Retro sind wir einfach cooler - Andreas Malessa - E-Book

Retro sind wir einfach cooler E-Book

Andreas Malessa

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Beschreibung

Gibt es die perfekte Beifahrerin? Oder Beweise für männliche Mitarbeit im Haushalt? Wie lange dürfen erwachsene Kinder nicht bemuttert werden, obwohl sie es wollen? Woran merkt man die eigene Verschrullung? Alterstypische Pleiten, Pech und Pannen im Haushalt, Urlaub, Garten und Ehrenamt, in der Ehe und der Kirche. Intelligent selbstironisch erzählt aus dem realsatirischen Alltag des - natürlich völlig untypischen - Ehepaars Roswitha und Wolf-Rüdiger. Sehr lange schon sehr glücklich, die beiden!

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Seitenzahl: 58

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Über den Autor

Andreas Malessa, Jahrgang 1955, seit über vier Jahrzehnten verheiratet, Theologe und Hörfunkjournalist, hat sich in jährlich rund 90 Vortragsveranstaltungen und rund 20 Büchern den Ruf als scharfsinnig humorvoller Beobachter des Menschlich-Allzumenschlichen erworben.

Inhalt

Passwörter und Identität

„Gesundheit!“

Fünf vor Dreiviertelacht

„Ich will ihm eine Gehhilfe machen“

Hör mal, mein Hörgerät

„… haben ohne ihr Wissen Engel beherbergt“

Gülden leuchten Jubiläen

Es appt langsam ab

Zu Hause am schönsten

Quasimodo Geniti

Was Ohren genießen

Wie ein Bär oder wie ein Baby?

Zerstreutheit und Verschrullung

Am Spielplatz weder Netz noch Bank

Was soll das heißen?!

Heimatluft-Kompressor

Mir heis zfride wie ne Moore

Schamröte bei Sommerhitze

Das „würde“ des Menschen ist unersetzbar

Namhafte Frauen

Verständigungswunderprediger

Müll-Mysterien

Wortfindungsstörungen

Alle sind gut drauf und munter

Wovon leben die?!

Ziele haben, Ziele finden

Passwörter und Identität

„Findest du, meine Handschrift verändert sich?“ Wolf-Rüdiger klang besorgt.

„Ja. Im Alter schreibt man tattriger!“ Roswithas Antwort, die wie aus der Pistole geschossen kam, brauchte dringend eine Abmilderung. „Das macht aber nix, mein Schatz“, ergänzte sie tröstend. „von Hand schreibst du sowieso nur deinen Enkeln zum Geburtstag und die können ja noch nicht lesen.“

„Die Postbank verlangt eine neue Unterschriftsprobe von mir, sonst machen sie keine Überweisungen mehr.“ Wolf-Rüdiger wedelte mit einem dreiseitigen Fragebogen.

„Ach, das sind nur Schikanen, um ältere Kunden von handschriftlichen Überweisungsträgern zum Online- und Telefonbanking zu drängen“, vermutete Roswitha.

Ihr Mann seufzte. Dauernd sollte er beweisen, dass es ihn gab, dass er noch lebte, dass er bei Sinnen war.

Im Laufe der Jahre hatte Wolf-Rüdiger die Passwörter und PIN-Codes für das Onlinebanking, sein Smartphone, zwei Kreditkarten, eine EC-Karte, die Bahncard sowie etwa zehn Bonus- und Rabattkundenkarten diverser Versandhäuser gut verteilt und versteckt. „Passwörter gehören nicht in die Geldbörse“, mahnte Roswitha, „und nicht an den Bildschirm des Rechners!“

Ebenso sicher versteckt waren die Passwörter und Zahlenkombinationen für den Erwerb von Fahrkarten im Internet, das Buchen von Billigflügen und das Einloggen in die WLAN-Netze der Wohnungen seiner Kinder. Diebstahlsicher deponiert waren auch die Zugangscodes zu elektronisch gespeicherten Versicherungs- und Kaufverträgen sowie zu notariellen Dokumenten ums Sterben und Vererben.

Die Frage war nur: Wo? Wo hatte er all diese Zettel „hinterlegt“?

In einem Haushalt, der gelegentlich von Enkeln im Kindergartenalter heimgesucht wird, gibt es natürlich gar keine entdeckungsfreien Verstecke. Jede Zahl und jeder Zettel hatten schon mehrere Male den Aufbewahrungsort gewechselt.

„Passwort vergessen? Klicken Sie hier.“ Wie oft hatte sich Wolf-Rüdiger schon neue Passwörter schicken lassen. Hatte beim Aufklappen rätselhafter Fenster voll rätselhafter Fragen an das Sprichwort gedacht: „Mit Microsoft arbeiten ist wie U-Boot fahren. Öffne ein Fenster und die Panik bricht aus.“

Wie oft hatte er sich engelsgeduldig mit detaillierten Personaldaten neu angemeldet, um dann zu lesen, dass all dies ja nur „zum eigenen Datenschutz“ geschehe.

„Der Schutz meiner Privatsphäre ist dermaßen zeitraubend, dass kaum noch Zeit für Privatsphäre bleibt“, brummte er und bat Roswitha beim Ausfüllen des Identifizierungs-Fragebogens der Postbank um Hilfe. „Meinst du, ein Graphologe analysiert meine Handschrift und erstellt dann ein psychologisches Gutachten über meine Zurechnungsfähigkeit?“

„Wenn die Banker noch ganz zurechnungsfähig wären, würden sie ihre Kundenbetreuung nicht den Algorithmen überlassen“, murmelte Roswitha grimmig. „Ich sage nur: William Shakespeare.“

Wolf-Rüdiger verstand nicht.

