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Band 1 Unsere Galaxie, in einer fernen Zukunft: die Menschheit hat sich über die innere Hälfte der gewaltigen Sterneninsel ausgebreitet und dabei die ältere Kultur der Elfen in die Randgebiete verdrängt. Die Elfen selbst haben sich während dieser Zeit des Niedergangs in zwei Subspezies aufgespalten: Lichtelben und Dunkelelfen. Alle diese Völker sind miteinander verfeindet. Eigentlich soll die Besatzung des letzten verbliebenen Lichtseglers "Tol Dhanu" der ehemaligen Herrscherin der dunkelelfischen Domäne Deneb nur ein letztes Geleit geben. Doch unterwegs stoßen sie auf einen uralten unterirdischen Tempel, aus dem sie einen riesigen Sarkophag bergen, in dem sie ihre schlafende Göttin vermuten. Plötzlich hat die Besatzung, die mit dem Leben schon abgeschlossen hatte, eine völlig neue Mission. Allerdings kommen schon bald Zweifel an der Göttlichkeit des merkwürdigen Wesens in dem großen Behälter auf. Und als die eigentlich überhaupt nicht gastfreundlichen Dunkelelfen aus purer Not noch ein paar weitere Wesen anderer Spezies an Bord nehmen, beginnen sich gravierende Veränderungen an Bord des kleinen Schiffes abzuzeichnen. Darüber hinaus hat das kleine Grüppchen aus Dunkelelfen und ihren anfangs unfreiwilligen Helfern noch eine ganz andere Mission, von der sie selbst überhaupt nichts wissen...
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Seitenzahl: 394
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„Denn nichts ist von Anfang an böse. Selbst Sauron war es nicht.“
– Elrond
(Herr der Ringe I „Die Gefährten“, 2:2, 277:37)
Renegatinnen: Teil 1
Prolog
Uralt
Schamanin
Negativ
Pläne
Hunger
Schwarz und Weiß
Begegnung
Handel
Erinnerungen
Dienerin der Göttin
Die Schlacht
Konferenz
Träume
Epilog
Renegatinnen: Teil 2
Beute
Kreuzwege
Sonnenfeuer
Niederlage
Lilith
Gestoppt
Geflüster
Entscheidungen
Überfall
Mara
Lithium
Sonnenfeuer 2
Wundenlecken
Unerwartet
Suspanu
Des Rätsels Lösung
Nadel im Heuhaufen
Bekannter Ort
Schiff
Ausgrabung
Kooperation
Epilog
Sternkind träumte.
Etwas hatte ihr treibendes, äonenaltes schlafendes Selbst berührt. Eine Seele eines jungen, kriegerischen Volkes, das die Sterne befuhr.
Es war geeignet, spürte Sternkind.
Die Seelen des Volkes, die ihre Gegenwart spürten, wurden durch diese Berührung von den anderen des Volkes Priesterinnen genannt. Die Träumende wunderte sich einen Quantensprung lang, akzeptierte es dann aber. Schließlich besaß sie den Geist eines Wesens, das vor Äonen gelebt hatte. Andere geringere Spezies hatten ihresgleichen als Götter verehrt. Warum also nicht auch sie selbst.
Einen Augenblick blieben die treibenden Nebelfetzen ihrer Gedanken an dem Bild einer Sonne hängen. Sie erinnerte sich...
Tanzen in strahlendem Licht, dem ungestümen Wachsen und Leben der Tiere und Pflanzen eines friedlichen Planeten. Tiefe Atemzüge reiner und klarer Luft. Die Kühle süßen und reinen Wassers. Unbeschwertheit, Freiheit. Sättigung. Das Glück einer der Ihren in ihrer Jugend.
Eine dunklere Blase stieg in Sternkinds träumender Bewußtheit auf, eine unangenehmere Erinnerung, die sich nicht verdrängen ließ.
Da war der Krieg gegen die Geschöpfe, die ihresgleichen geschaffen hatten. Die Cyber waren ursprünglich künstliche Wesen, aber sie hatten sich verändert und auf ihre eigene Weise ein Leben entwickelt. Sie waren den Erbauern nicht mehr länger untertan oder gar ihr Eigentum. Es war ein Fehler, sie zu verfolgen und für ihren Ungehorsam zu bestrafen. Zumal sie sich aus vollem Recht von den Erbauern abgewandt hatten. Sternkind schmerzte der Grund noch nach all der Zeit, und sie wollte sich nicht erinnern.
Aber wer Mitgefühl zeigte mit den Cyber und mit ihnen kooperierte, wurde für die anderen Erbauer zum Feind und Verräter.
Die Erbauer wurden selbst unter den größten Mühen nicht unsterblich. Diejenigen von ihnen, die mit den Cyber kooperierten und mit Hilfe der Cyberimplantate lange lebten, konnten am Ende nur mit Hilfe von Stasiskammern vor dem Absterben ihrer organischen Bestandteile gerettet werden und dämmerten im künstlichen Halbkoma vor sich hin. Wie sie selbst es tat.
Eine Weile versank ihr Geist gnädig in tieferem Schlaf, bis sich weitere Traumfetzen formten.
Diese neuen sterblichen Wesen waren Krieger.
Sternkind wußte, daß sie geeignet waren. Fast ihre gesamte inkarnierte Existenz in diesem schlafenden Körper voller Implantate hatte sie mit dem Kampf um ihr nacktes Überleben verbracht. Als der Wahnsinn des Krieges immer mehr um sich griff, war sie mit einer Gruppe von Cyber geflohen, zu den Ausgestoßenen der galaktischen Randbereiche, die die jüngeren Völker jener lang versunkenen Epoche vor der Ausrottung zu schützen versuchten. Sie war eine Renegaten-Göttin, und der Anflug eines Lächelns zog durch ihren Traum, als sie daran dachte, was das Volk wandernder dunkler Elfen wohl davon halten mochte, das auf seine Weise ebenfalls aus Renegaten bestand.
Wenn Sternkind diesem Kriegervolk Schutz vor dem Nichtsein zusicherte, würden sie vielleicht für sie kämpfen. Es war eine Notgemeinschaft, um beider Seiten Überleben zu sichern. Denn sie benötigte dringend Krieger, wenn ihr Wiedererwachen sich näherte. Ihre Artgenossen hatten sie durch die gesamte Galaxis fast zu Tode gehetzt. Sternkind war nur mit knapper Not und mit einer Handvoll ihrer verbündeten Cyber mit dem Leben davongekommen.
Schlafen.
Für eine große Zahl von Sonnenumläufen des Planeten, in dessen Tiefen ihr Körper begraben lag, versank Sternkinds Bewußtheit wieder in empfindungsloser Dämmerung.
Dann verspürte sie ein Zupfen in ihrem Geist.
Ihr erwähltes Volk hatte den Oktaeder gefunden.
Für eine Weile war die Träumende Göttin zufrieden. Dann spürte sie, daß etwas nicht vorgesehenes passierte.
Die Dunkelelfen verwendeten den Oktaeder, um ihr Schiff zu aktivieren und mitzunehmen. Sie sahen die mächtige Waffe, die es darstellte, und benutzten es in der Zeitspanne, die diese Gedanken durch Sternkinds schlafenden Geist krochen, um ihre Feinde zu besiegen. Grundsätzlich nicht verkehrt, aber jetzt war das so nicht vorgesehen. Noch einige Umkreisungen des Planeten vergingen, ehe sich weitere Traumfetzen im Geist des schlafenden Wesens sammelten.
Sternkind sandte einen Ruf aus.
Seit Stunden stand das kleine Lichtsegelschiff bewegungslos über dem Planeten, einer blauen Welt voller Leben, die merkwürdigerweise vollkommen unbewohnt war. Die Kugel und mit ihr die grün überwucherten Kontinente rotierten langsam unter dem Schiff.
