Rettungskreuzer Ikarus 1 - 10: Die Feuertaufe (und 9 weitere Romane) - Dirk van den Boom - E-Book

Rettungskreuzer Ikarus 1 - 10: Die Feuertaufe (und 9 weitere Romane) E-Book

Dirk van den Boom

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Beschreibung

Es sind wilde Zeiten ... ... in einer fernen Zukunft, in der sich die menschliche wie alle anderen Zivilisationen endgültig von den Auswirkungen einer längst vergangenen, in den Köpfen bereits völlig verblassten Katastrophe erholt haben. Handel und Forschung, politische Ränkespiele und die Grenzenlosigkeit der Möglichkeiten scheinen das Leben aller Wesen in der bekannten Galaxis zu bestimmen. In den Randgebieten des erforschten Weltraums, in die sich die diversen Sternenstaaten noch nicht richtig vorgewagt haben, erledigen die systemumspannenden Konzerne sowie die freie Handelsorganisation des Raumcorps die Erschließung und Nutzung der Ressourcen. Doch die Gefahren sind oft größer als der potentielle Nutzen und nicht immer lässt sich das Risiko vorher abschätzen. Immer dann, wenn jemand einen Schritt zu weit gemacht, eine Situation falsch eingeschätzt hat oder das Schicksal auf völlig unvorhergesehene Art und Weise zuschlug, ist Hilfe notwendig – schnell, effektiv und mit der Bereitschaft, sich selbst in die gleiche Situation zu bringen, der die Hilfesuchenden zum Opfer gefallen sind. Dann ist es Zeit für die Mannschaft des Rettungskreuzers Ikarus, die Kastanien aus dem Feuer zu holen ... Dieses eBook enthält Band 1 bis 10 der Science-Fiction-Serie RETTUNGSKREUZER IKARUS. 01: Die Feuertaufe, Dirk van den Boom 02: Das weiße Raumschiff, Dirk van den Boom 03: Der Gott der Danari, Sylke Brandt 04: Die Spielhölle, Irene Salzmann 05: Requiem, Dirk van den Boom 06: Konvoi, Martin Kay 07: Netzvirus, Sylke Brandt 08: Das Janus-Elixier, Irene Salzmann 09: Ser'Tak City-Blues, Dirk van den Boom 10: Aufstand der Toten, Dirk van den Boom

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Inhalt

Impressum

Band #001: Die Feuertaufe

Prolog

Band #002: Das weiße Raumschiff

Prolog

Band #003: Der Gott der Danari

Prolog

Band #004: Die Spielhölle

Prolog

Band #005: Requiem

Prolog

Epilog

Band #006: Konvoi

Prolog

Band #007: Netzvirus

Prolog

Band #008: Das Janus-Elixier

Prolog

Band #009: Seer’Tak City-Blues

Prolog

Band #010: Aufstand der Toten

Prolog

Atlantis Verlag

Impressum

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Oktober 2018 Alle Rechte vorbehalten. © Dirk van den Boom & Thorsten Pankau Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Klaus G. Schimanski Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-625-6 Die Romane in diesem Band sind auch einzeln als Paperback und E-Book überall im Handel erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Band #001: Die Feuertaufe

Prolog

Es sind wilde Zeiten …

… in einer fernen Zukunft, in der sich die menschliche wie alle anderen Zivilisationen endgültig von den Auswirkungen einer längst vergangenen, in den Köpfen bereits völlig verblassten Katastrophe erholt haben. Handel und Forschung, politische Ränkespiele und die Grenzenlosigkeit der Möglichkeiten scheinen das Leben aller Wesen in der bekannten Galaxis zu bestimmen. In den Randgebieten des erforschten Weltraums, in die sich die diversen Sternenstaaten noch nicht richtig vorgewagt haben, erledigen die systemumspannenden Konzerne sowie die freie Handelsorganisation des Raumcorps die Erschließung und Nutzung der Ressourcen. Doch die Gefahren sind oft größer als der potenzielle Nutzen und nicht immer lässt sich das Risiko vorher abschätzen. Immer dann, wenn jemand einen Schritt zu weit gemacht, eine Situation falsch eingeschätzt hat oder das Schicksal auf völlig unvorhergesehene Art und Weise zuschlug, ist Hilfe notwendig – schnell, effektiv und mit der Bereitschaft, sich selbst in die gleiche Situation zu bringen, der die Hilfesuchenden zum Opfer gefallen sind. Dann ist es Zeit für die Mannschaft des Rettungskreuzers Ikarus, die Kastanien aus dem Feuer zu holen …

Der gedrungen wirkende Mann in der samtschwarzen Robe blickte wie teilnahmslos in den Saal hinunter. Die zahlreichen Stuhlreihen waren so gut wie leer, nur auf den vordersten Plätzen hockten einige Marinepiloten in ihren Ausgehuniformen und starrten blicklos auf den erhobenen Richtertisch, hinter dem Seine Exzellenz Ruben Deurack soeben Platz nahm. Die hervorspringende Adlernase in die Akte gesenkt, die er vor sich aufgeschlagen hielt, lugte er über den Rand einer völlig antiquierten Brille auf den Angeklagten, Captain Roderick Sentenza, der neben seinem Verteidiger auf der Anklagebank saß und bewegungslos die Verkündung des Urteils erwartete. Sentenza machte eine gute Figur in der tadellosen Uniform der Raummarine, doch war seinem Gesicht anzusehen, dass er innerlich von dieser Uniform bereits Abschied genommen hatte. Sein Verteidiger beugte sich hinüber und flüsterte etwas Ermutigendes, was von Sentenza ohne Reaktion vernommen wurde.

Ruben Deurack räusperte sich.

»In der Sache Admiralität gegen Captain Roderick Sentenza hat die Militärgerichtsbarkeit der Marine in letzter Instanz ein Urteil gefällt. Nach eingehender Befragung aller Zeugen, den Plädoyers von Anklage und Verteidigung, der Durchsicht aller relevanten Unterlagen und den Einlassungen des Angeklagten persönlich, komme ich, Ruben Deurack, bestallter höchster Richter des Militärgerichtshofes der Raummarine, zu folgenden Urteilen: Erstens, zur Anklage wegen grober Fahrlässigkeit im Dienst und fahrlässiger Vernachlässigung der Dienstobliegenheiten: Schuldig im Sinne der Anklage. Zweitens, zur Anklage wegen mutwilliger Zerstörung von Marineeigentum: Schuldig im Sinne der Anklage. Drittens, zur Anklage wegen mutwilliger Gefährdung des Lebens von Untergebenen: Schuldig im Sinne der Anklage. Viertens, zur Anklage wegen Vertuschung und Behinderung der polizeilichen Ermittlungen: Schuldig im Sinne der Anklage.«

Seine Exzellenz hielt inne und warf erneut einen prüfenden Blick auf Captain Sentenza. Dieser hatte den Ausführungen des Richters mit bewegungsloser Miene zugehört und zeigte auch jetzt keine emotionale Reaktion. Der Richter nahm die Akte wieder auf und las weiter.

»Bei der Zumessung des Strafmaßes hat das Gericht die außerordentlichen Verdienste des Angeklagten im Kampf gegen die Raumpiraterie und die Abwehr der sidiranischen Invasion auf Ronus III berücksichtigt. Da der Angeklagte sich außerdem erwiesenermaßen in einer besonderen Stresssituation befand und seine Personalakte ansonsten tadellos ist, wird folgende Strafe gegen ihn verhängt. Erstens, die Gesamtschäden in Höhe von 16,5 Millionen Galaktischen Krediten sind vom Angeklagten in angemessener Ratenzahlung zurückzuerstatten. Zweitens, der Angeklagte wird unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Er wird aller Pensions- und Versorgungsansprüche für verlustig erklärt. Sämtliche Ordens- und Ehrenzeichen werden ihm aberkannt. Gemäß den Bestimmungen des Militärstrafrechtes wird ihm jedoch weder seine Pilotenlizenz noch sein Kapitänspatent aberkannt. Drittens, dem Angeklagten wird untersagt, jemals wieder ein im staatlichen Dienste stehendes Raumfahrzeug mit mehr als 20 Mann Besatzung zu führen. Viertens, dem Angeklagten wird jede Rückkehr in den Militärdienst untersagt. Fünftens, der Angeklagte wird zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt, von denen vier auf Bewährung ausgesetzt werden. Die Bewährungsfrist beträgt zehn Jahre. Die beiden Jahre, die der Angeklagte in Untersuchungshaft verbracht hat, werden ihm angerechnet. Dementsprechend ist der Angeklagte unter den üblichen Bewährungsauflagen auf freien Fuß zu setzen.«

Ruben Deurack sah erneut auf.

»Hat der Angeklagte vor Inkraftsetzung des Urteils noch etwas zu sagen?«

Captain Roderick Sentenza schüttelte unmerklich den Kopf.

»Dann ist das Urteil hiermit rechtskräftig. Gegen ein letztinstanzliches Urteil des Höchsten Militärgerichts kann keine Berufung eingelegt werden, es unterliegt ausschließlich kaiserlichem Pardon. Wünscht der Angeklagte kaiserliches Pardon anzurufen?«

Wieder ein fast nicht sichtbares Kopfschütteln.

Richter Deurack lächelte befriedigt.

»Dann ist die Verhandlung hiermit geschlossen.«

Er schlug die Akte zu, starrte erneut über den Rand der vorsintflutlichen Sehhilfe auf den Angeklagten und gestattete sich wieder ein befriedigtes Lächeln. »Sentenza«, erklärte er mit sonorer Stimme, »Sie sind mächtig gut weggekommen mit diesem Urteil, wissen Sie das?«

Sentenza erhob sich wortlos und blickte den Richter einige Sekunden schweigend an. Dann senkte er den Kopf.

»Um ehrlich zu sein, Euer Ehren«, ließ er kaum hörbar vernehmen, »wäre es mir lieber gewesen, wenn Sie mich zum Tode verurteilt hätten.«

Damit wandte er sich um und verließ den Raum.

Der Richter blickte ihm nachdenklich hinterher. Dieser Mann ist so bestraft, dass keine irdische Gesetzgebung dem auch nur ansatzweise hätte etwas Gleichwertiges dazugeben können, dachte er bei sich. Er blickte dem Captain noch einen Augenblick nach, dann hob er den nächsten Aktendeckel und seufzte.

