Rendez-vous mit Polska - JP Bouzac - E-Book

Rendez-vous mit Polska E-Book

JP Bouzac

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Beschreibung

In Frankreich geboren haben mich Kalter Krieg, Globalisierung und Liebe nach Berlin verschlagen. Wer im Landkreis Barnim wohnt, hat nicht nur Berlin-Pankow, sondern Polen als direkten Nachbarn vor der Tür. Mich beschäftigte Polen schon in meiner Geburtsstadt Cognac. So war es nur logisch, sobald es ging, und das war im Sommer 1984 so weit, das mitteleuropäische Land höchst persönlich zu bereisen. Ob als Soldat der französischen Schutzkräfte in West-Berlin, im privaten oder beruflichen Leben, hatte ich seitdem mit Polen, dem Land und seinen liebenswerten Bewohnern, vor Ort oder sonst wo auf der Welt, immer wieder zu tun. Dieses Buch erzählt von diesen Begegnungen, von Städten und Landschaften, von der leckeren polnischen Küche, von Happenings, Kultur und Geschichte, und von einigem mehr. Mein persönliches polnisches Kaleidoskop. Zur Ermutigung aller Leserinnen und Leser ohne Polenerfahrung, den großen Schritt zu wagen, das Land zwischen Oder und Bug endlich kennen und schätzen zu lernen!

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Sabine, mon amour! Gewidmet

Merci, danke & bardzo dziękuję:

Marcelle & Louis-Clément

Sabine

Helena & Marek

Piotr

Agata & Team des SprachCafé Polnisch e.V.

Henry Spietweh (mention spéciale du jury)

Helmut Bräutigam

Inhaltsverzeichnis

VORWORT ZUR DIESER AUFLAGE

MEIN PERSÖNLICHES KALEIDOSKOP

PROLOG

EIN TAG AN DER ODER

FRANZOSE AUS FRANKREICH

POLEN-SUR-CHARENTE

TOUR DE POLSKA

DER MITTAGSSCHLAF DES FREIHEITSFANATIKERS

CHOPIN CLOPANT

„SIND DIE HERRSCHAFTEN DIE ELF-PERSONEN-GRUPPE?“

VON BERN- & BACKSTEIN, BENZIN & COGNAC…

DIPLOMATISCHER ZWISCHENFALL IM PERGAMON-MUSEUM

FRANZOSE AUS BERLIN

VERSUCH – GESCHEITERT

GAUDE MATER POLONIA

DAS WEIMARER DREIECK

PARIS – WARSZAWA

ZU GAST IN WARSCHAU

PACK DIE BADEHOSE EIN!

BERGBAUFOLGELANDSCHAFTEN

WEIMARER ROUTINE

FRANKFURT-ODER-MAIN

MULTIKULTI AM GRENZÜBERGANG

GENSHAGEN

DIE ODERREGION

PIOTR

JUNG UND FRECH

WEIMAR FOR EVER?

DIE VERGESSENEN BEGEGNUNGEN

POLEN (ENDLICH WIEDER) IN EUROPA!

EU-BEITRITT OHNE VOLK

VON DENKMÄLERN, WURST & KUNST

REVOLUTIONSLIEDER

FRAMEWORK BALL

LEBENSLANGES LERNEN

MIT POLEN UNTERWEGS

IN POLEN UNTERWEGS

KRAKÓW

BĘDZIN

KOSZALIN

LUBLIN

ÜBER WARSCHAU, ZAMOŚĆ … NACH HAUSE

SZCZECIN UND DIE INSEL WOLLIN

GDAŃSK AGAIN

KATOWICE & GLIWICE

DEUTSCH-FRANZOSE

DAS VERLORENE PARADIES

SCHLESIEN

NACH „OSTPREUßEN“

KOSTRZYN NAD ODRĄ UND DIE VOGELREPUBLIK

NOCH MEHR LEBUSER LAND

WEIßE WEIHNACHTEN AN DER SWINEMÜNDUNG

AM ENDE DER ANFANG: GROßPOLEN

EPILOG

DER (BREITE) WEG IST DAS ZIEL

ANHÄNGE

IM SOMMER

WAREN SIE SCHON IN POLEN?

STEINHERZ

(ERZÄHLUNG)

NO MAN’S LAND

(ERZÄHLUNG)

Vorwort zur dieser Auflage

Polen habe ich vor bald vierzig Jahren zum ersten Mal besucht: im Sommer 1984. Seitdem ist viel Wasser die Weichsel runtergeflossen.

Vor zehn Jahren fand die Erstveröffentlichung dieses Buch statt. Kurz danach und bis Dezember 2013 stellte die PIS die polnische Regierung. Antieuropäische und antideutsche Ressentiments waren nicht die beste Grundlage für das deutsch-polnische Verhältnis. Vielleicht hat diese schwierige Situation die im Ausland lebenden Polinnen und Polen motiviert, etwas Gutes zu tun.

In Berlin, sowie in vielen Regionen in Deutschland haben Polen, zusammen mit anderen Menschen mit und ohne polnische Wurzeln, zukunftsweisende Projekte ins Leben gerufen. Ich möchte hier nur zwei aus Berlin stellvertretend nennen: das SprachCafé Polnisch e. V. und die Bartoszewski-Initiative.

Unabhängig von der politischen Lage ist die Zahl der deutschen Poleninteressierten, der Polnischkurs-Besucher, sogar die der Reisenden nach Polen stetig gestiegen. Nicht zuletzt humorvolle Vermittler wie der Kabarettist Steffen Möller, haben es geschafft, Interesse für das Land jenseits von Polenmarkt und Pol…emik zu wecken!

