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Frederic Huxley und seine Begleiter geraten in die Gewalt der Schwarzen Macht. Die Mannschaft der CHARR setzt alles daran, ihre Kameraden zu retten. Es kommt unweigerlich zum Kampf. Auf Terra versuchen Ren Dhark und Iondru, das Geheimnis des Schebekaisen zu lüften, und entdecken dabei die Balduren-Ebene... Gary G. Aldrin, Alfred Bekker und Nina Morawietz schrieben diesen mitreißenden SF-Roman nach dem Exposé von Anton Wollnik.
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Seitenzahl: 360
Ren Dhark
Weg ins Weltall
Band 110
Die Balduren-Ebene
von
Alfred Bekker
(Kapitel 1 bis 5)
Nina Morawietz
(Kapitel 6 bis 11)
Gary G. Aldrin
(Kapitel 12 bis 19)
und
Anton Wollnik
(Exposé)
Inhalt
Titelseite
Vorwort
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
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Impressum
Vorwort
Wie ich bereits in meinem letzten Vorwort erwähnte, widmen wir uns jetzt einem großen Thema, auf das sich viele von Ihnen schon sehr lange freuen: den Göttern der Worgun. Der Titel und der Klappentext des vorliegenden Bandes lassen schon erahnen: Ren Dhark und seine Gefährten entdecken diesmal die Balduren-Ebene. Falls Sie neu oder wieder einsteigen oder jemandem eine Empfehlung aussprechen wollen, ist »Die Balduren-Ebene« also der ideale Band, um das neueste REN DHARK-Abenteuer mitzulesen.
Diejenigen unter Ihnen, liebe Leser, die REN DHARK bereits seit Jahren mitlesen, haben vermutlich selbst einige Fragen in Bezug auf die Balduren, die wir hoffentlich im Laufe der nächsten Bände beantworten können. Bei meinen Recherchen für die Exposés habe auch ich manch ungelöstes Rätsel entdeckt, das wir unbedingt noch behandeln müssen. Auf eines davon, so viel verrate ich Ihnen an dieser Stelle schon, ist Cade Soban in Unitall Band 18, »Sternenhaie«, von Conrad Shepherd gestoßen.
Falls Sie also jetzt schon erfahren wollen, was Sie unter anderem in den kommenden Weg ins Weltall-Bänden erwartet, könnten Sie vorab den erwähnten Unitall-Band lesen – am besten vor »Die Balduren-Ebene«. Oder vielleicht haben Sie das bereits und ahnen schon, worauf ich hinauswill?
Als kleine Info für diejenigen unter Ihnen, die noch nie von der Unitall-Reihe gehört haben: Dabei handelt es sich um abgeschlossene Einzelabenteuer, die im REN DHARK-Kosmos spielen. Für diese braucht man keine anderen REN DHARK-Geschichten zu kennen.
Selbstverständlich müssen Sie den Unitall-Band weder lesen noch kennen. Das Wichtigste fassen wir wie immer für Sie zusammen, sodass Sie möglichst wenig Vorwissen benötigen, um den Abenteuern folgen zu können. Sie können sich also auch einfach von uns überraschen lassen.
Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder einen Brief mit Ihren Fragen, Theorien und Wünschen. Natürlich werden wir nichts »spoilern«, aber möglicherweise können wir in den nächsten Bänden noch einige weitere Geheimnisse lüften, an die wir bisher noch gar nicht gedacht haben …
Düsseldorf, im August 2022
Anton Wollnik
Prolog
Am 21. Mai 2051 startet die GALAXIS von Terra aus zu einer schicksalhaften Reise in den Weltraum. Durch eine Fehlfunktion des »Time«-Effekts, eines noch weitgehend unerforschten Überlichtantriebs der Terraner, springt das Raumschiff über beispiellose 4.300 Lichtjahre. Genau einen Monat später erreicht es das Col-System, wo es auf dem Planeten Hope landet. Weil ein Weg nach Hause unmöglich erscheint, beschließen die Raumfahrer, auf dem Planeten zu siedeln, und gründen die Stadt Cattan.
Rico Rocco schwingt sich zum Diktator auf und lässt sämtliche Kritiker verfolgen und auf den Inselkontinent Deluge verbannen. Dieses Schicksal trifft auch den zweiundzwanzigjährigen Ren Dhark, seinen besten Freund Dan Riker sowie eine Reihe weiterer Terraner. Doch damit endet die Geschichte nicht. In einer Höhle entdecken die Verbannten nicht nur Artefakte einer mysteriösen fremden Hochkultur, sondern auch ein unvollendetes Raumschiff, das eine prägnante Ringform aufweist.
Nachdem Rico Rocco bei einem Angriff der Amphi umgekommen ist, wird Ren Dhark zum neuen Stadtpräsidenten Cattans gewählt. Er lässt den Ringraumer reparieren, welcher später von Pjetr Wonzeff auf den Namen POINT OF INTERROGATION, kurz POINT OF, getauft wird. Im April 2052 bricht der Ringraumer unter Dharks Kommando zu seinem Jungfernflug zur Erde auf. Damit beginnt ein neues Kapitel in der terranischen Raumfahrt. Nicht zuletzt dank Dharks Forscherdrang entdecken die Menschen weitere Hinterlassenschaften der Mysterious, die es ihnen ermöglichen, neue Ringraumer zu bauen und immer weiter in die Tiefen des Weltraums vorzudringen. Die POINT OF jedoch bleibt trotz allem einzigartig, was nicht zuletzt am Checkmaster liegt, dem eigenwilligen Bordgehirn dieses Raumschiffes.
Ren Dhark bleibt der Kommandant der POINT OF und erforscht mit seiner Mannschaft in den folgenden Jahren nicht nur das Weltall, sondern rettet auch immer wieder die Menschheit und sogar ganze Galaxien. Im Mai 2074 lässt sich der unvermutet aktivierte Schutzschirm um Terra nicht mehr abschalten. Die Erde ist damit vom Rest des Universums isoliert. Niemand ahnt, dass es sich in Wahrheit um einen von den Thanagog installierten Zweitschirm handelt, um Ren Dhark zu einer Reise nach ERRON-3 zu bewegen. Dort wollen sie in den Besitz des Schebekaisen gelangen, eines Artefakts, das mutmaßlich von den Balduren stammt. Ihr Plan geht auf. Doch auch andere Expeditionsteilnehmer bedienen sich zu Dharks Leidwesen fleißig im zentralen Wissensarchiv der Worgun, allen voran Terence Wallis’ Sicherheitsberater Arjun Chatterjee.
Zurück in der Milchstraße zeigen die Thanagog ihr wahres Gesicht: Dabei kommt nicht nur die Wahrheit über den angeblich entarteten Schutzschirm um Terra heraus, sondern auch, dass die transitierende Sonne eigentlich das Mutterschiff der Schemenhaften ist. Bei dem Versuch, das Artefakt der Balduren von den Thanagog zurückzuholen, wird Ren Dhark Zeuge davon, wie die Wächter den Kern des Sonnenschiffes und damit die Lebensgrundlage eines ganzen Sternenvolkes zerstören. Shamol, der Herrscher der Thanagog, vernichtet das Schebekaisen und wendet sich in seiner Verzweiflung an Dhark. Er habe das alles nur getan, um sein Volk vor der buchstäblichen Auflösung zu bewahren. Weil die Erde nicht mehr in Gefahr schwebt, willigen der Commander und seine Experten ein zu helfen. Die Thanagog können gerettet werden, indem sie zu einem Megawesen verschmelzen, und fliegen in die Weiten des Weltraums hinaus.