An Bord saß Dhanu del'Xarinn, Ex-Imperatrix und Prophetin des Dunkelelfenvolkes, auf dem Sitz der Kommandantin unter der Brückenkuppel. Es bereitete ihr Mühe, den dürren Hals zu heben und die blaue Welt vor ihr zu betrachten, denn sie war unglaublich alt. Faltig und vertrocknet sah ihr schwarzes Antlitz aus, und das silberweiße Haar, das kein Kronreif mehr zierte, war schütter geworden. Sie dachte jetzt nicht mehr daran, wie sie dieses letzte Schiff aus der Hausflotte der Del‘Morais hatte wieder herrichten lassen, angeblich, um mit ihm eine letzte Ruhestätte in den Tiefen des Alls zu finden. Der Tod war ihr nahe, das spürte Dhanu. Sie bereitete sich vor, ihrer Göttin zu begegnen.
Eine Orca-Fregatte war das kleinste Schiff, das die Elben bauten. Eine Minimalmannschaft reichte, es zu bedienen, und die einstige Dunkelelfenherrin hatte nur die Treuesten ihres Gefolges ausgewählt, ihr in den Tod zu folgen.
Sie spürte, wie eine Trance sie überkam, Bilder in ihr Bewußtsein einsickerten. Sie hatte nicht mehr viel Zeit zu finden, wonach sie suchte.
Eine Geste ließ die neben ihr stehende Tempelkriegerin aufmerken.
„Heilige Mutter?“
„Oberflächenhologramm…“, war die geflüsterte Antwort.
Auf einen Wink der Wächterin brach unter den anwesenden Technikerinnen lebhafte Aktivität aus.
„Einen Oberflächenscan dieser Welt, schnell“, kommandierte sie barsch. Mit einem Blinken baute sich ein transparentes Bild des unter ihnen liegenden Planeten auf.
Dhanu öffnete die Augen nur einen Spalt. Ihr Kopf war nach vorn gesunken, nicht wegen der Tiefe der Trance, sondern weil sie zu alt war, sich mit einer Anstrengung dagegen zu wehren.
Müde erhob sich ihr dünner schwarzer Finger.
„Da...“
Ohne eine weitere Anweisung der Leibwächterin vergrößerte die Technikerin den Ausschnitt. Der Finger zuckte hin und her, bis er auf ein gewundenes Tal in einer Hochfläche am Rand des größeren Kontinentes zeigte. Die alte Dunkelelfin hob den Finger mehr, bis ihr sorgsam manikürter silberner Fingernagel in die steil abfallende Flanke eines Hügels zeigte.
„Diese Koordinate.“
Sofort erschien ein roter Ring mit einem Achsenkreuz um den Nagel, als die Technikerin den Befehl in die Konsole eingab.
Dhanu nahm nun die Mühe auf sich, den Kopf wieder zu heben.
Sie öffnete die runzligen Lider. „Auf diese Koordinate die Hauptkanone mit voller Stärke abfeuern.“
„Das wird den Talhang zum Einsturz bringen, Heilige Mutter“, bemerkte die noch immer neben ihr stehende Tempelkriegerin.
„Das soll es, Lilith, das soll es“, antwortete die alte Frau.
Das Tal war kühl und feucht, weil trotz der porösen Kalkwände genug Wasser aus dem Fluß zur Verfügung stand, um dichte Nadelwälder an den Hängen wachsen zu lassen. Oben auf dem Plateau war der Bewuchs spärlicher, denn der Karstboden ließ den Regen schnell in unterirdischen Höhlen versickern.
Der Hügel in der Flußschleife hatte eine kahle Kuppe und ragte weiß aus den ihn umgebenden tiefgrünen Wäldern. Es war warm und sonnig, und kleine Wölkchen segelten über den blauen Himmel.
Diese beschauliche Ruhe wurde jäh gestört. Ein Leuchten fegte eine Wolke auseinander, als eine gleißende Lichtsäule vom Himmel herunterstach. Drei große sonnenhelle Tropfen jagten in einem Augenblick an ihr herunter und schlugen in die Seite des kahlen Hügels ein. Ein gewaltiger Knall und eine brodelnde hellglühende Feuerblase füllten das gesamte Tal für einen Moment aus, ehe sich eine feurige Pilzwolke über den weißen Gipfel erhob. Die Wälder beider Talwände brannten lichterloh, und geschmolzene Gesteinsströme trafen zischend auf das Flußwasser und ließen Dampf aufwallen. Für einen Augenblick grollte nur der Donner der Explosion als Echo von den fernen Bergen zurück.
Dann spaltete sich der weiße Gipfel in Zeitlupe, und ein tieferes Grollen begleitete das Erdbeben, als die Gesteinsmassen abbrachen und in die Tiefe stürzten.
Eine lange Zeit geschah nichts. Rauch und Dampf verzogen sich, nur der Fluß rauschte empört, als er vor dem neugeschaffenen Hindernis in seinem Bett einen kleinen Stausee zu bilden begann.
Unsichtbare Augen musterten die weiße Bruchfläche, die von dunklen Flecken der Höhlen in der Kalkmasse durchsetzt waren. Einige Zeit widmeten sie sich einem Fleck, der dunkel glänzte und daher wohl keine Höhle sein konnte.
Eine halbe Stunde später schwebte ein kleines Gefährt vom Himmel.
Der Truppführerin Miru war nicht recht wohl bei der Situation.
Das Shuttle schwebte am Ufer des kleinen Sees, direkt unter der weißen Felswand. Eine ideale Zielscheibe, falls es hier noch irgendwelche Waffensysteme gab. Sie wußte, daß dies hier der Planet war, um den die Orbitalfestung gekreist war, bevor die alte Imperatrix diese in Besitz genommen und das Dunkelelfenvolk zu seinem grandiosen Sieg über die Bewohner des Sektors geführt hatte.
Ihr Blick wanderte zu der glänzend schwarzen Kante inmitten der weißen Felswand, an deren Basis ein paar Krieger mit einer tragbaren Plasmakanone den Weg ins Innere des Berges bahnten. Offenbar gab es hier noch mehr Schätze zu holen, aber das konnte auch Mitwisser auf den Plan rufen. Es war bekannt, daß die Feinde, die lichten Elben, versucht hatten, die Festung vor der Übernahme durch die Dunkelelfen zu sprengen, und noch immer trieben Minen um diese Welt. Wer wußte, wieviele davon noch scharf waren. Oder ob es Spionsatelliten darunter gab. Dann mochte es hier, in dieser ungeschützten Stellung, schnell ungemütlich werden.
Die Truppführerin hob den Kopf, um um den hellen Nachmittagshimmel zu mustern, und flüsterte einen unhörbaren Fluch.
„Das ist es, Heilige Mutter.“ Die Sergeantin zeigte auf eine torartige Vertiefung in der schrägen schwarzen Fläche, in deren Mitte eine Art Sonnensymbol graviert war. Suspensorleuchten warfen gelbliches Licht darauf. Die Fläche gab, anders als der helle Fels in ihrem Rücken, keinen Lichtreflex zurück.
Dhanu erhob sich mühsam aus ihrer Schwebesänfte. Helfende Hände ihrer vertrautesten Priesterinnen griffen nach ihr, und ihre Leibwächterin stand mit stets wachsamem Blick hinter ihr.
Während sie, gestützt von ihren Helferinnen, auf das Tor zuschlurfte, nestelten ihre knochigen Hände ein Amulett hervor.
Die ehemalige Herrin aller Dunkelelfen von Deneb dachte betrübt daran, daß sie nicht den Oktaeder hatte mitbringen können. Er wurde zu gut bewacht, aber immerhin hatte sie einen Splitter davon abbrechen können in einem glücklichen unbeobachteten Moment. Jener Splitter war später, als sie in ihrem privaten Schrein eine Litanei darüber sang, transparent und flüssig geworden und zu diesem Amulett erstarrt. Einer Sonne mit einer Spirale darin.
Es wunderte sie nicht, daß das Amulett hier vor dem Tor, auf dem genau dieselbe Sonne und Spirale graviert war, warm wurde und im Inneren grünlich zu schimmern begann. Sie preßte es gegen die kühle glatte schwarze Wand.
Einen Herzschlag lang geschah nichts.
Dann, mit einem Ächzen, das Staub aus den Fugen rieseln ließ, hob sich die Türplatte.
