Rena & Callan 2. Until Forever - Emma Lindberg - E-Book

Rena & Callan 2. Until Forever E-Book

Emma Lindberg

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Beschreibung

Nach der Trennung von Cal zieht Rena mit ihrer besten Freundin nach Pittsburgh und verwirklicht dort ihren Traum vom Kunststudium. Callan studiert Musik und kehrt anschließend in seine Pittsburgher Heimat zurück. Er wird Frontmann einer Band, die kleinere Konzerte gibt. So auch auf einer Party, die Renas Bruder Darren schmeißt. Vier Jahre sind sie getrennte Wege gegangen, jetzt hört sie ihn zum ersten Mal singen – und wieder funkt es zwischen Rena und Cal. Sie fühlen sich immer noch heftig zueinander hingezogen …

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über dieses Buch

Callan hatte immer noch langes Haar – das war es, was mir zuerst auffiel. Seine Finger strichen über die Saiten seiner Gitarre, so schnell und so voller Leidenschaft, dass mein Brustkorb sich zusammenzog. Er sang, und ich fühlte jedes einzelne seiner Worte. Vier Jahre sind Rena und Callan getrennte Wege gegangen. Nur eine Begegnung reicht, und sofort ist die heftige Anziehung zwischen ihnen zurück. Doch ihre neuen Leben und die Scherben der Vergangenheit stehen zwischen ihnen.

 

Wie machst du weiter, wenn dein Herz nicht frei ist?

 

Band 2 der New-Adult-Dilogie um Rena & Callan – sexy, intensiv und aufwühlend

Liebe*r Leser*in,

 

wenn du traumatisierende Erfahrungen gemacht hast, können einige Passagen in diesem Buch triggernd wirken. Sollte es dir damit nicht gut gehen, sprich mit einer Person deines Vertrauens. Auch hier kannst du Hilfe finden:

www.nummergegenkummer.de

 

Schau gern in der Triggerwarnung nach, dort findest du eine Auflistung der potenziell triggernden Themen in diesem Buch. (Um keinem*r Leser*in etwas zu spoilern, steht der Hinweis hinten im Buch.)

Für die Community von RSH

Playlist

What is, what was and what will be

Tom Petty and the Heartbreakers – Into The Great Wide Open

Sunrise Avenue – Fairytale Gone Bad

 

Memories

James Morrison, Nelly Furtado – Broken Strings

Avril Lavigne, Chad Kroeger – Let Me Go

 

Playground at Night

Night Argent – Kamikaze

John Murphy – Sunshine (Adagio in D Minor)

Falling In Reverse – The Drug In Me Is Reimagined

 

Just Friends

Blair Lee – Gladstone

 

Friendship

Rudimental (feat. Jess Glynne, Macklemore, Dan Caplen) – These Days

Georg Friedrich Händel – Largo aus Xerxes

Arctic Monkeys – Fluorescent Adolescent

 

Young and Restless

Arem Ozguc, Arman Aydin, Jordan Rys – Astronaut In The Ocean

Olivia Rodrigo – happier

 

A Story untold

Evanescence – My Immortal

The Mayries – Firework (Acoustic)

 

Strength within

Demi Lovato – Warrior

Nothing But Thieves – Holding Out for a Hero

 

Daisy Rose

Panic! At The Disco – High Hopes

bbno$, Diamond Pistols – help herself

 

By your Side

Natalie Taylor – Iris

Patricia van Haastrecht – Love Of My Life

1| CALLAN | Auf neutralem Boden

Woodfield – 10 Meilen

Das unauffällige Schild mit dem Namen meiner Heimatstadt erfüllte mich mit beklemmender Vorfreude. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr hier gewesen, hatte Woodfield verlassen mit wenig mehr als einer Gitarre, einer Reisetasche und einem gebrochenen Herzen. Jetzt, nach fast genau vier Jahren, kehrte ich zurück und hatte keine Ahnung, ob ich dafür bereit war.

Mein Blick zuckte zu der pummeligen Häkelbiene, die am Rückspiegel meines Vans hing und fröhlich hin und her wippte. Ich hatte sie kurz nach meiner Aufnahme an der SoMA in einem Souvenirshop entdeckt, und seitdem begleitete sie mich – ein Glücksbringer, der mich an die Zeit erinnerte, in der sich mein Leben zum Besseren gewendet hatte, eine Zeit, in der ich begonnen hatte, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, eine Zeit, in der ich an die perfekte Beziehung und die ewige Liebe geglaubt hatte.

»Cal?«, meldete sich Vince vom Beifahrersitz. »Alles klar?«

»Sicher.« Ich festigte meinen Griff um das Lenkrad.

»Ich habe gehört, es ist hilfreich, wenn der Fahrer auf Straße und Gegenverkehr achtet, statt sich selbst im Rückspiegel zu bewundern.«

»Ich habe nicht …«, fing ich an, bevor ich aus den Augenwinkeln sein Grinsen erkannte. »Sehr witzig.«

»Du wirkst nervös.« Jetzt klang er deutlich ernster als zuvor. »Liegt das an dem Gig? Oder an den Leuten?«

»Ich war lange nicht mehr hier«, erwiderte ich ausweichend. In den letzten vier Jahren hatte ich mich, was meine Vergangenheit anging, ziemlich bedeckt gehalten; sowohl Rachel als auch die Jungs von der Band wussten lediglich, dass es wenig gab, das mich nach Woodfield zurückzog. Im Grunde genommen war Darren, nach wie vor mein bester Freund, die einzige Verbindung, die noch bestand. Erst vor wenigen Wochen hatte er mich in Pittsburgh besucht, um sich meine neue Wohnung anzuschauen, und mich bei dieser Gelegenheit zur – wie er es nannte – epischsten Scheunenparty aller Zeiten einzuladen, um Kellys neuen Job zu feiern. Die beiden waren unverändert glücklich miteinander und würden diesen Sommer heiraten – etwas, das Darren während unserer Highschool-Zeit kategorisch ausgeschlossen hatte.

So blieb mir nichts anderes übrig, als über meinen Schatten zu springen und nach Woodfield zurückzukehren, um mit meiner Band für die Musik zu sorgen – leider ohne Rachel, deren Unterstützung ich heute hätte gut gebrauchen können.

»Wird schon alles passen«, meldete sich Trevor gut gelaunt von der Rückbank, die er sich mit seinem Schlagzeug teilte. »Ich werde so eskalieren.«

»Ich hoffe, du beziehst dich nur auf die Bühne«, sagte ich mit hochgezogenen Brauen, woraufhin Trevor so euphorisch nickte, dass ich es sogar im Rückspiegel sah.

