Regency Darlings - Ein Lord zum Küssen - Madeline Hunter - E-Book
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Regency Darlings - Ein Lord zum Küssen E-Book

Madeline Hunter

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Beschreibung

Ein teuflischer Lord, eine bezaubernde Lady: Der Liebesroman »Regency Darlings – Ein Lord zum Küssen« von Madeline Hunter als eBook bei dotbooks. England zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Die junge Alexia Welbourne hat sich geschworen, nie der Macht eines Mannes ausgeliefert zu sein – doch nun führt das Schicksal sie ausgerechnet in das Haus des anmaßenden Lords, der ihre Familie für immer ruiniert hat. Sein Ruf als eiskalter Geschäftsmann eilt Hayden Rothwell voraus, aber als Alexia zum ersten Mal in seine dunklen Augen blickt, ist da noch etwas anderes: ein herausforderndes Blitzen, ein Funkeln, das pure Leidenschaft verrät. Was bezweckt Hayden bloß mit seinem Angebot, sie zur Gesellschafterin seiner jungen Cousinen zu machen? Alexia ist fest entschlossen, seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen – aber ist sie auch bereit, dafür ihr eigenes Herz zu riskieren? Die große Regency-Saga über die schicksalshaften Verflechtungen zweier Londoner Familien: »Hunters Bücher machen so süchtig, dass man eigentlich vor ihnen warnen müsste«, sagt Publishers Weekly. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die fesselnde Familiensaga »Regency Darlings – Ein Lord zum Küssen« von Bestsellerautorin Madeline Hunter ist der Auftakt ihrer Regency-Reihe, in der alle Romane unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks - der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 517

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Über dieses Buch:

England zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Die junge Alexia Welbourne hat sich geschworen, nie der Macht eines Mannes ausgeliefert zu sein – doch nun führt das Schicksal sie ausgerechnet in das Haus des anmaßenden Lords, der ihre Familie für immer ruiniert hat. Sein Ruf als eiskalter Geschäftsmann eilt Hayden Rothwell voraus, aber als Alexia zum ersten Mal in seine dunklen Augen blickt, ist da noch etwas anderes: ein herausforderndes Blitzen, ein Funkeln, das pure Leidenschaft verrät. Was bezweckt Hayden bloß mit seinem Angebot, sie zur Gesellschafterin seiner jungen Cousinen zu machen? Alexia ist fest entschlossen, seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen – aber ist sie auch bereit, dafür ihr eigenes Herz zu riskieren?

Die große Regency-Saga über die schicksalshaften Verflechtungen zweier Londoner Familien: »Hunters Bücher machen so süchtig, dass man eigentlich vor ihnen warnen müsste«, sagt Publishers Weekly.

Über die Autorin:

Madeline Hunter studierte Kunstgeschichte und arbeitet heute als Lehrerin an einem College. Seit einigen Jahren schreibt sie außerdem mit großem Erfolg historische Liebesromane. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und sind regelmäßig auf den Bestsellerlisten der »New York Times« und »USA Today« vertreten. Bereits zweimal hat sie den begehrten RITA-Award der »Romance Writers of America« gewonnen. Madeline Hunter lebt mit ihrer Familie in Pennsylvania.

Die Autorin im Internet: www.madelinehunter.com

Madeline Hunter veröffentlichte bei dotbooks ihre »Regency Darlings«-Reihe mit den Bänden:

»Regency Darlings – Ein Lord zum Küssen«

»Regency Darlings – Ein Lord zum Verführen«

»Regency Darlings – Eine Lady zum Verlieben«

»Regency Darlings – Ein Marquis zum Träumen«

Sowie ihre »Regency Flowers«-Reihe mit den Bänden:

»Regency Flowers – Ein skandalöses Rendezvous«

»Regency Flowers – Die widerspenstige Braut«

»Regency Flowers – Eine Lady von zweifelhaftem Ruf«

»Regency Flowers – Lady Daphnes Verehrer«

***

eBook-Neuausgabe Juni 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »The Rules of Seduction« bei Bantam Dell, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Zarte Verführerin« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2006 by Madeline Hunter

This edition published by arrangement with Dell, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2007 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-292-6

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Madeline Hunter

Regency Darlings – Ein Lord zum Küssen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Julia Burg

dotbooks.

Kapitel 1

Ein Schatten zog auf, als der Besucher das Haus betrat. Alexia ahnte Böses, noch bevor sie sah, wer da gekommen war.

Sie ging gerade mit einem Handarbeitskörbchen die Treppe hinunter, als die gedämpften Stimmen aus der Eingangshalle sie innehalten ließen. Sie hörte jemand in barschem Ton reden, auch wenn sie die einzelnen Worte nicht ausmachen konnte. Doch sie hörte, dass das höfliche Widersprechen des Dienstboten keine Wirkung zeigte. Falkner, der Butler, wurde gerufen. Angesichts der entschiedenen, stillen Autorität, die dieser ausstrahlte, zogen sich die anderen Dienstboten zurück.

Alexia beschlich eine düstere Vorahnung, wie damals als man gekommen war, um der Familie mitzuteilen, was mit Benjamin geschehen war. Sie kannte dieses Gefühl zu gut, um die Warnung unbeachtet zu lassen. Schlechte Neuigkeiten verändern die Welt mit einem Schlag. Sie verändern die Luft, die Atmosphäre. Das menschliche Herz spürt bevorstehenden Kummer wie ein Pferd das nahende Gewitter.

Sie konnte sich nicht bewegen. Dass sie gerade zu den Cousinen in den Garten hinaus wollte, hatte sie völlig vergessen.

Sie sah nur zwei Beine auf sich zukommen. Es waren lange Beine, die in schwarzen, anliegenden Hosen und eleganten Stiefeln steckten. Sie folgten dem Butler zur Treppe. Falkner sah aus, als sei er einem König begegnet.

Dann erschien der Oberkörper des Besuchers, breite Schultern und ein dunkelhaariger Kopf. Er blickte zum Treppenabsatz auf, als habe er gespürt, dass er beobachtet wurde.

Alexia verstand sofort, warum Falkner den Anweisungen ohne Murren gefolgt war. Diese Gestalt, dieses Gesicht und diese Haltung hätten jedem Achtung eingeflößt, auch ohne von der gehobenen Stellung des Besuchers zu wissen. Dunkles, widerspenstiges Haar, das beinahe ungekämmt wirkte, umrahmte ein wohlgeformtes Gesicht mit starken, wie gemeißelten Zügen. Die tief liegenden, mitternachtsblauen Augen waren von Müdigkeit gezeichnet. Ungeduld zeigte sich im kantigen Kiefer und den aufeinander gepressten Lippen. Lord Hayden Rothwell, Bruder des Vierten Marquis of Easterbrook, bot den Anblick eines erschöpften Mannes, der fest entschlossen war, eine unangenehme Aufgabe zu Ende zu bringen. Es verstand sich von selbst, dass er nicht in Erwiderung einer der vielen Einladungen gekommen war, die Timothy im Laufe des vergangenen Jahres bei den Easterbrooks abgegeben hatte.

Während sich die Männer näherten, traf Falkners Blick den ihren und gab ihr seine Bestürzung zu verstehen. Auch der Butler ahnte, dass ihnen etwas Schreckliches bevorstand.

Lord Hayden blieb auf dem Treppenabsatz stehen und verbeugte sich beinahe unmerklich. Sie waren einander einmal vorgestellt worden, hatten damals aber nicht miteinander geredet. Während er den Kopf hob, wanderte sein Blick von ihren Füßen bis zu ihrem Kopf. Er betrachtete sie so eindringlich, so merkwürdig interessiert, dass Alexia spürte, wie ihre Wangen heiß wurden.

Lord Haydens Gesichtszüge veränderten sich. Die Augen strahlten mehr Wärme aus, und der Mund entspannte sich, als wäre eine Statue zum Leben erweckt worden. Ein Anflug von Anteilnahme ließ ihn unmerklich weicher werden.

Im Nu kehrte jedoch seine ernste Haltung zurück und verbannte die Freundlichkeit aus seinem Blick. Aber sie hatte genug gesehen, um Angst zu bekommen. Sie hatte das Mitleid in seinem Blick erkannt. O ja, die Ankunft dieses Mannes versprach nichts Gutes.

»Geleiten Sie Lord Hayden in den Salon oder in die Bibliothek, Falkner?« Es war dreist, diese Frage zu stellen, aber das kümmerte sie nicht. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, dass es schlimmer war, auf schlechte Nachrichten zu warten, als sie sofort zu erfahren. Sie hatte nicht vor, gehorsam abzuwarten und sich Sorgen zu machen.

»In den Salon, Miss Welbourne.«

Lord Hayden ahnte, was sie vorhatte. »Ich möchte Miss Longworth wirklich nicht stören. Es handelt sich hier nicht um einen Anstandsbesuch.«

»Wir werden nicht nach ihr schicken, wenn Sie es nicht wünschen. Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis Mr Longworth Ihnen seine Aufwartung machen kann. Wir können wenigstens dafür sorgen, dass Sie es bequem haben.«

Alexia wartete nicht auf Zustimmung, machte auf dem Absatz kehrt und ging voran in die erste Etage.

Im Salon stellte sie das Körbchen ab und kümmerte sich wie versprochen um das Wohlergehen des Gastes. Sie spielte die Gastgeberin, obwohl er nicht danach verlangt hatte.