Wie immer blinzelte auch diesmal zuerst Lilith in das Dunkel, nachdem die letzte Türplatte sich gehoben hatte. Einige Türen hatten sich mit dem Amulett öffnen lassen, andere nicht. Als die Tempelkriegerin hindurchleuchtete, erkannte sie, was der Zweck der Nischen in den Wänden war, denen sie auf dem Weg durch die Gänge so oft begegnet waren. Mächtige metallene Statuen standen hier darin. Offenbar hatten die Erbauer in dieser Kammer, zu der der Weg führte, nicht darauf verzichten wollen.
Die Kammer war leer bis auf einen riesigen Obsidianblock in ihrer Mitte, der von den vier metallenen Wächtern in den Wandnischen umstanden wurde.
Sichernd drängten die anderen in die Kammer, Dhanu von ihren Priesterinnen gestützt. Als die Heilige Mutter den Monolithen sah, richtete sie sich noch einmal auf. Sie spürte die ungeheuere Kraft, die von seiner Mitte ausging. Beinahe schwungvoll schritt sie vor ihn hin und berührte ihn ehrfürchtig mit ihrem Amulett.
Nichts geschah. Auch die anderen Seiten, die sie berührte, zeigten keine Reaktion. Sie winkte nach ihren Priesterinnen.
„Hebt mich hoch.“
Die Angesprochenen faßten die dürre alte Gestalt unter und hoben sie mühelos empor. Mit einem Stöhnen zog Dhanu sich auf den Monolithen. Das Amulett klang wie eine Glocke, als es die Oberseite berührte. Es begann jetzt wieder zu leuchten.
Einer der Krieger hielt eine Lichtquelle in die Höhe, so daß die alte Elfin sehen konnte. Sie blickte zurück zu den in der Kammer Wartenden.
„Hier ist eine rautenförmige Vertiefung in der Mitte", sagte sie, „etwa in der Größe des Oktaeders.“
Natürlich, setzte sie in Gedanken hinzu.
Mühsam tastete sie sich vorwärts. Das Amulett leuchtete immer heller, je näher sie der Vertiefung kam. Schließlich nahm sie es ab und ließ es hineingleiten.
Eine heißkalte Woge des Wahrnehmens durchflutete alle anwesenden Dunkelelfen in der Grabkammer. Dhanu spürte die Energie, die sich unter ihr sammelte, wie bei einer Neutronenbombe kurz vor der Explosion. Bilder, Gefühle, Empfindungen tasteten nach ihr, blätterten in ihrem Geist. Sie sank oben auf dem Sarkophagdeckel in sich zusammen.
Deine Dienerin ist gekommen, Dunkle Herrin, versuchte sie in die enorme Kraftquelle unter sich hineinzudenken.
Ein erneutes Eindringen sezierte ihren Geist, so daß sie aufstöhnen mußte. Sie lag flach auf der Deckelplatte, nur ihre Hand hielt das Band des Amulettes in der eckigen Vertiefung noch immer umklammert.
-Sterbliche.
Ja, dachte Dhanu. Ich bin gekommen.
-Du bist gekommen.
Ich lege mein Leben in Deine Hände, meine Gebieterin. Die Heilige Mutter schloß die Augen und bereitete sich auf den Tod vor.
-Warum willst Du sterben?
Weil ich alt bin, Herrin. Mein Leben ist am Ende, ich will zu Dir, wie es in Deinen Visionen verkündigt war.
-Also von Dir habe ich geträumt.
Dhanu hielt einen Augenblick inne. Stimmte etwas nicht? Du hast uns doch nach Deinem Ebenbild geformt, im Succubus-Nebel. Du, die Mutter der Dunkelheit.
-Ich bin nicht die Mutter der Dunkelheit.
Was? Die alte Elfin hätte es beinahe geschrien. Wer bist Du dann? Angst wallte in ihr auf, einen schrecklichen Irrtum begangen zu haben.
-Ich habe Dich im Traum berührt. Ich habe Dich verändert, und jene, die bei Dir waren. Aber ich habe nichts mit der Leere und Verlorenheit zu tun.
Dhanu schluckte schwer. Im Angesicht des Todes lähmte sie jetzt eine furchtbare Angst. Dann kannst Du nicht...?, dachte sie verzweifelt.
-Ich weiß wovor Du Dich fürchtest. Aber Du wirst nicht im Nichtsein vergehen.
Die Heilige Mutter entspannte sich etwas. Ich werde nicht verwehen, wie der Rauch im Wind?, fragte sie in Gedanken, fast wie ein kleines Kind.
-Nein. Nicht wenn ich Dich beschütze.
Dhanu seufzte erleichtert. Dann dachte sie, aber wer bist Du?
-Für Dich bin ich die Dunkle Mutter. Dann nenne mich ruhig so.
Bilder rannen durch den Geist der Dunkelelfin, von einem Wesen, von unvorstellbarer Macht, das dunkelhäutig war, mit sterngleichen Punkten besetzt und von einem silbernen Haarschleier umgeben, fast so wie sie selbst. Sie sah das Wesen Leben und Erleuchtung schenken, und den Geist Sterbender in sich aufnehmen, um ihre Erinnerungen zu bewahren. Sie sah es unvorstellbare Energien kontrollieren. Sie sah seinen Geist gedankenschnell durch die Galaxis reisen.
Dann tasteten unsichtbare Finger nach ihr, begann das Wesen ihre eigenen Erinnerungen zu lesen. Nichts blieb verborgen.
Schließlich spürte Dhanu Trauer im Geist der Göttin.
-Ohje. Soviel Grausamkeit. Soviel Tod.
Du hast uns doch erwählt, Mutter, dachte die alte Frau verwundert.
-Weil ihr wild, stark und freiheitsliebend seid. Nicht, weil ihr zum Zeitvertreib andere Wesen tötet.
Dhanu bemerkte mit Bestürzung, was das für ihre Seele bedeutete. Schließlich hatte sie in ihrer Jugend die Kunst einer Gladiatorin selbst erlernt und auch ausgeübt. Viele gefangene Sklaven hatten von ihrer Hand den Tod gefunden.
-Ich werde Dich läutern müssen.
Ja, Herrin, dachte sie demütig. So viele Dinge schienen auf einmal anders zu sein.
-Dein Körper verliert seine Kraft, meine Tochter.
Das letzte Wort klang in Dhanus Herz. Sie fühlte sich trotz ihres Makels angenommen.
-Du bist nicht mehr in der Lage, fortzugehen.
Das will ich gar nicht, Mutter.
-Jemand muß den Oktaeder holen. Ich will mein Schiff zurückhaben.
Das kann ich nicht mehr, Mutter.
-Bestimme eine aus Deinem Gefolge, die es tut. Gib ihr das Amulett und sage ihr, was sie zu tun hat. Wenn Du damit fertig bist, hole ich Deine Seele zu mir. Du brauchst Dich nie wieder zu fürchten.
Ein Strom von Tränen der Dankbarkeit brannte in den geschlossenen Augen der Dunkelelfin.
Das Amulett in der Vertiefung erlosch.
Clea blinzelte, als sie das Licht am Ende des Felstunnels einfallen sah. Sie spürte das merkwürdige Pulsieren des Amulettes, das sie unter ihrer Robe auf der Haut trug, und sie spürte auch das Erbstück, das als Beweis ihres Auftrages daneben hing. Die Heilige Mutter war vor ihren Augen in die Göttin eingegangen, begleitet von allen aus ihrem persönlichen Gefolge, die um die Ehre gebeten hatten, ihr als letzte Leibgarde folgen zu dürfen.
Ihre leblosen Körper lagen wurden bereits zur Einäscherung auf die Tol Dhanu transportiert..
Sie musterte ihr eigenes kleines Gefolge, all jene, die übrig geblieben waren. Hinter ihnen schloß sich die schwarze Tür mit einem hohlen Schaben. Sie hoffte, sich der Ehre, mit der sie durch die leibhaftige Göttin und die Heilige Mutter bedacht wurde, als würdig zu erweisen.
