlte, als angemessen war.
»Ich würde es dennoch gerne beizeiten hinter mich bringen.«
Eines dieser Lächeln deutete sich an, wie ein privates, das wohl einen seiner Gedanken reflektierte. »Wer sind Sie?«, fragte er.
»Spielt das eine Rolle?«
»Es spielt eine große Rolle. Soweit ich weiß, dachten Sie, dass ich hier einen anderen Kelmsleigh treffen wollte. Sie könnten mit Informationen verschwinden, die Ihnen nicht zustehen, und damit einem unschuldigen, arglosen Mann Kummer bereiten.«
»Das erscheint mir recht unwahrscheinlich.« Ihr Tonfall klang hart in ihren eigenen Ohren. Er klang so, als ob seine Information keine gute Neuigkeit wäre. »Doch da Sie wohl befürchten, einer unbeteiligten Partei gegenüber etwas zu enthüllen, werde ich den Kelmsleigh identifizieren, der mich interessiert. Er war im Munitionsamt beschäftigt. Ich hoffe, dass Ihre Information mit seiner Position dort zu tun hat.«
Sein Lächeln wirkte dieses Mal weniger gewinnend. Um genau zu sein, erinnerte es sie ein wenig an ein Raubtier. Es konnte natürlich am Lichtschein der Lampe liegen, aber ... Zu ihrer Bestürzung trat er auf sie zu, wobei seine Aufmerksamkeit auf ihr Gesicht gerichtet war.
»Ich bestehe darauf, dass Sie bleiben, wo Sie sind.« Sie hasste die Art, wie ihre Forderung als ängstlicher Ausruf herauskam.
Er ging weiter und stand plötzlich direkt vor ihr.
Audrianna sprang auf. Das Schultertuch fiel zu Boden. Sie zielte nicht mit der Pistole, sondern nahm sie geräuschvoll in die Hand. »Kommen Sie nicht näher. Ich weiß, wie man dieses Ding abfeuert.«
Er blieb eine Armlänge entfernt stehen. Nah genug, um zu erkennen, dass seine Augen dunkel waren. Sehr dunkel. Nah genug, dass sie ihn nicht verfehlen konnte, sollte sie abdrücken. Er ignorierte die Pistole und studierte stattdessen ihr Gesicht.
»Wer sind Sie?«, fragte er erneut.
»Sie geben sich selbst einen solch albernen Decknamen wie ›Domino‹ und erwarten von mir, meine Identität preiszugeben? Mein Name ist nicht wichtiger als Ihrer.«
»Was für eine Rolle spielen Sie in dieser Angelegenheit? Sind Sie eine Komplizin? Eine Geliebte? Vielleicht sind Sie ja mit einem der Soldaten verwandt, die starben? Ich will nicht, dass dieses Treffen einen Rachefeldzug auslöst.«
Sein Blick durchbohrte sie förmlich, was sie auf die merkwürdigste Weise verunsicherte. Trotz all seiner Vermutungen blitzte immer wieder dieses vage, reizvolle Lächeln auf, das Freundschaft und Aufregung und ... andere Dinge ausstrahlte, an die sie in diesem Augenblick keinesfalls denken sollte. Er hatte ein Gesicht, das Frauen verrückt machen konnte, und es ärgerte sie, dass sie sich dafür als anfälliger erwies, als es diese Situation erlaubte.
Sie hob die Pistole gerade so hoch, um nicht mehr auf den Boden zu zielen, sondern von ihrer Hüfte aus. Er warf einen Blick auf die Waffe, dann sah er wieder in ihr Gesicht. Erst jetzt sah er aus wie ein Mann, der herausgefordert worden war, aber wusste, dass er gewinnen würde.
»Über was für Informationen verfügen Sie?«, verlangte sie zu wissen.
»Wie viel Geld haben Sie?«
»Genug.«
»Wie viel, denken Sie, ist genug?«
»Ich bin nicht so dumm, um mit mir selbst zu handeln. Nennen Sie Ihren Preis.«
»Und wenn Sie nicht genug haben?« Er nickte auf die Pistole. »Wollen Sie mich dann dazu zwingen, alles zu enthüllen, koste es, was es wolle?
Plötzlich war er ihr noch näher. Sein Körper stand nur ein paar Zentimeter von der Mündung der Pistole entfernt und nun direkt vor ihr. Sie sah überrascht zu ihm auf.
Ihr stockte der Atem. Er kam ihr nun sehr gefährlich vor, auf eine Art, die nichts mit Pistolen zu tun hatte. Sein Blick und Lächeln waren darauf ausgelegt, sie zu betören und zu verführen, und er strahlte etwas Unsichtbares aus, das ihm dabei half.
Sie bezweifelte, dass irgendeine Frau gegen diesen Mann immun war. Es war, als ob seine Männlichkeit zu ihrem primitiveren Selbst sprach und ihr Verstand in dieser Unterhaltung nichts zu sagen hatte.
Obwohl sie versuchte, sich mit einem geistigen Schutzschild zu verteidigen, reagierte sie unmittelbar körperlich. Sündhafte kleine Pfeile der Erregung schossen durch ihren Körper. Tapfer kämpfte sie gegen seine Wirkung, aber diese Pfeile ließen sich auf ihren aufregenden Pfaden nicht aufhalten und ignorierten ihre damenhafte Bestürzung.
»Es wäre besser, wenn Sie diese Waffe weglegen würden«, sagte er leise. »Wir trafen uns als Verbündete, nicht als Feinde. Freunde, keine Feinde.«
Das Wort »Freunde« sprach er mit Samtstimme aus. Sie verstärkte ihren Griff um die Pistole.
