Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane) - Dirk van den Boom - E-Book

Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane) E-Book

Dirk van den Boom

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Beschreibung

Es sind wilde Zeiten ... ... in einer fernen Zukunft, in der sich die menschliche wie alle anderen Zivilisationen endgültig von den Auswirkungen einer längst vergangenen, in den Köpfen bereits völlig verblassten Katastrophe erholt haben. Handel und Forschung, politische Ränkespiele und die Grenzenlosigkeit der Möglichkeiten scheinen das Leben aller Wesen in der bekannten Galaxis zu bestimmen. In den Randgebieten des erforschten Weltraums, in die sich die diversen Sternenstaaten noch nicht richtig vorgewagt haben, erledigen die systemumspannenden Konzerne sowie die freie Handelsorganisation des Raumcorps die Erschließung und Nutzung der Ressourcen. Doch die Gefahren sind oft größer als der potentielle Nutzen und nicht immer lässt sich das Risiko vorher abschätzen. Immer dann, wenn jemand einen Schritt zu weit gemacht, eine Situation falsch eingeschätzt hat oder das Schicksal auf völlig unvorhergesehene Art und Weise zuschlug, ist Hilfe notwendig – schnell, effektiv und mit der Bereitschaft, sich selbst in die gleiche Situation zu bringen, der die Hilfesuchenden zum Opfer gefallen sind. Dann ist es Zeit für die Mannschaft des Rettungskreuzers Ikarus, die Kastanien aus dem Feuer zu holen ... Dieses eBook enthält Band 11 bis 20 der Science-Fiction-Serie RETTUNGSKREUZER IKARUS. 11: Die Erleuchteten, Martin Kay 12: Verschollen im Nexoversum, Irene Salzmann 13: Das Leid der Schluttnicks, Sylke Brandt 14: Phönix, Martin Kay 15: Die abwartende Dominanz, Dirk van den Boom 16: Ansarek, Irene Salzmann 17: Das Anande-Komplott, Sylke Brandt 18: Präludium, Martin Kay 19: Die Knotenwelt, Thomas Folgmann 20: Sankt Salusa, Dirk van den Boom

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Seitenzahl: 1532

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Inhalt

Impressum

Band #011: Die Erleuchteten

Prolog

Band #012: Verschollen im Nexoversum

Prolog

Band #013: Das Leid der Schluttnicks

Prolog

Band #014: Phönix

Prolog

Band #015: Die abwartende Dominanz

Prolog

Band #016: Ansarek

Prolog

Band #017: Das Anande-Komplott

Prolog

Band #018: Präludium

Prolog

Epilog

Band #019: Die Knotenwelt

Prolog

Band #020: Sankt Salusa

Prolog

Atlantis Verlag

Impressum

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Oktober 2021 Alle Rechte vorbehalten. © Dirk van den Boom & Thorsten Pankau Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Klaus G. Schimanski Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-809-0 Die Romane in diesem Band sind auch einzeln als Paperback und E-Book überall im Handel erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Band #011: Die Erleuchteten