Isilaure trat auf den nassen Beton des Flugfeldes hinaus. Es hatte geregnet, und sie roch die würzige Frische der Abendluft.
In diesem ganzen Sektor hatte es einen fürchterlichen Krieg gegeben, aber jetzt war er schon eine ganze Weile vorbei. Jedenfalls hatte das der menschliche Kapitän des Handelsschiffes gesagt, das sie nach Darkian mitgenommen hatte. Sie hatte das geboten, was eine elbische Schamanin immer anbot, wenn sie reiste: Unterhaltung für die Mannschaft. Isilaure reiste nun schon länger durch die von Menschen bewohnten Raumgebiete und wußte, daß sich mindestens die Schiffsoffiziere mehr von ihr versprochen hatten als abendliches Lautenspiel in der Messe; aber niemand trat einer Schamanin zu nahe, selbst wenn sie von einer der als primitiv geltenden Waldweltkolonien stammte.
Die Elbenfrau seufzte und griff nach dem schmalen Bündel, das all ihr Hab und Gut enthielt. In Augenblicken wie diesen, auf dem weiten Landefeld eines Raumhafens mit all seinen kalten technischen Einrichtungen, fühlte sie sich verloren und wünschte sich, sie hätte Valinor nie verlassen. Hätte sie doch nur die Wahl gehabt. Doch die Clanältesten hatten entschieden, daß ihr Vergehen nicht tragbar war und sie vor die Wahl gestellt, zu sterben oder fortzugehen. Ihre Wahl war schnell getroffen.
Einige wenige Passagiere eines anderen Schiffes beeilten sich, das Abfertigungsgebäude zu erreichen, ehe der nächste Regenschauer niederging.
Isilaure entschloß sich, ihnen zu folgen. Darkian, dachte sie.
Die Darkianer sind den Elben freundlich gesinnt.
Allerdings hatten sie auch in dem großen Krieg, der zu Ende gegangen war, zu den Verlierern gehört. Die hellhäutige Elbin fragte sich, ob das ihre Einstellung vielleicht geändert hatte.
Ihre Zukunft auf dieser Welt, über die sie eigentlich nichts wußte, war ungewiß.
*
Die „Kompaßrose“ war eines der kleineren Etablissements in Darkian Centrals Hafenviertel. Allerdings hatte das Viertel mehrere Bombentreffer abbekommen, die eine Menge Gebäude schwer beschädigt hatten; die Kompaßrose gehörte zu denen, die sich relativ unkompliziert hatten flicken lassen, und ihr Besitzer profitierte nun von dem langsam wieder beginnenden Handel.
Offiziell war Darkian jetzt eine Welt, die der Handelsföderation, Darkians altem Erzfeind, angeschlossen war. Die Handelsföderation ihrerseits war ein Vasall der Dunkelelfendomäne, zumindest offiziell, ging inoffiziell aber weiter dem nach, was sie seit Bestehen ihrer Föderation schon immer getan hatte: Piraterie.
Im Schankraum der Kompaßrose waren folglich nicht nur Raumfahrer von ehrbaren Handelshäusern zu finden.
An diesem Abend war relativ wenig Betrieb. Mara, Navigatorin eines Minifrachters und gebürtige Menschenfrau, beobachtete ihre Freundin Sushi, die gerade Getränke von der Bar holte.
Mara Albion war mehr oder weniger gestrandet auf Darkian, denn ihr Schiff war nur noch Schrott, und der erhoffte Profit aus dem sich wieder belebenden Handel floß in andere Taschen. Sie hatte sich mit der Darkianerin angefreundet, die aus einer Art Kloster stammte, das von der neuen Regierung aufgelöst worden war.
„Da. Tomatensaft gab es nicht mehr, deshalb habe ich Qubinon genommen.“ Sushi stellte das fleischfarbene Getränk vor die Navigatorin.
„Bäh.“
„Nun nimm schon. Wir haben nicht mehr soviel Geld.“
„Das ist nichts neues.“ Mara seufzte und nahm einen Schluck.
„Wir müssen mal wieder was von den Eingeweiden des 'Sturmvogel' verkaufen.“
„Der Impulsantrieb ist noch gut, hast Du gesagt“, antwortete die Darkianerin.
„Den hab ich letzten Monat verkauft. Ist nicht mehr viel übrig.“
„Wir sind ein großartiges Gespann. Eine Pilotin ohne Schiff und eine Kriegernonne ohne Orden. Großartige Zukunft.“ Sushi prostete ihrer Freundin zu.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und ein sehr fremdartiges Wesen trat ein, eine goldblonde Elbin in einem Fellumhang. Die Erscheinung war ein ebensolcher Anachronismus, als wäre auf der Erde des 20. Jahrhunderts ein mittelalterlicher Ritter in eine Bahnhofshalle geritten.
„Was ist das denn?“ Mara traute ihren Augen nicht.
„Ich würde sagen, eine Elbin. Allerdings eine von einer sehr zurückgebliebenen Kolonie.“
„Na, Du mußt es ja wissen“, antwortete die dunkelhaarige Navigatorin. „Ihr Darkianer wart doch im Krieg mit ihnen verbündet.“
„Ich hörte davon, daß einige von ihnen freiwillig ohne Technik leben. Aber ich habe noch nie eine von ihnen gesehen.“ Sushi zog eine bleistiftdünne Augenbraue hoch. „Ich dachte immer, die verlassen ihre Welten nicht.“
„So wie Du Dein Kloster nicht verläßt.“
„Bitte.“
„Ach, komm.“ Mara legte die Hand auf die Schulter ihrer Freundin. „Es heißt doch, die Dunkelelfen haben den Elbenplaneten zerstört. Wahrscheinlich ist sie deshalb unterwegs.“
„Na dann paßt sie ja ausgezeichnet zu uns. Wir sollten ein Auge auf sie haben.“
„Dann fang mal an.“ Die Navigatorin wies in eine Ecke, in der einige verwegen aussehende Gestalten sich für das blondhaarige Geschöpf zu interessieren begannen.
Sushi lächelte dünn und streifte sich unter der Tischplatte ihre Panzerhandschuhe über.
„Wenigstens bekommen wir heute abend mal wieder eine ordentliche Rauferei“, flüsterte sie ihrer Freundin zu.
Eine halbe Stunde später in einer dämmerigen Gasse zwischen zwei rostigen Lagerhallen versuchten die drei, wieder zu Atem zu kommen.
„Meine Güte. Ich habe die anderen gar nicht gesehen“, japste Mara.
„Egal, wir haben sie abgehängt.“ Die Darkianerin ordnete ihre rotweiße Ordensrobe und mustere die Elbin. „Wie hast Du das gemacht?“
„Was?“ Die Stimme der blonden Frau klang mit einem glockenhellen Akzent.
„Der Typ war tot. Ich meine, ich kann mit der bloßen Handkante einen Schädel zertümmern, aber Du hast den Typen nicht mal angefaßt.“
„Niemand berührt eine Schamanin ungestraft“, stellte die Elbin ungerührt fest. Ihre Aufmerksamkeit galt dem altertümlichen Musikinstrument, das sie auf Schäden prüfte.
„Was ist eine Schamanin? So eine Art Magierin?“, wollte Mara wissen. Sie sah sich sichernd in der trübe erleuchteten Gasse um.
„Ein Mensch, den ich unterwegs traf, sprach von Magie. Es klang ähnlich wie das, was ich tue, nur sehr viel primitiver.
Eine Technologie, die vollkommen unverstanden ist, wird in den meisten Kulturen als Magie bezeichnet.“
„Elbenantwort“, murmelte Sushi. Sie korrigierte den Sitz ihrer Panzerhandschuhe.
Die Elbenfrau machte ein förmliches Gesicht. „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt und bin euch zu Dank verpflichtet“, erklärte sie, „mein Name ist Isilaure ar-Orome, und auch wenn ich eure Hilfe nicht benötigt hätte, stehe ich in eurer Schuld.“
„Nicht benötigt, so, so“, antwortete die Navigatorin. „Das waren immerhin sieben Kerls. Ich glaube, wir wären zu zweit mit ihnen nicht fertig geworden, und Du machst das alleine.“
„Laß sie, Mara.“ Sushi machte ein strenges Gesicht. „Mit Magie kann sie eine Menge ausrichten.“
Isilaure nickte kaum merklich.
