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Gentleman oder Schurke? Der fesselnde historische Liebesroman »Regency Darlings – Eine Lady zum Verlieben« von Madeline Hunter als eBook bei venusbooks. London, Anfang des 19. Jahrhunderts. Es ist zum Haare raufen: Ihr ganzes junges Leben lang hat Roselyn sich stets bemüht, die perfekte Lady zu sein – und dann kommt einfach ein skrupelloser Lord daher und ruiniert ihren Ruf! Dass sie an allem unschuldig ist, interessiert die feine Gesellschaft natürlich wenig, und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich auf das zwielichtige Spiel von Lord Norbury einzulassen. Als er sie auf einem skandallösen Ball zur Schau stellen will, steht Roselyn jedoch ein mysteriöser Gentleman bei – aber wer ist dieser Kyle Bradwell wirklich? Schon bald beschleicht sie der Verdacht, dass er ein Geheimnis vor ihr verbirgt. Vielleicht könnte sie ihm dieses ja mit einem verwegenen Kuss entlocken? Die große romantische Regency-Saga über zwei Londoner Familien – »Voll Spannung und knisternder Gefühle: Unbedingt lesen!«, empfiehlt Coffeetime Romance. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die englische Familiensaga »Regency Darlings – Eine Lady zum Verlieben« von Bestsellerautorin Madeline Hunter ist der dritte Band ihrer Regency-Reihe, in der alle Romane unabhängig voneinander gelesen werden können. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 471
Über dieses Buch:
London, Anfang des 19. Jahrhunderts. Es ist zum Haare raufen: Ihr ganzes junges Leben lang hat Roselyn sich stets bemüht, die perfekte Lady zu sein – und dann kommt einfach ein skrupelloser Lord daher und ruiniert ihren Ruf! Dass sie an allem unschuldig ist, interessiert die feine Gesellschaft natürlich wenig, und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich auf das zwielichtige Spiel von Lord Norbury einzulassen. Als er sie auf einem skandallösen Ball zur Schau stellen will, steht Roselyn jedoch ein mysteriöser Gentleman bei – aber wer ist dieser Kyle Bradwell wirklich? Schon bald beschleicht sie der Verdacht, dass er ein Geheimnis vor ihr verbirgt. Vielleicht könnte sie ihm dieses ja mit einem verwegenen Kuss entlocken?
Die große romantische Regency-Saga über zwei Londoner Familien – »Voll Spannung und knisternder Gefühle: Unbedingt lesen!«, empfiehlt Coffeetime Romance.
Über die Autorin:
Madeline Hunter studierte Kunstgeschichte und arbeitet heute als Lehrerin an einem College. Seit einigen Jahren schreibt sie außerdem mit großem Erfolg historische Liebesromane. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und sind regelmäßig auf den Bestsellerlisten der »New York Times« und »USA Today« vertreten. Bereits zweimal hat sie den begehrten RITA-Award der »Romance Writers of America« gewonnen. Madeline Hunter lebt mit ihrer Familie in Pennsylvania.
Die Autorin im Internet: www.madelinehunter.com
Madeline Hunter veröffentlichte bei venusbooks ihre »Regency Darlings«-Reihe mit den Bänden:
»Regency Darlings – Ein Lord zum Küssen«
»Regency Darlings – Ein Lord zum Verführen«
»Regency Darlings – Eine Lady zum Verlieben«
»Regency Darlings – Ein Marquis zum Träumen«
Sowie ihre »Regency Flowers«-Reihe mit den Bänden:
»Regency Flowers – Ein skandalöses Rendezvous«
»Regency Flowers – Die widerspenstige Braut«
»Regency Flowers – Eine Lady von zweifelhaftem Ruf«
»Regency Flowers – Lady Daphnes Verehrer«
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eBook-Neuausgabe Juli 2022
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2008 unter dem Originaltitel »Secrets of Surrender« bei Bantam Dell / Random House, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Im Bann der Begierde« bei Heyne.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2008 by Madeline Hunter
This edition published by arrangement with Dell, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2022 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96898-193-2
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Madeline Hunter
Regency Darlings – Eine Lady zum Verlieben
Roman
Aus dem Amerikanischen von Eva Malsch
venusbooks
Bedrückt dachte Roselyn Longworth über ihre Verdammnis nach.
Wie sie nun erkannte, bestand die Hölle nicht aus Flammen und Schwefelgestank, sondern aus gnadenloser Selbsterkenntnis. In der Hölle erfuhr man die Wahrheit über sich selbst. Man wurde mit den Lügen konfrontiert, die man seiner Seele erzählt hatte, um eine falsche Handlungsweise zu rechtfertigen.
Zudem war die Hölle eine endlose Demütigung, so wie die Qual, die sie jetzt während der Abendgesellschaft auf diesem Landsitz erlitt.
Ringsum lachten und spielten Lord Norburys andere Gäste, während sie auf die Ankündigung des Dinners warteten.
Am Vortag, nach der Ankunft in Lord Norburys Kutsche, hatte Roselyn festgestellt, dass die Gästeliste nicht ihrer Vermutung entsprach. Die Männer gehörten der gehobenen Gesellschaftsschicht an. Aber die Frauen ...
Ein lautes Kreischen unterbrach ihre Gedanken. Kokett rang eine Frau in einem grellblauen Dinnerkleid mit einem Mann, der sie gepackt hatte. Die anderen Gentlemen feuerten ihn an. Sogar Norbury ermutigte ihn.
Nachdem die Gefangene eine Zeit lang gespielten Widerstand geleistet hatte, ergab sie sich der Umarmung und einem Kuss, den eigentlich niemand beobachten dürfte.
Roselyn musterte die geschminkten Gesichter und die vulgären Kleider der anderen Frauen. Natürlich hatten die Gentlemen ihre Gemahlinnen nicht mitgebracht, ebenso wenig ihre vornehmen Geliebten. Diese Frauen, gewöhnliche Straßenmädchen, stammten aus Londoner Bordellen. Und vielleicht konnten sich einige nicht einmal dieser Herkunft rühmen.
Und sie saß in ihrer Mitte.
Was das bedeutete, ließ sich nicht leugnen. Die Gäste hatten ihre Huren mitgebracht. So wie Lord Norbury.
Wieso hatte sie die Ereignisse des vergangenen Monats so gründlich missverstanden? Sie versuchte sich an Lord Norburys erste Schmeicheleien und Avancen zu erinnern. Doch das alles war in den letzten vierundzwanzig Stunden zu grauer Asche verbrannt, im vernichtenden Feuer der Realität.
Der Gastgeber schlenderte durch seine Gästeschar zu ihr. Bei jedem Schritt strahlte das Licht in seinen Augen noch heller. Sie hatte es für den Glanz der Liebe und Leidenschaft gehalten. Jetzt sah sie nur mehr Eis in seinem Blick.
Wie erbärmlich dumm war sie gewesen ...
»Du bist so still, Rose. Schon den ganzen Tag.« Er blieb neben ihrem Sessel stehen. Früher hatte sie seine Nähe begrüßt, sein Interesse romantisch gefunden.
Sie naives, törichtes Wesen ...
»Gestatte mir bitte, nach oben zu gehen. In diesem Salon halte ich mich nur auf, weil du verlangt hast, ich müsse zum Dinner herunterkommen. Also beklage dich nicht, weil ich mich weigere, an deinen Partyspielen teilzunehmen. Diese freizügige Gesellschaft missfällt mir.«
Ungeniert gab sich das Paar in einer Ecke des Raums seinen Gelüsten hin, ohne das amüsierte Publikum zu beachten.
»Wie stolz du bist! Viel stolzer, als es dir zusteht.« In Norburys leiser Stimme schwang grausame Kälte mit, und Roselyns Nacken prickelte. Seine Worte galten nicht nur ihrer Missbilligung seiner Party. Am Vorabend hatte sie ihn abgewiesen. Zunächst verstand sie gar nicht, was er wollte. Als er es erklärte, konnte sie ihr Entsetzen nicht verbergen. Innerhalb weniger Minuten verwandelte sich der zärtliche, großzügige Liebhaber in einen wütenden, düpierten Hausherrn. Kalt. Ohne Mitleid. Gemein. In einen Mann, der bezahlt hatte, was er für sein Eigentum hielt, und sich getäuscht fühlte.
Ihre Wangen brannten bei der Erinnerung an die grässliche Szene, die sich in ihrem Schlafzimmer abgespielt hatte, bevor er gegangen war. Sie hatte gedacht, sie wäre seine Liebste, die er verehrte. Stattdessen gab er ihr zu verstehen, was er in ihr sah – eine Hure. Seine beleidigenden Worte hatten sie in tiefster Seele verletzt und aus einer Illusion gerissen, die aus ihrer hoffnungslosen Einsamkeit entstanden war.
»Wenn ich zu stolz bin, lass die Kutsche anspannen und erlaube mir abzureisen. Sei so freundlich und gönne mir den letzten Rest meiner Würde.«
»Dann wäre ich allein, ohne weibliche Gesellschaft. In meinem eigenen Heim würde ich wie ein Narr dastehen.«
»Sagen wir einfach, ich sei krank geworden ...«
Seine Hand sank auf ihre Schulter herab und brachte sie zum Schweigen, mit festem, schmerzhaftem Griff. Als sie seine Finger auf ihrer nackten Haut spürte, unterdrückte sie einen Schauer beklemmenden Ekels.