Er hatte noch einen langen Arbeitstag vor sich.

Captain Sentenza verließ das Gerichtsgebäude, ohne noch einen Blick hinter sich zu werfen. Er hatte für seinen Verteidiger kein Wort des Dankes übrig, obwohl dieser sich redlich für seinen Mandanten eingesetzt hatte. Auf der Treppe vor dem Gerichtsgebäude standen einige Offiziere, die auf ihn warteten, doch er ließ sie links liegen, ihre verwunderten Blicke schien er nicht zu spüren und ihr ratloses Schulterzucken ließ ihn kalt. Er überquerte die Straße, ohne auf den Verkehr auf den Laufbändern zu achten, er rempelte Leute an, die er gar nicht wahrnahm. Er war völlig in sich gekehrt, eine innere Leere hatte sich in ihm breitgemacht. Womit er diese Leere füllen sollte, das war ihm völlig unklar und genauso wenig, wie er das wusste, schien er seine Schritte nach einem Plan und in eine bestimmte Richtung zu lenken.

So irrte er eine halbe Stunde durch die Gegend, ohne sich zu orientieren. Als er eine helle Leuchtreklame vor sich erkannte, hielt er einen Augenblick inne, öffnete eine Tür und setzte sich an eine Bar. Der Barkeeper musterte die weiße Uniform stirnrunzelnd, aber sagte nichts weiter. Der neue Gast stierte auf die Getränkekarte an der Wand und hob seine rechte Hand. Er wies auf den unteren Teil der Karte, auf dem die harten Spirituosen aus allen bekannten Planeten standen. Die Bar war bestens sortiert, es fehlte an nichts. An diesem Abend lernte Captain Sentenza die gesamte Kollektion kennen. Seine innere Leere konnte er damit nicht füllen. Doch das Bewusstsein darüber war erfolgreich betäubt.

So endete die Offizierskarriere Captain Sentenzas.

Dr. Jovian Anande saß mit verschränkten Armen vor dem Monitor und las medizinische Daten ab. Der Mann hinter ihm blickte streng über seine Schulter. Die beiden Bewaffneten im Hintergrund des Raumes starrten beunruhigt auf den großen Tank mit der Nährlösung, in dem ein undefinierbares Etwas schwamm.

Es war kalt.

»Nun, vielleicht erklären Sie mir mal, was Sie hier eigentlich tun!«, klang die sonore Stimme des stehenden Mannes auf. Fjodor Perusko war der Generaldirektor von Holy Spirit Medics, des größten Pharmakonzerns auf St. Salusa, und er war nicht durch Milde und Gutmütigkeit in so jungen Jahren auf diesen Posten gelangt. Dr. Anande hob die Schultern und drückte einen Knopf. Das Licht, das auf den Tank schien, wurde intensiver. Einzelheiten wurden erkennbar. Eine der beiden Wachen rang sich ein Stöhnen ab.

»Es handelt sich um einen ins Tausendfache vergrößerten Embryo der Kant’takki. Er produziert pro Stunde drei Liter Denirin, was einen Reingewinn von 1,2 Millionen Krediteinheiten pro Tag bedeutet.«

Perusko beugte sich vor, um Anande ins Gesicht zu sehen. Das asketisch wirkende Antlitz des Mediziners zeigte keine erkennbare Regung, während auf Peruskos Stirn Schweiß glänzte und er merklich um seine Beherrschung rang.

»Ich will einmal versuchen zu verstehen, was hier passiert ist«, stieß er hervor. »Sie haben seit drei Jahren unerlaubte Experimente in diesem Labortrakt durchgeführt, ohne die Direktion davon in Kenntnis zu setzen. Dann bekomme ich eine Meldung, nach der die Denirin-Produktion unseres Konzerns sich innerhalb eines Monats verhundertfacht hätte. Das ist ja erst mal eine gute Nachricht, denn dieses Mittel wird als Gegengift zur Denir-Seuche in der ganzen Galaxis begehrt. Und als ich anfange nachzuforschen, stoße ich auf Sie – und auf die Tatsache, dass Sie einen Embryo durch genetische Manipulation auf das Tausendfache vergrößert haben und ihn als Produktionsmaschine für Denirin missbrauchen.«

Dr. Anandes Gesicht blieb völlig ausdruckslos.

»Ein Embryo, gewiss. Kant’takki-Embryos sind natürliche Denirin-Produzenten, allerdings in sehr kleinen Mengen und nur in den ersten drei Wochen ihrer Existenz. Es gelang mir, das Wachstumshormon zu isolieren und die DNS zu verändern, was zu einem volumenmäßigen Wachstum ohne Entwicklung führte. Dadurch konnte ich die Denirin-Produktion deutlich erhöhen. Der Embryo besitzt kein Bewusstsein …«

»Das«, fuhr Perusko dazwischen, »ist eine Ansicht, die ein Kant’takki nicht teilen würde. Sie kennen die spirituellen Überzeugungen dieses Volkes. Und Sie wissen, dass die Kant’takki zu unseren besten Kunden gehören. Einem Konsortium gehören 10 % unserer Aktien. Ein Kant’takki sitzt in unserem Aufsichtsrat. Anande! Wir sind auf St. Salusa! Erzählen Sie mir nicht, dass Sie nicht ahnen können, was passiert, wenn dieses Experiment an die Öffentlichkeit gerät! Schon jetzt fragen mich Leute, wie wir die Denirin-Produktion so haben steigern können, wo doch der normale Prozess sündhaft teuer und wenig ertragreich ist! Was soll ich antworten?«

Anande zuckte mit den Schultern. Er hob eine knochige Hand und fuhr sich über die Stirn.

»Lügen Sie, Perusko, wie Sie es immer tun. Halten Sie das hier geheim. Ich bin nur der Wissenschaftler.«

Perusko holte tief Luft. »Anande, genau das werde ich tun. Ich werde es geheim halten. Ich werde es außerdem unterbinden. Dieses Labor wird zerstört. Der Embryo wird von seinem Leid erlöst. Dieser Vorgang hat nie stattgefunden.«

Das erste Mal zeigte Anande so etwas wie eine Gefühlsregung.

»Das können Sie nicht machen!«, sagte er mit erregtem Unterton. »Ich kann damit Tausenden das Leben retten!«

»Nein, Sie tun gar nichts mehr!«, erklärte der Generaldirektor bestimmt. »Sie werden mir alle Unterlagen übergeben und dann werden Sie Dr. Norton zugeführt.«

Anande erstarrte. Dr. Jesehiah Norton leitete die chirurgische Abteilung des Konzerns. Er war Fachmann für Lobotomie. Man würde seine Erinnerungszentren im Gehirn ausbrennen und all das vernichten, was mit diesem Experiment zu tun hatte. Und wahrscheinlich noch viel mehr.

Anandes weiße, kleine Narbe auf seinem sonst hellbraunen Gesicht begann zu zucken. Das war das deutlichste Zeichen seiner Erregung. Er wollte sich erheben, als ihn harte Fäuste ergriffen und in Handschellen zwangen. Die Wachen hatten ihn fest im Griff.

»Warum tun Sie mir das an!«, rief Anande laut.

Perusko starrte ihn kalt an. »Anande, Sie sind vielleicht ein Genie. Und was ich hier gesehen habe, lässt es mich fast glauben. Doch Sie haben zwei ganz wesentliche Fehler begangen, mein Freund, und diese Fehler lassen sich nicht wiedergutmachen!«

»Welche Fehler?«, stieß Anande aus.

»Sie haben Geld der Firma ausgegeben, ohne dass ich davon erfuhr. Sie haben ein Experiment gemacht, das gegen die Firmenpolitik verstößt. Das sind Kardinalfehler …«

»Ich breche das Experiment sofort ab!«

»Ja, das werden Sie. Ich sorge dafür.«

»Ich werde an einem anderen Projekt arbeiten – auch unter direkter Kontrolle! Aber bitte nicht die Lobotomie!«

Perusko schüttelte verächtlich den Kopf. »Anande, Sie verstehen gar nichts. Sie haben es zu weit getrieben und ich habe nicht genug aufgepasst. Ein falsches Wort von Ihren Lippen und meine Karriere ist am Ende. Ich trage die Verantwortung!«

»Ich werde nichts sagen!«, versicherte Anande und wand sich im stahlharten Griff der Wachleute. Perusko sah den Arzt und Wissenschaftler sinnierend an.

»Sicher, genauso wird es sein. Sie werden nichts sagen, weil ich dafür sorgen werde, dass Sie sich an nichts erinnern. Sicherheit, mein Bester, ist mein oberstes Motto. Sie werden meine persönliche Sicherheit nicht gefährden.«

Der Konzernchef beugte sich über den zunehmend die Beherrschung verlierenden Gefangenen. »Anande, es geht gar nicht um Sie. Sie sind mir egal. Es geht nur um mich!«

Damit waren die Wachen entlassen.

Perusko überließ nichts dem Schicksal. Der Säuberungstrupp seiner Spezialgarde vernichtete das Labor vor den Augen Anandes, der fassungslos der Zerstörung seines Lebenswerkes zuschaute. Dann führten ihn die Wachen ab, durch die unterirdischen Gänge der Konzernzentrale bis in das Labor Dr. Nortons. Er wurde in einem sterilen Operationssaal auf einen Tisch geschnallt, sodass kein Risiko eingegangen wurde. Dr. Norton kam mit einem freundlichen Lächeln auf ihn zu, die flehentlichen Bitten seines »Patienten« ignorierend. Fast als wolle er nur einen Blinddarm operieren, plauderte er angenehm vor sich hin. Er hörte dem sich in den Fesseln aufbäumenden Mann gar nicht zu. Anande bekam noch mit, wie ihm der Kopf kahl rasiert wurde, dann erhielt er eine schmerzhafte Injektion. Das freundlich lächelnde Gesicht Dr. Nortons verschwamm vor seinen Augen. Sein Widerstand erlahmte. Sein Körper erschlaffte.

Er versank in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Er realisierte nicht, wie sein Gehirn gescannt, die Schädeldecke geöffnet wurde. Er spürte nichts vom harten Schnitt des Laserskalpells, das von Dr. Norton fachmännisch und ohne emotionale Bewegung angesetzt worden war. Er spürte nicht, wie ihm Teile seines Gehirns fein säuberlich ausgebrannt wurden. Als seine Erinnerungen zusammen mit den Ganglien aus seinem Kopf entnommen wurden, lag er immer noch in einem bodenlosen Nichts. Als er erwachte, verspürte er nicht einmal Kopfschmerzen. Er stand mit einem Scheck über drei Monatsgehälter und seiner Kündigung vor dem Hauptgebäude des Konzerns und kratzte sich verwirrt am Kopf.