In den letzten Jahren hatte ich beruflich weit weniger beim östlichen Nachbarn zu tun als zuvor. Auch als Tourist war ich früher schon öfter da. Mit Ausnahmen: die Ostseeküste in Westpommern, Szczecin und die Oder samt Wartemündung, seltener weiter südlich an der Neiße bis zur tschechischen Grenze. Von Berlin aus sind diese Ziele für ein Wochenende oder sogar eine Tagestour allein oder mit Freunden und Verwandten bestens geeignet.

Für diese Wiederauflage habe ich den Text der ersten Auflage gekürzt, ihn korrigiert und ihn, abgesehen von wenigen Ausnahmefällen, nicht aktualisiert. Der Zeitraum, um den es geht, betrifft deshalb hauptsächlich die Jahre 1984 bis 2014.

Der Sammlung habe ich als Anhang zwei Erzählungen aus dem Jahr 2007 hinzugefügt, die ich nach einem Sprachkurs in Lublin im gleichen Jahr verfasst hatte. Eine davon blieb bisher unveröffentlicht.

Neu sind die vielen Bilder und vor allem Fotografien. Von nicht wenigen meiner Besuche in Polen existiert keine einzige Aufnahme. Wenn doch, war oft die Qualität so schlecht, dass neueres Material ausgewählt werden musste. So werden nun die Fotos mal im Kontext, mal irgendwo - wo Platz war - gezeigt.

Und jetzt tue ich etwas, das kein Pilzliebhaber, erst recht kein polnischer, tun würde: Ich verrate Ihnen den Ort meines letzten großen Pilzfundes! Es war auf einen undichten Dachboden in der Nähe der französischen Stadt Cognac. Nährboden waren Diakästen aus dem Jahr 1984, nach langer Zeit wiederentdeckt. Pilzbefall und rustikale Digitalisierung sorgen für einen Vintage-Effekt der besonderen Art. Dabei wäre der gar nicht nötig gewesen.

Denn damals, in der Volksrepublik Polen, war der Himmel oft kobaltblau. Blumen gab es viele zu bewundern und sogar zu kaufen. Straßen und Plätze waren angenehm leer: wenige Autos, nur wenig Werbung. Jede Epoche hat ihre guten Seiten…

Jetzt aber wünsche ich allen viel Spaß beim Lesen und – noch mehr Lust, Polen besser kennenzulernen. Es lohnt sich!

Tatras, Sommer 1984 (Das ist sie, die berühmte Pferdekarre!)

Krakau, Sommer 2005

Mein persönliches Kaleidoskop

Das Buch, das Sie in den Händen halten, ist über Jahre entstanden. Am Anfang schrieb ich einzelne Texte auf Französisch später auch auf Deutsch ohne jede definierte Absicht. Allmählich entwickelte sich eine Sammlung von Berichten und Gedanken, die sich anschließend nicht so leicht einordnen ließen.

Es ist kein Reiseführer, jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Als Einführung zu Polen ist es ganz passabel, wenn auch etwas eigenwillig, subjektiv, wie Polenexperte Steffen Möller mir dazu sagte und womit ich gut leben kann. Nun, was ist es denn?

Einen roten Faden sucht man hier vergeblich. Aufmerksame Leser werden jedoch einen dünnen weiß-roten Faden auf jeder Seite mühelos identifizieren können, mit einer bunten Mischung aus chronologischer Erzählung (Mit Rückblenden und Nachträgen), autobiografischen Anekdoten, Reiseberichten aus privatem und beruflichem Anlass. Das Besondere dabei? Zuerst war ich als Franzose aus Frankreich, später als Franzose aus Berlin und zuletzt als Deutsch-Franzose unterwegs. Eine Entwicklung, die für die gegenseitige Wahrnehmung nicht ohne Folgen blieb.

Wer sich jetzt über den Inhalt dieses Buches genug informiert fühlt, kann gleich mit dem Prolog Ein Tag an der Oder anfangen. Wer hingegen mehr erfahren möchte über die Beweggründe, die mich motiviert haben, meine Erfahrungen mit Polen so ausführlich zu beschreiben, ist herzlich eingeladen, die Lektüre mit dem Text im Anhang Waren Sie schon in Polen? fortzuführen.

Allen kann ich schon eins verraten: Alle Wege führen nach Polen!

Neue Philharmonie, Szczecin, April 2016

PROLOG

Ein Tag an der Oder

Heute ist ein Wochenendtag wie jeder andere Wochenendtag auch, ein ganz normaler Tag. Wir fahren ins Nachbarland. Einfach so, weil uns danach ist. Die Grenze gibt es nicht mehr. Jedenfalls keine Kontrolle beim Überqueren der nur noch virtuellen Linie. Im kleinen silbergrauen Peugeot sitzen wir zu dritt: Sabine, meine Frau, Karl, ein alter Freund aus Aachen, am Dreiländereck im Westen, und ich.

Von unserem Zuhause im nordöstlichen Berliner Speckgürtel ist es nur ein Katzensprung nach Polen. Knapp sechzig Kilometer im Schatten schmaler, uralter Baumalleen. An vielen Stellen bröckelt die unebene Teeroberfläche der Fahrbahn. Ehrwürdige Bäume, die den Zweiten Weltkrieg und den Ansturm der Roten Armee auf die Hauptstadt des Dritten Reiches überlebt haben, können es kaum erwarten, ahnungslose Autofahrer in die Falle zu locken. Bei der Jagd auf motorisierte Menschen schmücken sich erfolgreiche Stämme mit kitschigen Kreuzen, verblassten Plasteblumen und Kerzen.

