Ren Dhark – Weg ins Weltall 88: Wo ist Dan Riker? - Alfred Bekker - E-Book

Ren Dhark – Weg ins Weltall 88: Wo ist Dan Riker? E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Die Raumkadetten der Flotte der Unabhängigen Siedlerwelten brechen mit der ANZIO zu ihrem ersten Ausbildungsflug auf. Alles nimmt seinen gewohnten Gang, aber ist der harmlos wirkende, fremde Planet, der für die Bodenübungen ausgesucht wird, wirklich so unberührt, wie es zunächst den Anschein macht? Auf der Erde und auf Babylon hält unterdessen zunehmend wieder die Normalität Einzug. Ren Dhark und seine Getreuen tragen ihr Teil dazu bei, bis eine Frage auftaucht, die Anlass zu großer Sorge bietet: Wo ist Dan Riker? Alfred Bekker, Jan Gardemann und Nina Morawietz schrieben einen mitreißenden SF-Roman nach dem Exposé von Ben B. Black.

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Seitenzahl: 369

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 88

Wo ist Dan Riker?

 

von

 

Jan Gardemann

(Kapitel 1 bis 7)

 

Nina Morawietz

(Kapitel 8 bis 14)

 

Alfred Bekker

(Kapitel 15 bis 19)

 

und

 

Ben B. Black

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Vorwort

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

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Impressum

Vorwort

Letzthin rief mich mein Sohn an. Er hatte sich im Sonderangebot einen WLAN-Lautsprecher für sein Badezimmer gekauft und dann bei der Inbetriebnahme festgestellt, dass die Box nicht ganz seinen Erwartungen entspricht. Bevor er sie zurückbrachte, wollte er wissen, ob ich vielleicht Interesse daran hätte, denn durch das erwähnte Sonderangebot war sie doch sehr günstig.

Nun ist es so, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt WLAN-Lautsprecher nur dem Namen nach kannte und mir auch die Funktion dahinter noch nicht so recht vorstellen konnte. Ich bin nämlich, wie vermutlich die meisten von Ihnen, liebe Leser, noch mit einer klassischen Stereoanlage aufgewachsen, und da ist unsereinem ziemlich klar, wie der Hase läuft, sprich: wie der modulierte Strom zu den Lautsprechermembranen gelangt.

Jedenfalls wurde ich durch den Anruf neugierig, und da ich neuen Technologien nach wie vor sehr aufgeschlossen gegenüberstehe, dachte ich, ich versuche es mal mit dieser WLAN-Box, zumal meine Frau und meine Wenigkeit auch schon seit einiger Zeit darüber nachdenken, unser Wohnzimmer klanglich zu »renovieren«.

Bei der Einrichtung des neuen »Möbels« waren dann ein paar Hürden zu überwinden, aber am Ende spielte die Box so, wie es sich gehört. Angenehm empfand ich dabei vor allem den Umstand, dass sie lediglich eine Steckdose in Reichweite braucht, weil der Rest, wie die Bezeichnung ja schon vermuten lässt, über WLAN läuft.

Recht schnell kam ich dann auch darauf, dass es möglich ist, unsere ganze Musik in Form von MP3-Dateien auf einen USB-Stick zu kopieren und diesen dann in den Router einzustecken, damit die WLAN-Box auch dann wiedergeben kann, wenn kein PC läuft und sich auch gerade kein Tablet mit entsprechenden Dateien im heimischen Netzwerk befindet. Klanglich ist das Ganze ebenfalls sehr ansprechend, und wir haben uns daraufhin sogar entschlossen, der ersten Box eine zweite hinzuzugesellen, sodass unser Wohnzimmer jetzt bei Bedarf mit Stereoklängen erfüllt wird.

Eine entsprechend lange Play-Liste mit unseren Lieblingstiteln sorgt dafür, dass wir jederzeit auf einen simplen Knopfdruck hin Musik hören können. Obendrein lässt sich die Wiedergabe mittels einer App bequem via Smartphone oder Tablet steuern, und zwar von jedem beliebigen Standort aus, der eine Verbindung zum heimischen Netzwerk erlaubt.

Ich bin einmal mehr begeistert davon, was technisch inzwischen alles möglich ist, und wenn man dann sieht, dass derselbe Hersteller auch Lautsprecherboxen anbietet, die in Paneele für Wand oder Decke integriert sind, dann ist man eigentlich schon bei dem angelangt, was in unser aller Lieblingsserie »Schallfelder« genannt wird.

Apropos REN DHARK: Ein alter Bekannter meldet sich im vorliegenden Buch mit einem Romanteil zurück. Die Rede ist von Alfred Bekker, der den Stammlesern unter Ihnen sicherlich noch ein Begriff ist. Wie gewohnt erzählt Alfred flüssig und spannend, und ich bin überzeugt davon, dass Sie die Lektüre ebenso genießen werden wie ich.

Nun ist es aber an der Zeit, sich einer Frage zuzuwenden, die sich für den aufmerksamen Leser vermutlich bereits im letzten Band abgezeichnet hat und deren zunehmende Dringlichkeit auch dazu führt, dass sich unser weißblonder Raumfahrer mit ihr auseinandersetzen muss: Wo ist Dan Riker?

 

Stuttgart, im November 2019

Ben B. Black

Prolog

Im Herbst des Jahres 2067 scheint sich das Schicksal endlich einmal zugunsten der Menschheit entwickelt zu haben. Deren Hauptwelt heißt längst nicht mehr Terra, sondern Babylon. 36 Milliarden Menschen siedelten auf diese ehemalige Wohnwelt der Worgun um, als die irdische Sonne durch einen heimtückischen Angriff zu erlöschen und die Erde zu vereisen drohte. Mittlerweile konnte die Gefahr beseitigt werden, und das befreundete Weltallvolk der Synties hat den Masseverlust der Sonne durch die Zuführung interstellaren Wasserstoffgases wieder ausgeglichen. Die Erde ist erneut ein lebenswerter Ort, auf dem allerdings nur noch rund 120 Millionen Unbeugsame ausgeharrt haben. Die neue Regierung Terras unter der Führung des »Kurators« Bruder Lambert hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Planeten nach dem Vorbild Edens in eine Welt mit geringer Bevölkerungsdichte, aber hoher wirtschaftlicher Leistungskraft zu verwandeln, und ist deshalb nicht bereit, die nach Babylon Ausgewanderten wieder auf die Erde zurückkehren zu lassen.

Noch im selben Jahr nimmt Ren Dhark das Angebot des Industriellen Terence Wallis an und lässt seinen Körper mit Nanorobotern behandeln, die ihn und sieben von ihm Auserwählte unsterblich machen. Doch anstatt sich mit seiner nun vollständig veränderten Lebensperspektive beschäftigen zu können, muss sich Ren Dhark einer neuen Aufgabe stellen: Eine unbekannte Macht namens Kraval sorgt dafür, dass der Hyperraum nicht länger zugänglich ist, doch Ren Dhark und seinen Getreuen gelingt es, auch dieser Bedrohung erfolgreich zu begegnen, nur um sich sogleich einem viel größeren Problem gegenüberzusehen: Im Zentrum der Milchstraße ist ein Miniuniversum entstanden, das exponentiell wächst und dadurch droht, das bekannte Universum innerhalb weniger Jahre zu vernichten. Mithilfe der Nomwarun schafft man es schließlich, auch diese Gefahr zu meistern.