Er konnte sich nicht erinnern, was passiert war. Er beschloss, nach Hause zu fahren und sich etwas auszuruhen.

Leider merkte er erst in seinem Gleiter, dass er völlig vergessen hatte, wo er eigentlich wohnte.

So endete die medizinische Karriere von Dr. Jovian Anande.

Das Feuer brannte in hellweißer Glut. Der Schein spiegelte sich auf dem glatten Plast des Raumhelmes, hinter dem das verbissene Gesicht von Chief Sonja DiMersi nur undeutlich zu erkennen war. Der Feuerschein kam von den Resten des Fusionsmeilers der Oremi, das Raumboot des Freien Raumcorps trieb ohne aktives Triebwerk am Rand des Orinaar-Systems führerlos durch das Weltall. Neben Chief DiMersi lag die verkrümmte Leiche des Triebwerkstechnikers, der den Atombrand bemerkt hatte, aber nicht mehr rechtzeitig in den Raumanzug gekommen war, sein völlig verstrahlter Körper lag hinter der dünnen Schutzwand, die zwar die Hitze, jedoch nicht die mörderische Radioaktivität abgehalten hatte. Das automatische Löschsystem funktionierte nicht und mit dem Handlöschgerät hatte Sonja DiMersi den Atombrand nur kurz aufhalten können, die Kettenreaktion konnte durch die chemische Verbindung nur eingeschränkt, jedoch nicht gestoppt werden; nichts, nicht einmal das Vakuum, konnte sie beenden.

Im Helmfunk des schweren Strahlenschutz-Raumanzuges hörte sie die hektischen Befehle des Kommandanten. Die Besatzung war sofort nach dem Alarm in die Anzüge gesprungen und, nachdem das katastrophale Ausmaß des Schadens im Maschinenraum offensichtlich war, in die Beiboote gestürzt. Nur noch eine Rettungskapsel war übrig geblieben und von draußen hörte Sonja die Stimme des Captains, der sie aufforderte, die sinnlosen Bemühungen einzustellen und sofort die Kapsel aufzusuchen.

Sonja DiMersi dachte nicht daran. Mit einem Ruck warf sie das entleerte Handlöschgerät fort, griff sich ein zweites. Der dünne Nebel legte sich über die weiße Glut, die sich durch die Wände fraß, und schien sie für einen Augenblick einzudämmen. Doch das war eine Illusion. Der Brand griff nach dem Leichnam des Technikers und ließ ihn in Sekundenschnelle auflösen. Sonja machte einige Schritte zurück. Der Anzug machte sie schwerfällig und das Dosimeter mit der Strahlenmessanzeige zeigte schon viel zu lange rote Werte. Doch das war ihr egal, denn sie hatte beschlossen, mit dem Schiff zu sterben. Die Löschanlage war außer Betrieb gewesen, weil sie, die Chefingenieurin des Raumbootes, die Zeit über Tage vertrödelt hatte. Sie hatte alles getan, um die notwendigen und langweiligen Reparaturen zu verzögern. So hatte sie lieber mit den anderen Mitgliedern der reichlich heruntergekommenen Mannschaft gepokert oder schlechte Holostreifen angeschaut, in der Zuversicht, dass schon nichts passieren würde.

Eine trügerische Zuversicht, wie sie jetzt feststellen musste. Ein Toter, drei Verletzte und wahrscheinlich eine bis übers Limit verstrahlte Mannschaft, das war die Bilanz ihrer Nachlässigkeit. Sie würde dafür bezahlen müssen und genau das hatte sie jetzt vor.

»Sonja!« Die Stimme brach hart aus den Lautsprechern in der Innenseite ihres Helms.

Sonja zuckte zusammen. Es war die Stimme des Captains gewesen, und da sie so klar war, musste er ins Schiff zurückgekehrt sein.

»Captain, verschwinden Sie von Bord!«, presste Sonja hervor und bearbeitete den Auslöser des Löschgerätes. »Das Schiff ist in etwa 20 Minuten ausgebrannt. Die Strahlungswerte sind enorm!«

»Ich habe noch nie ein verdammtes Besatzungsmitglied verloren, auf keinem der Seelenverkäufer, die ich je kommandiert habe!«, war die kategorische Antwort. Sonja blickte rasch über ihre Schulter zurück. Die Gestalt des Captains erschien im Glanze des Atombrandes. Er winkte ihr zu.

»Beeilen wir uns, damit wir rechtzeitig zur Kapsel kommen!«

»Nein, Captain, ich werde hierbleiben!«, meinte Sonja fest und warf das nutzlos gewordene Löschgerät fort. Suchend blickte sie sich nach einem neuen um, doch dann trat der Captain vor ihr Gesicht. Sein Gesicht war eine Fratze hinter der Sichtscheibe des Helms. Sonja starrte auf das Dosimeter. Der Captain war so gut wie tot, denn er trug nur einen normalen Raumanzug, keine Spezialanfertigung wie sie.

Die Schuld, die in ihr aufstieg, wirkte wie ein Betäubungsmittel. In Trance wanderten ihre Hände an der Wand entlang auf der Suche nach einem Löschgerät. Sie ertastete eines und richtete es mechanisch auf die sich ausbreitenden Gluten. Dann spürte sie die Hand des Captains auf ihrem Arm.

»Ich habe noch nie ein Besatzungsmitglied verloren!«, hörte sie die beschwörende Stimme des Mannes durch den Helmfunk. »Ich werde mit dieser Tradition nicht brechen, auch wenn es mein Leben kosten sollte.«

»Aber ich bin schuld an dieser Katastrophe!«, brach es aus Sonja heraus. Mit verbissener Verzweiflung schickte sie den Sprühnebel gegen die helle Glut, die sich unbeeindruckt weiter nach vorne fraß. »Ich bin schuld!«

Der Captain umklammerte ihren Arm umso fester.

»Das ist mir im Augenblick völlig egal!«, stieß er hervor. Sein Griff wurde schwächer. »Jetzt geht es nur noch um mich! Ich habe einen Ruf zu verlieren! Du wirst verflucht noch mal in diese Rettungskapsel steigen oder ich werde aus der Hölle emporsteigen und dich bis ins Jenseits verfolgen. Entweder du kommst jetzt mit oder du wirst mich nie wieder los!«

Sonja ließ sich vom Captain den Gang entlang zur Rettungskapsel führen. Das weiße Lohen des Atombrandes folgte ihr unerbittlich, als wolle eine Nemesis sich vergewissern, dass sie auch ja das Schiff verließ und auf immer an das erinnert wurde, was sie angerichtet hatte. Reine, schiere Nachlässigkeit.

Mühsam schleppten sich beide in die Kapsel. Der Captain warf sich auf eine der gepolsterten Liegen, sein Atem ging stoßweise. Er hatte so viel Radioaktivität abbekommen, dass Sonja ihren Schutzanzug nicht auszuziehen wagte. Die Bewegungen des Mannes waren schwach und fahrig, sein Blick irrlichterte in der Kabine umher. Sonjas Hand fiel auf den Auslöser, mit einem heftigen Ruck schleuderten die Zündpatronen die Kapsel vom Schiffskörper der Oremi fort. Durch das Lukenfenster starrte Sonja auf das brennende Wrack des kleinen Schiffes, das für die letzten sechs Jahre ihre Heimat gewesen war. Dann wandte sie sich um und blickte in die toten, gebrochenen Augen des Captains. Er musste in dem Moment gestorben sein, als sich die Kapsel vom Schiff gelöst hatte. Sein Mund stand halb offen. Die Haut blätterte von seinem Gesicht ab. Sein gebrochener Blick war nicht einmal anklagend, fast wirkte er triumphierend.

Sonja hob ihre Hand nicht, um den Helm zu öffnen und seine Augen zu schließen, die auf die Decke der Kapsel zu starren schienen.

Sie saß minutenlang da und prägte sich das strahlenzerfressene Gesicht ihres Retters ganz genau ein. Jede Kleinigkeit brannte sich in ihrem Gedächtnis ein und jedes Detail suchte sie mit ihrem Blick ab. Sie hatte das Versprechen des Captains noch genau im Ohr, Wort für Wort. Nun würde sie dafür sorgen, dass er aus ihrer ganz persönlichen Hölle immer wieder hervorkam und sie ihr Leben lang nicht in Ruhe lassen würde. Als das tote, gequält wirkende Gesicht ihr ganzes Blickfeld einzunehmen schien und sich in ihr Bewusstsein, das ganze Denken eingeprägt hatte, um sie unauslöschlich für den Rest ihres Daseins zu begleiten, schloss sie die Augen – erst die des Toten, dann die eigenen.

Danach lehnte sich Sonja DiMersi zurück und hörte, wie Notsignale die Kapsel verließen. Als die Medotechniker Stunden später das Fahrzeug öffneten, befand sie sich bereits in einem katatonischen Zustand, wie ein Kleinkind in sich hineingerollt auf dem Boden liegend. Sie trugen die Frau in die Intensivabteilung, doch von einigen Strahlenschäden abgesehen war sie unverletzt. Nur ihr Haar, das einstmals kastanienbraun gewesen war, schimmerte nun in einem klaren, reinen Weiß.

Sie würde für über sechs Monate nicht aufwachen.

So endete die Ingenieurskarriere von Sonja DiMersi.

Das verfallen wirkende Gebäude von Prototype Inc. machte von außen genauso wenig her wie von innen. Die Wände waren dreckig, die Farbe abgeblättert. Die wenigen Plastwände sahen mitgenommen aus, fleckig und angegriffen. Das schummrige Licht der Neonröhren flackerte und die automatischen Türen waren alle offen, da sie nicht mehr funktionierten. Die Werkhalle war verlassen, den Großteil der Maschinen hatte der Konkursverwalter mitgenommen, um mit dem Verkauf die Gläubiger befriedigen zu können. Darius Weenderveen saß zusammengesunken auf einem Sessel vor den Resten seiner Firma und musterte zwei Männer, die vor ihm standen. Interessierte Kunden, die sich am Ausschlachten der Firma beteiligen wollten. Alles, was Weenderveen jetzt verdiente, gehörte ihm, denn mit den guten Maschinen hatte er seine Verbindlichkeiten begleichen können. Obgleich der Firmengründer von Prototype Inc. einen verzweifelten Eindruck machte, war er doch bestrebt, so viel wie möglich aus diesem Desaster herauszuholen – und wenn es das Letzte war, was er als Geschäftsmann in seinem Leben erreichte.

