Renata geht tanzen - Sabina Naber - E-Book

Renata geht tanzen E-Book

Sabina Naber

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Beschreibung

Sex scheint zunehmend zu einem enttabuisierten Thema zu werden. Man weiß über Swingerclubs, Prostitution und die BDSM-Szene Bescheid, genießt anscheinend völlige Freiheit. Gleichzeitig unterwerfen sich viele Menschen unsichtbaren Regeln. So hat man durchtrainiert, mehrmals am Tag geduscht und möglichst komplett epiliert zu sein, um als attraktiv wahrgenommen zu werden. Immer mehr Menschen haben diese Regeln so sehr verinnerlicht und sich selbst daher dermaßen im Griff, dass sie die Kunst der Hingabe verloren haben. Es zählt nicht mehr der Augenblick, sondern nur noch das Ziel, das man zu erreichen versucht, nämlich - im Rahmen dieses Regelwerks - als möglichst attraktiver Mensch den - im Rahmen dieses Regelwerks - möglichst attraktivsten Menschen abzuschleppen. Es entsteht Langeweile, Desinteresse an Sex, das sich aber niemand eingestehen will. Sex auf der Straße, in einem Teich oder mit fremden Menschen, ohne vorher geduscht zu haben, vielleicht auch noch mit mehreren gleichzeitig - das alles kennt Berührungsneurotikerin Renata nicht. Sex dient zur Fortpflanzung, aber selbst das muss nicht sein. Trockene Zahlen sind verlässlicher als Menschen. Und Flirtrituale langweilen sie sowieso zu Tode. Doch dann erweist sie ihrer Freundin einen Gefallen und begleitet sie auf eine Singleparty. Dort lernt sie zwei Männer kennen, einen geheimnisvollen Stalker, der ihr bislang völlig unbekannte Fantasien beschert, und den Mann zum Heiraten. Für sie beginnt eine Achterbahnfahrt zwischen völlig durchgeknallten Lustmomenten und zarten Gefühlen. Sabina Naber beschreibt in ihrem Roman RENATA GEHT TANZEN die Reise eines Menschen zu sich selbst - ein Plädoyer für Fantasie und Hingabe.

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Sabina Naber

RENATA GEHT TANZEN

Erotischer Roman

Gewidmet der Aquariumtoilette im Kulin und allem anderen, inklusive Menschen, was jenseits der Norm ist. Also uns allen.

Prolog

Der Seitenscheitel betrachtete ihren Mund. »Okay, spielen wir nach deinen Regeln. Du sagst mir jetzt einfach, was wir tun.«

»Wir tun gar nichts.«

»Okay, dann, was ich tun soll.«

Renata spürte, wie ihre Brustwarzen gegen den BH drückten. Das war unlogisch, zutiefst unlogisch. Seine Aufforderung war lächerlich, so verrückt wie er es war. Ein hilfloses Spiel, um sie doch noch herumzubekommen. Ein Spiel.

»Ich …« Ihre Stimme krächzte. Sie presste die Tasche an die Brust und stierte auf den goldfarbenen Reißverschluss. Plötzlich war da wieder dieser elektrische Schlag, genau wie vorhin im Lokal, nur dieses Mal auf der Wange. Die Luft blieb ihr weg. Sie sah den Seitenscheitel mit aufgerissenen Augen an. Er blies ein imaginäres Staubkörnchen von seinem Finger. Sie wollte mit diesem schlampigen Typen, der sich sicherlich nur alle zwei Tage wusch, nicht ins Bett. Sie wollte keinen Körperkontakt mit ihm, sich nicht mit ihm … doch dann berührte er sie, und es kam wieder dieser Blitz, der sie willenlos machte. Eine Beule in seiner Hose.

»Hol ihn raus und … masturbier.« Lieber Gott, das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt.

Jetzt riss er die Augen auf. »Was soll ich?«

Sie hatte es gesagt. So etwas tat man nicht. Sie krallte sich an ihrer Tasche fest, groß und schwarz wie ein Schild. Die Hauswand auf der einen Seite des Gehsteigs und die Autos auf der anderen wichen aus ihrem Blickfeld. Das durfte nicht sein. Sie musste sich umsehen, die Realität wieder herstellen. Doch ihr Blick klebte an seinen Augen, umschmeichelte gleichzeitig die Beule unter seiner nassen Jeans. »Wichsen. Du sollst dich vor mich hinstellen und dir einen runterholen.«

Jetzt schmerzten die Brustwarzen im plötzlich viel zu engen BH. Der Dialog war surreal, das Ganze sicher nur Einbildung, einer ihrer schmerzhaften Tagträume. Und sie, also das Es in ihr, das sagte diese schrecklichen Dinge sicherlich nur, um ihn zu erniedrigen, damit er als Verlierer vom Platz schlich. So musste es sein. Es spürte viel mehr als sie selbst, was in so einer ungehörigen Situation angebracht war, was helfen würde. Und die Brustwarzen, die standen sicher … nur aus Ärger. Sie musste sich umdrehen. Gehen.

Sie fixierte ihn.

Der Seitenscheitel öffnete leicht den Mund, trat einen Schritt zurück. Mit einer schnellen Bewegung löste er die Gürtelschnalle, knöpfte die Metallknöpfe auf. Er holte seinen Schwanz heraus, der voll erigiert war, nahm ihn in die Rechte und schob die Vorhaut zurück. Dann noch einmal. Renatas Herz hämmerte in ihrem Kopf. Wie damals, als sie Robert von ihrer Rache erzählt hatte, worauf sein Gesicht vor Wut zusammengeschrumpft und zugleich sein Schwanz angeschwollen war. Licht fiel auf sie beide. Mein Gott, was tu ich da? Was lässt Du mich tun? Renata fixierte die hell erleuchtete Eingangstür des Zinshauses, neben der sie standen. Sie sah zu dem Mann vor ihr, der noch immer seinen Schwanz rieb. »Hör auf. Pack ihn ein. Verdammt, pack ihn endlich weg!«

Er sah sie nur an, mit genau dem Ernst, den er beim Tanzen auf dieser vermaledeiten Singleparty gehabt hatte. Schritte und Getrappel wurden im Haus hörbar. Sie musste weglaufen. Sie durfte sich dieser Peinlichkeit nicht aussetzen. Doch ihre Beine bewegten sich nicht, sie sah nur abwechselnd zur Tür und auf seinen Schwanz. He, Du Scherzkeks da oben im Himmel, lass mich aufwachen.

Der Türöffner summte.

Sie packte den Seitenscheitel an den Armen, drückte sich selbst gegen die Hausmauer und seinen Schwanz gegen ihren Bauch. Reflexartig umschlang er sie. Wie unter Hypnose zog sie das Hinterteil seiner Jeans hinauf und hielt die Hose so fest, dass man glauben konnte, sie kralle sich in seinen Hintern.

Aus dem Haus kam eine ältere Dame mit einem Schäferhund. Sie strebte an ihnen vorbei, doch der Hund zog zu ihnen, er schnüffelte. Sie hielt den Atem an, der Seitenscheitel blies ihr ins Ohr.Der Schmerz rutschte von den Brustwarzen in den Bauch. Die Dame riss den Hund mit der Leine zu sich. Viel zu langsam bewegten sich die beiden weg in die Nacht, Richtung Hochstrahlbrunnen.

Der Mann rieb sich an ihr.

Sie stieß ihn weg. »Habe ich dir das gesagt? Dass du das tun sollst?«

Der Mann lächelte … der Seitenscheitel, er war noch immer der Seitenscheitel. Der Schlurf, der sie anwiderte und kein Namensschild trug. Der sich höchstwahrscheinlich auf der Party eingeschlichen hatte. Verdammt, nicht er hatte sich ungehörig benommen, sie, ja, sie hatte etwas getan, was eigentlich gar nicht möglich war, indem sie ihn zum Onanieren aufgefordert hatte. Renata hechelte nach Luft. In ihrer Seite stach es. Am liebsten wollte sie rennen, immer schneller, einfach weg von diesem Wahnsinnigen da, doch sie konnte keinen Schritt setzen, weil der Schmerz sie krümmte. Weil die Verbindung zwischen ihrem Hirn und dem Körper unterbrochen war.

Der Mann nahm seinen Schwanz wieder in die Hand und rieb ihn. Der Schmerz in ihrer Seite wurde stärker. Geh! Geh endlich, Renata! Der Befehl kullerte ihre Schädeldecke entlang und verpuffte. Sie kauerte sich blindlings auf die Stufe zum Hauseingang, verpasste nur knapp die Kante, weil ihre Augen den Schwanz fixierten. Der Mann stellte sich vor sie hin, rieb und knetete seine Hoden. Eier. Mit blondem Flaum verzierte Eier. Die Eichel schimmerte im Licht der Straßenlaterne. Und der Schwanz schien immer größer zu werden. Ein paar Tropfen Samenflüssigkeit quollen heraus. Und sie roch nichts. Verdammt, sie roch nichts. Nein, es war ohnehin besser so. Die Behinderung als Befreiung. Sie roch nichts Ekliges, sie musste auch nichts Unangenehmes berühren und schmecken. Sie konnte einfach diesen traumhaft schönen Schwanz anschauen.

Aber jeden Moment würden doch Leute … Menschen … Pärchen … Polizisten. Die Straßenlaterne strahlte wie ein in Brand geratener Zeppelin. Die Häuser überzogen sich mit einem dunkelgrauen Schleier, strebten gegen den Himmel, verjüngten sich zu Nadelspitzen und verloren sich im Schwarz. Sirenengeheul durchdrang den Baum gegenüber, ihr Ohr, den Asphalt, hallte an den Autos wider. Sie war einfach in einem schlechten Traum. Geli redete noch immer auf sie ein, und sie würde gleich an der Bar inmitten des Rummels der Singleparty aufwachen und alles war nur ein aberwitziger Traum gewesen, der sie darin bestätigte, dass sie nun endlich wirklich eine Therapie beginnen musste.