»Ich werde dich schon nicht blamieren vor deinen alten Bekannten … oder höchstens ein bisschen.«

»Sehr beruhigend.« Ich schnaubte und umfasste das Lenkrad ein wenig fester. »Aber Darren kennt dich sowieso schon, und ich denke nicht, dass seine Eltern kommen werden.« Aber seine Schwester. Seine Schwester wird da sein. Garantiert.

»Seine Eltern?«, hakte Vince nach. »Wie kommst du ausgerechnet auf Darrens Eltern?«

»Ich hatte ziemlichen Ärger zu Hause, und die Godwins haben mich bei sich aufgenommen«, erklärte ich. »Sie haben mir ein Zimmer eingerichtet und sich um mich gekümmert.«

»Okay …« Er klang viel zu nachdenklich für meinen Geschmack. »Und warum genau ist es dann vier Jahre her, dass du zuletzt hier warst? Die Godwins scheinen echt in Ordnung zu sein, und Darren ist sowieso cool. Seit er mir den Tipp gegeben hat, nicht mit komplett leerem Magen ins Fitnessstudio zu gehen, läuft mein Training viel besser.«

»Lange Geschichte«, sagte ich nur knapp, während ich verbissen weiter auf die Straße hinausstarrte.

»Lange Geschichte und eine unschöne Trennung«, ergänzte Trevor von hinten. »Tu nicht so, Cal. Wir wissen, dass eine Frau dahintersteckt.«

»Das auch«, gab ich zu. »Aber echt, Leute, das ist nichts, was ich ausgerechnet jetzt mit euch erörtern will. Übertreibt’s einfach nicht mit dem Alkohol, okay? Das alles ist auch so schon kompliziert genug.«

»Kein Ding.« Im Rückspiegel sah ich, wie sich Trevor zurücklehnte und den Kopf gegen die Scheibe legte.

»Kannst dich auf uns verlassen«, sagte Vince. »Und wenn du irgendwann doch darüber reden willst, melde dich.«

»Geht klar.« Ich setzte den Blinker und bog vom Highway auf die Landstraße ab. Keine Ahnung, ob der Zeitpunkt jemals kommen würde, zu welchem ich irgendjemandem erzählen würde, was damals wirklich geschehen war. Dass die Flucht aus Woodfield das Einzige war, was mich davon abgehalten hatte, mich komplett aufzulösen. Dass ich den Godwins damit einen Gefallen getan hatte, weil dieses Mal der richtige Mensch gegangen war. Durch mein Verschwinden war ihnen Rena geblieben, und durch mein Verschwinden hatten auch Mom und Dad die Möglichkeit gehabt, sich von der Vergangenheit zu lösen – ebenso, wie ich es getan … oder es zumindest versucht hatte.

Verbissen konzentrierte ich mich wieder auf die Straße und kniff ein wenig die Augen zusammen, weil mich die tief stehende Nachmittagssonne blendete. Die Temperaturen waren wirklich perfekt für eine Party, und ich ging davon aus, dass auch die Nacht mild werden würde.

Die alte Scheune, die Darren und Kelly angemietet hatten, befand sich ein kleines Stück außerhalb Woodfields, sodass ich bereits vor dem Ortsschild auf einen unbefestigten Weg abbog, der den Waldrand von den Feldern trennte. Während der Van über den unebenen Boden holperte, gab ich mein Bestes, um nicht an eine Nacht auf einem Feld zu denken, an eine Nacht unter einem unendlichen Sternenhimmel.

Kelly und Darren rechneten mit über hundert Gästen, aber auch tausend Gäste wären nicht anonym genug, wenn sich Rena darunter befand. Ich hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlen würde, ihr gegenüberzustehen, wusste nicht, was es in mir auslösen würde. Vielleicht war es gut, dass wir uns auf neutralem Boden treffen würden, an einem Ort, der nicht voll von Erinnerungen war.

Natürlich ahnte ich, dass mich ihr Anblick aus der Fassung bringen würde, und ebenso war mir klar, dass ich für immer in der Schuld ihrer Familie stehen würde. Der Moment für einen persönlichen Dank verbunden mit einer Entschuldigung würde kommen. Aber hoffentlich nicht ausgerechnet heute Abend; ich wäre froh, wenn ich es noch ein wenig vor mir herschieben könnte. Zuerst musste ich das Wiedersehen mit Rena überstehen, und das erforderte meinen gesamten Mut.

»Du bist wirklich still, Cal.« Trevor lehnte sich nach vorne und streckte den Kopf zwischen den Sitzen hindurch. »Ich habe eben vorgeschlagen, den Gig mit einem Drum-Solo zu eröffnen, und du hast nicht widersprochen. Damit ist es gesetzt.«

»Von mir aus.« Ich seufzte schicksalsergeben. »Geht in Ordnung für mich. Vince?«

»Cal.« Obwohl ich den Kopf nicht drehte, konnte ich seinen Blick auf mir spüren. »Das ist nicht dein Ernst. Sagst du nicht immer, dass wir das Publikum abholen und an die Musik heranführen müssen? Ich weiß noch, wie betroffen du warst, als diese Oma mit den Händen auf den Ohren und leidendem Gesichtsausdruck das Weite gesucht hat. Du warst völlig fertig!« Er schnalzte entnervt mit der Zunge. »Vergiss es, Alter«, sagte er dann an Trevor gewandt. »Du nutzt es nicht aus, dass Cal neben der Spur ist. Kein Solo zur Eröffnung!«

Trevor lachte und ließ sich wieder in die Polster sinken. »Schon gut. War auch nicht wirklich ernst gemeint.«

»Schwachkopf«, murmelte Vince.

»Arschloch«, erwiderte Trevor gut gelaunt.

Ich blendete die Kabbelei der beiden aus und prüfte die Umgebung, um den richtigen der vielen landwirtschaftlichen Wege zu erwischen. Kurz darauf erreichten wir das weitläufige Feld, das von einzelnen Baumgruppen gesäumt wurde und an dessen Rand sich die alte Scheune befand. Obwohl die anderen Autos in einiger Entfernung standen, stellte ich den Van direkt vor dem großen Holztor ab, damit wir für den Aufbau nicht so weit laufen mussten; ich würde ihn nachher umparken.