Prototype Inc. war sehr hoffnungsvoll gestartet, eine junge Firma, die Einzelanfertigungen von Arbeitsdroiden herstellte, ganz auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden abgestellt. Keine Massenware, keine Einheitsform, alles in Handarbeit und sorgsam geprüfter Qualität. Weenderveen hatte damit eine Marktlücke entdeckt und sie genutzt: In den ersten drei Jahren seiner Geschäftstätigkeit konnte er Umsatz und Profit jedes Jahr verdreifachen. Bald beschäftigte er 35 Robotiker und Techniker in seiner kleinen Werkshalle. Dann war eines Tages ein Vertreter von Robotics Syndicate an ihn herangetreten mit einem verlockenden Übernahmeangebot. Die Summe hätte ihn über Nacht zu einem der reichsten Männer dieses Planeten gemacht, doch er hatte abgelehnt: Er wollte es den großen Konzernen zeigen und beweisen, dass er gegen sie bestehen konnte.

Welch eine Hybris.

Ein Jahr später hatte das Syndikat eine eigene Baureihe semiindividueller Droiden auf den Markt gebracht, mit zwar einheitlicher Grundform, aber dahingegen sehr individueller und persönlicher Ausstattung und multiplen Fähigkeiten – und das zu einem günstigen Preis. Einem Preis, den Weenderveen nicht hatte unterbieten können. Nach einem weiteren Jahr musste er Konkurs anmelden. Trotz dieses Tiefschlages hielt ihn sein Stolz noch aufrecht und dieser Stolz funkelte auch noch in seinen Augen, als er die beiden Männer betrachtete, die sich halb interessiert, halb gelangweilt in den Resten seiner Produktionsstätte umsahen.

»Viel ist ja nicht mehr übrig geblieben«, erklärte einer mit gerunzelter Stirn. Er trug die Tätowierung des Freien Raumcorps, einer Organisation von Reedereien und Kapitänen, die formell staatenlos waren und Aufträge ausführten, die normale Handelslinien nicht erfüllen konnten. Dazu benötigten sie manchmal auch etwas ausgefallenes Material, und als sie vom Ende der Firma gehört hatten, waren sie bald hier aufgetaucht.

»Ja, die Sahnestücke sind fast alle an die Gläubigerbanken gegangen«, erklärte Weenderveen trocken und machte eine ausholende Handbewegung. »Ich kann Ihnen nicht mehr viel anbieten. Einige elektronische Werkbänke, einen Haufen Möbel, ein paar Computerterminals – und insgesamt drei Prototypen, für die sich niemand mehr interessiert hat. Die Besteller sind abgesprungen, als ich die Garantieleistung nicht mehr übernehmen konnte.«

Der andere Mann, mit hoher Stirn und intelligenten Augen, hob die Augenbrauen. »Drei Prototypen? Die hätte ich gerne mal gesehen.«

Weenderveen erhob sich und führte seine Gäste in den kleinen Lagerraum, der ebenfalls fast völlig leer geräumt war. In einer Ecke, neben allerlei technischem Gerümpel, standen drei humanoid geformte Droiden, offensichtlich deaktiviert.

»Hier sind sie – alles Qualitätsarbeit und alle voll funktionsfähig.« Der Stolz in Weenderveens Stimme war kaum zu überhören. »Ich selbst war zu meinen besten Zeiten einer der fähigsten Robotechniker und ich habe immer nur die Besten eingestellt.«

»Welche Funktionen haben diese Maschinen?«, erkundigte sich der Tätowierte.

»Dieser hier ist ein Sexspielzeug mit variabler Innenausstattung. Er ist hermaphroditisch und kann sich allen Wünschen individuell anpassen. Ein Bordell in Seer’Tak-City hatte ihn geordert. Ich verkaufe ihn für 34 000 Kredite!«

Der Tätowierte grinste. »Nein, danke. Was haben Sie noch?«

»Dieser hier ist ein persönlicher Hausdiener. Koch, Gärtner, Raumpfleger, Gesellschafter – er kann 12 Musikinstrumente spielen und Gedichte vortragen. Die Bestellung einer ziemlich dekadenten Adelsfamilie von Merios III. Ich denke, für 25 000 Kredite ein gutes Geschäft.«

»Aber kein Bedarf. Und die letzte Einheit?«

Der dritte Android war von außen wie ein junger, athletischer Mann gebaut. Die Visagisten hatten ihm ein angenehmes, Vertrauen erweckendes Gesicht modelliert. Er trug einen uniformähnlichen Overall und wirkte sehr dynamisch.

»Ein Navigator. Eine kleine Reederei wollte auf ihren diversen älteren Schiffen keine neuen Einrichtungen einbauen und fragte nach einem mobilen Navigator, der gleichzeitig angemessen mit Passagieren interagieren könne. Er kann nicht nur Schiffe bis zur Klasse IV fliegen, er ist auch ein perfekter Steward, wurde für Rettungsmissionen programmiert und hat grundlegende Nahkampffähigkeiten erhalten. Er hat ein automatisches Übersetzungssystem und seine Sternkartenbank ist ebenso vollständig wie alle Veröffentlichungen zum Thema Raumrecht, derer ich habhaft werden konnte. Ich bin bereit, mich für 55 000 Kredite von ihm zu trennen.«

Der Tätowierte starrte sinnierend auf die Maschine. Er warf seinem Begleiter einen kurzen Blick zu, dieser nickte knapp.

»Und wie sieht es mit Ersatzteilen und der Wartung aus?«

Weenderveen zuckte mit den Schultern. »Na ja – wie ich schon sagte, es handelt sich durchgängig um Einzelanfertigungen. Es gibt kaum standardisierte Bauteile. Ich kann Ihnen weder Garantie noch Wartung bieten. Sie bekommen alle Baupläne und die wenigen vorhandenen Ersatzteile – das ist alles.«

Der Tätowierte schwieg einen Moment. »Aber Sie könnten die Einheit reparieren?«

Weenderveen reckte sich. »Ich habe sie konstruiert!«

»Dann mache ich Ihnen dieses Angebot: Ich kaufe den Droiden für 30 000 Kredite und biete Ihnen einen Job beim Freien Raumcorps an. Das dürfte mehr sein, als Sie in Ihrem Leben noch erwarten dürften.«

Weenderveen verbarg seine Überraschung und tat, als müsse er überlegen. Doch seine Entscheidung war längst gefallen. Erst wollte er aber noch mehr wissen. »Was für ein Job genau ist das?«

Der Tätowierte lächelte. »Ein ebenso spannender wie interessanter Job – und einer, der einem auch noch ein gutes Gefühl gibt.«

Weenderveen blickte den Mann misstrauisch an. »Mehr wollen Sie nicht sagen?«

»Mehr kann ich nicht sagen. Es hält Sie aber später niemand davon ab, wieder auszusteigen. Wenn Sie also keine Anstellung brauchen …«

Weenderveen zögerte nicht länger. »Ich denke, dass wir uns einig sind«, erklärte er schließlich. Er reichte dem Tätowierten die Hand und blickte sich noch einmal in der Werkhalle um. Sie war für Jahre des Glücks wie der Verzweiflung seine Heimat gewesen. Er hatte das unbestimmbare Gefühl, dass die neue Herausforderung vor ihm ihr eigenes Quantum an Glück und Verzweiflung bereithielt. Doch Darius Weenderveen hatte beim besten Willen nichts zu verlieren.

So begannen Arthur Trooids und Darius Weenderveens Karrieren beim Freien Raumcorps.

Sally McLennane saß völlig unbewegt in ihrem Sessel hinter dem wuchtigen, imposant wirkenden Schreibtisch. Ihre stechenden Augen musterten die beiden vor ihr sitzenden Männer mit herablassender Sympathie und ihre ätzende Stimme schien jedes Molekül im Raum einzuschüchtern, wenn sie sie erhob. Die hagere Gestalt in der zu weit geschnittenen Uniform hielt sich kerzengerade und der harte Zug um die Mundwinkel der Chefin der Rettungsabteilung sprach Bände. Sally McLennane war eine Chefin, mit der nicht zu spaßen war, und in der Tat hatte kaum jemand sie jemals lächeln gesehen.

Sie galt als rücksichtslos und heimtückisch, wenn es um die Durchsetzung ihrer Interessen ging. Glücklicherweise war die Rettungsabteilung des Freien Raumcorps ihr Interesse, sodass sie ihre Charaktereigenschaften weniger an ihren Untergebenen als vielmehr in der Chefetage des Raumcorps wirken ließ. Niemand konnte sich erklären, warum sie dafür noch nicht entlassen worden war, da sie sich einiges erlauben konnte. Gerüchte besagten, sie sei einst ebenfalls in den höchsten Ebenen des Raumcorps an verantwortlicher Stelle tätig gewesen, jedoch aufgrund eines Zwischenfalles in Ungnade gefallen.

Seitdem leitete sie die gerade neu gegründete Rettungsabteilung, die zurzeit aus ihr, einem pensionierten Corpscaptain namens Losian und dem Chefarzt der Medostation der Corpszentrale, Dr. Saldor Ekkri, bestand. Beide Männer saßen nun vor ihr und hatten Computerpads auf den Knien.