»Das Wetter ist außerordentlich schön für Januar, finden Sie nicht auch?«, fragte sie, nachdem er auf dem neuen, blau gemusterten Diwan Platz genommen hatte. »So ein herrlicher Tag, bis jetzt.«

Bei der bedauernswerten Betonung der Worte ›bis jetzt‹ runzelte er unmerklich die Stirn.

»Ja, in den letzten Tagen war es zu warm für die Jahreszeit«, erwiderte er.

»Ich finde solche Tage grausam, so sehr ich sie auch genieße.«

»Grausam?«

»Sie machen einen glauben, der Frühling stehe vor der Tür, obwohl doch noch so viele kalte und feuchte Monate vor uns liegen.«

Einen Augenblick lang lag etwas Spitzbübisches in seinem Blick. »Die warmen Tage mögen nicht von Dauer sein, aber ich ziehe es vor sie in vollen Zügen zu genießen und mich über die Kälte zu ärgern, wenn es soweit ist.«

So wie er das formuliert hatte, klangen seine Worte beinahe ungebührlich. Sie wechselte das Thema und sprach von den vergangenen Feiertagen. Was sie auch sagte, er stimmte ihr zu und sie bemühte sich, das stockende Gespräch nicht abreißen zu lassen.

Es war klar, dass er in Gedanken woanders war. Er dachte an das Treffen mit Timothy. Das drohende Unheil, das von diesem Mann ausging, ließ kaum noch Luft zum Atmen. Im Salon wurde es beklemmend eng.

Sie hielt es nicht länger aus. »Mein Cousin ist krank, Lord Hayden. Es ist ihm in seiner Verfassung vielleicht unmöglich, sich mit Ihnen zu treffen. Kann diese Sache denn nicht warten?«

»Nein.«

Mehr sagte er nicht. Nur dieses eine Wort, nüchtern, einfach und fest ausgesprochen.

Er wandte sich ab und starrte ins Nichts. Sie fragte sich, ob er ihre Anwesenheit wohl für anmaßend hielt. Sie war nicht die Herrin des Hauses, sondern nur eine Cousine. Da er darauf bestanden hatte, Roselyn nicht über seinen Besuch in Kenntnis zu setzen, war es nicht ihre Schuld, dass er jetzt mit Alexia, also mit zweiter Wahl, vorliebnehmen musste.

»Wenn ich meinem Cousin vielleicht eine Nachricht überbringen ließe, den Grund Ihres Besuches betreffend, könnte er ...«

Sie verstummte, weil er sie ansah wie ein Vikar, der ein plapperndes Kind während der Sonntagspredigt mit einem strengen Blick zum Schweigen bringt.

Sein Blick verriet, dass er durchschaute, was sie vorhatte. Aber das war ihr gleichgültig. Hayden Rothwell hatte den Ruf, geistreich, schroff und arrogant zu sein. Dieser Einschätzung konnte sie zustimmen, bis jetzt.

Sie hatte die ›Nachforschungen‹ vielleicht nicht sehr geschickt in Angriff genommen. Sie würde es auf andere Art versuchen. Da Lord Hayden für seinen Geschäftssinn in Finanzangelegenheiten bekannt war, brachte sie das Gespräch auf dieses Thema. Dies sollte ihn zugänglicher für andere Fragen machen. »Gibt es Neuigkeiten aus der City, Lord Hayden? Hält die Bankenkrise an?«

»Ich fürchte, sie wird noch einige Zeit andauern, Miss Welbourne. Leider.«

»So viel ich weiß, pflegen Sie Geschäftsbeziehungen zur Bank meines Cousins. Ich nehme an, dort geht alles seinen gewohnten Gang?«

»Vor einer Stunde, als ich die City verließ, gehörte Darfield & Longworth noch zu den zahlungsfähigen Banken.«

»Dem Himmel sei Dank. Dann hat es also keinen Ansturm auf die Bank gegeben. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, da so viele andere Banken in Schwierigkeiten geraten sind.«

Belustigung lag in seinem harten, dunklen Blick. »Nein, die Bank wurde nicht von ihren Kunden gestürmt.«

Das erleichterte sie. Einige große Londoner Banken waren im vergangenen Monat in Konkurs gegangen. Die Zeitungen waren voll davon. Jetzt setzte sich die Pleitewelle fort und bedrohte die kleineren Banken auf dem Lande. Wo man auch hinging, überall war die Rede von Bankrott, Ruin und Konkurs. Sie befürchtete, dass Timothy aus Sorge um die Zukunft seiner Bank krank geworden war.

»Haben Sie Geld bei Darfield & Longworth angelegt?«, fragte er und schien tatsächlich interessiert.

»Nur eine winzige Summe. Ich sorge mich um meinen Cousin.«

Es war ihr doch gelungen, seine Aufmerksamkeit mit Fragen in Geldangelegenheiten zu erwecken. Ja, er war jetzt beinahe zu aufmerksam. Wieder betrachtete er sie prüfend von oben bis unten, noch länger als vorhin. Eine lässige Arroganz lag in seinem Blick, so als sei er im Gegensatz zu einem unbedeutenderen Mann zu solcher Dreistigkeit berechtigt. Er sah sie an, wie ein Mann, der nur zu gut um seine gehobene Stellung weiß und meint, sich deshalb über die Anstandsregeln hinwegsetzen zu können.

Besonders eindringlich betrachtete er ihre Augen. Er sog sie förmlich auf, und Alexia musste den Blick abwenden, um wieder klar denken zu können. Langsam und bewusst wanderten seine Augen weiter. Es wurde ihr warm im Gesicht und ein unangenehmes Prickeln spürte sie von Kopf bis Fuß. Er verwirrte sie zutiefst. Nur der Blick eines anderen Mannes hatte sie vor vielen Jahren auf ähnliche Weise überwältigt.

Das war ihr höchst peinlich. Sie hielt sich nicht für eine Frau, die für die Schönheit eines Mannes empfänglich war. Sie war keine alberne Göre wie die junge Irene. Im Stillen schimpfte sie mit sich, der Aufmerksamkeit Lord Haydens wie eine törichte alte Jungfer erlegen zu sein.

Nichts in seinem Blick deutete darauf hin, dass ihm bewusst war, wie unwohl sie sich fühlte. Über sein Interesse an ihr machte sie sich auch nichts vor. Sie wusste, was er dachte. Ihr braunes Haar und das eher alltägliche Gesicht waren nicht sehr eindrucksvoll. Zweifellos sah er auch, wie sich die Geldknappheit auf ihre Erscheinung auswirkte. Das alte Kleid war nicht nur völlig aus der Mode, sondern auch schon vielfach ausgebessert worden. Sie argwöhnte, dass er jeden verborgenen Nadelstich bemerkte.

»Miss Welbourne, ich glaube, dass wir einander bei Benjamins Gedenkfeier vorgestellt wurden«, sagte er. »Sie sind doch die Cousine aus Yorkshire?«

Sie war entsetzt. Er hatte gar nicht gewusst, wer sie war, als er diesen Salon betrat. Wenn er sich nicht daran erinnert hatte, dass sie einander schon vorgestellt worden waren, musste ihm ihre Anwesenheit besonders eigenartig und die Unterhaltung sehr gewagt vorgekommen sein.

Ein Anflug von Kränkung folgte diesem Schreck. Die Wut galt nicht ihm, obwohl sie ihn mit einschloss. Sie galt den Umständen, die dazu geführt hatten, dass man sie so leicht vergessen konnte.

»Ja, wir sind uns bei Benjamins Gedenkfeier begegnet.« Die Erwähnung des Namens Benjamin rief die Trauer wieder in ihr wach. Einen Gottesdienst hatte es gegeben, aber kein Begräbnis. Benjamin war auf See verschollen und sein Leichnam war nie gefunden, geschweige denn nach England gebracht worden. Vor vier Jahren hatte er England verlassen und noch immer vermisste sie ihn schmerzlich.

Plötzlich wich etwas von Lord Haydens Strenge aus seinem Gesicht. Eine höflichere Haltung ließ seine schönen Züge weich werden.

»Er zählte zu meinen Freunden«, fuhr er fort. »Wir kannten uns seit der Kindheit. Das Anwesen seiner Familie liegt unweit der Ländereien der Easterbrooks in Oxfordshire.«

Timothy hatte immer von einer besonderen Beziehung zu Easterbrook und seiner Familie gesprochen. Sie rührte wohl daher, dass sie Nachbarn gewesen waren. Die Beziehung war natürlich nicht so eng gewesen, dass die Easterbrooks es für nötig gehalten hätten, Timothys Einladungskarten zu beantworten. Wenn die Freundschaft allerdings zwischen Benjamin und Hayden Rothwell bestanden hatte, so erklärte dies einiges. Zum Beispiel auch warum Lord Hayden an jenem Gottesdienst teilgenommen hatte.

»Sie haben auch in Griechenland gekämpft?«, fragte sie, erleichtert ein Thema gefunden zu haben, das ihn weniger streng erscheinen ließ und bei dem es auch um den geliebten Benjamin ging.

»Ja, ich war einer jener Idealisten, die sich den Griechen im Kampf gegen die Türken anschlossen. Ich war schon früh in diesem Krieg dabei, zur gleichen Zeit wie Ihr Cousin. Im Gegensatz zu ihm und Byron hatte ich Glück und überlebte das Abenteuer.«

Benjamin war immer so optimistisch, so voller Leben und Freude gewesen, dass es an Leichtsinn grenzte. Sie stellte sich vor, wie er auf einem Hügel mit einem antiken Tempel im Hintergrund heldenhaft für die Freiheit des griechischen Volkes gekämpft hatte. Dieses Bild bedeutete ihr viel. Lord Hayden war auch in Griechenland gewesen. Deshalb nahm sie es ihm nun auch nicht übel, dass er ihr wenig eindrucksvolles Äußeres so genau betrachtet hatte.