»Ich kläre ab, wo genau wir stehen sollen«, sagte ich zu den beiden anderen, während ich dem Impuls widerstand, mich in alle Richtungen umzuschauen. War sie schon da? Nein. Garantiert nicht. Das würde ich merken. Ich hatte es schon immer gespürt, wenn sie sich in der Nähe befand, und ich ging nicht davon aus, dass sich das geändert hatte.

Während sich Vince und Trevor daran machten, die Sachen aus dem Heck zu holen, betrat ich das Innere der Scheune.

»Cal!« Darrens Schrei war so laut, dass ich zusammenzuckte. Er ließ die silberne Girlande fallen, die er gerade entwirrt hatte, und kam mit großen Schritten auf mich zu. »Schön, dich zu sehen, Mann!«

In unserer Jugend waren wir auf einem ähnlichen Trainingsstand gewesen, doch während ich noch immer schlank und eher sehnig war, hatte Darren sichtlich an Muskelmasse zugelegt.

»Gleichfalls«, erwiderte ich und zog ihn kurz in eine Umarmung, wobei er die Gelegenheit nutzte, mir fest auf die Schulter zu klopfen. Dann wich er zurück und warf mir einen nachdenklichen Blick zu. Oh Gott. Bitte keine Nachfrage, ob ich heute zurechtkommen würde. Das wusste ich selbst nicht, verdammt.

»Die Jungs sind draußen schon am Ausladen«, lenkte ich ab, bevor er etwas sagen konnte. »Wo sollen wir aufbauen?«

Darren öffnete den Mund und schloss ihn wieder, dann zuckte er mit den Achseln, als hätte er verstanden, dass ich gerade nicht reden wollte – zumindest nicht über seine Schwester.

»Komm mit«, forderte er mich lediglich auf und führte mich auf die gegenüberliegende Seite der Scheune, wo mit Hilfe von Heuballen und großen Brettern eine Bühne aufgebaut worden war. Oder zumindest etwas in der Art.

»Sorry.« Darren warf mir einen verlegenen Blick zu. »Wahrscheinlich seid ihr von euren Auftritten Besseres gewöhnt.«

»Spinnst du?« Ich stieg auf das kniehohe Podest und prüfte unauffällig, ob Einsturzgefahr bestand. »Das ist super.«

Darren blickte mit gerunzelter Stirn zu mir auf und legte skeptisch den Kopf schief.

»Darren. Ehrlich. Ich freue mich, dass wir heute für euch spielen dürfen.« Mit einem halbwegs eleganten Sprung landete ich neben meinem besten Freund. »Viel zu lange her, dass ich hier war.«

»Da bin ich deiner Meinung.« Er zögerte fast unmerklich. »Mom und Dad auch«, fügte er etwas leiser hinzu, als wäre es ihm unangenehm, das anzusprechen.

»Ich weiß.«

Er nickte und sah dabei so unglücklich aus, dass sich mein Gewissen lautstark zu Wort meldete.

»Darren, hör zu.« Ich stellte mich vor ihn und musterte ihn eindringlich. »Nichts davon ist deine Schuld, okay? Dass ich gegangen bin, hatte nichts mit dir zu tun. Im Gegenteil. Du warst und bist der beste Freund, den man sich wünschen kann. Ich kriege das hin. Genieß den Abend, genieß die Musik, genieß es, eine so tolle Frau wie Kelly an deiner Seite zu haben, und feiere ihren Erfolg.«

Darren schluckte. »Okay«, erwiderte er lediglich, bevor ich mich in der nächsten Umarmung wiederfand.

Während Darren erneut den Kampf gegen die Girlande aufnahm, ging ich nach draußen, um mich gemeinsam mit den Jungs dem Aufbau zu widmen. Zuerst schleppten wir Stative und Boxen in den Innenraum und positionierten sie so an den Seiten der Bühne, dass sowohl die Tanzfläche als auch die aufgestellten Tischgarnituren bestmöglich beschallt wurden. Nachdem wir das Tonpult aufgebaut und Jeremy, der uns abmischen und später als DJ auflegen würde, kurz eingewiesen hatten, machten wir uns daran, alles zu verkabeln und die Instrumente aufzubauen.

»Ich will Roadies. Viele Roadies«, verkündete Trevor, der gerade die Fußmaschine unter die Bass Drum geschoben hatte, mit einem dramatischen Ächzen. »Stellt euch vor, wie cool das wäre. Wir sitzen mit einem kalten Bier im Backstagebereich, während sich eine Crew um alles kümmert.«

Ich verzichtete darauf zu erwähnen, dass es für dieses Szenario nützlich wäre, generell einen Backstagebereich zu haben, und grinste lediglich.

»Dafür hättest du weniger zocken und mehr üben müssen«, entgegnete Vince ungerührt. »Und ich habe mir sagen lassen, dass man dafür auch den Takt halten muss.«

Trevor verdrehte die Augen, ging aber nicht weiter auf die Stichelei ein. »Ich verstehe immer noch nicht, weshalb du als Gitarrenlehrer arbeitest, Cal. Du hättest die Chance gehabt, ganz groß rauszukommen.«

»Ich wollte schon immer Unterricht geben.« Ich stöpselte das Klinkenkabel zuerst in den Verstärker, dann in meine Les Paul ein. Obwohl ich mittlerweile mehrere Modelle besaß, hatte sie einen besonderen Platz in meinem Herzen. Vielleicht war es unmöglich, sich jemals von der ersten großen Liebe zu lösen. »Es ist toll, wenn die Kids besser werden und immer weiter zur Musik finden. Und außerdem hätte ich euch nicht kennengelernt.«

»Dann hätten wir immer noch einen Frontmann, der lieber zur Flasche als zum Mikro greift«, sagte Vince. »Du bist echt zum perfekten Zeitpunkt gekommen, Cal.«

Ich zwang ein knappes Lächeln auf mein Gesicht, dann stimmte ich die Gitarre durch, dankbar, meine Aufmerksamkeit auf die Saiten richten zu können. Noch immer hatte ich Schwierigkeiten, wenn der übermäßige Konsum von Alkohol zum Thema wurde, selbst bei so scherzhaften Formulierungen wie gerade eben. Die Erinnerung an meine Kindheit und an meine Jugend ließ mich nicht los, und noch heute stellten sich meine Nackenhaare auf, wenn ich den typischen Geruch von Whisky wahrnahm. Wenige Wochen nach meiner Ankunft in Seattle hatte ich meinen Mut zusammengenommen und bei meinen Eltern angerufen – natürlich mit unterdrückter Rufnummer. Meine Mom war ans Telefon gegangen, und ihre vertraute Stimme hatte mich so fertiggemacht, dass ich kein Wort über meine Lippen gebracht hatte. Ich war unfassbar erleichtert, dass sie wohlauf war, aber ich war nicht in der Lage, einen Schritt auf sie zu zu machen – daran hatte sich bis heute nichts geändert.