Schon erreichen wir die grünen Hügel hinter Bad Freienwalde, die bis zum Schluss die Sicht auf die majestätische Oder versperren. Auf einmal sind erstaunlich viele Autos unterwegs. Was suchen die hier an einem frühsommerlichen Sonntagvormittag? Dass sich so viele Bundesbürger für die Stimmung jenseits der Grenze am ersten Tag der polnischen Präsidentenwahl interessieren, scheint eher fraglich. Als wir im letzten August die gleiche Strecke gefahren sind, waren wir die ganze Zeit allein. Im Stau auf der Stahlfachwerkbrücke fragt sich Sabine halblaut: „Es gab doch keinen Polenmarkt am Grenzübergang, oder?“

Ich weiß es auch nicht. Es mag arrogant klingen, aber diese Allesbillig-Freiluftmärkte, wie sie fast überall direkt hinter dem Fluss zu bewundern sind, interessieren uns nicht im Geringsten.

Im Schritttempo überfahren wir die Oder. Aus östlicher Richtung kommt uns eine Kolonne von in Fußball-WM-Deutschland-Farben geschmückten Fahrzeugen auf der Brücke entgegen.

Kaum im Land angekommen, sehen wir ihn, den Polenmarkt, der um eine verlassene Fabrik herum eine Art Geschwür aus wackeligen Ständen bildet. Aus der graubunten Masse stechen große Schilder mit deutscher Aufschrift und Euro-Preisen hervor, die für so heiß geliebte Produkte und Dienstleistungen wie Benzin, Kunststoffblumen, Gartenzwerge und weitere Außendekoartikel aus bemalten Gips, Friseursalons, Zahnzieherpraxen und Designerbrillenläden hemmungslos werben.

Der riesige Parkplatz ist brechend voll. Das ist also das Ziel und gleichzeitig das Nest der vielen motorisierten Grenzgänger. Links und rechts der Straße warten noch einige Night Clubs auf Kundschaft. Offen 24 Stunden ist zu lesen, wie es sonst auch bei EU-Paletten-Verkaufsstellen auf dem Lande üblich ist. Es gibt Sachen, die einfach nicht warten können!

Und dann ist endlich Ruhe. Die Straße führt weiter durch den östlichen Teil des grünen Odertals. Weitgehend leer.

Nach einigen geruhsamen Kilometern sind plötzlich beide Seitenränder mit Autos zugeparkt. Noch ein Polenmarkt? Nein, dieses Mal zieren polnische Kennzeichen alle Pkw. Langsam quetschen wir uns durch die Scharen von Wagen und Fußgängern. Auf der rechten Seite ragt das Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht von Zehden - damals die slawische Siedlung Cidin, heute Cedynia - in die Höhe.

Der Sieg des polnischen Piastenherzogs Mieszko I. über die Truppen des Lausitzer Markgrafen Hodo am Ende des zehnten Jahrhunderts ist jedoch nicht der Grund für diese beachtliche Menschenansammlung. Am Fuß des sowjetisch anmutenden Monuments gibt es einen breiten Platz, der heute mit Familien, Karussellen, Schießbuden, bunten Ständen voller chinesischem Plüschzeug, Eisdielen und dazwischen einigen freilaufenden, scheinbar unbeteiligten grauen Pferden, überfüllt ist. Jetzt sind wir in Polen.

In der Stadt Cedynia parken wir auf dem zentralen Platz vor dem Rathaus und laufen zu Fuß den Hügel hoch zum Bankomat. In den kleinen Höfen entlang der Straße streunen braune, geschwätzige Hühner auf der Suche nach Essbarem herum. Die vielen Gemüsegärten sind gut gepflegt. Der Salat ist bald so weit. Alles andere braucht nach dem langen Winter noch etwas Zeit.

Mit der EC-Karte holen wir uns frisch gedrucktes Gold aus der Maschine in der Wand. Währenddessen kommen aus der nächsten Tür zwei Blau-Uniformierte heraus. Wie praktisch: Die Bank teilt sich das Gebäude mit der Polizeistation.

Immer nach Höherem strebend überqueren wir die Straße und spazieren aufwärts Richtung Friedhof. Zwischen den Ästen erscheint in einigen Hundert Metern Entfernung ein roter Backsteinturm. Dort angekommen stellt sich heraus, dass diese Konstruktion aus dem neunzehnten Jahrhundert offensteht, jedenfalls für diejenigen, die keine Furcht vor alten, wurmstichigen? Holzstufen und Uringestank haben.

Bald stehen wir ganz oben auf der Aussichtsplattform und beobachten den Oderbruch. Direkt hinter den letzten Scheunen am Dorfrand fangen die Felder an. Noch sind Teile davon überflutet oder mit einem hellgrünen Schleim bedeckt. Hier gibt es keinen Damm. Nur die älteren Gebäude sind vor den Fluten geschützt. Sie wurden auf der Anhöhe gebaut. War der Mensch früher schlauer?

Nun begeben wir uns zum kulinarischen Höhepunkt des Tages. Im stillen Park des liebevoll renovierten ehemaligen Zisterzienserinnenklosters Cedynia genießen wir Klassiker der polnischen Gastronomie in allerbester Ausführung und das mit weitem Blick ins grüne Tal.

Im geräumigen Kaminsaal sitzen mehrere kleine Gruppen von Gästen, Deutsche und Polen in ungefähr gleicher Zahl. Damals wurde die religiöse Einrichtung durch die neuen Landesherrscher zur Germanisierung der Region gestiftet. Warum nur deutsch oder polnisch, wenn man beides haben kann?

Wie geplant ziehen wir dann in den Naturpark an der Oder. In Bielinek steht das Wasser noch sehr hoch. Die Hinterlassenschaften des letzten Fluthöhepunktes verbreiten einen beißenden Geruch, der sowohl an Fäulnis als auch an Stockfisch erinnert.

Hotel und Restaurant Kloster Cedynia, Juli 2015

Beim Trocknen im Schilf hat die angeschwemmte Schicht kunstvolle Figuren geschaffen. Vom Piratendreimaster bis zum Beduinenzelt ist alles dabei. Alle paar Meter liegen darin leere Flaschen auf dem vermoderten Boden.