»Nun, meine Herren«, erklang die befehlsgewohnte Stimme Sallys. »Sie hatten einige Zeit, sich vorzubereiten. Ich darf Ihnen sagen, dass man unser Budget erneut gekürzt hat, wir können nur mit den notwendigsten Mitteln arbeiten. Vielleicht beginnen Sie, Losian.«

Der Mann mit der Tätowierung des Raumcorps straffte sich. »Wir haben von der Redirischen Sternenwerft einen ausgemusterten Leichten Kreuzer der Redirischen Raumflotte erwerben können, recht günstig. Das Schiff ist nie ernsthaft in einen Konflikt geraten, wir konnten uns davon überzeugen, dass die Hülle in gutem Zustand ist. Technisch ist es völlig veraltet, doch das Design bestens für die Umbauten zum Rettungskreuzer geeignet. Einige Modifikationen werden natürlich notwendig sein – ich denke mal, wir werden innerhalb des Budgets damit fertig werden.«

McLennane nickte befriedigt. »Wie sieht es mit der Mannschaft aus?«

Losian räusperte sich. »Nun ja … da wir sehr enge finanzielle Rahmen haben und das meiste Geld in den Umbau des Schiffes gehen wird, dürfte klar sein, dass wir … nun … nicht gerade erstklassiges Material vorweisen können.«

Sallys verbitterte Miene wurde noch um eine Spur düsterer. »Wem erzählen Sie das … Wen haben Sie gefunden?«

»Als Navigator einen Droiden, einen Prototypen einer Firma, die jüngst Bankrott gegangen ist. Wir haben den Konstrukteur gleich als Wartungstechniker mit eingekauft, er scheint da vielseitig begabt zu sein.«

»Ein Droid? Na gut, warum nicht. So machen wir’s. Wen noch?«

Dr. Ekkri hob die Stimme. Sie klang sowohl sanft wie auch fesselnd.

»Als Captain haben wir jemanden namens Roderick Sentenza eingekauft. Er war Mitglied der Raummarine des Kaiserlichen Imperiums und hat offenbar einen bösen Fehler begangen – jedenfalls verlor er sein Kommando. Wir haben ihn in seiner Stammkneipe aufgegabelt, er war volltrunken. Wir mussten erfahren, dass er seit seiner Verurteilung vor einem Jahr Alkoholiker geworden ist. Dementsprechend konnten wir ihn auch nicht um Erlaubnis fragen – nun ja, unsere Leute haben ihn shanghait. Er liegt seit drei Tagen in der Blutwäsche und ich gebe ihm die angemessenen Psychopharmaka. Er ist so gut wie trocken.«

»Und, wird er mitmachen?«

Losian lächelte. »Für ein Kommando würde er seine rechte Hand geben!«

McLennanes Gesicht war anzusehen, was sie von der personellen Wahl hielt. Doch blieb ihr kaum eine Wahl.

»Bordarzt?«

»Dr. Jovian Anande. Promovierter Biologe und Mediziner. Arbeitete für Holy Spirit Medics auf St. Salusa, war dort in ein illegales Experiment verstrickt. Er wurde konzernintern gehirngemolken und dann auf die Straße gesetzt. Er hat einige Schäden davongetragen, seine fachliche Qualifikation steht jedoch außer Zweifel. Wir sind uns über seine charakterlichen Eigenschaften nicht im Klaren, aber er hat den Vertrag unterschrieben und wir werden ihn im Auge behalten.«

»Na fein. Wir haben da ja eine illustre Mannschaft. Chefingenieur?«

Losian blickte auf seinen Computerpad.

»Sonja DiMersi, Kategorie 1. Sie arbeitete zuletzt auf einem Raumfrachter des Corps, der auf den freien Linien verkehrte. Sie machte einen Fehler und das Schiff wurde zerstört, zwei Tote, mehrere Verletzte. Sie lag ein halbes Jahr im Koma, bis sie daraus geweckt wurde, trägt jedoch einen gigantischen Schuldkomplex mit sich herum. Als sie hörte, was für eine Stelle wir ihr anbieten, hat sie sofort zugesagt – wahrscheinlich will sie etwas gutmachen. Außerdem hat uns der Vorfall die Notwendigkeit der Rettungsabteilung verdeutlicht: Die Besatzung wurde von einem Rettungskreuzer der Wingha aus dem All gefischt. Sonst hätte keiner überlebt.«

Sally nickte knapp. Dann erhob sie sich und öffnete die Nebentür zu ihrem Büro.

»Mit diesem Besatzungsmitglied wären wir dann komplett, meine Herren. Darf ich Ihnen Thorpa vorstellen, der Xenopsychologe der Mission.«

Losians und Dr. Ekkris Augen wanderten zur Tür. Herein trat ein filigran wirkendes Wesen, das wie ein wandelnder Strauch aussah. In der Mitte war so etwas wie ein stärkerer Stamm erkennbar, von dem eine Vielzahl von Gliedmaßen abgingen. Das Wesen bewegte sich auf wurzelähnlichen Pseudopodien fort.

»Sie haben einen Pentakka für uns gewinnen können?«, fragte Dr. Ekkri überrascht. »Das ist wirklich eine Bereicherung unserer Mannschaft!«

Der Pentakka deutete eine Verbeugung an.

»Es freut mich sehr, dass Sie dieser Auffassung sind«, klang es aus seinen Sprachmembranen. Pentakka waren in der Lage, jedwelchen Laut, auch im Ultraschallbereich, zu erzeugen und galten als Kommunikationskünstler. »Es freut mich ebenfalls sehr, mein Lebenspraktikum auf Ihrem Schiff durchführen zu können.«

Ekkri wurde blass. »Praktikum sagten Sie?«

Sally hatte sich derweil wieder hingesetzt.

»Nun, ein voll ausgebildeter Pentakka wäre unbezahlbar gewesen«, erklärte sie mit süffisantem Lächeln. »Wir haben daher diesen Studenten des zweiten Jahres für uns gewinnen können. Er sieht es als echte Herausforderung an!«

Thorpa raschelte mit seinen Gliedmaßen.

»Ich versichere Ihnen, dass ich ein sehr nützliches und produktives Mannschaftsmitglied sein werde. Meine Lieblingsspezies seit der xenobiologischen Grundschulung in der Schule waren die Humanoiden. Sie sind leicht berechenbar, denken einfach und verfügen über einen eingeschränkten geistigen Aktionsradius. Ich werde mich sehr leicht auf die Arbeitsweise meiner Kollegen einstellen können, es wird keine Anpassungsprobleme geben.«

Für einige Sekunden herrschte Schweigen.

Dr. Ekkri schluckte trocken. »Das ist ja sehr beruhigend«, presste er hervor. Angesichts der Tatsache, dass das Studium der Xenopsychologie für die langlebigen Pentakka in der Regel zwölf Jahre dauerte, war ein Student im zweiten Jahr tatsächlich eine Herausforderung für sich.

»Nun gut, wir haben eine Mannschaft, wir haben ein Schiff und all das wird in etwa vier Wochen einsatzbereit sein«, erklärte Captain Losian. »Jetzt sollten wir unserem ersten Corps-Rettungskreuzer auch einen Namen geben!«

Losian blickte Sally McLennane erwartungsvoll an.

Die grinste sardonisch. »Angesichts dieser Mannschaft und der Umstände, unter denen wir arbeiten, dürfte die Bezeichnung Ikarus angemessen sein!«, meinte sie bestimmt.

Losians Begeisterung hielt sich in Grenzen, während Dr. Ekkris Kenntnisse über terranische Sagen zu unvollständig waren, um die Schicksalsdrohung, die in dem Namen steckte, voll erfassen zu können.

»Ikarus also«, meinte der Chefarzt und erhob sich. »Die Notaufnahme meiner Klinik auf Vortex Outpost ist jedenfalls bereit. Ich werde selbst die Leitung übernehmen. Wir können die Arbeit also aufnehmen!«

»Ja«, bestätigte Sally grimmig und blickte ins Leere. »Und wir werden mehr Erfolg haben, als uns so mancher zutraut oder wünscht!«

Losian warf Ekkri einen bedeutungsvollen Blick zu, den dieser zurückgab. Der Pentakka spürte förmlich, dass es noch ein Hintergrundthema gab, das wie eine bedrohliche Wolke im Schatten dieser letzten Äußerung lag. Trotz seiner Neugierde hielt er sich zurück, denn er spürte deutlich, dass eine jede Frage zu diesem Zeitpunkt unpassend, ja fast schon gefährlich war. Er sah die beiden Männer an und wie sie den Mund zusammenkniffen.

Sally gab keine weiteren Erläuterungen.

Sie ließ offen, wen sie genau mit ihrer Aussage meinte.

Und keiner wagte zu fragen.

Vortex Outpost war eine kleine Wartungsstation, die um eine ersterbende rote Sonne kreiste. Sie war vor gut 20 Jahren eingerichtet worden, als klar wurde, dass in diesem Bereich der Galaxis die Handelswege vor allem des Freien Raumcorps eine zunehmende Bedeutung erlangten. Die charakteristische 5D-Strahlung des Roten Riesen machte das Vortex-System zu einem Orientierungspunkt für Raumschiffe, die das System daher regelmäßig anflogen. Vortex Outpost war als Einrichtung des Raumcorps für alle Kunden offen und bestand aus einem schlanken, runden Stationskörper, der auf seiner Spitze einen großen Diskus trug. Die Station verfügte über eine Wartungswerft mit einer beachtlichen Instandsetzungskapazität, einen Erholungsbereich, einen kleinen Wohnbereich, die technischen und administrativen Abteilungen sowie eine gut ausgebaute Krankenstation. Die ständige Besatzung bestand aus 35 Angehörigen des Raumcorps, außerdem hatten sich etwa 200 weitere Bewohner hier häuslich niedergelassen, die meisten davon Handelsagenten oder Mitarbeiter von Niederlassungen großer Firmen, die auf Vortex Outpost ihre Waren verkauften. Die Projektionen der Corpsprognostizisten sagten aus, dass Vortex Outpost in den nächsten hundert Jahren seine Kapazität würde verdreifachen müssen, um der wachsenden Bedeutung der Region gerecht zu werden. Generell ging man davon aus, dass die strategisch günstige Position der Station für die zukünftigen Geschäfte des Corps nicht zu unterschätzen sei.

Ein Grund mehr, das erste Schiff der neuen Rettungsabteilung auf Vortex Outpost zu stationieren.

Die Mannschaft erhielt einen eigenen Bereich zugeteilt, in unmittelbarer Nähe der Schleusenstationen, in denen die Zubringerboote für alle jene Raumfahrzeuge lagen, die zu groß waren, als dass sie sinnvoll an die Station andocken konnten. Die Ikarus gehörte in diese Kategorie. Die Krankenstation war bereits vorher durch Dr. Ekkri um eine große Notaufnahmeabteilung erweitert worden und zusätzliches Fachpersonal war eingetroffen. Sie waren nicht unmittelbar der Rettungsabteilung zugeordnet, Vortex Outpost wäre ohnehin ausgebaut worden. Doch so konnte das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden werden und Sally McLennane, die ihr Hauptquartier ebenfalls auf der Station aufschlug, musste die Kosten minimieren und den Nutzen maximieren. Vortex Outpost war der ideale Standort dafür. Außerdem schien es, als sei die Corpsleitung über diese Entscheidung ebenfalls sehr glücklich gewesen, denn das bedeutete, dass Sally 116 Lichtjahre vom Corps-HQ entfernt stationiert werden würde. Und dies schien den Verantwortlichen ausgezeichnet in den Kram zu passen.