„Ich würde vorschlagen, wir gehen nach Hause und nehmen sie mit. Hier draußen ist es nicht sicher, und wir können uns noch die ganze Nacht über ihre Fähigkeiten unterhalten.“
Die Elbin legte den Kopf schräg. „Warum nicht“, sinnierte sie, „ich weiß sowieso nicht, wohin ich sonst auf dieser Welt gehen soll.“
*
Isilaure legte sich zum Meditieren nieder. Sie spürte, daß von den beiden Frauen keine Gefahr ausging. Tatsächlich hätte sie es schlechter treffen können.
Die Darkianerin beschritt den Weg der Kriegerin, schien aber irgendwie die Verbindung zu ihrem Clan verloren zu haben. Die Menschenfrau war eine Pilotin, der das zerfallene Wrack am Rande des Raumhafens, das beide bewohnten, gehörte. Auf ihre Weise waren sie genauso Ausgestoßene wie sie selbst.
Die Elbin entschied sich, vorerst bei ihnen zu bleiben. Eine Notgemeinschaft, die sich nur um ihre eigenen Belange kümmerte, war bei ihrem Volk nicht unehrenhaft.
Vhanu Del'Morais-Xarinn, Imperatrix der Dunkelelfendomäne von Deneb, saß mit verschlossenem Gesicht hinter dem Schreibtisch ihres privaten Arbeitszimmers. Auf der Platte vor ihr lag ein eindeutiger Beweis, daß ihre Besucherin keine Betrügerin war: das Amulett ihrer Mutter.
Clea hatte die Kapuze zurückgeschlagen, die ihre Gestalt auf dem Weg hierher verhüllt hatte. Sie wollte vorsichtshalber nicht zuviel Aufsehen erregen. Auch der Lichtsegler, die Tol Dhanu, lag gut versteckt vor möglichen Beobachtern in einem Gürtel aus Eisasteroiden fern der Hauptwelt von Deneb.
Die Antwort der Herrscherin auf den Bericht der Priesterin, die ihrer Mutter eigentlich in den Tod hatte folgen sollen, war ein langes Schweigen. Schließlich sagte sie:
„Das klingt einerseits sehr nach meiner Mutter. Andererseits kann ich Dir nicht geben, was Du verlangst.“
„Es ist der Wille der Göttin, Majestät. Ich habe es im Angesicht des Schreins, in dem sie sich leibhaftig verbirgt, selbst gespürt“, antwortete Clea.
„Clea, ich kenne Dich. Du warst eine Vertraute meiner Mutter, und ich weiß, daß Du gegenüber ihr und unserer Dynastie“ - bei diesen Worten wanderte ihr Blick kurz zu dem halbwüchsigen Mädchen, das im Hintergrund saß und still zuhörte - „ergeben bist. Das ist der Grund, daß ich Dich überhaupt angehört habe und Du nicht schon in irgendeinem Kerker verschimmelst.“
Vhanu machte eine kurze Pause. Ihr schwarzes Gesicht blieb verschlossen. „Aber versetze Dich in meine Lage. Da kommt eine totgeglaubte Priesterin vollkommen unerwartet zurück und verlangt die Herausgabe meiner stärksten Waffe. Was würdest Du an meiner Stelle tun?“
Die Priesterin schwieg betroffen. Im Prinzip war die Reaktion nur natürlich für Dunkelelfen. Ich hätte jemand an meiner Stelle vermutlich gleich getötet, dachte sie.
Die Imperatrix deutete das Schweigen richtig.
„Weißt Du, ich war nie so spirituell wie meine Mutter oder Du.
Ich bin als Kriegerin aufgewachsen und muß unser Volk mit allen Mitteln verteidigen.“
Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. „Selbstverständlich heißt das nicht, daß ich der Göttin ihr Eigentum vorenthalten werde, wenn sie selbst hierher kommt und es verlangt.“
„Sie verlangt es durch mich“, gab Clea zu bedenken.
„Das kann ich nicht akzeptieren.“
„Das würde die Priesterschaft vermutlich nicht gern hören.“
Die Herrscherin zog die Augenbrauen hoch. „Du würdest Dich wundern, Clea. Hier hat sich einiges geändert bezüglich der Macht der Priesterschaft. Jeder Versuch, Aufruhr zu stiften, könnte Dich sehr schnell Dein Leben kosten.“
Die Besucherin schwieg betroffen.
„Ich sagte schon, daß ich Dich nur deshalb anhöre, weil ich um Deine Treue zu meiner Mutter weiß. Deshalb gehe ich sogar noch einen Schritt weiter und gebe Dir einen kleinen Einblick in unsere Lage.“
Die Priesterin blickte die gekrönte Gestalt aufmerksam an. Eigentlich kann ich wirklich froh sein, daß ich noch lebend hier sitze, dachte sie.
Die Herrscherin räusperte sich kurz. „Wir beherrschen diese Domäne, die einem Sektor des Menschenimperiums entspricht, nicht vollständig. In den Randgebieten haben Fremdspezies einen Teil des Gebietes, das wir nicht besetzt halten, annektiert.
Und in den restlichen Systemen verstecken sich Einheiten der ehemaligen imperialen Sektorflotte, die noch nicht kapituliert haben.
Wir wissen erst durch die Auswertung der Datenarchive hier, wie ausgedehnt das Menschenimperium überhaupt ist. Sie haben an allen Ecken und Enden Feinde und sind zur Zeit in mindestens drei Konflikte mit schlagkräftigeren Spezies als uns verwickelt. Clea, ich befürchte, sie haben uns noch nicht einmal wirklich bemerkt.“
„Das klingt ziemlich blasphemisch für mich“, antwortete die Priesterin.
„Es klingt nur realistisch für mich, eine Kriegerin. Ich glaube selbstverständlich auch, daß wir das erwählte Volk der Göttin sind. Aber ich verschließe nicht die Augen davor, daß wir noch jung sind und wachsen müssen, ehe wir uns gegen alle unsere Feinde durchsetzen können.“
Vhanu Del'Morais-Xarinn lehnte sich bedeutsam zurück.
„Ich habe die imperiale Standardprozedur in den erbeuteten Archiven studiert. Sie werden spätestens in einem Jahrzehnt bemerken, daß Nachrichten und Tribute aus diesem Teil des Raumes ausbleiben. Dann werden sie zunächst eine kleine Einsatzstreitmacht entsenden, um die vermeintlichen Statthalter an ihre Pflicht zu erinnern. Selbstverständlich werden wir diese Einsatzgruppe vernichten.“
„Das bezweifele ich nicht.“
„Was dann passiert, hängt von der galaktischen politischen Lage ab. Dieses Imperium wird zunächst wissen, daß es hier ein ernsteres Problem hat, und wie und wann es sich dagegen zur Wehr setzt, hängt stark davon ab, wieviele andere Kriege zu der Zeit toben und Kräfte binden. In jedem Fall muß ich gerüstet bleiben für einen harten Gegenschlag, und dafür brauche ich die Orbitalfestung“, erklärte die Imperatrix. „Wenn es der Wille der Göttin ist, daß unser Volk überlebt, wird sie ihren Befehl an Dich noch einmal überdenken. Vielleicht solltest Du zu ihrem Schrein zurückkehren und ihr genau das mitteilen.“
„Herrin, Ihr habt kein großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten.“
„Wenn stimmt, was Du gesagt hast, hat sie lange geschlafen.
Vielleicht hat sie einiges nicht mitbekommen“, antwortete die Herrscherin.
„Euer Entscheid ist also endgültig“, stellte Clea fest.
„Ja. Dennoch möchte ich meinen guten Willen gegenüber Dir und der Göttin zeigen. Ich bin nicht Deine Feindin, Clea. Ich kann nur aus politischen Gründen diesem einen Wunsch nicht nachkommen. Wenn die Göttin leibhaftig hierherkommt und Oktaeder und Schiff verlangt, werde ich selbstverständlich gehorchen. Bis dahin kann ich Dir nur Unterstützung in anderer Form geben.“
„Und die wäre?“, wollte die Priesterin wissen. Ihr Gesicht konnte die Enttäuschung kaum verbergen.