»Geben Sie sie mir.« Er sprach zwar sanft, aber es war ein Befehl. In seinen Augen funkelte Zuversicht, dass er in dieser und jeder anderen Sache, die er sich in den Kopf setzte, seinen Willen bekommen würde.
In verzweifelter Auflehnung spannte sie den Hahn.
»Zwei Klickgeräusche. Sie wissen wirklich, wie man damit umgeht.« Er sah sie finster an. Er schien nun weniger wie ein »Freund«, sondern streng und wütend zu sein. »Sie benehmen sich töricht. Halten Sie die Waffe zumindest in eine andere Richtung. Sie könnte jetzt auch aus Versehen losgehen.«
»Ich werde sie benutzen, wenn ich muss. Sie sollten meine Entschlossenheit nicht prüfen.«
»Es ist keine Entschlossenheit, die ich gerade bei Ihnen spüre.«
»Dann lassen Ihre Sinne Sie im Stich.«
»Was Frauen angeht, lassen mich meine Sinne nie im Stich. Wenigstens nicht dieser eine Sinn.«
Er spielte auf diese dummen Pfeile, ihre atemlose Angst und die schockierende Stimulation an. Er wusste es. Noch schlimmer, er hatte es sogar ausgesprochen.
Er beobachtete sie und schien etwas abzuwägen. Sein Blick lockte und erschreckte sie gleichzeitig.
Da war es wieder, dieses Lächeln, dass sie in Sicherheit wiegen und ihr ohne Worte schmeicheln sollte. »Ich wage es nicht, meine Informationen offenzulegen, bevor ich nicht Ihre Rolle in diesem Spiel kenne. Sie sind ein unerwarteter Akteur.«
»Was spielt es für eine Rolle, wer Ihre Geschichte hört, solange Sie bezahlt werden?«
»Ich bezweifle, dass Sie genug Geld hätten, um zu kaufen, selbst wenn ich verkaufen würde.«
Sie befürchtete, er könnte recht haben. Alles an ihm sprach von allerhöchster Qualität. An seiner geschmackvoll bestickten Weste hing eine Goldkette, zweifellos befestigt an einer goldenen Uhr. Die zehn Pfund und das Goldmedaillon in ihrem Ridikül würden einen solchen Mann nicht beeindrucken.
Sie könnte den langen Weg, drohende Belästigungen und möglichen Ruin auf sich genommen haben, nur um jetzt zu scheitern, weil die Forderungen des Dominos zu hoch waren.
Er beobachtete sie, als ob er die Kalkulation in ihrem Kopf hören würde. »Wie sehr wollen Sie diese Information? Sie sind so hübsch, das ich Sie Ihnen vielleicht im Austausch für einen Kuss geben würde.«
»Einen Kuss! Ich fange an, Sie für einen Scharlatan zu halten, wenn Sie so eine geringe Bezahlung akzeptieren würden.«
»Sie schätzen Ihre Küsse so gering ein?«
»Der Preis jedes Kusses ist flüchtig, ganz egal, wie viel er wert ist.«
»Was für eine traurige Einstellung. Aber wie ich hoffe, eine ebenso unwahre. Die Dichter sagen, dass es gewisse Küsse gibt, die die Seele eines Menschen für immer nähren.«
»Die Dichter sind Narren.« Diese Konversation hatte eine höchst eigenartige Wendung genommen.
»Ich befürchte, Sie haben recht, aber ich hoffe es nicht. Daher mache ich Ihnen ein Angebot. Meine Seele sagt mir, dass Sie vielleicht die Frau sein könnten, deren Kuss für mich einen ewigen Wert haben wird.«
Was für ein lächerlicher Unsinn! Sie beide wussten, dass er ihr nur aus Eigennutz schmeichelte und ein Kuss gar nicht das eigentliche Ziel war. Sein Gesichtsausdruck verriet das Spiel, das er schamlos spielte.
Sie sollte ihn in seine Schranken weisen und ihn wissen lassen, dass sie keine törichte Frau war, die in Verzückung geriet und kicherte, nur weil ein hübscher Mann mit umwerfenden Augen und einem verführerischen Lächeln mit ihr flirtete.
Abgesehen davon fühlte sie sich trotz ihrer innerlichen Ermahnungen tatsächlich ein wenig schwindlig und euphorisch. Sie war tatsächlich kurz davor, zu kichern. Ihr wurde warm und ihre Haut prickelte von seiner Schmeichelei.
»Ich muss natürlich herausfinden, ob Sie diese Frau sind«, sagte er. »Da Sie diesen Handel nicht eingehen wollen, bin ich zum Stehlen gezwungen.« Sein Kopf neigte sich. Seine Lippen streiften über ihre.
Der Schock ließ sie erstarren. Ihr Herz flatterte. Die aufregenden kleinen Pfeile vervielfachten sich und schossen durch ihren gesamten Körper. Roger hatte sie ein paar Mal geküsst, und auch wenn diese Küsse sehr nett gewesen waren, hatten sie doch keineswegs eine solche Wirkung erzielt. Aber Roger war ja auch kein Fremder gewesen, dessen Küsse skandalös, gefährlich und auf köstliche Art und Weise verboten waren.
Seine Lippen blieben nicht nur auf ihren liegen. Sie neckten sanft und wanderten und pressten. Ein frivoler kleiner Biss ließ ihr Herz hüpfen.
Eine neue Berührung lenkte sie ab. Erstaunte sie. Eine neue Weichheit, feucht und teuflisch. Gütiger Himmel, es war die Spitze seiner Zunge, die die empfindliche Stelle unter ihrer Unterlippe kitzelte und damit Schauer auslöste, die durch ihren ganzen Körper liefen.