Da tat er es wieder, nur diesmal war es nicht das Kleid, das er eingehend studierte. Es war ihr Gesicht und ...

»Vergeben Sie mir, Miss Welbourne. Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, aber Ihre Augen haben eine ganz ungewöhnliche Farbe. Wie Veilchen. Liegt es am Licht oder ist das immer so?«

»Es liegt nicht am Licht. Meine Augenfarbe ist das einzig Besondere an mir.«

Er widersprach ihr nicht und das fand sie nicht sehr galant. Er dachte über ihre Antwort nach und überlegte, was er erwidern würde. »Er sprach so liebevoll von Ihnen. Ich meine Benjamin, in Griechenland. Er erwähnte Sie nicht namentlich. Veilchen-Auge, an diesen Ausdruck erinnere ich mich allerdings. Ich hatte beim Gottesdienst nicht bemerkt, dass Ihre Augen diese Farbe haben, sonst hätte ich Ihnen davon erzählt, um Sie ein wenig zu trösten.«

Trotz einer schrecklichen Sehnsucht war ihr Herz plötzlich von einem süßen Glücksgefühl erfüllt. Es fiel ihr schwer, sich zusammenzureißen, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Benjamin hatte vor seinem Tod von ihr gesprochen. Er hatte sich dem Mann anvertraut, der hier im Salon neben ihr saß. Lord Hayden wusste von ihrer Liebe und ihren Zukunftsplänen. Sie war sich dessen sicher.

Es interessierte sie nicht länger, warum er mit ihrem Cousin Timothy sprechen wollte. Lord Hayden hatte ihr zu erkennen gegeben, dass Benjamin sie wirklich geliebt hatte, dass es ihm ernst gewesen war mit ihren Hochzeitsplänen. Dafür war sie ihm dankbar, so dankbar, dass sie ihm im Augenblick alles verzeihen könnte.

Sie sah ihn nun wohlwollender an als vorher. Er war wirklich ein sehr gutaussehender Mann, das gestand sie sich jetzt ein. Und er schien auch gar nicht so hartherzig zu sein. Der strenge Zug um den Mund war schließlich eine Folge seiner Herkunft. Er konnte nichts dafür, wenn sein Gesicht von Ecken und Kanten geprägt war und eine freundliche Rundlichkeit vermissen ließ.

»Danke, dass Sie mir das gesagt haben. Ich vermisse meinen Cousin immer noch schmerzlich. Es rührt mich, dass er an mich dachte, als er fort war.«

Sie sehnte sich danach, zu erfahren, was genau Ben gesagt hatte. Wenn Lord Hayden die Absicht gehabt hatte, ihr mehr von Ben zu erzählen, so wurde diese im Keim erstickt. Timothy wählte ausgerechnet diesen Augenblick, um in den Salon zu treten.

Er sah wirklich sehr krank aus. Sein Gesicht war gerötet, die Augen glasig. Sie fragte sich, ob er Fieber hatte. Sein Kammerdiener hatte ihn allerdings ordentlich herausgeputzt. Das blonde Haar und das gerötete Gesicht hoben sich von seinem dunklen Jackett mit Weste ab, die seinen Hang zu Exzessen in Sachen Kleidung verrieten.

»Rothwell.«

»Danke, dass Sie es einrichten konnten, mich zu empfangen, Longworth.«

Alexia stand rasch auf und verabschiedete sich. Innerlich jubelte sie immer noch vor Glück bei dem Gedanken, dass Benjamin seinen Freunden in Griechenland von ihren Augen erzählt hatte. Sie nahm allerdings auch wahr, dass eine düstere Stimmung, wie sie von schlechten Neuigkeiten ausgeht, sich wieder über das Haus gelegt hatte.

Sie nahm das Handarbeitskörbchen und ging in den Garten zu den Cousinen. Das winterliche Efeu und die Buchsbäume konnten es nicht mit der Pracht des Sommergartens aufnehmen, aber die Sonne verdrängte weitgehend die Kälte, und da es windstill war, war der Aufenthalt im Freien sehr angenehm.

Roselyn und Irene warteten an einem gusseisernen Tisch. Sie hatten zwei Häubchen, zwei Beutel mit Bändern und viele Ideen. Alexia beschloss den Gast nicht zu erwähnen. Vielleicht gab es keinen Grund für die böse Vorahnung, die trotz der Freude, die sie beim Gedanken an Ben verspürte, nicht verschwunden war.

»Du warst aber lange fort«, klagte Irene. Sie hielt eines der Häubchen hoch. »Ich finde immer noch, dass es nicht mehr zu retten ist und ich mir ein neues besorgen sollte. Timothy hat es erlaubt.«

»Unser Bruder gibt zu viel Geld aus«, erwiderte Roselyn. »Wenn du nicht möchtest, dass deine Ballsaison uns ruiniert, dann müssen wir sparen, wo es geht.«

»Timothy redet aber nie vom Sparen. Das tust nur du. Es wird ohnehin keine richtige Ballsaison, ganz gleich wie viele Häubchen und Hüte ich habe.« Irenes Stimme bekam einen weinerlichen Ton. »Auf die besten Tanzbälle werde ich sowieso nicht eingeladen werden. Das haben alle meine Freundinnen gesagt.«

»Du wirst wenigstens ausgehen können«, sagte Roselyn. »Wärst du lieber die Schwester eines bedeutenden Bankiers oder die Schwester eines verarmten Adligen vom Lande? Du solltest Gott danken, dass unsere Brüder in dieses Unternehmen investiert haben. Wenn wir noch in Oxford wohnen würden, wärst du froh, einen neuen Hut im Jahr zu bekommen. Du würdest ihn sorgfältig auswählen, statt gleich drei zu kaufen, die dir alle nicht stehen.«

Alexia setzte sich zwischen die beiden, weil sie hoffte, den Streit damit beenden zu können. Irene, die jüngste der Longworth-Geschwister, wusste das Glück und das Vermögen nicht zu schätzen, über das sie dank Benjamins Entscheidung, vor acht Jahren in das Bankgeschäft einzusteigen, verfügten. Sie sah nur den Statusverlust und nicht die Annehmlichkeiten, die damit einhergingen.

Roselyn war fünfundzwanzig und konnte sich an die schlechten Jahre erinnern, als Schulden die Familie zwangen, einen Teil der Ländereien in Oxford zu verkaufen. Als sie alt genug war, in die Gesellschaft eingeführt zu werden, hatte sie nicht an der Ballsaison teilnehmen können und daher wenig Aussichten auf eine Heirat gehabt. Nachdem die jüngsten Erfolge der Bank ihr eine lange Reihe von Verehrern eingebracht hatten, war sie misstrauisch und sehr anspruchsvoll geworden. Alexia nahm an, dass Roselyn sich darüber ärgerte, dass all diese vernarrten jungen Männer sich erst in sie verliebt hatten, als die Familie wohlhabend geworden war.

»Wir können das rosa Satinband durch ein Gelbes ersetzen«, schlug Alexia vor. »Und sieh mal, ich könnte das Material auf den Seiten etwas kürzen, dann würde die Schleife dein Gesicht mehr schmücken.«

»Ich werde es abscheulich finden. Umgearbeitete Hüte kann ich nicht ausstehen, selbst wenn jemand mit deinem Geschick sie verändert hat. Nimm den Hut selbst, wenn du ihn willst. Du kannst auch das Kleid haben, das dazu gehört. Dann brauchst du das mit der hohen Taille nicht mehr zu tragen. Ich werde meiner Zofe sagen, dass du es bekommst, damit sie es dir nicht wegnimmt.«

Alexia starrte auf die Bänder, die bunt in der Sonne glänzten. Irene war kein böser Mensch, sie war nur jung und von der Großzügigkeit ihres Bruders verwöhnt.

Eine bleierne Stille legte sich über die Tischrunde. Verärgert nahm Irene die Haube in die Hand und schleudert sie wieder hin.

»Entschuldige dich«, sagte Roselyn drohend. »Ich hätte große Lust dich aufs Land zu schicken. London steigt dir zu Kopf und das ist höchst unschön. Du vergisst wohl, wer du bist.«

»Sie hat nichts vergessen«, warf Alexia ein. Sofort wünschte sie, sie hätte den Mund gehalten. Aber die Worte waren gesagt, mit all dem Groll und der Verbitterung, die sie gerade spürte.

Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Ich vergesse auch nicht, wer ich bin. Nur ihr vergesst es, zumal ihr so gut zu mir seid. Alle anderen wissen, dass ich völlig abhängig von euch bin, eine arme Verwandte, dankbar, die abgelegten Sachen ihrer jüngeren Cousine tragen zu dürfen. Jeden Bissen, den ich esse, verdanke ich der Mildtätigkeit eures Bruders.«

»O Alexia, ich wollte dich nicht ...« Irene machte ein bestürztes Gesicht.

