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Leidenschaft kann tödlich sein: Der spritzige Kriminalroman „Rent a Russian“ von Regula Venske jetzt als eBook bei dotbooks. Er ist der Neue in der Stadt! Jurij sieht gut aus, ist gewieft – und ein Lover, nach dem sich die Frauen verzehren. Dumm nur, dass er keinen Cent in der Tasche hat. Aber von solchen Lappalien lässt er sich nicht unterkriegen. Eine Kontaktanzeige soll es richten: Rent a Russian – für gewisse Stunden, versteht sich. So eine kleine Auszeit vom Alltag wünschen sich auch die Freundinnen Vera und Renate. Als sich die Wege der drei kreuzen, beginnt es zu brodeln und lange unterdrückte Träume und Obsessionen drängen ans Licht. Doch zu spät müssen sie feststellen, dass es vom sinnlichen Spiel zum finsteren Abgrund manchmal nur ein kleiner Schritt ist … mit tödlichen Konsequenzen. Für „Rent a Russian“ wurde Regula Venske mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet: „Regula Venskes Kunst ist es, die scheinbaren Gegenpole den gesamten Kriminalroman hindurch in einer leicht, heiter und ungezwungen wirkenden Balance zu halten.“ Hamburger Abendblatt Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die Krimikomödie „Rent a Russian“ von Kultautorin Regula Venske von Autor. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 232
Über dieses Buch:
Er ist der Neue in der Stadt! Jurij ist jung, gewieft – und ein Lover, nach dem sich die Frauen verzehren. Dumm nur, dass er keinen Cent in der Tasche hat. Aber von solchen Lappalien lässt er sich nicht unterkriegen. Eine Kontaktanzeige soll es richten: Rent a Russian – für gewisse Stunden, versteht sich. So eine kleine Auszeit vom Alltag wünschen sich auch die Freundinnen Vera und Renate. Als sich die Wege der drei kreuzen, beginnt es zu brodeln und lange unterdrückte Träume und Obsessionen drängen ans Licht. Doch zu spät müssen sie feststellen, dass es vom sinnlichen Spiel zum finsteren Abgrund manchmal nur ein kleiner Schritt ist … mit tödlichen Konsequenzen.
Für „Rent a Russian“ wurde Regula Venske mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet: „Regula Venskes Kunst ist es, die scheinbaren Gegenpole den gesamten Kriminalroman hindurch in einer leicht, heiter und ungezwungen wirkenden Balance zu halten.“ Hamburger Abendblatt
Über die Autorin:
„Regula Venske gehört zu Deutschlands ungewöhnlichsten Krimiautoren, deren Romane großen Unterhaltungswert besitzen“ (literaturmarkt.info).
Regula Venske wurde 1955 in Minden geboren und wuchs in Münster auf. 1987 promovierte sie mit einer Studie über Mannsbilder – Männerbilder. Konstruktion und Kritik des Männlichen in zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur von Frauen zum Doktor der Philosophie. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie u. a. mit dem Oldenburger Jugendbuchpreis, dem Deutschen Krimipreis und dem Lessing-Stipendium des Hamburger Senats ausgezeichnet, ihr Kurzgeschichtenband Herzschlag auf Maiglöckchensauce wurde für den Frauenkrimipreis der Stadt Wiesbaden nominiert. Im April 2017 wurde Regula Venske zur Präsidentin des deutschen PEN gewählt, einer Schriftstellervereinigung, die sich für die Freiheit des Wortes und Völkerverständigung einsetzt und dessen Generalsekretärin sie seit April 2013 war. Seit Oktober 2015 ist sie außerdem Mitglied im Präsidium von PEN International. (www.pen-deutschland.de; www.pen-international.org)
Bei dotbooks erschienen Regula Venskes Romane Double für eine Leiche, Schief gewickelt – Das perfekte Verbrechen, Kommt ein Mann die Treppe rauf, Rent a Russian, Die garstigen Greise, Ein allzu leichter Tod, Hamburger Kanzelsturz, Todesschüsse in St. Georg, Fegefeuer am Grindel, Mord im Gazellenkamp und Die Hexen von Övelgönne.
