Reise durch die Dunkelheit - Michael Hirtzy - E-Book

Reise durch die Dunkelheit E-Book

Michael Hirtzy

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Beschreibung

2151 - 100 Jahre vor dem verheerenden Einsatz der Gutabara im Kuipergürtel kämpft am Erdmond eine Mutter um das Leben ihrer schwer kranken Tochter. Auf sich alleine gestellt und ohne jegliche Chance auf Heilung greift sie nach dem letzten Strohhalm, der ihr geboten wird. Ein gefährliches Experiment, das sie zum äußersten Planetoiden des Sonnensystems führt. In der Kälte des Weltalls, an einem Ort, den es nicht geben sollte, stehen sie vor Herausforderungen und Gefahren, auf die sie niemand vorbereitet hat. Was am Ende der Reise durch die Dunkelheit auf sie wartet, bleibt fraglich. Der Tod? Die Heilung? Oder etwas Unvorstellbares?

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REISE DURCH DIE DUNKELHEIT
VorTeks Band 6
Michael Hirtzy

IN DIESEM BAND:

2151 – Rund hundert Jahre vor dem verheerenden Einsatz der Gutabara im Kuipergürtel kämpft am Erdmond eine Mutter um das Leben ihrer schwerkranken Tochter. Auf sich allein gestellt und ohne jegliche Chance auf Heilung, greift sie nach dem letzten Strohhalm, der ihr geboten wird – einem gefährlichen Experiment, das sie zum äußersten Planetoiden des Sonnensystems führt.

In der Kälte des Weltalls, an einem Ort, den es nicht geben sollte, stehen sie vor Herausforderungen und Gefahren, auf die sie niemand vorbereitet hat. Was am Ende der Reise durch die Dunkelheit auf sie wartet, bleibt ungewiss.

Der Tod? Die Heilung? Oder etwas Unvorstellbares?

MICHAEL HIRTZY

REISE DURCH DIE DUNKELHEIT

© 2024 Michael Hirtzy, c/o Autorenservice Gorischek / Am Rinnergrund 14/5 / 8101 Gratkorn / Österreich

1. Auflage 2024

Covergestaltung und Buchsatz: Catherine Strefford | www.catherine-strefford.de

Coverillustrationen der Einzelbände: Elias Stern / https://www.artstation.com/elias_stern

Serienlogo: Catherine Strefford | www.catherine-strefford.de

LizardCreek Logo: Isabel Kutscherer

Lektorat & Korrektorat: Melanie Vogltanz / lektoratvogltanz.com

Veröffenlicht über tolino mediaP

Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder Ereignissen sind rein zufällig.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Danksagung und Hinweis zum ersten Kapitel

Mein Dank geht an Catherine Strefford. Einerseits dafür, dass sie mich seit meinem ersten Roman als Designerin begleitet. Doch im Hinblick auf diesen Roman hat sie noch einen weiteren unschätzbaren Beitrag geleistet. Dankenswerterweise darf ich im ersten Kapitel Auszüge aus ihrem Roman ›Nur kurz leben‹ nutzen, um einer sehr besonderen Szene Leben einzuhauchen.

Zitate

Der Songtext in Kapitel 6 entstammt dem 1992 im Album ›Somewhere far beyond‹ veröffentlichten Lied ›Journey Through the Dark‹ von Blind Guardian.

Komponisten: Hansjürgen Kürsch und Andre Olbrich

Textdichter: Hansjürgen Kürsch

Musikverlag: Neue Welt Musikverlag GmbH & Discoton Musik Edition GmbH

Content Notes

Content Notes zu diesem Buch (Information über mögliche für manche Leser*innen unangenehme bzw. triggernde Inhalte) finden Sie am Ende des Buches.

KAPITEL 1

Mond – Hikari-Station – 2151

Der aus künstlichem Holz gefertigte Bühnenboden knarzte, als wäre er aus echten, jahrzehnte- oder gar jahrhundertealten Bohlen gefertigt.

Knirz

Knarz

Das Geräusch hatte etwas Wohltuendes. Beruhigendes. So was hörte man selten und es schmeichelte den Ohren. Weckte Erinnerungen an ihre Kindheit. An eine längst vergangene Zeit, in der sie den Sommer bei ihren Großeltern in Haimschlag verbracht hatte. Weit weg von den wie Geschwüre wuchernden Großstädten, die ihre tentakelgleichen Ausläufer immer weiter nach außen streckten.