»Das ist nicht wahr«, rief Roselyn. »Du bist eine von uns.«

»Doch, es stimmt. Ich habe mich schon vor Jahren an meine Stellung gewöhnt. Es macht mir nichts aus.«

Aber das tat es doch. Sie versuchte dieses Gefühl zu unterdrücken, aber es nagte an ihr. Manchmal fiel es ihr schwer, demütig und dankbar zu sein, besonders da sie sich zunächst nicht verpflichtet gefühlt hatte, Zurückhaltung zu zeigen.

Ihre gesellschaftliche Talfahrt war nicht mehr aufzuhalten gewesen, als das Vermögen ihrer Familie einem Cousin zweiten Grades zufiel. Dieser hatte ihr nicht angeboten sie aufzunehmen, ganz im Gegensatz zur Annahme ihres Vaters. Sie war gerade achtzehn gewesen, als sie sich gezwungen sah, den Longworths, Verwandten von Seiten ihrer Mutter, zu schreiben und sie zu bitten, bei ihnen wohnen zu dürfen. Außer einer Rente von zwanzig Pfund im Jahr und einem Händchen für Hüte hatte sie nichts beisteuern können.

Benjamin, der älteste, hatte ihr nicht das Gefühl gegeben, dankbar sein zu müssen, obwohl ihr Umzug mit der Eröffnung der Bank zusammengefallen war und er im ersten Geschäftsjahr nichts hatte entbehren können. Sein lebendiges Lachen und seine gute Laune hatten ihr jegliche Art von Unterwürfigkeit verboten. Erst als er starb, wurde deutlich, wie abhängig sie von den Longworths war. Im Gegensatz zu Ben, der für sie gesorgt hatte wie für seine leiblichen Schwestern, tat Timothy dies nicht. Wenn sie mit Roselyn und Irene jetzt die Läden der Londoner Modeläden besuchte, so beschränkte sie sich auf das Erteilen von Ratschlägen. Für Timothy war sie nur eine Last, während Benjamin ...

Das Herz wurde ihr schwer, als die Erinnerung an diese Liebe das Echo eines tiefen, ergreifenden Gefühls in ihr wachrief. Er hatte sie als geliebte Cousine und Freundin betrachtet, und ihr letztes gemeinsames Jahr war so vielversprechend gewesen. Wenn es stimmte, was Lord Hayden gesagt hatte, wenn sie ihn nicht missverstanden hatte, hätte Ben sie geheiratet, wäre er aus Griechenland zurückgekehrt.

Sie nahm die Haube in die Hand. »Danke dir, Irene. Ich werde sie gerne tragen. Ich glaube, ich werde ein blaues Band nehmen. Weder rosa noch gelb haben je zu meinem Teint oder meinem Haar gepasst.«

Roselyn sah Alexia entschuldigend an. Alexias Blick wiederum ließ Roselyn folgendes wissen: Ich bin die Tochter eines Gentleman, aber jetzt bin ich hier, mit fast sechsundzwanzig, ohne Vermögen und ohne Zukunft. So ist eben der Lauf der Dinge. Ich flehe dich an, bemitleide mich deswegen nicht.

»Wer ist denn das?«, unterbrach Irene das stille Zwiegespräch. »Dort oben, am Fenster des Salons.«

Roselyn drehte sich noch rechtzeitig um, um das dunkle Haar und die breiten Schultern des Mannes zu erhaschen, bevor er sich wieder vom Fenster abwandte. »Wir haben einen Gast? Falkner hätte nach mir schicken sollen.«

Alexia entfernte das rosa Band an der Haube. »Er bat um ein Gespräch mit Timothy und bestand darauf, dich nicht zu stören.«

»Aber Timothy ist doch krank.«

»Er ist trotzdem aufgestanden.«

Alexia spürte wie Roselyn sie musterte, während sie sich mit dem Hut beschäftigte.

»Wer ist es?«, fragte Roselyn.

»Rothwell.«

»Lord Elliot Rothwell? Der Historiker? Was macht der denn ...«

»Es ist sein Bruder, Lord Hayden Rothwell.«

Irene riß die Augen auf. Sie hüpfte hoch und klatschte in die Hände. »Er ist hier? Ich glaube, ich werde ohnmächtig. Er sieht ja soooo gut aus.«

Roselyn runzelte die Stirn. Sie blickte zum Fenster. »O je.«

»Sie haben getrunken, Longworth«, sagte Hayden. »Sind Sie nüchtern genug, mir zuzuhören und sich zu merken, was ich Ihnen zu sagen habe?«

Longworth fläzte sich auf den blauen Diwan. »Verdammt, ich bin viel zu nüchtern.«

Hayden betrachtete Timothy Longworth prüfend. Ja, er war nüchtern genug. Gut, denn diese Angelegenheit duldete keinen Aufschub. Die Erfolgsaussichten für seinen Plan nahmen stündlich ab.

»Ich habe die letzten zwei Tage mit Darfield in der Bank verbracht, während Sie getrunken und sich in Ihrem Bett versteckt haben«, sagte er. »Die Bank kann die aktuelle Krise überstehen, wenn Sie befolgen, wozu ich Ihnen jetzt rate.«

»Ich habe Darfield doch auch schon beruhigt, dass wir diese Krise durchstehen. Er ist ängstlich wie ein altes Weib und fürchtet, die Reserven seien zu gering. Aber ich habe ihm gesagt, dass wir standhalten können.«

»Da täuschen Sie sich. Wenn die Bank überlebt, dann nur, weil ich gestern die Entscheidung traf, die Einlagen meiner Familie nicht herauszunehmen. Allein dieser Nachricht ist es zu verdanken, dass heute Morgen ein Run auf die Bank verhindert wurde.«

Longworth besaß zumindest den Anstand, bekümmert auszusehen. »Ich hätte da sein müssen, ich weiß.«

»Ja, dass hätten Sie, verdammt noch mal.«

»Aber das Schlimmste ist überstanden, die Gefahr sei abgewandt, sagten Sie?«

»Wohl kaum. Obwohl die Bank den heutigen Tag überstanden hat, befindet sie sich immer noch in ernster Gefahr. Außerdem muss ich meinen Standpunkt noch einmal überdenken. Die Entscheidung ist keine einfache. Wenn ich das Geld meiner Familie zurückziehe, wird die Bank in Konkurs gehen. Und wenn die Bank pleite macht, dann werden Sie hängen, das ist sicher.«

Longworth zeigte nicht die geringste Regung. Hayden verabscheute es zutiefst, in Geschäfte mit Timothy Longworth verwickelt zu sein. Er hatte mit Einlagen aus dem Familienvermögen zum Wachstum der Bank beigetragen, aus Hilfsbereitschaft zu einem guten Freund. Er war diese Verpflichtungen nicht eingegangen, um den Hals des jüngeren Bruders zu retten.

Dann grinste Longworth breit. Jetzt sah er seinem Bruder plötzlich ähnlich, obwohl sie doch so unterschiedlich waren. Im Gegensatz zu Timothy mit seinem blonden Haar und den hellen Augen, hatte Benjamin dunkle Haare und dunkle Augen gehabt. Doch Hayden wollte jetzt lieber nicht über Ähnlichkeiten nachdenken.

»Natürlich ist das bildlich gesprochen, wenn Sie von ›hängen‹ sprechen. Obwohl der Ruin kaum besser ist, handelt es sich doch nicht um den Tod.«

»Doch, wenn ich hängen sage, dann meine ich hängen. Galgen, Schlinge, tot.«

»Aber es gehen doch dauernd irgendwelche Banken pleite. In den letzten zwei Wochen waren es allein in London fünf. Und Dutzende auf dem Land. Das ist doch kein Verbrechen. So etwas passiert nun einmal bei Finanzkrisen.«

»Es wäre nicht die Pleite der Bank, die Sie an den Galgen bringen würde, sondern das, was die Buchhalter hinterher herausfinden würden.«

»Da gibt es bestimmt nichts, was mich gefährden könnte.«

Hayden war mit seiner Geduld am Ende. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, weil er mit Darfield das Durcheinander durchforstet hatte, das in den Büchern der Bank herrschte. Er konnte die Wut kaum noch im Zaum halten, die von ihm Besitz ergriffen hatte, als er vom Schlimmsten erfuhr.

»Ich hatte beschlossen, das Familienvermögen bei Ihrer Bank zu belassen, Longworth. Aber um meine Tante und ihre Nichte machte ich mir Sorgen. Die Anlagen zu drei Prozent sind alles, was sie haben. Sie hängen völlig von diesem Einkommen ab. Als ihr Treuhänder konnte ich nichts riskieren. Also beschloss ich, diesen kleinen Teil zu entnehmen.«

Longworth legte den Kopf zur Seite, als verwirre ihn diese Vorrede, aber in Wirklichkeit lag ein Anflug von Angst in seinem Blick.

»Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich feststellen musste, dass ihre Rentenpapiere verkauft wurden und meine Unterschrift, als Treuhänder meiner Tante, zu diesem Zweck gefälscht worden ist.«

Winzige Schweißperlen bildeten sich auf Longworths Stirn. »Gefälscht? Wollen Sie damit etwa sagen, dass ich ...«

»Ich kann beweisen, dass Sie dies sogar mehrfach getan haben. Sie haben auch andere Unterschriften gefälscht, um weitere Wertpapiere zu verkaufen. Sie zahlten zwar weiterhin die Zinsen aus, damit niemand Verdacht schöpfte, aber Sie haben zehntausende von Pfund veruntreut.«

»Einen Teufel habe ich getan! Diese Nachricht schockiert und trifft mich zutiefst. Darfield muss der Täter sein.«

Hayden schritt zum Diwan, packte Longworth am Kragen und riss ihn hoch. »Wagen Sie ja nicht, den Namen dieses anständigen Mannes zu beschmutzen. Wenn Sie mich jetzt belügen, werde ich meine Hände in Unschuld waschen und Sie hängen lassen.«

Longworth riss die Arme hoch und legte die Hände schützend vors Gesicht, weil er fürchtete geschlagen zu werden. Seine Angst ließ Hayden angewidert innehalten. Er schleuderte Longworth wieder auf den Diwan zurück.