Der Mann atmete jetzt hörbar. Sehr schnell. Ihre Klitoris drückte gegen das Höschen. Und die Blase gegen die Klit. Sie durfte jetzt nicht auf die Toilette müssen, denn da gab es keine Toilette. Der Mann hatte seinen Kopf nach hinten gebogen. Schnell zuckte seine Hand über die Eichel. Die Linke drückte die Wurzel seines Schwanzes. Renata presste die Hände gegen den Bauch, gegen den Schamhügel. Der Hals wurde ihr immer enger. Sie sah bloß noch den Schwanz, die Samentropfen, die immer mehr wurden und nun ein Schmatzen erzeugten. Sie streifte ihren Rock hoch und drückte durch die Seide auf ihre Klit. Es schüttelte sie. Sie fuhr unter den Sliprand in die Falte neben der Klit, rund um die Klit, sah auf den Schwanz, fuhr in ihr Loch … und kam im nächsten Augenblick.

Kurz danach hörte sie auch ihn aufstöhnen. Aus dem Augenwinkel sah sie seine geschlossenen Augen, seinen zu einem stummen Schrei weit aufgerissenen Mund. Knapp verfehlte sein Samen ihre Schuhe. Sie zuckte zurück.

Langsam wurde die Straße wieder eine Straße. Renata stieg Hitze ins Gesicht. Sie sah sich um. Es war kein Mensch zu sehen. Sie hatte mehr Glück als Verstand. Der Mann holte ein Papiertaschentuch aus seiner hinteren Hosentasche und wischte sich die Hände ab. Die Rechte streckte er ihr entgegen, um ihr aufzuhelfen. Renata würgte es. Mit einem feuchten Erfrischungstuch seine besamten Hände zu reinigen, wäre jetzt wohl das Mindeste. Und sie selbst saß auf der angepissten Stiege eines Wohnhauses, hatte sich mit ungewaschenen Fingern in ihre Vagina gegriffen. Ihr Magen krampfte. Sie riss an ihrem Rock, um ihn hinunterzuziehen, doch er hatte sich irgendwo verheddert. Also stand sie auf und streifte ihn im Stehen über die Schenkel. Auch das brauchte mehr Zeit, als ihr lieb war.

Der Mann streckte ihr nochmals die Hand entgegen. »Fabian. Fabian Lichter.«

Renata drehte sich um und ging davon. Fabian Lichter folgte ihr nicht.

1

Die blonden Haare kleben auf der Stirn, vom akkuraten Seitenscheitel war nichts mehr übrig. Doch die Haut ist nicht nass, sie schimmert nur. Seine Lider sind halb geschlossen, dafür ist der Mund weit geöffnet. Er keucht. Sein Atem riecht … Mist, wonach roch sein Atem? Nach Pfefferminz, das übertüncht zur Not alles. Die Oberlippe zuckt in unregelmäßigen Abständen. Sein Gesicht bewegt sich über ihr vor und zurück. Mit jedem Stoß von ihm knallt ihr Kopf gegen den Kopfteil des Bettes und presst sich ihr … nein … entschlüpft ihr ein Seufzer. Sie schnappt nach seiner Oberlippe, verfehlt sie. Stöhnt. Ein Schweißtropfen löst sich von seiner Nasenspitze … der Tropfen durfte doch gar nicht da sein … und fällt … nein, nein, kein Tropfen, die Haut des Mannes schimmert doch nur … fällt direkt … auf sie zu …

Renata senkte den Kopf. Bitte, lieber Gott. Und starrte auf einen einst rosafarbenen, jetzt ausgeblichenen Kaugummi, der die Ritze zwischen den Holzdielen gut sieben Zentimeter verklebte. Unwillkürlich zog sie ihren Fuß von dem Ding zurück. Nicht schon wieder. Ein greller Lichtstrahl beleuchtete für einen Sekundenbruchteil den Boden. Der Kaugummi wies schwarze Schlieren auf. Ich brauch jetzt mein Hirn. Ich versprech Dir, lieber Gott, das nächste Mal kaufe ich die Obdachlosenzeitung, in Ordnung? Aber jetzt lass mich einen klaren Kopf haben, bitte!

Renata atmete tief aus und ein. Und musste husten. Die Luft war dick von Rauch. Und wahrscheinlich von Körperausdünstungen. Die Flecken auf den Rücken und in den Achseln der Menschen drängten diese Schlussfolgerung auf. Und dass die Menschen schwitzten, war ja kein Wunder. Wenn man an einem heißen Sommerabend in einem geschlossenen Raum dicht gedrängt … Renata versteifte sich und scannte ihren Körper. Es hatten sich noch keine Rinnsale gebildet. Und sie hatte eine Extralage Parfum aufgelegt, musste sich also für die nächsten paar Minuten keine Sorgen machen. Und die anderen … Renata schnupperte. Nichts. Nicht einmal eine Ahnung der olfaktorischen Kakofonie, die um sie herum herrschen musste. Wieder einmal, wie im Grunde ständig in letzter Zeit, hatte ihr Geruchssinn vollkommen die Arbeit eingestellt. Auch wenn die Beeinträchtigung langsam besorgniserregend war, fiel sie heute, in diesem Raum, bei diesem Gewühl von Menschen, unter Glücksfall. Die Singleparty war genauso schrecklich, wie sie es erwartet hatte. Sie würde sich jetzt einen Wald nach einem Regenguss vorstellen, was ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberte, dann würde sie ihrer Freundin ein Ciaoins Ohr flüstern und diesen hormongeschwängerten Wahnsinn stehenden Fußes verlassen, sich daheim auf die Couch legen und sich nach einer Stunde mit Chopin verzeihen, dass sie sich von Jana zum Besuch der Party hatte überreden lassen.

Renata hob den Kopf. Und sah wieder direkt auf den blonden Typen mit dem akkuraten Seitenscheitel. Da war kein einziger Schweißtropfen auf seiner Stirn. Und er stöhnte auch nicht, sondern betrachtete mit zusammengepressten Lippen die Körper auf der Tanzfläche. Er hatte sie nicht angesehen und sah sie auch jetzt nicht an. Da war kein Signal der Begierde gewesen, kein relevanter Tatbestand. Sie hatte nur wieder einen ihrer Tagträume gehabt … nein, sie musste ein anderes Wort dafür finden, denn bei Traum schwang Wunsch mit, und die Sexvisionen waren doch viel mehr quälende Albs. Immer störten Widerlichkeiten die Erotik.

Es war nicht nur anstrengend, sich hier die Pumps in den Bauch zu stehen und vorzugeben, eine attraktive Partie zu sein, ein hübsches, gesundes Weibchen, bereit zur Paarung mit anschließendem Nestbau, es war auch sinnlos. Sie war nicht gesund. Eine Frau, die ständig an Sex dachte, dabei von Schreckensszenarien gequält wurde, und die sich zugleich im Bett langweilte, wie sehr sich der Besteiger auch bemühte, die war alles andere als gesund. Und da konnte Jana hundert Mal erklären, dass die Sexfantasien nur die Folge von mangelnder Praxis war. Als ihre Freundin war Jana befangen, außerdem kannte sie nicht die vollständige Faktenlage und konnte die Sache daher nicht mit dem nötigen Scharfblick beurteilen. Und die Tatumstände waren, dass sie falsche Tatsachen vorspiegelte. Jana gegenüber und den potenziellen Familienvätern ringsum. Sie musste hier schnellstens raus … auch, weil sich die Blase meldete. Und wenn man vom Kaugummi auf die Toilettenanlagen rückschloss …

Der Seitenscheitel wandte schnell den Kopf, als hätte er etwas gehört, blickte ihr direkt in die Augen, quer über die nebeligen zehn Meter hinweg. Und sie sah nicht weg. So sehr sie auch ihren Kopf anschrie, sich wegzudrehen, er reagierte nicht. Ihr Körper schien sich separiert zu haben. Gehört hatte sie schon von diesem Phänomen, geglaubt hatte sie nicht daran. Und doch … Die Klärung der Frage war nicht virulent, sie musste viel mehr sofort hinaus aus dieser Anbaggerhütte, sonst sprach der Seitenscheitel sie noch an. Sie würde wieder einmal einem Werben nachgeben, weil ja die Hoffnung zuletzt starb. Ein paar Stunden später ritt der Seitenscheitel dann auf ihr und bekam einen Schrumpfkönig, weil sie es nicht schaffte, wie Millionen andere Frauen, ihm einen Orgasmus vorzuspielen. Sie würde ihm mitteilen, zur Beruhigung, weil ihr Männer in diesem Augenblick immer leidtaten, dass sie im Bett noch nie Spaß gehabt hatte. Doch er würde Angst bekommen, das Schwarze-Witwe-Syndrom aufreißen, wie es alle vor ihm getan hatten, weil Frauen, die straight über Sex redeten, widernatürlich waren. Und dann würde er, wie alle anderen davor, mit verkniffenem Mund und einem zwischen die Beine geklemmten Schwanz davonlaufen.

Sie musste sofort den potenziellen Tatort verlassen. Auch begann die Blase zu drücken. Das kam von dem halben Liter Wasser, den sie vor Betreten des Lokals getrunken hatte. Und nichts hatte es genutzt. Die Schleimhäute der Nase waren mittlerweile vollkommen trocken und zusammengeklebt. Sie war gezwungen, durch den Mund zu hecheln, was ziemlich dumm wirken musste.

Renata drehte sich zu Jana, doch ihre Freundin flüsterte gerade dem Mädchen, das sie mit ausgebreiteten Armen empfangen hatte, etwas ins Ohr. Renata berührte ihre Freundin am Arm. Die legte ihre Hand auf die ihre und redete weiter auf das Mädchen ein.