»Gar nichts werden wir sagen. Du bleibst hier und wirst deine Dankbarkeit für meinen Großmut zeigen. Wenn du mein Wohlwollen erregst, werden wir unser Arrangement fortsetzen. Sicher gefällt dir deine neue Garderobe, Rose, genauso wie der Komfort, den dir der Ruin deiner Familie verwehrt hat.«
Ihre Kehle verengte sich, und sie kämpfte mit den ersten Tränen dieses Tages. »Offenbar hast du etwas missverstanden.«
»Nun, du hast mir deine überfällige Unschuld anvertraut und deine Gunst gewährt. Also habe ich nichts falsch verstanden.« Er neigte sich herab, bis sein Gesicht nur mehr wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Mühsam bezwang sie den Impuls, vor seinen geröteten Wangen, den hellen Augen und dem braunen Haar zurückzuschrecken – den Attributen eines Mannes, den sie respektiert hatte. Sie hatte sich sogar eingeredet, er würde gut aussehen. »Endlich verstehen wir uns, nicht wahr?«, fuhr er gebieterisch fort. »Heute Abend wirst du dich nicht mehr so kindisch benehmen.«
Ihr Magen drehte sich um. »Zu viele Missverständnisse sind eingetreten, und ich fürchte, weitere werden hinzukommen. Den ganzen Tag bat ich dich, mich abreisen zu lassen, weil auch in dieser Nacht nichts geschehen wird.«
Plötzlich bildeten seine Lippen einen so brutalen Strich, dass sie die Anwesenheit der Gäste zu schätzen wusste. Mit ihm allein zu sein, wäre viel schlimmer. Noch schmerzhafter gruben sich seine Finger in ihre Schulter. »Du stellst meine Geduld wirklich auf eine harte Probe.«
Das Prickeln rann von ihrem Nacken zum Rücken hinab. Vergeblich suchte sie in Norburys Miene nach den freundlichen Zügen des Mannes, an dessen Liebe sie geglaubt hatte. Doch der hatte niemals existiert.
Nun beendete der Butler den stummen Willenskampf, durchquerte den Salon, und der Hausherr nahm eine Karte von einem Silbertablett. Er las, was darauf stand, und ging in die angrenzende Bibliothek.
Ehe sich die Tür schloss, sah Roselyn einen hochgewachsenen, dunkelhaarigen Gentleman, der im Nebenraum wartete.
Sie fühlte sich elend. Erfolglos versuchte sie, die Panik zu zügeln, die in ihr aufstieg. So dumm war sie gewesen, naiv und blind. Was sie jetzt ertrug, war bedeutungslos. Erst in dieser Nacht würde sie in die wahre Hölle geraten.
***
Die Stirn ärgerlich gerunzelt, betrat Norbury die Bibliothek. Bevor die Tür ins Schloss fiel, warf Kyle einen Blick in den Salon.
»Ah, Bradwell, ich hatte dich früher erwartet.«
»Leider hat die Arbeit der Landvermesser etwas länger gedauert«, erwiderte Kyle und wies in die Richtung des Salons. »Du hast Gäste. Wenn du es wünschst, komme ich morgen wieder.«
»Unsinn, nun bist du schon mal hier. Lass mich sehen, was du mir bringst.« Norburys Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, das ermunternd wirken sollte.
Anscheinend hängt sein Ärger nicht mit der späten Stunde zusammen, überlegte Kyle, sondern mit etwas anderem. Wie die meisten Männer seines Standes verabscheute der Viscount Norbury, der Sohn und Erbe des Earl of Cottington, Unstimmigkeiten. Von allen Mitmenschen erwartete er, sie würden für richtig halten, was immer er tat oder sagte. Offensichtlich hatte irgendjemand im Salon gegen diese Regel verstoßen.
Kyle entrollte ein großes Papier auf dem Schreibtisch, und Norbury beugte sich darüber. Aufmerksam studierte er die Landkarte. Dann zeigte er auf eine leere Stelle neben einem Fluss. »Warum hast da nichts eingezeichnet, Kyle? Dort könnte man einen großen Landsitz bauen.«
»Aber dein Vater lehnt ein weiteres Gebäude ab, das man durch die hinteren Fenster des Herrschaftshauses sehen würde. Wegen des Flusses wäre es unmöglich, den Standort des neuen Hauses so zu wählen, dass ...«
»In seiner derzeitigen Verfassung ist er unfähig, solche Entscheidungen zu treffen. Das weißt du. Deshalb übertrug er mir seine Geschäfte.«
»Trotzdem gehört das Land immer noch ihm, und er hat mir seine Wünsche ausdrücklich erklärt.«
Jetzt richtete sich Norburys Zorn gegen Kyle. »Oh, das sieht ihm ähnlich! Erst stimmt er meinem Plan zu, dieses Gebiet in kleine Landgüter für deine Parvenü-Freunde aufzuteilen, und dann sorgt er sich um die Aussicht durch die Fenster des Herrschaftshauses, das wir ohnehin nur selten bewohnen. Warum kümmert er sich darum? Hier wird das Haus gebaut, an der besten Stelle, wo wir den höchsten Preis erzielen müssten.«
Kyle wollte nicht mit ihm streiten. Dass er dazu gezwungen wurde, irritierte ihn. Von Grundstückserschließungen verstand Norbury nichts. Wie man ein Baugelände beurteilte und welchen Preis es einbringen würde, wusste er nicht. Seine Familie stellte nur das Land zur Verfügung. Damit würde sie ein Vermögen einnehmen. Das Risiko würde Kyle tragen, gemeinsam mit anderen Investoren, den Mitgliedern des Syndikats, das die Häuser und Straßen bauen würde.
»Vielleicht hältst du die Wünsche deines Vaters für unangebracht. Aber wir verlieren nichts, wenn wir sie erfüllen. Die Käufer wollen das Herrschaftsgebäude ebenso wenig sehen wie deine Familie die neuen Häuser. Außerdem müssten wir, um an dieser Stelle zu bauen, die Straße hierher verlegen und zwei andere Parzellen durchschneiden, was den Wert mindern würde.«
Norburys Blick folgte Kyles Finger, der über die Landkarte glitt. Natürlich missfiel ihm die Belehrung, doch er gab sich geschlagen. »Also gut, vermutlich müssen wir’s so akzeptieren, wie es nun einmal ist.«
Wenn es auch wie eine Zustimmung klang, Kyle wusste, dass der Viscount jedes Wort mit Bedacht gewählt hatte. Wie es nun einmal ist – das bedeutete, es könnte besser sein. Und die Formulierung vermutlich bekundete eine nur widerstrebende Zustimmung.
Sie kannten sich sehr gut. Seit der Kindheit waren sie einander oft begegnet. Aber selbst wenn sie sich gemocht hätten, was nicht zutraf, würden die unterschiedliche Herkunft und Erinnerungen an böses Blut in alten Zeiten eine engere Freundschaft verhindern. Zudem tat der Viscount alles, um eine Annäherung zu vermeiden, und behandelte Kyle wie einen Emporkömmling, der tief unter Cottington und Norbury stand. Natürlich unternahm Kyle nichts dagegen.
»Schauen wir uns die Baupläne an«, entschied der Viscount. Sogar das uns klang arrogant.
Kyle entrollte mehrere architektonische Skizzen. Angesichts der Stimmung Seiner Lordschaft sah er seinen anfänglichen Verdacht bestätigt – irgendjemand im Salon musste Norbury geärgert haben. Das dürfte dieser Person nicht schwergefallen sein. Meistens zeigte sich der Viscount jovial. Aber sobald man seinen Unmut erregte, neigte er zu Wutausbrüchen. Und er war nicht allzu klug. Deshalb musste man ihn manchmal auf offensichtliche Dinge hinweisen, zum Beispiel auf die Probleme mit den Landparzellen. Bedauerlicherweise beschwor er unangenehme Szenen herauf, sobald er glaubte, man würde ihn zum Narren halten.
Während sie die Lage einzelner Räume und das erforderliche Hauspersonal erörterten, besserte sich seine Laune. Kyle gab vor, Norburys Ansicht zu teilen, jeder würde mindestens ein Dutzend Dienstboten für einen minimalen persönlichen Komfort brauchen.