Im Sommer des Jahres 2072 scheint dann endlich die Normalität in der Milchstraße zu herrschen, die sich jedermann wünscht. Da werden Arc Doorn, Chris Shanton und Amy Stewart durch ein Lichtphänomen aus einer uralten Einrichtung der Wächter unterhalb des Titicacasees in die Galaxis Voktar verschlagen. Ren Dhark eilt seinen Freunden zu Hilfe, und nach einer kleinen Odyssee gelingt es den Terranern im Sommer 2073 endlich, wieder in die Milchstraße zurückzukehren.

Kaum zu Hause, bekommen es die Raumfahrer mit jemandem zu tun, der offenbar bewohnte Planeten mit tödlichen Seuchen überzieht. Auf der Suche nach Hinweisen auf den Verbleib des geheimnisvollen Fremden dringt die POINT OF ins Hoheitsgebiet des Telin-Imperiums vor. Dort gelingt es schließlich, Kharamak zu stellen, doch der Krayn lässt Ren Dhark und seinen Begleitern keine andere Wahl, als ihn zu töten.

Die Terraner befinden sich bereits wieder auf dem Heimweg, als sie von den Tel dazu aufgefordert werden, bei der Aufklärung einer Reihe bestialischer Morde auf der Forschungswelt Reshaf zu helfen. Der Täter entpuppt sich als ein Teil des Bakterienmannes, dem Ren Dhark und seine Getreuen bis Babylon folgen, wo dessen Large jedoch bereits von der BF abgeschossen wurde.

Während die Besatzung der POINT OF ihren wohlverdienten Urlaub auf der neuen Zentralwelt der Menschen genießt, kommt es immer wieder zu Störungen in der bis dato reibungslos arbeitenden Technik. Auf Babylon bricht das Chaos aus, viele Bewohner suchen ihr Heil in der Flucht, was zu neuen Reibereien führt. Eine Flotte von rund 1.000 fremden Ringraumern nimmt auf Babylon noch mehr Fluchtwillige auf und bringt sie ins Sol-System, wo sie jedoch zunächst nicht willkommen sind, bis Ren Dhark eingreift und einen für alle Beteiligten akzeptablen Kompromiss aushandeln kann. Die POINT OF nimmt wieder Kurs auf Babylon, wo deren Besatzung noch ein paar Tage der Erholung genießen möchte …

1.

Entspannt schlenderte Ren Dhark den Korridor entlang, erwiderte gutgelaunt die Höflichkeiten der Mannschaftsmitglieder, die seinen Weg kreuzten, und freute sich auf den bevorstehenden Arbeitstag in der Zentrale der POINT OF. Amy Stewart, seine Lebensgefährtin, konnte es sich erlauben, noch ein paar Stunden länger im Bett liegen zu bleiben, und rekelte sich, wie der weißblonde Raumfahrer vermutete, gerade wohlig, während sie in den Erinnerungen an die zurückliegende gemeinsame Nacht schwelgte. An Tagen wie diesem, an denen es an Bord des Ringraumers ausnahmsweise einmal nichts anderes als Routinearbeiten zu erledigen gab, fand Dhark die Muße, um zu erkennen, wie wertvoll diese ereignislosen Momente doch waren. Einmal nicht an irgendwelche brennenden Probleme zu denken kam viel zu selten vor, sodass es eine Schande gewesen wäre, diesen Augenblick jetzt nicht auszukosten.

Dies sahen die Männer und Frauen, denen Dhark auf dem Ringkorridor begegnete, offenbar ähnlich, denn ihre Gesichter wirkten gelöst und ihr Schritt beschwingt. Eine schwierige Phase, in der es etliche Probleme zu lösen gegeben hatte, lag hinter ihnen, und nun fielen Anspannung und Sorge langsam von der Mannschaft ab. Mit Stolz konnten sie auf das Geleistete zurückblicken und für einen Moment durchatmen. Niemand konnte wissen, wann sich die nächste Katastrophe anbahnte oder sich eine neue Gefahr für die Menschheit im Weltraum zusammenbraute. Schon in der nächsten Stunde konnte es mit der Ruhe und dem entspannten Alltagstrott bereits wieder vorbei sein …

»He, Ren Dhark, altes Haus!«, dröhnte eine mächtige Stimme hinter dem ehemaligen Commander der Planeten auf. »Einen schönen Tag wünsche ich dir!«

Ein breites Grinsen auf den Lippen blieb Dhark stehen und drehte sich um.

Vor der Krümmung des Ringkorridors galoppierte ein vier Meter großes Ungetüm auf seinen vier massigen, säulenartigen Beinen auf ihn zu. Die beiden kräftigen tentakelartigen Arme des Kraval schlängelten beim Laufen grotesk umher, so als würde er eine Beschwörung abhalten. Auch sonst verrieten die geschmeidigen, fließenden Bewegungen des Kolosses, dass seine umfangreichen Gliedmaßen aus nichts anderem als reinen Muskelschläuchen bestanden und kein einziger Knochen die geschmeidigen Bewegungsabläufe hemmte. Die extrem starken Muskeln des Kraval zeichneten sich wulstartig unter der Außenhaut aus stabilen Hornschuppen ab und muteten wie sich unter den Schuppen windende mächtige Schlangen an.

Dhark wusste, dass Parock trotz seines massigen Körpers extrem weite Sprünge ausführen konnte, denn er stammte von einer Welt mit einer Anziehungskraft von beachtlichen vier Gravo. Solche Sprünge ließen sich in der POINT OF wegen der für einen Kraval geringen Höhe der Räumlichkeiten natürlich nicht durchführen, weshalb sich Parock darauf verlegte zu rennen, wenn er es eilig hatte. Damit er dabei wegen der für ihn schwachen Schwerkraft nicht ungewollt emporschnellte, fing er die Bewegungsenergie teilweise mit seiner geschmeidigen Gangart ab.

Während Parock auf seinen Freund zueilte, wichen die Besatzungsmitglieder, die sich in seiner Laufrichtung aufhielten, vorsorglich bis an die Korridorwände zurück. Auch Dhark setzte sich beim Anblick des auf ihn zustürmenden Kolosses unwillkürlich in Bewegung, wobei er rückwärts ging, um seinen bulligen Freund im Auge zu behalten.

Als der Kraval den Commander schließlich erreichte, verfiel er augenblicklich in eine langsamere Gangart.

»Warum hast du es so eilig?«, erkundigte sich Dhark und fasste nach dem dünnen Ende von Parocks rechtem Tentakelarm, das er ihm wie zum Gruß entgegenstreckte.

»Ich hoffe auf spannende Neuigkeiten, wenn ich die Zentrale erreiche«, erwiderte der Koloss von Brock in aufgeräumter Stimmung. »Bei euch Terranern ist doch ständig irgendetwas los!«

»Momentan bin ich recht zufrieden damit, dass nichts los ist«, entgegnete Dhark.