Renata stellte sich wieder aufrecht hin. Sie sah unwillkürlich zum Seitenscheitel, der starrte sie noch immer an. Sie senkte den Blick. Na, bitte, ging ja doch. Danke, lieber Gott, lass mich bitte nie wieder so … separiert … Neben dem Kaugummi war ein dunkler Fleck. Wahrscheinlich Rotwein. Oder Whiskey. Es musste wirklich schlecht um die Finanzen des Staatssenders bestellt sein, wenn der dazugehörige Wiener Stadtsender zu wenig Geld hatte, um die groß angekündigte »Single – no thanks«-Party in einer etwas gediegeneren, gepflegteren Umgebung zu veranstalten. In unmittelbarer Nähe des dunklen Flecks tauchte ein silberner linker Stiletto auf, das Bein darüber war in schwarzes Netz gehüllt. Ein schwarzer rechter Schuh schob sich zum Stiletto und stupste ihn an. Der Schuh umhüllte eine weiße Socke, die sich unter einem grauen Hosenbein verlor. Es war erstaunlich, wie viele Männer sich noch immer als Michael-Jackson-Epigonen gerierten und sich damit deklassierten, obwohl Tausende einschlägige Umfragen bei Frauen ein vernichtendes Urteil über diese modische Verirrung gefällt hatten. Wenn es wenigstens nicht immer Sportsocken, sondern solche aus dünner Baumwolle oder Seide … nein, weiße Socken zu dunklem Anzug, im Grunde zu jedem Anzug, waren und blieben ein absolutes No-Go.

Das empfand wohl auch die Trägerin der silbernen Stilettos, denn sie rammte den Absatz in den Rist des Mannes. Renata sah in sein Gesicht. Der Mann war sicher Ende vierzig, vor Schweiß triefend und mausbraun. Oder grau. Und das komplett von der Brille bis zu den Schuhen. Seine Haarfarbe unterschied sich kaum von jener seiner Haut, die Bräune auf seinen Wangen wirkte wie zersprungener Lack auf Karton. Ein verkniffener Seitenscheitel und ein schwitzender Mausbrauner – es war eine völlig idiotische Idee gewesen, sich von Jana überreden zu lassen, diese Veranstaltung zu besuchen. Das waren doch keine Männer zum Heiraten. Einmal abgesehen von allem anderen.

Owner of a Loneley Heart. Der Achtzigerjahre-Hit legte sich über das Geschnatter der unzähligen Menschen. Das Stroboskop pulsierte im Beat der Nummer, ließ die Discokugel ständig wie bei einer Explosion aufleuchten. Much better than an owner of a broken heart. So ein Blödsinn, dieser DJ gehörte zur Strafe mit seiner Musik mindestens hundert Tage beschallt. Genau das, ein einsames Herz, wollten all die Menschen hier ja nicht mehr sein. Aber wahrscheinlich hörte er gar nicht auf den Text, sondern legte nur all jene Nummern auf, die ihre Mütter und Väter mitgegrölt hatten, als sie, die Dating-People, Kinder gewesen waren. Oder jene Hits, zu denen sie mit erst schemenhaft erkennbaren Brüsten und Bärten bei Partys Petting betrieben hatten. Manchmal auch mehr. Sicher kamen jetzt gleich Donna Summer, Madonna und Michael Jackson. Wahrscheinlich sollten sie sich jung, unverbraucht fühlen, die Anfang-, Mitte Dreißigjährigen. Und wenn noch ABBA oder BoneyM. aufgelegt würden, führten sie bald alle mit verklemmtem Zahnspangenlächeln kichernd Gespräche.

Renata schaute auf die Tanzfläche und dann zur Ausgangstür. Das nächste saubere Klo, nämlich jenes ihrer Wohnung, war eine Viertelstunde entfernt.

»Hi! Ich bin Angie. Wer bist du?«

Renata wirbelte zu der schrillen Stimme herum. Ein kirschroter Mund, darüber graue Augen, die als kleine Inselchen mit einem Riff aus Kajal in einem Meer aus Lidschatten beinahe untergingen. Angie lächelte, worauf weiße, glänzende Steine sichtbar wurden, die durch zwei rote Flecken etwas Menschliches bekamen.

»Angie, Sie haben Lippenstift auf Ihren Zähnen.«

Die Inselchen wurden groß, der Lidschatten verschwand beinahe unter ihnen. Verdammt, das war jetzt nicht notwendig gewesen. Pieps-Angie konnte ja nichts für ihre schlechte Stimmung. Renata spürte Hitze in ihrem Nacken aufsteigen, gleich würde ihr Gesicht knallrot werden. Sie musste irgendwas zur Entschuldigung sagen … was aber gar nicht notwendig war, denn Angie lächelte sie an. Dadurch wirkte sie trotz ihrer flächendeckend aufgetragenen Schminke extrem jung, wie maximal zwanzig. Dann ließ sie ihren Kopf nach vorne fallen und schrubbte sich offensichtlich mit dem Zeigefinger die Zähne. Das Gesicht war unter einem gelbblonden Pagenkopf, dessen falsche Haare im Scheinwerferlicht flirrten, verborgen. Renata sah sich um, studierte das halbe Dutzend Betreuer des Stadtsenders. Alle hatten falsche Pagenköpfe auf, und zwar in sämtlichen, einst in den Achtzigern so populären Leuchtfarben wie Pink, Zitronengelb, Kiwigrün und Lila. Die Perücken der Mädchen endeten kurz unterhalb des Kinns, jene der Burschen beim Ohr. Lauter Prinzen Eisenherz. Allesamt waren sie in hautenge Shorts und Smokingwesten gezwängt, beides schwarz und aus Satin. Die Fliegen, die um die Hälse geschlungen waren, strahlten stets in derselben Farbe wie die Perücken. Die Frauen trugen dazu Netzstrumpfhosen und Pumps, die Männer bis an die Knie reichende geschnürte Stiefel, ebenfalls alles in Schwarz. Eindeutiges Outfit. Vielleicht gaben diese perfekten Bodys ja noch eine Go-go-Show, damit die, die schon fast ihre Eltern sein konnten, wieder einmal was zwischen den … also erregt wurden. Aber trotz aller Offensichtlichkeit wirkten sie sehr stylish. Renata sah an ihrem grauen Kostüm in Nadelstreif hinunter. Da waren keine geschätzten fünfzehn Jahre zwischen Angie und ihr, da waren gefühlte hundert. Und dann kam sie auch noch so oberlehrerhaft daher und …

Renata griff zur Schulter von Angie, zuckte im letzten Moment zurück. »Es tut mir leid, ich wollte nicht … wirklich, das ist sonst nicht meine Art. Entschuldigung. Ich heiß Renata.«

Angie strahlte sie mit nun wieder vollkommen weißen Zähnen an. »Ist in Ordnung, Renate, besser, als wenn ich die ganze Zeit wie Dracula durch die Gegend gecheckt wär.«

Ihr Lächeln wurde noch breiter und strahlender. Sie zückte einen gelochten Block und schrieb Renate darauf.

Renata tippte auf das E. »A bitte. Renata.«

»Echt? Geilo.« Angie schob den Kopf vor und zurück wie ein Huhn, das nach Samen pickte. Sie zerknüllte den Zettel und ließ ihn auf den Boden fallen. Renata biss sich auf die Lippen und hielt die Luft an. Alles war gut. Auch Putzfrauen brauchten einen Job.

Während Renata langsam ausatmete, schrieb Angie ihren Namen nun richtig und in Blockbuchstaben auf den Zettel. Dann befestigte sie ihn mit einer Sicherheitsnadel an Renatas Bluse. »Welcome at ›Single – no thanks!‹«

Wieder dieses ständig wachsende, mittlerweile fressende Lächeln. Das erstarb, weil Renata nichts anderes konnte, als Angie anzustarren, die Vollstreckerin ihrer öffentlichen Niederlage. Mit neun Jahren hatte sie sich dumm und dämlich gelacht, als sie mitbekommen hatte, wie ihre Patentante nach dem Tod des Onkels zu so seltsamen, antiquierten Tanzereien gegangen war. Mit Tischnummer und Tischtelefon. Und jetzt stand sie beim vom größten Radiosender der Stadt organisierten Singletreff und ließ sich ein Namensschildchen anmontieren. Das war keine Niederlage, es war eine Bankrotterklärung. Ein Grund für Selbstmord. Oder zumindest für ein Attentat, um sich und all den anderen diese Peinlichkeit zu ersparen. Egal, was Jana sagte, es war kaum besser, als sich im Internet wie eine läufige Katze anzubieten.

Angies Blick wanderte zum Zettel und in Renatas Gesicht zurück. »Jetzt hab ich den Namen doch richtig geschrieben, oder?«

Renata nickte, drei Mal und ganz langsam. Angie musterte sie. Wahrscheinlich überlegte sie gerade, was man sie zu tun angewiesen hatte, falls eine Irre die Veranstaltung heimsuchte. Ihr Blick glitt über das Kostüm bis zu den schwarzen Pumps. Sicher hatte sie keine Ahnung, wie viel Renatas Outfit gekostet hatte, doch offensichtlich ahnte sie die gehobene Preisklasse, denn sie strahlte auf, reduzierte das weiße Blitzlicht-Gewitter zu einem verständnisvollen Ich-bin-Mutter-Oberin-und-verstehe-alles-Blick. »Bei meiner Kollegin Sascha kannst du dir einen kleinen Warm-up holen. Kir royal.«

Wenn Irre Geld hatten, waren auch sie angesehene Mitglieder der Gesellschaft.