»Um dieses Talent beneide ich dich«, seufzte der Viscount und zeigte auf die Skizzen. »So etwas hätte ich gern studiert. Vielleicht wäre ich ein zweiter Christopher Wren geworden, hätte meine Abstammung das nicht verhindert. Nun, die Pflicht ruft nun einmal, nicht wahr?«
Kyle lächelte kommentarlos und rollte die Skizzen zusammen. »Dann sehen wir uns wie vereinbart in London. Bei der Besprechung lege ich die endgültigen Pläne vor.«
»Mach dich auf einen langen Nachmittag gefasst. Bis dahin müssten wir eine Nachricht aus Frankreich erhalten, die Longworth betrifft, und die Gruppe wird sich versammeln, um die weiteren Schritte zu entscheiden.«
»Hoffentlich bringen wir das bald hinter uns«, bemerkte Kyle, »ein unerfreulicher Aufschub ...«
»Keine Bange, die Gerechtigkeit wird siegen.« In einer Anwandlung plötzlicher Liebenswürdigkeit, zu der Norbury gelegentlich fähig war, half er ihm, die Skizzen zusammenzubinden. Dann wollte Kyle sich zum Gehen wenden. Aber ein kritischer Blick des Viscounts hielt ihn zurück. »Obwohl du heute in freier Natur gearbeitet hast, sieht dein Gehrock nicht allzu schlimm aus.«
»Nun, ich habe keine Hecken gepflanzt.«
»Immerhin ein präsentables Kleidungsstück.«
»Ich tue mein Bestes.«
»Präsentabel genug, sodass du mit uns dinieren kannst.« Norbury wies mit dem Kinn zum Salon. »Vorhin habe ich dem Butler befohlen, die Gäste ins Speisezimmer zu bitten, wenn wir unsere Besprechung beendet haben. Komm mit mir«, fügte er hinzu und steuerte die Tür an, in der Überzeugung, Kyle würde ihm widerspruchslos folgen.
Als Geschäftsmann versäumte Kyle niemals eine günstige Gelegenheit, vornehme und wohlhabende Prominenz zu treffen. Und die Gentlemen hatten nichts gegen seine Gesellschaft einzuwenden. Geld war dicker als Blut, und er besaß das Talent, reiche Leute noch reicher zu machen.
Und so begleitete er Norbury zum Speiseraum. Das gedämpfte Stimmengewirr steigerte sich zu fröhlichem Geschrei, als die Tür aufschwang. Bei einem kurzen Blick in die Runde erkannte Kyle, dass er an diesem Abend keine Geschäfte machen würde. Die Männer mochten gehobenen Kreisen angehören. Aber die grell geschminkten, geschmacklos gekleideten Frauen waren vulgäre Straßenmädchen – bereits zu beschwipst, um sich halbwegs anständig zu benehmen.
Bis auf eine. An einem Ende der Tafel saß eine erstaunlich schöne Frau mit blondem Haar. Schweigend ignorierte sie die anderen Gäste und schaute ausdruckslos vor sich hin. Alles an ihr – von den diskreten Federn des Kopfschmucks bis zum eleganten Dinnerkleid – wirkte seriös und unterschied sie von ihren Tischgefährten, die ihre Zurückhaltung längst aufgegeben hatten.
Diese Frau kannte er. Zum ersten Mal hatte er sie vor zwei Jahren gesehen, in einem Theater. Von ihrem reizvollen Gesicht fasziniert, hatte er die Aufführung kaum beachtet. Er wandte sich zu Norbury. »Was macht Timothy Longworths Schwester hier?«
»Nun, ich habe sie verführt. Dabei musste ich mich nicht anstrengen. In dieser Familie scheint man weder Sitte noch Anstand zu kennen. Jedenfalls wollte ich eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit genießen, während ich warte, bis der Schurke am Galgen baumelt.«
***
Roselyn hatte gehofft, der Besucher würde den Gastgeber über eine Katastrophe informieren und zu einer tagelangen Abwesenheit veranlassen. Zu ihrer Enttäuschung betrat Norbury das Speisezimmer, und sie erschauerte, als er zu dem leeren Stuhl an ihrer Seite ging.
Wie sie feststellte, wurde ihre Reaktion von zwei Personen beobachtet. Der große, dunkelhaarige Gentleman, den sie in der Bibliothek gesehen hatte, nahm am anderen Ende des Tisches Platz, schaute in ihre Richtung, und seine Miene änderte sich. Offenbar fiel ihm ihr Unbehagen auf.
Das entging der Frau namens Katy, die ihr gegenübersaß, ebenso wenig. Wissend hob sie die Brauen, und Roselyn erwartete sichtliche Genugtuung angesichts der tief gesunkenen stolzen Lady.
Stattdessen lächelte Katy ihr mitfühlend zu. Ihre beiden Tischnachbarn führten Gespräche, an denen sie nicht beteiligt wurde, und so beugte sie sich vertraulich herüber. »Offenbar geht es Ihnen nicht gut.«
Welch eine Untertreibung ... Beinahe hätte Rose gelacht. »Nein, gar nicht gut.«
Ärgerlich schüttelte Katy den Kopf. »Das hätte er besser wissen müssen. Und Sie auch. Hat er die Bedingungen nicht festgelegt? Das hätte er sofort tun sollen, ganz egal, wo er Sie gefunden hat. Sonst wird’s übel für Sie ausgehen.«
»Ja, so sieht es aus.« Norbury war stehen geblieben, um mit einem Freund zu plaudern. Aber er würde sich bald zu ihr setzen.
»Die Männer sind wie kleine Jungen. Wenn Mummy sagt, keine Süßigkeiten, dann essen sie keine. Aber ein paar hören nicht auf Mummy. Dann weint sie, und sie gehen woandershin, um sich zu holen, was sie wollen. Warum einem Mädchen wehtun, wenn’s ein anderes für denselben Preis macht, nicht wahr?«
Katys Erfahrungen und ihrer Logik konnte Rose nichts entgegensetzen. Sie spürte, wie Norbury näher kam, und wappnete sich mit neuem Mut.
Bewundernd musterte Katy den Kopfputz und das exquisite Kleid, das Rose trug. »Wenn Sie wollen, tauschen wir. George ist sehr umgänglich, und ich bin an schwierige Männer wie den Viscount gewöhnt.«
»Danke, auch mit George will ich nichts zu tun haben«, erwiderte Rose. »Mit niemandem. Ich möchte ...«
»Endlich lässt du dich zu einer kleinen Konversation herab.« Norbury nahm neben ihr Platz. »Freut mich. Es wäre schade, wenn du die Party mit deiner Trübsal überschatten würdest.«
Wie Katys Blick ihr bedeutete, würde das Angebot immer noch gelten. Rose schaute zu George hinüber. Das bemerkte der korpulente Bruder eines Barons und lächelte entzückt.
Da entschied Katy, damit wäre das Abkommen geschlossen. Schamlos begann sie mit Norbury zu flirten, und Rose suchte verzweifelt nach einer geeigneten Strategie, falls der Tausch tatsächlich erfolgen würde.
Der Besucher, der das Speisezimmer gemeinsam mit dem Viscount betreten hatte, fing ihren Blick auf. Wenn er ihr auch größer und stärker erschien als die fröhlichen Zecher – das mochte eine Illusion sein, die an seinem nüchternen Zustand lag. Er setzte sich neben eine der Dirnen. Gelegentlich sprach er mir ihr, auch mit dem Mann, der ihm gegenübersaß. Während der Mahlzeit beobachtete er alle anderen Gäste.
In seinem markanten Gesicht entdeckte sie keinen einzigen Zug, der auf eine Schwäche schließen ließe. Er trug keinen Abendanzug. Doch das spielte bei diesem zwanglosen Dinner keine Rolle. Seine Kleidung war extrem schlicht. Vielleicht hatte er seinen Schneider beauftragt, möglichst unauffällige Schnitte und Stoffe zu verwenden.
Anscheinend machte Katy Fortschritte in ihrem Bestreben, den Viscount zu umgarnen. Aber obwohl er schockierende Andeutungen mit ihr wechselte, richtete er seine Aufmerksamkeit immer wieder auf Rose. Erfolglos versuchte sie seine Gedanken zu lesen. Irgendetwas plante er, das war offensichtlich.
Nach einer Weile erhob er sich, um das Wort an seine Gäste zu richten, und alle verstummten. »Ich möchte euch jemanden vorstellen, den ihr vermutlich noch nicht allzu gut kennt.« Nun erwartete Rose, er würde die Tischgesellschaft mit dem Neuankömmling bekannt machen. Stattdessen reichte er ihr seine Hand. »Steh auf, meine Liebe.«
Da ihr nichts anderes übrig blieb, gehorchte sie. Alle starrten sie an. Nur der Blick des neuen Gastes wirkte glasklar.
»Sicher haben sich die reizenden Damen gefragt, warum diese stolze Lady in unserer Mitte weilt«, fuhr Norbury fort. »Miss Longworth ist die Schwester eines Mannes, der vor seinen beträchtlichen Schulden floh. Sie stammt aus guter Familie, doch nicht gut genug, denn das Vermögen ist längst verschwunden und ihre Verwandtschaft unbedeutend. Möglicherweise war ihr endgültiger Absturz, nämlich in mein Bett, zu abrupt. Sie nahm lieber Geschenke an als Geld, damit sie sich vorgaukeln konnte, das Arrangement wäre nicht das, worauf es hinauslief. Und so hegte sie romantische Hoffnungen, während es nur um eine geschäftliche Angelegenheit ging.«
Um nicht aufzuschreien, biss Rose die Zähne zusammen. Die Gäste lachten, auch Katy, und alle Huren nickten vielsagend. Ja, Miss Longworth war eine dieser Damen, die den äußeren Schein zu wahren suchten. Dafür hatten diese Frauen, die niemandem etwas vormachten, kein Verständnis.