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eBook-Neuausgabe Oktober 2017
Copyright © der Originalausgabe 1995 by Kellner GmbH & Co. Verlags KG
Copyright © der Taschenbuchausgabe 1996 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotives von thinkstock/iStock/kunertus
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (er)
ISBN 978-3-95824-992-9
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Regula Venske
Rent a Russian
Kriminalroman
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Vorbemerkung für die werte Nachbarschaft:
Ich habe mir erlaubt, die Sommerhitze von 1994 auf 1993 zu projizieren. Und auch der Rest drumherum
ist natürlich frei erfunden.
Es ist eigentlich von der Natur nicht vorgesehen, daß Eltern durch ihre Kinder neurotisch werden. Aber in Hamburg auf der Uhlenhorst, einen Steinwurf vom Zentrum entfernt, auf der falschen, nämlich der rechten Seite der Alster, da kommt das durchaus vor. Auf dem Mümmelmannsberg mischt man den Kleinen Schnaps in die Limonade, und in Eppendorf geben die Mütter Valium in den Brei, wenn sie zum Einkaufsbummel starten, aber auf der Uhlenhorst, da setzt sich eine Mutter selbst ins Laufställchen, um so vor ihrem Krabbelkind geschützt ungestört Cello zu üben. Wobei sie eben auf keinen Fall den natürlichen Bewegungsdrang ihres Kleinen behindern möchte. Und wohl ihr: daß sie Cello spielt, mag noch ihre Rettung sein. Andere sitzen nur so im Laufställchen herum, derweil ihr Nachwuchs die Welt unsicher macht.
Auch Väter werden mitunter durch ihre Kinder neurotisch, aber man merkt es meistens erst, wenn es zu spät ist. Dann gehen sie hin und jagen sich am Alsterufer eine Kugel in den Kopf, so daß die Lebensversicherung die Zahlung an die Ehefrau verweigert. Oder sie schlachten vorher die ganze Familie ab, in beiden Fällen hat die Frau das Nachsehen. Das alles geschieht auf der Uhlenhorst wie anderswo auch, vielleicht nicht ganz so häufig wie in Barmbek oder Billstedt. Hier können sich die Väter mittels gut gepolsterter Brieftaschen vor größeren Leidenschaften schützen.
Heute abend geht es allerdings noch nicht dramatisch zu. Es könnte ein stinknormaler, ein ganz und gar durchschnittlicher Sommerabend sein, wenn nur die Hitze nicht wäre. Auch der Wetterbericht hat vor ihr schon kapituliert. Soeben hat es zu regnen aufgehört, es tropft üppig von den Bäumen, die Vögel singen, es ist immer noch schwül. Ein Gewitter täte gut. Vielleicht wirft sich am Mundsburger Damm ein junger Mann vor den Bus. Vielleicht lungern wieder zwei Taschendiebe an der Bushaltestelle Averhoffstraße herum, aber nicht die selben wie letzte Woche. Die sind längst schon über alle Berge, sind von ihrer Organisation nach Frankfurt oder Stockholm geschleust worden und treiben jetzt dort ihr Unwesen. Diese beiden hier sind frisch importiert, treten sehr gepflegt auf, blicken mit pfiffigen, flinken Augen durch dicke oder dünne Brillengläser, reden vielleicht türkisch miteinander oder polnisch, darüber werden hinterher die Meinungen auseinandergehen. Zunächst denkt keiner der Passanten über die beiden beschwingten Kerle nach, erst bei der nächsten Station an der Mundsburger Brücke, wenn sie abspringen und sehr schnell in Richtung Alster verschwinden, ohne sich umzudrehen, und wenn die junge Frau mit dem Baby im Umschlagtuch plötzlich ihr Portemonnaie vermißt, das doch eben noch neben dem Teefläschchen in ihrer Jackentasche steckte, erst dann wird man plötzlich erregte Stimmen hören.
»Ich dachte, er gehört zu Ihnen, weil er sich so dicht an Sie herandrängte, der junge Vater, dachte ich, also so etwas, direkt vor meinen Augen …«
Die junge Mutter wird den Busfahrer zum nochmaligen Halten bewegen und laut rufend und mit den Armen fuchtelnd hinter den Kerlen herlaufen – »Hey, mein Geld, ihr verfluchten –«, aber wie soll sie sie je einholen, mit dem Baby vor ihrem Bauch? Und, daß sie in den nächsten vier Wochen jeden Abend diese Strecke abfährt, nützt ihr auch nichts, diese fixen Augen, die sie sucht, spähen dann schon wieder eine andere Menschenmenge aus.