Prolog

Die Etablierung der Rettungsabteilung des Freien Raumcorps ist nur unter großen Schwierigkeiten gelungen: Ein ausrangierter Kreuzer und eine zum Teil völlig unerfahrene Besatzung wurde in eine Feuertaufe geschickt, die beinahe in einer Katastrophe geendet hätte. Doch die zusammengewürfelte Crew hat sich als überlebensfähig erwiesen und trotz aller Intrigen, die sich im Hintergrund unheilvoll zusammenbrauen und sich bereits in einem hinterhältigen Angriff offenbart haben, steht die Crew der Ikarus hinter ihrem neuen Auftrag: zu helfen, wo sonst niemand zu Hilfe eilen kann, egal wie schwierig die Situation ist. Die Gefahren ihrer Arbeit wurden schnell offensichtlich: Sally McLennane, die Leiterin der Abteilung, fiel beinahe einem Mordanschlag zum Opfer und bei der Rettungsaktion um das weiße Raumschiff wurden die Crewmitglieder nicht nur mit ihren ureigenen Ängsten, sondern auch mit im Geheimen operierenden Waffenhändlern konfrontiert. Ein geheimnisvolles Wesen namens Lear trat auf die Bühne, doch seine Absichten sind noch unklar. Der Versuch, einen verschollen geglaubten Forscher zu retten, führte zur Konfrontation mit dem Gott der Danari – und zu einer Reise in die Vergangenheit. Auf der abstürzenden Spielhölle, einer Raumstation voller Ganoven und Vergnügungssüchtiger, hatte die Crew der Ikarus Daten über ein Sonnensystem außerhalb des erforschten Raumes gewonnen – und die Neugierde darauf, was in diesem Sonnensystem zu finden ist, führt schließlich zur Requiem, zur Vernichtung der Ikarus I. Gebeutelt und von Selbstvorwürfen geplagt, sind unsere Helden nach Vortex Outpost zurückgekehrt. Dort konnte sie sich bei der Verteidigung eines Konvois und schließlich beim Angriff auf die Station durch die Gegner Sally McLennanes im Raumcorps Verdienste erwerben: Die Verschwörung brach zusammen und Sally wurde wieder zur Corpsdirektorin ernannt. Zum neuen Chef der Rettungsabteilung wurde Captain Roderick Sentenza befördert. Nach turbulenten Ereignissen auf Cerios III, die die Crew mit einer Chance mit einer – leider – verhängnisvollen Unsterblichkeit in Berührung brachte, scheinen die Ereignisse einem Höhepunkt entgegenzustreben – und alles beginnt mit dem Seer’Tak City-Blues, wo man erstmals auf die Hintermänner einer galaktischen Verschwörung trifft und auf die Outsider, deren genaue Pläne noch im Dunkeln liegen. Bevor man sich diesem Problem widmen kann, taucht gleich ein weiteres auf – das der Erleuchteten …

Die Enge wirkte auf einmal bedrückend. Sonst war sie es gewohnt, in dem Schrein zu arbeiten, auch mit den anderen zusammen. Doch die Gewissheit, dass etwas schiefgelaufen war, nagte in ihr.

Nova blinzelte leicht in das Halbdunkel hinein. Die anderen Suchenden hockten noch immer seelenruhig im Kreis um das Cernum in ihrer Mitte. Der ruhige Atem der anderen war das einzige Geräusch im Tempelraum. Zu früheren Zeiten, dachte Nova, hätte man vielleicht das leise Knistern abbrennender Fackeln oder Kerzen vernommen, doch heute gab es dimmbare Glimmerstäbe. Der schwachviolette Schein wurde von den Gesichtern der anderen sieben reflektiert. Sie hatten ihre Lider geschlossen. Mit Ausnahme Prosperos.

Der füllige Akolyth blickte unverwandt in Novas Richtung. Auch er musste die Veränderung wahrgenommen haben. Doch als sich Novas Lippen teilten, schüttelte er kaum merklich den Kopf. Sein Blick gab ihr zu verstehen, dass es nicht ratsam war, das heilige Gebet zu unterbrechen. Nova sah, wie die anderen Suchenden noch immer stumm meditierten, und fügte sich. Sie schloss die Augen, versuchte, ihren Atem zu beruhigen, doch sie fand nicht mehr in ihren Rhythmus. Das bohrende Gefühl, dass etwas Schreckliches geschehen war, wollte nicht weichen.

Sie lugte unter ihren zu einem Spalt geschlossenen Lidern hindurch und stellte fest, dass auch Prospero wieder ins Gebet versunken war. Nova spähte nach links zum Schrein. Von zwei Glimmerstäben flankiert, ruhte dort die Büste des Erlösers: kein Schnitzwerk, keine Skulptur aus Stein, sondern die dreidimensionale Holografie des charismatischsten Mannes, den Nova je kennengelernt hatte. Seinetwegen war sie in den Orden eingetreten.

Die junge Frau versuchte es noch einmal mit ihrer Atmung. Kam es ihr nur so vor oder war die Luft tatsächlich dünner geworden. Stimmte irgendetwas nicht mit der Wiederaufbereitung? Hatte es eine Panne gegeben?

Finde zu dir!, ermahnte eine innere Stimme sie. Warum war sie nur mit ihren Gedanken bei allem anderen als dem Gebet?