In ihrer Benommenheit spürte sie, wie er sanft ihr Handgelenk ergriff. Er bewegte ihren Arm zur Seite, damit die Pistole auf die Wand zu ihrer Rechten zeigte.
Nun wurde sie nicht länger von der Waffe geschützt oder von ihm getrennt. Sein Griff kontrollierte sie und die Waffe, aber dieser Kuss interessierte sie mehr als die Stimme der Vorsicht in ihrem Kopf, die panisch protestierte.
Er kam noch näher. Ihr schlug das Herz bis zum Hals.
Seine rechte Hand wanderte langsam und erstaunlich zärtlich um ihren Hals. Vorsichtig, aber kontrolliert. Warm, aber nicht vollkommen sanft. Das Gefühl seiner Haut auf ihrer und die leichte Rauheit seiner Berührung verzauberten sie. Seine Hand erzeugte köstliche Schauer, bis sie ihren Nacken umschloss. Wieder küsste er sie.
Dieses Mal war es intensiver. Verlangender und aggressiver. Er spielte mit ihrer Verletzlichkeit und machte eine Dominanz geltend, der sie nicht widerstehen konnte. Sie dachte nicht einmal mehr darüber nach, wie verdorben sie war, um so etwas zuzulassen, oder wie unerklärlich töricht sie war. Ein Durcheinander aus lustvollen Empfindungen vernebelte solch vernünftige Gedanken.
Seine linke Hand legte sich über ihre, in der sie die Pistole hielt. Mit liebkosenden, sachten Fingern entwendete er die Waffe aus ihrem Griff.
Ihre plötzlich leere Hand weckte ein wenig Verstand in ihr.
Was tat sie hier?
Sie öffnete ihre Augen, wörtlich und im übertragenen Sinne. Was sie sah, riss sie aus ihrer Benommenheit.
Die Tür stand auf. Und sie waren nicht allein. Hinter dem Domino stand ein weiterer Mann.
Ihr Verführer hielt im Kuss inne. Stirnrunzelnd folgte er ihrem Blick und warf einen Blick über seine Schulter. Sofort war er alarmiert.
»Was zum ...?«
Der Eindringling sah die Pistole und stürmte vorwärts. Der Domino drehte sich und stieß Audrianna aus dem Weg. Unsanft fiel sie auf den Stuhl zurück.
Vor ihren Augen verschwamm ein Wirbel aus schnellen Bewegungen. Der Angreifer warf sich gegen den Domino und brachte sie beide zu Fall. Eine Hand griff nach der Waffe, während die beiden miteinander kämpften.
Ein lauter Knall erschütterte das Zimmer. Dann war der Eindringling plötzlich wieder auf den Beinen und rannte davon. Der dunkle Flur verschluckte ihn.
Der Domino sah auf seinen Arm. Durch den angesengten, zerrissenen Ärmel seines Hemdes sickerte Blut aus seinem Oberarm.
»Verdammt.« Er sprang ebenfalls auf und rannte zur Tür hinaus. Audrianna hielt sich an den Armlehnen ihres Stuhls fest und bemühte sich, ihr pochendes Herz zu beruhigen.
Im Haus vernahm sie Geräusche. Sie wurden lauter. Schreie und Rufe ertönten von unten und den benachbarten Räumen.
Der Domino kam zurück in ihr Zimmer und schloss die Tür.
»Ihr Arm!«, rief sie.
»Die Kugel steckt dort in der Wand.« Er deutete auf ein neues dunkles Loch im Putz unter dem Fenster. »Aber ein paar Zentimeter mehr und ...«
Weitere Rufe erklangen. Sie kamen näher.
Er sah auf sie herunter. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Nehmen Sie sich zusammen und wagen Sie es ja nicht, in Ohnmacht zu fallen.«
»Mir geht es gut. Ich bin nur ein wenig atemlos und schockiert.«
»Sie haben eine geladene Pistole mitgebracht und den Hahn gespannt, verdammt noch mal! Sie sollten nicht zu überrascht sein, wenn sie am Ende losgeht.« Er schob ihr Gesicht mit einem festen Griff nach oben, um anscheinend ihre Verfassung und eine drohende Ohnmacht zu überprüfen.
»Sie werden gleich hier sein«, sagte er. »In wenigen Sekunden. Sagen Sie gar nichts. Ich werde die Fragen beantworten.«
Schnell blickte sie in der Kammer umher. Natürlich würde es Fragen geben. In diesem Gasthaus war eine Pistole abgefeuert worden und jeder hatte es gehört.
Ein lautes Durcheinander näherte sich der Tür. Stimmen, schwere Schritte und Aufregung. Dann plötzliche Stille. Knarrend öffnete sich die Tür einen Spalt.
»Sagen Sie nichts«, ordnete der Domino erneut an.
Die Tür flog weit auf. Dahinter stand der Gastwirt mit einem besorgten Gesichtsausdruck. Als er sie beide sah, veränderte er sich zu Erleichterung, fast augenblicklich abgelöst von Verärgerung. Hinter ihm verrenkten sich eine Reihe von Schaulustigen, um ebenfalls in den Raum hineinzusehen.
»Es ist niemand tot«, verkündete der Wirt über seine Schulter. Während sich diese Neuigkeit über den Flur verbreitete, trat er in das Zimmer und verschränkte seine Arme. Er betrachtete die Armwunde seines Gastes, dann den Stuhl, auf dem Audrianna saß, und schließlich die immer noch auf dem Boden liegende Pistole.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Audrianna. »Ich wusste schon bei Ihrer Ankunft, dass Sie nichts als Ärger bringen würden. Das hier ist ein respektables Gasthaus und ich werde nicht ...«
»Summerhays! Was zur Hölle ...« Ein neues Gesicht tauchte in der Menge vor der Tür auf, ein hübsches noch dazu, mit blauen Augen und sehr langen, dunklen Locken.