Timothy sackte in sich zusammen und legte das Gesicht in die Hände. Eine angespannte Ruhe lag im Salon. Haydens Wut und Longworths Verzweiflung waren deutlich spürbar.

»Haben Sie es schon jemandem gesagt?« Longworths Stimme brach.

»Darfield ist der Einzige, der etwas weiß. Bei der Stimmung, die zur Zeit in der City herrscht, fürchtet er um die Folgen für alle Banken, wenn diese Machenschaften ans Licht kommen.« In den letzten zwei Tagen hatte sich Hayden dieses Schreckensszenario schon oft vorgestellt. Die Gelder waren in festverzinslichen Staatsanleihen angelegt, deren Erträge an unzählige Witwen, Mündel, Töchter und Söhne ausgezahlt wurden. Sie galten als sichere Anlage. Die Banken legten sie für die Kunden an. Das Geld sollte in keinster Weise angreifbar sein.

Als Timothy Longworth die Unterschriften seiner Kunden fälschte und das Kapital entwendete, brach er ein fast schon als ›heilig‹ angesehenes Vertrauen. Sollte die Sache ans Licht kommen, würde sich die gegenwärtige Situation um ein zehnfaches verschlechtern.

»Was zum Teufel haben Sie sich nur dabei gedacht, Longworth?«

»Ich habe es für die Bank getan. Wir waren angreifbar; die Reserven gingen zurück. Ich tat es, um die Einlagen zu schützen ...«

»Nein, verdammt noch mal.« Als Longworth zusammenzuckte, merkte Hayden, dass er ihn angebrüllt hatte. »Sie haben es getan, um dieses Haus zu kaufen und die Anzüge und die Kutschen, in denen Sie mit Ihren kostspieligen Geliebten ausfahren.«

Timothy schluchzte. Peinlich berührt wandte Hayden sich ab und sah zum Fenster hinaus.

Von unten aus dem Garten blickte ein veilchenfarbenes Augenpaar zu ihm herauf. Dann wandte es sich ab und schaute auf Bänder und Stroh. Augen wie Veilchen im kühlen Schatten und eine wohlgeformte Gestalt, die versteckte Herrlichkeiten verspricht. So hatte Benjamin Miss Welbourne an einem Abend in Griechenland nach ein paar Gläsern Wein beschrieben. Es hatte nicht sehr respektvoll geklungen, aber in seiner Stimme hatte doch sehr viel Zuneigung gelegen. Hayden hatte sie also vorhin nicht wirklich angelogen. Als er ihre Reaktion sah – wie ihr Tränen in die Augen stiegen und ihre Züge weich wurden – wünschte er allerdings, gar nichts gesagt zu haben.

Ihr Gesicht war nicht schön im herkömmlichen Sinne, aber angesichts dieser Augen spielte das keine Rolle. Ihre ungewöhnliche Farbe nahm einen zuerst gefangen, und dann bemerkte man, welch reger Geist und welche Intelligenz diesen Augen innewohnte. Auch eine gewisse Weltgewandtheit drückten sie aus, als wisse diese Frau nur zu gut um die Schwierigkeiten im Leben. Während diese Augen ihn unnachgiebig angesehen hatten, hatte er einige Augenblicke lang vergessen, welch schreckliche Aufgabe ihn am heutigen Tag in dieses Haus geführt hatte.

Ein Mund wie eine Rose, mit Nektar so süß. Anscheinend hatte Ben nicht nur mit Miss Welbournes Gefühlen gespielt. Das war nicht überraschend. Ein Mann, der wie Benjamin Longworth vor Leben sprühte, spielte sicher mit einer ganzen Menge Frauen.

Roselyn und Irene Longworth, Benjamins Schwestern, saßen mit Miss Welbourne in der Sonne. Die Ältere war eine gut aussehende Frau mit heller Haut, dunkel goldenem Haar und einem lieblichem Gesicht. Ihre Schönheit machte sie unverwechselbar, aber sie wirkte auch sehr hochmütig. Die jüngere hatte langes helles Haar. Sie war schmal und noch sehr kindlich.

Er spürte, wie sich jemand neben ihn stellte. Longworth hatte sich vom Diwan erhoben. Er blickte auch zu den drei Frauen im Garten herab.

»O Gott, wenn sie davon erfahren ...«

»Ich schwöre Ihnen, dass sie es niemals erfahren müssen und dass ich nichts verraten werde. Wenn es uns gelingt, Ihren Hals zu retten, Longworth, dann können Sie Ihrer Familie so viele Lügengeschichten erzählen, wie Sie wollen. Einem Fälscher und Dieb werden sicher einige gute Erklärungen einfallen.«

»Meinen Hals retten – ja, ist das denn möglich? Gnädiger Himmel, wie soll das gehen ...«

Hayden wartete, bis Longworth sich wieder gefangen hatte.

»Wie viel, Longworth?«

Er zuckte die Achseln. »Vielleicht zwanzigtausend. Ich wollte es nicht tun. Nicht wirklich. Zuerst wollte ich mir nur etwas leihen, ich musste einige unvorhergesehene Schulden zurückzahlen ...«

»Ich will nicht wissen, wieviel Sie genommen haben, sondern wieviel Sie noch haben.«

»Wie viel ich habe?«

»Nur wenn Sie alles zurückzahlen, haben Sie noch eine Chance. Und zwar jeden Penny. Mit dem Geld, das Sie noch haben, und anhand von Schuldscheinen, die Sie unterschreiben werden.«

»Das bedeutet, dass wir es den Gläubigern sagen müssen!«

»Wenn diese aber keine Verluste erleiden–«

»Nur ein einziger müsste den Mund aufmachen, und ich würde ...«

»Hängen. Ja. Dafür hätte schon eine einzige Fälschung gereicht. Sie werden einfach hoffen müssen, dass die Rückzahlung genügt und dass die Gläubiger verstehen, dass Rückzahlungen nur möglich sind, wenn sie Stillschweigen bewahren. Ich werde für Sie sprechen, das wird vielleicht helfen.«

»Ich soll wirklich alles zurückzahlen? Dann bin ich ruiniert. Völlig ruiniert.«

»Wenigstens werden Sie leben.«

Longworth suchte Halt und klammerte sich an die Fensterbank. Er blickte wieder hinaus und bekam feuchte Augen. »Was werde ich ihnen sagen? Und Alexia – wenn wir nur die Pachteinnahmen von den Ländereien haben, wenn ich auch damit die Schulden zurückzahlen muss, kann ich nicht mehr für sie sorgen.« Er starrte entsetzt vor sich hin, als erschienen neue Schreckensbilder vor seinem inneren Auge.

Hayden konnte sich denken warum. »Haben Sie auch ihre kärglichen Mittel gestohlen? Die kleinen Konten habe ich noch nicht geprüft.«

Longworth wurde rot.

»Sie sind ein Verbrecher, Longworth. Danken Sie Gott heute Abend auf Knien, dass ich eine Ehrenschuld bei Ihrem toten Bruder habe.

Timothy hörte gar nicht mehr zu. Wie betäubt malte er sich seine Zukunft aus. »Irene sollte dieses Jahr Debütantin sein, und ...«

Hayden verschloss die Ohren vor dieser Klagelitanei. Er hatte einen Plan, der Longworths Leben retten und jegliche Enthüllungen verhindern könnte, damit die derzeitige Panik nicht völlig außer Kontrolle geriet. Aber den finanziellen Ruin, den diese Lösung mit sich brachte, den konnte er Longworth nicht ersparen.

Eine tiefe Müdigkeit erfüllte ihn. Sie rührte von einer langen Nacht voller Berechnungen, Wut und Erwägungen moralischer Art. »Setzen Sie sich. Ich werde Ihnen sagen, wie viel wir brauchen und dann überlegen wir uns, wie Sie die Schulden zurückzahlen werden.«

Kapitel 2

Ruiniert!

Das Wort hing in der Luft. Im Zimmer herrschte Totenstille. Alexia gefror das Blut in den Adern. Tim hatte sehr krank ausgesehen. Nachdem Lord Hayden gegangen war, hatte er sich in sein Zimmer zurückgezogen. Aber gegen Abend war er aufgestanden. Gerade hatte er Alexia und seine Schwestern in die Bibliothek gerufen und ihnen von dem Unheil berichtet.

»Aber wie konnte das nur passieren, Tim?«, fragte Roselyn. »Ein Mann hat doch nicht das alles ...« Sie machte eine ausschweifende Geste, die das Haus, in dem sie standen mit einschloss. » ...und stürzt dann von einem Tag auf den anderen in den Ruin.«

Er kniff die Augen zusammen, und sein Tonfall wurde bitter. »Doch, das tut er. Wenn Lord Hayden Rothwell es so will.«

»Lord Hayden? Was hat er denn damit zu tun?«

Timothy starrte zu Boden. Er wirkte schwach und drohte zusammenzubrechen. »Er hat die Einlagen seiner Familie aus der Bank genommen. Und dafür waren unsere Rücklagen zu klein. Um ihn auszuzahlen und die Reserven zu ergänzen, musste ich alles verpfänden, was wir haben. Auch Darfield musste mithelfen, aber seine Taschen sind tiefer. Er hat für meinen Anteil an der Bank einen Teil meiner Verbindlichkeiten übernommen. Trotzdem reicht es noch immer nicht.«

Alexia kämpfte gegen eine übermächtige Wut. Was kümmerte es Rothwell, auf welcher Bank sein ganzes Geld lag? Er musste doch gewusst haben, was dies für Timothy und für sie alle bedeuten würde. Er hatte dieses Haus in der Absicht betreten, die Zukunft der Longworths zu zerstören.