Dann hörte sie es! Es klang wie das ferne Säuseln einer auf- und abschwellenden Brandung. Zuerst glaubte sie, sich das Geräusch nur einzubilden, doch als auch Akolyth Prospero und ein weiterer Suchender die Lider hoben und lauschten, wusste sie, dass der Laut durch das massive Portal drang. Im übrigen Schiff mochte der dröhnende Alarm überlaut wahrnehmbar sein, doch hier im Tempelraum waren sie weitgehend von äußeren Einflüssen abgeschottet, um sich voller Konzentration dem Gebet hinzugeben.

Der Suchende neben Prospero machte Anstalten, sich zu erheben, doch die Hand des Akolythen schnellte vor und legte sich auf den Unterarm des anderen. Verwirrt blickte der Mann zur Seite, begegnete dem leichten Kopfschütteln des Priesterjüngers und hielt inne. Sein Blick aber verriet, dass er sich keineswegs beruhigt hatte.

Nova sah zum Portal: eine aus Titaniumlegierung geschaffene Doppeltür, dichter als alles andere, was je von Menschenhand erschaffen worden war. Die Erbauer der Zuflucht hatten ganze Arbeit geleistet, als sie die Tempelräume planten. Nichts und niemand sollte die Jünger bei ihren Messen und Gottesdiensten stören.

Für einen Augenblick fragte sich Nova, ob die Tempelräume auch bei der völligen Zerstörung der Zuflucht noch intakt bleiben würden. Sie erschrak über ihren eigenen Gedanken. Ein feines Kribbeln lief ihr den Rücken hinunter und ein eisiger Schauer stellte ihre Nackenhaare auf.

Zwei weitere Suchende öffneten irritiert ihre Augen. Auch sie mussten den Alarm wahrgenommen haben – oder registrierten den schneller gewordenen Atem Prosperos. Ein Anflug von Panik trat in sein Gesicht, als er sah, dass weitere der Gläubigen ihr Gebet unterbrachen. Das war unerhört und noch nie in ihrer Gemeinschaft vorgekommen!

Obwohl Nova wusste, dass ihr eine schwere Bestrafung bevorstand, wollte sie sich kurz entschlossen erheben und zum Portal gehen, um nach dem Rechten zu sehen. Doch einer der Suchenden kam ihr zuvor. Der Mann – seinen Namen kannte sie nicht, denn er war erst heute ihrer Gebetsgruppe zugeteilt worden – tapste barfuß zum Tor. Auch wenn er sich noch so sehr bemühte, leise zu sein, klangen seine Schritte dumpf im Tempelraum wider. Die Laute holten auch die letzten Meditierenden aus ihrer Trance.

Prosperos fahler Teint wich einem kräftigen Rot, während ihm die Augen vor Empörung beinahe überquollen.

»Allmächtiger Erlöser!«, entfuhr es ihm und im selben Moment schien er zu bemerken, dass es seine Worte waren, die die Andacht endgültig störten. Ein Sakrileg ohnegleichen, für das er sich wahrscheinlich heute Abend bei der Buße selbst geißeln würde.

Der Mann an der Tür hatte sein Ohr dicht an den Stahl gelegt und lauschte. Ein Raunen ging durch die anderen Anwesenden, zwei von ihnen wagten es sogar, miteinander zu sprechen, was Akolyth Prospero fast an den Rand des Wahnsinns trieb.

»Es ist der Alarm«, bestätigte der Mann am Portal Novas Vermutung.

»Was kann da passiert sein?«, fragte eine Frau neben Nova.

Nun sah sich der Akolyth genötigt, doch aufzustehen. Er hob beschwichtigend die Hände. »Suchende, bewahrt Ruhe!«

»Aber der Alarm …«, meldete sich nun Nova zu Wort und fing sich einen strafenden Blick Prosperos ein. Der füllige Mann strich sich verzweifelt durch das kaum mehr vorhandene dunkle Haar. Sein Blick irrte zum Abbild des Erlösers, als erhoffe er sich dringende Antworten von höherer Stelle. Ihm war anzusehen, dass er der Situation nicht gewachsen war. In erster Linie interessierte ihn nicht der Alarm, sondern die abrupte Unterbrechung ihrer Gebetsstunde, obwohl sie noch zwei Zyklen vor sich hatten.