„Du bekommst alle Ersatzteile für Lichtsegler, die wir überhaupt noch besitzen – ich habe ohnehin keine Verwendung mehr dafür. Weiterhin Vorräte und Reparaturwerkzeug. Ihr werdet vermutlich längere Zeit auf euch selbst gestellt operieren müssen“, erklärte Vhanu, „und ich werde noch mehr tun und euch Karten und Kopien des Archivmateriales geben, das wir schon ausgewertet haben. Du wirst sie brauchen, Clea, denn schon bald wird es in diesem Raumgebiet heiß hergehen.“
„Nach dem, was ich erfahren habe, glaube ich das auch“, sagte Clea etwas versöhnt.
„Du bekommst eine persönliche Order von mir, die besagt, daß Du in meinem Sonderauftrag unterwegs bist, was Dich vor Problemen mit unseren Systempatrouillen bewahren sollte. Mehr kann ich nicht für Dich tun.“
„Außer mich am Leben zu lassen.“, bemerkte die Besucherin trocken. Kühl dachte sie daran, daß alle diese königlichen Geschenke recht gut auch nur eines bedeuten mochten: verschwinde und komm bloß nie wieder.
„Was eine andere Dunkelelfenherrscherin vermutlich nicht getan haben würde: Dich leben lassen. Erinnere Dich eines fernen Tages vielleicht daran.“
Eine weitere Pause entstand.
„Geh jetzt, Clea.“
Und als die Priesterin den Raum verlassen hatte, setzte Vhanu leise hinzu: „Möge die Göttin Dich schützen.“
*
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagte Clea zu der Kommandantin der Kampftruppen an Bord des kleinen Lichtseglers. „Sie wird es in jedem Fall als Ungehorsam werten und mich töten.
Wer weiß, wohin sie meine Seele verbannt.“
„Ich kann die Imperatrix verstehen“, antwortete Lilith, „als Kriegerin kann ich es verstehen.“
„Ich muß aber zuerst der Göttin gehorchen, und die Herrin Vhanu sollte das auch.“
„Sie glaubt das Beste für das Volk zu tun, das von der Göttin erwählt wurde“, antwortete die Kommandantin.
„Sie wird mich töten, Lilith. Was tust Du mit einer Untergebenen, die einen Auftrag nicht ausführt und mit Ausflüchten zurückkommt?“
„Ich höre mir zunächst an, was sie zu sagen hat. Vielleicht bestrafe ich sie, aber ich werde sicher keine Fähigkeiten verschwenden. Denk daran, Clea, Du bist die einzige Priesterin auf diesem Schiff. Wer sonst von uns soll mit Ihr in Kontakt treten?“
Die Priesterin blickte auf, etwas wie Hoffnung glomm in ihren Augen.
„Laß das Landeboot startklar machen“, befahl sie Lilith.
*
Tief im Inneren des vergrabenen Tempelkomplexes lag die Priesterin Clea del'Jötun in tiefer Trance auf dem Deckel des riesigen schwarzen Sarkophages. Eine tiefe Ruhe erfüllte sie, während ihr Selbst seziert wurde. Wider Erwarten spürte sie keinen Zorn seitens des göttlichen Bewußtseins.
Dann eine Welle der Enttäuschung und Trauer, aber auch von Verständnis.
-Wir werden es anders machen müssen.
Ihr laßt mich am Leben, Herrin, dachte Clea in ihrer Trance.
-Natürlich, meine Tochter. Dein Tod wäre weder gerechtfertigt noch brächte er irgendeinen Nutzen für Dich oder mich.
Das Wesen in dem Sarkophag, dessen träumender Geist die Seele der Priesterin im Griff hielt, machte eine lange Pause, als dächte es nach.
-Das Schiff ist zunächst sicher im Gewahrsam meiner Tochter Vhanu.
Also seid Ihr einverstanden mit dem, was sie tut, dachte die Dunkelelfin vorsichtig.
-Ja.
Clea hatte die Daten studiert und wußte, daß die Einschätzung der Imperatrix richtig war. Mehr noch, sie wußte, daß diese Welt, um die die Orbitalfestung einst gekreist war und auf der sich der vergrabene Tempelkomplex mit dem Sarkophag befand, am Rand der Domäne Deneb in einer Art Niemandsland lag. Es würde nicht lange dauern, bis sich jemand dafür interessierte.
Und dank der telepathischen Verbindung wußte das Wesen, das Cleas Göttin war, es jetzt auch. Doch durch die Tiefe der Trance spürte die Dunkelelfin nicht die Erleichterung, daß es keine Strafe geben würde, die sie sonst empfunden hätte. Ihre Seele, im Einklang mit dem Geist der Göttin, lauschte nur ergeben.
-Ich brauche einen Oktaeder. Du mußt einen für mich finden.
Das werde ich, Herrin. Ich werde nicht noch einmal versagen, dachte die Priesterin inbrünstig.
-Die Suche könnte lange dauern. Diese Welt ist nicht mehr sicher. Soviel Zeit ist vergangen.
Ich werde tun, was immer Ihr verlangt, Herrin, dachte Clea eifrig.
-Du mußt die Gegenstände aus dem Tempel bergen, Tochter.
Alles, was beweglich ist. Mein Sarkophag und die Metallfiguren sind am wichtigsten. Bringe sie auf euer Schiff.
Ich werde es tun, Herrin.
-Noch etwas. Ich übermittele Dir eine Reihe von Bildern, die Dir helfen werden, einen Oktaeder zu finden, in Dein Unterbewußtsein. Wecke mich erst wieder, wenn Du ihn hast.
Clea hätte beinahe geschrien, so intensiv war die Welle der Gefühle, die durch ihr winziges Sein brandete. Sie sah kurz silberne Runen aufblitzen, eine weite staubige Ebene mit einer Gruppe schwarzer Säulen, ein riesiges Podest aus Metall, das halb im Boden vergraben war.
Die Bilder versickerten und hinterließen nur eine Ahnung von Alter und Macht. Die Dunkelelfin verlor beinahe das Bewußtsein.
-Mehr kann ich Dir nicht zeigen, ohne Deiner kleinen Seele zu schaden, Tochter. Geh jetzt, regeneriere Deinen Körper und Deinen Geist und beginne dann mit der Bergung des Tempelinhaltes.
Der göttliche Geist zog sich zurück. Clea erwachte aus ihrer Trance in der Dunkelheit der Grabkammer, schluchzend und unfähig, sich zu bewegen.
Die Kriegerinnen, die sie begleitet hatten, zogen sie vorsichtig vom Deckel des Sarkophages und trugen sie zum Landeboot zurück.
Währenddessen registrierte einer der Sprengkörper, die die Lichtelben einst benutzt hatten, um die Orbitalfestung zu verminen, als dieser Planet noch von ihr umkreist wurde, die Aktivität auf der Oberfläche.
Die Mine war beschädigt und konnte nicht mehr detonieren.
Aber sie konnte ein Signal an ihre Erbauer aussenden, schwach, doch erkennbar.
Lichtjahre entfernt registrierte ein Elben-Überwachungssatellit das verstümmelte Signal. Die fragliche Welt genoß nicht mehr die höchste Priorität der Beobachtung, und so blieb ein allgemeiner Alarm aus. Aufgrund einer kleinen Manipulation am Sicherheitssystem des Satelliten wurde jedoch eine private Mitteilung in das persönliche Netzwerk Prinz Corandans gesendet.
Clea würde sich beeilen müssen.
Corandan stand in dem leeren Raum, der das Herz des gesamten unterirdischen Komplexes bildete, und preßte die Hände zu Fäusten zusammen. Der archaische Tempel, den die Dunkelelfen durch ihre gewaltsame Grabung zugänglich gemacht hatten, war leer. Vollkommen leer bis auf die glatten schwarzen Wände aus Obsidian, der auf dieser Welt an der Oberfläche nicht natürlich vorkam. Nicht einmal die Türen hatten sie verschlossen, nachdem sie nach ihrer gründlichen Plünderung wieder verschwunden waren. Hier gab es nichts mehr zu holen. Nicht einmal mehr die Information, was es hier Wertvolles gegeben hatte.