Renata sah in die angegebene Richtung. Dort stand ein Mädchen mit blauem Pagenkopf. Sie balancierte ein silbernes Tablett mit Sektgläsern, die mit jener rubinroten Flüssigkeit gefüllt waren, die allen vor dem Jahr 1980 Geborenen sattsam bekannt war. Verewigt durch eine Fernsehserie, die, Gesellschaftssatire hin oder her, nichts anderes zum Inhalt gehabt hatte als die Frage, wer wen flach legte. Wahrscheinlich sollte die unbewusste Erinnerung an diesen schnurrbärtigen Bayern mit Dauerständer animierend wirken. Nicht bei ihr. Volantröcke, Schulterpolster, die Frauen wie Schränke aussehen ließen, am Kopf nichts als Locken und nicht zuletzt dieser Drink … der gar nicht mehr in ihrer Blase Platz hatte. Der blaue Pagenkopf hielt ihr das Tablett vors Gesicht und strahlte sie an. Renata sah sich zu, wie sie das Sektglas nahm. Ihre Kraft, etwas abzulehnen, hatte sie anscheinend im Kampf mit Jana um diesen Abend verbraucht. Und sie sah sich einen Schluck nehmen. Der Mensch war und blieb ein blödes Herdentier. Dabei schmeckte ihr Alkohol nicht einmal. Und das Glas abstellen konnte sie auch nicht, denn bis sie die Theke erreichte, ging schon wieder die Sonne auf. Sie trank das Glas aus. Wurde angerempelt. Keine Entschuldigung, von wem auch immer. Der Übeltäter war nicht zu identifizieren, die Masse wiegte ständig hin und her. Es reichte.

Renatas Blick fiel auf die Brüstung, die den Bereich der Tanzfläche abgrenzte. Wenn das Glas von dort zu Boden fiel, war es nicht ihre Schuld, die Veranstalter hätten eben mehr auf Ordnung schauen sollen. Sie stellte es ab und drehte sich abrupt Richtung Ausgang, stand vor einem Schrank von männlichem Rücken, machte sich schmal, um vorbeizuschlüpfen, und wurde an ihrer Ärmeljacke zurückgerissen. Sie starrte in Janas gerötetes Gesicht, verlor gleichzeitig die Balance und schleuderte ihre A3-große Tasche gegen die Schulter des Schranks. Der schrie auf. Sie fixierte seinen Hinterkopf. Ignorier mich, bitte ignorier mich.

Jana brüllte in ihr Ohr. »Du willst doch jetzt nicht gehen, oder?«

»Ich …« Der Schrank drehte sich um, seine Augen waren Schlitze. Renata hob die Handflächen, lächelte. Sie drehte sich zu Jana, blieb aber mit ihrem Arm und der Tasche zwischen dem Schrank und einem Rotschopf stecken. Kein Vor und kein Zurück mehr. Sie hatte nur noch die Möglichkeit, wie Superman senkrecht in die Höhe zu springen. Lieber Gott, Bester, das ist jetzt alles ein Scherz von Dir, oder?

Sie beugte sich weit vor, um Janas Ohr zu erreichen. »Ich wollte nur … ich muss einen …«

Jana schüttelte heftig den Kopf. Die Stoppellocken, die sie kunstvoll aus der Aufsteckfrisur herausfiletiert hatte, hüpften wie bei einem dreijährigen Mädchen. »Nein, du wirst jetzt sicher nicht einen geordneten Rückzug machen. Du lässt mich da jetzt nicht allein stehen, verdammt noch mal.«

»Du bist alt genug, dass du allein auf eine Party gehen kannst.«

»Du bist so …« Tränen stiegen in Janas Augen.

Es war bereits keine Singleparty mehr, es war schon längst eine Youngsters-Party. Die Verbrecher vom Stadtsender hatten ihr Ziel, aus den Menschen ratiofreie Zonen zu machen, vollkommen und unwiderruflich erreicht. Und auf hormongesteuerte Halbwüchsige musste man aufpassen. Sie nickte Jana zu. Die strahlte sie an und war in derselben Sekunde in der Körpermasse verschwunden.

Renata zog an ihrer Tasche. Sie steckte noch immer zwischen dem Schrank und dem Rotschopf fest. Auf der Einladung für so eine Party sollte geschrieben stehen, dass man nackt und mit Gleitmittel eingecremt erscheinen sollte. Sie beugte sich zur Tasche. Wenn sie das Ding zurückhaben wollte, musste sie entweder warten oder die beiden Männer wegschieben. Nein, das konnte sie nicht. Sie konnte nicht einfach wildfremde Menschen stupsen und schieben, das war distanzlos … wie es im Grunde diese ganze Veranstaltung war. Ihr kleiner Übergriff würde wahrscheinlich gar nicht auffallen. Renata atmete durch und schob die rechte Hand zwischen die Körper der beiden Männer, spreizte die Finger. Die beiden bewegten sich keinen Zentimeter auseinander. Sie drückte gegen den Hintern des Rotschopfs. Nichts. Sie drückte gegen die Hüfte des Schranks.

Seine Hand packte die ihre. »Tätlichen Angriff haben wir schon, jetzt kommt noch sexuelle Belästigung dazu.«

Renata sah auf. Der Schrank grinste. Ein Scheinwerfer wischte über sein Gesicht. Er hatte kobaltblaue Augen. Sie schienen einer Werbung für gefärbte Kontaktlinsen entsprungen zu sein. Sie kamen auf sie zu, Renata tauchte in die linke Iris ein, das Kobaltblau wurde vom Schwarz der Pupille immer mehr verdrängt, zugleich schien es zu leuchten, wärmend wie die Wurzel einer Flamme … sie riss ihren Blick los. Die Stirn des Mannes war aufgrund flüchtenden Haarwuchses stark verlängert, die Haut blass, die Nase extrem groß und das Kinn fliehend. Sein Gesicht lief spitz zusammen wie jenes einer Maus. Und außerdem war nur der Rücken des Mannes imposant, er selbst war klein. Zu klein. Die Party war ein Auffangbecken für die von der Natur Unbegünstigten. Eindeutig.

»Und wenn Sie nicht gleich meine Hand loslassen, dann haben Sie eine Nötigung am Hals.«

Der Schrank legte kurz den Kopf schief. »Ah, eine Kollegin.«

Renata riss sich los. »Ja, ich führ mich auch wie eine Äffin auf, um einen Paarungspartner für die Weitergabe meiner Gene zu finden.«

Sie bleckte die Zähne und nickte gleich darauf Jana, die sich gerade mit einem neuen Kir Royal zwei Körperreihen weiter durchzwängte, mit einem großen Seufzer zu. Die schickte ihr eine Kaskade von Lustküsschen. Kleinkind, nichts anderes.

Renata deutete auf das leuchtende Schild zum Klo und warf sich gegen den nächstbesten Fleischberg zwischen ihr und der Toilettentür. Dieses ständige Bekörpern war widerlich, aber diese Menschen hier wollten es ja nicht anders. Der Mann biss sich mit seinen vorstehenden Schneidezähnen kurz in die Unterlippe und wich keinen Millimeter aus. Renata trat dem Hasenzahn gegen das Schienbein und machte sich schon bereit, dem Kerl in die Eier zu treten, als sich wie von Geisterhand eine Schneise öffnete.

*

In der ersten Kabine fehlte das Toilettenpapier, in der zweiten auch. In der dritten waren zwar vier Rollen vorhanden, doch in der Muschel … Renata presste die Hände gegen Mund und Nase, rannte zu den Waschbecken und würgte. Es kam natürlich nichts heraus, es kam nie etwas heraus, denn ihr ekelte dermaßen vor Erbrochenem, dass sie zu kotzen anfangen würde, wenn sie zu kotzen anfinge. Irgendwann musste sie wieder Luft holen. Renata presste den Ärmel ihrer Jacke gegen die Nase. Nicht einmal ihr eigenes Parfum … richtig, ihre Nase war ja zu. Renata nahm den Ärmel vom Gesicht. Nichts. Tatsächlich nichts. Gut, alles Weitere war eine Sache des Willens. Zitronenduft vorstellen, Magen beruhigen.

Mit abgewandtem Gesicht griff sie sich eine der Papierrollen aus dem dritten, versifften Kloabteil und schloss sich in der ersten Kabine ein. Sie legte zwei Lagen Papier auf die Brille und machte es sich bequem. Der Druck der Blase war mittlerweile unerträglich, so vehement, dass er sich nicht lösen wollte. Aber gleich würde sie sich entspannen, denn Gott sei Dank war die Toilette … vor der Tür wurde Gelächter, nein, Gekicher hörbar. Nein, bitte, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, ein Mal möchte ich in Ruhe und allein … Ein Mann brummte was von einer geilen Schlampe. Nein, das ist jetzt nicht wahr, lieber Gott! Was habe ich verbrochen? Sag, dass das jetzt nicht Dein Ernst ist, Du Arsch! Die Tür schlug gegen die Kachelwand. Körper polterten gegen den Waschtisch, Kleidungsstücke raschelten. Ich versprech Dir, ich werde das kleine Theater ein bissel weniger hart kontrollieren. Okay? Und Du lässt die zwei da wieder verschwinden, ja? Die Frau stöhnte auf. Arschloch.

»Du hast so geile Titten. So geil.« Schmatzende Geräusche.

Stöhnen der Frau. »Wir sollten … irgendwo anders hin.« Genau. »Da kann jeden Moment wer …« Da ist schon wer. Stöhnen der Frau.

»Du bist ja schon ganz nass, du geiles Luder. So geil. So nass. Du rinnst ja richtig.«

Die Frau machte Ah. Renata hielt sich die Linke vor den Mund, krallte die Finger ihrer rechten Hand in den Oberschenkel.