Wenige Tage später finden Ren Dhark und seine Gefährten ganz unverhofft ein weiteres Schebekaisen, das sich im Besitz von Itup-Mo-Wok, der letzten Heiwahr auf dem Planeten Nicondo, befindet. Er borgt sich dieses aus, um mit Iondru auf Terra das Geheimnis des Balduren-Artefakts zu lüften. Dabei stoßen die beiden mitten in einer kargen Prärielandschaft in Wyoming auf ein Portal …
1.
Arlo, Tekaro, Doris und Simon …
Vier gesichtslose Humanoide. Polymetallische Robotkörper aus Tofirit, das in seiner Form wandelbar war, gesteuert von den Bewusstseinen intelligenter Lebensformen. Drei von ihnen waren früher einmal Menschen gewesen. Nur Wächter Tekaro nicht. Er war einst ein Rateke gewesen, bevor sein Bewusstsein diesen metallisch-liquiden Tofirit-Roboter beseelt hatte, der seitdem seine Wächtergestalt war.
Sie alle waren Angehörige des Wächterordens, und im Augenblick lag eine besondere Aufgabe vor ihnen. Sie hatten ihre Kampfgestalt angenommen und waren zu drei Meter großen Kolossen geworden. Die Tofirit-Robotkörper waren flexibel und wandelbar. Arlos Robotkörper bildete einen Waffenarm aus. Simons ebenfalls.
Wenn sie in Gesellschaft von Menschen oder anderen intelligenten Spezies waren, dann veränderten sie die Färbung ihrer Tofirit-Körper so, dass sie unterscheidbar waren. Das erleichterte die Kommunikation mit stark visuell orientierten Lebensformen. Aber wenn die Wächter unter sich waren, war das nicht nötig. Sie sahen dann alle gleich aus. Dunkelrot und leicht metallisch glänzend wirkten ihre Robotkörper, deren Beweglichkeit jedoch jede organische Lebensform in den Schatten stellte.
Ein gebündelter Energiestrahl schoss aus dem Waffenarm hervor und erfasste den großen Hyperkalkulator in der Einsatzzentrale des Werftmondes im Ludwig-System.
Alles sollte zerstört werden. Die ganze Experimentalraumschiffswerft, all die Maschinenhallen mit Worgun-Technik, all diese hocheffizienten Anlagen auf und in diesem ganz besonderen Mond.
Nichts sollte zurückbleiben. Und die Terraner, die hier im Auftrag von Terrence Wallis und seinem Konzern Wallis Industries einem weiteren, entscheidenden Teil des Erbes der Mysterious auf die Spur zu kommen versuchten, sollten sich zum Teufel scheren.
Der Werftmond im Ludwig-System sollte mehr oder minder zerstört werden. Darin bestand die Mission der Wächter. Das hatten sie sich vorgenommen – und es gab gute Gründe dafür.
Der pinkfarbene Energiestrahl erfasste die ersten Module des Hyperkalkulators der Zentrale, fraß sich in diesen worgunschen Großrechner förmlich hinein und ließ ganze Teile der Anlage regelrecht zusammenschmelzen.
Auch Simon feuerte nun konzentriert auf den Hyperkalkulator.
Die Wächterkörper von Doris und Tekaro formten nun ebenfalls Waffenarme. Der Hyperkalkulator begann, sich innerhalb von wenigen Augenblicken zu einem Schmelzofen zu verwandeln.
»Niemand wird ihn je wieder benutzen«, stellte Tekaro fest.
Er sagte das nicht laut, sondern er teilte diese Äußerung seinen drei Mitstreitern über seine hocheffizienten Kommunikationssysteme mit.
»Sind noch Terraner in der Nähe?«, fragte Simon.
»Sie sind auf der Flucht«, stellte Wächterin Doris fest.
»Haben wir noch mit Widerstand zu rechnen?«, fragte Arlo.
»Ich glaube, die Verwirrung unter ihnen ist vollkommen«, erklärte Wächter Tekaro. »Die Schnellanalyse der Kommunikationssignale, die ich empfange, lässt keinen anderen Schluss zu. Sie flüchten zu ihren Raumschiffen.«
Zu plötzlich und handstreichartig war der Angriff der Wächter auf die Anlage in dem Werftmond gewesen. Die Wächter waren mithilfe des »absoluten Schritts« mitten in die Anlagen transitiert und hatten daher den Überraschungseffekt auf ihrer Seite gehabt.
Wächter Simon trat etwas vor und ging auf die glühende, teilweise geschmolzene Masse zu, die wenige Sekunden zuvor der Hyperkalkuator gewesen war. Die amorphe Masse, die von der nach dem konzertierten Angriff betroffenen technischen Anlage übrig geblieben war, strahlte Hitze ab. Ein Mensch, der sich in vergleichbarem Abstand aufgehalten hätte, hätte sich selbst entzündet. Einem Wächterkörper machte das alles natürlich nichts aus.
Simon hob einen seiner Arme, richtete ihn nach vorn und ließ erneut einen pinkfarbenen Energiestrahl daraus hervorschießen. Ein zweiter Waffenarm feuerte kleine Explosivgeschosse ab.
Es wirkte beinahe so, als wollte Simon sichergehen, dass der Hyperkalkulator der Zentrale auch wirklich vollkommen zerstört wurde. Nicht einmal der kleinste Teil eines Moduls oder irgendein untergeordneter Speicher sollten nach diesem Angriff noch einsatzfähig sein.
»Wir sollten uns etwas Energie aufheben«, meldete sich Tekaro mit einer Botschaft an die anderen Wächter. »Die Werfthallen sind als Nächstes an der Reihe.«
*
»Mister Saam! Wir müssen weg!«, rief Caretti. Der Sicherheitsmann sah seinen Chef wie zur Salzsäule erstarrt dastehen und der Zerstörung zusehen.
Robert Saam, Leiter der Wissenschaftlergruppe Saam, hatte intensiv an diesen Anlagen geforscht. Der Versuchsaufbau des neuen Experimentalraumschiffs war nur noch ein Wrack. Die Zentrale der Anlage mit ihrem Hochleistungshyperkalkulator bot ein Bild völliger Zerstörung.
Und die angreifenden Wächter schienen noch lange nicht genug zu haben. Die zu Kampfkolossen angewachsenen Roboter fuhren mit ihrem Werk der Zerstörung und Verwüstung fort.
»Warum?«, murmelte Robert Saam.
»Mister Saam, wir müssen hier fort!«, wiederholte Caretti.
»Warum tun sie das?«, fragte Robert Saam. Der Wissenschaftler war fassungslos. All die Arbeit, die er und sein Team in dieses Projekt gesteckt hatten, war drauf und dran, völlig vernichtet zu werden. Nichts würde davon übrig bleiben. Der Technik der Worgun verdankte die Menschheit ihre schnelle Expansion ins All. Allein aus eigener Kraft wäre das in der Kürze der Zeit wohl kaum möglich gewesen. Und hier hätte sich die unbezahlbare Möglichkeit ergeben, noch sehr viel mehr von diesem Schatz zu heben.
»Unsere Anlage«, so hatte Robert Saam den Komplex aus Fertigungs- und Werftanlagen mitunter genannt. Hin und wieder war er von Kollegen darauf hingewiesen worden, dass der ganze Komplex auf dem Werftmond im Ludwig-System ursprünglich einmal anderen gehört hatte: nämlich den amöbenförmigen, zur Gestaltwandlung fähigen Worgun, die in ihrer besten Zeit ein Galaxien umspannendes Reich ihr Eigen genannt hatten.