Was sonst noch los ist heute abend? Marthe, die berühmte Krimiautorin, die vor kurzem in den Hofweg eingeheiratet hat, bestellt gerade ein Taxi direkt am Stand Am Langenzug. Ihr Knuddel und sie wollen gleich zum Honeymoon nach Griechenland starten. Und der Flieger, der sie zu ihrem Billigflug nach Athen zuerst nach Berlin bringen soll, hat soeben mit dem Landeanflug auf Hamburg begonnen.
Wenn Marthe das wüßte! An Bord sitzt eine Dame im grauen Kostüm, in deren Schoß Marthes zweiter Krimi liegt – das gäbe ihrem Schriftstellerinnenherzen schönen Auftrieb. Die Dame im grauen Kostüm hat aber die Lektüre kurz hinter Berlin schon wieder eingestellt. Sie hat sich mit dem Sitz zurückgeleimt und an ihrem Campari Soda genippt. Dem zweiten Campari Soda inzwischen, der Boden unter ihr schwankt bereits ein bißchen. Dafür nimmt die Dame mit geschärften Sinnen wahr, welch Meisterstück der Pilot ihr darbietet. Er läßt den Flieger mit unerhörter Eleganz zwischen den Wolkenschichten gleiten, kostet jede voll aus, bevor er in die nächsthöhere, später dann die nächsttiefere eindringt.
Nicht quer und brutal sie nehmend und durchstoßend, sondern indem er sich ihnen geradezu anschmiegt – die Dame im grauen Kostüm seufzt. Was muß dieser Mann für ein guter Liebhaber sein! Der müßte ihr zwischen die Finger kommen. Zwischen ihren Fingern kommen
… Aber ausgerechnet sie, die einen guten Liebhaber so zu schätzen weiß, wird heute abend wieder leer ausgehen. Es ist alles so ungerecht verteilt in dieser Welt, alles Erbe sowieso, sei es Vermögen wie Geld und Großgrundbesitz, seien es gutes Aussehen und Talent, aber vor allem Sex. Die Dame im grauen Kostüm sinkt tief in den Sitz hinein und gibt sich in Gedanken dem Piloten hin, da kann Marthes Krimi einfach nicht mithalten.
Am Flughafen angekommen, zerren Marthe und ihr Knuddel das Gepäck eigenhändig zum Schalter, da sie die DM 2,50 Mietgebühr für die Kofferkulis nicht passend haben. Und außerdem sieht Marthes Knuddel sowieso nicht ein, warum die Gepäckkarren etwas kosten sollen, daran zeige sich mal wieder, wie provinziell Hamburg sei, schimpft er wie vor und nach jeder Reise. Wie könne man denn von internationalen Fluggästen erwarten, bei ihrer Ankunft schon deutsches Silbergeld abgezählt bereitzuhalten! Seit langem schon will er eine Beschwerde an die Flughafenleitung schreiben, und Marthe hofft, daß er es endlich tut, denn sie muß seine Rede jetzt zum wiederholten Male hören – und dabei sind sie doch noch gar nicht lange verheiratet! Wenn Marthes Knuddel aber wüßte, was der Taxifahrer, der sie nach Fuhlsbüttel gebracht hat, in diesem Moment treibt, würde er allerdings sofort das Thema und das Standbein wechseln. Denn während die beiden sich noch in der Schlange vor dem Schalter die Beine in den Bauch stehen und darauf warten, ihr Gepäck einzuchecken, telephoniert der Chauffeur ihre Adresse im Hofweg seinem Geschäftspartner durch. Marthe und ihr Mann sind noch nicht in Berlin angekommen, da hat ein grimmig dreinblickender Typ schon mal unauffällig Maß von ihrem Wohnhaus genommen. Und in zehn Tagen, wenn Marthe auf dem Parnaß wandert und dabei vergeblich nach neuem Krimistoff Ausschau hält, wird daheim ihre Wohnung ausgeräumt werden.