Dieser Neuankömmling schob sich an den anderen vorbei, bis er es über die Türschwelle geschafft hatte. Er betrachtete die Szene und schüttelte seinen Kopf. »Schlecht getan, Summerhays. Sehr schlecht getan.«
Audrianna begriff mit einem Mal entsetzt, wie das hier aussehen musste. Ein Mann und eine Frau allein in einem Gasthaus ... Der Mann durch eine Pistole verwundet ... Sie alle dachten, dass sie und der Domino Liebende waren, es einen Streit gegeben und sie auf ihn geschossen hatte!
»Du blutest, Summerhays«, bemerkte der unbekannte Gentleman. »Hast du eine Kugel abbekommen?«
Langsam wurde ihr klar, dass dieser imposante Herr nicht mit dem Gastwirt sprach, sondern mit dem Domino. Summerhays. Bei der Untersuchung gegen ihren Vater hatte es einen Parlamentsabgeordneten Summerhays gegeben. Lord Sebastian Summerhays. Er war der Bruder des Marquess von Wittonbury, und er war rücksichtslos, grausam und unerbittlich gewesen.
Aber wie konnte er der Domino sein? Er wusste doch besser als jeder andere, dass ihr Vater tot war und ...
Sie starrte ihn an, als ihr die Wahrheit bewusst wurde.
»Die Kugel ist hier in meiner Wand.« Der Wirt beugte sich vor, um den Schaden zu begutachten. »Aber dass sie auf seinen Arm oder Schlimmeres gezielt hat, ist eindeutig. Diese Frau hier hat ohne Zweifel auf ihn geschossen und er hatte Glück, dass sie keine gute Schützin ist.«
Die Menge vor der Tür stimmte dieser Meinung zu. Einige gaben die Neuigkeit weiter, dass eine Frau versucht hatte, ihren Liebhaber zu erschießen. Die Beschuldigung hallte wie ein Echo durch das Gebäude.
»So war es nicht.« Lord Sebastian riss sich die Reste seines Ärmels ab und benutzte die Fetzen, um sie auf den großen, dunklen Streifschuss an seinem Oberarm zu pressen. »Hier war ein Eindringling, ein Dieb. Ich habe versucht, mich zu verteidigen und er griff mich an. Während des Handgemenges ging die Pistole los.«
»Das klingt ziemlich unwahrscheinlich«, murmelte der Gastwirt.
»Zweifeln Sie mein Wort als Ehrenmann an?«, fragte Lord Sebastian drohend.
»Ich zweifle gar nichts an, Sir. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, überlasse ich das lieber dem Friedensrichter. Sie können ihm alles über den dreisten Dieb erzählen, der in ein belegtes Zimmer eindringt und dann ohne Beute flieht.« Der Wirt bedachte Audrianna mit einem abschätzigen Blick. »Sollen wir einen Arzt aus Brighton kommen lassen, Sir? Oder kann diese Frau hier die Wunde ausreichend versorgen, während wir auf den Friedensrichter warten? Ich werde mich darauf verlassen, dass Sie als Ehrenmann tatsächlich warten und nicht heimlich fliehen.«
Lord Sebastian entfernte den Fetzen von seinem Arm und untersuchte den Streifschuss. »Sie haben mein Wort. Wir kommen mit der Wunde schon zurecht. Lassen Sie frisches Wasser und saubere Tücher heraufbringen. Außerdem wird die Dame ein anderes Zimmer für die Nacht brauchen, also sorgen Sie bitte dafür.«
»Die anderen Zimmer sind alle belegt und ich werde auch niemanden fortschicken, um sie unterzubringen. Und angesichts dessen, was sie getan hat, will ich auch nicht, dass sie durch mein Gasthaus wandert. Ich habe keine Zeit, Gefängniswärter zu spielen, also überlasse ich das Ihnen, Sir. Auch dabei werde ich mich auf Ihr Wort verlassen. Haben Sie ein Auge auf diese Person und achten Sie darauf, dass sie hier bleibt, bis der Richter eintrifft.«
»Wenn Sie darauf bestehen. Gehen Sie jetzt.«
Sein Befehl war leise, aber mit solcher Autorität ausgesprochen, dass der Gastwirt sofort zur Tür ging. Die Menge begann, sich zu zerstreuen und ihm Platz zu machen.
»Du auch, Hawkeswell«, ergänzte Lord Sebastian. »Ich brauche etwas Ruhe. Außerdem bitte ich dich um deine Diskretion, auch wenn es nicht viel hilft. Ich bin mir sicher, dass du das verstehst.«
»Ich gewähre dir gerne beides. Und ich habe ein zusätzliches Hemd in meinem Gepäck. Ich werde es dir bringen lassen.« Er verneigte sich leicht vor Audrianna und folgte dem Wirt aus dem Zimmer.
Lord Sebastian schloss die Tür vor den neugierigen Nachzüglern, die ihre Nase um den Türpfosten streckten. Dann ging er zum Feuer und besah sich die Wunde genauer.
»Warum ist sie so schwarz?«, fragte Audrianna.