»All das Wissen …«, murmelte Saam. Er konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass dieses Worgun-Wissen nun im wahrsten Sinn des Wortes in Rauch aufgehen würde. Eine große Hoffnung verglühte damit. Nur Asche würde bleiben …
Vielleicht kann man doch noch etwas retten!, ging es dem Wissenschaftler durch den Kopf.
»Mister Saam!«
Carettis Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen.
Ein Ruck ging durch Saams Körper.
»Wir können dem nicht tatenlos zusehen!«, rief Saam. »Wir dürfen das einfach nicht!«
Im Augenblick konnten sie gegen die Invasoren jedoch nichts ausrichten. Die Wächterkolosse waren jeder Abwehr haushoch überlegen. Saam hatte noch lebhaft vor Augen, wie Caretti sich verzweifelt einem von ihnen entgegenstellt hatte und einfach weggeschleudert worden war. Der Sicherheitsmann konnte von Glück sagen, mit dem Leben davongekommen zu sein.
Zu den Raumschiffen!, dachte Saam. Wenn man noch etwas erreichen kann, dann aus dem Weltraum.
Während eine Handvoll Raumschiffe von der Oberfläche des Werftmondes in den Orbit aufstiegen, fuhren die Wächter mit ihrem Zerstörungswerk fort. Die erste Fertigungshalle explodierte. Sie platzte regelrecht auseinander, und ein Schwarm von glühenden Trümmerteilen regnete auf die Oberfläche hinab. Wie Funkenschlag wirkte das für einen Betrachter aus dem All.
*
Der erste der drei Meter großen Wächter in Kampfgestalt trat das Schott zur letzten Fertigungsanlage einfach ein. Es bot seiner geballten Kraft überhaupt keinen Widerstand. Das Schott flog aus seinen Verankerungen und schnellte dann wie ein Geschoss durch die Halle. Es schlug in ein großes technisches Modul ein. Funken sprühten.
Der Wächter betrat die Halle. Es war Simon – der einzige der gegenwärtigen Wächter, dessen ursprünglicher biologischer Menschenkörper zerstört war und für den es deswegen auch niemals eine Rückkehr in seine frühere biologische Existenz geben konnte.
Die anderen Wächter folgten ihm. Zuerst Arlo, dann Doris und schließlich Tekaro. Für einen hypothetischen Betrachter wären sie im Augenblick nicht unterscheidbar gewesen.
»Dies ist der letzte Teil der Anlage«, äußerte sich Tekaro. »Dann ist der Werftmond Vergangenheit.«
Tekaro formte seine rechte Extremität in einen Waffenarm um. Eine Verwandlung, die vollkommen fließend und übergangslos war. Die Tofirit-Außenhülle des Wächterkörpers passte sich perfekt an die neue Form an. Die ersten Nadelstrahlen schossen aus der Mündung des Waffenarms hervor und richteten die entsprechenden Zerstörungen an.
»Wir haben nicht so viel Zeit«, erklärte nun Simon.
»Was meinst du damit?«, wollte Doris wissen.
»Wir müssen das schneller erledigen – und vor allem auch noch sehr viel gründlicher. Die Terraner sind vertrieben, soweit meine Ortungsdaten das ermitteln können.«
»Kann ich bestätigen«, warf Tekaro ein.
»Dann ist dieses Ziel schon mal erreicht. Den Rest müssen wir anders erledigen. Gründlicher und schneller.« Simon hob einen seiner Arme, der sich ebenfalls in einen Waffenarm verwandelte, allerdings einen Waffenarm von völlig anderer Form. Vor allem war die Mündung nicht mit der vergleichbar, die benutzt wurde, wenn Energiestrahlen verschossen werden sollten. Ein faustgroßer, kugelförmiger Körper kam aus der Öffnung heraus. Die Kugel wurde nicht verschossen, sie schwebte vielmehr und schien einen eigenen Antrieb zu haben.
Mit einer Geschwindigkeit, die gemessen an anderen Waffensystemen langsam war, über die die Wächter verfügten, flog die Kugel auf eine der Fertigungsmodule zu und blieb dann daran haften, als wäre sie festgeklebt worden.
»Gleich fliegt hier alles in die Luft, und die Strahlungswerte werden so hoch sein, dass selbst die interne Technologie eines Wächterkörpers damit Probleme bekommen dürfte«, erklärte Simon.
»Dann sollten wir jetzt von hier verschwinden«, zog Arlo den einzig möglichen Schluss.
Simon drehte den gesichtslosen polymetallischen Kopf in Arlos Richtung, obwohl daraus keine zusätzlichen Umgebungsinformationen, Sensorendaten oder irgendetwas anderes resultierte, was dem menschlichen Bewusstsein des Wächters zusätzliche Eindrücke hätte vermitteln können. Aber manche menschlichen Gewohnheiten behielt man eben bei – auch dann, wenn man die Menschlichkeit längst hinter sich gelassen hatte.
»Transition per absolutem Schritt«, kündigte Simon an. »Wir kehren umgehend in unsere Raumschiffe zurück!«
*
Die Wächter waren mit zwei Ringraumern ins Ludwig-System gekommen: der SADS und der ARKANDIA.
Alle Wächter sprangen per »absolutem Schritt« zunächst in die Zentrale der SADS. Ironischerweise war die SADS Anfang 2066 von Terrence Wallis an die Wächter übereignet worden. Jetzt trug ausgerechnet dieses Schiff dazu bei, die Forscher von Wallis Industries vom Werftmond im Ludwig-System zu vertreiben.
Die SADS war ein aus Carborit gefertigter Ovoid-Ringraumer der Thomas-Klasse, verfügte über die modernsten Wuchtkanonen und achtundzwanzig Flash an Bord. Die Besatzung bestand aus neunhundert Robotern. Sechshundert davon hatten eine humanoide Form, die anderen entsprachen dem Kegel-Typ.
Simon wandte sich der Bildkugel zu. Dieses Schiff war auf Eden für den Gebrauch durch Menschen konstruiert worden. Keiner der Roboter an Bord – und schon gar nicht die Wächter selbst! – waren auf optische oder akustische Informationen bei der Steuerung eines Schiffs angewiesen. Sie konnten die nötigen Daten auch direkt empfangen, und in der Regel taten sie das auch.
Das ist ebenfalls eine Angewohnheit aus der menschlichen Phase meiner Existenz, dachte Simon.
In der Bildkugel war der Werftmond zu sehen. Außerdem wurde die Position der ARKANDIA markiert, die sich in einem Abstand von nur wenigen Zehntausend Kilometern zur SADS befand. Beide Einheiten führten ein synchrones Flugmanöver durch.
Darüber hinaus waren auch jene Raumer zu sehen, mit denen die Leute von Wallis Industries den Mond verlassen hatten. Sie wirkten wie ein versprengter, ungeordneter Haufen. Angesichts der chaotischen Umstände, unter denen sie den Werftmond verlassen hatten, war das auch kein Wunder.
Einer der humanoiden Roboter meldete sich. Er hatte die Funk-Z besetzt. »Wir bekommen eine Nachricht von einem der Wallis-Schiffe.«
»Ignorieren«, sagte Simon.
»Es sei dringend!«
»Es gibt nichts zu besprechen«, erklärte Simon.
»Wir sollten uns wenigstens anhören, was sie wollen«, wandte Doris ein.