Aber noch ist es nicht soweit. Die Maschine aus Berlin ist gelandet und wird für Marthe, ihren Knuddel und die anderen Passagiere gereinigt. Eine Dame im grauen Kostüm schwankt zielstrebig Richtung Taxistand, sich kurz der Hoffnung hingebend, daß vielleicht der Fahrer noch für sie in Frage käme, aber bei näherem Hinsehen flößt der ihr kein Vertrauen ein. Im Abfahren fällt ihr Blick auf eine ausgemergelt wirkende, dunkel umschattete Gestalt, einen großen hageren Mann in einem abgewetzten, ehemals schwarzen, jetzt speckig glänzenden Anzug, aus dem er etwas herausgewachsen wirkt. Der Mann macht sich zu Fuß auf den Weg. Er hat nur wenig Gepäck, eine brüchige Kunstledertasche, die er auf der rechten Schulter trägt, und zwei, drei Plastiktüten in der linken Hand. Er ahnt wohl, daß ihn per Anhalter keiner mitnehmen würde. Das Fahrgeld für eine Taxe kann er offensichtlich nicht erübrigen. Sieht eigentlich nicht schlecht aus, denkt die Dame im grauen Kostüm, so ein leichtfüßiger Gang – aber da ist sie schon an ihm vorbeigefahren und hat ihn im nächsten Moment vergessen.
Wie an jedem normalen Abend will Anna-Karina auch heute noch nicht ins Bett.
»Guck mal, Mami, mein Zahn wackelt! Ich hab’ noch Hunger, Mami! Nein, nicht das Brot, Mami, das ist zu hart für mich! Schneidest du mir die Rinden ab, Mami?«
Vera stöhnt, aber nur innerlich. Sie möchte die Augen schließen und im Stillen bis zehn zählen, aber das geht nicht, sie hält ja das Brotmesser in der Hand. Es könnte abrutschen, und sie könnte sich versehentlich in den Finger schneiden. Oder Anna-Karinchen in den Rücken stechen, nicht auszudenken, oder in den Hals. Sie sieht das Blut in hohem Bogen aus der kleinen Halsschlagader spritzen, wie es sich auf die Butter und den Käseteller ergießt und in die Nußnougatcreme sickert, das Brot durchtränkt, ja, schließlich den ganzen Abendbrottisch versaut. Sie starrt auf Anna-Karinas Hals und drückt behutsam ein Küßchen auf die Stelle, an der sich eben eine riffelige Schnittwunde schließt.
»So, Liebling, jetzt ist’s aber genug. Sonst ist das Sandmännchen traurig.«
»Wann kommt Papi nach Hause? Papi hat mir noch eine Geschichte versprochen.«
»Du weißt doch, daß Papi heute später kommt. Heute ist eine ganz wichtige Sitzung, das habe ich dir doch erklärt. Damit die Autos nicht mehr so rasen dürfen und es uns allen hier im Viertel noch besser geht.«
»Stinkt Papi, wenn er nach Hause kommt, wieder so nach Knoblauch, Mami?«
Nun kann Vera ein Stöhnen doch nicht ganz unterdrücken. Sie hat nichts gegen Knoblauch, im Gegenteil, sie ist schließlich eingefleischte Vegetarierin. Aber die Kleine hat recht, nach seinen Wohnbezirkssitzungen und Distriktsabenden riecht Hermann schrecklich, nach einer Mischung aus abgestandenem Zigarettenqualm und Bier und Ouzo und vor allem eben nach Knoblauch. Nach altem Knoblauch, es ist ihr unerklärlich, wieso dieser Grieche am Winterhuder Weg, bei dem sich die Genossen in der Regel treffen, immer nur alten Knoblauch verwendet. Irgendwann müßte der doch einmal aufgebraucht sein und frischer Knoblauch her. Na ja, das ist eben der Nachteil davon, daß ihr Mann in der SPD ist, mag es auch sonst mit mancherlei Vorteilen verbunden sein. Haben sie etwa nicht Anna-Karinas Platz im Kindertagesheim seinem Engagement zu verdanken? Nicht auszudenken, wie sie ihr Geschäft betreiben sollte, wenn das nicht geklappt hätte. Mit einem lauten Seufzer der Erleichterung wirft Vera das Brotmesser in die Spülmaschine und läßt deren Tür zuschnappen.