»Wir werden schon zurechtkommen«, erwiderte Roselyn fest. »Wir können auch ein einfaches Leben führen. Wir werden ein paar Bedienstete entlassen und nur noch zweimal in der Woche Fleisch essen. Wir werden ...«

»Ihr habt mich wohl nicht gehört«, fuhr Timothy sie an. »Ich sagte, ich bin ruiniert. Es wird überhaupt keine Bediensteten und auch kein Fleisch mehr geben. Ich habe nichts. Wir haben nichts.«

Roselyn starrte ihn an. Irene, die zunächst verwirrt zugehört hatte, fuhr zusammen, als habe sie eine Ohrfeige bekommen. »Heißt das, ich kann nicht an der Ballsaison teilnehmen?«

Timothy lachte grausam. »Du kannst auf keinen Ball gehen, weil wir gar nicht mehr in London sein werden, Süße. Der Halunke nimmt uns das Haus. Es gehört jetzt Rothwell. Wir werden nach Oxfordshire zurückkehren und dort verhungern.«

Irene fing an zu weinen. Roselyn starrte erschüttert und stumm vor sich hin. Timothys Lachen verwandelte sich in eine Mischung aus Gackern und Weinen.

Alexia beschlich eine schreckliche Angst. Seit Timothy ins Zimmer gekommen war, hatte er sie kein einziges Mal angesehen. Jetzt wich er ihrem Blick aus. Panik beschlich sie und drohte sie wie eine Lawine mitzureissen.

Roselyn fand ihre Stimme wieder. »Timothy, wir können wieder auf dem Land leben. Wir haben das Haus und ein wenig Land. Es wird nicht so schlimm. Wir sind auch damals nicht verhungert.«

»Es wird schlimmer sein als früher, Rose. Ich werde noch sehr viele Schulden zurückzahlen müssen. Und dafür werde ich einen großen Teil der Pachteinnahmen brauchen.«

Das Pochen wurde schneller und nahm ganz von Alexia Besitz. Heiß und kalt lief es ihr über den Rücken. Das schreckliche Schicksal, vor dem sie sich seit dem Tode des Vaters fürchtete, hatte sie jetzt eingeholt. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihr, Haltung zu bewahren.

Sie würde Timothy nicht dazu zwingen, das auszusprechen, wovor ihr am meisten graute. Das wäre nicht recht. Es wäre undankbar den Menschen gegenüber, die sie aufgenommen hatten.

Sie stand auf. »Wenn sich Eure Lage so drastisch verschlechtert, möchte ich euch nicht weiter zur Last fallen. Ich habe eine kleine Summe gespart. Damit komme ich über die Runden, bis ich eine Anstellung gefunden habe. Jetzt werde ich auf mein Zimmer gehen, damit ihr euch besprechen könnt, ohne auf mich Rücksicht nehmen zu müssen.«

Roselyn stiegen Tränen in die Augen. »Sei doch nicht töricht, Alexia. Du gehörst zu uns.«

»Ich bin nicht töricht. Ich versuche praktisch zu denken. Auch möchte ich es Timothy ersparen, mich hinauszuwerfen.«

»Sag ihr, dass sie nicht gehen muss, Tim. Sie ist so vernünftig, sie wird uns eine Hilfe und keine Last sein. Tim möchte nicht, dass du gehst, Alexia.«

Timothy antwortete nicht. Er blickte sie noch immer nicht an.

»Timothy«, rief Roselyn mahnend.

»Es wird nur für euch beide reichen, Rose.« Schließlich blickte er endlich zu Alexia. »Es tut mir sehr leid.«

Alexia zwang sich zitternd zu einem Lächeln und verließ das Bibliothekszimmer. Sie schloss die Tür, während Irene und Roselyn weinten und Timothy betreten vor sich hinstarrte. Sie eilte in ihr Zimmer und verfluchte in Gedanken den Mann, der für die ganze Tragödie verantwortlich war.

Hayden Rothwell war ein Schurke. Ein Monster. Er war einer dieser Männer, die ein Luxusleben führten und aus einer Laune heraus das Leben anderer Menschen zerstörten. Er hätte doch nicht alles auf einmal abheben müssen. Er hatte kein Herz und keine Seele und trampelte mit Stiefeln auf anderen herum, wenn es ihm passte. Er war so hart und kalt, wie er aussah. Sie hasste ihn.

Sie warf sich aufs Bett und vergrub das Gesicht in den Kissen. Sie verfluchte Rothwell, während sie in die Federn weinte. Die Angst hatte nun völlig von ihr Besitz ergriffen.

Ruiniert. Sie konnte nicht glauben, dass sie so etwas noch einmal durchmachen musste. Zwei Jahre vor seinem Tod war ihr Vater bankrottgegangen. Dadurch war seine Hinterlassenschaft stark geschmälert worden. Wahrscheinlich hatte sein Erbe sie deswegen nicht bei sich aufgenommen. Das Schicksal hatte ihr nun einen grausamen Streich gespielt und sie musste all diese Ängste und Sorgen noch einmal durchleben.

Alexia versuchte sich zusammenzureißen. Sie hatte sich manchmal gefragt, was sie in dieser Lage tun würde. Sie hatte immer gewusst, dass es so weit kommen konnte. In Gedanken durchlebte sie noch einmal das ganze Elend. Immer wieder hatte sie alles durchgerechnet in diesen schrecklichen Nächten, wenn die Sorgen sie erdrückten.

Wenn sie einige Referenzen vorzuweisen hätte, könnte sie möglicherweise Gouvernante werden. Sie besaß die richtige Herkunft und Erziehung für diese Aufgabe, obwohl ein solches Leben natürlich fürchterlich sein würde.

Sie könnte auch bei einem Hutmacher Arbeit suchen. Sie fertigte gerne Hüte an und besaß Geschick und Geschmack für diese Arbeit. Allerdings wäre mit einer Anstellung als Hutmacherin die Demütigung wirklich vollkommen. Sie stammte aus einer guten Familie. Auch wenn eine Arbeit als Hutmacherin verlockender war als der Gedanke, Tag und Nacht eingesperrt zu sein, um sich um das Kind einer anderen Frau zu kümmern, so war sie doch nicht zur Handwerkerin geboren.

Heirat war eine weitere Möglichkeit, obwohl sie zur Zeit keine Verehrer hatte. Sie hatte nicht gehofft nach Benjamin noch einen Mann kennenzulernen. Er lebte in ihrem Herzen und das würde auch für immer so sein. Das Mädchen, das sie in ihrem tiefsten Inneren noch war, hasste die Vorstellung, eine Vernunftehe einzugehen. Da sie die wahre Liebe kennengelernt hatte, entsetzte sie der Gedanke an eine Ehe ohne Liebe. Außerdem fehlte es ihr für eine Ehe an Schönheit und Vermögen.

Als sie diese Möglichkeiten Revue passieren ließ, keimte etwas Hoffnung in ihr auf. Aber wie sie es auch drehte und wendete, ihr wurde übel bei dem Gedanken. Sie hatte eine Rente von 20 Pfund im Jahr und würde nicht hungern müssen. Wenn sie ihren Stolz überwand, würde sie überleben können. Darin hatte sie ohnehin sehr viel Übung.

Sie sah sich im Zimmer um und betrachtete die Möbel im trüben Dämmerlicht. Das Zimmer war nicht sehr groß. Im Gegensatz zu Roselyn und Irene hatte sie letztes Jahr kein neues Mobiliar erhalten, außerdem war ihr Zimmer nicht wie die anderen mit kostbaren Stoffen ausgestattet worden. Aber es war ihr Zimmer seit dem Tag, an dem Tim mit ihnen von Cheapside hierher gezogen war, gleich nach Bens Abreise nach Griechenland vor vier Jahren.

Sie schloss die Augen und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis Hayden Rothwell sie hinauswarf.

Drei Tage später saß Alexia im Frühstückszimmer und las die Anzeigen in der Times. Im Haus war es totenstill. Bedienstete machten ja kaum Lärm, aber ihre Abwesenheit war deutlich spürbar. Nur Falkner war noch da, weil er noch keine passende neue Stelle gefunden hatte. Sie hörte, wie er im Esszimmer das Geschirr verpackte, das Timothy gestern verkauft hatte.

Nur wenige der Luxusgegenstände, die sie in den vergangenen Jahren gekauft hatten, würden mit den Cousinen zurück nach Oxfordshire umziehen. Rothwell würde die Einrichtung bekommen und alles andere würde verkauft werden. In diesem Augenblick befanden sich mehrere Interessenten im Kutschenhaus und feilschten um die Equipagen.