»Wegen des heißen Schießpulvers. Die Kugel hat mich zwar nur gestreift, aber die Stelle ist ziemlich versengt.«
Er sah sie an. »Ihr Name. Ich brauche ihn jetzt, und wagen Sie es nicht, mich anzulügen. Der Friedensrichter wird ihn mit Sicherheit aus Ihnen herausbekommen, und ich will nicht im Dunkeln darüber bleiben, was hier eigentlich vorgeht.«
Sie war zu erschüttert und verängstigt, um zu lügen. »Ich bin Audrianna Kelmsleigh, Horatio Kelmsleighs Tochter.«
Überrascht entglitten ihm die Gesichtszüge.
»Ich sah eine Zeitungsanzeige von jemandem, der sich selbst der Domino nannte, und es schien, als sei sie an meinen Vater gerichtet«, erklärte sie. »Statt seiner kam ich hierher, um herauszufinden, ob dieser Mann über Informationen verfügte, die den Namen meines Vaters hätten reinwaschen können.« Am Tag zuvor hatte alles noch so richtig, so notwendig geklungen. »Warum sind Sie hier?«
»Ich habe die Anzeige ebenfalls gesehen und genau wie Sie gehofft, mit diesem Domino sprechen zu können.«
»Warum? Mein Vater ist tot. Die Welt hat sich weitergedreht.«
»Ich glaube, dass mehr dahintersteckt.«
»Ich verstehe nicht, wie Sie etwas von dieser Person erfahren wollten, indem Sie sich selbst als Domino ausgeben.«
»Mein Plan bestand darin, mich als Kelmsleigh auszugeben. Als Sie annahmen, dass ich der Domino sei, entschied ich mich, mitzuspielen und herauszufinden, wer diese unerwartete Frau ist und welche Rolle sie in der Verschwörung spielt.«
In der Verschwörung?
Die Tür wurde geöffnet. Ein Dienstmädchen trug eine Schüssel und einen Krug Wasser herein. Dann legte sie ein paar saubere Tücher auf das Bett. »Ein Herr von unten hat mich außerdem gebeten, Ihnen dieses Hemd zu bringen«, sagte sie, starrte Audrianna unverhohlen neugierig an und eilte dann wieder hinaus.
Lord Sebastian stellte den Krug neben das Kaminfeuer. Er setzte sich aufs Bett und legte erst seine Weste ab, dann das zerrissene Hemd. Als der Stoff die Wunde berührte, verzog er schmerzerfüllt sein Gesicht.
Audrianna blinzelte erschrocken. Dieser Mann war nun weniger als leicht bekleidet. Dort saß er, mit der Wunde beschäftigt, halb entkleidet, halb nackt, wenn man ehrlich sein wollte. Er schien es nicht im Geringsten seltsam zu finden, dass sie gleich neben ihm saß.
Noch nie zuvor hatte sie einen Mann ohne sein Hemd gesehen. Sie bemühte sich, ein abgeklärtes Desinteresse vorzutäuschen, aber sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass Lord Sebastian kein schlechter Anfang war, wenn man als Frau zum ersten Mal in seinem Leben einen halb nackten Mann erblickte. Auch wenn er kein Knabe mehr war, besaß er doch immer noch die bestechende Schlankheit der Jugend und kräftige Muskeln, die sich auf seinem Oberkörper abzeichneten.
»Ich benötige jetzt diesen Stuhl, Miss Kelmsleigh. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Sie sprang von ihrem Platz. Er drehte den Stuhl vor das Feuer und setzte sich umgekehrt mit gespreizten Beinen darauf. Mit dem inzwischen erwärmten Wasser und etwas Seife begann er, die Wunde an seinem Oberarm zu reinigen.
Sie nahm an, dass es ihn schmerzte, aber er zeigte keine Reaktion. Vielleicht war er sich ihrer Anwesenheit doch nicht so unbewusst, wie es schien.
»Ich werde nach unten gehen, während Sie ...«
»Ich habe mein Wort gegeben, dass Sie dieses Zimmer nicht verlassen werden. Außerdem erwartet Sie dort unten nichts als Verachtung oder Schlimmeres. Sie bleiben hier, bis der Friedensrichter kommt, und bis dahin werden wir entscheiden, was wir ihm sagen werden.«
Sie rückte näher. Bei seinen Reinigungsversuchen hatte er eine Stelle an der Rückseite seines Arms übersehen. »Erlauben Sie mir, Ihnen zu helfen. Geben Sie mir das Tuch.«
Er reichte es ihr. Sie tupfte das schwarze Pulver fort. Nun konnte sie die Wunde besser sehen. Sie war nicht tief, hatte aber einen ziemlich breiten verbrannten Rand. Sie bezweifelte trotzdem, dass ein Arzt mehr hätte tun können, als sie zu säubern.
»Konnten Sie ihn gut sehen?«, fragte er. »Den Domino?«
»Glauben Sie, dass er es war?«
»Ich bin davon überzeugt. Er muss mitgehört haben, wie mir der Weg zu diesem Zimmer beschrieben wurde, und dachte, dass Kelmsleigh hier wäre. Haben Sie sein Gesicht gesehen? Würden Sie ihn wiedererkennen?«
Audrianna rief sich den Moment wieder ins Gedächtnis. Sie versuchte, die Ereignisse zu verlangsamen. Als er auf sie zugegangen war, hatte sie einen Blick auf das Gesicht des Eindringlings unter seinem breitkrempigen Hut werfen können. Sie erinnerte sich an seine Überraschung, sie dort vorzufinden, halb verdeckt durch Lord Sebastian, dann sein Schrecken, als er die Pistole in Sebastians Hand bemerkte.