Das Klimpern einer Gürtelschnalle, das Ratschen eines Reißverschlusses. »Komm, knie dich hin. Komm schon. Lass dich ficken. Aaah. Ja, pack ihn fester.«

Das Geräusch von jemandem, der ausspuckt, das Schmatzen von Reibung auf einer nassen Oberfläche. Du bist so … ich hab doch gar nichts angestellt, Du Arsch! Renata presste die Fäuste auf die Augen.

»Wahnsinn. Waahnsinn. Wart, ich will nicht kommen, ich will dich ficken. Von hinten. Ich will deinen geilen Arsch sehen.«

Das Krächzen einer weiblichen Stimme. »Komm. Da rein.«

Lass sie in die dritte Kabine gehen, da kotzen sie sich an und die Sache hat sich erledigt. Tust Du mir den Gefallen? Die Tür neben Renata schlug zu.

»Und jetzt sei leise, es kann doch wirklich gleich wer …«

»Is mir scheißegal. Auf so was wie dich hab ich mein Leben lang gewartet. Du bist so ein geiles Weib.«

Das Ratschen eines Stoffes.

»He, bist du deppert? Der war sauteuer. Den …«

»Ich kauf dir einen neuen.«

»Sicher. Das sagst du nur …« Hände, die gegen eine Wand klatschen. Hände, die auf Haut klatschen. Weibliches Stöhnen. Schmatzen.

»Ja, leck mich. Leck die ganze Spalte. Leck mir den Arsch. Oh, mein Gott, ja, steck die Zunge rein. Oh ja.«

Renata hielt sich beide Hände vor den Mund. Sie horchte tief in ihr Innerstes, aber ihr Atem blieb verschwunden. Dafür war da Übelkeit. Sie musste sich ablenken. Einfach auf irgendetwas konzentrieren. Die Türschnalle. Eine simple kreisrunde Platte mit einem Steg in der Mitte. Die Halterung für das Papier. Ein glänzender Aludeckel, der sich aufgrund der Federung gegen die Rolle drückte, die auf einem Metallstab abrollte.

Rascheln von einem Kleidungsstück. Gepoltere.

»Komm, nimm ihn noch einmal in die Hand.«

Ein wischendes Geräusch. Vor Renatas Augen landete ein fliederfarbener Slip aus Spitze.

»He, was machst du? Ich kann ihn vielleicht nähen. Oh mein Gott. Ja, weiter, weiter, wichs mich. Steck mir auch was in den Arsch.«

Schnelles schmatzendes Geräusch. Rhythmisch.

»Den Scheiß-Slip brauchst du heute nicht mehr. Ich will, dass dir den ganzen Abend der Saft runterrinnt. Dass du ihn zwischen deinen Schenkeln reibst. Bis er ganz schaumig ist. Und dann leg ich dich über den Tisch und leck ihn dir ab.«

Renata würgte es.

Stille.

»Da war was.« Die Stimme der Frau kiekste am Ende des geflüsterten Satzes.

Stille.

»Und wenn schon.« Die Stimme des Mannes wurde sehr laut. »Mach mit, hübsche Unbekannte, oder sei still!«

»Hör auf, wenn da wirklich …«

»Dann ist sie«, der Mann lachte durch die Nase, »eine Wichserin, wenn sie bis jetzt noch nichts gesagt hat. Schau, so wird sie’s gemacht haben.«

Ein schmatzendes, saugendes Geräusch. Dann Reiben auf Stoff.

Die Frau lachte. »Das kann ich auch.«

Das saugende Geräusch ging in Stereo über, unterbrochen von Schweine imitierenden Grunzlauten. Dann Lachen in Alt und Bass, schließlich wieder ein schnelles, rhythmisches Schmatzen und ein weibliches Stöhnen. Renata presste die Zeigefinger in die Ohren. Trotzdem blieben das Schmatzen und das Stöhnen kristallklar. Lass das aufhören, lieber Gott, bitte, und ich versprech Dir, ich gehe nie wieder zu solchen Veranstaltungen. Bitte.

»Bleib so. Ich will dich ficken. Verdammt, bleib so.«

»Nein, ich will deinen Schwanz. Komm, ja, gib ihn mir … na, du bist ja ein Schöner. So ein Großer.«

Männliches Stöhnen. »Ja, stopf ihn dir rein. Oh mein Gott, du saugst wie eine Weltmeisterin. Ja.«

Renata stieß es auf. Und nochmals. Sie formte mit den Händen eine Schale, legte ihren Mund darüber, aber es kam nichts heraus. Nur ihre Augen taten weh. Sie schloss sie. Was ist, Du Arschloch? Was soll ich Dir noch versprechen? Renatas Oberkörper begann hin und her zu wippen. Sie krampfte sich ein, um ihn zum Stillstand zu bringen, um nur ja kein Geräusch machen, aber der Körper wippte einfach weiter. Und mit jedem Wippen wurde der Druck auf der Blase stärker. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie biss sich in die Lippen. Dennoch entschlüpfte ihr ein Seufzer.

»Jetzt macht sie mit. Komm, jetzt zeigen wir’s ihr.«

Gerumpel. Dann ein weibliches Ah, gefolgt von einem männlichen. Haut klatschte gegen Haut, und mit einer minimalen Zeitverzögerung gleich nochmals. Irgendwie kleiner, leiser. Diese Abfolge wiederholte sich regelmäßig. Schließlich wurde der Rhythmus schneller und schneller, das Keuchen der Frau und des Mannes steigerten sich synchron. Irgendwann war das Echo des Klatschens verschwunden, es gab nur mehr den satten Ton eines singulären Aufeinanderprallens, regelmäßig wie ein Uhrwerk.

Und der Druck in der Blase wurde immer stärker.

Zum Klatschen gesellte sich ein Schnalzen, als würde der Stöpsel aus einer Flasche mit Kohlensäure gezogen. Das Stöhnen reduzierte sich zu Grunzen, das jetzt authentisch, nicht scherzhaft klang.

Die Tränen kollerten Renata über die Wangen. Der Schmerz, den die Blase erzeugte, wanderte in ihr Hirn und machte sich dort breit. Verwandelte jeden Gedanken, jedes Gefühl in Dampf.

Die Ahs des Mannes steigerten sich zu einem hysterischen Ächzen, die gutturalen Laute der Frau ummantelten sie.

Stille.

Der Mann stöhnte lang gezogen auf, die Frau japste. Renata pinkelte.

*

Sie ließ Wasser übers Gesicht, durch den Mund laufen. Der Nacken begann zu schmerzen. Sie legte den Kopf andersrum schief und ließ wieder das eiskalte Wasser durch den Mund laufen. Die Frau hatte sich den Mund nach diesem … also nachher nicht gewaschen.

Sie schwappte sich das Wasser ins Gesicht, wusch sich die Schminke von Augen und Mund. Rubbelte mit vier Papierhandtüchern den Rest der Farbe herunter. Trocknete sich ab und besah sich im Spiegel. Die Tränensäcke hingen bis zu den Mundfalten.

Renata nahm zwei der Papierhandtücher, machte sie nass und ging damit in ihre Kabine. Dort säuberte sie ihre Genitalien aufs Akkurateste. Ein winzig kleines Stückchen Papier blieb in der Beuge an einem Stoppelhaar hängen. Es war höchste Zeit, dass sie sich wieder epilierte. Sie zupfte das Stückchen weg, schüttelte es von ihrem Zeigefinger. Es blieb auf der Brille kleben. Sie nahm einen Meter Klopapier und wischte den Sitz sauber. Er glänzte. Trotzdem war es für die Nachfolgerin eine Zumutung. Andererseits war ja niemand gezwungen, sich mit dem blanken Hintern auf die Brille zu setzen. Eigentlich sollte das grundsätzlich niemand tun. Sie ließ den Papierknäuel in die Muschel fallen und drückte die Spültaste.

Dass du ihn zwischen deinen Schenkeln reibst. Bis er ganz schaumig ist.

Sie zog den Seidenslip hinauf, zerrte ihn bis über die Hüftknochen.

Und dann leg ich dich über den Tisch und leck ihn dir ab.

Es reckte Renata. Sie visierte die Klobrille an, griff daneben, fiel auf die Knie, auf den Boden, tatschte auf einen kalkumrandeten Fleck. Sie übergab sich. Rot sprühten die zwei Schluck Kir Royal in die Muschel. Jetzt kotzte sie richtig. Endlich ließ das Würgen nach, es schüttelte sie. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. Sie hob die Rechte, um sich das Nass abzuwischen, zuckte im letzten Moment zurück, denn diese Hand hatte diesen Fleck da auf den Boden … sie ließ ihren Hintern auf die Fersen sinken. Langsam glaub ich wirklich, dass es Dich nicht gibt, Du Arsch-Gott.

Renata atmete durch, stand auf und drückte die Spülung. Ohne einen weiteren Blick ging sie zurück zum Waschtisch und drehte erneut das kalte Wasser auf. Erst, als ihr Gesicht schmerzte, drehte sie es ab.

Die Tür prallte auf. Zwei Frauen in ident geschnittenen Etuikleidern, einmal in Schwarz und einmal in Weiß, stolperten kichernd in die Toilette. Als sie Renata ansichtig wurden, fragten sie nach ihrem Befinden. Boten Hilfe an. Renata schüttelte den Kopf, lachte, brabbelte etwas von einem vermutlich verdorbenen Essen, was ihr aber den Abend nicht verderben werde. Ha, ha, dieser Wortwitz. Die Frauen nickten ihr zu und verschwanden in den Kabinen. Die Schwarzgekleidete in der mittleren, die Weißgekleidete in der äußersten mit dieser Muschel, die … nur nicht daran denken. Mit einer halben Sekunde Abstand wurde ein Doppelstrahl … nur nicht hinhören.

Renata fixierte ihre Augen im Spiegel, nahm, ohne hinzusehen, aus ihrer Handtasche Mascara, Kajal und Lippenstift sowie Creme und Kamm.