Ida lächelte bei der Erinnerung an ein Leben, das siebenundzwanzig Jahre hinter ihr und rund dreihundertvierundachtzigtausend Kilometer entfernt lag. Ob es die aus schweren, naturbelassenen Stämmen gefertigte Hütte im Freilichtmuseum immer noch gab? Ida machte sich eine mentale Notiz, das zu recherchieren. Wenn ja, wäre es eine Idee für einen Erdurlaub mit Sylvie. Noch wäre es möglich. Bevor ihre Zeit ablief.

Beim Gedanken daran traten Tränen in Idas Augen, die sie hastig mit dem Handrücken wegwischte. Sie schniefte und warf verstohlene Blicke zu beiden Seiten. Ihre zwei Sitznachbarn saßen entspannt da. Mit starrem Blick zur Bühne. Gefangen von dem ungewohnten Schauspiel.

Ida bewunderte die Schule für ihren Mut.

Schon auf der Erde gab es nur mehr eine Handvoll Theater, in denen echte, lebende Schauspieler auftraten, um Stücke darzubieten. Doch auf Hikari, nein, soweit sie wusste auf dem gesamten Mond, war ihr so etwas noch nie untergekommen. Von Sylvie darauf angesprochen, musste Ida erst einmal in den Feed gehen, um zu recherchieren. Die Idee des Lehrpersonals, ein Stück aufzuführen, das auf einem literarischen Klassiker des einundzwanzigsten Jahrhunderts basierte, war bei der Elternschaft erst einmal auf Verwunderung getroffen, die teils in Ablehnung, großteils jedoch schnell in Begeisterung umschlug. So archaisch es klang, so fasziniert waren die meisten von dieser Idee, die binnen weniger Monate im heutigen Tag seinen Höhepunkt fand.

Die Premiere dessen, was drei Dutzend Jugendliche, eine davon Sylvie, in ihrer Freizeit geschaffen hatten. Eine Aufführung des lange verschollenen und erst vor wenigen Jahren wiederentdeckten Erstlings von Catherine Strefford, ›Nur kurz leben‹.

Ein gedrucktes Exemplar der Erstausgabe dieser Novelle war durch reinen Zufall in einer Verlassenschaft in Nordeuropa gefunden worden. Ida schmunzelte bei dem Gedanken, dass die Autorin wohl nie davon ausgegangen wäre, dass ihr Werk eines Tages die Grundlage einer Schuldarbietung auf dem Erdmond sein würde. Wie sie wohl darauf reagiert hätte?

Während Ida über all dies nachdachte, beendete der Junge auf der Bühne seinen Weg von einer Seite zur anderen. Ida bewunderte den Siebzehnjährigen dafür, wie gut er die Nervosität und Unruhe seines Charakters verkörperte. Im sanften Licht der im Bühnenrand eingelassenen Leuchtstreifen glitzerte der Schweiß auf seiner Stirn.

War er wirklich aufgekratzt und verängstigt, oder handelte es sich um künstliche Feuchtigkeit?

Im Hintergrund lag Sylvie zusammengerollt auf der Rückbank des archaischen Vehikels, das die Schulgruppe mithilfe von historischen Videoaufnahmen detailgetreu nachgebaut hatte.

Zum wiederholten Male an diesem Abend fühlte Ida den Stolz auf ihre Tochter, die trotz aller Rückschläge nicht aufgegeben hatte. Sie wollte Leonie vom ersten Tag an spielen und hatte sich durchgesetzt, ungeachtet der Belastungen, die sie sich damit auferlegte. Ida bewunderte sie für ihre Kraft. Zugleich fürchtete sie sich vor dem, was diese Anstrengung mit sich bringen mochte. Unweigerlich fordern würde. Ohne einen Weg zurück.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Zwang sich, im Hier und Jetzt zu bleiben. Nicht an die Zukunft zu denken. Die dunklen Wolken, die drohend über ihr hingen, würden sich früh genug in einem Unwetter entladen. Allerdings nicht jetzt. Nicht in diesem Moment.

Richie, so der Name des von dem Jungen gespielten Charakters, fluchte und hieb mit der flachen Hand auf die Front des Fahrzeuges. Die Motorhaube, erinnerte sich Ida an Sylvies Erklärung.