»Ja, ich glaube, ich würde ihn wiedererkennen. Denken Sie, dass er noch hier ist?«
»Er hat gerade auf einen Mann geschossen und ist inzwischen wahrscheinlich schon über alle Berge. Aber es ist gut, dass einer von uns beiden sein Gesicht gesehen hat. Das könnte später nützlich sein.«
Er klang entschlossen und zornig. Sie bezweifelte, dass sein fortgesetztes Interesse an dem Domino ihr eigenes Anliegen begünstigen würde.
Er brütete weiter vor sich hin, während sie tupfte und reinigte. Dann drehte er sich mit finsterem Blick zu ihr um. »Sie hätten wirklich nicht herkommen sollen. Was haben Sie sich bloß dabei gedacht?«
»Ich dachte mir, dass sich niemand sonst für die Wahrheit interessiert und ich die Sache deswegen selbst in die Hand nehmen muss.«
»Sie haben eine unnötige Komplikation und Ablenkung geschaffen.«
»Ich glaube nicht, dass sich ein Mann wie Sie leicht ablenken lässt. Noch gebe ich mich der Illusion hin, dass ich die Art Frau bin, die einen Mann dazu bringen kann, sich zu vergessen. Doch ich erinnere Sie daran, dass jene Ablenkung, die zu dieser Verwundung führte, Ihr eigenes Werk ist.«
Bei dieser Anschuldigung funkelten seine Augen, aber das Feuer erlosch bald. Sein Gesicht blieb weiterhin ernst, doch er machte ihr keine erneuten Vorwürfe.
Audriannas Blut kochte jetzt ebenfalls. Die Ereignisse und Unterhaltungen dieses Abends verlangten nach einer Erklärung.
»Sie sprachen von einer Verschwörung, Lord Sebastian. Was meinten Sie damit?«
»Ich glaube nicht, dass sich Ihr Vater der Fahrlässigkeit schuldig gemacht hat. Und ich glaube nicht, dass das schlechte Schießpulver, dass diese Soldaten wehrlos machte, ein Versehen war.«
Seine Antwort schockierte sie. Er deutete an, Ihr Vater hätte absichtlich schlechtes Schießpulver an die Front geschickt. »Wie können Sie es wagen! Reicht es nicht, dass er unrechtmäßig bis zur Verzweiflung blamiert wurde? Ihn jetzt zu beschuldigen ...«
»Er war der letzte Qualitätsprüfer in einer langen Reihe von Durchläufen. Die Auslieferung war nicht ohne seine Unterschrift möglich. Ob er nun der Nachlässigkeit oder der Verschwörung schuldig war, die Aufmerksamkeit hat sich nicht ohne Grund auf ihn gerichtet, Miss Kelmsleigh. Es tut mir leid, aber das ist die Wahrheit.«
Sie wollte ihn für diese Beleidigung schlagen. Stattdessen tupfte sie immer stärker, während ihr Tränen der Wut die Sicht verschleierten. »Das ist nicht die Wahrheit. Sie irren sich. Mein Vater war unschuldig.«
Plötzlich legte sich seine Hand über ihre und hielt sie fest. Dieser Griff deutete darauf hin, dass sie ihm mehr wehgetan hatte, als ihr klar gewesen war, und ihre Nähe zu seinem immer noch stoischen Gesicht stellte eine unerwartete Intimität her.
Ihre Bestürzung über seine Andeutungen bezüglich ihres Vaters vermischte sich mit einer neuen Überraschung. Sie begriff, dass er ihre Hand hielt, um ihren Kummer zu lindern.
Niemand hatte das je zuvor getan. Nicht seitdem der Skandal ausgebrochen war. Nicht Mama, die zuerst so voller Sorge und nun voller Trauer war, und sicherlich nicht Roger. Nicht einmal ihre Cousine Daphne, die am liebsten die ganze Geschichte wie in einem Buch für immer verschlossen hätte.
Doch nun machte dieser Mann, der ihrem Vater quasi den Strick gedreht hatte, an dem er sich schließlich aufgehängt hatte, diesen kleinen Versuch, sie zu trösten. Eigentlich sollte sie seine Berührung abschütteln und die Bemühung ignorieren. Sie sollte ihm sagen, er wäre die letzte Person auf der Welt, von der sie Mitleid empfangen wollte.
Stattdessen konnte sie sich einen Moment lang nicht bewegen. Sie schloss die Augen und akzeptierte die Menschlichkeit seines Mitgefühls, das wie warmes Wasser in ihren Körper floss. Sie ließ es ihr Herz berühren und ihren inneren Aufruhr besänftigen. Sie ignorierte den eigenartigen Ursprung der Trostquelle, weil sie so verzweifelt Linderung brauchte.
Er hob ihre Hand und zog ihr den blutigen Stoff aus der Hand. Dann nahm er sich ein frisches Tuch. »Helfen Sie mir, das zu verbinden, damit ich mich für unseren Gast anziehen kann.«
Mit zitternden Händen band sie das Tuch um seinen Arm, während er es fixierte.
Dann erhob er sich. Plötzlich war seine nackte Brust direkt vor ihrem Gesicht. Die unerwartete Nähe seines Oberkörpers, die Beschaffenheit seiner Haut und die Art, wie der Schein des Kaminfeuers seine kräftigen Muskeln mit tiefen Schatten betonte, machten sie einen Augenblick ganz benommen.
Sie zwang sich, aufzusehen und ertappte ihn dabei, wie er ihre Musterung seines Körpers beobachtete. Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie wich zurück und drehte sich weg von ihm, damit er ihre Verlegenheit nicht bemerkte.
Es hatte nichts Kritisches in seinem Blick gelegen, auch nichts Anzügliches. Sein Ausdruck war weitaus schockierender gewesen.