*

Seit exakt siebzehn Minuten ließ der Kerl nun seinen Redeschwall auf sie niederprasseln. Er bemerkte nicht einmal Renatas Blick auf ihre Uhr.

Und Jana drehte sich auf der Tanzfläche mit weit ausgebreiteten Armen. Sie brauchte sie nicht mehr, sie fühlte sich wohl. Aber versprochen war versprochen.

Renata nahm einen Schluck vom mittlerweile zweiten Kir Royal. Es änderte sich nichts zwischen dem Dating-Abend einer Siebzehnjährigen und jenem einer Vierunddreißigjährigen. Die Mauerblümchen-Freundin musste parat stehen für den Fall, dass sich der bunte Vogel bedroht fühlte. Und wie eh und je würde sie irgendwann so sehr vom Gesülze der Mauerblümchen-Männer eingelullt sein, dass sie nicht mitbekam, wie sich Jana mit der Zuckerstange des Abends absentierte.

»Und du wirst es mir nicht glauben, aber unser Bürgermeister hat diesen … Schnösel nur deswegen zu seinem Kulturstadtrat gemacht, weil der seine Tochter nach Strich und Faden vögelt. Was natürlich niemand wissen darf, aber jeder weiß, inklusive der liebe Herr Schwiegersohn.« Der Kerl nickte gewichtig.

Engelbert stand in großen Buchstaben auf seinem Brustschild. Sie erinnerte sich an keinen Journalisten dieses Namens, doch sie musste auch zugeben, dass sie sich kaum für die Verfasser von Zeitungsartikeln interessierte. Jedenfalls präsentierte er sich als Goldfisch. Wenn sie ihm alles glaubte, was er sagte, so war er der Intimfreund von allen wichtigen Politikern in diesem Land. Er flog mit ihnen auf sämtliche Meetings und Treffen und Konferenzen und Staatsbesuche und Privatbesuche in ganz Europa …

»Also die … na, wie heißt sie noch einmal … ist ja egal, fällt mir gleich ein, jedenfalls die blonde Vollbusige, weißt eh, die hat auf dem Eiffelturm, du wirst es nicht glauben, so einen Anfall von Höhenangst bekommen, dass sie sich flach aufs Gitter gelegt hat … da legst dich nieder.«

… wenn nicht der ganzen Welt.

»Und wie wir dann in das Oral«, er gackerte, »Oval Office, natürlich, gegangen sind, da hat der Präsident, du wirst es nicht glauben, der hat echt einen Witz über den Clinton gerissen.«

Der Kerl lachte so sehr, dass er sich an seiner eigenen Spucke verschluckte. Er zog sie durch die Nase, zupfte ein nicht mehr ganz sauberes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich.

»Ein Präsident über den anderen. Ohne Genierer.« Engelbert zuckte mit den Augenbrauen und kam sich damit sehr sexy vor.

Vielleicht war er es ja auch. Für andere. Sobre los gustos no hay disputo. Eigentlich sollte sie sich geehrt fühlen, denn er sprach mit ihr und nicht mit rund einem Dutzend anderer Frauen, die immer wieder stechende Blicke zu ihnen warfen. Gut, sein Anzug stammte von einem exklusiven Herrenausstatter, so präzise, wie der saß, Krawatte und Hemd waren farblich exzellent aufeinander abgestimmt, die Schuhe mindestens 350 Euro wert, die Uhr wirkte antik und war aus Weißgold. Er trank Scotch … und er hatte halblange, gegelte, dunkle Haare. Klassischer Look eines Profifußballers oder eines Türstehers, wenn sie es inzwischen nicht besser wüsste. Aber vielleicht mussten Journalisten einen leicht schmierigen Eindruck machen.

Sie ließ seinen Mund die Worte »Kabinettsitzung«, »Wahlstrategie« formen und gleichzeitig ihren Blick schweifen.

Hinter dem Kerl, zwei Meter entfernt, saß der Seitenscheitel. Drei Barhocker näher als vorhin. Mittlerweile hatte er sich mit dem Rücken zur Bar positioniert und die Ellenbogen darauf aufgestützt. Er studierte die schwarz-weißen Etuikleider-Frauen, die in Loungesesseln lümmelten und, unabhängig voneinander, mit dem Mann in ihrer Mitte füßelten. Es handelte sich um den Hasenzahn, den Renata auf ihrem Weg zum Klo beinahe in die Weichteile getreten hatte.

»Und das Wichtigste eines jeden Journalisten ist das da.«

Pause. Renata wandte sich Engelbert zu. Er hielt ein ledergebundenes, dunkelgrünes Notizbuch in die Höhe und hatte den Mund leicht geöffnet.

»Aha.«

Er wedelte mit dem Notizbuch.

»Und was ist das?« Hoffentlich hatte Jana bald ihren One-Night-Stand gefunden.

»Das …. sind die ganz, ganz privaten Handynummern von unseren Pappenheimern.«

»Aha.« Nein, das wollte er sicher nicht hören. »Ist ja unglaublich.«

Er nickte. Und während er die Anzahl seiner ganz, ganz persönlichen Kontakte von neunzig auf hundertfünfundzwanzig, auf zweihundertsieben erhöhte, nickte und brummte Renata. Schielte sie zum Seitenscheitel. Der linealgerade Strich durch seine Haare war das einzig Ordentliche an ihm, aber er wirkte aufgesetzt und dadurch irgendwie peinlich. Sein weinrotes Poloshirt war verknittert und ausgelabbert, abgesehen davon a priori fassonlos. Wahrscheinlich ein Sonderangebot von einem Discounter. Das Sakko sprühte nur so vor Polyester. Der Gürtel und die Jeans wiesen einige abgewetzte Stellen auf. Und die schwarzen Schlüpfer waren stumpf und brüchig. Wenigstens trug er schwarze Socken.

»Und jetzt blühen gerade die Rosen. Also wenn du willst … Renata …«

Renata fokussierte den gegelten Engelbert. Den Geli-Mann. »Ich hasse Rosen.«

Er setzte zu seinem Lachen an, dann blieb der Mund leicht offen stehen. »Du meinst das ernst.«

Applaus brandete auf, He-Rufe übertönten die Musik. Sie sahen synchron zur Tanzfläche. Jana hatte ihr Becken an die Genitalien eines Cornettos in einem engen schwarzen Hemd gedrückt. Samba. Sie kreisten mit den Hüften und fingerten sich ab. Die anderen Tänzer standen um sie herum und imitierten die Bewegungen der beiden, nur angedeutet, als würden sie sich schämen. Der Rotschopf hatte seine rechte Hand hinten im Hosenbund einer langen blonden Mähne. Sehr tief. Sie drückte sich seiner Hand entgegen.

Geli beugte sich zu Renata. Sehr nah. Kein Gefühl für die richtige Distanz. »Aber alle Frauen lieben Rosen. Sie sind ja selber welche.« Er zuckte erneut mit den Augenbrauen und grinste.

Renata imitierte seine Mimik. »Aber meine Knospe hat überhaupt kein Bedürfnis danach, von deinem Lust …igen Freund und Helfer bearbeitet zu werden.«

Geli versteinerte. Dann senkte er den Blick und streckte seinen Nacken. Es konnte sich nur mehr um Minuten handeln, bis Jana ihr den Ort, wo sie mit dem Cornetto bumsen würde, zuflüsterte. Bald war sie befreit.

Renatas Blick wischte zum Seitenscheitel. Der fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und fixierte noch immer die Etui-Schlampen. Als er sie vorhin beim Empfang angesehen hatte, war da kein Schlecken über die Lippen gewesen. Renata orderte einen dritten Kir Royal. Das betrunkene Gefühl war zwar genauso widerlich, wie sie es in Erinnerung hatte, aber besondere Situationen verlangten ebensolche Maßnahmen. Der Alkohol legte Schlieren auf die Menschen, auf den Raum, machte sie dadurch erträglich. Der Kellner reichte ihr das Glas mit einer weit ausholenden Bewegung – und zuckte dabei ein paar Mal mit den Augenbrauen. Er auch! Eine verbreitete Anmachmasche ohne Esprit, das sollte man den Typen einmal sagen. Renata sah ihn einfach nur an. Der Schalk in seinen Augen verpuffte. Sie neigte dankend den Kopf. Der Blick des Kellners hüpfte zwischen Engelbert und ihr hin und her, dann zwinkerte er dem Journalisten zu.

Renata strich über ihre weiße Bluse. Es war Zeit für einen französischen Abgang. Aufpassen auf die Freundin hin oder her. Es reichte. Sie hatte das alles nicht nötig. Wie ein Stück Vieh taxiert und getestet zu werden. Sie war attraktiv. Mit ihren kurzen, naturgelockten dunkelbraunen Haaren, dem kaum vorhandenen Busen und dem sich dafür sehr knackig präsentierenden Hinterteil war sie genau die Mischung zwischen feminin und burschikos, die Männer ansprach. Das wusste sie. Das hatte sie oft genug bestätigt bekommen. Sie konnte jederzeit und überall einen potenziellen Nestbauer einfangen. Und es war ohnehin nicht die Klientel hier, die für sie wenigstens auch nur halbwegs interessant war. Lauter Gierer nach Sonderangeboten, ob bei Poloshirts oder Frauen. Alle, die sie hier nach Eroberungen sabberten, waren Sonderangebote. Restposten. Erbärmlich, zutiefst erbärmlich. Und sie mittendrin, im wahrsten Sinn des Wortes … Die mit der langen, schwarzen Mähne da drüben und die große Oberlippe daneben, das mussten die beiden von der Toilette … nein, die Frau trug eine Hose. Da konnte niemand schnell einen Slip … aber die dort mit den blonden Strähnchen …

Ein Finger tupfte auf ihren Unterarm. Renata schreckte auf, sah Gelis Zunge über die Lippen streifen, während er sie anstierte und den Mund öffnete und schloss wie ein Fisch auf dem Trockenen, sah Hände auf Hinterteilen, Münder an Hälsen. Sie packte ihre Tasche, holte Luft, sah Geli direkt in die Augen und spürte einen Arm über ihrer Schulter. Atem an ihrem Ohr.