»Der Meinung bin ich auch«, erklärte Tekaro.
Und auch Arlo schloss sich dieser Meinung an. »Drei zu eins, Simon!«
»An die SADS und die ARKANDIA! Gefechtsposition einnehmen und eine Zweierformation bilden, die einen optimalen Beschuss der Anlagen des Werftmondes gewährleistet«, befahl Simon. »Wir werden den Mond vollkommen zerstören.«
Bestätigungssignale gingen von den robotischen Brückenbesatzungen der SADS und der ARKANDIA ein. Beide Schiffe begannen umgehend damit, ihre Positionen entsprechend zu ändern. Die ersten Geschosse wurden abgefeuert. Selbst aus dem All waren die immensen Zerstörungen zu sehen, als sich die Wuchtgeschosse der beiden Raumer in die Oberfläche hineinfrästen. Da würde nichts übrig bleiben, so viel war sicher. Selbst ein großer Asteroideneinschlag hätte nicht verheerender sein können, als es von dem Einsatz der Waffen dieser beiden Schiffe letztendlich sein würde.
»Die Terraner kontaktieren uns noch immer und bitten uns, mit der Zerstörung des Mondes aufzuhören«, meldete sich noch einmal der humanoide Roboter aus der Funk-Z.
»Die Operation läuft unverändert weiter«, bestimmte Simon.
»Es ist Robert Saam persönlich!«, gab der humanoide Roboter zu bedenken.
Wächterin Doris griff jetzt ein. »Nachricht übermitteln und anzeigen!«, befahl sie.
Wenig später erschienen auf einem Bildschirm das Gesicht und der Oberkörper von Robert Saam.
»Hört auf mit dem, was ihr da tut!«, rief der Wissenschaftler. »Ihr zerstört unsere ganze Arbeit! Warum tut ihr das? Warum stellt ihr euch gegen uns? Ihr befindet euch in einem Schiff, das euch von Wallis Industries zur Verfügung gestellt wurde, und ihr habt euch verpflichtet, dem Planeten Eden damit zu Hilfe zu kommen, wenn eine Notlage oder Bedrohung besteht. Und nun bildet ihr selbst eine Bedrohung!«
»Eine Bedrohung für Eden?«, gab Simon zurück. »Wohl kaum. Auch wenn ich annehme, dass die Interessen von Wallis Industries bis hierher ins Ludwig-System reichen.«
»Was ist der Grund für euren Angriff? Ihr könnt von Glück reden, dass dabei niemand umgekommen ist, so kompromisslos, wie ihr vorgegangen seid!«
»Robert Saam, halte dich raus!«, erwiderte Simon. Anschließend sorgte er dafür, dass die Verbindung unterbrochen wurde.
»Beschuss fortsetzen und verstärken!«, befahl Simon an beide Schiffe.
*
»Kurs auf eine Position nehmen, die den weiteren Angriff blockiert!«, befahl unterdessen Robert Saam. Zusammen mit Caretti befand er sich an Bord eines der Wallis-Schiffe, die den Werftmond auf mehr oder minder chaotische Weise verlassen hatten. Die jeweiligen Besatzungen waren daher auch wild zusammengewürfelt. Jeder hatte den ersten Ringraumer genommen, den er erreichen konnte.
Der Kommandant sah Saam verwundert an. »Ist das Ihr Ernst?«, fragte er.
»Sir, die schießen uns einfach über den Haufen!«, entfuhr es unterdessen Caretti, der links neben Robert Saam stand.
»Wir müssen es trotzdem versuchen!«, gab Saam zurück.
Alle Blicke der Zentralenbesatzung waren auf Robert Saam gerichtet. Niemand wagte es, dem Chef der legendären Gruppe Saam zu widersprechen.
»Worauf warten Sie? Muss ich die Pilotenkonsole noch selbst übernehmen?«, maulte der Wissenschaftler.
»Nein, Sir«, kam es zurück.
Das Raumschiff veränderte seine Position und beschleunigte. In einem bogenförmigen Kurs positionierte es sich schließlich zwischen den beiden Wächter-Schiffen und dem Werftmond.
»Wer hätte das gedacht! Es hat funktioniert!«, stieß Caretti hervor, als die Wächter-Schiffe tatsächlich den Beschuss einstellten.
»Funk-Z! Stellen Sie mir eine Verbindung zu den Wächtern her!«, verlangte Saam.
Doch das war gar nicht mehr nötig.
Mitten in der Zentrale materialisierte sich die Gestalt eines Wächters. Er musste per »absolutem Schritt« hierher transitiert sein.
»Wer bist du?«, fragte Robert Saam, denn das war an der Färbung der Tofirit-Außenhülle nicht zu erkennen.
Robert Saam bekam auf seine Frage auch keine Antwort.
Der Wächter machte einen Schritt auf Saam zu. Bis dahin hatte sein Robotkörper etwa die Normalgröße von ungefähr zwei Metern gehabt. Aber jetzt veränderte er sich. Er wurde innerhalb einiger Augenblicke größer und nahm schließlich die drei Meter hohe Kampfgestalt an. Die Arme veränderten sich in Geschützarme.
»Keine Einmischung!«, verlangte dann eine durchdringende Stimme unmissverständlich. »Wir werden keinerlei Einmischung in unsere Operation dulden. Wer sich uns in den Weg stellt, wird als Feind betrachtet.«
Noch ehe Robert Saam etwas dazu sagen konnte, war der Wächter bereits wieder zurück in sein Schiff transitiert.
»Wir sollten tun, was er gesagt hat«, meldete sich der Ortungsoffizier zu Wort. »Die Geschütze beider Wächterschiffe zeigen bereits wieder ein ansteigendes Energieniveau!«
Das Wallis-Schiff ging auf Ausweichkurs, während die beiden Ringraumer der Wächter ihren Beschuss wieder aufnahmen.
Robert Saam verfolgte fassungslos, wie die Wächter-Schiffe den Werftmond regelrecht zu pulverisieren begannen. Sie schossen wirklich mit allen Geschützarten, über die diese Schiffe verfügten, auf ihr Ziel.
Ein Inferno kosmischen Ausmaßes bereitete sich vor. Nur die Kollision mit einem großen Himmelskörper hätte eine auch nur annähernd vergleichbar verheerende Wirkung auf den Werftmond haben können.
Der Mond wurde mit dermaßen viel Energie angegriffen, dass er bald von innen heraus zu glühen und zu schmelzen begann. Ungeheuer große Brocken rotglühender, halb geschmolzener Materie brachen bereits aus ihm heraus und irrlichterten wie Aschewolken ins All hinein.
Das Ende war nahe.
Langsam dämmerte es Robert Saam, dass da wirklich gar nichts mehr zu retten sein würde. Nicht ein einziges technisches Modul oder Kristallspeicher.
Der Werftmond mit seiner einzigartigen worgunschen Experimentalwerft, in die er so viel seiner Kraft, Kreativität und Forschergeist investiert hatte, stand kurz davor, völlig zu vergehen.
Es war schließlich schneller vorbei, als er es erwartet hatte.
»Die Wächter-Schiffe verändern ihre Position und beschleunigen«, meldete der Ortungsoffizier. »Alle Anzeichen sprechen dafür, dass sie das Ludwig-System verlassen.«
Robert Saam nahm diese Meldung nur wie einen Ruf aus weiter Ferne wahr.
Er war noch immer viel zu schockiert über das, was geschehen war.