»Nun aber Abmarsch zum Zähneputzen, Schätzchen.«
Sobald Anna-Karina in ihrem rosa geblümten Mädchenbett unter dem weißen Tüllhimmel schlummert, legt sich auch Vera hin. Leider gelingt es ihr trotz angestrengter Entspannungsversuche nicht einzuschlafen, bevor Hermann nach Hause kommt. Schon sitzt er auf ihrer Bettkante und will noch ein bißchen plaudern, ihr das Neueste vom Tage berichten, und sie muß so tun, als interessiere sie sich brennend für seine Behörde. Eigentlich hat sie diesen Mann nie verstanden, mit seinem Eifer für Gesetze und Paragraphen und Geschäftsordnungsanträge. Wie kann man sich nur mit solch trockenem Kram befassen. Aber er ist ein lieber Kerl und hat immer treu und unbeirrbar zu ihr gehalten, durch sämtliche Phasen und Moden, von denen er an ihrer Seite mittlerweile so einige durchgemacht hat. Erst die Frauenbewegung, gefolgt von Poona und Punk, dann die Zeit der weißen Nächte, in denen sie Wodka in größeren Mengen soff und Dostojewski, Tolstoj und die Achmatowa las; später kam die Begeisterung für Glasnost und Perestroika hinzu, die sie allerdings eine Zeit lang irrtümlich für ein Schriftstellerpaar hielt, denn inzwischen war sie mit Schwangerschaft und sanfter Geburt befaßt. Auch da war er dabei, nur auf die postnatale Depression und die lange über die Stillzeit hinaus ihm auferlegte sexuelle Enthaltsamkeit war er leider nicht vorbereitet. Schließlich, als ihre Tochter in den Kindergarten kam, hat er Vera zur Gründung eines Ladens für gebrauchte Kinderkleidung in der Papenhuder Straße ermutigt, eines wider Erwarten florierenden Geschäftes, obwohl sie es streng nach spirituellen Prinzipien managt, wie ihre Familie übrigens auch. Und alles hat sie, wie es ihre Art ist, jeweils mit höchster Intensität betrieben. Wie oft ist er schon nach Hause gekommen und hat Vera beim Umfärben sämtlicher Klamotten in der Badewanne angetroffen, und immer hat er sie weitergeliebt, mit einer an Sturheit grenzenden Geduld, ob lila, orange oder schwarz eingefärbt, und auch hinterher beim jeweils fälligen Renovieren des Badezimmers hat er nicht gemurrt. Es fällt ihr also nicht weiter schwer, ihn freundlich anzulächeln. Nur küssen möchte sie ihn heute abend, bitte schön, nicht.
»Heute abend bitte nicht, Hermann, ich bin tooodmüde, diese Hitze weißt du, sei mir nicht böse, Schatz.«
Später, als er ruhig atmend neben ihr schläft und friedlich Knoblauch, Nikotin und Ouzo zu fast gleichen Teilen ausdünstet, liegt sie noch lange wach. Auch das ist normal. Wie ein Mühlrad gehen ihr die Gefühle durchs Herz und die Gedanken durch den Kopf, gute und schlechte gleichermaßen, Erinnerungen und Sorgen und Pläne und Zahlen und Schäfchen und – was war das eben – ein Gesicht – es verschwimmt – löst sich auf – da ist es wieder – ein markantes – sie reißt die Augen weit auf – ach, es ist nur Hermann, ihr Mann, der neben ihr liegt.