»Bereit für den Soundcheck?«, hallte Jeremys Stimme durch die Scheune, woraufhin Trevor so unmittelbar loslegte, als hätte er schon ungeduldig gewartet. Nachdem sämtliche Drums abgenommen worden waren, spielte Vince einige Lines auf seinem Bass, im Anschluss war meine Gitarre an der Reihe.

»Leadmikrofon«, forderte Jeremy, und ich trat an das Stativ, um zuerst einige Zahlen- und Buchstabenkolonnen hineinzusprechen. Ich hasste diesen Teil des Soundchecks aus tiefstem Herzen, weil ich mich dabei total unbeholfen fühlte – nicht zuletzt, weil sich Trevor hinter seinem blöden Schlagzeug regelmäßig ausschüttete vor Lachen. Glücklicherweise arbeitete Jeremy recht schnell, sodass ich dazu übergehen konnte, einige Zeilen zu singen.

»Das reicht«, sagte er schließlich. »Jetzt Background.«

Wie immer machte sich Vince einen Spaß daraus, exakt die Ziffern und Buchstaben zu wiederholen, die ich genannt hatte – vermutlich war es ihm als Informatiker ein Bedürfnis, sein Gedächtnis auf diese Weise zu trainieren. Nachdem er ebenfalls ein paar Töne gesungen hatte, spielten wir einen kompletten Song, damit sich Jeremy um die Feinabstimmungen kümmern konnte, dann stellten wir die Instrumente ab und verließen die Bühne.

 

Im Verlauf der nächsten beiden Stunden füllte sich die Halle zusehends, und mit der Zeit schmerzte mein Gesicht von dem freundlich-neutralen Ausdruck, mit dem ich sämtlichen alten Bekannten begegnete. Die Jungs schienen zu spüren, dass ich mich unwohl fühlte, und unterhielten mich mit Diskussionen über die Setliste und Songvorschlägen für die nächsten Proben. Obwohl sie sich Mühe gaben, konnten sie nicht verhindern, dass mein Blick immer wieder unruhig durch die Scheune zuckte, halb fürchtend, halb hoffend, Rena zu sehen.

»Sie kommt vermutlich später«, sagte eine weibliche Stimme an meinem Ohr, so leise, dass nur ich sie hören konnte.

»Kelly«, begrüßte ich die Gastgeberin mit einem ehrlichen Lächeln und stand auf. »Du siehst toll aus.«

Glücklich. Sie sah glücklich aus. Das dunkelblaue Kleid unterstrich ihren hellen Teint und ließ ihre Augen leuchten. Nun, vielleicht war es auch Darren, der für dieses innere Strahlen verantwortlich war, denn in seinem Blick fand ich denselben Ausdruck.

»Es ist so schön, dich zu sehen«, sagte sie und drückte mich kurz an sich. »Und euch natürlich auch«, fügte sie an die Jungs gewandt hinzu, die die Szene grinsend beobachteten.

»Denkt daran, dass ihr auch zu den geladenen Gästen gehört«, fuhr Kelly fort. »Bedient euch an den Getränken, greift beim Buffet zu, und spielt nur, solange ihr Lust habt.«

»Machen wir«, versprach ich. »Jeremy wird uns später sowieso ablösen. Außerdem ist es unser Gastgeschenk für euch.«

Vince warf einen Blick auf sein Handy. »Gleich 20 Uhr. Wir starten dann durch, oder?«

Trevor nickte, woraufhin ich meine Apfelschorle austrank, nach einer Flasche Wasser griff und damit bewaffnet den Weg auf die Bühne antrat. Vince und Trevor, ausgerüstet mit jeweils einem Bier, folgten mir. Im Gegensatz zu den Locations, in denen wir sonst spielten – meist kleinere Clubs oder Bars –, gab es in der Scheune keine besondere Bühnenbeleuchtung, sodass wir von unserem Podest aus einen guten Überblick hatten. Kelly und Darren hatten ganze Arbeit geleistet und den Innenraum liebevoll hergerichtet. Von der Decke und an den Wänden hingen zahlreiche Lichterketten und Lampions, und überall verbreiteten Kerzen ihren warmen Schein, der sich in der silbernen Dekoration widerspiegelte.

Ich hängte mir die Gitarre um, kontrollierte die Höhe des Mikrofons, dann nahm ich Blickkontakt zu den Jungs auf. Nachdem mir beide zugenickt hatten, atmete ich einmal tief durch, dann schlug ich die Saiten an. Die Musik flutete mein Inneres, erfüllte mich mit Ruhe und gleichzeitig mit fiebriger Energie, schenkte mir Zuversicht. Ich hatte so viel geschafft, ich würde auch den heutigen Abend überstehen.

2| RENA | Aschgraue Schleier

Mit einem leisen Stottern erstarb der Motor des Audis, der früher Darrens ganzer Stolz gewesen war. Ich nahm den Fuß vom Bremspedal, die Hände vom Lenkrad und atmete langsam aus. Bis hierher und nicht weiter – so fühlte es sich an. Als wäre ich mit der Stoßstange gegen ein unsichtbares Hindernis gestoßen, das mich dazu gezwungen hatte, am Straßenrand zu halten.

»Rena?« Tia warf mir von der Seite einen skeptischen Blick zu. »Hast du absichtlich angehalten oder hat das Ding endlich den Geist aufgegeben? Bei dieser Schrottkarre bin ich mir nie sicher. Klingt immer, als wäre es seine letzte Fahrt.«

Mittlerweile gehörte die Schrottkarre mir. Darren hatte sie mir billig weiterverkauft, als er sich ein zuverlässigeres Modell zugelegt hatte. Jetzt war ich diejenige, die an dem alten Ding hing, auch wenn es sich von Tag zu Tag ein wenig schlimmer anhörte. Früher oder später würde ich damit irgendwo liegen bleiben, und den klappernden Geräuschen nach würde es eher früher als später sein.

»Das Auto ist in Ordnung.« Ich war es nicht.

»Haben wir was vergessen?«, fragte Audrey von der Rückbank.