Nicht alle beobachteten sie. Der neue Gast nippte an seinem Wein und schien nicht zuzuhören.
»Jetzt bin ich ihrer müde«, erklärte Norbury, »und ich bereue meine Großzügigkeit, die ihr gestattet hat, so elegant in eurer Mitte aufzutreten. Mein Interesse gilt einer anderen.« Lüstern lächelte er Katy an, die kokett die Brauen hob und ungläubiges Staunen heuchelte. »George würde unserem Tausch gewiss zustimmen. Bestreite es nicht, mein Freund, ich sah dich mit Miss Longworth flirten. Aber vielleicht kann ich das Geld ersetzen, das ich für dieses Kleid und andere Geschenke bezahlt habe. Was meint ihr, Gentlemen? Soll ich die Dame versteigern?«
Das hielten sie für eine ausgezeichnete Idee. Schrilles Gelächter und Gejohle hallten von den Wänden wider. Unfähig, ihr Entsetzen zu verbergen, wandte Rose sich zu Norbury, der ihre Empörung sichtlich genoss. »Das dulde ich nicht!«, fauchte sie, schob ihren Stuhl zurück und wollte flüchten.
Daran hinderten sie Norburys Finger, die ihren Arm ergriffen. »Noch immer besitzt sie ein anmaßendes Temperament, das gezähmt werden muss, Gentlemen. Allein schon das sollte euch ein paar Pfund wert sein.« Er umfasste ihren Arm noch fester. Obwohl er lachte, las sie eine unverhohlene Drohung in seinen Augen.
Einige Männer richteten sich eifrig auf. Bei der Erkenntnis, dass sie eine widerstrebende Frau tatsächlich reizvoll fanden, fröstelte sie.
»Mal sehen ...« Der Viscount gab vor nachzudenken. »Bei welcher Summe fangen wir an?«
Rose wollte ihn schlagen, nein – umbringen! Vergeblich versuchte sie, sich loszureißen. »Das wirst du nicht tun!«
Doch er ignorierte sie. »Wie ihr seht, ist sie sehr schön. Schon immer hielt ich sie für eine der schönsten Londonerinnen.«
»So wird sie nicht mehr lange aussehen«, warnte eine Hure. »Sicher ist sie ein paar Jahre älter als ich.«
»Ja, die erste Jugendblüte hat sie hinter sich. Aber der Mann, der sie gewinnt, wird sich noch lange an ihr erfreuen können, bevor sie verwelkt.« Norbury kratzte sich am Kopf. »Fairerweise muss ich ihre Fehler erwähnen. Wie soll ich es vorsichtig umschreiben? Verdammt, das ist unmöglich. Also gebietet mir mein Ehrgefühl, euch darauf hinzuweisen – sie ist nicht besonders warmherzig, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Da sie nicht in Ohnmacht fallen wollte, klammerte sie sich an ihren Zorn. Die Gesichter schienen sich zu vervielfältigen und näher zu rücken, bis sie von einem Wall aus grinsenden Fratzen umzingelt wurde.
»Noch etwas muss ich betonen. Wegen ihrer verspäteten – eh – Einweihung braucht sie einen Lehrmeister.«
Großer Gott ...
»Da könnte ich ihr Unterricht geben«, erbot sich eine selbstbewusste Dirne.
Norbury verneigte sich vor ihr. »Meine Teure, im Buch der fleischlichen Gelüste kennst du bereits das zwanzigste Kapitel, und Miss Longworth hat noch nicht einmal das zweite studiert. Manche Männer übernehmen sehr gern die Aufgabe eines Lehrers, und die sollten ihre Börsen öffnen.«
Entschlossen weigerte sich Rose, darauf zu reagieren. Jetzt erwachte das Interesse weiterer Männer. Die Hand des Viscounts, der ihren Arm immer schmerzhafter festhielt, betäubte allmählich ihre Gefühle.
»Allerdings möchte ich, um der Dame gerecht zu werden, einige ihrer Vorzüge erwähnen. Sie ist nicht habgierig. Zweitens, wer so wie ich unter dem Ruin ihres Bruders leiden musste, kann ihre Gunst als eine Art Rückzahlung betrachten.«
Von neuer Empörung erfasst, konnte sie ihre gleichgültige Fassade nicht länger bewahren. Sie fuhr herum und starrte ihn an. Also hatte er sie umworben und verführt, um sich an ihrem Bruder zu rächen.
Elender Schurke!
»Und drittens – für eine Hellhaarige besitzt sie erstaunliche, sehr erotische dunkle Brustwarzen.«
Nun brach ein wilder Tumult los. Inmitten des Geschreis riefen einige Männer, sie würden die Reize, die Norbury beschrieben hatte, gern sehen.
Mit leiser Stimme, die nur er hörte, mahnte Rose: »Untersteh dich, mich noch niederträchtiger zu demütigen und diese Forderung zu erfüllen. Wenn du es wagst, werde ich dich ermorden und mit Freuden am Galgen dafür hängen!«
Da geriet sein selbstgefälliges Grinsen ins Wanken, und er eröffnete die Versteigerung.
Zunächst bot George fünfundzwanzig Pfund.
»Dreißig!«
»Fünfunddreißig!«, konterte George nach einer ungalanten Pause.
»Fünfzig!«
»Sechzig!« Erst jetzt beteiligte sich ein Gentleman, der Rose voller Hohn taxierte, an der Auktion. Sie erkannte Sir Maurice Fenwick, und sein Interesse erschreckte sie. Für diesen Mann würde ihr Widerstand wohl kaum eine Rolle spielen.
»Fünfundsechzig«, sagte George in endgültigem Ton.
»Siebzig.«
»Fünfundsiebzig!«, rief Sir Maurice ohne Zögern.
»Neunhundertfünfzig Pfund.« Die kühle, ruhige Stimme schien aus dem Nichts heranzudringen.
Einige Sekunden lang herrschte betroffenes Schweigen, dann erklang verwirrtes Gemurmel, und alle schauten sich neugierig um. Welcher vernarrte Gentleman mochte den Verstand verloren haben?
Genauso überrascht wie die anderen empfand Roselyn wachsende Furcht. Einem Mann den Gegenwert von fünfundsiebzig Pfund zu verwehren, würde ihr leichtfallen. Aber neunhundertfünfzig – das dürfte Probleme aufwerfen.
Nun richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf den neuen Gast, der weiter unten am Tisch saß und seelenruhig seinen Wein trank.
Norbury runzelte die Stirn. »Neunhundertfünfzig, Bradwell? Sicher habe ich dich falsch verstanden.«
Bevor der Gast antwortete, winkte er einen Lakaien zu sich und flüsterte ihm etwas zu. »Keineswegs. Wenn du willst, kannst du die Versteigerung fortsetzen.«
Forschend blickte der Viscount in die Runde. Doch die exorbitante Summe hatte allen Interessenten den Wind aus den Segeln genommen. Mr Bradwell wartete geduldig. Offenbar hatte er es nicht eilig. Statt auf das Ende der Auktion zu drängen, schien er den Kandelaber in der Mitte der Dinnertafel zu bewundern.
Als die Stille lange genug gedauert hatte, stand er auf und ging auf den Gastgeber zu.
Beklommen versuchte Rose, die Beweggründe des hochgewachsenen Mannes einzuschätzen. Alle ihre Instinkte warnten sie. Vermutlich wäre ihr mit dem korpulenten, umgänglichen George oder sogar mit dem gefährlichen Sir Maurice ein besseres Los beschieden worden. Oder sogar mit Lord Norbury, der ihre Morddrohung, wie sie vorhin herausgefunden hatte, ernst nahm ...
Äußerlich betrachtet, gab es an Mr Bradwell nichts auszusetzen. Seine präsentable Kleidung und das stilvoll frisierte, lockige dunkle Haar wiesen auf einen Wohlstand hin, der sein hohes Gebot noch überstieg. Im Kerzenlicht wirkten seine Züge kantig und scharf gezeichnet. Wenn ihn jemand attraktiv nannte, würde er hinzufügen: »Auf seine Weise.«
Im Gegensatz zu den anderen Gentlemen besaß er ein gebräuntes Gesicht. Wahrscheinlich hielt er sich oft im Freien auf. Die kraftvolle Gestalt und die geschmeidigen Schritte wiesen auf eine regelmäßige sportliche Betätigung hin.
Obwohl nichts an ihm bedrohlich wirkte, jagte er Roselyn Angst ein. Sie glaubte zu spüren, wie sich die Luft teilte, um ihm Platz zu machen, und zu ihr wehte. Am liebsten würde sie auf diesem Luftzug davonschweben. Ihr Missbehagen glich jenem Argwohn, den man empfand, wenn man auf der Straße fremden Hunden begegnete. Warnend riet ihr eine innere Stimme, einen weiten Bogen um diesen Gentleman zu machen.
Nun blieb er neben Norbury stehen. Kerzenflammen beleuchteten sein Gesicht. Noch nie hatte sie so intensive, strahlend blaue Augen gesehen. Sein Blick galt nicht ihr. Stattdessen fixierte er den Mann, der ihren Arm immer noch schmerzhaft umklammerte.