Parock fuchtelte aufgebracht mit den Armen. »Dieser Zustand hält doch schon an, seit wir vor ein paar Tagen das Telin-Imperium hinter uns gelassen haben. Wir haben das Bakterienmannsegment wieder mit dem Bakterienmann vereint und die Gefahr beseitigt, die von den künstlichen Bakterien der Nomwarun ausging … Und Taret Londok hat uns auch verlassen und ist zu seinen Artgenossen, den Tel, zurückgekehrt. Es wird also Zeit für ein neues Abenteuer!«

Dhark sah zu seinem Freund auf und blickte in dessen von Wülsten, Wölbungen und den aufgeworfenen Lippen geprägtes Gesicht. Das massige Haupt wurde obenherum von großen Hornplatten geschützt, die wie eine Kopfbedeckung anmuteten. »Langweilst du dich etwa?«

Parock wiegte abwägend den Schädel hin und her. »Ich schätze die Untätigkeit eben nicht besonders.«

»Wenn wir Babylon erreichen, wird es dort noch genug für uns zu tun geben«, beschwichtigte Dhark. »Die Aufräumarbeiten auf der neuen Heimatwelt der Menschen sind zwar in vollem Gange, doch in manchen Stadtteilen der Pyramidenstädte wird noch gekämpft. Ein paar der Warlords wollen es partout nicht einsehen, dass die Unruhen vorbei sind und nun wieder Ordnung und Rechtsstaatlichkeit einkehren.«

Parock sah den Commander erwartungsvoll an. »Ich werde sehr gerne dabei helfen, diese Störenfriede zur Vernunft zu bringen.«

»Wir sind keine Ordnungshüter, sondern Sternenforscher«, erinnerte Dhark den Kraval. »Auf Babylon für Recht und Ordnung zu sorgen ist Aufgabe der örtlichen Polizeibehörden.«

Parock winkte ab. »Ach, die sind mit der Situation doch bestimmt noch immer überfordert und freuen sich, wenn wir ihnen unter die Arme greifen.«

»Wir werden sehen.«

Die beiden erreichten die Tür der Zentrale, die prompt vor ihnen aufglitt, als sie in den Erfassungsbereich der Sensoren gerieten.

*

Obwohl es im Grunde nicht viel zu tun gab, hielten sich alle diensthabenden Offiziere an ihren Arbeitsstationen auf. Sogar Chris Shanton und Arc Doorn, deren Anwesenheit nicht zwingend erforderlich gewesen wäre, weilten in der Zentrale. Die beiden langjährigen Freunde standen vor der Bildkugel und diskutierten angeregt über ein kosmologisches Phänomen, das in der Kugel dargestellt wurde. Neben den beiden Männern räkelte sich der Roboterhund Jimmy auf dem Boden und gefiel sich darin, sich wie ein waschechter biologischer Scotchterrier zu geben.

Dharks Blick glitt zu der Eingabewand des Hyperkalkulators hinüber. Dort hielt sich Artus, der intelligent gewordene Großserienroboter, auf. Er winkte dem Commander mit einem seiner röhrenförmigen Arme grüßend zu. Dhark erwiderte die Geste und sah dann zur Galerie empor, die auf Höhe des Zwischendecks rund um die Zentrale verlief. Die Ringtransmitter schimmerten bläulich und tauchten die Wachhabenden, die dort oben patrouillierten, in fahles Licht.

Während sich Parock zu seinem Spezialsessel begab, schritt Dhark auf Hen Falluta zu, um sich von seinem Ersten Offizier einen Bericht über die Lage geben zu lassen. Wie nicht anders erwartet, hatte Falluta nichts von Belang zu melden. Die Schiffssysteme arbeiteten alle einwandfrei, und auch draußen im Weltall schien, abgesehen von dem kosmologischen Phänomen, dem Shantons und Doorns Aufmerksamkeit galt, alles ruhig zu sein.

Dhark nahm im Kommandantensessel Platz und schlug müßig die Beine übereinander. »Gibt es Neuigkeiten von Babylon?«, rief er Glenn Morris, dem Ersten Funkoffizier, zu, der in seiner Funkbude hockte und gemächlich an den Armaturen herumhantierte.

»Ich fertige gerade eine Zusammenfassung der Meldungen an, die uns während der Nachtphase erreicht haben«, erklärte Morris, ohne dabei in seinem Tun innezuhalten. »Die Berichte von Terra-Press Babylon sind sehr detailliert und mit Hintergrundinformationen angereichert. Es wird noch ein paar Minuten dauern, bis ich die Meldungen, die für uns relevant sind, herausgefiltert habe.«

Dhark hob beschwichtigend die Hände. »Lassen Sie sich nicht stressen, Glenn. Es eilt ja nicht.« Der weißblonde Raumfahrer sah zu Shanton und Doorn hinüber.

Chris, ein leicht schwergewichtiger Ingenieur mit Halbglatze, fuhr sich mit der Hand beständig über den Kinnbart, während er seine buschigen Augenbrauen konzentriert über der Nasenwurzel zusammenzog und eindringlich auf seinen Freund einredete. Doorn, ein Worgunmutant in der Gestalt eines Terraners und frühmorgens zumeist ausgesprochen unkommunikativ, hörte Shanton mit grimmiger Miene zu. Die Arme vor seiner breiten Brust verschränkt schüttelte er seine langen roten Haare, was Dhark als Zeichen seines Missfallens deutete.

Dhark erhob sich aus seinem Sessel und gesellte sich zu seinen beiden Kameraden. »Was gibt es denn?«, erkundigte er sich, nachdem er die beiden Männer mit Handschlag begrüßt hatte. Er warf einen Blick auf die Bildkugel. Der grauschimmernde kosmische Nebel sah nach seinem Dafürhalten nicht eben spektakulär aus. Wenn die Partikel nicht das Licht einer weit entfernten Sonne eingefangen und gebrochen hätten, wären sie mit optischen Systemen nicht wahrzunehmen gewesen. Hin und wieder glaubte Dhark, ein rötliches Aufblitzen in der Wolke zu bemerken, doch der Effekt schien eher marginal zu sein.

»In dieser Wolke befinden sich Spuren von Tofirit«, erläuterte Shanton und deutete auf eine in die Bildkugel eingeblendete Liste, die der Checkmaster anhand der von den Spürern ermittelten Daten angefertigt hatte. »Ich meine, wir sollten uns das einmal genauer ansehen.«

Doorn schüttelte erneut den Kopf. »Zusammengerechnet befinden sich nur einige wenige Mikrogramm dieses rotfunkelnden Metalls in der Staubwolke. Ansonsten besteht sie aus Eiskristallen und Gesteinsstaub, nichts, was die Mühe einer genaueren Untersuchung rechtfertigen würde.«

»Tofirit dient als Energiequelle für den Betrieb aller auf Mysterious-Basis arbeitenden Technik«, gemahnte Shanton, »einschließlich der Ringraumer, und ist daher von überragender Bedeutung.«

Doorn winkte ab. »Und wenn schon. Es gibt etliche Tofirit-Quellen. Diese minimale Ansammlung von Partikeln ist daher völlig unbedeutend.«

Shanton deutete mit einer ausladenden Geste um sich. »Die in einem Kubikzentimeter Tofirit enthaltene Energie würde ausreichen, um die Zentrale für etwa sechsdreiviertel Jahre zu beheizen, zu beleuchten, die Luftumwälzung aufrechtzuerhalten und den Hyperkalkulator zu betreiben«, rechnete er vor.

»Unsere Tofirit-Bunker sind gut gefüllt«, schaltete sich Dhark nun in den Disput ein. »Es würde uns nur unnötig aufhalten, wenn wir diese Wolke ansteuern, um die Tofirit-Partikel auszusondern und an Bord zu nehmen.«

»Da hörst du es, Chris«, machte sich Jimmy plötzlich bemerkbar, der jetzt auf dem Rücken lag und die Beine nach oben ausstreckte. »Deine sensationelle Entdeckung ist total unbedeutend.« Mit unschuldigen Hundeaugen sah er zu seinem Konstrukteur auf.

Shanton rang die Hände. »Es geht mir doch gar nicht um das Material, die Menge ist minimal, das gebe ich zu. Was mich viel mehr interessiert, ist die Frage, wie die Tofirit-Partikel in diese Wolke gekommen sind.«

»Inzwischen weiß doch jeder, dass Tofirit beim Eintritt von Materie in ein Schwarzes Loch entsteht«, spottete Jimmy, der keine Gelegenheit ausließ, Shanton aufzuziehen.