*
»Zurück nach ERRON-2!«, befahl Simon. »Wir haben getan, was wir tun mussten.«
Die Roboter in den Zentralen der SADS und der ARKANDIA übermittelten ihre Bestätigungssignale. Beide Ringraumer setzten sich in Bewegung und aktivierten den Sternensog.
Während die robotische Mannschaft ihrer Arbeit nachging, kommunizierten die Wächter abgeschirmt untereinander.
»Wir wollen hoffen, dass es von jetzt an niemandem mehr gelingen wird, in das zentrale Wissensarchiv der Worgun im blassblauen Universum vorzudringen«, äußerte sich Tekaro. »Die Folgen wären sonst nicht absehbar.«
»Jedenfalls war es ein großer Fehler, das Schebekaisen in unser Universum zu holen«, fand Simon.
»Wir können nur hoffen, dass nicht irgendwelche feindlichen, destruktiven Mächte davon erfahren«, schloss sich Arlo der Einschätzung der beiden an. »Glücklicherweise existiert das Schebekaisen nicht mehr. Dieses technische Artefakt wurde im Plasmastrom im Sonnenschiff der Thanagog zerstört.«
»Das ist die optimistische Variante«, entgegnete Simon.
»Glaubst du nicht daran?«, wollte Arlo wissen.
»Ich will es glauben«, gab Simon zurück. »In der Tat spricht ja auch vieles dafür, dass es so ist.«
Daraufhin meldete sich Tekaro zu Wort. »Es gibt keine Möglichkeit für uns, dies zu überprüfen. Das Sonnenschiff der Thanagog hat sich aufgelöst, und von dem Schebekaisen gab es in der ehemaligen Sternenbrücke nirgends eine Spur.«
»Ich finde, das ist ein gutes Zeichen«, meinte Tekaro.
»Das ist es auch«, bestätigte Simon. »Aber Gewissheit, dass die Gefahr gebannt ist, gibt es eben nicht.«
»Das ist richtig.«
»Und es könnte weitere Schebekaisen an anderen Orten geben.«
»Auch das können wir nicht ausschließen, Arlo.«
Jetzt meldete sich Wächterin Doris zu Wort, nachdem sie lange geschwiegen hatte. Aber an diesem Punkt musste sie einfach einhaken. »Ich finde, wir sollten Ren Dhark informieren«, meinte sie.
»Ich halte das für keine gute Idee«, hielt Simon dagegen.
»Ren Dhark muss wissen, welche Gefahr besteht«, beharrte Doris auf ihrer Position. »Es gibt einen unbekannten Feind, der Balduren-Artefakte sammelt. Am besten wäre es, er würde keine Worgun-Archive mehr aufsuchen. Und für den Fall, dass er ein weiteres Schebekaisen findet, sollte er dieses zumindest uns Wächtern aushändigen.«
»Denkst du nicht, dass man dadurch nur die Neugier der Terraner anstachelt?«, glaubte Wächter Simon. »Wir kennen doch Ren Dhark. Er wird nach Antworten verlangen, und wenn wir ihm die nicht geben können, wird er sich selbst auf die Suche nach Antworten machen – mit den entsprechenden verhängnisvollen Folgen, die eine solche Suche haben kann!«
»Die Alternative wäre, den Terranern ihre Fragen zu beantworten«, meinte Doris.
»Dir sollte selbst klar sein, dass diese Möglichkeit ausscheidet«, bemerkte Simon.
Doris widersprach nicht. Ihre Alternative war in Wahrheit keine. »Ja, du hast Recht«, gab sie zu.
»Vermutlich wird es in dieser Galaxis kein weiteres Schebekaisen geben«, fuhr Simon fort. »Aber es reicht schon, wenn der Feind nur aus irgendeinem Grund glaubt, dass ein weiteres Schebekaisen im Besitz irgendeines Milchstraßen-Volkes sein könnte. Das reicht schon, um eine Katastrophe heraufzubeschwören, an der niemandem von uns gelegen sein kann.«
Einen Augenblick herrschte eine Kommunikationspause unter den Wächtern.
»Also gut«, meinte Doris schließlich. »Dann wird Ren Dhark bis auf Weiteres nicht informiert.«
»Es ist besser so«, stimmte Tekaro zu.
Die interne Kommunikation der Wächter wurde jäh unterbrochen. Der humanoide Roboter, der die Funk-Z besetzt hielt, meldete sich. »Ein dringender Hyperfunkspruch!«, meldete er. »Er kommt von der INSTANZ …«
»Sofort übermitteln!«, wies Simon ihn an.
»Es handelt sich um einen Koordinatensatz. An der bezeichneten Stelle ist es zu Strukturerschütterungen des Raumzeitgefüges gekommen.«
»Das verheißt nichts Gutes«, glaubte Simon.
Die INSTANZ hatte den Wächtern gerade den Befehl gegeben, sofort die angegebene Raumposition anzufliegen, um Nachforschungen anzustellen. Die SADS und die ARKANDIA änderten wenig später ziemlich abrupt ihren Kurs und machten sich auf den Weg.
2.
Der Planet war lebensfreundlich. Zwei Drittel wurden von Land bedeckt, ein Drittel von ozeangroßen Binnenmeeren. Und er trug intelligentes Leben. Sein Name in der Sprache der Einheimischen lautete Covvalaan. Die Garaseen lebten hier, und ursprünglich hatte der Begriff Covvalaan bei ihnen einfach »die Welt« bedeutet – so lange, bis sie feststellten, dass es auch andere Welten gab. Und das sogar in schier unvorstellbar großer Zahl.
Seitdem hatte sich die Bedeutung des Begriffs gewandelt. Covvalaan war nach und nach nur noch der Name dieser einen Welt geworden und diente dazu, sie von anderen zu unterscheiden, die ihre Forscher am Himmel entdeckten, von denen sie Funkbotschaften abhörten oder deren Vertreter hin und wieder Covvalaan besuchten. Seitdem gab es Covvalaan und die Außenwelten.
Das war so ähnlich wie mit dem Begriff »Garaseen«.
Ursprünglich hatte der Begriff »Garaseen« einfach nur »vernunftbegabte Lebensform« bedeutet, denn darin sahen diese Wesen den Unterschied zu allen anderen Lebensformen des Planeten. Irgendwann hatten sie allerdings festgestellt, dass es auf anderen Welten ebenfalls Lebensformen gab, denen man Vernunft zuschreiben musste. Wie sonst hätten diese Außenweltler Funkbotschaften senden oder Sternenschiffe bauen können.
Die seltenen Besuche von Außenweltlern auf Covvalaan hatten diesen Eindruck für die Forscher der Garaseen bestätigt. Aber da die Außenweltler sich zum Teil in Gestalt, Größe und Kultur sehr stark von den Garaseen unterschieden, stand der Begriff inzwischen nur noch für die intelligenten Bewohner von Covvalaan, während alle anderen vernunftbegabten Lebensformen als Außenweltler bezeichnet wurden.
Die Garaseen selbst betrieben keine Raumfahrt. Vielleicht wären sie dazu in der Lage gewesen, denn sie hatten durchaus eine fortgeschrittene Technik und ein hohes Maß an naturwissenschaftlichem Wissen. Und eigentlich hätte man annehmen können, dass die gelegentlichen Besuche von Außenweltlern und der Dauerempfang von deren Funkbotschaften und Medien sie dazu geradezu inspiriert hätten, mutig irgendwohin zu fliegen, wo noch kein Garaseen gewesen war.
Aber das war nicht der Fall.