»Sind wir fertig?«, fragte Mr Bradwell sanft. »Oder fühlst du dich zu einem offiziellen Zuschlag verpflichtet?«
Obwohl der Begriff »Zuschlag« bei Auktionen üblich war, schien Norbury zu glauben, eine andere Bedeutung wäre gemeint. Seine Wangen röteten sich. »Wenn du diese Summe für Miss Longworth ausgibst, bist du ein Narr.«
»Schon viele Männer haben wegen schöner Frauen Dummheiten begangen. Und außerdem – könnte mein Geld einem besseren Zweck dienen?«
»Was du tust ...« Aber Norbury sprach den Vorwurf nicht aus, der ihm auf der Zunge lag. Ein frostiges Glitzern in den Augen, wandte er sich zu Rose. »Da siehst du, wohin dein Stolz dich geführt hat. Aus den Armen eines Viscounts zu einem Mann, der in den Kohlengruben von Durham aufgewachsen ist! Vielleicht wirst du tiefer fallen als alle anderen Huren im Lauf der Geschichte.«
Mr Bradwell ignorierte die Beleidigung. »Lass sie los. Sie kommt mit mir. Übermorgen wird das Geld in dein Londoner Haus gebracht.«
Langsam glitt Norburys Hand von Roses Arm herab. Sie sah den roten Abdruck seiner Finger auf ihrer Haut, der auch Mr Bradwell nicht entging. Hinter seiner ruhigen Fassade erschien subtiler Zorn. Die animalische Energie, die ihn erfüllte, wurde deutlich spürbar. Offenbar missfiel es ihm, wenn andere sein Eigentum beschädigten.
»So ungeduldig, eh?«, rief Norbury, damit auch die Gäste die Szene genießen konnten.
»Allerdings«, bestätigte Mr Bradwell. »Folgen Sie mir, Miss Longworth.«
Doch sie wollte nicht mit ihm gehen, denn sie fürchtete, er würde sich nicht mehr wie ein Gentleman benehmen, sobald sie allein waren. Welches Schicksal mochte sie erwarten? Bei diesem Gedanken schauderte sie. Er neigte sich zu ihr. Heiliger Himmel, würde er sie küssen? Vor diesem Publikum?
Der Kuss war nur ein warmer Hauch. Trotzdem klatschten alle Anwesenden Beifall und jubelten. Die Lippen an ihrem Ohr, flüsterte er: »Leisten Sie keinen Widerstand. Die Leute haben sich lange genug auf Ihre Kosten amüsiert. Sicher möchten Sie ihnen kein weiteres Vergnügen bereiten.«
Da sie keine Wahl hatte, musste sie sich seinen Wünschen fügen. Sonst würde er zweifellos seine Drohung wahr machen und die Gäste mit einem peinlichen Spektakel erfreuen. So gut sie es vermochte, bot sie den letzten Rest ihrer Würde auf, wappnete sich gegen neue Kämpfe und begleitete den Mann, der sie gekauft hatte, aus dem Speiseraum.
In majestätischer Haltung ging Miss Longworth an seiner Seite zur Tür. Kyle bewunderte sie, weil sie die Demütigung so tapfer ertrug. Niemand außer ihm sah den feuchten Glanz in ihren Augen.
Als die Tür des Speiseraums hinter ihnen ins Schloss fiel, brach Miss Longworth fast zusammen. Nur beinahe. Ein paar Sekunden lang blieb sie schwankend stehen und holte tief Luft. Dann ging sie weiter.
Sie beachtete ihn nicht. Natürlich nicht. Jetzt befand sie sich in einer sehr verletzlichen Position. Wie sie beide wussten, war sie ihm auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert. Verständlicherweise sorgte sie sich, nachdem er sie mit einer so enormen Summe ersteigert hatte.
Neunhundertfünfzig Pfund. Welch ein Idiot war er gewesen ... Doch er hatte die skandalöse Auktion beenden müssen.
Der dicke, gutmütige George hätte Miss Longworth wohl kaum für sich gewonnen. Aber Sir Maurice Fenwick war fest entschlossen gewesen – und der Blick, mit dem er den erhofften Besitz gemustert hatte, ein deutlicher Hinweis auf seine Absichten. Ganz London tuschelte über seine perversen Exzesse.
In der Mitte der Eingangshalle hielt Kyle inne. »Ich habe meinen Wagen bereits vorfahren lassen. Gehen Sie mit einem Lakaien nach oben, Miss Longworth, und packen Sie Ihre Sachen. Er wird Ihr Gepäck heruntertragen.«
Sie straffte ihren Rücken. »In meinem Zimmer gibt es nichts, was ich mitnehmen möchte. Dies alles erwarb ich auf unrechte Weise. Und ich will nicht an den Spender der Sachen erinnert werden.«
»Zweifellos haben Sie für alle Kleider und Juwelen bezahlt, und es wäre töricht, wenn Sie darauf verzichten würden.«
Ihr exquisites Gesicht blieb kühl und gefasst. Nur ihre funkelnden Augen forderten ihn heraus, eine schreckliche Nacht noch schlimmer zu gestalten.
»Wie Sie wünschen.« Er schlüpfte aus seinem Gehrock und legte ihn um Miss Longworths Schultern. Dann zeigte er zur Haustür.
»Ich gehe nicht mit Ihnen.«
»Glauben Sir mir, das werden Sie tun, ehe Norbury sich anders besinnen und Sie zurückhalten könnte.«
Sie schaute an ihm vorbei, als wäre er ein hinderliches Möbelstück. So bewundernswert er ihren Stolz auch fand – der war in diesem Moment deplatziert und ein Ärgernis. Erkannte sie nicht, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte, wie bedrohlich ihre Situation immer noch sein mochte?
»Sicher wissen Sie, dass ich dieser würdelosen Farce nicht zugestimmt habe, Mr Bradwell.«
»Wirklich nicht? Verdammt, was für eine Enttäuschung!«
»Offenbar amüsieren Sie sich. Ihr Humor erscheint mir ziemlich sonderbar.«
»Und Sie haben einen unpassenden Ort und den falschen Zeitpunkt für diese Konversation gewählt.«
Hartnäckig blieb sie stehen. »Wenn ich Sie begleite – wohin bringen Sie mich?«
»Vielleicht in ein Bordell, damit Sie verdienen können, was ich Lord Norbury bezahlen muss. Wäre es nicht unfair, wenn er weder die Beute noch deren Preis bekäme?«
Sie zuckte zusammen. Jetzt schaute sie ihn an. Obwohl sie sich um eine verächtliche Miene bemühte, las er kalte Angst in ihren Augen und bereute seinen grausamen Sarkasmus.
»Bitte, Miss Longworth, wir müssen gehen. Bei mir sind Sie in Sicherheit, das verspreche ich.« Einen Arm um ihre Schultern gelegt, schob er sie mit sanfter Gewalt aus der Eingangshalle.
Kurz vor dem Wagenschlag wehrte sie sich gegen seinen Griff und starrte ins dunkle Innere der Kutsche. Kyle zwang sich zur Geduld. Plötzlich flog der Gehrock in sein Gesicht. Er zog ihn beiseite und sah Miss Longworth den Gartenweg hinabeilen, in die kühle Nacht. In dem hellen Kleid, mit dem blonden Haar, glich sie einem verblassenden Traum.
Wahrscheinlich sollte er sie gehen lassen. Aber wohin würde sie sich wenden – noch dazu in diesen dünnen Schuhen, die elegante Damen beim Dinner zu tragen pflegten? Die nächste Stadt und das benachbarte Herrschaftshaus lagen mehrere Meilen entfernt. Wenn ihr etwas zustieß ...
Er warf den Gehrock in den Wagen, wies den Kutscher an, ihm zu folgen, und rannte hinter ihr her. »Diese alberne Flucht kann ich Ihnen nicht gestatten, Miss Longworth. Die Nacht ist kalt, und Sie würden sich unbesonnen in Gefahr begeben.«
Obwohl er seine Stimme nicht hob, hörte sie die Warnung. Das merkte er, denn sie spähte über ihre Schulter, um festzustellen, wie nahe er herangekommen war.
»In meiner Obhut sind Sie sicher.« Er beschleunigte seine Schritte, und sie lief noch schneller, dann bog sie in die Richtung des Waldes, der den Weg säumte. »Verzeihen Sie mir jenen geschmacklosen Scherz. Kommen Sie zurück, steigen Sie in den Wagen!«
Wenn sie den Wald erreichte, würde er sie stundenlang suchen müssen. Zwischen den dichten Bäumen drang nur schwaches Mondlicht hindurch.
Er stürmte ihr nach, zusehends schmolz ihr Vorsprung. Sobald sie seine Stiefelschritte hörte, rannte sie noch schneller. In der kühlen Luft glaubte er, ihre Angst zu fühlen.
Als er sie packte, stieß sie einen gellenden Schrei aus. Verzweifelt bekämpfte sie ihn, ihre Fingernägel zerkratzten sein Gesicht. Er drehte ihr die Arme auf den Rücken und hielt sie mit seiner linken Hand fest.
Mit seinem rechten Arm drückte er ihren Körper an sich. In wildem Zorn wand sie sich umher und kreischte wie eine Verrückte. Aber er ließ sie nicht los.