Akolyth Prospero zupfte sich die gelbe Robe seines Amts zurecht und ging zum Schrein hinüber. Er murmelte leise Worte zum Holo des Erlösers und wandte sich dann zum Gebetskreis um. »Was immer draußen geschieht, wir sind nicht allein. Der Erlöser ist bei uns und wird uns beschützen. Wir sind hier sicher in seinen geheiligten Räumen, in seiner Obhut. Lasst uns ihm weiter huldigen und für seine Gnade beten.«

Der Mann an der Tür nickte bekräftigend und kehrte zu seinem angestammten Platz zurück. Ein Seufzen ging durch die Gruppe der anderen. Prosperos Worte hatten sie ermutigt. Selbst Nova entspannte sich ein wenig und begann automatisch wieder mit ihren Atemübungen, ohne jedoch die Augen zu schließen.

»Großer Erlöser!«, stieß jemand plötzlich hervor. Neun Augenpaare richteten auf den Schrein. Prospero sah verdutzt drein; erst als er den Blicken der anderen folgte, schnappte er erregt nach Luft, verdrehte die Augen und knickte in den Knien ein. Ohnmächtig schlug er auf dem Boden auf.

Nova erfasste die Bedeutung von dem, was geschehen war! Zweifelnd starrte sie in den Schrein, in dem nunmehr nur noch zwei Glimmerstäbe glühten.

Die holografische Büste des Erlösers war erloschen.

Tage wie dieser kündigten sich nicht an. Tage wie dieser geschahen einfach.

Unverhofft. Gnadenlos.

Roderick Sentenza fuhr mit schierem Unglauben hoch, als die Alarmsirenen durch das Schiff gellten. Vor nicht einmal drei Minuten hatte er sich ermattet auf seine Koje geworfen, nachdem die Ikarus zwei Einsätze direkt hintereinander geflogen war. Das Schicksal schien ihm keine Ruhe zu gönnen.

Schlaftrunken schwang er die Beine über den Rand seines Betts und wankte zum Sprechgerät der Bordkommunikation.

»Sentenza hier«, murmelte er halblaut vor sich hin. »Was ist nun schon wieder los?«

»Wir empfangen einen Notruf, Captain«, meldete sich Arthur Trooid von der Brücke. »Ein automatisches Signal von …«

»Ich komme!«, unterbrach Sentenza den Droiden. Der Chef der Rettungsabteilung knöpfte kurz seine Uniformjacke zu. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich vor dem Schlafengehen auszuziehen.

Wozu auch?, raunte ihm die höhnische Stimme seines Unterbewusstseins zu.

Müde rieb sich Sentenza das Gesicht und verließ sein Quartier. Auf dem Weg zur Brücke rekapitulierte er die letzte Woche. Soweit er sich zurückerinnern konnte, war es die schlimmste seines Lebens gewesen. Selbst der Dienst in der Raummarine des Multimperiums war dagegen ein Zuckerschlecken.

Vor fünf Tagen war die Ikarus von Vortex Outpost zu einem Bergungseinsatz ausgerückt. Die Crew musste die Überlebenden eines Raumschiffsabsturzes bergen. Die Unglücklichen waren auf einem Asteroiden notgelandet.

Fünf Tage, sinnierte Sentenza und bog in den Gang ein, der direkt zum Gehirn seines Schiffs führte. Die Ikarus hatte die Geretteten auf einem nahen, bewohnten Planeten des Freien Raumcorps abgesetzt und war im Begriff gewesen, wieder nach Vortex Outpost zurückzukehren, als sie gebeten wurden, in einer Kolonie das Strahlungsleck eines solaren Kraftwerks zu reparieren. Danach musste ein Raumer mit Treibstoff versorgt, anschließend medizinische Versorgungsgüter nach Aurelius IV transportiert werden. Sentenza erinnerte sich nicht mehr an jedes Detail, glaubte aber, dass sie innerhalb der letzten fünf Tage acht Einzeleinsätze geflogen waren, ohne zwischendurch auf Vortex Outpost eine Pause gemacht zu haben.

Gott, nicht mal die Anzahl der Missionen bekomme ich noch auf die Reihe …

Die Crew war förmlich am Ende und hatte die Grenzen ihrer Belastbarkeit längst überschritten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Erste von ihnen zusammenbrach.

Sentenza betrat die Kommandozentrale der Ikarus. Wie gewohnt saß Trooid am Steuer und übernahm gleichzeitig die Navigation. Thorpa behielt die Sensoren im Auge. Deutlich waren diesem die Strapazen anzumerken. Seine Bewegungen kamen schleppend und die astähnlichen Extremitäten hingen träge an seinem Leib herunter.