»Wir sind zu früh dran.« Ich ließ die Hand aus dem heruntergekurbelten Fenster hängen. Es war ein warmer, fast vollkommen windstiller Sommerabend. Keine einzige Wolke am Himmel. Perfekt für Kellys große Party. Fast zu perfekt, wenn man bedachte, dass ich vor vier Jahren einen Spiegel zerbrochen hatte und das Unglück mich seitdem umgab wie ein aschgrauer Schleier. Bisher waren mein Bruder und seine Verlobte allerdings vom Secondhand-Unglück verschont geblieben. Hoffentlich würde sich das nicht heute Nacht ändern.

»Es ist schon weit nach neunzehn Uhr.« Tia wischte über ihr Handy. »Auf der Einladung stand ab achtzehn Uhr, oder?«

»Abgesehen davon«, fuhr ich fort, ohne ihrem Einwand Beachtung zu schenken, »können wir da nicht so nüchtern, wie wir jetzt sind, aufkreuzen. Gott, es ist immerhin eine Party. Niemand kommt so nüchtern zu einer Party.« Außerdem war da diese unsichtbare Wand vor uns auf der Straße. Vielleicht ein Zeichen, vielleicht ein schlechtes Omen. Kurzentschlossen stieß ich die Tür auf und stieg aus. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie Tia und Audrey einen kurzen Blick tauschten.

»Und was hast du jetzt vor?«

»Ich müsste noch was im Kofferraum haben.«

»Hat das was damit zu tun, dass Callan auch dort sein wird?« Tia war nun ebenfalls ausgestiegen und strich sich das hübsche Sommerkleid mit dem Zitronenmuster glatt, das ich mir mal gekauft, aber schlussendlich nie getragen hatte.

»Nein.« Mit einer schwungvollen Bewegung öffnete ich den Kofferraumdeckel. »Okay, vielleicht. Ich weiß es nicht.«

Das Chaos im Kofferraum passte zu dem alten Audi. Ich könnte einen halben Künstlershop mit all dem Zeug hier füllen.

»Wer ist Callan?« Audrey lehnte sich aus dem offenen Fenster.

»Ihr Ex, der vor vier Jahren ohne ein einziges Wort des Abschieds abgehauen ist«, antwortete Tia freundlicherweise für mich und griff nach Pablo, der hölzernen Modellhand, die Jake während unserer Beziehung nach Picasso benannt hatte. Sie bog alle Finger bis auf den Mittelfinger nach unten. »Er ist ein Arschloch.«

Ich seufzte, schob ein paar Zeichenblöcke beiseite und fand dahinter die angebrochene Flasche Tequila. »Er ist kein Arschloch, es war kompliziert.« So kompliziert, dass ich ihr nie Details anvertraut hatte. So kompliziert, dass ich auch jetzt noch nicht darüber redete, was wirklich passiert war und warum Callan es hier nicht mehr ausgehalten hatte. Was im Haus seiner Eltern geschehen war, hütete ich weiterhin wie einen Schatz, obwohl es das genaue Gegenteil davon war.

»Kompliziert?«, hakte Audrey vorsichtig nach.

»Ich war diejenige, die Schluss gemacht hat«, erklärte ich, während ich es mir mit offener Tür im Audi bequem machte und einige Schlucke aus der Flasche nahm. Der Tequila war warm, weil er im Kofferraum gelegen hatte – und das seit mindestens einem halben Jahr –, aber er brannte angenehm im Magen. Ja, ich war diejenige, die Schluss gemacht hatte, und obwohl es sich damals nicht so angefühlt hatte, als gäbe es eine andere, bessere Möglichkeit, hatte es viele Nächte gegeben, in denen ich es bereute. Einfach, weil ich ihn vermisste. Alles an ihm.

Wortlos drehte ich mich um und reichte die Flasche nach hinten. Audrey nahm sie mit einem schiefen Lächeln entgegen und verzog keine Miene, als sie sich den Tequila pur genehmigte.

»Du hast hier nicht zufällig irgendwo Limetten und Salz rumliegen, oder?« Sie lachte und reichte die Flasche weiter an Tia, die sich wieder auf den Beifahrersitz hatte fallen lassen.

»Schau doch mal in den Kofferraum«, erwiderte diese mit einem Augenrollen. »Würde mich nicht überraschen, wenn du in der Karre Limetten und Salz findest.« Sie reichte den Tequila, ohne zu trinken, an mich weiter. »Musstest du nicht mal als Projekt für einen deiner Kurse einen Limettenbaum malen?«

»Es war ein Zitronenbaum.« Ich warf ihr einen skeptischen Blick zu. Normalerweise war sie diejenige, die trank, und ich die, die nüchtern blieb und uns wieder sicher nach Hause fuhr. »Und nein, ich habe keine Zitronen im Kofferraum liegen.« Hoffte ich zumindest, denn bei dem Chaos konnte ich mir nicht mal sicher sein. Aber wenn da noch irgendwo eine Zitrone war, litt sie mittlerweile unter grünem Schimmelbefall, denn das Projekt Zitronenbaum war eine Weile her. Ich war noch mit Jake zusammen gewesen, als ich das Ding gemalt hatte. Gott, ich hoffte wirklich, dass da keine grüne Schimmelzitrone zwischen meinen Utensilien hauste.

»Warum hast du mit diesem Callan Schluss gemacht?« Audrey nahm wirklich kein Blatt vor den Mund. Ich spürte Tias Blick von der Seite auf mir und trank noch größere Schlucke vom Tequila, bis meine Lippen brannten und ich die Flasche absetzen musste, weil das Zeug so verdammt stark war.

»Das ist ein gut gehütetes Geheimnis«, antwortete Tia, bevor ich dazu die Gelegenheit hatte. Ich konnte die Frage in ihrer Aussage deutlich hören, denn sie hatte mir nie geglaubt, dass es einfach nicht mehr funktioniert hatte. Und ich konnte ihr keine Vorwürfe machen, dass mein Schweigen sie etwas kränkte. Es war nicht so, dass ich mich ihr nicht anvertrauen wollte, ich hatte es nur noch nicht geschafft. Jedes Mal, wenn ich dachte, so weit zu sein, um ihr von Callans Vater zu erzählen, blieben mir die Worte doch wieder im Hals stecken.

»Das wusste ich nicht.« Audrey schien zu spüren, dass ihre Frage unangenehm zwischen uns schwebte. »Hey, ich könnte auch noch ein paar Schlucke vertragen.«

Ich gab ihr den Tequila. Shit, wir waren auf dem besten Weg, den Inhalt der Flasche um einiges zu verringern. Aber wenn nicht jetzt, wann dann?