An der Stelle, wo wir im letzten Sommer Enten, Gänse, Kormorane und weitere Wildvögel beobachtet haben, fließt heute schaumiges, blubberndes Wasser. Einige der Sanddünenwege, die wir mit Mühe auf, meist auch neben, unseren Fahrrädern erklommen hatten, sind schlicht weg, und zwar zusammen mit den Dünen.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, mangels begehbarer Zugänge ans Wasser zu kommen, treffen wir bald in Piasek ein.

Dort steigen wir aus, promenieren auf dem Feldweg, der normalerweise an einem von krummen Weiden gesäumten romantisch verlassenen Arm der Alten oder entlangführt. Auch hier sind die Spuren der Verwüstung gut sichtbar. Die Feldzäune wurden durch die Wassermassen eingedrückt. Überall liegt Unrat. Der Sandweg ist mit langen, spitzen oder flachen, bräunlichen Süßwasserschnecken übersät. Soweit das Auge reicht, steht Wasser um uns herum. Die Alte Oder ist jetzt Teil der Jungen.

Ein Angler schimpft über die verschwundenen Fische. Als wir näherkommen, fügt er in fast akzentfreiem Deutsch für uns hinzu: „Bei mir zu Hause stand das Wasser einen halben Meter hoch, zwei Wochen lang. Jetzt ist es besser. Aber der Fisch ist weg. Zuviel Wasser!“

Darauf packt er seine Sachen zusammen und geht heim, hundert Meter landeinwärts. Vor der Tür wartet seine Frau auf ihn, die Hände auf den Hüften.

Im kleinen Laden an der Dorfstraße, Namens Iwona, kaufen wir noch schnell Milch, einen Topf Salzgurken fürs Abendessen und das morgige Frühstück ein. Alles ist so einfach.

Wir sind in Polen und zu Hause in Europa. Wie hat das nun angefangen?

An der alten Oder bei Piasek, Juli 2015

In Lubuskie unterwegs, Juli 2010

Irgendwo in Polen, irgendwann

FRANZOSE AUS FRANKREICH

Polen-sur-Charente

Wie kommt bloß ein Charentais auf die Idee, Polen zu lieben? Vielleicht wissen Sie gar nicht, was ein Charentais ist? Im fruchtigsten Fall ist es eine kugelartige Melone, eine von der Sorte, die meist aus der Provence oder neuerdings aus Marokko und damit kaum aus dem Département Charente kommt (Sowie laut Kurt Tucholsky „der richtige Berliner meist aus Posen oder Breslau“ stammte). Ihre hellgrüne Schale zieren seltsame Streifen, die ein wenig an ein Netz, auch an ein Spinnennetz, erinnern. Das indirekt sonnengereifte Fleisch ist orange, zart und süß wie die Sünde…

Rein theoretisch kann natürlich ein Charentais ein männlicher Einwohner aus der Charente sein, und damit ein gemütlicher Filzpantoffel (auch charentaise genannt). Irgendwo an der Atlantikküste liegt dieses Paradies auf Erden und mittendrin Cognac.

Cognac, das ist eben nicht nur ein leckeres Getränk, sondern eine am Ufer der Charente gelegenen Kleinstadt voller Stolz, Geschichte, schwarzem Schimmelpilz an den Hauswänden und sehr viel Knete. Wie für die meisten Départements, welche im Revolutionsrausch erfunden wurden, fungierte der lokale Fluss als Namensgeber. Dabei ist die Charente, das weiß doch jedes Kind, „der schönste Fluss in meinem Königreich“. So sagte jedenfalls Henri IV., ein schlauer Mensch und Lebensgenießer, der wegen seiner religiösen Toleranz ermordet wurde.

Also Polen. In Cognac, Südwest-Frankreich. Das war keine Selbstverständlichkeit. Was wussten wir, was wusste ich schon von Polen? Zwar war ein vielfältiger Minister und Politiker der République französischer Staatsbürger und nebenbei polnischer Prinz (Michel Poniatowski). Und der bekannteste Gewerkschaftsboss der Zeit, ein gewisser Camarade Krasucki als Jude in einer Warschauer Vorstadt zur falschen Zeit geboren, war in Frankreich als lautstarker kommunistischer Tribun gleichermaßen beliebt und verspottet.

Und dann wäre da noch Napoléon Bonaparte gewesen. Korse ja, nicht Pole. Das war mir schon klar. Bis heute wird der Südländer als der französische Galanthomme par excellence in ganz Masowien und damit weltweit verehrt. Im Nachhinein muss eingestanden werden: Als nachhaltiger Befreier war er wohl eine Niete. Was er als Liebhaber taugte, wollen wir erst gar nicht wissen. Mit dieser Leberkrankheit und so. Napoléon. Seine aus dem verlorenen Krieg zurückkehrenden Soldaten haben bis ins letzte Dorf der Charente neben Polka und Mazurka einen gesungenen Tanz aus Polen mitgebracht.

Die Circassienne auch Varsovienne genannt, hat einen Text, den sich jeder gut merken kann:

T'es saoul bonhomme (ter) t'as bu

T'as bu bonhomme (ter) t'es saoul…

Oder, in der Sprache von Marcel Reich-Ranicki und Fatih Akin:

Du bist betrunken Mann (3-mal) hast getrunken

Hast getrunken Mann (3-mal) – bist betrunken…

Das ganze Missverständnis um die angebliche Trinkgewohnheit der Polen hat auch mit Napo zu tun. Die Schlacht am Pass von Somosierra, vor den Toren Madrids, dauerte dem selbsternannten Kaiser zu lange. Er befahl deshalb der polnischen leichten Kavallerie (Einhundertfünfzig Mann) die übermächtige spanische Artillerie (Zweitausend Mann, zwanzig gut versteckte Kanonen auf dem Pass) außer Gefecht zu setzen.