»Eben!«, hielt der beleibte Ingenieur dagegen. »Und im Umkreis von mehreren Lichtjahren sind keinerlei Anzeichen aufzuspüren, die auf ein Schwarzes Loch hindeuten würden.«

»Sir!«, rief Morris aus seiner Funkbude herüber. »Die Zusammenfassung der Nachrichten von Terra-Press steht jetzt zur Ansicht bereit.«

Dhark nickte dem Ersten Funker dankend zu und wandte sich dann an Shanton: »Wir werden diese Staubwolke in unsere Sternenkarte eintragen, Chris«, versprach er. »Vielleicht kommt uns Ihre Entdeckung ja eines Tages zugute, doch jetzt gibt es Wichtigeres für uns zu tun.«

Mit einem Wink gab er Morris zu verstehen, die von ihm zusammengestellten Daten in die Bildkugel einzuspeisen.

Die Darstellung der kosmischen Wolke verschwand daraufhin und machte den Filmaufnahmen von Terra-Press auf Babylon Platz.

*

In der Bildkugel breitete sich das grandiose, aus der Luft gefilmte Panorama einer großflächigen Pyramidenstadt aus. Es handelte sich um Babylon-Stadt, wie etliche Besonderheiten, zum Beispiel der Fande-Park und das Regierungsviertel, dem Betrachter verrieten.

Die gigantischen, teilweise mehr als zweitausend Meter hohen Ringpyramiden, die eine Grundfläche von drei bis vier Kilometern Durchmesser aufwiesen und bis zu einer Million Bewohnern Platz boten, erstreckten sich bis zum Horizont. Die schrägen Fensterflächen der größtenteils aus Unitall bestehenden Gebäude spiegelten das bläulich-kalte Licht der Sonne Eschunna wider, die sich gerade anschickte, das Firmament zu erklimmen.

Für gewöhnlich herrschte im Luftraum über den Städten um diese Uhrzeit reger Verkehr, und auch in den Schluchten zwischen den Pyramiden kreuzten sonst zahlreiche Gleiter und Beiboote, die auf den abgeflachten Pyramidenspitzen landeten oder von ihnen abhoben. Doch jetzt bewegten sich hauptsächlich Gleiter der Polizei zwischen den Gebäuden hin und her und nur sehr wenige Privatfahrzeuge. Auf den seitlichen Ringterrassen mit ihren Lande- und Startplattformen standen die kleinen, schnellen Boote der Bewohner dicht an dicht geparkt, und dies, obwohl in diesen frühen Morgenstunden eigentlich Hauptverkehrszeit herrschte.

»Offenbar gilt in den Städten noch immer die Ausgangssperre«, kommentierte Hen Falluta die Darstellung.

Ren Dhark nickte. »Viele dieser Pyramiden bilden jede für sich so etwas wie eine eigene Großstadt. In ihnen ist alles zu finden, was ein Mensch zum Leben braucht, einschließlich Grünanlagen und Vergnügungseinrichtungen. Die Ausgangssperre, die Präsident Appeldoorn über den gesamten Planeten verhängt hat, trifft die Bewohner daher nicht annähernd so hart, wie es etwa in einer Stadt auf der Erde der Fall gewesen wäre.«

Shanton zupfte nachdenklich an seinem Kinnbart. »Diese Maßnahme soll wohl auch eher dafür sorgen, dass die Leute sich an den Aufräumarbeiten in ihren Pyramiden beteiligen. Das ist auch nur gerecht, denn viele haben maßgeblich zur Verwüstung in den Gebäuden beigetragen, als sie die Läden und Wohneinheiten plünderten.«

Doorn stieß einen mürrischen Laut aus. »Die technischen Störungen, die die Nomwarun-Bakterien auf Babylon hervorriefen, haben nicht halb so viel Schaden angerichtet wie anschließend die randalierenden Menschen.«

»Zu diesen Entgleisungen ist es aber doch erst aufgrund der technischen Fehlfunktionen gekommen«, entgegnete Falluta. »Diese permanenten Störungen haben Babylon letztendlich ins Chaos gestürzt.«

Dhark verschränkte die Arme vor der Brust. »Und nicht nur Babylon. Auf der Erde geht es wegen der Flüchtlinge, die sich dorthin gerettet haben, ebenfalls drunter und drüber.«

»Inzwischen scheint sich die Lage auf Babylon jedoch weitgehend beruhigt zu haben.« Shanton deutete auf eine ferne Ringpyramide, aus deren gewaltigen Luftschächten dichter Rauch quoll. »Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, wie mir scheint.«

Die Drohne, die das Stadtpanorama filmte, steuerte die rauchende Pyramide nun direkt an. Am oberen Rand der Bildkugel, also direkt am Himmel über der Stadt, erschien ein separates Fenster, in dem das Konterfei eines Korrespondenten von Terra-Press erschien.

»Der Warlord Guangqiu Xu, der sich mit seinen Leuten in der Wakada-Pyramide verschanzt hat, macht den Sicherheitskräften noch immer erheblichen Ärger«, berichtete der Mann. »Xu weigert sich weiterhin beharrlich, die Macht, die er während der Unruhen an sich gerissen hat, jetzt wieder an die Regierung abzugeben. Xu und seine Komplizen haben die Bewohner der Wakada-Pyramide während der Unruhen so sehr tyrannisiert, dass sie ihr Heil in der Flucht gesucht haben und größtenteils zur Erde gereist sind. Nun hat die Bande die von ihnen besetzte Pyramide in der vergangenen Nacht zum autonomen Staatsgebiet erklärt.«

Ein zweites separates Fenster baute sich auf. Darin wurde ein auf einem abgeflachten Pyramidendach stehender Mann chinesischer Abstammung abgebildet, der von mehreren finster aussehenden Männern umringt wurde. Der Chinese trug etliche Waffen am Körper und schrie in ein Mikrofon: »Das hier ist jetzt unsere Pyramide!« Die elektronisch verstärkte Stimme schnarrte übersteuert. »Appeldoorn und seine Lakaien haben bei uns nichts mehr zu melden. Wir geben hier jetzt den Ton an. Die Wakada-Pyramide wird hiermit zu unserem Staatsgebiet erklärt. Die Gesetze der Babylon-Regierung haben bei uns keine Gültigkeit mehr!«

»Etwas Dümmeres hätte dieser Trottel gar nicht von sich geben können!«, stieß Doorn verächtlich aus. »Die regulär gewählte Regierung ist jetzt befugt, das Militär gegen diese Separatisten einzusetzen.«

»Glaubst du wirklich, Appeldoorn lässt sich dazu hinreißen, das Militär innerhalb der Pyramidenstädte einzusetzen?«, fragte Shanton zweifelnd. »Das hat Trawisheim zuletzt während des Babylon-Umsturzes getan, und es wird daher üble Erinnerungen in den Bürgern Babylons wachrufen.«

Dhark hob die Hand, um die beiden Männer zum Schweigen zu bringen. Er wollte hören, was der Korrespondent zu berichten hatte.