Hermann – Renate seufzt und stöhnt, als wäre sie nicht allein. Guut, guuut. Für die reine Mechanik braucht sie keinen Mann, sie hat sich selber bestens im Griff; aber es macht doch mehr Spaß, wenn sie sich dabei wenigstens einen herbeiphantasiert. Mit Hermann hat’s noch immer geklappt. Und hätte es auch in Wirklichkeit, da ist sie sich ganz sicher. Sie hat es nie verstanden, wieso seine Wahl auf Vera gefallen ist. Na, Männer. Die sind ja so rührend dumm in manchen Dingen, fallen auf irgend etwas herein, was sie ritterlich schützen zu müssen glauben, wohl das gewisse Etwas, das in ihnen den Eindruck erweckt, unentbehrlich zu sein, der starke Retter. Nein, inzwischen findet sie es nicht mehr rührend, nur noch zu dumm. Denn sie liegt hier allein und kommt nicht zur Ruhe, weil niemand neben ihr liegt. Niemand, der ihre Hand beim Einschlafen hält, niemand, dessen Atem sie sanft streift. Renate wälzt sich zur Seite und tastet im Dunkeln nach der Zigarettenschachtel. Schüttelt eine Zigarette heraus und steckt sie in den Mund und zündet sie an. Saugt gierig. Ha, sie fühlt sich schrecklich emanzipiert. Dekadent. Verrucht. Sie läßt sich Zeit beim Inhalieren und beim Ausatmen, aber irgendwann ist auch diese Zigarette bis zum Gehtnichtmehr eingesogen. Hastig knipst sie das Nachttischlämpchen an, fast verbrennt sie sich schon die Finger, findet in letzter Sekunde den Aschenbecher und kann sich des unappetitlichen Stummels, der letzten Überreste ihrer Glut entledigen. Der Ascher müßte auch mal wieder geleert werden. Ein Hausmann fehlt ihr eben auch. Ein Butler, der ihr das Frühstück ans Bett bringt, der die Blumen gießt und mit ihnen spricht und die Blusen bügelt und die Blazer abbürstet und gelegentlich auch sie …
Was nun? Ihr Blick fällt auf das Pepitakostüm, das zum Auslüften auf einem Bügel am Kleiderschrank hängt. Noch ganz prummelig ist es von der Reise, geradezu unförmig. Spießig. Hätte sie doch lieber Kunstgeschichte studiert oder Philosophie. Warum mußte sie ausgerechnet auf Jura verfallen, wo man einfach keine interessanten Männer trifft. Erst an der Uni nicht, da dachte sie noch, es läge nur an ihrem Jahrgang, aber später im Berufsleben auch nicht. Nur solche Hermänner. Pah, Hermann. Her man.
Immer noch hängt das Kostüm am Haken. Renate starrt verächtlich darauf. Langsam, genüßlich zündet sie sich eine weitere Zigarette an. Sie steht auf und geht zum Schrank hinüber. Das hast du nun davon, du Spießerkind, zischelt sie, dann nimmt sie die Zigarette aus dem Mund und hält sie dem Kostümrock an den Hintern. Das hast du nun davon. Und das. Und das. Und das.
Als sie wieder zu sich kommt, ist ihr teures neues Reisekostüm nicht wiederzuerkennen. Mein Gott, hat sie gewütet. Renate betrachtet ihr Werk etwas ungläubig, aber durchaus befriedigt. Das alberne Pepita ist von Brandlöchern übersät, das ist die gerechte Strafe für sein Spießertum. Eines Tages wird sie sich eine Zigarette in die Möse stecken, sie wird es wagen, vielleicht, eines Tages.
Und noch jemand ist zu aufgedreht, um einzuschlafen in dieser Nacht. Lange hat er sich auf der Matratze, die sein Kumpel für ihn ausgerollt hat, hin und her gewälzt, dann ist ihm dessen Schnarchen, Grunzen und Furzen vollends unerträglich geworden. Er müßte eigentlich daran gewöhnt sein, kaum eine Widerlichkeit, die man ihm noch nicht zugemutet hat, aber er ist es nicht. Da in der Kochnische ein weiterer Landsmann schläft, hat er sich ins Badezimmer verzogen. Dort hockt er nun auf dem Klodeckel, hat die langen Beine zu sich herangezogen und mit den Armen umschlungen und den Kopf auf den Knien abgelegt. Man sperre eine Schwalbe in einen Käfig und warte darauf, ob sie ein Meerschweinchen wird. Sie wird es nicht. Man sperre einen Tänzer in einen Käfig und warte, ob er Gesocks wird. Er wird es nicht. Man kann an ihm kratzen, wie man will, kein Tartar wird zum Vorschein kommen. Er hatte eine gute Kinderstube, trotz allem. Seine Mutter hat dafür gesorgt, schon früh, während ihm die Erzieherinnen im Kindergarten noch Stalinliedchen beibringen wollten. Jurij Trofimowitsch ist ein Ästhet, das haben ihm auch die Jahre im Lager nicht aberziehen können. Und jetzt ist er frei. Draußen. In Deutschland. Es ist kaum zu fassen. Er möchte tanzen, Pirouetten drehen, als hätte er zwei, vier, sechs, acht, zehn Beine, oder Luftsprünge machen, schweben, als hätte er gar keine: Das kann er gut auch im Kopf, das hat er geübt in all den Jahren. Frei frei frei. Und da draußen – immer noch wähnt er, irgendwo drinnen zu sein – draußen liegt sie und wartet auf ihn. Hamburg. Stadt seiner Träume. Und auch sie, die Frau seiner Träume. Seine Alpträume eigentlich, aber er hat sie zur Frau seine Träume gekürt. Sonst wäre alles ja gar nicht auszuhalten gewesen. Und soll das etwa ein Zufall gewesen sein, als er eines schönen Tages mit seinem alten Lada wie so oft den Karl-Marx-Prospekt entlangjuckelte auf der Ausschau nach Kunden, denen er seine Chauffeurdienste anbieten konnte, daß da ausgerechnet SIE am Borowitskaja-Platz am Straßenrand stand? War im Puschkin-Museum gewesen und überlegte gerade, was sie nun machen wollte, und als er scharf vor ihr bremste und ihr auf englisch seine Dienste anbot, hatte sie nur kurz gezögert und war dann zu ihm ins Auto gestiegen.