»Hören Sie auf!«, befahl er. »Glauben Sir mir, ich werde Ihnen nichts zuleide tun. Bei mir sind Sie sicher. Das sagte ich doch.«
»Sie lügen, auch Sie sind ein Wüstling, wie die anderen!«, warf sie ihm vor. Trotzdem erstarrte sie plötzlich und schaute zu ihm auf.
Im Mondschein zeigten sich ihre Wut und ihre Furcht – und die Entschlossenheit in ihren Augen. Sie schmiegte sich noch enger an ihn, er spürte ihren Busen an seiner Brust, und dieser freiwillige Kontakt verwirrte ihn. Sofort reagierte er wie jeder normale Mann. Seine Erektion presste sich an ihren Bauch.
»Da sehen Sie es, Mr Bradwell. Genau wie die anderen. Würde ich Ihnen trauen, wäre ich eine Närrin.«
Diese Worte nahm er kaum wahr. So schön wirkte ihr Gesicht im silbrigen Licht. Bezaubernd. Mehrere Sekunden verstrichen, während er vergaß, was zu dieser gewaltsamen Umarmung geführt hatte, und er registrierte nur all die Stellen, wo sie einander berührten, ihre weichen Rundungen. In seinem Gehirn schien ein Donnersturm zu toben.
Ihre Miene entspannte sich, sanftes Staunen weitete ihre Augen, ihr Kampfgeist erstarb. Jetzt war sie nur mehr eine fügsame Frau in seinen Armen. Als sie ihr Gesicht dem Kuss entgegenhob, den er ersehnte, erschien ihm ihre Schönheit perfekter denn je. Doch der Mond beleuchtete auch ihre entblößten Zähne, die auf seine Lippen zielten.
Gerade noch rechtzeitig wich er zurück, und sie nutzte die Gelegenheit, um sich loszureißen. Erbost verfluchte er seine Dummheit, umfing Miss Longworth und warf sie über seine Schulter. Ihre Fäuste hämmerten gegen seinen Rücken. Auf dem ganzen Weg zur Kutsche wünschte sie ihn zur Hölle.
***
Kyle schob sie in den Wagen und setzte sich ihr gegenüber.
»Wenn Sie mich noch einmal attackieren, lege ich Sie übers Knie. Von mir droht Ihnen keine Gefahr. Und ich will verdammt sein, wenn ich mich kratzen und beißen lasse, nachdem ich ein Vermögen geopfert habe, um Sie vor den wahren Schurken zu retten.«
Ob sie seine Warnung für bare Münze nahm oder sich einfach nur in ihr Schicksal fügte, wusste er nicht. Die Kutsche fuhr zur Straße hinab.
Zwischen seinen zusammengerollten Skizzen fand er seinen Gehrock und hielt ihn Miss Longworth hin. »Ziehen Sie das an, sonst werden Sie frieren.«
Wortlos gehorchte sie. Er spürte ihre Sorge, ihre Unsicherheit. Erst nach mehreren Meilen brach sie ihr Schweigen. »Neunhundertfünfzig Pfund, eine Menge Geld für nichts und wieder nichts.«
»Andernfalls hätte ein Mann wesentlich weniger für sehr viel gezahlt, nicht wahr?«
Miss Longworth schien in seinem Gehrock zu schrumpfen. »Danke«, sagte sie mit leiser, bebender Stimme. Sie weinte nicht, obwohl sie allen Grund dazu hätte.
Jetzt irritierte ihn ihr Stolz, den er vor einer halben Stunde noch bewundert hatte. Vermutlich hingen die brennenden Kratzer in seinem Gesicht mit diesem Sinneswandel zusammen.
Verstand sie die Konsequenzen dieser Nacht? Der Misshandlung eines gewissenlosen Mannes war sie entronnen. Aber ihren gesellschaftlichen Ruin würde sie nicht verhindern können, wenn die Welt von der Party und der erniedrigenden Auktion erfuhr. Und das alles würde sich herumsprechen, ohne jeden Zweifel.
Vielleicht würde sie jetzt, in der Ruhe nach dem Sturm, ihre Situation überdenken, so wie er seine. Mit seiner Einmischung hatte er Norbury geärgert. Natürlich missfiel es dem Viscount, dass ihm der Spaß verdorben und seine Rache vereitelt worden war. Mochte der Earl of Cottington auch ein Wohltäter sein, der Erbe hielt seine Börse fest verschlossen, und sein Einfluss diente anderen Zwecken.
»Verzeihen Sie mir«, bat Miss Longworth, »ich habe den Kopf verloren.«
»Nach allem, was Sie durchgemacht haben, ist das verständlich.« Es verblüffte ihn immer noch, wie gut er die Regeln höflicher Konversation gelernt hatte. Sie waren zur zweiten Natur geworden. Doch die erste offenbarte sich in einer inneren Stimme. Verdammt, eigentlich müssten Sie sich entschuldigen.
»Für mich ist Ihre Ankunft ein Glücksfall gewesen. Wie gut, dass wenigstens ein nüchterner Mann an diesem Dinner teilnahm und sich immun gegen Norburys niederträchtiges Angebot zeigte.«
Oh, er war entsetzt gewesen, aber keineswegs immun. Immerhin würde er ein Vermögen bezahlen. Vor seinem geistigen Auge erschienen die Reize, die er gekauft hatte und genießen könnte, wäre er nicht so verdammt anständig. Der Gedanke an die Umarmung am Waldrand gestaltete die Fantasiebilder nur allzu lebhaft.
Er war froh über das Dunkel im Wagen, denn sie würde ihm nicht anmerken, was ihm durch den Sinn ging. Er konnte auch ihr Gesicht nicht sehen. Sehr gut. Miss Longworth besaß jene Art von Schönheit, die eine männliche Seele in endloses Erstaunen versetzte. Und das war ein Nachteil, den er nicht schätzte.
»Darf ich Ihnen eine Frage stellen?« Nun klang ihre Stimme ruhig und gefasst. Die Lady war gerettet worden, so wie es ihr zustand. In dieser Nacht würde sie friedlich schlafen.
»Fragen Sie, was immer Sie wollen.«
»Bei der Versteigerung hat mich die Höhe Ihres Gebots verblüfft. Sicher hätten hundert Pfund genügt.«
»Die hätte Sir Maurice mit zweihundert überboten. Letzten Endes wären wir bei einer viel größeren Summe angelangt, die meine Mittel überstiegen hätte. Womöglich bei ein paar Tausend. Mit meinem Gebot habe ich die anderen Interessenten so schockiert, dass sie verstummt sind.«
»Hätte Sir Maurice Tausende geboten – warum sagten Sie nicht – tausend?«
»Von hundert kann man leicht auf zweihundert übergehen, dann auf vierhundert, und so weiter. Aber von fünfundsiebzig auf tausend – das wäre ungeheuerlich. Dagegen wirken neunhundertfünfzig Pfund vergleichsweise knauserig.«
»Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Mit tausend Pfund hätten Sie die Männer nachdenklich gestimmt – eine geradezu irreale Summe.«
Ebenso wie neunhundertfünfzig, wenn man so viel Geld kaum aufbringen konnte ... Vor einem Jahr wäre es ihm relativ leicht gefallen. Allerdings hätte er einen stark verringerten Inhalt seiner Börse registrieren müssen. Und in einem Jahr würde er den Verlust wahrscheinlich mühelos verkraften. Aber im Augenblick würde das Geld, das er Norbury schuldete, seine ohnehin prekäre finanzielle Situation erheblich belasten.
Miss Longworth hatte einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt, um sich retten zu lassen. Aber er hätte nicht anders handeln können. Nun redete er sich ein, er wäre jeder Frau in einer solche Lage zur Hilfe geeilt.
Natürlich war sie nicht irgendeine Frau, sondern sie war Roselyn Longworth. Und sie war anfällig für die Verführungen des Viscounts gewesen, da die kriminellen Machenschaften ihres Bruders sie in bittere Armut getrieben hatten. Welch eine Ironie – auf diese Weise hatte Timothy Longworth noch mehr Geld aus Kyles Tasche gezogen.
»Mr Bradwell ...«, begann sie zögernd. »Sicher wissen Sie, dass ich Ihnen niemals neunhundertfünfzig Pfund zurückzahlen kann. Hoffen Sie, ich würde meine Schulden auf andere Art begleichen? Vielleicht erwarten Sie, dazu würde ich mich verpflichtet fühlen.«
Glaubte sie, dazu wäre es am Waldrand beinahe gekommen? An eine solche Rückzahlung hatte er gar nicht gedacht. Und er nahm auch nicht an, sie würde sich dazu verpflichtet fühlen. Andererseits war ihm eine gewisse Reaktion auf ihrer Seite aufgefallen – bevor sie ihn zu beißen versucht hatte.
»Aus diesem Grund erwarte ich Ihre Gunst nicht zu genießen, Miss Longworth. Was das betrifft, mache ich mir keine Illusionen.« Wie edel, Kyle, was für ein ritterlicher Idiot du bist!
Doch die Spekulationen ließen sich nicht verdrängen. Deutlich genug erinnerte er sich an die Umarmung, die ihn wahrscheinlich in seinen Träumen verfolgen würde. Nun, dafür würde er teuer bezahlen, und deshalb mussten solche Fantasien sein Gewissen nicht belasten.