»Nachdem Guangqiu Xu die Wakada-Pyramide vergangene Nacht zu seinem eigenen Staatsgebiet erklärt hatte«, fuhr dieser nun fort, »folgten fünf weitere Warlords seinem Beispiel und riefen die von ihnen besetzt gehaltenen Gebäude ebenfalls zu autonomen Gebieten aus.«

»Xus Beispiel macht unter den hartgesottenen Ganoven Schule«, spottete Doorn. »Das beweist einmal mehr, dass es sich bei diesen Gangstern bloß um strohdumme Hohlköpfe handelt, die nur durch Gewalt und Grausamkeit in ihre jetzige Position gelangt sein können.«

Shanton nickte einsichtig. »Die Polizei wird mit diesen gewaltbereiten Verbrechern wahrscheinlich wirklich nicht allein fertigwerden. Appeldoorn wird wohl tatsächlich nichts anderes übrig bleiben, als das Militär einzuschalten.«

»Wir könnten diese Wirrköpfe doch unschädlich machen«, schlug Parock vor. »Mit meinem Spezial-Xe-Flash und ein paar Beibooten könnten wir diese Halunken in Nullkommanichts aus dem Verkehr ziehen.«

Dhark rieb sich nachdenklich den Nacken, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich glaube, die Babylonische Flotte bekommt dieses Problem auch ohne unsere Hilfe in den Griff. Wir müssen uns nicht überall einmischen, wo sich ein Problem auftut.«

Parock zog eine Grimasse.

»Der Bericht geht noch weiter«, meinte Falluta mit einem Kopfnicken Richtung Bildkugel.

Aus den Ausgängen der Wakada-Pyramide drängten jetzt viele Menschen ins Freie. So schnell ihre Füße sie trugen, entfernten sie sich von dem monströsen, in der Morgensonne gleißenden Bauwerk und strömten den Absperrungen der Polizei entgegen. Die Flüchtenden wurden von den Beamten in Empfang genommen und mit Getränken und Wolldecken versorgt.

»Guangqiu Xu laufen die Untertanen davon, wie mir scheint«, kommentierte Doorn das Geschehen trocken.

»Erneut ist es mehreren Gruppen gelungen, aus der Wakada-Pyramide zu fliehen«, erläuterte der Sprecher die Aufnahmen mit möglichst neutraler Stimme. »Von den anderen annektierten Wohnpyramiden erreichen uns ähnliche Meldungen: Die in den Gebäuden lebende Zivilbevölkerung zieht es offenbar vor, ihre Geschicke weiterhin von der gewählten Regierung bestimmen zu lassen, anstatt ihr Schicksal in die Hände von größenwahnsinnigen Verbrechern zu legen.«

Dhark betrachtete das Geschehen mit Interesse. »Die Gangster isolieren sich durch ihr Vorgehen selbst. Die Armee wird letztendlich leichtes Spiel mit diesen Irren haben.«

Die Darstellung in der Bildkugel riss ab. »Das war’s fürs Erste«, rief Morris erklärend herüber. »Über den aktuellen Stand in den Pyramidenstädten sind wir somit auf dem Laufenden.«

Der Commander nickte dem Ersten Funker dankend zu und wandte sich dann an Falluta: »Wann werden wir Babylon erreichen?«

»In etwa achtundzwanzig Stunden, Sir.«

Zufrieden verschränkte Dhark die Hände hinter dem Rücken. »Bis dahin wird sich die Lage auf Babylon weitgehend normalisiert haben«, zeigte er sich zuversichtlich und blickte in die Runde. »Wie es aussieht, ist unsere Hilfe auf der ehemaligen Stützpunktwelt der Worgun nicht mehr zwingend erforderlich. Die Menschen können ihre Probleme dort auch ohne unsere Unterstützung bewältigen. Und darüber bin ich heilfroh. Wir alle haben uns eine Verschnaufpause mehr als nur verdient.«

Zustimmendes Gemurmel machte sich breit, nur Parock zog eine verdrießliche Miene.

»Sobald wir auf Babylon gelandet sind, stehen der gesamten Belegschaft drei Tage Urlaub zu«, bestimmte Dhark. »Tun Sie, was immer Sie für nötig halten, um sich zu erholen, aber denken Sie daran: Machen Sie der Mannschaft der POINT OF dabei keine Schande!«

»Schlimmer als es die Menschen während der Unruhen getrieben haben, werden wir uns schon nicht aufführen.« Doorn lächelte ironisch, hob dann aber sogleich abwehrend die Hände, als Dharks strafender Blick ihn traf. »Wir werden uns benehmen – so wie immer«, versicherte der Worgunmutant und grinste dabei süffisant.

2.

Mit einem Hand-Suprasensor ausgestattet stand Tom Ocasek am unteren Ende der Rampe und beäugte die Babylonier aufmerksam, während diese den Ringraumer verließen. Das ringförmige Raumschiff mit einem äußeren Durchmesser von einhundertachtzig Metern und einer Ringstärke von fünfunddreißig Metern bestand vollständig aus Unitall. Es parkte am Stadtrand von Las Cruces auf einer mit Gestrüpp spärlich bewachsenen Sandfläche zu Füßen des Squaw Mountain, einem kargen Berg und Teil einer verkarsteten Gebirgslandschaft, die sich zwischen Las Cruces und Alamo Gordo erstreckte. Dem S-Kreuzer voller babylonischer Flüchtlinge war von der Einwanderungsbehörde der Erde die Nummer achthundertfünfundneunzig zugewiesen worden; er gehörte zu den neunhundertneunzig Schiffen, die vor einigen Tagen, von Raumern der NTF eskortiert, in das Sol-System eingeflogen waren und seitdem in Hunderterschüben auf der Erde abgefertigt wurden.

Nummer achthundertfünfundneunzig gehörte zum letzten Hunderterpulk und hatte in der Nähe von Las Cruces landen müssen, da die Auffanglager in Alamo Gordo hoffnungslos überfüllt waren. Sobald alle Passagiere aus dem abgefertigten S-Kreuzer ausgestiegen waren, würde der zentrale Controllo, der das gesamte Geschwader lenkte, veranlassen, dass das Schiff abhob und sich den Raumern anschloss, die sich knapp innerhalb der Pluto-Bahn in Warteposition befanden.

Bis Nummer achthundertfünfundneunzig wieder starten konnte, würden jedoch noch einige Stunden vergehen, da machte sich Ocasek nichts vor. Er wusste genau, wie lange die Abfertigung dauern würde, denn dies war nicht das erste Mal, dass er die Ankunft von Flüchtlingen aus Babylon überwachte. Zuletzt hatte er gestern einen in El Paso gelandeten S-Kreuzer abgefertigt und dabei fünfzehn Personen festgenommen, darunter einen auf Babylon berüchtigten Kriminellen namens Norbert Zickler, der die Flüchtlingswelle hatte ausnutzen wollen, um sich zur Erde abzusetzen. Jetzt schmachtete der mehrfache Mörder in einer Zelle im Transmitterbahnhof von Alamo Gordo und wartete darauf, dass er den Strafvollzugsbehörden auf Babylon via Transmitter überstellt wurde.

Ocasek hob den Suprasensor, um die Gesichter der die Rampe hinabtrottenden Flüchtlinge mit der Kamera zu erfassen. Ein Gesichtserkennungsprogramm glich die Aufnahmen in Sekundenschnelle mit den Archiven sämtlicher Polizeibehörden von Babylon und der Erde ab und würde ihn sofort warnen, sobald eine verdächtige Person ermittelt wurde.

Ohne dieses »Ausleseverfahren« hätte sich Bruder Lambert, der Regierungschef der Erde, niemals darauf eingelassen, die knapp eintausend Ringraumer auf der Erde landen zu lassen. Lambert, der eine rigide Einwanderungspolitik betrieb, widerstrebte es zutiefst, all diese Menschen jetzt wieder aufzunehmen, die der Erde damals den Rücken gekehrt hatten und nach Babylon übergesiedelt waren, weil sich wegen der Schwächung der Sonne eine neue Eiszeit auf der Erde auszubreiten begonnen hatte. Inzwischen herrschten auf Terra wieder dieselben Bedingungen wie vor der neuen Eiszeit, mit dem Unterschied, dass derzeit lediglich etwa einhundertzwanzig Millionen Menschen über den Globus verteilt lebten.