Der kleine Besprechungsraum war karg ausgestattet. In der Mitte stand ein Kommunikationstisch mit Holoprojektor und Computerterminals. Um ihn herum eine Reihe von Sesseln, an der Wand Zeitpläne, Diensttabellen und technische Blaupausen. In einer Ecke stand ein Versorgungsautomat, der Getränke und Snacks bereitstellte. Eine Tür führte in den Unterkunftsbereich der Rettungsabteilung, eine andere direkt in den Hangar, der die Ikarus schnell ins Weltall katapultieren konnte, da das Schiff auf einer energetischen Startanlage ruhte. Der Raum war mit Menschen voll besetzt: Captain Sentenza saß am Kopfende und starrte in die Runde, als könne er nicht glauben, wieder über eine Mannschaft zu präsidieren. Seit er die Blutwäsche des Alkoholentzugs hinter sich und eine psychische Grundreinigung erhalten hatte, erinnerte nur noch wenig an die völlig heruntergekommene Person, die Corpsleute in einer schäbigen Raumhafenbar aufgelesen hatten. Sentenza war hagerer geworden und seine Gesichtszüge schärfer, doch hielt er sich aufrecht und kontrolliert. Sein Blick taxierte jedes Mitglied seiner Mannschaft genau, der Captain war die personifizierte Aufmerksamkeit. Keine Geste, keine Mimik, kein Wort, und sei es noch so leise, entging ihm. Es war offensichtlich, dass er, was immer zu seinem Prozess und der Verurteilung geführt hatte, nicht zu wiederholen gedachte.

Dr. Anande saß unruhig auf einem Sessel und spielte mit seinen Händen. Von der ruhigen, fast stoischen Persönlichkeit, die er einmal gewesen war, war nicht mehr viel übrig. Er wirkte unsicher, lächelte fahrig, seine Finger in ständiger Bewegung. Die Corpsleute hatten auch ihn in bemitleidenswerter Lage aufgegriffen, ohne Erinnerung an wichtige Teile seines Lebens, mit nur noch knappen Finanzmitteln ausgestattet, arbeitete er als Assistenzarzt in einer kleinen xenomedizinischen Krankenstation und versuchte, seine offenbar vorhandenen umfangreichen Kenntnisse irgendwie mit seinem Lebenslauf in Einklang zu bringen, was ihm jedoch nie recht gelingen wollte. Das Angebot des Corps kam da wie gerufen, Anande sah diese Herausforderung nicht zuletzt als Möglichkeit, mehr über sich selbst zu erfahren und zu erkennen, welche Möglichkeiten er besaß. In gewisser Hinsicht war der Mediziner auf der Suche.

Chief DiMersi machte einen ähnlichen Eindruck wie der Captain, doch in ihr war eine starke, innere Unruhe erkennbar. Sie wirkte wie ein in den Bogen gespannter Pfeil, jederzeit bereit, aufzuspringen und ihren Dienst zu beginnen, um eine Schuld abzuzahlen, die sie niemals begleichen konnte. Das Angebot des Corps, eine neue Stelle anzunehmen, hatte sie nicht erwartet. Doch als sie erfahren hatte, worum es sich handelte, hatte sie keinen Augenblick gezögert. Das Bild des verstorbenen Captains, der sie aus der Oremi geholt hatte, lag immer wieder wie ein Schleier über ihr, wenn sie sich zu entspannen suchte. Seitdem suchte sie keine Entspannung mehr, sondern nur eine Chance, das Schicksal zu besänftigen. Ihre schlohweiße Haarpracht trug sie kurz geschnitten, aber ohne Färbung, sie trug ihre Frisur wie einen Schutzschild vor sich her: Seht, was ich durchgemacht habe – aber sprecht nicht darüber! Sie würdigte ihren Teamkollegen keines Blickes.

Arthur Trooid, der robotische Navigator und Mädchen für alles, saß mit einem freundlichen, sympathischen Lächeln am anderen Ende des Tisches, dem Captain gegenüber. Er unterhielt sich ebenso leise wie angeregt mit seinem Konstrukteur, der als Bordtechniker dem Chief zur Hand gehen sollte, jedoch von DiMersi mit völliger Nichtachtung bestraft wurde. Weenderveen war sehr schnell nach der Einführung zu dem Schluss gekommen, es hier mit einer sehr seltsamen Truppe zu tun zu haben, eine Einschätzung, die ohne Zweifel auch nicht ganz abwegig war. Er hatte sich jedoch gefügt, als ehemaliger Chef eines Unternehmens wusste er, Leute zu nehmen und eher an ihre Potenziale zu denken. Er akzeptierte Sentenzas Autorität und Erfahrung, DiMersis Sachverstand und inneren Antrieb, Anandes überragende Fähigkeiten und seine Nachdenklichkeit über ihre Herkunft und schließlich seine eigene Unerfahrenheit. Weenderveen hielt sich im Hintergrund und wartete ab.

Thorpa schließlich stand in einer Ecke neben dem Versorgungsautomaten und beobachtete nur. Für ihn war diese Gruppe von Humanoiden mit sehr unterschiedlicher Vergangenheit ein ideales Forschungsgebiet und er hatte sein neues Praktikum mit großer Energie begonnen. Er registrierte jede Bewegung, die Mimik, die gesprochenen wie die nicht gesprochenen Worte, die Spannungen und die Motivationen aller Beteiligten und begann, für sich erste Psychogramme seiner Schiffskollegen zu erstellen. Bereits kurz nach ihrer ersten Begegnung hatte er Files erstellt und ein Tagebuch zu führen begonnen. Er hatte keinen Zweifel an seinen Fähigkeiten und ließ sein Selbstbewusstsein zu jedem passenden und unpassenden Zeitpunkt deutlich werden. Dass er trotzdem von der Mannschaft akzeptiert wurde, lag wohl im Wesentlichen an seinem Eifer sowie an der trockenen Art, in der er seine Vorträge hielt, nur seine gestelzte Ausdrucksweise ging den meisten auf die Nerven.

Es war Dr. Ekkri, der Leiter der Krankenstation auf Vortex Outpost, der jedes Gespräch zum Verstummen brachte, als er den Besprechungsraum betrat. Er betrachtete alle Beteiligten kurz und nickte ihnen freundlich zu, ehe er das Wort ergriff.

»Meine Damen und Herren, nachdem Sie nun drei Monate durch unser Trainingsprogramm gegangen sind, hatten Sie Gelegenheit, nicht nur sich selbst, sondern auch Ihr Schiff besser kennenzulernen. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass nach Durchsicht aller Trainingsunterlagen einer offiziellen Indienststellung der Ikarus nichts mehr im Wege stehen dürfte. Das Raumcorps hat damit die Aufnahme unserer Arbeit offiziell abgesegnet und«, Ekkri warf einen Blick auf seine Uhr, »ab sofort beginnt unser Bereitschaftsdienst.«

»Wann starten wir?«, stieß Chief DiMersi hervor. Die Ankündigung hatte ihre innere Anspannung nur noch verstärkt. Sie presste ihre Fäuste um die Sesselgriffe, sodass die Gelenke weiß hervortraten.

Dr. Ekkri musterte die Frau prüfend.

»Früh genug, Chief. Wir haben die Flugleitungen im Einflussbereich von Vortex Outpost über unsere Indienststellung berichtet, sodass Notrufe direkt an uns weitergeleitet werden. Wir werden bald mehr als genug zu tun haben, da machen Sie sich mal keine Sorgen.«

DiMersi entspannte sich unmerklich.

Captain Sentenza ergriff das Wort. »Der Doktor hat recht. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, uns noch etwas auszuruhen. Ich habe einen Dienstplan ausgearbeitet. Natürlich müssen wir alle rund um die Uhr einsatzbereit sein, doch werden wir uns in eine aktive Wache und eine Freiwache aufteilen. Wir haben außerdem eine Vereinbarung mit dem Rettungskreuzer der Pronth-Hegemonie in unserer Nähe getroffen, sodass wir auch Freizeit haben werden. Die Leute des Pronth-Schiffes sind auch froh, mal frei haben zu können.«

»Ich benötige keine Freizeit«, knurrte DiMersi in sich hinein.

Der Captain warf ihr einen scharfen Blick zu.

»Wenn Sie sich nicht bisweilen schonen, Chief, werden Sie nur überreizt und erschöpft sein und Fehler machen!«

Das saß. DiMersi zuckte unter den Worten des Captains zusammen. Sie sank zurück und starrte betroffen auf den Tisch.

Sentenza schlug sofort einen versöhnlichen Ton an. »Ich weiß, was Sie empfinden«, erklärte er.

»Ja? Tun Sie das? Niemand hat uns je erzählt, was zu Ihrem Austritt aus der Raummarine geführt hat!«, erwiderte DiMersi. »Es wäre wohl jetzt an der Zeit.«

Sentenza schüttelte den Kopf.

»Diese Entscheidung treffe immer noch ich. Gibt es sonst noch etwas?«

Niemand hatte daraufhin etwas vorzubringen. Der kurze Schlagabtausch zwischen dem Captain und DiMersi hatte nur einen der feinen Risse aufgezeigt, die zwischen der Mannschaft verliefen. Thorpa war sich nicht sicher, ob diese Risse sich als psychologische Sollbruchstellen entpuppen würden, die die Zusammenarbeit erheblich behindern würden. Er erkannte deutliche Rivalität zwischen dem Captain und dem Chief und beschloss, auf diese Entwicklung in jedem Falle ein Auge zu haben.