Möglicherweise war diese Zurückhaltung einfach kulturell bedingt. Nicht jede Zivilisation ergriff alle Möglichkeiten, die ihr theoretisch zur Verfügung standen. Vielleicht hatte das Desinteresse auch damit zu tun, dass die Garaseen ursprünglich unterirdisch gelebt hatten. Und die meisten von ihnen taten dies bis heute.
Die ganz große Mehrheit aller Gebäude und Siedlungen auf Covvalaan war unterirdisch angelegt. Die einzigen überirdischen Gebäude standen dort, wo es aus geologischen Gründen einfach sehr schwer bis unmöglich war, sich in die planetare Kruste hineinzugraben.
Es gab ein paar sehr felsige Regionen auf Covvalaan, deren Gesteinsarten so hart waren, dass selbst die fortgeschrittene Grabmaschinentechnik der Garaseen kapitulieren musste. Die besondere Härte dieser Gesteinsarten hatte mit der Tatsache zu tun, dass es auf Covvalaan keine Plattentektonik gab und die Gesteinsbildung daher anderen Gesetzmäßigkeiten unterlag als auf Welten mit Plattentektonik. Dass es solche Welten gab, war bei den Garaseen durch die abgehörten Funksignale der Außenweltler bekannt. Und obwohl kein Garaseen je seine Heimatwelt verlassen hatte, war ihnen daher trotzdem bewusst, dass es fast nirgendwo auf vergleichbaren Planeten härteres Gestein gab als auf Covvalaan.
*
Ra-Ten war ein Garaseen von etwas überdurchschnittlichem Gewicht. Seine Masse betrug etwa zwei Kilogramm. In seiner Ruheform glich er einer amorphen dunklen Materieansammlung von schleimartiger, fast zähflüssiger Konsistenz. Wenn er sich in seiner Ruheform bewegte, konnte man den Eindruck haben, dass sein Körper einfach dahinfloss. Aber dabei handelte es sich um eine optische Täuschung.
In Wahrheit war der Körper eines Garaseen keineswegs flüssig oder zähflüssig, sondern einfach nur extrem wandelbar und flexibel.
Die Beeinflussung der eigenen Körperform war ein wichtiger Bestandteil der Garaseen-Kultur. Die äußere Erscheinungsform zu beeinflussen, war die Voraussetzung für die Beherrschung des inneren Raums eines Lebewesens – und damit auch die Voraussetzung für Intelligenz und Vernunft. So lautete zumindest eine Theorie.
Umso erstaunter waren die Garaseen gewesen, als sie durch ihren Empfang von galaktischen Hyperfunkübertragungen lernten, dass die Fähigkeit zum Gestaltwandeln unter den vernunftbegabten Lebensformen der Galaxis eher die Ausnahme war. Lange war umstritten, ob die gelegentlichen Besuche durch Außenweltler diesen Eindruck bestätigten oder nicht. Schließlich gab es nur Spekulationen darüber, ob diese Besucher statistisch repräsentativ waren. So etwa jene Wesen, die sich selbst Utaren nannten und Covvalaan hin und wieder einen Besuch abstatteten.
Ra-Ten war Wissenschaftler. Genauer gesagt: Er war ein Geologe. Da die Garaseen traditionell überwiegend unter der Planetenoberfläche siedelten und das Gestein von Covvalaan besonders schwer zu durchdringen war, hatten Geologen gesellschaftlich ein besonders hohes Ansehen. Niemand war wichtiger als sie, denn ohne ihre Erkenntnisse war es schwierig, neue Siedlungen zu bauen.
Und so genial auch jene Spezialisten sein mochten, die es geschafft hatten, eine Technik zu entwickeln, um das Hyperfunknetz der Galaxis abzuhören und die Garaseen damit zu überwiegend stillen Teilnehmern einer kosmischen Kommunikation zu machen, ging nichts über die Geologen. Erstere hatten zwar im wahrsten Sinn des Wortes das Weltbild der Garaseen verändert, aber Letztere drangen in die Tiefe vor. Und die Tiefe war für die Garaseen ein mythischer Ort. Auch darum hatten Geologen ein besonders hohes Ansehen. Nach ihnen kamen gleich jene Ingenieure, die Grabmaschinen erfunden hatten, mit denen die Garaseen in die Tiefe vordrangen.
Ra-Ten stand vor einer wichtigen Aufgabe und hatte ein Problem. Er brauchte dafür einen Kollegen, der idealerweise über dieselben Fähigkeiten verfügte wie er selbst.
Die Lösung hieß, sich zu teilen. Für die Garaseen war das ohnehin die übliche Form der Vermehrung. Voraussetzung war, dass man mindestens eine Körpermasse von ungefähr einem Kilogramm erreicht hatte. Der Teilungsprozess war bei Ra-Ten bereits voll im Gang. Er hatte sich dazu in seine Privatgemächer zurückgezogen.
Wie lange so ein Teilungsprozess dauerte, war schwer vorherzusagen. Ra-Ten hoffte, zu Beginn seiner nächsten Arbeitsperiode wieder einsatzfähig zu sein. Und dann sogar zweifach!
Langsam teilte sich aus dem scheinbar schleimigen, zähflüssigen Masseklumpen, der die übliche Ruheform eines Garaseen-Körpers darstellte, ein zweiter, gleichgroßer Klumpen ab.
Am Ende dieses Prozesses standen dann zwei Garaseen, die in diesem Moment vollkommen identisch waren. Sie verfügten über dieselben Erinnerungen, dasselbe Wissen und bis auf die molekulare Ebene jeder einzelnen Zelle hinab über die gleiche Struktur. Aber vom Augenblick der Duplizierung an entwickelten sie sich unterschiedlich und wurden zu verschiedenen Individuen, die im Laufe der Zeit immer weniger Gemeinsamkeiten hatten.
Der Teilungsprozess stand bei Ra-Ten nun kurz vor dem Abschluss.
Ein paar Augenblicke dauerte es noch, dann hatten sich aus einem Garaseen-Körper zwei gebildet.
Funken und Blitze sprühten plötzlich zwischen den beiden identischen Klumpen.
Die Garaseen verfügten über die Fähigkeit, elektrische Impulse bis hin zu starken Stromstößen abzugeben. Ihre Vorfahren hatten diese Fähigkeit als Jagdwaffe benutzt. In diesem Fall war es Teil eines uralten Rituals, das festlegte, wer von beiden Duplikaten einen neuen Namen annehmen musste.
Das archaische Blitzritual war innerhalb weniger Augenblicke vorbei.
Auf der Oberfläche beider Organismen formten sich Münder.
»Ich bleibe Ra-Ten«, sagte einer der beiden.
»Ich werde Zu-Gon«, erklärte der andere.
»Ich bin froh, dich als Mitarbeiter begrüßen zu dürfen«, erwiderte Ra-Ten. »Das Projekt, mit dem ich mich momentan beschäftigte, ist sonst einfach nicht zu bewältigen.«
»Ich weiß«, pflichtete Zu-Gon ihm bei, denn er verfügte ja noch über die gleichen Erinnerungen, das gleiche Wissen und die gleichen Fähigkeiten wie Ra-Ten. Er wusste folglich in jeder Hinsicht Bescheid, was in dieser Situation ein immenser Vorteil war.
Ra-Ten hatte sich oft gefragt, wie es überhaupt möglich war, dass auch Wesen, die sich durch Rekombination ihrer Gene vermehrten, sich zivilisatorisch entwickeln konnten. Es widersprach nämlich jeder Logik. Diese Wesen starben in der Regel irgendwann. Und mit dem Tod ging auch ihr Wissen verloren. Es musste bei den Rekombinierern in der nächsten Generation oft vollkommen neu erworben werden. Wie war da eine Entwicklung überhaupt möglich?