Roselyn betrat das Frühstückszimmer und setzte sich neben Alexia. Sie schenkte beiden Kaffee ein. »Was liest du da?«

»Zimmer zu vermieten.«

»Picadilly sollte nicht so schlecht sein, solange du nicht zu weit nach Osten gehst.«

»Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen, Rose.«

Rose sah aus, als hätte sie monatelang geweint. Ihre Augen waren rot und geschwollen. »Ich hätte einen dieser Männer heiraten sollen, die hinter meinem Vermögen her waren. Wäre ihm recht geschehen, dass mein Bruder jetzt ruiniert ist, so ruiniert, dass er die Zinnsachen verkaufen muss. Die Zinnsachen, Herrgott noch mal!«

Alexia unterdrückte ein Lachen. Roselyn ertappte sie dabei und musste kichern. Dann lachten sie beide, bis ihnen Tränen über die Wangen liefen.

»Ach, das hat gut getan«, rief Rose nach Luft schnappend. »Alles ist so dramatisch, dass es fast schon lächerlich ist. Manchmal warte ich nur darauf, dass Tim mir das Nachthemd vom Körper reißt und veräußert, während ich schlafe.«

»Lass uns nur hoffen, dass der Gerichtsvollzieher dann nicht neben ihm steht. Sonst gibt es noch mehr Gerüchte in der Stadt.«

Wieder musste Roselyn trotz aller Wehmut lachen. »Ich werde dich vermissen, Alexia. Was wirst du tun?«

»Ich habe Mrs Harper um ein Empfehlungsschreiben gebeten. Sie kennt mich von allen euren Freunden am besten. Ich suche eine Stelle als Gouvernante und habe mich bei einer Agentur beworben. Ich hoffe, dass ich etwas hier in der Stadt finde.«

»Du musst uns immer wissen lassen, wo du bist. Du musst versprechen, dass du uns besuchen kommst.«

»Natürlich.«

Roses Augen füllten sich mit Tränen. Sie umarmte Alexia fest. Während Alexia die körperliche Wärme genoss, die ihr bald versagt sein würde, erschien Falkner in der Tür.

»Was gibt es?«, fragte sie.

Falkner sah sie genauso an wie vor drei Tagen. Sein Blick sprach Bände. »Er ist hier. Lord Hayden Rothwell. Er hat darum gebeten, das Haus besichtigen zu dürfen.«

Die Art und Weise wie Falkner bei diesem Namen die Nase rümpfte, ließ Alexia vermuten, dass Rothwell keine Bitte, sondern einen Befehl geäußert hatte.

»Ich werde ihn nicht empfangen«, rief Roselyn. »Schicken Sie ihn fort.«

»Er hat nicht nach Ihnen gefragt, Miss Longworth, sondern nach Ihrem Bruder. Aber der ist nicht hier. Als ich ihm das mitteilte, befahl er, ich möge ihn durch das Haus führen.«

»Sagen Sie ihm, dass das nicht in Frage kommt. Ich verbiete es. Er wird dieses Haus noch früh genug bekommen«, rief Roselyn.

Wann dies geschehen würde, war noch nicht sicher. Ein weiterer Punkt, der Alexia Sorgen bereitete.

»Das ist nicht sehr klug von dir, Rose. Es hilft doch nichts, wenn wir den Mann jetzt verärgern. Auch sollte Falkner nicht in seine Dienste treten, wenn er nicht mehr bei uns angestellt ist. Ich kümmere mich um unseren Besucher, damit du es nicht tun musst.«

Lord Hayden wartete in der schmucklosen Empfangshalle, in der schon alle Bilder abgehängt worden waren. Als Alexia den Raum betrat, beugte er sich gerade über einen Tisch mit Intarsienarbeiten, der in der Ecke stand. Zweifellos überlegte er, was dieser Tisch wohl wert sei.

Sie wartete nicht, bis er aufblickte oder grüßte. »Mein Cousin Timothy ist nicht im Haus, Sir. Ich glaube, dass er gerade die Pferde verkauft. Miss Longworth ist ebenfalls verhindert. Sie müssen sich leider mit mir begnügen und ich hoffe, dass ich Ihnen weiterhelfen kann.«

Er richtete sich auf und blickte sie an. Sie musste zähneknirschend zugeben, dass er heute großartig aussah. Er trug Reithosen, einen blauen Rock und eine grau gemusterte Seidenweste. Der Gesichtsausdruck, die Haltung und seine Kleidung verkündeten der ganzen Welt, dass er wusste, wie gutaussehend, intelligent und vermögend er war. Es war geradezu unanständig, so auszusehen, wenn man sich in einem Haus befand, das seiner Würde beraubt worden war.

»Ich dachte, ein Dienstmädchen würde ...«

»Es gibt keine Bediensteten mehr. Die Familie kann sie sich nicht mehr leisten. Falkner bleibt nur noch so lange hier, bis er etwas Passendes gefunden hat. Er ist nicht mehr bei uns angestellt. Ich fürchte, Sie müssen mit mir vorliebnehmen.«

Sie war erstaunt, wie barsch und unhöflich sie sich ihm gegenüber benahm. Sein Blick verriet ihr, dass er ihre Respektlosigkeit wahrgenommen hatte.

»Wenn ich mit Ihnen vorliebnehmen muss und Sie mit mir, so sei es denn, Miss Welbourne. Der Zweck meines Eindringens ist ein ganz einfacher. Ich habe eine Tante, die an diesem Haus interessiert ist. Sie hat mich darum gebeten herauszufinden, ob es für sie und ihre Tochter geeignet ist. Sie möchte dieses Jahr die Ballsaison in London verbringen.«

»Sie möchten das Haus besichtigen, um es Ihrer Tante zu beschreiben?«

»Ja, wenn Miss Longworth die Güte besitzen würde, es mir zu zeigen.«

»Sie ist die Güte in Person. Aber jetzt hat sie zu viel zu tun, um Ihnen diesen Gefallen zu tun. In den Ruin getrieben zu werden, kann sehr zeitraubend sein.«

Sie verspürte ein wenig Genugtuung, als sie sah, dass sich ein harter Zug um seinen Mund legte. Aber dieser kleine Sieg sollte nur von kurzer Dauer sein. Er legte seinen Hut auf das Tischchen neben ihm. »Dann werde ich es eben selber tun. Als ich sagte, dass meine Tante interessiert sei, hatte dies nichts mit Neugier zu tun. Sie zieht es ernsthaft in Erwägung, das Haus selbst zu beziehen. Außerdem gehört das Anwesen meiner Tante bereits. Timothy Longworth hat die Papiere gestern unterschrieben, Miss Welbourne. Ich habe meine Forderungen aus Höflichkeit seiner Familie gegenüber als Bitte formuliert.«

Diese Nachricht erschütterte sie. Das Haus war bereits verkauft. So schnell! Sie überlegte, was dies für ihre Pläne und für Rose und Irene bedeuten würde.

»Dann muss ich mich entschuldigen, Sir. Die neue Eigentümerschaft ist weder Miss Longworth noch mir mitgeteilt worden. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Ihnen das Haus zeigen.«

Er nickte, und die Tortur begann. Sie führte ihn ins Esszimmer, wo sein scharfer Blick keine Einzelheit übersah. Sie konnte förmlich hören, wie er im Kopf die Stühle zählte und den Raum vermaß.

Das restliche Erdgeschoß war schnell besichtigt. Die Schubladen und Schränke in der Vorratskammer des Butlers öffnete er nicht. Alexia nahm an, dass er bereits wusste, dass sie leer waren.

»Das Frühstückszimmer befindet sich hinter dieser Tür«, erklärte sie ihm, als sie in den Korridor zurückkamen. »Meine Cousine Roselyn ist dort und ich bitte Sie, mit meiner Beschreibung des Raumes vorliebzunehmen und nicht hineinzugehen. Ich fürchte, Ihr Anblick wäre zu schmerzlich für Roselyn.«

»Warum wäre meine Gegenwart so schmerzlich für sie?«

»Timothy hat uns alles gesagt. Roselyn weiß, dass Sie die Bank an den Rand des Bankrotts geführt und uns damit ins Unglück gestürzt haben.«

Ein hartes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Die Falschheit dieses Mannes war nicht zu ertragen. Er sah, wie sie ihn böse anstarrte. Er schien sich nicht dafür zu schämen, dass sie sein zynisches Lächeln bemerkt hatte.

»Miss Welbourne, ich brauche das Frühstückszimmer nicht zu besichtigen. Ich bedauere es, dass Ihre Cousine sich nicht wohl fühlt, aber Finanzangelegenheiten spielen sich auf einer anderen Ebene ab und entziehen sich manchmal des gesunden Menschenverstandes. Timothy Longworth hat Ihnen die Dinge bestimmt etwas vereinfacht dargestellt.«

»Seine Darstellung mochte vereinfacht gewesen sein, aber die Folgen waren deutlich. Noch vor einer Woche lebten meine Verwandten in einem stilvollen Haus in London und bald werden sie in Armut auf dem Land dahinvegetieren. Timothy ist ruiniert, sein Anteil an der Bank verkauft und trotzdem wird er noch Schulden haben. Stimmt soweit etwas an meiner Darstellung nicht, Sir?«

Er schüttelte den Kopf. »Es stimmt alles.«

Sie konnte seine Gleichgültigkeit nicht fassen. Er könnte wenigstens so tun, als wäre ihm das Ganze peinlich. Stattdessen tat er so, als sei dies alles völlig normal.

»Sollen wir hinaufgehen?«, fragte er.

Sie ging vor ihm die Treppe hinauf und führte ihn in die Bibliothek. Während sie wartete, betrachtete er in Ruhe die Bände in den Regalen.