Die dienstbeflissene Chefingenieurin des Rettungsteams war bereits vor ihrem Captain auf der Brücke eingetroffen.

Als sie ihn sah, zwinkerte sie ihm zu.

Sentenza nickte in Sonjas Richtung. Ihr Anblick ließ ihn für einen Moment wieder aufleben, auch wenn ihre Züge kaum mehr von Lebendigkeit zeugten. DiMersi war ebenso erschöpft wie er. Dunkle Ringe hatten sich unter ihre Augen gelegt und ihre Haut war so blass, dass sie fast heller als ihr weißes Haar wirkte.

Roderick Sentenza ließ sich in seinen Sessel fallen. Kurz drohten ihm einfach die Augen zuzufallen, doch er zwang sich, wach zu bleiben. Er fragte sich, wie lange er dies noch schaffen würde, wann sein Kreislauf versagte und er einfach im Stehen einschlief.

»Okay, was haben wir, Trooid?«

»Automatisiertes Standardnotrufsignal«, teilte der Droid mit, ohne seinen Blick von den Instrumenten zu nehmen. »Entfernung etwa drei Lichtjahre.«

»Gibt es kein anderes Schiff in der Nähe, das helfen könnte?«, fragte Sentenza, obwohl er glaubte, die Antwort zu erahnen. Wenn sie nicht bald eine Pause einlegten, würden sich zwangsläufig Fehler in ihr Handeln einschleichen – Fehler, die sowohl für sie, als auch für die zu Rettenden schlimme Folgen haben konnten.

»Negativ.«

Sentenzas Mundwinkel sanken enttäuscht nach unten. Er warf Sonja DiMersi einen Hilfe suchenden Blick zu, doch die Ingenieurin quittierte dies nur mit einem Schulterzucken.

»Wo ist Weenderveen?«

»In seinem Quartier«, antwortete Thorpa ungerührt.

»Und er hat nicht auf den Alarm reagiert?«, wunderte sich Sentenza.

»Ich glaube, er brauchte vornehmlich das, von dem wir alle im Moment zu wenig bekommen«, sagte der Pentakka mit müder Stimme. »Schlaf.«

Wie wahr, wie wahr, dachte der Captain. Na schön, soll er schlafen …

»Und er hatte wohl die Nase voll von den Turteltäubchen, wie er sich äußerte«, fügte Thorpa hinzu.

Sentenza seufzte. Er und Sonja hatten es den anderen in den letzten zwei Wochen sicherlich nicht leicht gemacht. Nachdem sie auf Seer’Tak City zusammengefunden hatten, waren sie unzertrennlich geworden und hatten keinen Moment ausgelassen, um nicht ihrer Liebe zueinander zu frönen – sehr zum Leidwesen der restlichen Besatzung. Vielleicht waren ihre Gefühle auch nur so intensiv, um die Trauer fortzuspülen, die in ihnen allen saß. Immerhin hatte ein Crewmitglied sein Leben gelassen. Sentenza gab zu, dass er bisher nicht viel von An’ta gehalten hatte und er einfach zu wenig über sie wusste, um Sympathien für die Grey zu empfinden. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass jemand aus der Besatzung unter seinem Kommando gestorben war. Und ohne An’tas Aufopferung wäre wahrscheinlich Sonja jetzt nicht mehr am Leben.

Sentenza wischte die quälenden Gedanken beiseite und drückte die Taste des Interkoms auf seiner Sessellehne. »Dr. Anande, wie geht es Ihren beiden Patienten?«

Anande antwortete nicht sofort. Ein leises Stöhnen war zu vernehmen, dann ein Räuspern. Die Stimme des Doktors hörte sich verschlafen an.

»Alles bestens. Die Wunden sind versorgt und werden in einigen Wochen wieder verheilt sein. Ich habe beiden ein Beruhigungsmittel gegeben. Sie schlafen jetzt … etwas, was ich auch gerne tun würde.« Die letzten Worte waren kaum mehr als ein Nuscheln, doch Captain Sentenza hatte sie sehr wohl gehört. Er konnte es dem Doc nicht verübeln und wäre am liebsten selbst nach Vortex Outpost zurückgekehrt. Aber ihr Job war es zu helfen. Und solange sie noch stehen konnten, würden sie ihn ausüben.