Oft wollten die Touristen ja nur in ihr Hotel zurückgebracht werden und waren einfach froh, ihre schmerzenden Füße etwas zu schonen. Aber manchmal waren sie auch begeistert über die Tuchfühlung mit einem Einheimischen, einem echten Russen, der noch dazu ausgezeichnet Englisch sprach und sein Auto geschickt an Schlaglöchern vorbeizusteuern wußte. Für solche Fälle hatte er mehrere Besichtigungsrouten parat. Ihr mußte er allerdings anerkennend zugestehen, daß sie schon fast alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert zu haben schien. Was die Frau unternahm, machte sie offenbar gründlich. Also schleppte er sie in eine Tanzbar an der Gorki-Straße ab, flößte ihr sowohl Vertrauen als auch Wodka ein – sie vertrug fast soviel wie eine Russin, auch das fand er erstaunlich – und beschwatzte sie, ihn mit auf ihr Hotelzimmer zu nehmen, gegen Devisen versteht sich. Er kannte den Portier und die Deschurnajas im Hotel Minsk, beteiligte sie – in unterschiedlicher Höhe, vielleicht war das sein Fehler – mit Prozenten an seinen Geschäften, ob er nun ein bißchen Westkleidung abstaubte, Jeans oder T-Shirts oder auch ein Trevira-Jacket, das er für zwei Monatsgehälter auf dem Schwarzmarkt weiterverkaufen konnte, oder ob er umgekehrt die Westler mit ein bißchen russischer Romantik belieferte. Dabei war es sein Vorteil, daß er seine Dienste bei Damen wie Herren gleichermaßen zufriedenstellend ausführen konnte. In der Regel versorgten die Etagenwächterinnen seine Kundschaft und ihn nicht nur mit Klopapier, sondern kredenzten gegen Ende des Schäferstündchens auch schon mal heißen Tee und hartgekochte Eier. Das trieb den Touristen häufig Tränen der Rührung in die Augen, und manch einer war bereit noch ein Scheinchen draufzulegen. Ach, eine schöne Zeit war das gewesen. Eine schöne Zeit, die ein jähes Ende fand. Denn als er die Frau verließ, an diesem gottverfluchten Mittwochnachmittag vor fast genau zehn Jahren, da haben sie ihn geschnappt. Die Deschurnaja – Swedlana, die alte Schlampe, was wohl aus ihr geworden ist? – Swedlana saß nicht an ihrem Tischchen, doch dachte er sich noch nichts, das kam ja vor. Als er auf den Fahrstuhl wartete, standen plötzlich zwei Männer hinter ihm, er hätte nicht sagen können, woher die auf einmal gekommen waren. Er fühlte sich nicht wohl mit den beiden im Rücken, dachte sich aber immer noch nichts, außer vielleicht, wann denn endlich der Fahrstuhl käme. Aber in dem Augenblick, als er einstieg, da wußte er, daß er einen Fehler gemacht hatte, einen Moment, bevor sich die Fahrstuhltür schloß, wußte er es schon. Der eine ergriff von hinten seine Arme und verdrehte sie auf dem Rücken und preßte ihm gleichzeitig ein Knie ins Kreuz, der andere steckte einen Spezialschlüssel in den Armaturenkasten und drückte dazu einen Knopf, neben dem keine Beschriftung stand. Dann stürzte der Fahrstuhl eine kleine Ewigkeit lang in die Tiefe, und als sich die Tür wieder öffnete und Jurij unsanft hinausgestoßen wurde, traute er seinen Augen nicht. Im Keller des Hotels befand sich eine perfekt eingerichtete Milizstation mit allem Drum und Dran, und gleich dort, man wartete schon auf ihn, wurde er verhört. Was er mit der Deutschen zu schaffen gehabt habe, wie oft er sich mit Ausländern getroffen hätte, mit wem er unter einer Decke stecke, ja genau, für wen er arbeite. Ob er nicht reden könne.