»Na, schon wieder angriffsbereit?« Die Lippen des Schranks waren ganz nahe bei ihrem Ohr, sie nahm deren Wärme trotz der Hitze im Raum wahr. Jetzt wüsste sie gern, ob der Typ Mundgeruch hatte.

Renata sah auf den Arm, dann dem Mann ins Gesicht. Er ließ sie los. Sie war dem Schrank so nahe, dass sie nur mehr die Augen sah. Er trug sicher Linsen, so kobaltblau konnte eine Iris nicht sein. »Na, Sie wissen doch, wir Kampf-Emanzen sind immer im Krieg.«

»Sie sind doch keine Kampf-Emanze. Dafür sind Sie viel zu elegant.«

»Alles nur Tarnen und Täuschen. Meine Latzhose zieh ich dann an, wenn ich Sie in mundgerechte Stücke zerlege.«

Der Mann musterte Zentimeter für Zentimeter ihr Gesicht, auch dann noch, als sie sich abwandte, das spürte sie. »Das heißt, Sie finden die Veranstaltung genauso öd wie ich, wenn Sie schon bei Folterfantasien sind.«

Kobaltblaue Augen und ein Schmäh, der dem ihrigen entsprach, das war zu wenig für mehr, aber wenigstens unterhaltsam. Bei Jana konnte es sich nur mehr um Sekunden handeln.

Renata grinste und setzte zu sprechen an, da schob sich ein drittes Gesicht in die kleine Glocke der Auszeit. »Entschuldigen Sie, aber die Dame ist gerade mit mir im Gespräch.«

Renata sah Geli an. Kein Glitzern in den Augen, kein Lächeln in den Mundwinkeln, der Typ hatte seine Bemerkung ernst gemeint. Sie zog die Augenbrauen hoch. »Und die Dame will sich jetzt nicht mehr mit Ihnen unterhalten.« Geli holte Luft. »Weil die Dame nämlich Knospenstreichler nicht ausstehen kann.« Geli sackte zusammen.

Der Schrank lachte in ihrem Rücken. Er wähnte sich jetzt sicherlich im Vorteil. Renata drehte sich zu ihm. »Und Sie …«

»Bernhard Zeilinger. Und Sie«, er warf einen kurzen Blick auf ihr Namensschildchen, »Renata?«

»Ich finde entscheidungsschwache Männer nicht besonders attraktiv. Sie sollten einfach gehen, wenn Sie sich langweilen.«

»Nur, wenn ich Ihre Zusage zu einem Treffen unter zivilisierten Umständen erhalte.« Zeilinger legte den Kopf schief. »Weil ich brauchs ganz dringend.« Er grinste. »Dass mich wieder einmal jemand in mundgerechte Stücke zerlegt.«

»Es tut mir leid.« Nun atmete Geli von hinten in ihr Ohr. »Ich wollt dich nicht … ich kann das nicht so. Und wenn eine Frau so attraktiv ist wie du … gib mir eine zweite Chance, ja?«

Geraune wurde von der Tanzfläche her hörbar. Jana stand in Abwehrhaltung vor dem Cornetto. Er griff nach ihr, sie schlug ihm auf die Hand und rannte mit einem Seitenblick zu Renata Richtung Toilette. Lieber Gott, Du hast echt Humor. Mauerblümchen sticht bunten Vogel mit zwei zu eins. Renata spürte Lachen aufsteigen. Der DJ murmelte etwas von Hitze, die nun abgekühlt gehörte. Eine sehr langsame Nummer folgte. Die Tanzpaare verkrümelten sich zur Bar und zur Balustrade, behielten, so gut es ging, Abstände bei. Noch keiner, außer den Wahnsinnigen vorhin am Klo, schien in der Stimmung für mehr als Hin-und-her-Steigen inklusive Grapschen zu sein. Die Testphase war noch nicht abgeschlossen, der Bettpartner noch nicht festgelegt.

»Sie sollten die Dame selbst entscheiden lassen«, knurrte Zeilinger.

»Sie sollten einmal Benehmen lernen«, keifte Geli.

Renata rutschte vom Barhocker. Die beiden Männer hinter ihrem Rücken diskutierten unbeeindruckt weiter. Doch Mauerblümchen. Es ging nicht um sie, sondern nur um den Sieg. Also würde sich jetzt das Mauerblümchen um den bunten Vogel kümmern, eine Tirade gegen allzu forsche Grapscher abnicken, den bunten Vogel in seinem Stammbeisl abliefern und daheim die Füße hochlagern.

Renata machte einen Schritt und taumelte. Die Luft schien mittlerweile keine Spur von Sauerstoff mehr zu enthalten. Sie atmete durch, machte zwei weitere Schritte. Wieder taumelte sie. Der Seitenscheitel sah sie an. Sie griff zum Thekenrand, verpasste ihn, ruderte mit den Armen. Der Seitenscheitel packte sie am rechten Oberarm, stützte sie am linken Ellenbogen. Seine Hand auf ihrem Unterarm. Seine Haut auf der ihren. Renata zuckte zusammen, spürte nur mehr diese paar Zentimeter direkten Kontaktes. Sie betrachtete die Stelle auf ihrem Arm. Es gab ihn also tatsächlich, diesen elektrisierenden Schauer. Die zweite Überraschung an diesem Abend. Separation Geist von Körper und Elektrik … Gut, lieber Gott, ich mache mich zukünftig nicht mehr über diverse Erzählungen lustig. Ich hab’s verstanden. Aber jetzt habe ich genug gelernt. Jetzt hilf mir, da endlich herauszukommen! Renata starrte den Seitenscheitel an. Ein Schlurf erzeugte bei ihr den berühmt-berüchtigten Schauer, den sie bislang als Groschenromanausdruck abgetan hatte. Es war nicht zu fassen.

»Der Rand vom Hocker, dieser Wulst da, der schnürt die Blutzufuhr ab. Sie müssen sich bewegen, Sie sind zu lang gesessen.«

»Sie auch.« Renata fühlte, dass sie ausdruckslos in sein Gesicht starrte. Kein Charme, kein Zynismus, sondern sinnentleertes Gaffen. Er wusste, dass sie lange Zeit auf dem Barhocker verbracht hatte. Er hatte sie beobachtet. Und sie hatte ihm eben gestanden, dass sie dasselbe getan hatte.

»Na, dann bewegen wir uns gemeinsam.« Bei ihm war ebenfalls keine Mimik erkennbar, lediglich die Augen waren ein klein wenig zusammengezogen. Sie waren stahlgrau.

Der Seitenscheitel rutschte vom Hocker, wandte sich der Tanzfläche zu. Ohne hinzusehen nahm er ihre Rechte und zog sie hinter sich her. Die Menge teilte sich. War es sein Gesichtsausdruck, der die Menschen ausweichen ließ? Oder stank er vielleicht? Mein Gott, lass mich ihn riechen. Bitte. Ausnahmsweise lass mich riechen. Ich werde gleich mit ihm tanzen und weiß nicht, ob er überhaupt gut riecht. Nein, sein Geruch konnte nicht der Grund für die Meeresteilung sein, die Hocker neben ihm waren ständig besetzt gewesen. Allerdings machte den meisten Menschen Gestank nicht wirklich viel aus. Eine neue Nummer begann. Dreams Are My Reality. Dieses Gejaule aus La Boum, dem kitschigsten Film aller Zeiten. Und sie, ja, sie stolperte wie ein kleines Mädchen hinter einem ihr Unbekannten her. Es war abgrundtief … erschütternd.

Mit einer bestimmenden, gekonnten Bewegung zog er sie in einem großen Halbkreis zu sich. Und dann tanzte er keinen L’amour-Hatscher, wie sie und ihre Jugendfreundinnen das Herumgestakse der Burschen bei ihnen auf dem Land draußen immer genannt hatten, sondern einen lupenreinen Slowfox. Renata spürte, wie ihr Körper jeden Widerstand, den er ohnehin nur angedeutet hatte, aufgab. Und sie war ihm nicht böse deswegen. Es war keine neuerliche Separation, sondern einfach zu schön, endlich wieder einmal mit einem richtigen Tänzer zu tun zu haben. Sie glitten übers Parkett, die Menschen strömten an den Rand der Tanzfläche und verfolgten ihre Bewegungen nun genauso wie vorhin jene von Jana und dem Cornetto. Nach den ersten beiden gelungenen Schrittfolgen sah der Seitenscheitel sie an. Nach wie vor keinerlei Regung außer den leicht zusammengekniffenen Augen. Dann beugte er sich zu ihr. Sie wich nicht aus, obwohl sie es sich befahl. Das war jetzt eindeutig, die Separation hatte tatsächlich wieder zugeschlagen. Er schnupperte an ihren Haaren, nicht beiläufig, unauffällig, sondern ganz offen. Lass mich ihn riechen, Du Gott, Du, lass mich verdammt noch mal kurz riechen können. Es war nur ein kurzes Schnuppern, sofort hielt er den Kopf wieder korrekt in die Tanzrichtung wie ein Profi. Renatas Beine verselbstständigten sich, liefen die Schritte, als hätte es keine zehnjährige Pause seit ihrer aktiven Tanzzeit gegeben. Ihr Unterkörper drückte sich an den seinen, ihre Becken bewegten sich, als wären sie aus einem Guss. Als wäre ihre Abscheu gegenüber schwitzenden Menschen nur ein Hirngespinst. Die Tanzfläche wurde immer größer, die Umstehenden verloren ihre Gesichter. Die Wärme seines Körpers steigerte die ihre zu Hitze. Sie würde gleich transpirieren. Das durfte sie nicht. Das nicht. Zu viel war zu viel. Auf seinen Schläfen bildeten sich Schweißtropfen. Ein Tropfen löst sich und fällt direkt … Er hatte sie elektrisiert, er tanzte wie ein Gott, er roch sicherlich gut. Sicherlich. Sie musste endlich ihren Negativismus abstellen, wenigstens für ein paar Minuten. Der Tanz war es wert, er gab sogar der jämmerlichen Musik eine gewisse Würde.