Darauf starb in diesem hoffnungslosen Kampf ein Pole nach dem anderen, bis die Spanier unerwartet aufgaben. Einer der französischen Feldmarschälle, leicht eifersüchtig wie es scheint, behauptete gleich, dass „die Polen einfach besoffen gewesen waren!“. Dazu Napoléon, der es wirklich gut meinte: „Wenn es so ist, dann sollten alle meine Soldaten wie die Polen betrunken sein!“

So entstehen Vorurteile. Haben Sie schon betrunkene Polen gesehen? Ich ja. Das ist aber eine ganz andere Geschichte. Sie kommt später, versprochen.

Das alles ist nicht sehr neu, werden Sie mir sagen. Wir haben noch etliches auf Lager: Chopin zum Beispiel, der beste französische Komponist aller Zeiten, der warum auch immer in Polen, oder auf dem Gebiet, das davon übriggeblieben war, dem Herzogtum Warschau, geboren wurde. Schon damals war die Globalisierung auf dem Vormarsch. Womöglich hatte sein Vater ein Erasmus-Stipendium für ihn beantragt und durch Vitamin-B erhalten.

Chopin hat meine Kindheit um Welten schöner gemacht als sie ohnehin schon war: Aufnahmen der Walzer und Polonaisen, von Artur Rubinstein gespielt. Gibt es stärkere Drogen? Das glaube ich bis heute nicht.

Da wäre noch die freche Madame Maria. Zwei Nobelpreise hat sie geerntet! Zu einer Zeit als die meisten Frauen dieser Welt ihre Küche nicht verlassen durften. Und damit hat die elegante Dame, die nun als typisch französisch geltende Vorliebe für die Atomphysik gleich initiiert. Ein starkes Stück Geschichte. Und eine unglaublich starke Frau.

Ich erspare Ihnen den skurrilen Komiker Popeck und seinen Markenspruch „Wir sind doch keine Wilden!“, ebenfalls die aparte Schauspielerin und Sängerin Anna Prucnal und so kommen wir gleich zum weniger bekannten, dafür sehr lieben Herrn Stupa.

Der junge Mann war unser neuer Sportlehrer. Ein Riesenhaufen Muskeln mit blauen Augen à la Henry Fonda. Seinen Namen hat er bei der Einbürgerung freiwillig kräftig gekürzt. „Das hätte sich sowieso kein Franzose gemerkt...“, hat er dabei wohl zu Recht gedacht.

Herr Stupa ist unheimlich nett. Er versteht seinen Job, anders als viele seiner Kollegen, nicht als Sprungbrett zur Eroberung von Mädchenherzen. Er macht voller Leidenschaft Sportunterricht. Ich, der größte Sportunterrichtmuffel dieses Jahrhunderts bin begeistert. Es lebe Herr Stupa! Hundertzwanzig Jahre soll er werden! Woher kommt Herr Stupa? Mann, du hast getrunken!

Aus dem gleichen undefinierten Zeitalter – jung ist jung und basta! – stammt eine weitere durchaus positive Erinnerung. In der Avenue Victor Hugo, der größten Straße in Cognac, in der Avenue, von wegen Straße!, die auf dem François I.-Platz triumphal endet. Dort sitzt François, der französische König aus Cognac, davon gibt es nur ganz wenige, wie ein römischer Kaiser auf seinem bronzenen Pferd und schaut in die Ferne wie Helden es so tun. Das kräftige Ross, das Mistvieh, nutzt die Situation aus und macht irgendwelche auf dem Boden liegenden Untergebenen mit wilden Hufschlägen zur Schnecke.

Da, in der Avenue Victor Hugo, ist eine Konditorei. Mit einer besonders gemeinen Spezialität: die Polonaise, die mit Tanz und damit mit Bach nichts zu tun hat. Dafür ist sie unendlich süß und schmeckt doch himmlisch gut. Bei dieser einmaligen Köstlichkeit handelt es sich um eine kegelartige Kreation aus Teig, getrockneten Früchten und Nüssen sowie aus Schokolade, und damit eindeutig um eine Vertreterin der Gattung Mazurek.

Ein paar Mal schlemmte ich dort unbeschwert. Plötzlich verschwand die Konditorei sang- und klanglos. Und das dreitausendste modische Schuhgeschäft von Cognac, Sous-préfecture der Charente, setzte am Unglücksort eine Unschuldsmiene auf. Es gibt solche schweren Momente im Leben, da muss man durch.

Der wirkliche Knaller kam Mitte der siebziger Jahre: Jede Woche wartete ich wie viele Gleichaltrige ungeduldig auf die nächste zweiseitige Folge aus dem neuen Astérix-Heft. Diese wurden in der Zeitschrift, Kultzeitschrift würden wir es heute nennen, Pilote veröffentlicht.

Nach sagenhaften Abenteuern in Gallien, Spanien, Griechenland, Ägypten und sogar in Amerika wagte sich das gallische Kriegerpaar nun in den Osten! Astérix in Polonia hieß die neue Geschichte.

Es war auch Zeit, zumal René Goscinny, der geniale Schöpfer dieser und vieler weiterer Bande-Dessinée-Figuren, darunter dem kleinen Nick, polnische Vorfahren hatte.

Astérix, Obélix und selbstverständlich Idéfix erlebten spannende, ja skurrile Begegnungen, etwa mit dem Drachen aus Krakau, dem sie auf Flossen auf der Weichsel (knapp) entkamen... Wie, Sie können sich dieses Heftes nicht entsinnen?