Einige Momente vergingen in Schweigen, dann hielt Audrey Tia die Flasche leise kichernd hin. Diese lehnte jedoch erneut ab.

»Eine von uns muss wirklich vernünftig sein.« Sie griff dramatisch nach dem Autoschlüssel und verscheuchte mich vom Fahrersitz. Ich machte ein paar Schritte auf der wenig befahrenen Landstraße, die dazu führten, dass ich den Alkohol spürte. Tia musste den Satz nicht beenden. Wir wussten beide, dass ich nicht diejenige war, die uns heute Nacht zu Mom und Dad fahren würde, wo wir alle drei übernachten wollten. Ich war noch nicht mal diejenige, die uns die restliche Strecke zur Scheune bringen würde. Dazu war ich schon viel zu angeheitert.

»Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich zur Party möchte. Bei so vielen Leuten würde unser Fehlen nicht einmal …«

»Rena-Bär«, sagte Tia mit ruhiger Stimme. »Wenn du jetzt nicht einsteigst, werde ich auf den Rücksitz klettern und bis zum Morgengrauen meine Freundin vernaschen. Davor wird dich auch der Tequila nicht bewahren, denn wir werden meistens ziemlich laut und wild. Kein Blackout der Welt würde …«

»Tia, hör auf.« Audrey ließ sich lachend quer über die Rückbank fallen und streckte die Beine aus dem Fenster. Ich lehnte mich an die offene Beifahrertür. Obwohl die beiden erst seit ein paar Monaten zusammen waren, war da eine Vertrautheit zwischen ihnen, die mich an Callan und mich erinnerte. Daran, wie es gewesen war, an die schönen Momente, die Unbekümmertheit, die Neckereien und wie viel wir gelacht hatten.

»Komm schon. Muss ich dich ernsthaft auch noch daran erinnern, wie hart du gekämpft hast, um das Wochenende für diese Party freizubekommen?« Tia gab ein leises Grummeln von sich. »Als wäre das Daisy Rose jemals so voll, dass man Tag und Nacht zwei Mitarbeiter dort braucht. Nichts für ungut, aber das letzte Mal, als ich da war, haben sich nur zwei verliebte Teenies im hintersten Eck einen Milkshake geteilt. Und das war um die Mittagszeit.«

»Abends ist viel mehr los.« Okay, das stimmte nicht wirklich.

Tia seufzte. »Steig ein und lass uns zur Party fahren, bevor dein Bruder auf die Idee kommt, dich als vermisst zu melden. Oder bevor die Karre nicht mehr anspringt, weil sie so lange stillgestanden hat.«

»Ich hätte gerne eine Warnung, bevor du das Teufelsding startest«, meldete sich Audrey von der Rückbank. Sie lag immer noch ausgestreckt da und trank mittlerweile im Liegen vom Tequila.

Ich zögerte und zupfte an meiner rot karierten Flanellbluse herum. »Was ist, wenn er sich kein bisschen verändert hat? Wenn ich ihn sehe und sofort wieder in ihn verliebt bin?« Gott, allein das auszusprechen, war beängstigend. Und was, wenn alles wieder hochkam? Nicht nur all die guten Dinge, sondern auch die, die das Potenzial hatten, einen zu zerstören?

Tias Gesichtszüge wurden weicher. »Dafür hast du doch uns. Denkst du, wir lassen zu, dass er dir noch mal das Herz bricht?«

»Genau. Du hast Tia, mich und Ms Tequila«, stimmte Audrey von hinten zu. »Da kannst du gar nicht auf dumme Gedanken kommen.«

»Ich glaube, du solltest etwas weniger Zeit mit Ms Tequila verbringen«, sagte Tia mit skeptisch hochgezogener Augenbraue, was Audrey nur mit einem Schulterzucken beantwortete.

Ich atmete tief durch, ließ mich auf den Beifahrersitz fallen und zog die Tür hinter mir zu. Tia sah mich ermutigend an, dann drehte sie den Schlüssel in der Zündung.

»Ich hasse diese Karre.« Sie verzog das Gesicht, als der Audi mit einem viel zu lauten Brummen und einem Ruckeln ansprang.

Auf der Rückbank gab Audrey ein empörtes Quietschen von sich. »Du hast mich nicht vorgewarnt!«

Ich schnallte mich an und warf einen Blick über die Schulter. Ein nicht unbeachtlicher nasser Fleck zog sich über die Vorderseite ihres Shirts, und Tequila rann ihr übers Kinn und in die Halskuhle.

»Oh shit, tut mir leid«, sagte Tia, während ich eine Packung Taschentücher aus dem Handschuhfach holte und sie Audrey zuwarf, die sich mittlerweile wieder aufgerichtet hatte.

»Du hast später was gutzumachen.«

»Wenn die Karre nicht explodiert, gerne.«

»Es wird überhaupt nichts explodieren.« Gott, ich hörte mich an wie Darren damals, als er den Audi verteidigt hatte. »Das Auto ist längst nicht so gebrechlich, wie es wirkt.« Doch, war es. Nur aus diesem Grund hatte ich es mir leisten können.

Das Glück schien allerdings auf unserer Seite zu sein, denn kurz darauf parkten wir in einiger Entfernung der Scheune – ohne unterwegs auf weitere, unsichtbare Hindernisse gestoßen zu sein. Audrey schien sich mit meinem Tequila angefreundet zu haben, denn sie nahm ihn mit, als sie ausstieg, und trank auf dem Weg zur Scheune immer wieder kleine Schlucke.

Kelly hatte ganze Arbeit geleistet. Die silbernen Girlanden und Lichterketten erweckten das Gebäude zu neuem Leben, und obwohl es noch nicht dunkel war, sorgte das Licht der Lampions bereits jetzt für eine gemütliche Atmosphäre. Wir schlängelten uns durch die laute, energiegeladene Menschenmenge in Richtung Buffet, wo Tia sofort nach einem Pappteller griff und ihn mit kleinen Häppchen belud.

»Wie lecker das alles aussieht … Ich könnte mich in Guacamole eingraben.« Sie hob den Kopf, und ich folgte ihrem Blick in Richtung Bühne. »Ich wusste gar nicht, dass eine Band spielen wird. Wen haben sie denn angeheuert?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Darren hatte keine Band erwähnt.