»Vielleicht haben Sie von einem Bordell gesprochen, um mir klarzumachen, nach diesem Abend würde ich mich für nichts anderes eignen. Das weiß ich nur zu gut. Ich verstehe, welche Konsequenzen die Ereignisse nach sich ziehen werden.«
Ja, vermutlich war ihr das bewusst. Wegen ihrer stolzen Haltung hatte er bisher daran gezweifelt. Und den Jungen aus den Kohlengruben des Durham County ärgerte diese Arroganz, die er gleichzeitig bewunderte. So kühl dürfte sich eine rettungslos kompromittierte Frau nicht benehmen. Stattdessen müsste sie weinen, so wie die Frauen in seinem heimischen Bergarbeiterdorf ihre Verluste beklagten. »Mit mir hat Ihre gesellschaftliche Situation nichts zu tun, Miss Longworth. Verzeihen Sie meine dreiste Bemerkung. Dazu ließ ich mich wegen der Konsequenzen hinreißen, die mir drohen.«
Sie neigte sich vor und schaute ihn an, als wollte sie prüfen, ob er es aufrichtig meinte. Im schwachen Mondlicht, das in die Kutsche drang, sah er ihre großen Augen, die vollen Lippen, die ebenmäßigen Züge, und ihre Schönheit nahm ihm den Atem. »Sie waren freundlich und galant, Mr Bradwell. Falls Sie mich tadeln und meine Mitschuld an den schrecklichen Ereignissen betonen möchten, muss ich zuhören.«
***
Doch er tadelte sie nicht. Allzu viel sagte er überhaupt nicht mehr, was sie bedauerte. Nach dem letzten Gespräch fühlte sie sich nicht mehr so elend. Aber während er schwieg, saß sie einfach nur da – allein mit ihrer Sorge, von seiner Nähe verwirrt. Sie konnte nicht von ihm wegrücken, etwas weiter zur Seite. Fast die Hälfte des Kutschenraums nahmen Papierrollen ein, und sie fragte sich, was sie darstellen mochten.
Instinktiv achtete sie auf jede Bewegung ihres Gegenübers. Sie wusste, sie musste seinem Ehrgefühl vertrauen. Das wusste auch er, und die Szene am Waldrand hatte einiges durcheinandergebracht. Für wenige Sekunden – sicher nicht länger – war es keine feindselige Umarmung gewesen.
Rose verdrängte die Erinnerung. Wie schnell ihre Dummheit sie beinahe bewogen hätte, die Absichten eines Mannes erneut misszuverstehen, wollte sie nicht wahrhaben. Oder wie leicht sie Emotionen nachgegeben hätte, die eine anständige Frau nicht empfinden durfte ...
Vorhin hatte Mr Bradwell die Konsequenzen erwähnt, die ihm drohten. Was hatte er damit gemeint? Zweifellos würde man seinen Namen mit der Dinnerparty und der Auktion in Verbindung bringen. Aber da er ein Mann war, würden die Klatschgeschichten seinem Ruf nicht schaden. Gewissen Leuten würde er dadurch umso interessanter erscheinen.
Nun, vielleicht hatte er auf die hohe Summe angespielt, die er zahlen musste. Und womöglich besaß er gar nicht so viel Geld.
Falls er seine Schulden nicht begleichen konnte, wäre er in den Kreisen, auf die es ankam, ruiniert. Sogar rings um die Kohlegruben von Durham.
Was hatte Norbury mit diesem Kommentar gemeint? Mr Bradwells Verhalten und seine Sprechweise wiesen keineswegs auf eine Vergangenheit in Minenschächten hin.
»Wenn sie mich nicht in ein Londoner Bordell bringen – wohin fahren wir?«, fragte Rose.
»Zu Ihrer Cousine. Wie ich in der County-Zeitung las, wohnt sie gerade auf dem Landsitz ihres Gatten hier in Kent.«
Diesem Mann gelang es immer wieder, sie zu überraschen. Nicht nur mit dieser Ankündigung, sondern auch, weil er über Cousine Alexias Verbleib informiert war. »Oh, ich hatte keine Ahnung, dass sie aus der Stadt aufs Land gezogen ist. Hätte ich’s gewusst, wäre ich heute Morgen geflohen und zu ihr gegangen.«
»Die Fahrt dauert mindestens eine Stunde. Zu Fuß hätten Sie die Strecke nicht bewältigt.«
»Ist sie allein? Wissen Sie das?«
»In der Zeitung stand, ihre Familie würde den Landsitz aufsuchen.«
Also würde Irene bei ihr sein. Wenigstens werde ich meine Schwester wiedersehen, bevor ... In Roses Augen brannten Tränen, und sie biss auf ihre Lippen, bis sie bluteten. Der Gedanke an eine Begegnung mit Alexia und Irene brachte sie aus der Fassung, die sie die ganze Zeit so entschlossen gewahrt hatte. »Vermutlich hält sich auch Lord Hayden dort auf ...« Sie hörte ihre eigene Stimme brechen, Mr Bradwells Gestalt verschwamm vor ihrem verschleierten Blick. »Bitte, belästigen wir die Familie nicht.«
»Ich kann Sie wohl kaum bei mir behalten, in einem Gasthaus.«
»Warum nicht? Mein Ruf ist ohnehin ruiniert.«
»Meiner nicht.«
»Das verstehe ich natürlich. Tut mir leid. Ich will Ihnen keinen Skandal zumuten. Aber – Lord Hayden war sehr freundlich. Und meine Dankbarkeit ließ zu wünschen übrig. Wenn ich jetzt vor seiner Tür stehe, nach diesem schrecklichen Zwischenfall ...« Ein Schluchzen schnürte ihr die Kehle zu, und sie biss wieder auf ihre Lippen. Diesmal half es ihr nicht.
Als er ein Taschentuch in ihre Hand drückte, spürte sie seine Finger. So warm und angenehm fühlten sie sich an ... Nicht fordernd und schmerzhaft wie Norburys Griff. Behutsam und stark zugleich, ein bisschen rau. Wie die Umarmung am Waldrand.
Die Berührung eines Freundes. Endlich verflog ihre Furcht. Sie wusste, dass ihr nichts zustoßen würde. Trotzdem hatte sie ihre Fassung unwiederbringlich verloren. Ihr Retter versuchte sie nicht zu trösten. Was geschehen würde, ließ sich ohnehin nicht ändern, und das wusste er.
***
Vorhin hatte ihn ihr Stolz erzürnt, jetzt bedrückte ihn ihr Schluchzen. Aber er bezwang den Impuls, Miss Longworth zu umarmen und zu trösten. Womöglich würde er ihr damit Angst einjagen. Was sie von ihm erwarten sollte, wusste sie noch immer nicht. Am Waldrand hatte sie ihm sein Verlangen bewiesen. Deshalb würde sie seinen Absichten misstrauen.
Unentwegt flossen Tränen über ihre Wangen. Das ertrug er nicht länger. Er schob seine zusammengerollten Skizzen beiseite und setzte sich zu ihr. Ganz vorsichtig nahm er sie in die Arme – bereit, sofort wieder zurückzuweichen, falls sie in ihrem Kummer allein bleiben wollte.
Das wünschte sie nicht. Hemmungslos weinte sie an seiner Schulter, während er zu ignorieren versuchte, wie sich ihre zarte Gestalt anfühlte. Die sinnlosen Trostworte, die ihm auf der Zunge lagen, schluckte er hinunter. Die würde sie nicht schätzen. Er vermutete, sie würde sich nie wieder selbst belügen. Und sie wollte keine Lügen hören, mochten sie auch noch so gut gemeint sein.
Die Kutsche bog von der Straße ab, und Miss Longworth erkannte das Ende der Reise. Tapfer bekämpfte sie ihre Tränen. Kyle rief dem Fahrer zu, er möge das Tempo drosseln, damit sie Zeit fand, um sich zu fassen. Das gelang ihr, bevor sie das Haus erreichten. Trotzdem schien ihr die Umarmung nicht zu missfallen, und so hielt er sie fest, bis der Wagen stillstand. Dann stieg er aus und reichte ihr seine Hand. Unsicher betrachtete sie den klassischen Säulenvorbau, die langen Flügel zu beiden Seiten der Tempelfassade. »Um diese späte Stunde müsste der ganze Haushalt schlafen.«
»Zweifellos wird uns ein Dienstbote die Tür öffnen. Kommen Sie.«
Da ergriff sie seine Finger, und er spürte raue Haut, die ihn verblüffte. Aber die Berührung war warm und sanft. Miss Longworth stieg aus der Kutsche. Nach einer kurzen Pause und einem tiefen Atemzug folgte sie Kyle zum Eingang des Hauses, ihre Hand immer noch in seiner, wie ein verängstigtes Kind.
Er betätigte den Klopfer, und es dauerte nur wenige Sekunden, bis ein Lakai die Tür öffnete.