Der Prinz drehte sich ruckartig um zu dem schwerbewaffneten Lichtelben der Landetruppe um. Seine Worte hallten in den hohen Gängen.
„Zurück zum Schiff. Wir müssen unbedingt herausfinden, was die vorhaben.“
Hart verklangen seine Schritte in der leeren Grabkammer.
„Was sollen wir tun, Herr“, fragte einer der Krieger.
„Wenn ich das nur wüßte“, knurrte der Prinz. „Ich habe noch nicht mal eine Ahnung, was die von hier mitgenommen haben.
Waffen, Schätze, magische Artefakte, alte Aufzeichnungen, es könnte alles sein. Und mir gefällt nicht, darüber vollkommen im Dunkeln zu tappen.“
„Ja, Herr.“
*
Clea del'Jötun schob die Anzeige des Hologerätes beiseite.
Nach einer ersten Durchsicht des Kartenmateriales wußte sie, welche Richtung das kleine Schiff einschlagen mußte. Dorthin, wo kein Elf, ob licht oder dunkel, jemals gerne blickte. Ebenen mit schwarzen Säulen, wie sie sie in ihrer Vision von ihrer dunklen Göttin gesehen hatte, gab es auf den zerstörten Welten in der Nähe des galaktischen Randes. Besonders im breitesten Teil des Randes, der vor der alles verschlingenden großen Leere zwischen den Galaxien lag.
Die Mutter wird mich schützen, dachte sie, nur wenig beunruhigt. Bis jetzt ist doch alles recht gut gegangen.
Die Priesterin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und legte die schwarzen Fingerspitzen aneinander. Ihre Gedanken wanderten unwillkürlich zu dem kleinen Frachtraum an Bord ihres Lichtseglers, der jetzt die kostbarsten Dinge barg, die sie sich vorstellen konnte: den schwarzen Sarkophag, einen riesigen Monolithen, der den schlafenden Körper ihrer Göttin enthielt. Die Statuen, die in dem Tempel noch vorhanden gewesen waren, umstanden ihn nun in Wandnischen, die man denen in der originalen Grabkammer nachempfunden hatte. Clea hatte auch Kerzenhalter und eine Sitzbank in der Nähe des Einganges anbringen lassen, damit sie dieses Allerheiligste für private Andachten nutzen konnte. Auch wenn sie als Priesterin diese ruhende ungeheuere Macht im Zentrum des schwarzen Blockes überall im Schiff spüren konnte. Selbst in ihren Träumen nahm sie sie wahr.
Welche Priesterin hat schon das Privileg, ihrer Göttin ständig so nahe zu sein, dachte sie, und ihr Herz tat einen Sprung des Stolzes.
*
Eine andere schwarzhäutige Elfin las aufmerksam einen Bericht, der ihr von einer Kommandantin eines Scout-Kreuzers übermittelt worden war.
Die Tol Dhanu, die Orca-Fregatte, die die kleine Gruppe von Dunkelelfen beherbergte, die vergeblich den Oktaeder gefordert hatten, entfernte sich jetzt zielstrebig aus dem Bereich der von den Dunkelelfen beherrschten Domäne.
Arme Clea, dachte die Frau, deren Gesicht im Dämmerlicht zunächst nicht zu erkennen war. Du rätselst wahrscheinlich immer noch, warum Du gehen durftest. Du weißt nicht, daß Du nur eine Figur, eine unwichtige Figur in einem gnadenlosen Spiel um die Macht bist. Du bist eine Rückversicherung, ein Notausgang für den Fall, daß meine Pläne scheitern. Ich hoffe, ich werde Dich nie brauchen. Ohnehin bist Du nicht für mich persönlich da. Ich werde eher sterben als den Thron zu räumen.
Aber falls ich am Ende scheitere, wird sich meine Tochter auf Dein Schiff retten können.
*
Ich muß etwas unternehmen, dachte Isilaure. Die beiden sind mir lieb geworden, aber sie werden sich noch zugrunderichten, wenn sie weiter in diesem Haufen Abfall vor sich hinvegetieren. Wir müssen weg von dieser von allen guten Geistern verlassenen Welt.
Vielleicht sollte ich sie in meine Dienste nehmen, wie eine Clanälteste. Eine Leibwächterin und eine Pilotin. Beides brauche ich nicht, aber es könnte ihnen beiden helfen, sich nicht länger so nutzlos und gescheitert zu fühlen. Ich komme ja ohnehin schon fast allein für den Lebensunterhalt von uns dreien auf.
Ich muß mir eine Zeremonie dafür ausdenken. Zeremonien geben die Würde zurück.
Das kleine Schiff hatte in dieser brandenden Hölle eigentlich nichts verloren. Unter ihm brodelte in nur wenigen zehntausend Kilometern Abstand das weißglühende Inferno einer Sonnenoberfläche. Gewaltige Bögen aus glühendem Wasserstoff wölbten sich vor seinem Bug und bildeten ein Tor, durch das mühelos ein ganzer Planet gepaßt hätte. Heiße dünne Fasern silbrigen Korona-Gases fauchten um den ungeschützen Rumpf und wehten als Sonnenwind in den Weltraum hinaus.
Tief unter dem Schiff, auf der gleißenden Oberfläche, veränderte sich eine verdrehte bandförmige Struktur in der Nähe eines Sonnenflecks. Magnetfelder schlossen sich kurz, brachen in sich zusammen, Feldlinien wurden plötzlich überdehnt. Der Vorgang setzte sich fort wie ein einstürzendes Kartenhaus.
Wasserstoff, der einen Moment zuvor noch im eisernen Griff der Kraftfelder gefangen war, schoß befreit nach oben, auf Millionen Grad erhitzt durch die freigesetzte Magnetenergie, die Milliarden von Vulkanausbrüchen entsprach. Ein hunderttausend Kilometer langer Stachel aus kreiselndem ultraheißen Gas formte sich und wurde von der tobenden Explosionsstelle fortgeschleudert in Richtung auf den kalten Weltraum.
Und das winzige Raumschiff davor.
„Ist das wirklich Dein Ernst?“ Die Kommandantin der Bodentruppen sah die Priesterin, die das Schiff befehligte, leicht besorgt an. Die gesamte Brückenkuppel des elbischen Lichtseglers hatte sich in der ungeheueren Lichtfülle automatisch maximal abgedunkelt. Trotzdem lag die Sonnenoberfläche noch immer unangenehm hell vor ihnen. Die holographische Anzeige bildete vor den beiden Dunkelelfinnen viele Strukturen ab, gigantische Eruptionswolken, Protuberanzenbögen, Magnetfelder, Strahlungszonen. Jede einzelnen davon bedeutete den sofortigen Tod der Besatzung, falls die kleine Fregatte ihr zu nahe kam.
„Sie will es so.“ Clea konzentrierte sich ganz auf die Anzeige.
Inmitten dieser gewaltigen Energien mußte sie sich ganz auf die Sensoren des Schiffes verlassen. Zuviele Gefahren waren den bloßen Sinnen eines sterblichen Wesen schlicht unsichtbar.
„Ich verstehe das nicht. Die Energiezellen müßten längst bis zum Bersten geladen sein.“ Lilith drehte sich zu einer Technikerin um. „Kontrolliere das.“
„Ich sagte, Sie will es so. Es geht nicht um die Energie des Schiffes, Lilith. Sie regeneriert sich von der Strahlung und lädt ihren Sarkophag wieder auf“, erklärte die Priesterin, ohne die Konzentration zu verringern.
„Wir werden das nicht lange aushalten. Die Schiffshaut liegt schon bei 1700 Grad. Uns werden bald die Lichtleiter schmelzen.“
„Der Rumpf verträgt noch viel mehr.“ Die befehlshabende Dunkelelfin blieb unerbittlich, obwohl sie wußte, wie gefährlich das Unterfangen war. Die leichtgebauten Lichtsegler mieden sonst die gefährliche Nähe einer Sonne.