»Live-Musik ist toll.« Audrey bediente sich an Tias Teller. »Und wenn wir die Band nicht verpasst haben, sind wir auch nicht zu spät dran.«

Ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Immer wieder scannte ich die Menge, in der Erwartung, Callan zu sehen. Ein Teil von mir wollte es hinter sich bringen, wollte wissen, ob er wirklich gekommen war und wie sehr er sich verändert hatte. Wenn ich ihn erst einmal sah, würde der Rest des Abends vielleicht leichter werden.

»Ich hab ihn auch noch nicht gesehen.« Tia waren meine suchenden Blicke nicht entgangen, und auch Audrey hielt mir wieder den Tequila hin, von dem ich ein paar Schlucke trank. »Aber da drüben ist Darren.«

Sie hob die Hand und winkte, woraufhin mein Bruder auf uns zukam.

»Darren Godwin«, begrüßte sie ihn grinsend. »Deine Zukünftige stellt bessere Partys auf die Beine als du. Ganz im Ernst, das Buffet ist ein Traum. Wer ist denn heute Abend für die Musik zuständig?«

»Hey, Tia.« Darren zögerte, dann wanderte sein Blick zu mir, und er rieb sich über den Nacken. Warum zögerte er? Wen hatte mein Idiot von einem Bruder für heute Abend gebucht? Das mulmige Gefühl in meinem Bauch nahm zu, und fast zeitgleich betrat jemand die Bühne.

»Es ist Cals Band.«

»Das ist nicht dein Ernst.« Überraschenderweise blieben mir die Worte nicht in der Kehle stecken, obwohl diese sich mit einem Mal ziemlich eng anfühlte. Ich blinzelte. Aschgraue Schleier, die sich zu einem dunklen Anthrazit verfärbten. »Das ist nicht dein verdammter Ernst, oder? Warum hast du mir das nicht gesagt, dann wäre ich …«

»Was, Rena? Dann wärst du nicht gekommen?«

Scheiße. Genau das hatte ich sagen wollen. Ich presste die Lippen zusammen, schmeckte den scharfen Tequila.

»Du hast behauptet, du wärst über ihn hinweg.« Darren musterte mich viel zu eindringlich für meinen Geschmack. »Weißt du nicht mehr, was du am Telefon gesagt hast?«

Natürlich wusste ich das noch. Ich hatte gesagt, dass es mir egal war, wenn Callan zur Party kam, weil er nichts weiter war als ein Ex. Ich hatte sogar noch einen draufgesetzt und behauptet, es würde schwerer sein, Jake wieder über den Weg zu laufen. Aber jetzt sah Darren mich an, als würde er mich durchschauen, und das ärgerte mich. Mein Bruder konnte einen Papierwischer nicht von einem Tampon unterscheiden – er sollte keine Schlussfolgerungen ziehen, die mit meinen Gefühlen zu tun hatten.

»Es ist mir auch egal. Ich finde nur, du hättest kein Geheimnis daraus machen müssen. Das war unnötig.«

Von der Bühne erklangen die ersten Töne.

»Na dann … Genießt den Abend.« Darren nickte Tia und Audrey zu, bevor er mich mit einem Blick maß, der auch ohne Worte ziemlich eindeutig war. Übertreib es nicht, Schwesterherz.

Ich starrte ihm verärgert nach, als er wieder in der Menschenmenge verschwand, dann erst wurde mir bewusst, dass ich immer noch die Flasche in der Hand hatte. Ms Tequila. Natürlich sah es so aus, als hätte ich vor, mir die Kante zu geben. Vielleicht war das auch gar keine schlechte Idee, denn im nächsten Moment erfüllte Callans Stimme die Halle. Oh Gott. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen, ganz und gar nicht. Nur am Rande registrierte ich, wie Audrey nach Ms Tequila griff, die ich ihr bereitwillig überließ.

Er hatte immer noch langes Haar – das war es, was mir zuerst auffiel. Langes Haar, das er wie damals mit einem Lederband zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, aus dem sich dieselben widerspenstigen Strähnen lösten.

»Sollen wir die Bar suchen?«, fragte Tia lautstark und gab mir einen freundschaftlichen Schubs, aber ich schaffte es nicht, meinen Blick von der Bühne loszureißen. Callans Finger strichen über die Saiten seiner Gitarre, so schnell und so voller Leidenschaft, dass mir fast schwindlig wurde. Er hatte früher nie gesungen, und jetzt tat er es mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass mein Brustkorb sich zusammenzog.

»So gut ist er gar nicht.« Tia stellte den Teller ab und fixierte ebenfalls die Bühne. Ein ziemlich schwacher Versuch, mich aus meiner Starre zu lösen, denn sie klang dabei alles andere als überzeugt. Callan war gut, er war sogar verdammt gut, und das war ihr genauso klar wie mir.

Er sang, und ich fühlte jedes einzelne seiner Worte.

3| CALLAN | Rockstar und Prinzessin

Ich liebte es, auf der Bühne zu stehen und mich vollkommen hinzugeben. Ich liebte es so sehr, dass ich die Aufmerksamkeit, die auf mir lag, ausblenden konnte. Die Klänge meiner Gitarre mischten sich mit den tiefen Tönen des Basses und den treibenden Rhythmen des Schlagzeugs, und darüber lag meine Stimme, klar, melodisch und gleichzeitig ein wenig kratzig, als könnte der Sturm an Emotionen in meinem Inneren jede Sekunde nach außen dringen.

Ich löste mich auf, wurde eins mit der Gitarre, atmete die Musik – zumindest bis ich spürte, wie sich etwas in meiner Wahrnehmung veränderte. Ein weiterer Blick lag auf mir. Ein Blick, den ich früher so sehr genossen hatte, wie ich ihn jetzt fürchtete. Aber, fuck, ich musste mich zusammenreißen. Ich konnte ihr nicht dauerhaft aus dem Weg gehen; besonders nicht heute Abend.

Während eines Gitarrensolos atmete ich unauffällig einmal tief durch, dann drehte ich den Kopf in die Richtung, in der ich sie erwartete. Ich brauchte keine fünf Sekunden, um sie zu entdecken. Es war genau wie damals. Mühelos. Ich fand sie mühelos, so war es schon immer gewesen.

Rena stand neben zwei Frauen, von denen ich eine als Tiana ausmachen konnte; die andere, die eine Tequila-Flasche umklammert hielt, war mir unbekannt.