Alle zogen sich in die Unterkünfte zurück. Der erste Noteinsatz würde früh genug kommen, da hatte Dr. Ekkri tatsächlich recht. Und vorläufig gab es nichts mehr zu sagen …

Das energetische Startgerüst wurde von den Reaktoren noch mit Energie vollgepumpt, als die Besatzung bereits vollständig an Bord war. Während Sentenza die Kontrollen überprüfte, hatten sich alle angeschnallt und warfen einen Blick auf die zentrale Holografie, die erste Daten über den Einsatz in die Zentrale des Zubringers spielte. Ein leises Rütteln zeigte, dass die Triebwerke angesprungen waren und bereit waren, das Boot auf die Ikarus zu ihrem ersten Einsatz von Vortex Outpost ins All zu katapultieren.

»Startgerüst aufgeladen!«, hörte Sentenza die Meldung Arthur Trooids, der im Pilotensessel der engen Zentralkabine saß.

Sentenza nickte knapp. »Freigabe!«

Die Andruckabsorber heulten auf, als der Schiffsleib der Ikarus vom Startgerüst geschleudert wurde. Für Sekundenbruchteile kamen Andruckkräfte durch, die den biologischen Besatzungsmitgliedern die Luft wegnahmen. Das Schiff schnellte sich fort und schwang sich mit brüllenden Triebwerken in den Orbit um die Station, in dem die Ikarus hing. Erneut kamen Andruckkräfte durch, als das Boot abbremste und in den Hangar der Ikarus geschleudert wurde. Alle Besatzungsmitglieder sprangen aus den Sesseln und eilten durch die Luke des Bootes in ihr Schiff. Sie alle würden den Start in der Zentrale miterleben, die Ikarus war ein großes, aber völlig automatisiertes Schiff, das Routineaufgaben fast alleine erledigte. Lediglich Dr. Anande eilte in seine Krankenstation. Kaum hatten alle auf der kleinen Brücke Platz genommen, da aktivierte Arthur Trooid bereits die Triebwerke, die der Zentralcomputer sofort nach Eingang der Notmeldung vorgewärmt hatte. Helle Lohen schlugen aus den Hecköffnungen, als sich das große Schiff erst bedächtig, dann immer schneller ins Weltall vorschob, auf die Bahn zum Sprungtor, das den Weg in den Hyperraum öffnen würde.

»Wir erreichen das Raumtor in zwanzig Minuten!«, erklärte Trooid gelassen. Er hatte das Schiff sicher im Griff. Die Besatzung war vorher schon zahlreiche Übungsflüge mit der Ikarus geflogen, doch dies war der erste echte Einsatz. Ein Gefühl der Spannung und Beklemmung machte sich breit. Auch Sentenza spürte, dass es für ihn nun darauf ankam, sich selbst zu beweisen, dass er ein Raumschiff führen konnte. Er spürte den pelzigen Geschmack auf der Zunge, den er seit seiner medikamentösen Entziehungskur nie mehr richtig losgeworden war. Der Geschmack würde ihn immer an seine dunkelsten Stunden erinnern, da war er sich sicher.

Die Ikarus war ein umgebauter Leichter Kreuzer, eine alte Baureihe und seit Jahren offiziell aus dem Dienst gestellt. Der lang gestreckte Leib des Schiffes endete an der Bugseite in der Hauptkugel. Mittschiffs, vor der Triebwerkssektion, waren an Auslegern die wichtigsten Hilfsmittel des Schiffes installiert. Diese wenig ästhetische, aber extrem funktionale Einrichtung enthielt nicht nur superstarke Gravitationsprojektoren, sondern auch Schleusenmodule für alle bekannten Raumschiffstypen der besiedelten Galaxis. Neben mechanischen Greifarmen und anderen Werkzeugen verfügte der Multifunktionsteil auch über externe Operatoren, ferngesteuerte Bergungs- und Arbeitsroboter, die für den Einsatz im Weltraum spezialisiert waren. Die Ikarus verfügte über Gastanks mit allen erdenklichen Luftgemischen und über Druckbehälter, die jeden atmosphärischen Druck simulieren konnten. Die kleine Krankenstation war mit modernen Geräten ausgestattet und zu ihr gehörten zwei spezialisierte Medoroboter, die Dr. Anande assistierten. Die Ikarus war in diesem Sektor das am besten geeignete Raumfahrzeug für interstellare Rettungseinsätze und nun war die Gelegenheit, dies unter Beweis zu stellen.

Sentenza überspielte den Notruf in die Medostation und in den Triebwerksraum, damit alle Besatzungsmitglieder informiert waren. Anande starrte auf den kleinen Holografen in seiner Station. Vor seinen Augen stand das verzerrte Gesicht eines Edirianers, einer Rasse von Methanatmern, die in diesem Sektor Handel trieben, jedoch ansonsten weitgehend unbekannt waren. Die unfertig wirkende Gestalt mit der grauen Haut machte einen sehr aufgeregten Eindruck. Sie stieß die Worte der edirianischen Sprache schnell und abgehackt aus, sich immer wieder umsehend, als ob sie eine Bedrohung erwarte.

Niemand hatte je den Heimatplaneten betreten, was nicht nur an der wenig einladenden Umwelt Edirias lag, sondern auch an der außerordentlichen Zurückhaltung seiner Bewohner, Besucher einzuladen. Die matriarchalische Gesellschaftsordnung der Edirianer hatte eine Tendenz zur Isolation, die nur durch eine kleine, aber aktive Handelsflotte gemildert wurde. Man sah Edirianer oft in der Galaxis, doch viel wusste man nicht über sie.

Anande konzentrierte sich wieder auf die Darstellung. Die verzerrte Übertragung zeigte das Bild eines kegelförmigen, massiv wirkenden Wesens, das dumpfe Laute ausstieß. Der Übersetzer blendete den Text der Botschaft als Untertitel ein. Er besagte nicht viel mehr, als dass ein Schiff in Raumnot war und der Hilfe bedürfe. Bevor der Hilferufende Details preisgeben konnte, war der Spruch abgebrochen. Anande ließ die letzten Sekunden noch einmal abspielen. War da nicht ein plötzlich im Hintergrund auftauchender Schatten gewesen? Die wallenden Methan- und Ammoniakdämpfe der Atmosphäre hatten keine genauen Details möglich gemacht. Doch trotzdem beschlich den Arzt ein sehr ungutes Gefühl …

Glücklicherweise hatten Corpsschiffe eine Dreieckspeilung durchführen können, sodass man die Position des Schiffes kannte. Vortex Outpost befand sich ganz in der Nähe.

Der Flug durch den Hyperraum würde keine halbe Stunde dauern.

In der Zentrale beobachtete die Mannschaft den Flug. Das Sprungtor flackerte etwas, als die Ikarus mit ungeminderter Geschwindigkeit durch die Akkretionsscheibe brach und das Kontinuum wechselte. Der Holograf fiel aus, hier gab es keine optischen Impulse, die wiederzugeben waren. Das mulmige Gefühl, als ob das Innere sich nach außen kehren würde und das bei jedem Durchbruch auftrat, hielt nicht lange an. Nur Weenderveen, der noch nicht viel Raumerfahrung hatte, lief grün an und musste sich trotz eines harten Kampfes um seine Selbstbeherrschung wieder übergeben. Sentenza wusste, dass man erst nach 500 bis 600 Durchbrüchen wirklich abgehärtet genug war, um auch direkt vor einem Sprung eine Mahlzeit zu sich nehmen zu können.

Er blickte ungerührt auf den würgenden Techniker, während er selbst einen schmackhaften Nahrungsriegel verspeiste – ein Anblick, der dem Leidenden nicht wirklich über seine Krise hinweghalf.

»Das Schiff in Not ist die Entaxa, ein Stückgutfrachter. Ein typisches Kegelschiff der Edirianer, etwa 120 Meter lang, durchschnittliche Besatzung sechs Wesen, dazu etwa 12 Wartungsdroiden. Standardbauweise, laut Datenbank auf mehreren Handelswelten registriert.« Trooids Aufzählung hatte monoton geklungen. Der Android hatte von seiner Leutseligkeit nichts spüren lassen, wenn er seinen Aufgaben nachging. Weenderveens Prototyp hatte auch während der Ausbildungsphase jede Herausforderung meisterhaft bestanden. Er war eines der wenigen Besatzungsmitglieder, mit dem Captain Sentenza von Anfang an wirklich zufrieden war.

»Ladung?«

»Nach Auskunft der Hafenmeisterei von Rebus, dem letzten Landeplatz der Entaxa, befinden sich … oh …«

»Trooid?« Sentenza beugte sich vor. Das kurze Zögern in Trooids Stimme war ein Indikator für eine schlechte Nachricht. Sentenza hatte sich mit der Sprechweise des Droiden eingehend beschäftigt, da ihm die entsprechenden Subroutinen zur Verfügung standen.

»Nun … die Ladung besteht aus 30 Somank-Kampfstieren für das Somank-Festival. Bestimmungsort ist demnach …«

»Somank, ja, ich weiß. Verdammt!« Sentenza lehnte sich zurück.

Das grüne Gesicht Weenderveens wandte sich ihm zu. »Könnte mich eventuell jemand über die Natur dieser Ladung aufklären?«, brachte er mühsam hervor. Er hatte sich so weit wieder gefangen, dass er für die anstehende Aufgabe so etwas wie Neugierde empfinden und ausdrücken konnte.

»Sicher. Auf Somank findet alle drei Jahre ein Festival statt, die einzige Attraktion dieses ansonsten tödlich langweiligen Planeten. Die Muul’haar züchten zu diesem Zwecke alle drei Jahre etwa drei Dutzend Kampfstiere, Tiere, die allein auf den Kampf ausgerichtet sind. Sie werden auf Somank gegeneinander gehetzt, was alles in allem eine recht widerliche Angelegenheit ist.«

Die Muul’haar waren ein kleines Volk am Rande der bekannten Galaxis, die als freischaffende Genetiker ein einträgliches Geschäft begonnen hatten. Da ihnen Moralvorstellungen ebenso fremd waren wie sonstige Skrupel, galten ihre Schöpfungen als … zumindest herausragend.

»Wie sehen diese Stiere aus?«, fragte der Techniker.

Trooid wandte sich ihm zu. »Jedenfalls nicht wie Stiere etwa irdischen Ursprunges. Es sind individuelle Züchtungen nach den Wünschen der größten Kampfställe. Sehr individuell. Sehr einfallsreich. Sehr tödlich.«

»Sehr gefährlich und sehr widerlich«, vervollständigte Sentenza die Aufzählung. »Dr. Anande, programmieren Sie bitte die beiden Kampfroboter. Ich befürchte, wir werden ihre Begleitung benötigen.«

Die Ikarus verfügte für Fälle wie diesen über einige Standard-Kampfmaschinen für Außeneinsätze. Sie konnten auch multifunktional als Bergungsmaschinen eingesetzt werden. Sentenza war etwas betrübt über die Tatsache, dass er sie gleich bei ihrer ersten Mission ihrem eigentlichen Zweck würde zuführen müssen.