Mir ist noch eine unvergessliche Begegnung aus dieser Zeit wieder eingefallen. Die ich doch vergessen hatte… P. studiert zusammen mit meiner damaligen Freundin in Poitiers. P. ist ausfällig hübsch. Strohblond mit Mandelaugen. Das Gesicht einer Madonna…

Einer traurigen Madonna. Die arme leidet an einer seltsamen Krankheit. Sie verträgt ihren Vornamen nicht. Viele glauben, dass sie Paulette heisst. Das wäre schon schlimm genug, da es furchtbar altmodisch klingt und nur durch ein sehr albernes Lied noch bekannt ist. Paulette, la reine des paupiettes! Das ist nicht schön. Aber weit gefehlt. Paulette heißt gar nicht so, sondern Polette, ein von ihren polnischen Eltern erfundener Vorname, der an das Ursprungsland erinnern soll. Polchen oder so ungefähr heißt die hübsche. Da kann einem das Lachen vergehen. Heimatliebe ist eine komplizierte Sache. Spätestens wenn man zwei Heimaten hat!

Für die Bestätigung der historischen franko-polnischen Freundschaft hätte das bisher aufgelistete schon längst gereicht. Aber es kam noch mehr.

Zuerst machte ich die Bekanntschaft eines echten Polen im Ladakh-Himalaja, Indien, im Sommer ’83. Von den Einheimischen, in der damals noch verträumten Grenzstadt Khargil wurden wir beide (er, Wojciech, blond und über ein Meter neunzig groß und ich, als Baby ebenfalls blond und blauäugig gewesen) kurzerhand zu Japanern erklärt, da wir, wie wir später erfuhren, je eine Kamera am Hals trug.

Ich fragte Wojciech: „Wie bist du überhaupt hierhergekommen?“

„Ich wollte schon immer nach Indien.“ war seine Antwort. Logisch, aber nicht selbsterklärend. „Herrschte nicht in Polen seit 1981 der Ausnahmezustand?“ bohrte ich weiter.

„Ja doch.“ fügte er schlicht hinzu.

Damit war die Diskussion erst mal beendet. Auch ich wollte schon immer nach Indien. Und da waren wir.

Die unerwartete Wahl eines polnischen Kardinals zum Papst, seine systemkritischen Auftritte vor Millionen von Landsleuten, die gewagte Geburt von Solidarność, ihr schnelles Verbot nach Verhängung des bereits erwähnten Kriegsrechts hatten wir zu Hause in den Medien fieberhaft verfolgt. Unsere Familie war alles andere als streng katholisch. Auch wir lachten gut über den Papst-Witz des Komikers Coluche:

« Il n'a rien compris au préservatif, il l'a mis à l’index! », sprich ungefähr: „Er versteht nichts vom Kondom. Er hat es auf die schwarze Liste gesetzt /am Mittelfinger angelegt!“

Jedoch war uns die politische Brisanz dieses Papstes damals bewusster als es bei vielen Deutschen um die Zeit der Fall gewesen sein mag. Diese Vermutung wurde im fast letzten Polenbuch, das ich bis zum Redaktionsschluss noch gelesen habe, unerwartet bestätigt. Es handelt sich um das persönliche und zugleich sehr unterhaltsame Polski Tango 1 vom deutschen Journalisten polnischer Herkunft Adam Soboczynski.

Und schließlich hatten meine Eltern eine recht komische Idee: Sie wollten den nächsten Sommerurlaub in Polen verbringen, dorthin mit dem Auto fahren und, da es nicht gleich um die Ecke war, mich als Ersatzfahrer mitnehmen.

„O.k.“ sagte ich zur Anfrage, dabei so cool bleibend wie Alain Delon und Zbigniew Cybulski zusammen.

1Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen, Adam Soboczynski , Gustav Kiepenheuer Verlag , 2006

Tour de Polska

Seit eh und je bin ich furchtbar gern gereist. Jetzt wo mein Bart ergraut ist, steht endgültig fest, dass bestimmte Reisen mich nachhaltig geprägt haben. Zu diesen bildenden Reisen gehören zweifellos meine Tour durch die Sowjetunion mit siebzehn Frühlingen und genau so vielen Hochsommern. Dann kam 1981 die Entdeckung von Afrika, zumindest von Nordafrika, in Marokko. Indien war als Nächstes an der Reihe, das hatten wir ja schon.

Im Sommer 1984 stand nun Polen auf der Tagesordnung. So nah und doch genauso exotisch wie alle bisher besuchten fernen Länder, einschließlich der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Ganz ohne Vorbereitung sind wir nicht in die Fremde gefahren. Mindestens zwei gute Bücher hatten wir zu Hause: den exklusiven Taschenreiseführer Petite Planète Pologne aus dem Jahr 1978 von Eva Fournier und das großformatige Bilderpamphlet Pologne vom Magnum-Fotografen Bruno Barbey und dem Journalisten Bernard Guetta.

Das erste Buch hatte mein Papa zur intellektuellen Einstellung auf die Fahrt erworben. Das zweite schenkte meine damals reisebegeisterte Schwester Mimi unseren Eltern, nachdem diese die geplante Abenteuerreise dem Rest der Familie mitgeteilt hatten.

Das Werk von Frau Fournier ist bis heute so einzigartig, dass wir uns damit erst mal etwas beschäftigen müssen. Auf knapp zweihundert Seiten bot sie einen sehr lebhaften, wenig schonenden Überblick der Geschichte Polens der letzten tausend Jahre mit dem Schwerpunkt Katastrophen im zwanzigsten Jahrhundert am Beispiel Warschaus. Frau Fournier war bestens informiert und bereicherte ihren Bericht mit spannenden Beispielen aus der Praxis. Ihre absurden Erläuterungen von Grundbegriffen wie momencik, chwileczka, sekundeczka... könnten von Sławomir Mrożek höchstpersönlich stammen.

Dreißig Jahre nach Kriegsende hatte sie eine klare Einstellung zur geographischen Lage des Landes: Es ist, wie es ist, zurück zum Stand von vor tausend Jahren, und es ist auch gut so. Damit hatte sie eindeutig für Polen (gut) und gegen Deutschland (böse) Partei ergriffen, was durchaus ihr gutes Recht war. Heute wirkt diese einseitige Haltung deutlich veraltet.