Sie sah mich an. Ich sah sie an. Für einen Moment war es, als würde die Zeit stillstehen, als würde sich die Scheune auflösen in warme Sommernächte, vertrautes Flüstern und einen Hauch von Erdbeere.

Gott, Cal. Ich liebe dich. Ich brauche dich. Du bist alles.

Ich werde dich immer lieben, Rena.

Die Erinnerung überfiel mich so unvermittelt, dass ich mir um ein Haar einen Patzer geleistet hätte, doch irgendwie gelang es mir, die Fassung zu wahren. Warum sah sie … sich selbst so ähnlich? Das gleiche braune Haar, die gleichen funkelnden Augen. Lediglich ihr Gesicht war ein wenig schmaler geworden. Sie sah erwachsener aus – und ihr Anblick ließ mein Herz stolpern.

Irgendwie gelang es mir, trotzdem weiterzuspielen, meine Lines zu singen und mich nicht von dem Kloß in meiner Kehle ersticken zu lassen. Ich stand es irgendwie durch, auch wenn ich weder sagen konnte, wie lange wir den Blickkontakt aufrecht erhielten, noch wer ihn letztendlich beendete. Mit Sicherheit sagen konnte ich jedoch, dass er mich in heilloses Chaos stürzte – schlimmer noch als befürchtet. Viel schlimmer.

Obwohl wir erst nach etlichen weiteren Songs eine Pause einlegten, hatte die Zeit nicht ausgereicht, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Dementsprechend aufgewühlt war ich, als ich von dem wackligen Podest herunterstieg und meine Augen erneut durch die Menge schweifen ließ.

Ich hatte nicht vor, zu ihr zu gehen, zumindest nicht bewusst. Eigentlich wollte ich mir an der Bar eine neue Apfelschorle holen, um irgendetwas zu haben, an dem ich mich festhalten konnte. Für gewöhnlich waren die Unterbrechungen zwischen den Sets willkommene Atempausen, aber heute … nun, heute hätte ich am liebsten nonstop durchgespielt und dann das Weite gesucht.

Natürlich war mir klar, dass ich Rena auf Dauer nicht aus dem Weg gehen konnte; weder heute Abend noch im Verlauf der nächsten Monate – immerhin würden Darren und Kelly bald heiraten, und ich ging nicht davon aus, mich den Vorbereitungen komplett entziehen zu können. Vermutlich war es gut, dass wir uns auf halbem Weg zur Bar mehr oder minder zufällig trafen. Wahrscheinlich wollte sie das Pflaster auch mit einem Ruck abreißen. Kurz und schmerzlos.

Ich schob mich an einem tanzenden Pärchen vorbei, das sich offenbar überhaupt nicht daran störte, dass gerade keine Musik lief, und wieder zuckte mein Blick zu Rena.

Tia versetzte ihr einen leichten Stoß in die Seite und nickte in meine Richtung, worauf Rena die Schultern straffte und mir einige Schritte entgegenlief. Obwohl ihr Gesichtsausdruck entspannt wirkte, entging mir nicht, wie fest sich ihre Finger um ihr Glas geschlossen hatten, das mit einem intensivblauen Cocktail gefüllt war.

»Hey«, sagte sie, nachdem sie einige Schlucke durch den Strohhalm genommen hatte. »Schön, dich zu sehen. Das war gut … die Songs, meine ich. Sie waren gut.«

Obwohl ihre Worte freundlich waren, konnte ich einen Hauch Bitterkeit in ihrer Stimme erkennen, der meine Unsicherheit noch weiter verstärkte. Sie freute sich nicht, mich zu sehen. Natürlich nicht. Ich hatte nichts anderes angenommen, und mir ging es ebenso.

»Hey«, erwiderte ich wenig einfallsreich ihren Gruß. Ich hätte mit dem Treffen bis nach dem Besuch der Bar warten sollen, dann hätte ich jetzt auch etwas zum Festhalten. Keine Ahnung, was ich mit meinen Händen anfangen sollte, also verschränkte ich die Arme locker vor der Brust.

»Freut mich, dass dir unsere Musik gefällt«, schob ich hinterher, obwohl ich mich innerlich vor Verlegenheit wand. Hatten wir jemals ein so verkrampftes Gespräch geführt? Ich konnte mich nicht erinnern.

Sie nahm einen weiteren Schluck, während ich dem Drang widerstand, mir die übliche widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Nicht weil sie nervte, sondern weil ich so nervös war.

»Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet du auf dieser Party für die musikalische Unterhaltung sorgen würdest?«, fuhr sie nach einer kurzen Pause, die sich zu einer Ewigkeit ausdehnte, fort. Sie offensichtlich nicht, denn in ihren Augen konnte ich dieselbe Überforderung sehen, die auch mich erfüllte. Anscheinend hatte sie ihr Bruder nicht vorgewarnt. Super.

»Darren ist nach wie vor mein bester Freund«, erwiderte ich etwas steif. »Es ist selbstverständlich, dass ich da bin, wenn er mich darum bittet.«

»Sah in den letzten Jahren anders aus.« Rena hob den Cocktail an ihre Lippen, als könnte sie damit ihre Worte zurücknehmen. Aber sie standen im Raum, bauten sich zwischen uns zu einer undurchdringlichen Mauer auf. Der Vorwurf war verdammt unfair, das wusste sie genau, und deshalb würde ich nicht darauf eingehen. Ich hatte Darren kurz nach meiner Ankunft in Seattle kontaktiert und hatte mich bemüht, ihn seitdem auf dem Laufenden zu halten – vielleicht hatte ich Woodfield zurückgelassen, aber nicht unsere Freundschaft.

»Sind bestimmt an die hundert Leute hier.« Rena sah sich um und schwankte dabei fast unmerklich hin und her. Wie viel hatte sie getrunken? Offenbar war das nicht ihr erster Cocktail. »Du hast vor hundert Leuten gesungen. Wie fühlt sich das an?«

Für einige Sekunden starrte ich sie schweigend an, dann entschloss ich mich, ihre Frage zu beantworten. »Es ist immer schön, Publikum zu haben«, sagte ich. »Aber es wird nie wieder so aufregend sein wie bei meinem ersten Konzert. Es waren nur knapp fünfzig Leute anwesend, meine Kommilitonen und ein paar Dozenten, aber es hat sich angefühlt, als stünde ich vor einer riesigen Menschenmenge.«

Ein Teil von mir genoss es, Rena vor Augen zu halten, was sie verpasst hatte, und vermutlich lag es auch daran, dass ich die Erzählung detaillierter gestaltete als nötig.