»Wie werden diese Tiere transportiert?«, fragte der Arzt von der Medostation.

Sentenza zuckte mit den Achseln.

»Ich habe noch keinen solchen Transport beobachten können – und noch nie ein edirianisches Schiff betreten. Wir werden uns wohl überraschen lassen müssen! Ich vermute, dass es einen besonderen Ladebereich gibt. Ich vermute aber mal auch, dass die Raumnot des Schiffes ursächlich mit seiner Ladung zusammenhängt.«

»Ich hege die Befürchtung, dass diese Überraschung eher unangenehm sein wird«, orakelte Weenderveen und schürzte die Lippen. In seinen Augen stand ein erster Anklang von Furcht.

Sentenza sah das. »Keine Sorge. Sie bleiben ohnehin an Bord, der Chief wird im Zweifelsfalle die Sache im Griff haben.«

»Und Trooid?«

»Der muss wahrscheinlich mit.«

Weenderveen schwieg.

Jeder wusste, dass der ältlich wirkende Techniker und ehemalige Unternehmer ein fast väterliches Verhältnis zu der hoch spezialisierten Maschine hatte, die von ihm entworfen worden war. Es war abzusehen, dass er sich um das Schicksal Trooids mehr Sorgen machen würde als um sein eigenes. Sentenza beschloss, darauf ein Auge zu haben. Er hatte ohnehin beschlossen, auf alles ein Auge zu haben, vor allem auf den Zustand seiner Besatzung.

Den hatte er schon einmal falsch eingeschätzt, und das war ihm zum Verhängnis geworden.

Noch einmal würde ihm dies nicht passieren.

Dessen war er sich sicher.

Obgleich es so was im Weltall eigentlich nicht geben konnte, sah die Entaxa so aus, als hätte sie Schlagseite. Das mochte daran liegen, dass aus der Ortung deutlich wurde, dass das Schiff in seiner Längsachse verschoben zur Flugrichtung im All driftete oder daran, dass man gemeinhin bei havarierten Schiffen annahm, dass eine Anomalie bereits vom bloßen Augenschein her wahrnehmbar sein müsse. Tatsächlich konnte man nichts erkennen, als die Ikarus mit aufgeblendeten Scheinwerfern die Außenhaut der Entaxa ableuchtete. Sentenza beunruhigte besonders, dass man wirklich NICHTS erkennen konnte – keine Positionslichter, keine Warnlampen, kein Licht aus den kleinen, runden Bullaugen, wirklich rein gar nichts. Im Funkäther herrschte nur Rauschen und die Energieortung gab an, dass einige Notaggregate laufen würden, das Schiff aber ansonsten energetisch tot sei. Die Außenhülle sei jedoch dicht und es würde keine Atmosphäre entweichen, was angesichts des Gemisches, das die Edirianer atmeten, nicht wirklich eine gute Nachricht für die Retter war, denn es würde weiterhin schwierig sein, sich an Bord aufzuhalten.

»Wir werden reingehen!«, ordnete der Captain schließlich nach Auswertung aller wichtigen Daten an. »Von hier können wir nicht viel ausrichten. Das Team besteht aus mir, DiMersi, Dr. Anande und Trooid, dazu zwei Kampf- und ein Medoroboter.«

»Ich würde mich an dieser Expedition ebenfalls gerne beteiligen«, äußerte Thorpa und raschelte mit seinen Gliedmaßen. »Ich bin mit der Psyche der Edirianer bestens vertraut und könnte wichtige Hilfestellungen leisten! Außerdem vertrete ich die Auffassung, dass ein Außenteam immer auch psychologisch betreut werden sollte. Angesichts der Tatsache …«

»Sicher«, murmelte Sentenza, während er seinen Raumanzug überzog. »Und ich bin mit der Psyche von Somank-Kampfstieren vertraut und denke, dass Ihr Praktikum auf diese unmittelbare Erfahrung durchaus verzichten kann.«

Der Pentakka raschelte erneut. Es musste wohl so etwas wie ein kritisches Stirnrunzeln darstellen. »Ich füge mich, Captain.«

Sentenza hatte es nicht anders erwartet.

Die Mitglieder des Außenteams hatten ihre Ausrüstung griffbereit, es war nicht notwendig, sich langwierig vorzubereiten. Alle machten sich sofort auf den Weg, nachdem Trooid das Schiff in festem Abstand zu ihrem Ziel im All verankert hatte.

Zusammen mit den Mitgliedern seines Teams trat Sentenza in den kleinen Hangar des Kreuzers. Die Ikarus führte zahlreiche Beiboote unterschiedlicher Größe mit sich, die alle bestimmten Bergungsoperationen zugeordnet waren.

Der Captain entschloss sich, das Raumboot zu nehmen, das über eine Reihe von Manipulatoren verfügte, mit deren Hilfe es möglich sein müsste, das Schiff der Edirianer zu öffnen und in sein Inneres zu gelangen. Außerdem garantierte das Raumboot Schutz, sollte sich eine gefährliche Situation ergeben. Es war durchaus möglich, direkt mit der Ikarus anzudocken, doch angesichts der Gefahr, auf frei herumlaufende Kampfstiere zu treffen, wollte er dieses Risiko lieber nicht eingehen. Jederzeit konnte so eine überaus kritische Situation eintreten.

Und damit rechnete jeder.

Das Team war schnell an Bord. Die Hangartore glitten auf und das flunderförmige Raumboot schwang sich ins All. Sentenza nahm sofort Kurs auf das nahe Schiff und näherte sich der deutlich markierten Hauptschleuse. Auch aus der Nähe betrachtet machte das edirianische Schiff einen zwar inaktiven, jedoch keinesfalls bedrohlichen Eindruck. Die Ursache für die Havarie musste in seinem Inneren liegen, nicht in irgendeiner Außeneinwirkung.

»Ich werde jetzt unsere Schleuse mit dem Gemisch der Edirianer fluten, damit niemand, der eventuell in der Schleuse der Entaxa Zuflucht gefunden hat, durch unser Eindringen in Mitleidenschaft gezogen wird«, kündigte Dr. Anande an. Alle nickten und schlossen die flexiblen Raumhelme.

Das Raumboot stieß sanft mit der Nase an die Hauptschleuse. Die Flanschvorrichtung saugte sich an der Hülle fest. Eine Andockvorrichtung konfigurierte sich selbst, um auf die Hauptschleuse des Schiffes zu passen. Kleine Manipulatoren tasteten die Hülle ab, dann drehten sie die manuellen Öffnungsmechanismen der Schleuse auf.

Sentenza und seine Crew hatten mittlerweile die Schleuse des Raumbootes betreten und standen in wabernden Ammoniakdämpfen. Ein Zischen erklang und die Verbindung zur Schleuse der Entaxa war endgültig hergestellt. Alles blieb ruhig.

»So weit, so gut«, murmelte DiMersi. Sie hob ihren Energieblaster und beorderte die beiden Kampfroboter an ihre Seite. Als Schiffsprofos war sie für Kampfeinsätze verantwortlich, hier hatte auch der Captain zurückzustehen. Er hatte dies gerne getan, obwohl er von einem Kriegsschiff kam. DiMersi hatte jede neue Verantwortung und Autorität mit Freude akzeptiert.

Sie gab Anande einen Wink, der öffnete die Schleusentür.

Für einen Augenblick vermischten sich bloß die Atmosphären der beiden Schiffe. Das Schwerefeld des Raumbootes endete jedoch vor der Schleuse des edirianischen Schiffes. Sentenza deaktivierte die Gravoprojektoren, sodass alle auf die Aggregate der Raumanzüge umschalten mussten. Auf der Entaxa mussten wirklich nur noch Notaggregate laufen.

Sentenza lugte in den Gang hinein und fuhr plötzlich zurück. Unwillkürlich entfuhr ihm ein kleiner Aufschrei. Mit Entsetzen starrten alle Mitglieder des Außenteams auf das Schauspiel.

Dann schwebte der grausam entstellte und aufgerissene Körper eines Edirianers an ihnen vorbei.

»Was passiert da genau?«, murmelte Weenderveen und hockte ratlos im Sessel des Kommandanten in der engen Zentralkabine der Ikarus. »Ich höre nur den Helmfunk und die Leute sind etwas einsilbig.«

»Aktivieren Sie die Übertragung der Helmkameras!«, krachte die Stimme Sentenzas aus den Lautsprechern. »Dann können Sie sehen, was wir sehen – und dann werden Sie sich wünschen, lieber einen netten Film eingeschaltet zu haben!«

Der Pentakka tappte mit einem seiner Gliedmaßen auf einen Sensor. Vier Bildschirme wurden hell und übertrugen die Bilder aus dem Blickwinkel der vier Akteure in der Schleuse. Trooid trug seine Kamera in seinen Augen und benötigte selbstverständlich an sich keinen Schutzanzug; da das Biomolplast seines Körpers jedoch ebenfalls empfindlich auf Vakuum oder andere Atmosphären reagierte, wurde ihm die fachgerechte Nutzung eines Raumanzuges in seiner Programmierung – wenn möglich – nahegelegt.

Weenderveen sah auf allen vier Bildschirmen den zerfasert wirkenden Leib eines Edirianers durch die Schwerelosigkeit gleiten. Es sah so aus, als wäre er durch scharfe Klauen aufgerissen worden, und das bereits vor geraumer Zeit. Der ansonsten so pralle Körper des Außerirdischen sah eingefallen aus. Weenderveen schluckte mühsam. Er hatte schon den Raumsprung noch nicht ganz verdaut, da war ihm dieser Anblick nun wirklich nicht recht. Obwohl das Training auch die Konfrontation mit psychisch schwierigen Situationen beinhaltet hatte, die durch den Anblick von Verwundungen entstehen könnten, war es etwas anderes, dies nun in der Realität präsentiert zu bekommen. Weenderveen, der gerade etwas flüssige Nährlösung zu sich genommen hatte, schluckte erneut und heftig.