Was sollte er da wohl noch reden? Kontakte mit kapitalistischen Ausländern und Valutakriminalität (von Prostitution und Spionage war glücklicherweise nicht weiter die Rede): Es sah nicht gut aus für Jurij Trofimowitsch Krolik, den leichtfüßigsten Tänzer seiner Klasse und Liebling, wenn nicht der Götter, so doch aller Elevinnen.
Nur an Zufall hat Jurij eben nie ganz glauben mögen. Denn es war doch merkwürdig, wie es ausgerechnet an diesem Tag bei ihm nicht hatte klappen wollen, als hätte er schon etwas gespürt, als hätte ihm das Schicksal einen Fingerzeig gegeben, sich ihm sozusagen in seinem Schwanz geoffenbart. Und es wäre doch auch ein schlechter Witz, wenn er für nichts und wieder nichts zweieinhalb Jahre am Polarkreis hätte verbringen müssen. Denn zwischen ihm und dieser Frau ist nichts gelaufen, sein Glück scheint ihn an dem Tag, zu der Stunde, verlassen zu haben. Also muß er es wiederfinden, muß sie wiederfinden. Das hat er sich geschworen, gleich damals schon, aber seit dem 20. Mai 1991, seitdem der Oberste Sowjet endlich das lang ersehnte Reisegesetz in Aussicht gestellt hat, ist es ihm vollends zur fixen Idee geworden. Seitdem hat er auf den 1. Januar 1993, den Tag, an dem das Gesetz in Kraft treten sollte, zugelebt, und gleich am 4. Januar hat er in der Schlange gestanden und seinen Paß beantragt, und bald schon ist er losgejuckelt, Schnee hin, Schnee her, in einem noch älteren Lada als damals, einer Schrotttkarre, bei der die Reifen die ganze Fahrt über nach innen einzuknicken drohten, was sie schließlich auch taten, aber zum Glück erst kurz vor Berlin. Eine tolle Fahrt ist es trotzdem gewesen, er hat gesungen, und sein Fuß hat im Takt auf dem Gaspedal gewippt, es ist ihm überhaupt nicht lang geworden; und wie es allmählich heller und heller wurde, je weiter er sich von Moskau entfernte. Das hatte aber nichts Mystisches an sich, das lag einfach an der nach Westen zunehmenden Straßenbeleuchtung; und Besiedelung. Polen erschien ihm in geradezu unfaßbar gleißendes Licht getaucht, doch da hatte er natürlich den Kurfürstendamm noch nicht gesehen. Den kennt er inzwischen wie seine Westentasche, auf dem Ku’damm hat er sich herumgetrieben und en passant das nötige Reisegeld für den Flug nach Hamburg verdient. Den hat er sich gegönnt, er will nicht wie ein Tramp in Hamburg auftreten. Und hier hockt er nun, und morgen, oder übermorgen, wird er anfangen, sie zu suchen. Und wird sein Recht fordern und das ihm Zustehende nachholen. Ah, Vera, Vera Fischlein-Kutzmutz, dieser Name ist sein Talismann geworden. Es kann doch wohl nicht so schwer sein, sie zu finden. Wie der Mann hieß, weiß er sogar auch noch, von dem hat sie ihm damals auch erzählt. German hieß er – »German is gappier«, hat er die ganzen Jahre über gedacht –, aber wer weiß, ob die beiden überhaupt noch zusammen sind. So etwas kann sich ändern, und ändert sich auch täglich, ja stündlich.
Und jetzt ist erst einmal er dran. Er streckt seine Beine und Arme aus und dehnt sich gründlich, alle Gliedmaßen sind eingeschlafen, da müßte es doch auch seinem Hirn bald gelingen. Und dann legt er sich auf den struppigen Badezimmerläufer und deckt sich mit dem Bademantel seines Freundes zu, denn er braucht eine Decke, auch wenn es heiß ist; dann schläft er endlich ein, Jurij Trofimowitsch Krolik, der Lover, der aus der Kälte kam.