Ganz im Geiste der damaligen Zeit verurteilte die Autorin den Drang nach Osten der Germanen immer wieder auf Schärfste. Schade nur, dass sie die polnische Expansion, ebenfalls nach Osten, einzig als glorreiche Goldene Zeit darstellte. Hat Frau Fournier je mit Litauern, Ukrainern, Russen oder Belarussen darüber geredet? Ich ja. Und sie hatten in der Regel eine eigene, etwas abweichende Meinung dazu.

Die gleiche Sichtweise übertrug unsere Polska-Passionaria auf die für die moderne Geschichte des Landes so wichtigen Flüsse Oder und Neiße. Für sie waren diese ruhigen kleinen Flüsschen mit niedlichen polnischen Namen, während die breite (urpolnische) Weichsel die Hauptstadt majestätisch durchquerte… Wer diese Flüsschen sagen wir mal im Mai 2010 erlebt hat, weiß wie wenig sich die Geografie um die Geschichte schert. Weichsel und Warthe, Oder und Neiße, in welcher Sprache auch immer, stellten wiederholt die ungeheure Kraft der Natur zur Schau, und zwar alle in der gleichen Liga.

In einem weiteren Punkt überraschte Frau Fournier sehr: als es um die Küche in Zeiten des Kommunismus ging. Den von ihr gelobten „sehr cremigen Bartsch voller Langustinen“ wie den „immer exzellenten geräucherten, gegrillten Lachs“ dürften Ende der Siebziger recht wenige polnische Genossinnen und Genossen auf ihrem alltäglichen Speiseplan entdeckt haben. Genossen kommt nicht zwangsläufig von Genuss.

Insgesamt blieb das sonst so anspruchsvolle Buch gegenüber den kommunistischen Machthabern erstaunlich wenig kritisch. Im Veröffentlichungsjahr 1978 waren erst zwei Jahre seitdem vorläufig letzten Aufstand der Bevölkerung vergangen. Dieser neue Befreiungsversuch wurde von der Partei brutal niedergeschlagen, wenn auch nicht so extrem wie die Früheren.

1978, das war vor allem zwei Jahre vor der Gründung von Solidarność, vor dem Anfang des Endes... Schluss mit meckern! Eins hat das Buch von Eva Fournier bei mir geschafft: das Interesse für das besondere Land im Osten zu festigen. Allein dafür bin ihr zu großem Dank verpflichtet.

Als ob es nicht genug wäre, hat Frau Fournier für die beste Auswahl aller Zeiten beim Kapitel „Einige Sätze für die Reise“ eine Sonderauszeichnung redlich verdient. Hier in eigener Übersetzung aus dem Französischen:

Ich möchte

Proszę

Bitte

Proszę

Ich möchte einen Kaffee.

Poproszę kawę.

Mein Telefon funktioniert nicht.

Mój telefon nie działa.

Ich verstehe nicht.

Nie rozumiem.

Ich habe vor einer halben Stunde

Ja zamowiłam kawę

einen Kaffee bestellt.

pół godziny temu.

Wenn ich in fünf Minuten

Jeśli w ciagu pieciu minut nie

meinen Kaffee nicht erhalten habe,

dostanę kawy,

zünde ich das Hotel an.

podpalę ten hotel.

Wo ist das Geburtshaus von Chopin?

Gdzie jest dom Chopina?

Wieviel kostet die Wodkaflasche?

Ile kosztuje butelka wódki?

Es lebe Polen!

Niech żyje Polska!

Es gibt kein warmes Wasser.

Nie ma ciepłej wody.

Das andere Polen-Buch bietet heute noch eine ideale Ergänzung zum Ersten. Die Autoren Barbey und Guetta lieferten ein umfassendes, ungeschminktes Porträt des Landes im geschichtsträchtigen Zeitraum 1980-1982. Für ihre großartige Dokumentation hat der erste den Overseas Press Club, der zweite den Albert-Londres-Preis erhalten. Und in der Tat ist das Buch ein zeitloses Meisterwerk. Es ist jetzt nun Geschichte, dafür eine sehr lebendige, voller Details und Emotionen.

Poznań, April 2011

Der Mittagsschlaf des Freiheitsfanatikers

Im Sommer ‘84 waren wir von Cognac aus mit einem schwach motorisierten Auto, einem kleinen Wohnwagen, einem winzigen Zelt und einem - am Anfang ziemlich properen - Hund einen ganzen Monat in Polen unterwegs. Das erste Reiseziel war Łeba, das Tor zum Słowiński Nationalpark an der Ostsee. Dort sollten wir eine Woche im für uns vom polnischen Staat herzauberten künstlichen Wohlstandsghetto verbringen. Am Grenzübergang vor Szczecin kamen wir kurz vor 18.30 Uhr am 23. Juli an.

Die Ablösung ließ auf sich warten. Die Diensthabenden konnten gewisse motorische Schwierigkeiten schwer verbergen. In Wirklichkeit waren sie zu jeder Art der Verheimlichung von Tatsachen nicht mehr fähig. Hatten sie die Gründung der Volksrepublik am Tag davor gebührend begossen? Höchst wahrscheinlich. Wir fragten nicht nach und warteten geduldig. Genau drei Stunden. Nach ausführlicher Kontrolle unserer Kolonne (wir hatten uns einer Gruppe von lebenslustigen Elsässern und aberwitzigen Belgiern mit demselben Ziel angeschlossen) durch die frisch eingetroffene Grenztruppe durften wir ins Land unserer Träume. Danach schliefen wir in einem Vorort der westpommerschen Hauptstadt Szczecin, da wir die geplante Etappe nicht mehr erreichen konnten.