»Ich bin nicht gut im Flüchten, so viel habe ich bisher gelernt«, sagte Richie, den Blick in die Ferne gerichtet, am Publikum vorbei in die Dunkelheit der zu einem Theatersaal umgebauten Lagerhalle. »In Entführung schon gar nicht. Zumindest spricht alles dafür, dass ich die Richtige entführt habe. Ich könnte sicherlich eine stattliche Summe für Leonie verlangen. Aber ich bin nicht gut in alldem. War ich nie.«

Vorsichtig fasste er sich an ein Auge. Das linke. Jenes, auf das er in der vorangegangenen Szene einen Schlag mit dem Ellbogen erhalten hatte. Die Maskenbildner hatten gute Arbeit geleistet. Wenige Sekunden hinter der Bühne hatten gereicht, um ihm ein Veilchen aufzumalen und vereinzelte künstliche Blutstropfen von seiner Nase rinnen zu lassen. Selbst von Idas Platz in der ersten Reihe wirkte es echt.

»Ich sollte schlafen. So wie Leonie«, sagte Richie. Seine Stimme driftete dabei ab, so als müsste er darum kämpfen wach zu bleiben. »Aber ich kenne mich. Aufgekratzt, wie ich bin, würde ich mich stundenlang hin und her wälzen. Und wozu? Um dann am Morgen gerädert weiterzufahren. Nein. Dann besser das Meer genießen.«

Richie lächelte und ging zum vorderen Bühnenrand. Dorthin, wo wenige Minuten zuvor wie von Zauberhand ein Streifen Sand erschienen war. Ida fragte sich, ob es sich um eine Projektion handelte oder um echten Sand, der bis dahin nicht angeleuchtet worden war.

Während Richie – Ida fiel auf, dass sie sich an den richtigen Namen des Jungen, der ihn spielte, nicht erinnerte – vorwärts trat, ertönte in den Akustikfeldern im Saal leises Meeresrauschen. Vorsichtig ließ sich Richie zu Boden sinken und legte sich in den Sand. Jetzt wurde offensichtlich, dass er echt war. Denn Ida erkannte, wie das Gewicht des Körpers eine Mulde bildete.

Für einen Moment wanderte ihr Blick wieder zu Sylvie, die noch immer reglos im Wagen kauerte. Ihre langen schwarzen Haare lagen offen wie ein Vorhang vor ihrem Gesicht. Sie spielte die Schlafende und trotzdem versetzte es Ida einen Stich. Wie oft noch würde sie ihr Kind so sehen können? Entspannt, ruhend und sicher? Sie fand keine Antwort darauf. Denn darauf konnte ihr niemand eine Antwort geben.

»Ist es nicht egal, ob sie mich wegen dem Tankstellengeld einsperren oder denken, ich hätte ein Mädchen entführt?«, setzte Richie seinen Monolog fort, der Ida tief im Inneren berührte. »Es ist egal, dass ich nicht weiß, was ich möchte und was morgen oder übermorgen sein wird. Alles nicht wichtig. Wichtig ist nur das hier. Dieser Moment.«

In diesem Augenblick zuckte Richie zusammen und mit ihm ein Großteil des Publikums. Inklusive Ida, die ihre Augen weit aufriss. Während das Publikum von den Worten des jungen Mannes gefesselt gewesen war, hatte sich Leonie völlig unbemerkt wie ein Geist angeschlichen. Völlig lautlos sank sie im Schneidersitz neben ihren Entführer. Ida stockte der Atem.

Auf Leonies Wangen erblickte sie glitzernde Tränen. Das eingespielte Rauschen der Wellen verstummte schlagartig. Das Einzige, was Ida hörte, war das leise Schluchzen ihrer Tochter. Wie ein glühend heißer Speer bohrte sich der Ton in Idas Ohren. Sie wusste, dass es nur gespielt war. Doch ihre Mutterinstinkte forderten sie auf, zu ihr zu laufen. Sie in den Arm zu nehmen. Sie zu trösten, um alles Böse von ihr abzuhalten. Wohl wissend, dass ihr dies nicht möglich war. Nicht hier, nicht jetzt. Vermutlich nie mehr wieder.

Ida fühlte, wie sich ihre Finger um die Lehne des Stuhles verkrampften. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben und dem Stück seinen Lauf zu lassen.

Richie legte seinen Arm um Leonies bebende Schultern.