»Werden Sie ebenfalls nach Oxfordshire ziehen?«, fragte er.

»Ich würde dieser Familie in der jetzigen Lage niemals zur Last fallen wollen.«

Sein Blick blieb auf die Bücher gerichtet. »Was werden Sie tun?«

»Ich nehme meine Zukunft selbst in die Hand. Ich habe alles durchdacht und eine Liste meiner Erwartungen und meiner Möglichkeiten aufgestellt.«

Er stellt das Buch zurück ins Regal, betrachtete schnell den Teppich, den Schreibtisch und die Sofas. Dann ging er auf sie zu. »Welche Möglichkeiten gibt es denn für Sie?«

Sie ging voraus zu den anderen Zimmern, die sich in dieser Etage befanden. »Meine erste Wahl ist eine Anstellung als Gouvernante, bei einer Familie in der Stadt. An zweiter Stelle steht Gouvernante irgendwo sonst.«

»Das klingt sehr vernünftig.«

»Nun, wenn man dem Hungertod ins Gesicht sieht, ist man angehalten, vernünftig zu sein. Meinen Sie nicht auch?«

Der zweite Stock war nicht so geräumig wie die anderen Etagen. Durch Rothwells Anwesenheit fühlte sich Alexia eingeengt. Seine starke männliche Präsenz wurde ihr nur allzu bewusst, als sie die Schlafzimmer besichtigten. Die Anwesenheit dieses Fremden war hier völlig fehl am Platz.

»Und wenn Sie keine Anstellung als Gouvernante finden?« Die beiläufig gestellte Frage hatte ein längeres Schweigen unterbrochen.

»Dann werde ich Hutmacherin.«

»Hutmacherin?«

»Ich habe Talent. Sollten sie in einigen Jahren eine arme Frau mit einem kunstvoll gefertigten Hut sehen, der nur aus einem alten Korb, einigen Spatzenfedern und verschrumpelten Äpfeln besteht, dann werde ich das sein.«

Seine Neugier stachelte sie zu waghalsigen Ausführungen an. Es war wirklich unverschämt, dass der Mann, der Schuld an dem ganzen Elend hatte, auch noch nach Einzelheiten fragte. Sie riss die Tür zu Irenes Schlafzimmer auf. »Und wenn das nicht klappt, dann gehe ich auf die Straße. Es gibt Leute, die meinen, eine Frau solle lieber verhungern, als so etwas zu tun, aber ich vermute, dass diese Leute der harten Wirklichkeit noch nie ins Gesicht sehen mussten.«

Dafür erntete sie einen strengen Blick. Und doch schien es ihr, als läge darin außer der Verärgerung über die Art und Weise, wie sie sich über sein fehlendes Schuldgefühl lustig machte, auch ein dreistes männliches Kalkül, als erwäge er ihre Qualitäten bei Möglichkeit Nummer vier auf ihrer Liste.

Ihr wurde heiß im Gesicht. Ein Prickeln lief ihr über die Haut und wühlte ihr Innerstes auf schockierendste Weise auf. Sie war sich plötzlich jeder Einzelheit ihres Körpers auf hinterhältige, unkontrollierbare Weise bewusst. Dieses Gefühl widerte sie an, obwohl sie sich gleichzeitig eingestehen musste, dass es sie erregte.

Sie musste einen Schritt zurück machen, aus dem Zimmer gehen und seinem Blick, seiner Nähe entfliehen, die ihren Puls zum Rasen gebracht hatte. In den wenigen Sekunden, die er brauchte, um sie einzuholen, rief sie die Wut wieder in sich wach, um den widerlichen Ausbruch von Sinnlichkeit in sich zu unterdrücken.

Sie machte weiterhin kühne Bemerkungen, um ihm zu zeigen, dass es ihr gleichgültig war, was er dachte. Sie wollte, dass dieser Mann erkannte, für welches Elend seine Launen verantwortlich waren.

»An fünfter Stelle auf meiner Liste steht Diebin. Ich habe mit mir gerungen und überlegt, was zuerst kommt: Straßenmädchen oder Diebin. Und da habe ich festgestellt, dass ersteres zwar härtere Arbeit bedeutet, aber doch in gewisser Weise ein ehrliches Geschäft ist. Diebstahl ist unrecht und böse.« Sie hielt inne. Diese Bemerkung konnte sie sich nicht verkneifen: »Dabei spielt es keine Rolle, ob man als kleiner Taschendieb arbeitet oder die Grenzen der Legalität voll ausschöpft.«

Er blieb stehen und versperrte ihr den Weg. »Sie sprechen mit großer Offenheit.«

In dem engen Flur wirkte er durch seine imposante Größe beinahe bedrohlich. Sein Blick zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Eine sehr männliche, beherrschende und herausfordernde Kraft ging von ihm aus. Ihr Innerstes gemahnte sie zur Vorsicht, zum Rückzug. Auch pochte etwas in ihr, dunkel und tief. Sie achtete nicht auf dieses Gefühl und ließ sich nicht einschüchtern.

»Sie waren es, der mich nach meiner Zukunft gefragt hat, obwohl es Ihnen doch völlig gleichgültig ist, was aus uns wird.« Seit sie die Eingangshalle verlassen hatten, war ihr Zorn gewachsen. Seine kühle Selbstbeherrschung während der Hausbesichtigung hatte das Feuer auflodern lassen.

Sie starrte ihn an. »Sie sind gute, anständige Menschen und Sie haben ihr Leben zerstört. Sie hätten nicht alle Ihre Konten schließen müssen. Sie haben Timothy absichtlich ruiniert. Ich verstehe nicht, wie Sie diesen Schritt mit Ihrem Gewissen vereinbaren können.«

Im düsteren Korridor wurden seine dunkelblauen Augen ganz schwarz. Er schob das Kinn vor. Er war wütend. Gut so. Sie war es auch.

»Ich habe ein reines Gewissen, vielen Dank. Erst wenn Sie sich in der Welt der Finanzgeschäfte besser auskennen, können Sie beurteilen, wie es dazu gekommen ist. Sie wissen einfach zu wenig darüber. Es tut mir um Miss Longworth, ihre Schwester und Sie, Miss Welbourne unendlich leid. Aber ich werde mich nicht entschuldigen, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen meine Pflicht getan habe.«

Sein Tonfall erschreckte sie. Er war ruhig, aber bestimmt und duldete keinen Widerspruch. Sie zog sich zurück, aber nicht aus Angst. Weiter zu reden wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Diesem Mann waren andere Menschen gleichgültig. Wenn dem nicht so wäre, würde er jetzt nicht dieses Haus besichtigen.

Sie führte ihn zur Treppe, die zu den Kammern im nächsten Stockwerk führte, aber er blieb vor einem Zimmer neben dem Treppenabsatz stehen. »Welches Zimmer ist das?«

»Es handelt sich um ein kleines Schlafzimmer, ein ganz gewöhnliches. Früher war es das Ankleidezimmer zum Zimmer nebenan. Wenn Sie mir jetzt bitte nach oben folgen wollen ...«

Er drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Er betrat den kleinen Raum und betrachtete jede Einzelheit. Die zwei Bücher, die neben dem Bett lagen, die spärlich bestückte Garderobe, die ordentlich gestapelten Briefe auf dem Schreibtisch – all diese Dinge sah er sich aufmerksam an. Er nahm ein Häubchen vom Stuhl neben dem Fenster.

»Das ist Ihr Zimmer.«

Er hatte recht. Seine Anwesenheit, die prüfenden Blicke auf ihre persönliche Habe schufen eine Nähe, die ihr höchst unangenehm war. Als er ihre Sachen berührte war es beinahe so, als fasse er sie selbst an. Dadurch entstand eine körperliche Verbindung, die das lebendige Pochen in ihrem Körper noch schockierender und beschämender machte.

»Noch ist es mein Zimmer, ja.«

Diese Spitze beachtete er nicht und betrachtete stattdessen prüfend das Häubchen in seiner Hand, drehte es dahin und dorthin. Es handelte sich um das Häubchen, mit dessen Ausbesserung sie vor drei Tagen im Garten begonnen hatte. Niemand würde es jetzt wiedererkennen. Sie hatte die Krempe neu gestaltet, sie mit cremefarbenem Musselin überzogen und mit himmelblauen Bändern verziert. Sie überlegte noch, ob sie oben am Kopfteil einen kleinen Tuff aus Musselin anbringen sollte.

»Sie haben wirklich Talent.«

»Hutmacherin zu werden ist wie gesagt nur meine dritte Wahl. Wenn eine Dame in einem Hutgeschäft arbeitet, kann sie wohl kaum noch behaupten, eine Dame zu sein.«

Vorsichtig legte er den Hut zurück. »Nein, das kann sie nicht. Allerdings ist Hutmacherin doch sehr viel anständiger, als Straßenmädchen oder Diebin, wenn auch nicht so gewinnbringend. Wenn Sie anständig bleiben wollen, dann stehen die Tätigkeiten auf Ihrer Liste in der richtigen Reihenfolge.«

Als sie den Rundgang beendeten, war er ihr immer noch zutiefst verhasst. Aber sie musste zugeben, dass er ihr nicht mehr so fremd war. Die gemeinsame Besichtigung der Privatgemächer der Familie, ihrer täglich gebrauchten Gegenstände und so nah – zu nah – nebeneinander zu stehen, hatte zu einer unangenehmen Vertraulichkeit geführt.