Am Tag darauf waren wir, wie so viele vor uns, Richtung Osten über Koszalin und Sławno vorgedrungen. Am Straßenrand verkauften geduldige Omas im Wald selbst gepflückte Blaubeeren und Pfifferlinge in Holzkörbchen.

Heutzutage säumen die Naturproduktverkäufer immer noch die Straßen Polens. Nur sind die Körbe aus durchsichtigem Kunststoff, die Pfifferlinge in Marmeladengläsern gestopft. Und das Angebot wurde um leicht bekleidete junge Frauen ergänzt.

Lkw fuhren inkognito in dichten schwarzen Abgaswolken. Es hatte stark geregnet, die Kühe standen auf den Feldern bis zum Knie im Schlamm. In den Dörfern begrüßten uns die Gänse lauthals. Weil der Campingplatz in Łeba noch nicht offen war, mussten wir anhalten. Zwei Nächte verbrachten wir deshalb auf einem eigenartigen Zeltplatz im Torfmoor in der Nähe der kaschubischen Kleinstadt Bytów.

Der Boden bewegte sich von allein und gab dabei komische Geräusche von sich, als ob er über das eigene Schicksal seufzte. Um uns herum standen Nadelbaumwälder in Fülle. Zur Ausstattung gehörten noch ein See mit Tretbooten ohne Sitz und lauter Holzbungalows. Abends wurde am Lagerfeuer fröhlich gesungen.

Beim Besuch von Bytów fiel uns das vernachlässigte Stadtzentrum auf. Wir kauften Brot, Kohl und Gurken ein. Besuchten das Museum in der ehemaligen Ordensburg aus roten Backsteinen. Erwarben auf dem Rückweg zum Campingplatz noch Blaubeeren und Pilze. Am Frühabend gingen meine Eltern schlafen.

Ich begab mich in das Zelt der Jugend oder so ähnlich. Es war nicht mal zehn Uhr abends als eine attraktive dunkelhaarige helläugige junge Frau, Barbara, aus Katowice, bis jetzt dadurch aufgefallen, dass sie die ganze französische Hitparade vor sich hin laut trällerte, mir lakonisch mitteilte: „Du bist doch ein Mann, wieso bist du noch nicht betrunken?“

Da waren wir ohne jede Vorwarnung wieder bei Napoléon. Ich schaute mich um. Recht hatte sie. Laut schnarchend lagen die jungen Polen auf dem Boden. Ich hatte gar nicht darauf geachtet. Ich bin ja sehr tolerant. Und mir sind die Jungs wurscht. Sollen sie doch bis zum Abwinken trinken, wenn es ihnen Spaß macht!

Ein Tag später erblickten wir Łeba. Der weiße Sandstrand war riesig und frei von jedem Müll. Damals wurden in der sozialistischen Welt Sekundärrohstoffe fleißig und effektiv – heißt gegen Moneten – gesammelt. Das kristallklare Wasser ließ unzählige hübsche Quallen in der Sonne flimmern.

Zum Schutz vor der Meeresbrise waren viele Strandkörbe aufgestellt. Für uns Südfranzosen war diese nordische Einrichtung eine wahre Neuigkeit. Warum hat dieses elegante und vor allem nützliche Strandaccessoire noch keine Verwendung an der oft genug windigen Atlantikküste gefunden? Die potthässlichen und nutzlosen Bunkerruinen aus der Nazizeit zieren dagegen bis heute die Küste von Dunkerque bis Biarritz.

Der Rallye-Alltag war von Ausflügen in die Umgebung, ausgedehnten Spaziergängen im Nationalen Naturpark und am Strand sowie von allerlei sportlichen und kulturellen Aktivitäten bestimmt. Folklore, Kunsthandwerk, Theater, vom Neptun-Ballett bis zu Don Quijote als Commedia dell’ arte… für alle war etwas dabei. Später wurde mir die hiesige Liebe zum bekanntesten Helden von Miguel Cervantes klar. Auch wenn El ingenioso hidalgo in aller Welt zu Recht beliebt ist, war und bleibt Polen für seinen Kult prädestiniert. Wo gab es in den letzten tausend Jahren mehr Freiheitsfanatiker? Keine Angst, es kommt jetzt keine Abhandlung zur Vorliebe für anarchische Zustände und deren Folgen für die Unregierbarkeit des Landes. Nur eine kleine Anekdote aus dem wahren Leben.

Wir sind im Auto auf dem Land unterwegs. Die Straße, eine mittelwichtige Verkehrsachse, führt durch das hügelige westpommersche Hinterland. Vor uns fährt ein kleiner Lastwagen, mitten auf der Fahrbahn, ziemlich langsam, ab und zu pustet er eine schwarze Wolke hinter sich, bremst, beschleunigt, bremst wieder und bleibt plötzlich stehen.

Die Straße ist so schmal, dass wir nicht aneinander vorbeifahren können. Wir haben alle Zeit der Welt und warten geduldig.

Nach zwei Minuten (was ist schon Geduld?) fangen wir an, mögliche Erklärungen für die Situation zu suchen. Eine Panne? Warum ist denn niemand ausgestiegen? Ein Stau? Eher unwahrscheinlich an der Stelle. Eine Freiluftmesse? Das ist alles andere als abwegig. In den letzten Tagen haben wir mehrmals deshalb plötzlich dafür lange gestanden. Hier sind aber keine Kirchengesänge zu hören, nichts. Am besten gehe ich mal nachschauen!

Ich steige aus und gehe zum Laster. Er ist sehr niedrig, sodass ich mühelos in die Fahrerkabine hinsehen kann. Das tue ich und erblicke den Hinterkopf des Fahrers, eine fast totale Glatze, gegen die Scheibe gelehnt und dahinter den Fahrer selbst, liegend. Ich rufe. Keine Reaktion. Ich warte noch ein Momentchik. Nichts passiert. Nun klopfe ich gegen die Scheibe.