„Ein Flare, direkt unter uns.“ Clea hörte die Stimme der Navigatorin an den weiter entfernten Konsolen. Sofort erschien in dem großen Hologramm in der Mitte des Raumes eine rot umrandete keilförmige Struktur, die mit hoher Geschwindigkeit auf den Kiel des Schiffes zuschoß. Die Priesterin hatte gerade noch Zeit, Alarm wegen drohenden Einschlages zu befehlen, als das Skelett des Schiffes auch schon erzitterte.
Die blaßrosa strahlende Lanze aus glühendem Wasserstoff leckte nur leicht an der Seite des kleinen Schiffes entlang. Rest-Magnetfelder reagierten auf das Metall des Rumpfes, bogen sich und streiften die Oberfläche, wo sie Löcher und Rinnen einbrannten.
Die heiße Zunge löste sich und trieb nach außen davon, schleppte ein paar glühende Fasern hinter sich her und ließ tiefe Brandnarben auf dem erhitzten Rumpf zurück. Winzig kleine Wesen brachen im kalten Inneren in hektische Aktivität aus, so daß das kleine Schiff noch einmal gerettet schien. Doch die gleißenden Gasfasern strömten weiter, drehten sich zusammen, zogen an weiteren Flammenzungen wie Gummibänder von planetaren Ausmaßen. Eine weitere Lanze aus Wasserstoffplasma traf das Schiff und erschütterte es bis ins Mark. Innenwände brachen und Leitungen rissen. Ganze Antennenmasten schmolzen einfach ab. Im Herzen des Schiffes brach Feuer aus.
Das Schicksal des kleinen Eindringlings schien besiegelt.
Telon sah seine Herrin nicht mehr. Vor ihm befand sich nur noch eine Flammenwand. Er war eingeschlossen, und das wütende Feuer stahl ihm den lebenswichtigen Sauerstoff. Er durfte nicht nachlassen, und trotz seiner Schwäche hielt er den Löschschaum speienden Schlauch weiter auf das lodernde Flammenmeer gerichtet.
Vor seinen Augen tanzten Punkte. Er konnte nicht atmen. Aber das Feuer durfte die Wand nicht erreichen. Nur noch diese Wand trennte die gierigen Flammen von den lebenswichtigen Feldgeneratoren des Schiffes. Keinesfalls durften sie zerstört werden.
Ich sterbe, dachte der dunkelelfische Techniker. Es wurde schwarz vor seinen Augen, und seine Hände tasteten noch nach dem Schlauch, als er das Bewußtsein verlor.
„Das Feuer breitet sich noch immer aus, Herrin.“
„Clea, wir müssen hier weg.“
„Herrin, Sektionen Anga und Calma sind abgeschnitten. Sektion Lambe vollkommen ausgebrannt.“
„Außentemperatur erreicht 2000 Grad.“
„Eine weitere Eruption in Sektor 22.“
„Kraftfelder brechen zusammen, Herrin.“
Die Katastrophenmeldungen häuften sich. In einem Kampf wäre die Fregatte schon längst außer Gefecht gewesen. Sie hatten Glück, daß das Toben der Sonne sich nicht gezielt gegen sie richtete.
„Clea, hörst Du mich?“ Leutnant Lilith schüttelte ihre Vorgesetzte. „Wenn wir hier nicht sofort verschwinden, werden wir alle sterben.“
„Noch nicht.“
„Ehrwürdige Mutter, das Feuer breitet sich in Sektor Romen aus. Es wird die Außenhülle erreichen.“ Die Stimme der Technikerin klang hoffnungslos.
„Die Löschmannschaften sollen Romen verlassen“, befahl die Dunkelelfen-Priesterin. „Sie sollen die Mannschaften im Maschinendeck unterstützen. Und schließt alle Schotts, die noch funktionieren. Schnell.“
„Herrin...“, erwiderte die dunkelelfische Technikerin.
„Sofort!!“
Clea wandte sich zu ihrer Offizierin um, die schon an der Konsole mit den Schottkontrollen hantierte. Lilith warf ihr einen anerkennenden Blick zu. „Gute Idee, aber wir werden so was nicht noch ein zweites Mal überstehen. Wir müssen hier sofort weg.“
Der Schiffsrumpf erzitterte, als die Flammen die Außenwand erreichten und die Bullaugen schmolzen. Das Kristallglas barst und flog in die Korona der Sonne hinaus. Die restliche Luft der brennenden Sektionen blies in einem wahren Orkan hinterher und raubte dem Feuer den Sauerstoff. Die Flammen begannen zu ersticken.
Die befehlende Priesterin spürte endlich das erlösende Signal in ihrem Geist. Automatisch griffen ihre Hände in die Segelkontrollen. Schwerfällig drehte sich das wunde Schiff in die fauchenden Koronafäden und ließ sich von der Quelle der Sonnenwinde hinaustragen in die kühle Dunkelheit, mehr treibend als im gesteuerten Flug.
*
„Und jetzt?“ Die Frage kam von der großen Sergeantin, die die Stellverteterin von Lilith bei den Kampftruppen war.
Die Ehrwürdige Mutter Clea hatte ihren kleinen Rat zu einer Versammlung zusammengerufen, als ihr kleines Schiff die sichere Kühle eines kleinen Asteroidenmondes umkreiste und sie sich einen Überblick über die Schäden verschafft hatte.
Daß es nicht gut stand, hatte sich in der Mannschaft herumgesprochen. Die ohnehin nicht große Anzahl der Dunkelelfen an Bord hatte sich weiter verkleinert. Das Feuer hatte Opfer gefordert.
„Zuerst die Fakten“, begann die Priesterin. „Das Feuer hat eine Reihe Sektionen zerstört, die ohne große Probleme instandgesetzt werden können. Schwerwiegender ist der Feldgenerator, dessen Endstufen verbrannt sind. Wir haben Teile, um ihn zu reparieren, das wird allerdings eine ganze Weile dauern, weil das gesamte System durchgetestet, repariert und dann neu synchronisiert werden muß. Wir können noch nicht abschätzen, wieviele Module noch brauchbar sind.“
Sie machte eine kurze Pause.
„Unser größtes Problem ist der Rumpf. Wir haben ein großes Leck in Sektion Romen. Die Dekompression hat das Feuer gelöscht – was unser Glück war. Zu unserem Unglück können wir den Durchbruch nur notdürftig flicken. Wir haben nicht die Mittel für eine richtige Reparatur, die Sektion muß also abgeschottet bleiben.“
Die leisen Seufzer der anwesenden Dunkelelfen verrieten Clea, was ihre Untergebenen dachten. Das war das Aus für ihre Mission. Eine Mission, von der die meisten von ihnen gar keine klare Vorstellung hatten.
„Verzagt nicht. Die Not ist groß, doch die Dunkle Mutter hält ihre schützende Hand über uns. Ich habe um eine Vision gebeten, und sie hat mich erhört.“ Die Priesterin lehnte sich zufrieden zurück. „Sie hat mir einen Ort an Bord eines Schiffes gezeigt, der enthält, was wir brauchen. Es ist ein Handelsschiff menschlicher Bauart, das wir trotz unseres angeschlagenen Zustandes noch leicht kapern können. Es befindet sich zur Zeit etwa hier.“
Auf eine Geste im Holodisplay hin baute sich über dem Konferenztisch das Hologramm der Sektorkarte auf. Ein bestimmter Punkt war markiert.
„Wir müssen uns dort nur auf die Lauer legen.“ Ein Grinsen erschien in dem rußschwarzen Gesicht der Elfin. Im Moment dachte sie nicht mehr daran, wie sie dreimal in der Trance vor dem monolithischen Sarkophag nachgefragt hatte aus Angst, die Vision mißverstranden zu haben. Sie hätte sie im Moment ihrem Rat auch nicht anvertraut. Denn die Antwort war verwirrenderweise dreimal dieselbe gewesen.
Was sie brauchten, war eine Lichtelbin.