Sentenza hatte die beiden Patienten ihrer letzten Rettungsmission nicht vergessen. Der Vorfall lag erst wenige Stunden zurück, auch wenn es dem Captain schien, als seien die beiden Opfer schon seit Tagen an Bord. Es handelte sich um einen Priester und seinen Adepten, die im Auftrag der Amtskirche von St. Salusa unterwegs waren, um neu entdeckten Kolonien den galaktischen Glauben zu bringen. Ihr Schiff war von Piraten angegriffen und schwer beschädigt worden. Die Ikarus traf gerade zur rechten Zeit ein, um die Räuber am Entern des Raumers zu hindern. Sie waren auf Fluchtkurs gegangen, als die Ikarus aus dem Hyperraum fiel. Dennoch kam für den Piloten, seinen zweiten Mann und den Navigator des Missionsbootes jedwede Hilfe zu spät. Nur der Priester und sein Schüler konnten lebend aus dem Wrack geborgen werden.

»Na schön, Trooid, aktivieren Sie den Hyperantrieb und nehmen Sie Kurs auf das Notsignal.«

»Aye, aye, Sir!«

Sentenza lehnte sich in seinem Sessel zurück. Sie würden drei Stunden brauchen, um die Distanz zum havarierten Schiff zu überbrücken.

Drei Stunden …

Ihm fielen die Lider zu. Noch in derselben Sekunde schreckte er wieder hoch und blickte sich schuldbewusst um. Sonja und Thorpa schauten auf und selbst Trooid schwang in seinem Sessel herum, als er das plötzliche und heftige Einatmen des Captains vernahm, der aus dem Sekundenschlaf hochschreckte.

»Captain, ich schlage vor, Sie, Sonja und Thorpa nutzen unseren Hyperflug, um sich ein wenig auszuruhen. Falls irgendetwas geschehen sollte, dem ich nicht gewachsen bin, kann ich Sie immer noch wecken.«

Thorpa wartete die Zustimmung Sentenzas erst gar nicht ab. Er hastete so schnell von der Brücke, dass er am Ausgang fast stolperte. Mit seinen Ästen raschelnd entfernte er sich.

Roderick stand auf, nickte Trooid dankbar zu und zog sich ebenfalls zurück. Er war nicht überrascht, als der Türsummer seiner Kabine erklang, kaum dass er sich hingelegt hatte.

»Noch ein Plätzchen frei?«, fragte Sonja und trat ohne Aufforderung ins Quartier.

Sentenza hörte die Frage kaum noch. Er machte sich auch nicht die Mühe, noch einmal die Augen zu öffnen. Der Schlaf übermannte ihn sprichwörtlich.

»Es ist ihre verdammte Pflicht, mir zu helfen!«

Das Kreischen dröhnte schrill aus den Lautsprechern des Kom-Systems, während sich die Hautfarbe des Anrufers von einem zarten Rosa in ein dunkles Violett gewandelt hatte.

Der Mann war zweifelsohne Borusianer. Der Teint und der Stachelkamm auf seinem haarlosen Kopf sprachen dafür. Die roten, anscheinend pupillenlosen Augen des Aufgebrachten funkelten drohend, doch Captain Milton Losian ließ sich dadurch nicht einschüchtern.

»Oder?«, schrie der andere und wartete vergeblich auf eine Antwort.

Losian faltete die Hände ineinander und wartete ab, bis der Borusianer seine Schimpfkanonade beendet hatte und nicht mehr wusste, welche eher harmlose Unflätigkeit er dem anderen noch entgegenwerfen konnte.

»Sind Sie jetzt fertig?«, fragte der ehemalige Corpscaptain.

Obwohl Losian längst pensioniert war, sein Alter die sechzig weit überschritten hatte, dachte er nicht daran, sich irgendwo auf einen paradiesischen Planeten zurückzuziehen, um seinen Lebensabend zu genießen. Er hatte Sally McLennane mit Rat und Tat zur Seite gestanden, sowohl während ihrer Amtszeit im Corpsdirektorium als auch während ihres Exils auf Vortex Outpost. Dass er nun immer noch im Outer Rim saß und Sally längst in ihr früheres Amt zurückgekehrt war, lag vornehmlich an den Aufgaben der Rettungsabteilung. Losian hatte für Sentenza und seine Crew Sympathien entwickelt und sich entschlossen, die von Sally gegründete Einrichtung zu unterstützen. Er hatte sich nie Illusionen darüber gemacht, dass er die Leitung übernehmen könnte – daran dachte er nicht einmal im Traum. Er war zu alt für diesen Posten. Aber beratende Funktionen konnte er allemal erfüllen – und er sah in der Rettungsabteilung eine Zukunft, die sich zu unterstützen lohnte.