Dass es erstaunlicherweise doch möglich war, bewiesen die Informationen aus dem Hyperfunknetz und die gelegentlichen Besuche von Außenweltlern. Erstaunlich war es trotz alledem. Aber es widersprach ja auch eigentlich jeder Logik, dass es eine überlichtschnelle Kommunikation gab – und trotzdem hatten Wissenschaftler eine derartige Möglichkeit entdeckt und dadurch den Zugang zu unvorstellbar weit entfernten Zivilisationen gefunden.
Ein Garaseen starb nur durch Unfall, Krankheit oder Mord. Sein Wissen ging nicht verloren, weil er sich im Laufe seiner Existenz immer wieder duplizierte.
Da der Tod mit zunehmendem technischen und medizinischen Fortschritt unter den Garasaeen ein immer seltener werdendes Phänomen geworden war, wurde der kulturelle Mythos darum immer bedeutender. Die Toten, so glaubten die Garaseen, wohnten in der Tiefe. Dass ihr Bewusstsein, ihr Wissen und jener Teil ihrer Erinnerungen, die sie nicht mit ihren bereits existierenden Duplikaten teilten, verloren sein sollte, war für die Garaseen unvorstellbar.
Es war schon eine gewisse Ironie, dass die Garaseen in der Lage waren, die Hyperfunkkommunikation fernster Planeten und Raumschiffe zu empfangen, aber letztlich nicht an jenen mythischen Ort in der Tiefe vordringen konnten, an dem ihrem Glauben nach die Toten wohnten.
Anzunehmen, dass dieser Ort vielleicht nichts weiter als eine tröstliche Fiktion der Garaseen war, gehörte zu den wenigen Tabus, die ihre Gesellschaft kannte.
Zu-Gon veränderte jetzt seine Körperform. Er nahm die sogenannte Zweckform an. Sie bestand meistens aus einem Körper, der sich aus einem Kopf, einem Rumpf, zwei Extremitäten zum Greifen und zwei Extremitäten zum Laufen zusammensetzte.
Es gab da durchaus Variationen. Manche Garaseen bevorzugten für bestimmte Tätigkeiten eine modifizierte Zweckform, zum Beispiel mit sechs Extremitäten, von denen dann wahlweise vier zum Laufen und zwei zum Greifen oder umgekehrt vier zum Greifen und zwei zum Laufen gedacht waren. Aber die Zweckform, die Zu-Gon jetzt einnahm, entsprach der Standardform. Eigenartigerweise entsprach diese Standardform auch dem Körperschema vieler anderer intelligenter Lebensformen in der Galaxis, wie man inzwischen festgestellt hatte, obwohl deren Körper meistens um ein Vielfaches größer und massereicher waren. Aber die Gestalt war ähnlich, was dafür sprach, dass die Zweckform tatsächlich zweckmäßig war.
Zumindest galt das für Lebensformen, die eine technische Zivilisation gegründet hatten.
Ob das irgendeiner Gesetzmäßigkeit entsprach, war unter den Wissenschaftlern der Garaseen umstritten. Wahrscheinlich war die Datenbasis einfach nicht groß genug, um das zu beurteilen. Schließlich hatte man ja nur Kenntnisse von außerweltlichen Zivilisationen, deren technologisches Niveau es erlaubt hatte, fortgeschrittene und lichtjahreweit reichende Kommunikationsmittel zu erfinden. Und das war vielleicht kein repräsentativer Ausschnitt.
Ra-Ten nahm nun ebenfalls die Zweckform ein.
»Gehen wir an die Arbeit«, sagte er. Dabei bildete sich ein Sprechmund.
Seitdem es Kontakte zu Außenweltlern gab, hatte sich schleichend die Mode verbreitet, den Mund im Kopf zu bilden. Traditionell war das bei den Garaseen eigentlich nicht festgelegt. Sinneszellen am Kopf zu konzentrieren, war sinnvoll und brachte für die meisten Tätigkeiten einige Vorteile.
Beim Sprechmund war das eigentlich ziemlich gleichgültig. Wenn man so wollte, konnte man in der Bevorzugung des Kopfes für die Ausbildung des Sprechmundes bereits eine schleichende kulturelle Beeinflussung durch die Außenwelten sehen – was konservative Kritiker auch scharf kritisierten. So gab es Garaseen, die demonstrativ den Sprechmund gerade nicht am Kopf, sondern am Rumpf ausbildeten.
Ra-Ten gehörte nicht zu diesen Kritikern. Er konnte nichts Schädliches daran erkennen, dass Moden der Außenwelten auf diese Weise die Kultur der Garaseen zumindest in geringem Maße beeinflussten. Das war seiner Ansicht nach vielmehr unvermeidlich. Letztlich fand er, dass es nur dem Umstand geschuldet war, dass Garaseen in der Lage waren, ihre Körperform zu variieren, was nur wenigen Intelligenzen möglich war.
Die meisten vernunftbegabten Lebensformen, deren Botschaften die Garaseen bisher empfangen hatten, lebten permanent in ihrer Zweckform, die darüber hinaus auch noch dauerhaft festgelegt war.
Wie man es aushalten konnte, permanent eine Zweckform einzuhalten, war Ra-Ten unverständlich. Ein Leben ohne Zeiten in Ruheform erschien ihm unvorstellbar. Aber in diesem Punkt, so hatte es den Anschein, waren die Garaseen wohl eher nicht der Standard des Universums, sondern eine von relativ wenigen Ausnahmen.
Obwohl Ra-Ten also nicht zu den Kritikern des Außenweltler-Einflusses gehörte, pflegte er trotzdem seinen Sprechmund jedes Mal an einer anderen Stelle auszubilden. Mal am Kopf, mal am Rumpf. Hin und wieder sogar am Greiforgan einer Extremität. Zu häufiges Wechseln der Sprechmundposition konnte verwirrend auf den Gesprächspartner wirken. Zwei-, dreimal innerhalb eines Gesprächskontaktes waren aber durchaus im Bereich des Üblichen.
Ra-Ten widerstrebte es einfach, sich festzulegen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Das entsprach seiner ganzen charakterlichen Einstellung zum Leben und war vielleicht auch die Basis seiner tief verwurzelten grundsätzlichen Skepsis als Wissenschaftler. Alles musste angezweifelt und verändert werden, und wenn man sich zwischen verschiedenen, konkurrierenden Hypothesen entscheiden musste, dann tat man dies am besten zu einem möglichst späten Zeitpunkt, wenn man der wissenschaftlichen Wahrheit näher kommen wollte.
Und da bei Zu-Gon in diesem Augenblick noch so gut wie keine erkennbare differente Eigenentwicklung stattgefunden hatte, teilte sein Duplikat auch diese Vorliebe.
»Es geht um ein positives Bewuchsmerkmal«, stellte Zu-Gon fest.
»So ist es.«
»Es muss ein sehr großes Objekt darunter liegen.«
»Ja, und das weitere Vorgehen bereitet mir aus verschiedenen Gründen Kopfzerbrechen.«
»Du brauchst fachlichen Rat.«
»Und möglicherweise einen argumentativ gleichwertigen Widerspruch, wenn es sein muss.«
»Es könnte eines der interessantesten archäologisch-geologischen Projekte unserer Geschichte daraus erwachsen«, meinte Zu-Gon. »Das Objekt ist vermutlich älter als jede Erinnerung.«
Älter als jede Erinnerung …
Das war ein festgelegter Begriff bei den Garaseen.