»Das ist Miss Longworth, Lady Alexias Cousine«, erklärte Kyle. »Falls Lord Hayden sich hier aufhält, bitten Sie ihn, uns zu empfangen.«
Der Diener geleitete die Besucher in die Bibliothek. Interessiert musterte Kyle die perfekten Proportionen des Raums. Wie sein fachmännisches Auge feststellte, entsprachen sogar die hölzernen Säulen im dorischen Stil, die mehrere Mahagoni-Bücherregale schmückten, den antiken Maßen. Offenbar zog Lord Hayden einen reinen Klassizismus, der auf dem griechischen Altertum basierte, den römischen Formen vor.
»Würden Sie hierbleiben, während ich meine Erklärung abgebe, Mr Bradwell?« Flehend schaute Miss Longworth ihn an. »Bitte! Lord Hayden ist ein guter Mann. Und doch ... Wenn ich ihn auch nicht fürchte, aber nach allem anderen ... So streng, wie er aussieht, ist er nicht. Trotzdem müsste diese skandalöse Neuigkeit sogar die Geduld eines Heiligen auf eine harte Probe stellen. Und seine Liebe zu meiner Cousine wird mich vielleicht nicht vor seinem Unmut schützen.«
Kyle war Lord Hayden nur ein einziges Mal begegnet, und er gab ihr recht – der Gentleman machte tatsächlich einen etwas strengen Eindruck. Doch er wusste, was sie mit »allem anderen« meinte. Also hielt sich die strenge Haltung in Grenzen. Oder Seine Lordschaft war so verliebt, dass er die Verwandte seiner neuen Gemahlin tolerant behandeln würde.
Wahrscheinlich würde »alles andere« die Unterstützung seiner angeheirateten Verwandten einbeziehen, und Miss Longworth würde trotz ihrer gesellschaftlichen Ächtung nicht darben.
»Wenn Sie es wünschen, bleibe ich hier, bis Sie Lord Hayden alles erklärt haben.«
Der Hausherr betrat die Bibliothek nicht allein, sondern in Begleitung seiner Frau. Offenbar hatten sie schon geschlafen. Lord Hayden trug einen Morgenmantel aus dunkelblauem Brokat, Lady Alexia ein hellgelbes Negligé. Auf ihrem dunklen Haar saß ein Spitzenhäubchen. Kyle sah sie zum ersten Mal, und er erkannte sofort die Herzenswärme, die sie ausstrahlte. Nach seiner Schätzung war sie so alt wie Miss Longworth, etwa Mitte zwanzig. In ihren grauvioletten Augen las er tiefe Sorge um die Cousine.
Hingegen wirkte Lord Hayden eher resigniert, als erwartete er nichts Gutes von einer Longworth, die ihn aus dem Bett geholt hatte. Der Schmutz am Saum ihres Kleids, bei der vereitelten Flucht entstanden, entging seinen scharfen Augen nicht. Ebenso wenig die Kratzer in Kyles Gesicht, die von den Fingernägeln einer Frau stammen mussten ...
Die Damen umarmten sich. Dann machte Miss Longworth ihren Begleiter mit dem Ehepaar bekannt. Wortlos nickte Lord Hayden ihm zu. Die Vorstellung war überflüssig, da er Kyle schon einmal getroffen hatte.
»Glücklicherweise hat Mr Bradwell mir geholfen, einer Abendgesellschaft auf Lord Norburys Landsitz zu entrinnen«, begann Miss Longworth.
Lord Hayden warf seiner Frau einen vielsagenden Blick zu. Offensichtlich wusste er von jener Liebschaft und hatte von Anfang an das Schlimmste befürchtet.
Nach einer unangenehmen Pause fuhr Miss Longworth fort: »Was ich zutiefst bedauere – auf dieser Hausparty kam es zu einem Skandal. In ein paar Tagen wird alle Welt davon erfahren. Mr Bradwell brachte mich hierher, denn ich konnte mich heute Nacht nirgendwo anders hinwenden. Morgen früh möchte ich nach Oxfordshire zurückkehren, wenn Lord Hayden so freundlich wäre, mir einen Wagen zur Verfügung zu stellen ...«
»Was genau ist passiert?«, fragte Seine Lordschaft.
Ohne irgendetwas zu beschönigen oder sich selbst zu schonen, schilderte sie die Ereignisse. Sie übernahm die volle Verantwortung für ihre Situation, was Kyle etwas übertrieben fand. Offen und ehrlich sprach sie von ihrer Teilnahme an einer Hurenparty, der Versteigerung, ihrem naiven Missverständnis der Gefühle, die Norbury ihr entgegenbrachte. »Also werde ich morgen nach Oxfordshire fahren«, schloss sie ihren Bericht. »Wenn ich aus eurem Leben verschwinde und wir keine gesellschaftlichen Kontakte mehr pflegen, werden euch die Konsequenzen meines Verhaltens vielleicht nicht so sehr belasten.«
»Bitte, wir wollen nichts überstürzen!«, rief Lady Alexia. »Sicher ist es nicht so schlimm, wie du glaubst, Rose. Hayden, erklär ihr doch, sie müsste ihre Beziehung zu uns nicht vollends abbrechen. Wenn wir ...«
»Nein, Alexia«, fiel Miss Longworth ihr ins Wort. »Was geschehen muss, weiß ich. Und du weißt es auch. Für dich und meine Schwester bin ich gestorben. Zwing deinen Mann nicht, Befehle zu erteilen.«
Den Tränen nahe, schwieg Lady Alexia, und Miss Longworth bewahrte ihre würdevolle Haltung. Kyle verneigte sich vor den Damen. Da er die Familie bei dieser privaten Krise nicht stören wollte, trat er zurück.
Miss Longworth schaute in seine Augen. »Verzeihen Sie meinen Argwohn, Mr Bradwell. Ich hätte Ihnen sofort vertrauen müssen. Und es tut mir leid, dass ich Ihnen diese Kratzer zugefügt habe. Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit.«
Weil ihm eine Antwort überflüssig erschien, verließ er die Bibliothek. Lord Hayden folgte ihm. »Sagen Sie mir, Bradwell – war es so skandalös, wie sie behauptet? Oder gibt es eine gewisse Hoffnung, es würde vielleicht ...« Unfähig, sich vorzustellen, was vielleicht passieren würde, zuckte er die Achseln.
»Wollen Sie wirklich die Wahrheit wissen, Lord Hayden?«
Einige Sekunden lang zögerte Seine Lordschaft. »Ja, ich denke schon.«
»Norbury nannte Miss Longworth in aller Öffentlichkeit eine gewöhnliche Dirne. Und so behandelte er sie auch, vor einem Dutzend Männer, die Sie täglich in Ihren Klubs treffen. So sehr ich die junge Dame auch bedauere – dieses Mitglied der Familie Longworth können Sie weder mit Ihrem Geld noch mit Ihrem Einfluss retten.«
Verärgert über die Anspielung auf Timothy Longworth, dem er so großmütig geholfen hatte, runzelte Lord Hayden die Stirn. Doch sein Unmut verflog sofort. Müde und schicksalsergeben nickte er. »Ich bin Ihnen sehr dankbar für den Schutz, den Sie Roselyn gewährt haben, Bradwell. In einem Speiseraum voller Gentlemen haben nur Sie sich wie einer benommen.«
»Und da ich als Einziger kein Gentleman war, dürfte das der eigentliche Skandal sein, nicht wahr?«
Und dann verließ Kyle das schöne Gebäude, das sich soeben in ein Trauerhaus verwandelte. Durch die kalte Nacht ging er zu seiner Kutsche. An seinem Gehrock haftete Miss Longworths Duft und stieg ihm beinahe zu Kopf.
***
Nachdem Lord Hayden versichert hatte, am nächsten Morgen würde eine Kutsche bereitstehen, kehrte er ins Schlafzimmer zurück. Alexia führte Rose zu einem Sofa, und sie setzten sich. »Gott sei Dank, dass Mr Bradwell dir geholfen hat!«
»Ja, das war sehr anständig. Und ich vergalt es ihm, indem ich sein Gesicht verkratzte.«
»Nur weil du verzweifelt warst. Sicher versteht er das. Zumindest gewann ich diesen Eindruck.«
Gewiss, er hatte es verstanden. Alles.
Rose entsann sich, wie er nach der Auktion zu ihr gegangen war. Kein einziger Mann hatte es gewagt, ihm den Weg zu versperren. Nicht einmal Lord Norbury. All die betrunkenen Narren hatten einen starken Charakter erkannt, der ihnen überlegen war.
Und sie erinnerte sich auch an seine behutsame Umarmung in der Kutsche, wo ihre Tränen so unkontrolliert geflossen waren. Seine Kraft hatte sie besänftigt. Nun bedauerte sie, dass sie diesen Trost nie wieder genießen würde. Der Gedanke an seinen Duft, an die warme Brust, die sie durch seine Weste und das Hemd hindurchgespürt hatte, schenkte ihr auch jetzt einen kurzen Moment inneren Friedens.
Aber am intensivsten beherrschte die Erinnerung an die Szene am Waldrand ihre Fantasie. So unsanft hatte er sie gepackt. Trotzdem war ihr die Umarmung wie ein sicherer Hafen erschienen. Um ihn aus der Fassung zu bringen, hatte sie sich an ihr gepresst – und nur sich selber verwirrt.