Sekundenlang verharrten die beiden wortlos, dann begann Richie genauso zu weinen. Nasse Tropfen glänzten wie Tau auf seinen Wangen.

Ida registrierte die völlige Stille im Saal. Alle Anwesenden schienen die Luft anzuhalten. Kein Laut drang vom Zuschauerbereich nach vorne. Gebannt vom Schauspiel der beiden Jugendlichen wagte es niemand, das leiseste Geräusch zu erzeugen.

Endlich, nach einer quälend langen Wartezeit, seufzte Leonie. Langsam drehte sie ihren Kopf zu Richie. »Warum weinst du denn?« Ihre sonst sanfte, weiche und helle Stimme klang belegt. Sie wischte sich das nasse Gesicht mit ihrem Ärmel trocken.

»Weil ich …«, setzte Richie zu einer Antwort an. Er stockte, schniefte und sprach dann verrotzt weiter: »Weil du weinst. Warum weinst du?«

Leonie atmete schwer. Wandte den Blick von ihm ab, zurück auf das Meer, hinein ins Publikum und die Dunkelheit.

Ida kannte das Stück nicht. Genauso wenig wie die zugrundeliegende Novelle. Vom ersten Tag an hatte sie Sylvie schwören müssen, sie nicht zu lesen. Nicht, bevor sie die Premiere des Stückes besucht hatte. Ida hatte sich an ihr Versprechen gehalten. Gerade deswegen traf sie die Antwort von Leonie – von ihrer Sylvie – wie ein Faustschlag in die Magengrube. Just verstand sie, warum Sylvie diese Rolle hatte spielen wollen. Um sie gekämpft hatte wie eine Löwin um ihre Jungen. Und warum Ida nicht wissen durfte, worum es ging.

Denn Sylvie hatte längst akzeptiert, was Ida seit vier Jahren versuchte von sich zu schieben.

Die Worte, ausgesprochen mit zitternder Stimme, hallten in Idas Ohren wie ein Glockenschlag: »Weil ich sterbe, du Idiot.«

KAPITEL 2

Mond – Hikari-Station – 2151

»Bist du dir sicher?«, fragte Viggo, dessen Hand sich stützend um Sylvies Unterarm legte und gerade noch verhinderte, dass sie stolperte.

Innerlich verfluchte sich Sylvie für ihre Unachtsamkeit. Eine von vielen, die mit jedem Tag mehr wurden. Ein Moment, in dem sie nicht mitgedacht hatte, und eine kleine Schwelle zwischen zwei der künstlichen Holzbohlen auf der Bühne reichten. Schon gaben ihre Beine nach.

»Ja!«, zischte Sylvie. Sie versuchte, ihn abzuschütteln.

Doch Viggo kannte sie inzwischen zu gut. Seine Finger blieben an Ort und Stelle, selbst wenn sich sein Griff ein wenig lockerte. Er wusste, wie es ihr ging. Wie die meisten in der Theatergruppe.

Lange hatte Sylvie es nicht für sich behalten können.

Wie denn auch?

Nach dem Desaster am ersten Abend.

Sylvie richtete sich auf, nachdem sie beinahe vornübergekippt wäre. Zeitgleich drehte sie ihren Kopf zu ihm. Seine graublauen Augen sahen sie fragend an. Er kämpfte sichtlich darum, den Coolen zu geben, doch seine zuckenden Augenlider kombiniert mit den heruntergezogenen Mundwinkeln verrieten ihn. Es gefiel ihr, dass er sich um sie sorgte. Nicht wie die Pflegekräfte oder Ärzte im Krankenhaus. Nicht wie das Lehrpersonal, das seit dem Vorfall vor zwei Wochen um sie herumschlich, als wäre Sylvie aus rohen Eiern gemacht. Zum Glück auch nicht wie einige der anderen Schüler, die beim leisesten Husten ihrerseits zu glauben schienen, dass sie gleich in tausend Stücke zerbrechen würde.

Und schon gar nicht Elena oder Joachim, die unverhohlen gefragt hatten, was die Tote auf der Bühne zu suchen hatte.

Nein. Bei Viggo fühlte sie etwas anderes.

Das wollte sie nicht mit einem dummen Wort zerstören. Sie entschied, den Moment zu genießen.

Völlig in ihm aufzugehen.