Sie hatte seine Faszination gesehen und eine stumme Bestätigung eines gemeinsamen Geheimnisses. Ebenso Selbstvertrauen, als ob er genau wusste, dass er schön anzusehen war. Aber auch Neugier, als ob ihr Interesse an ihm weniger vorhersehbar als das anderer Frauen vor ihr sei.
Sie hörte, wie er sich anzog, dann wurde der Stuhl wieder bewegt.
»Miss Kelmsleigh.«
Sie zwang sich, ihn anzusehen. Er schien nun wieder ganz angemessen gekleidet. Nun war er nicht nur von seinem Hemd und der Weste bedeckt, sondern er trug auch den dunkelgrauen Reitermantel, den er anfangs abgelegt hatte. Sein Halstuch war angesichts der Schmerzen, die es ihm verursacht haben musste, den Arm zu bewegen, recht gut gebunden.
»Miss Kelmsleigh, es tut mir sehr leid, dass Ihr Vater tot ist. Ich bedauere Ihren Kummer und ich bedauere, dass meine Suche nach der Wahrheit Ihre Familie verletzt hat. Doch entweder heute Abend oder morgen Früh wird der örtliche Friedensrichter einige unangenehme Fragen stellen. Ich muss Sie darum bitten, mir zu vertrauen und mir zu gestatten, für uns beide zu antworten.«
Seine Erwähnung des Todes ihres Vaters entflammte erneut die Wut, die sie überhaupt erst veranlasst hatte, diese unglückliche Reise anzutreten. Sie war für Summerhays Trost dankbar, doch er veränderte nichts.
»Sie haben meinen Vater bis ins Grab gejagt, Lord Sebastian. Sie und die anderen Regierungsbeamten, die nicht von dieser Geschichte mit dem Schießpulver aufhören konnten. Sie wollten keine andere Erklärung akzeptieren und bestanden darauf, dass das Munitionsamt einen Sündenbock liefert, den Sie öffentlich an den Pranger stellen konnten. Es wäre töricht, Ihnen zu vertrauen.«
»Ihre Sichtweise ist verständlich. Doch ich bin der einzige Schutz, den Sie in dieser Angelegenheit haben. Mein Wort als Ehrenmann, der Titel meines Bruders und meine Position in der Regierung könnten Sie retten.«
»Mich retten? Sobald bekannt wird, dass wir beide hier allein waren, wird der Skandal untrennbar mit mir verbunden sein, ganz egal, wer Sie sein mögen. Im Gegenteil, Ihre Position wird mich noch verrufener wirken lassen.«
»Diese Art von Skandal sollte die geringste Ihrer Sorgen sein. Genau genommen wäre es sogar das Beste, wenn der Magistrat das hier als Streit unter Liebenden einstuft. Denn wenn er herausfindet, dass Sie Horatio Kelmsleighs Tochter sind, wird er denken, dass Sie mich herbestellt haben, um den Tod Ihres Vaters zu rächen und mich umzubringen.«
Am liebsten hätte sie über seine dramatische Prognose laut gelacht. Dann erkannte sie, wie die Sache in den Augen des Wirtes ausgesehen haben musste. Lord Sebastian hatte recht. Ihre Identität würde die Ereignisse dieses Abends in ein anderes und viel schlimmeres Licht werfen.
Der Gedanke verursachte ihr Übelkeit. Sie hätte niemals die Sicherheit von Daphnes Haus verlassen sollen. Nie hätte sie gegen die ungerechte Wendung aufbegehren sollen, die ihr Schicksal genommen hatte, oder so dumm sein, zu denken, dass sie es ändern konnte.
Lord Sebastian deutete auf das Bett. »Es lässt sich nicht sagen, wann er eintreffen wird. Ruhen Sie sich solange aus, während ich darüber nachdenke, wie wir Sie vor einer Anklage wegen versuchten Mordes bewahren können.«
Mit seinem unverletzten Arm zog er den Bettvorhang zu. Dann hob er den Saum an einer Seite an und schob ihn bis zur Hälfte des Bettes, um einen schmalen, aber brauchbaren Tunnel der Privatsphäre für sie zu schaffen.
»Legen Sie sich hin, Miss Kelmsleigh, und versuchen Sie, zu schlafen. Sie sind dort vollkommen sicher.«
Sie warf einen langen Blick auf das Bett. »Wo werden Sie sein?«
»Auf der anderen Seite dieses Vorhangs.«
»Das wäre wohl höchst unangebracht.«
»Denken Sie nicht, dass wir über solche Schicklichkeiten hinaus sind?«
Sie verzog resigniert das Gesicht. Dann wickelte sie sich in ihr Schultertuch und kroch in ihre Ecke des Bettes. Sie befanden sich praktisch unter Arrest, und so gab es keine Möglichkeit, auf die Etikette zu achten. Er konnte mit seinem verletzten Arm nicht die ganze Nacht auf diesem Holzstuhl sitzen, und er würde es ihr wahrscheinlich auch nicht zumuten, während er das Bett benutzte.
Sie legte sich hin, rollte sich auf ihrer Seite zusammen und schloss die Augen. Trotz der Erschöpfung fühlte sich ihr Körper wie ein gespannter Bogen an. Sie hörte leise Geräusche, während er sich im Zimmer umher bewegte.
Dann senkte sich neben ihr und dem wogenden Vorhang die Matratze. Sie spürte seine warme Anwesenheit, auch wenn sie sich nirgendwo berührten.
Audrianna versuchte zu schlafen. Es war unmöglich. Er war so präsent. Sie stellte sich vor, wie er nach ihr griff und ...