Jana drängte sich zwischen zwei Teiggestalten hindurch und glotzte sie an. Ihre Hände umklammerten das Glas mit dem roten Willigmacher, die Knöchel traten weiß hervor. Sie presste die Lippen zusammen. Stroboskopblitze, eine saure Freundin, das Mauerblümchen als Königin des Festes, kollektives Bekörpern, Dreams Are My Reality. Das alles war ein Witz.

Renata blieb abrupt stehen, nickte dem Seitenscheitel zu. Sie ließ ihn stehen, stakste zu Jana. Sie duellierten sich mit Blicken.

Schließlich nahm Renata Janas Glas, leerte es in einem Zug. Der vierte Kir Royal. Sie drückte ihrer Freundin das Glas wieder in die Hand und beugte sich zu ihrem Ohr. »Zeit zum Erwachsenwerden. Das Kindermädchen kündigt.«

Renata zog die Schultern zurück, betrachtete die Meute am Tanzparkettrand. Die Gesichter der Menschen waren ernst, als hätten sie gerade eine Prügelei auf der Straße beobachtet. Renatas Blick fiel auf den Seitenscheitel. Er hatte glänzende Augen. Klar, sie hatte ihn düpiert, und er ärgerte sich zu Tränen. Sollte sein. Sie drückte sich durch die Menge zu ihrem Barhocker, nickte Geli und – wie hieß er noch einmal? – dem Schrank zu, packte ihre Jacke, die Handtasche und ging, durch die sich nun teilende Menge, zum Ausgang. Ein Nicht wurde über die Musik geschrien.

*

Das Rauschen des Hochstrahlbrunnens massierte ihren Hinterkopf. Vibrieren stellte sich ein. Wellen von Wohlgefühl schwappten in den Nacken. Ihr Atem wurde ruhiger.

Das war ja eine äußerst seltsame Gesellschaft gewesen. Der Abbruch ihres Tanzes mit dem Seitenscheitel hatte wie ein Schock gewirkt. Alle waren ihr ausgewichen, als sie endgültig gegangen war. Wirklich, eine sehr seltsame Gesellschaft.

Renata hielt ihre Handgelenke ins Bassin, vorsichtig, um auf keinen Fall den Schlamm auf dessen Boden aufzuwühlen, denn das Wasser an sich war ohnehin schon eine hygienische Zumutung. Aber sie konnte bald duschen und benötigte jetzt Beruhigung. Die Kühle wanderte Zentimeter um Zentimeter durch ihre Blutgefäße in den Rest des Körpers. Sie atmete durch. Es hatte sich nicht um eine Youngster-Party, sondern um ein Kindergartenfest gehandelt. Eine Spielkameradin befolgte nicht die Regeln und alle waren ganz durcheinander. Irgend so eine komische soziologische Erklärung musste es sein, denn es war doch im Grunde absurd, dass sie, das Mauerblümchen, so eine Gruppenreaktion hervorrufen konnte. Dass sogar jemand Nicht geschrien hatte.

Und Jana war ihr nicht gefolgt. Sollte sie doch beleidigt sein. Ihre ständigen Aufrisse von immer schmieriger werdenden Cornettos und die nachfolgenden Probleme waren mittlerweile einfach zutiefst langweilig. Und außerdem war sie zum Tanzen aufgefordert worden. Hätte sie das ablehnen sollen, um das eintausendunddreißigste Mal auf der Damentoilette die Hand ihrer Freundin zu tätscheln?

Renata schloss die Augen. Bewegte die Handgelenke in Achterschleifen durch das Wasser. Der Widerschein der bunten Scheinwerfer, die auf den Hochstrahlbrunnen gerichtet waren und sich darin spiegelten, erzeugte entsprechende Flecken auf ihren Lidern. Sie spürte, wie ihre Schultern absackten. Dafür wurde ihr jetzt leicht schwindelig. Die vier Kir Royal waren vier Kir Royal zu viel gewesen.

Und außerdem, wenn sie ehrlich war, sah sie sich gar nicht die Toilette mit der schluchzenden Freundin erreichen. Sie hätte sich, wenn da nicht der Seitenscheitel gewesen wäre, von irgendetwas anderem abhalten lassen. Es reichte einfach. Jana war schlicht und einfach beziehungsunfähig. Da half keine Freundin mehr, da musste eine Psychotherapeutin ran. Wie auch bei ihr selbst.

Renata legte den Kopf in den Nacken und fixierte das Schwarz des Himmels über ihr. »Es reicht!« Laut hallte ihre Stimme über den Platz. Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund. Nein, nur Einbildung. Das Rauschen des Brunnens war viel zu laut, als dass ihre Stimme hätte hallen können.

Sie hielt die Hände wieder ins Wasser und wartete, bis sie sich kalt anfühlten. Dann legte sie sie auf die Stirn. Beim schmierigsten Typen, der so überhaupt nicht ihre Klasse hatte, hatte sie einen elektrischen Schlag gespürt. Sie kühlte die Hände erneut und legte sie auf die Schläfe. Gut, dieser Gel-Typ war kein ernsthafter Kandidat gewesen, aber dieser Schrank, dieser Jurist, der hatte doch zumindest ihren Schmäh gehabt. Schade, dass sie seinen Namen nicht mehr wusste. Bernhard und irgendwas Langes mit er am Schluss. Vielleicht wäre seine Nummer herauszufinden gewesen, und sie hätte sich mit ihm getroffen. Er war sicher ein Mann, der kein Problem damit hatte, wenn die Frau die Initiative ergriff. Und dann hätte sie ihn nach ein paar Stunden anregenden Gespräches gar nicht mehr so unattraktiv gefunden, weil sein Humor und seine Intelligenz alles andere überstrahlt hätten. Und wahrscheinlich war er im Grunde auch noch warmherzig und großzügig, und vielleicht stellte er sich das Leben auch noch genau so wie sie vor. Im Vergleich zu all diesen bestechenden Eigenschaften war ein fliehendes Kinn wirklich lächerlich. Schade, schade, wirklich schade, dass sie seinen Namen nicht wusste. Und schade, dass sie ihn nicht gerochen hatte. Die Menschen mit funktionierendem Geruchssinn wussten gar nicht, wie gut sie es hatten. Diese verdammte Nase. Sie musste schleunigst Wasser trinken, vielleicht schwollen dann die Schleimhäute in Verbindung mit der feuchten Luft um sie herum ab und sie konnte sich wieder ein bisschen orientieren.

Renata schüttelte ihre Hände ab und öffnete ihre Handtasche. Sie kramte ganz nach unten, um die kleine Wasserflasche herauszuholen. Als sie dabei versehentlich ein Papiertaschentuch ausstreute, flog ein kleines Kärtchen auf den Boden. Sie hob es auf. Bernhard Zeilinger war da gedruckt, darunter befand sich der handschriftliche Zusatz: Es würde mich freuen! Sonst stand nichts auf der Visitenkarte, kein Titel, keine Kanzlei. Die Karte war aus dickem, leicht fasrigem Papier. Wenn seine Wohnung so edel wie seine Karte war, dann sollte sie ihn anrufen. Er musste die Karte in ihre Handtasche gesteckt haben, als sie tanzen gewesen war.

»Warum bist du gegangen?«

Renata schreckte auf. Drei Meter entfernt stand der Seitenscheitel. Alles an ihm hing, die Schultern, die Haare, die Arme, das Gesicht.

Renata steckte die Karte in die Tasche. »Das war nicht meine Party.«

»Meine auch nicht.«

Sie strich sich durch die Haare und ihren Rock glatt. »Sehe ich.«

Der Seitenscheitel steckte die Hände in die Jeanstaschen.

Wie ablehnend musste sie noch sein, damit er sich endlich trollte? »Es war mir zu kindisch da drinnen, und zu schwülstig. Ich gehe jetzt schlafen.« Sie zippte ihre Handtasche zu.

Der Seitenscheitel stellte sich vor sie hin. Sie sah ihm ins Gesicht. Er zeigte noch immer keinerlei Mimik. Ansatzlos riss er die Hände aus den Hosentaschen, packte ihren Kopf und schnupperte an ihrer Stirn. Schon wieder! Dieser Mistkerl. Als wüsste er um ihr Problem, als wollte er sie quälen. Ebenso abrupt ließ er sie los und hüpfte auf den Rand des Brunnens. Mit einem lauten Schrei, der Tarzan zur Ehre gereicht hätte, sprang er ins Wasser. Es spritzte auf und Renata wurde am Rücken nass. Sie schnellte in die Höhe. »Sie …«

Renata verstummte angesichts des Anblicks, den der Seitenscheitel bot. Er war aus dem Poloshirt geschlüpft und hielt es, noch immer um seine Handgelenke geschlungen, mit ausgebreiteten Armen hoch über den Kopf. Das Wasser stand ihm bis zu den Knien, immer wieder schleuderte er mit den Füßen Fontänen in die Luft. Schließlich drehte er sich im Kreis, bis er ausrutschte und der Länge nach ins Wasser fiel.

Er lachte. Er wälzte sich im Wasser wie ein Hund und lachte.