Nur dem Drängen Ren Dharks hatten es die Flüchtlinge letztendlich zu verdanken, dass sie trotz der Vorbehalte des Regierungschefs nun auf der Erde Zuflucht finden konnten, allerdings nur in ausgewiesenen Flüchtlingslagern auf dem nordamerikanischen Kontinent.

Eines dieser inzwischen zahlreich gewordenen Lager befand sich am Stadtrand von Las Cruces und war erst kürzlich und mit Unterstützung durch aus Alamo Gordo herbeigeschaffter Flüchtlinge aus dem Boden gestampft worden.

Ein leiser Warnton riss Ocasek aus den Gedanken. Das Gesicht einer jungen Frau hatte in den Polizeiarchiven einen Treffer erzielt. Ocasek winkte seine beiden Helfer herbei und deutete auf die Brünette, die soeben das Ende der Rampe erreichte.

Die Männer bahnten sich einen Weg durch die Menge, packten die Frau bei den Oberarmen und zerrten sie aus dem Pulk heraus. Die Brünette sträubte sich und schrie, konnte gegen die Männer jedoch nichts ausrichten. Ein paar der Flüchtlinge beobachteten die Szene mit finsteren Blicken, doch niemand schritt ein, denn alle wussten, was dieser Einsatz zu bedeuten hatte.

»Mathilde Purwin?«, fragte Ocasek, als die Brünette schwer atmend vor ihm stand.

Sie schüttelte wild den Kopf. »Ich heiße anders«, behauptete sie dreist und versuchte, sich loszureißen.

Ocasek hielt ihr den Suprasensor dicht vor die Nase und fertigte eine Aufnahme ihrer Augen an. Die Merkmale ihrer Iriden ließen jedoch keinen Zweifel zu, dass es sich bei dieser Frau tatsächlich um Mathilde Purwin handelte.

»Ihnen wird vorgeworfen, während der Unruhen auf Babylon ein Kind entführt zu haben«, las Ocasek vom Bildschirm ab. »Es liegt ein Haftbefehl gegen Sie vor.«

»Ich habe nichts getan!«, ereiferte sich die Frau. »Ich bin unschuldig!«

»Die Eltern des Kindes haben gesehen, wie Sie ihren sechs Jahre alten Sohn während einer in einem Pyramidenstockwerk ausgebrochenen Panik an sich rissen und mit ihm in der Menge verschwanden.«

»Ich …, ich wollte ihn doch nur retten.«

»Sie geben also zu, Luigi Calvin in Ihre Gewalt gebracht zu haben?«, erkundigte sich Ocasek ungerührt.

Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass das Haar um ihr Haupt wirbelte. »Jemand musste sich doch um den Kleinen kümmern.«

»Seine Mutter hatte ihn an der Hand gehalten, bis Sie ihn von ihr fortrissen, heißt es im Bericht.«

»Das ist eine Lüge!«

Ocasek sah sich unter den Leuten auf der Rampe um. Wegen des Vorfalls war der Menschenstrom ins Stocken geraten. »Und wo ist der kleine Luigi jetzt?«

»Dieser undankbare Balg hat sich während des Fluges zur Erde davongestohlen«, keifte die Frau. »Ich weiß nicht, wo er abgeblieben ist!«

»Sie haben ihn also verloren.«

Ausnahmsweise nickte Mathilde einmal.

»Und Sie wissen nicht, wo er jetzt steckt?«

Diesmal zuckte sie mit den Schultern. »Wahrscheinlich hat er sich irgendwo im Raumschiff verkrochen. Die ganze Zeit über, die er bei mir war, hat er versucht, sich aus dem Staub zu machen. Ich musste ihn sogar fesseln, um ihn zur Vernunft zu bringen.«

»Verstehe«, sagte Ocasek gedehnt und warf seinen Kollegen einen befremdeten Blick zu. »Führt sie ab«, befahl er schließlich. »Die Behörden auf Babylon sollen sich mit ihrem Fall beschäftigen.«

Die Brünette zeterte und schimpfte, während die Männer sie fortzerrten. Sie führten sie zu einer Baracke mit vergitterten Fenstern und Wachposten vor der Tür. In den Zellen saßen bereits drei Verdächtige ein.

Mit einem unwirschen Wink seines Suprasensors bedeutete Ocasek den Flüchtlingen auf der Rampe weiterzugehen.

Mit Argusaugen betrachtete Ocasek jetzt die die Rampe hinabschreitenden Flüchtlinge. Sein besonderes Augenmerk galt dabei den Kindern, deren Gesichter er mit dem Foto des kleinen Luigi abglich, das jetzt auf dem Bildschirm seines Suprasensors dargestellt wurde. Zeitgleich lief im Hintergrund das mit den Polizeiarchiven gekoppelte Gesichtserkennungsprogramm. Doch weder konnte er den vermissten Jungen in der sich vorbeischiebenden Menge erblicken noch schlug das Erkennungsprogramm der Polizei Alarm. Bei den müde und abgekämpft aussehenden Menschen handelte es sich offenbar weitgehend um unbescholtene Bürger, die sich weder vor noch während der Unruhen auf Babylon etwas hatten zuschulden kommen lassen.

Plötzlich stutzte Ocasek. Das hagere Gesicht eines etwa vierzig Jahre alten Mannes zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die gebrochene Nase und das vorspringende Kinn mit dem Muttermal darauf erkannte er sofort wieder. Verdattert starrte er seinen Suprasensor an und wunderte sich, warum das Gerät keinen Warnton von sich gab, immerhin hielt sich nur wenige Schritte entfernt ein gerissener Trickbetrüger auf. Hastig gab Ocasek seinen Mitarbeitern einen Wink, die den Mann daraufhin aus der Menge griffen und zu ihm führten.

Erkennen machte sich auf dem Gesicht des Hageren breit, als er vor Ocasek stand. »Na, das nenne ich mal einen blöden Zufall«, spottete er. »Wenn das nicht Sergeant Tom Ocasek von der Polizei in Neu-Alamo ist!«

»Ole Jensen.« Ocasek betrachtete den Mann spöttisch von oben bis unten. »Schnappe ich dich also doch noch.«

Jensen lachte unfroh auf. »Wir befinden uns hier nicht auf babylonischem Staatsgebiet. Sie besitzen hier keinerlei Befugnis, mich zu verhaften.«

»Ich wurde von der terranischen Regierung einstweilig zum Strafverfolgungsbeamten berufen«, hielt Ocasek dagegen.

Jensen grinste höhnisch. »Wissen die denn, dass Sie auf Babylon Polizist waren und nicht zum Dienst erschienen sind, weil Sie die Flucht nach Babylon der Polizeiarbeit in Neu-Alamo vorgezogen haben? Ihr neuer Arbeitgeber wird nicht eben erfreut darüber sein zu erfahren, dass Sie die Waffen strecken, sobald Not am Mann ist. Die Bürger von Neu-Alamo hätten Ihre Hilfe dringender benötigt.«

Ocasek verzog verstimmt den Mund. »Daraus habe ich kein Geheimnis gemacht. Ich habe die Karten offen auf den Tisch gelegt.«

Jensen wirkte bass erstaunt. »Die Behörden hier müssen ja mächtig unter Personalmangel leiden, wenn sie sogar Drückeberger wie Sie einstellen.«

»Es lebt eben nur eine überschaubare Menge an Menschen auf der Erde«, erwiderte Ocasek leicht angesäuert. »Und die sind mit dem Ansturm an Flüchtlingen total überfordert. Aus diesem Grund helfen etliche von Babylon Eingetroffene dabei, das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen.«

Jensen nickte spöttisch. »Von Babylon Eingetroffene«, echote er höhnisch. »Das trifft doch auch auf mich zu. Und ich möchte ebenfalls helfen.«

»Sehr witzig«, giftete Ocasek. »Du wanderst in eine Zelle und wirst nach Babylon abgeschoben, wo dir endlich der Prozess gemacht wird.«

»Dieser Mann steht nicht auf unseren Fahndungslisten«, merkte einer von Ocaseks Mitarbeitern an, ein breitschultriger Bursche mit Stoppelhaarschnitt und Stiernacken.