Die Vorstellung erschreckte sie. Genauso wie die Art, wie ihr Körper darauf reagierte. Sie bemühte sich, ihre Gedanken anderen Dingen zuzuwenden, ihrer Mama, Sarah, ihrem Vater, selbst Roger. Nichts davon half besonders viel. Stattdessen durchdrang die Intimität der Situation das Zimmer und bedrängte sie.
Es war schlimmer, als in einer vollen Kutsche mit Fremden zu sitzen. Dann konnte man so tun, als seien sie nicht da, und ignorierte die körperliche Nähe, die in jeder anderen Situation unangebracht wäre. Und sie blieben Fremde, selbst wenn sich einer von ihnen gerne unterhielt, denn die Unterhaltung wäre belanglos. Am Ende der Reise verschwänden sie und mit ihnen die Intimität, als ob man sich nie getroffen hätte.
Doch Lord Sebastian würde nicht verschwinden. Sie würde ihm am nächsten Morgen ins Gesicht sehen müssen und konnte nicht so tun, als sei dies nicht passiert. Er war auch kein Fremder mehr, und sie hatten sich über sehr wichtige Dinge unterhalten.
Und er hatte sie geküsst. Und sie hatte es zugelassen. Das war es, was sie wirklich besorgt und, ja, wartend zurückließ. Ihr Verhalten hatte den Anschein erweckt, als ob es ihr nichts ausmachte, wenn er sie berühren würde. Das war der Grund, warum sie seinen Körper neben ihrem nicht ignorieren konnte. Auf eine schockierende, beunruhigende, niemals endende Art und Weise war er einfach da.
Auch er schlief nicht. Das wusste sie einfach. Und so wagte sie es nicht, sich zu bewegen. Nicht das kleinste Bisschen, die ganze Nacht lang.
Sebastian wartete eine Viertelstunde auf dem Holzstuhl, während sein Arm fortwährend pochte. Dann legte er sich vollständig angezogen, mit Stiefeln und allem, auf die Seite des Bettes, die von seinem kunstvoll drapierten Vorhang freigelassen wurde. Er gab sich große Mühe, beim Hinlegen nicht einmal diesen Stoff zu berühren, auch wenn das seinem Arm große Schmerzen verursachte.
Es half schon, seine Schulter und den Arm ausruhen zu können. Oder vielleicht war es die weibliche Anwesenheit, die ihn von der Wunde ablenkte. Wie die meisten Männer, vielleicht sogar noch etwas mehr, war er anfällig für amouröse Erwägungen. Er lächelte reumütig, als sich in ihm erste Anzeichen von Erregung zeigten, einfach nur weil er sie neben sich atmen hörte.
Verdammt. Hier war er, vollständig angezogen, in einer Situation, die so keusch war, wie nach so einer Katastrophe überhaupt möglich, und doch ermutigte ihn sein Körper dazu, über gewisse Möglichkeiten nachzudenken. Schlimmer noch, obwohl sie sich nicht rührte, war er davon überzeugt, dass auch sie nicht schlief. Keine Frau, die beim Küssen so ungeübt war, konnte mit einem Mann in einem Raum Ruhe finden, geschweige denn fünf Zentimeter von ihm entfernt und nur durch einen dünnen Stoffvorhang von ihm getrennt.
Und eben diese Unerfahrenheit bedeutete natürlich auch, dass jegliche Spekulation Unsinn war. Ganz zu schweigen davon, dass er einen seiner Arme kaum bewegen konnte.
Er zwang seine Gedanken fort von diesem Vorhang und der Frau dahinter, die das Bett zumindest teilweise so hervorragend vorgewärmt hatte. Er starrte in das schwache Feuer im Kamin neben seinen Stiefeln, bis er jede verlockende Wärme in seinem Blut ausgelöscht hatte.
Nachdem die Ablenkung fort war, begann sein Arm wieder furchtbar zu schmerzen. Schnell richtete er seine Gedanken auf die Frage, wie der Abend sich so schnell und vollständig zu einer Katastrophe hatte entwickeln können.
Einerseits bewunderte er Miss Kelmsleighs Mut, sich dem Domino stellen zu wollen, aber andererseits war er über das, was geschehen war, auch ziemlich verärgert. Wenn sie in London geblieben wäre, wie das jede andere Frau getan hätte, wäre ihm sein Plan vielleicht gelungen und er hätte die Wahrheit über die Schießpulververschwörung erfahren. Es wäre so schön gewesen, seinem Bruder neue Erkenntnisse liefern zu können. Doch stattdessen steckte er nun bis zum Hals im Schlamassel.
Die ganze Zeit lang war ihm ihre Anwesenheit direkt neben ihm bewusst. Ihr erging es höchstwahrscheinlich ebenso. Die Tatsache, dass beide aneinander dachten, beeinflusste die Atmosphäre im Raum. Durch die abendlichen Ereignisse war eine Art aufgezwungene Intimität geschaffen worden.
Es brachte nichts, über diese Küsse nachzudenken. Ihre fühlbare Anwesenheit rief sie ihm und seinem Körper sowieso immer wieder ins Gedächtnis.
Als er begonnen hatte, mit ihr zu spielen, ging er davon aus, sie wäre in diesem Spiel ebenso erfahren wie er. Doch das war ein Irrtum gewesen, wie so viele Annahmen dieses Abends.
Ihre Überraschung und Verwirrung hatten ihn zu sehr fasziniert und in ihren Bann gezogen. Unschuld konnte offensichtlich sehr verführerisch sein. Ihre Küsse hatten ihn verzaubert und er würde sie eine lange Zeit nicht vergessen. Sie hatte ihn so sehr abgelenkt, dass der echte Domino schon halb im Zimmer gestanden hatte, bevor beide seine Anwesenheit bemerkten.