Sie musste sich genervt eingestehen, dass ihr mit vierzehn Jahren die Erfahrung fehlte. Vornehmlich, weil sie in den vergangenen vier Jahren mehr Zeit mit ihrer Krankheit als mit ihrem Leben verbracht hatte. Am ehesten konnte sie das, was Viggo ausstrahlte, damit vergleichen, wie ihre Mutter ihr gegenübertrat. Sorge, gepaart mit der Verzweiflung der Erkenntnis, dass sie ihr nicht helfen konnte. Ähnliches glaubte Sylvie, bei Viggo wahrzunehmen.

Lag es daran, dass sie sich bei ihm wohlfühlte? Förmlich geborgen. Seit dem ersten Probentag. Er hatte sie nie wie eine Vierzehnjährige behandelt. Nicht wie ein kleines Kind, sondern wie eine Schauspielerin. Die sie beim besten Willen nicht war. Noch nicht. Mangels Zeit nie werden würde. Egal, was sie sich selbst zwischenzeitlich einzureden versuchte.

Dies hier, dieses Theaterstück, war ihre letzte, vor allem einzige Chance auf ein wenig Ruhm. Irgendetwas, das sie zurücklassen konnte, damit andere sich an sie erinnerten. Abseits ihrer Mutter und des Krankenhauspersonals. Wobei sie für Letztere wohl nur eine Nummer unter vielen war. Egal, wie sehr sie sich aktuell um sie bemühten oder wie besonders ihr Fall erscheinen mochte.

Viggo hob eine Augenbraue. Erst jetzt realisierte Sylvie, dass sie ihn seit Sekunden stumm anstarrte.

»Ja«, schob sie noch einmal nach. »Ich bin mir sicher, dass ich heute Abend nicht tot auf der Bühne umfallen werde. Genauso wenig wie die letzten sechs Mal. Alle Gerüchte über mein baldiges Ableben sind übertrieben.«

Sie grinste ihn an. Dabei musste sie erkennen, dass er ihren über die Jahre entwickelten schwarzen Humor wohl nicht teilte. So wie die wenigsten. Kaum jemand konnte damit umgehen, dass sie ihr Schicksal akzeptierte. Wie so oft keimte Wut in Sylvie auf.

Was erwarteten alle von ihr? Sollte sie tagein, tagaus heulen? Nur um dem Bild zu entsprechen, das alle erwarteten. Musste sie Trübsal blasen oder sich selbst bemitleiden?

»Du schaust drein wie ein Hündchen, dem sie den Knochen weggenommen haben«, versuchte Sylvie ihn abzulenken. Was nur bedingt glückte. Zumindest wanderten seine Mundwinkel ein wenig nach oben.

Viggo zuckte mit den Schultern. »Sorry. Ich …«

Endlich schaffte es Sylvie, sich sanft seinem Griff zu entwinden. Sie wedelte abwehrend mit der freigewordenen Hand. »Mach dir keine Gedanken. Versuch nicht mal, dich zu entschuldigen! Das habe ich schon zu oft gehört. Sorgen musst du dir erst machen, wenn ich mich einnässe.«

Noch während sie es aussprach, erkannte sie, damit nicht den richtigen Ton getroffen zu haben. Viggo riss die Augen weit auf. Sein Kinn klappte nach unten.

»Was … also …«, stotterte er in sichtlicher Verzweiflung.

»Oh Mann. Heute ist nicht mein Tag.« Sylvie seufzte genervt und zugleich verzweifelt. Sie wollte sich normal mit ihm unterhalten, doch jeder Versuch entglitt ihr. Sie wollte normal sein und schlug dabei weit über die Stränge. Sie schloss die Augen. Nach einem tiefen Atemzug sah sie ihn erneut an. »Können wir es noch mal von Anfang an versuchen?«

Viggo legte den Kopf zur Seite, was ihn ein wenig schelmisch aussehen ließ. »Klar. Peinlicher kann es nicht mehr werden.«

Endlich grinste er und Sylvie fühlte dabei angenehme Wärme, die sich wohlig von ihrem Bauch bis in den ganzen Körper verteilte. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Willst du wissen, was mit mir los ist?«

Viggos Augen weiteten sich, während er sichtlich zusammenzuckte. Trotzdem blieb seine Stimme ruhig: »Ja.«

»Dachte ich mir doch«, antwortete Sylvie.

---ENDE DER LESEPROBE---