»Die Daten sind eben unvollständig«, blaffte der ehemalige Sergeant. »Jensen ist ein gerissener Trickbetrüger, der uns auf Babylon schon mehrmals durch die Lappen gegangen ist.«

»Ich bin nur ein kleiner Fisch, darum taucht mein Name in Ihren Dateien nicht auf«, hielt Jensen dagegen. »Anstatt sich mit mir aufzuhalten, sollten Sie lieber die wirklich bösen Buben aussieben.«

»Der Mann hat recht«, drängte der Stiernackige. »Ohne Treffer in den uns vorliegenden Datenbanken haben wir keine rechtliche Handhabe gegen ihn.«

Jensen breitete die Arme aus. »Ich stelle mich hiermit völlig selbstlos den Strafverfolgungsbehörden der Erde als Arbeitskraft zur Verfügung.« Er deutete auf Ocaseks Suprasensor. »Geben Sie mir auch so ein verdammtes Ding, damit ich auf Verbrechersuche gehen kann.« Jensen furchte die Stirn, als er einen Blick auf den Bildschirm des Gerätes erhaschte. »Dieser Junge«, sagte er befremdet und deutete mit einem Kopfnicken auf das Foto von Luigi Calvin. »Handelt es sich bei dem etwa auch um einen Schwerverbrecher?« Der spöttische Unterton in der Stimme des Trickbetrügers war nicht zu überhören.

»Bei diesem Kind handelt es sich um ein Entführungsopfer«, erklärte Ocasek widerwillig. »Wahrscheinlich hält er sich an Bord dieses S-Kreuzers auf.«

»Und ob er das tut.« Jensen rieb sich das Kinn. »Er versteckt sich bei diesen ekligen Plamist. Offenbar sorgen diese Biester für den Jungen.«

Ocasek furchte die Stirn. »Plamist, was ist das?«

Jensen winkte ab. »Irgendein Ungeziefer, das sich an Bord der Ringraumer eingenistet hat. Unheimliche Kreaturen, wenn Sie mich fragen, aber offenbar harmlos.« Er sah zur Schleuse hinauf. »Ich werde in das Raumschiff zurückkehren und den Jungen für Sie herbeischaffen«, bot er an. »Ich schätze, Luigi hockt immer noch im Versteck der Plamist rum und traut sich nicht raus. Er wirkte total verängstigt auf mich und wollte nicht mit sich reden lassen.«

»Du hast mit ihm gesprochen?«

Jensen nickte. »Aber nur kurz. Er hat kaum etwas von sich gegeben und ist sofort wieder zu den Plamist in den Lüftungsschacht zurückgekrochen.«

Ocasek überlegte einen Moment lang. »In Ordnung«, zeigte er sich schließlich einverstanden. »Bring diesen Jungen zu mir, und ich überlege es mir noch einmal, ob ich dich einsperren lasse.«

»Wir haben also einen Deal?«, hakte Jensen nach.

Der ehemalige Sergeant nickte widerwillig.

Tief atmete der Trickbetrüger durch, furchte dann aber plötzlich die Stirn. »Eine Frage muss ich noch loswerden.«

»Die da wäre?«, hakte Ocasek leicht gereizt nach.

»Leben die Eltern dieses Jungen noch?«

»Soviel ich weiß, ja.«

Jensen nickte zufrieden. »Gut, dann habe ich wenigstens etwas, womit ich den Kleinen locken kann. Es würde sich nämlich nicht so gut machen, wenn ich ihm erzählen müsste, dass seine Eltern während der Unruhen auf Babylon ums Leben gekommen sind.«

Ocasek sah den Mann verwundert an. »Du bist doch ein professioneller Betrüger. Es sollte dir keine Schwierigkeiten bereiten, ein Kind mit einer Lüge zu überzeugen.«

Jensen wiegte abwägend den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht warum, aber Kinder durchschauen meinen Schwindel irgendwie immer. Wahrscheinlich, weil ich mich ihnen gegenüber befangen fühle und in ihrer Gegenwart keine glaubhafte Lüge über die Lippen bringe.«

Mit diesen Worten wandte sich Jensen ab, tauchte in die Menge der Flüchtlinge ein und arbeitete sich gegen den Strom die Rampe hinauf.

Eine halbe Stunde und zwei Verhaftungen später tauchte der Trickbetrüger wieder auf der Rampe auf, einen kleinen, verängstigt dreinblickenden Jungen an der Hand. Ocaseks Suprasensor gab ein glockenhelles Signal von sich, als das Bildprogramm in dem Kind den vermissten Luigi Calvin erkannte.

*

Eisiger Wind wehte über die verkarstete Trümmerlandschaft von Staten Island und ließ Roald Amund trotz seines langen Mantels frösteln. Der erste Korrespondent von Rundfunk Utopia mochte diesen vernachlässigten Landstrich südwestlich von Brooklyn nicht besonders. Der Anblick der zermahlenen Trümmer, die die abgeschmolzenen Eismassen von den weitflächigen Siedlungen zurückgelassen hatten, erinnerte ihn stets daran, wie knapp die Erde damals der totalen Verwüstung entgangen war. Wo sich einst ein Meer aus dicht beieinanderstehenden Einfamilienhäusern mit ihren Gärten, den Straßennetzen, Plätzen und den öffentlichen Gebäuden erstreckt hatte, erblickte das Auge heute nur noch eine von der tonnenschweren Eisdecke eingeebnete Fläche, die aus den undefinierbaren Rückständen irgendwelcher Baustoffe bestand.

Doch wie fast überall auf der Erde hatte auch hier die Natur angefangen, das Terrain für sich zurückzuerobern. In großen Abständen sprossen Bäume, die bereits eine achtbare Höhe erreicht hatten, aus den Trümmern, dichtes Buschwerk bedeckte große Bereiche, und Grassoden begannen, die kläglichen Überreste der menschlichen Zivilisation mit einer grünen flauschigen Decke zuzudecken. Es gab ausgedehnte Sumpfgebiete, die man besser nicht betreten sollte, Seen, Tümpel und Bäche, die Amund auf den alten Landkarten aus der Zeit vor der Vereisung vergeblich suchen würde, jetzt aber das Bild dieser wüsten Landschaft prägten.

Wie die meisten Freien Bürger New Yorks, so betrachtete auch Roald Amund Staten Island als Mahnmal für die Vergänglichkeit menschlichen Strebens. Niemand fühlte sich bemüßigt, diese weitflächige Insel urbar zu machen oder gar darauf zu siedeln. New York City bot mit seinen instandgesetzten Gebäuden genug Platz für all diejenigen, die Teil der anarchistischen Enklave sein wollten; es gab keinen Bedarf, diese Wüstenei wieder in das zu verwandeln, was sie einst gewesen war: ein New Yorker Stadtteil für das gutsituierte Kleinbürgertum.