Da die Garaseen die Erinnerung all ihrer Vorfahren in sich trugen, bedeutete »älter als jede Erinnerung«, dass etwas vor der Zeit der Garaseen bereits existiert hatte. Denn sonst wäre es sehr wahrscheinlich gewesen, dass sich in irgendeinem Garaseen die Erinnerung daran bewahrt hatte.
Tatsächlich war die Reaktivierung uralter, vielleicht lange nicht mehr abgerufener und daher auch nicht sofort gegenwärtiger Erinnerungen eine der wichtigsten Methoden, die von Archäologen und Geschichtswissenschaftlern auf Covvalaan angewendet wurde.
Durch die Aktivierung solcher Erinnerungen fand man die Lage uralter, längst aufgegebener Städte und Siedlungen. Das Auffinden von archäologischen Artefakten wiederum konnte die uralten Erinnerungen bei vielen Garaseen unter Umständen reaktivieren und auf diese Weise auch altes Wissen bewahren, das ansonsten trotz des genetischen Gedächtnisses der Garaseen irgendwann verloren gegangen wäre.
Aber wenn sich trotz intensiver Nachforschungen und Aufrufe in den Funknetzwerken der Garaseen niemand fand, der sich auch nur bruchstückhaft an ein Objekt oder die Geschehnisse an einem bestimmten Ort erinnern konnte, dann war die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Ereignisse in der Zeit vor jeder Erinnerung stattgefunden hatten.
Eine mythische Zeit und in den kulturellen Vorstellungen der Garaseen fast genauso wichtig wie die Tiefe, in der die Toten wohnten.
Zu-Gon ging auf die Wand des Raums zu, in dem sich die beiden Garaseen aufhielten. Er streckte eine Extremität aus. Ein Blitz zuckte. Er hatte einen schwachen elektrischen Impuls abgegeben, der für die Aktivierung einer dreidimensionalen Projektion sorgte.
Die Projektion zeigte das Gebiet mit dem positiven Bewuchsmerkmal. Das bedeutete, dass sich die Vegetation innerhalb des Merkmals deutlich von der Umgebung unterschied. Dies konnte ein Hinweis darauf sein, dass sich unter der Oberfläche etwas befand, dessen chemische Zusammensetzung von der Bodenbeschaffenheit, die eigentlich in dem betreffenden Gebiet herrschte, differierte – und zwar so stark, dass damit die Vegetation beeinflusst wurde.
»Die Aufnahme entstand bei einem Überflug mit dem Ornithopter«, sagte Zu-Gon. »Der Datenbefund und die Vegetationsanalyse können auf ein archäologisches Fundgebiet hinweisen.«
»Aus einer Zeit vor jeder Erinnerung«, sagte Ra-Ten.
»Was in diesem Fall nicht verwunderlich ist. Das Gebiet, um das es geht ist, ist seit jeher nahezu unbesiedelt gewesen.«
In die Projektion wurden Datenkolonnen eingeblendet. Es gab Gebiete, in denen die Bodenbeschaffenheit zu hart war, um subplanetare Siedlungen zu gründen.
Manchmal stand der Aufwand auch einfach nicht in einem vernünftigen Verhältnis zum Ergebnis. Im Notfall siedelte man dann über einer besonders harten Gesteinsformation sogar an der Oberfläche, was für die meisten Garaseen allerdings sehr gewöhnungsbedürftig war.
Hier lag der Fall anders.
Der Grund dafür, dass in dem Gebiet nie gesiedelt worden war, war genau das Gegenteil.
Der Boden war über lange Perioden hinweg zu weich und nachgiebig gewesen. Subplanetare Hohlräume hatten die Instabilität ebenso befördert. Letztlich lief es darauf hinaus, dass in der Vergangenheit die Errichtung unterirdischer Siedlungen technisch hier nicht möglich gewesen wäre. Mit dem jetzigen Stand der Bautechnik hätte man Stollen und Gebäude im Boden ausreichend stabilisieren können, aber bislang hatte niemand an so einem Projekt Interesse gezeigt.
Der Grund dafür, dass das, was möglicherweise im Boden verborgen lag, vor jeder Erinnerung war, konnte also auch darin liegen, dass einfach nie zuvor ein Garaseen in dieser Gegend gelebt hatte.
»Die Idee, dass es unfassbar alt ist, was unter dem Bewuchsmerkmal liegt, fasziniert dich«, stellte Zu-Gon fest.
Der Sprechmund, den Ra-Ten im Augenblick mitten auf seinem Rumpfkörper gebildet hatte, verzog sich leicht, was bei den Garaseen durchaus eine kommunikative Funktion hatte. »Niemand kennt mich so wie du«, musste Ra-Ten zugeben.
»Könnte es sein, dass sich deine Faszination für Objekte vor jeder Erinnerung auf dein Urteilsvermögen auswirkt?«
»Genau das ist die Frage, die ich mir stelle. Ich wüsste gerne, was dieses Ding unter dem Bewuchsmerkmal ist.«
»Schon die Annahme, dass es da ein Ding gibt, ist noch nicht einmal eine begründete Hypothese«, gab Zu-Gon zu bedenken. »Es ist die Frage, ob du die Aufnahme von Grabungsarbeiten anordnest oder nicht. Falls sich deine Hoffnungen auf einen sensationellen Fund nicht erfüllen sollten, dann wirst du dich der Kritik stellen müssen. Und so hoch das Ansehen eines Leitenden Geologen auch sein mag – es könnte sein, dass man dir für künftige Projekte die Verfügungsgewalt über den Ressourceneinsatz entzieht.«
»In diesem Fall hoffe ich, dass du dich bewirbst, Zu-Gon. Du wärst mein logischer Nachfolger, denn es gibt sonst niemanden, der in Bezug auf derartige Projekte über vergleichbare Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt.«
»Wenn meine differente Entwicklungsphase nach der Teilung schon länger zurückliegen würde, wäre das sicherlich naheliegend. So aber könnten Bedenken gegen mich vorgebracht werden.«
Der Sprechmund von Ra-Ten wurde jetzt sehr schmal. Wie man die Sache auch drehte und wendete, es blieb immer ein Restrisiko. »Tatsache ist, dass eine Entscheidung getroffen werden muss«, stellte Ra-Ten dann fest.
»Wir sollten die Angelegenheit vom Ende her überdenken«, schlug Zu-Gon vor.
»Das ist eine gute Idee«, gab Ra-Ten zu.
Eine Pause des Schweigens folgte. Zu-Gon ließ winzige elektrische Blitze zwischen den Fingern seiner Greifextremität hin- und herzucken. Das diente der Konzentration. Eine Angewohnheit, die er natürlich mit Ra-Ten teilte, wie dieser amüsiert feststellte.
»Dieses hypothetische existierende Objekt unter dem Bewuchsmerkmal könnte Verschiedenes sein«, begann Zu-Gon schließlich. »Hypothese Nummer Eins: Überreste eines abgestürzten Himmelskörpers. So etwas hat es immer wieder gegeben.«
»Dagegen spricht, dass abstürzende Himmelskörper dieser Größe in der Atmosphäre zumeist auseinanderbrechen und die Bruchstücke dann meistens in einem größeren Umkreis zu finden sind, als es hier der Fall ist.«
»Das hängt davon ab, aus welchem Material der abstürzende Himmelskörper überwiegend besteht und wie hoch seine Dichte ist.«