„Der lässt den Hamlet im Theater fragen: Muss das sein oder muss das nicht sein?“ Sie kicherte.

„Ich dachte, es heißt ,seins oder nicht seins‘?“ Auch Wolf-Rüdiger hatte eine Prise Humor zurückgewonnen.

„Du bist nicht so fit im Internet wie die Cyberhacker“, flüsterte Roswitha liebevoll. „Aber deine Handschrift, die hat was, finde ich: was richtig Charaktervolles.“

„Gesundheit!“

Wenn Wolf-Rüdiger niesen muss, rollt der Ausbruch dieses Reizes langsam heran.

Erst juckt es nur beiläufig unter den Wangenknochen. Dann ein Britzeln und Kitzeln an der Nasenwurzel. Schnappatmung durch den Mund setzt ein, er kneift Augen und Nasenflügel zusammen und für drei unheilvolle Sekunden bleibt es dabei. Die berühmte „Ruhe vor dem Sturm“. Dann es kracht es, wie der Donner eines Sommergewitters. Eine Explosion. Ein akustischer Weltuntergang. Bei Wolf-Rüdiger jedenfalls.

„Das Demütigende am Kranksein ist ja nicht die Krankheit an sich, sondern der Kontrollverlust“, sagte Meike etwas schmallippig. Sie saßen im Hauskreis beieinander.

„Ich bin nicht krank.“ Wolf-Rüdiger putzte sich die Nase und war ein bisschen beleidigt. „,Männergrippe‘ – dieses Wort enthält die spöttische Unterstellung, Männer seien meist kerngesund, aber gerne wehleidig.“

„Gesund ist eh nur, wer noch nicht ausreichend untersucht wurde“, sprang ihm Meikes Mann Konstantin bei. „Irgendwas hat jeder, Schnupfen zum Beispiel.“

Wolf-Rüdiger nieste ein zweites Mal, krachend wie immer. „Gesundheit!“, schallte es jetzt im Chor zurück.

Soll sich die neunmalkluge Meike doch an ihrer Apfelschorle verschlucken, dachte Wolf-Rüdiger. Ihr danach lang anhaltendes Hick, Hick, Hick, ihr penetranter Schluckauf, ist doch auch eine Art Kontrollverlust, oder nicht?

„Früher galt es als vornehm, Schnupftabak vom Handrücken einzuatmen, um die Nase angenehm zu reizen“, murmelte Wolf-Rüdiger wie zur Entschuldigung.

„Das war das legale Koksen des alten Bürgertums“, schüttelte Meike den Kopf. „Helmut Schmidt hat das auch gemacht und obendrein Kette geraucht!“

„Ist aber trotzdem relativ gesund 97 Jahre alt geworden“, gab Roswitha zu bedenken, „und der Geruch wurde überall toleriert.“

Konstantin, der heimlich geraucht hatte, verzog das Gesicht, als müsse er eine Drahtbürste verdauen. „Menschen, die Gluten und Lactose gut vertragen, richten ihre Intoleranzen ersatzweise auf andere Menschen“, brummte er grimmig.

Roswitha wollte die gereizte Stimmung entspannen und schaute durchs Wohnzimmer nach draußen. „Ihr habt einen Ginkgobaum auf der Terrasse?“

„Ja“, rief Meike stolz, „der gesündeste und resistenteste Baum, den es gibt. So einen hat Goethe in Weimar gepflanzt.“

„Der ist so unerschütterlich gesund, weil alles an ihm giftig ist. Für Schädlinge jedenfalls“, fügte Konstantin hinzu.

„Aber wenn’s ein weiblicher Ginkgo ist und sie im Herbst gelbe Früchte abwirft, wird es hier nach Buttersäure stinken wie die Sau“, warnte Wolf-Rüdiger und putzte sich die Nase.

Seine Frau unternahm einen letzten Versuch, das Gespräch in freundlichere Bahnen zu lenken und eine dankbare, christlich-geschwisterliche Atmosphäre zu verbreiten.

„Ich finde es ein wunderbares Geschenk unseres Schöpfers, dass wir das Wichtigste an unserem Körper gar nicht kontrolliert steuern können“, rief Roswitha in die Runde.

„Gefühle!“, nickte Meike.

„Männliche Gefühle wie Hunger zum Beispiel!“, stimmte Wolf-Rüdiger zu.

„Nein, drei Milliarden Herzschläge und 700 Millionen Atemzüge in einem 80-jährigen Leben zum Beispiel. Macht ein gesunder Körper einfach so.“

Fünf vor Dreiviertelacht

Das war Lilianes Antwort auf die Frage: „Wann müssen wir los?“

Tante Lilli, wie die Kinder früher sagten, war Roswithas Schwester.

Wolf-Rüdiger hatte sie mal Freunden gegenüber als „meine bayrische Schwägerin“ vorgestellt. Vor vielen Jahren. Bis seine Beziehung zu ihr wieder repariert war – aber das dauerte, wie gesagt, viele Jahre – erklärte sie ihm gerne und ausführlich die Unterschiede zwischen Oberschwaben, schwäbischem Allgäu und Westbayern. Da, wo Tante Lilli lebt, ist „fünf vor Dreiviertelacht“ eine völlig eindeutige Bezeichnung für 7.40 Uhr. Oder 19.40 Uhr. Je nachdem …

„Wann müssen wir los?“, hatte Roswitha ihren Mann gefragt. Ihn, eigentlich nur ihn! „Gleich“, hatte er geantwortet, aber seine Schwägerin fügte präzisierend hinzu: „Fünf vor Dreiviertelacht, wegen der Baustelle.“