Nur die alte Autobahn, der Staten Island Expressway, wurde von den New Yorkern mit viel Mühe freigelegt und instandgesetzt. Außerdem hatte man die Verrazano-Narrows Bridge hinüber nach Brooklyn neu errichtet. Jeden Morgen, noch bevor die Sonne aufging, fuhr Amund mit einem Schweber von Brooklyn kommend, wo er wohnte, über die Brücke und drang auf dem Expressway bis tief ins Innere der verwilderten Insel vor, bis zum ehemaligen Gelände des CUNY College, wo die terranische Regierung mit Unterstützung der Anarchisten in aller Eile ein Flüchtlingslager aus dem Boden gestampft hatte.

Hunderte provisorische Baracken verliefen in dichten Reihen entlang eines von der Vegetation befreiten Areals, das den Ringraumern des Tausenderverbandes als Landefläche diente, allerdings nur einem einzigen Schiff auf einmal Platz bot.

In diesem Moment landete ein weiterer S-Kreuzer auf dem Gelände. Er trug die offizielle Bezeichnung Achthundertfünfundsechzig, wie Amund von der Einwanderungsbehörde im Vorfeld mitgeteilt bekommen hatte, und ging genau dort nieder, wo gestern ein anderer S-Kreuzer abgefertigt worden war. In Kürze würden sich die Rampen des gelandeten Schiffes herabsenken und die ersten babylonischen Flüchtlinge aus den Schleusen hervorkommen.

Amund kam gerade noch rechtzeitig, um diese Prozedur zu dokumentieren.

Der hagere Korrespondent holte die Kameradrohne aus dem Kofferraum seines Schwebers, aktivierte sie und ließ sie über seinem Kopf aufsteigen. Die Aufnahmen der Kamera wurden direkt ins Studio von Rundfunk Utopia geleitet, von wo aus sie dann ungeschnitten an die Empfangsgeräte der Freien Bürger New Yorks gesendet wurden. Amund setzte den Kopfsprechhörer auf, sortierte seine schütteren aschgrauen Haare und marschierte Richtung Flüchtlingslager los.

Ein weiterer Tag mit Berichten über das Leben im Auffanglager lag vor ihm, und wie immer würde er dabei keine wertenden Kommentare von sich geben, sondern sich um eine neutrale Berichterstattung bemühen, denn schließlich sollten sich die Zuschauer auf Grundlage der Bilder selbst eine Meinung über das dargestellte Thema bilden.

*

Vorsichtig streckte Rhynch den kugelrunden Kopf aus dem Rucksack des jungen Mannes, der ihm als Transportmittel diente. Aufmerksam spähte der Plamist mit seinen kleinen dunklen Augen um sich, darauf bedacht, dass er dabei von niemandem bemerkt wurde.

In der Personenschleuse herrschte dichtes Gedränge. Schulter an Schulter standen die Menschen beieinander, bewegten sich unruhig auf dem Fleck und redeten aufeinander ein. Ihre Gedankenströme, für einen Plamist von Natur aus fremd und eigenartig, prasselten mit Macht auf Rhynch ein und verwirrten ihn. Dennoch spürte er, wie sehr sich diese Menschen, die seit Wochen in dem Ringraumer ausharrten, darauf freuten, das Schiff, das sie sicher und zuverlässig von Babylon zur Erde geflogen hatte, endlich verlassen zu dürfen. Fast kamen ihm diese Kreaturen ein wenig undankbar vor. Wussten sie die Sicherheit und Geborgenheit dieses erstaunlichen Raumschiffes denn etwa nicht zu würdigen?

Nein, erkannte Rhynch, sie können sich in einem Raumschiff nicht auf Dauer heimisch fühlen. Sie benötigen eine Welt, einen freundlichen Planeten, auf dem sie sich frei bewegen können: eine Heimat.

Dieser Gedanke stimmte den Plamist melancholisch, denn er erinnerte ihn daran, dass es für die Seinen eine solche Heimatwelt nicht mehr gab. Stattdessen lebten sie in den Ringschiffen des Tausenderverbandes, von dem jetzt allerdings nur noch neunhundertneunzig existierten. Wie viele seiner Artgenossen ums Leben gekommen waren, als die zehn verlorenen Schiffe untergingen, daran mochte er gar nicht denken.

Plötzlich kam Bewegung in die Körper der Menschen. Rhynch erahnte den Grund dafür und richtete sein Augenmerk über die Schulter des jungen Burschen hinweg nach vorn, dorthin, wo sich das äußere Schleusentor befand. Und tatsächlich konnte er nun beobachten, wie sich die Schleuse öffnete und das gedämpfte Licht einer über den Horizont aufsteigenden gelben Sonne in die mit Menschen gefüllte Kammer drang. Mit dem natürlichen Licht des gelben Sterns wehte auch ein kalter Lufthauch herein, der den Geruch von Pflanzen, Erde und Wasser mit sich trug.

Das euphorische Gefühl, das bei dieser Sinneswahrnehmung in Rhynch aufstieg, drohte ihn fast zu überwältigen. Hinzu kamen die aufgeregten Gedanken der Menschen, die mit dieser Welt, die sie nun betreten würden, widerstreitende Gefühle verbanden. Viele freuten sich, wieder auf die Erde zu kommen, die sie ihre Heimatwelt nannten, anderen widerstrebte es fast ein bisschen, auf den Planeten zurückzukehren, den sie vor langer Zeit verlassen mussten, weil er sich in einen unwirtlichen Eisklumpen zu verwandeln drohte. Auf Babylon hatten sie sich eine neue Existenz aufgebaut, eine Existenz, die nun ebenfalls bedroht wurde, sodass sie sich gezwungen sahen, sich auf der ungeliebten Heimatwelt in Sicherheit zu bringen.

Während Rhynch sich im Gedankensturm der Menschen zurechtzufinden versuchte, bemerkte er, wie sich der Mann, in dessen Rucksack er geklettert war, in Richtung der offenen Schleuse in Bewegung setzte.

Fast ein wenig rücksichtslos drängten die Menschen hinaus auf die abwärtsführende Rampe. Rhynch brauchte sich nun keine Sorgen mehr darum zu machen, dass er entdeckt wurde, denn die Menschen waren viel zu aufgewühlt und erregt, um auf den Plamist zu achten, in dem sie nicht mehr sahen als ein übergroßes, seltsam anmutendes Ungeziefer.

Rhynch schob nun auch sein Extremitätensegment aus dem Rucksack hervor und krallte sich mit seinen vier Beinen und dem Gliederarmpaar am Stoff des Gepäckstücks fest. Überwältigt ließ er den Blick über die Landschaft schweifen, die sich draußen vor ihm ausbreitete. Bisher kannte er die Erde nur aus den Erinnerungen und Gedanken der Menschen im Ringraumer. Doch das, was er jetzt zu sehen bekam, ließ sich mit den wirren Gedankenbildern dieser zweibeinigen Geschöpfe nicht vergleichen. Am meisten beeindruckten ihn die Weite der Landschaft und die Unendlichkeit des Himmels, der sich über das Panorama spannte. Nachdem Rhynch sein ganzes Leben in den Korridoren, Zimmern und Kammern des Raumschiffs verbracht hatte, das er nun hinter sich lassen würde, erschien ihm diese mit den verschiedensten Pflanzen bewachsene Ebene wie ein unüberschaubares, erstaunliches Universum.

Da traf seine Sinne plötzlich der Puls eines elektronischen Gerätes. Reflexartig duckte er sich unter die Lasche des Rucksacks und spähte aus dieser Deckung hervor vorsichtig gen Himmel, von wo ihn der Impuls getroffen hatte.