»Ich? Ich fange gerade erst an!«, keifte der Borusianer.

»Unser Rettungskreuzer befindet sich auf einer Mission und ist derzeit nicht verfügbar«, wiederholte Losian die Fakten, die er dem Borusianer bereits vor Augen gehalten hatte.

»Das ist mir egal«, fauchte der andere. »Sie haben eine Rettungsabteilung und müssen mich retten!«

»Dann warten Sie eben so lange, bis unser Team wieder hier ist«, folgerte Losian und schmunzelte in sich hinein. Eben erst hatte er über Hyperkanal Trooids Meldung hereinbekommen, dass die Ikarus einem weiteren Notsignal nachgegangen war und sobald nicht zurückkommen konnte.

Verdammt, sie sind schon fast eine Woche da draußen, dachte er bei sich, während der Borusianer wieder einen Schwall von Verwünschungen und Flüchen losließ, die den Captain in keiner Weise berührten.

»Sie sind sich darüber im Klaren, dass Rettungseinsätze kostenpflichtig sind?«, erkundigte sich Losian wie beiläufig.

Der Borusianer verstummte jäh. Seine Gesichtsfarbe wechselte schlagartig von Tiefviolett zu einem blassen Pink.

»Wie bitte?«, ließ er leise vernehmen.

»Welchen Teil von kostenpflichtig haben Sie nicht verstanden?«

»Aber … das ist doch die Höhe!«

»Sehen Sie, unsere Leute müssen bezahlt werden, die Unterkünfte und Hangars auf dieser Station müssen unterhalten werden. Reparaturen, Treibstoff, Ersatzteile – all dies kostet Geld. Zwar wird ein Großteil der Finanzen durch die Corpsdirektion getragen, doch dies auch nur so lange, bis die Rettungsabteilung auf eigenen Füßen stehen kann. Nach den ersten Einsätzen haben wir einen Gebührenkatalog eingeführt. Also, sind Sie bereit, für die Kosten Ihrer Rettung aufzukommen?«

Losians Ausführungen entsprachen der Wahrheit, wenn auch nur teilweise. Ein großer der Teil der Rettungsabteilung wurde durch dem Corps angeschlossene Konzerne und Organisationen unterstützt. Damit sicherten sie sich die Bergung eigener Schiffe zu. Dennoch dachte das Freie Raumcorps stets profitorientiert. Warum sollten sie für ihre Dienste nicht ein Entgelt verlangen? Der Gebührenkatalog, den Losian angeblich konsultiert hatte, war natürlich noch rein fiktiv, aber je länger er sich mit dem Gedanken befasste, desto mehr gefiel er ihm.

»Äh … ich … wie hoch … was müsste ich denn …?«

Losian beugte sich über ein Tischterminal und tippte einige Zahlen ein. Nichtssagende Zahlen, doch für den Borusianer musste es aussehen, als stelle er komplizierte Kalkulationen an. »Nun«, meinte er, »da hätten wir die Anforderung eines Ersatzraumers, das Gehalt des Piloten, der nicht zur Rettungsabteilung gehört, der Flug bis zum Sprungtor, Leerflug zurück zur Station, Ausfallzeit von Schiff und Pilot, Kosten für den Treibstoff … mit dreihundert Credits sind Sie dabei.«

Der Borusianer schluckte. Seine Lider flatterten, ein Zeichen für seine Nervosität.

»Dreihundert?«

»Plus fünf Prozent aller Umsätze, die Sie auf Vortex Outpost tätigen«, ergänzte Losian schadenfroh.

»Ich … ich … also schön«, stotterte der Borusianer.

»Haben Sie eine Onlineverbindung zu Ihrer Bank?«

»Ob ich was habe?«

»Wir bitten Sie um Vorkasse.«

»Tun Sie das auch, wenn mein Schiff kurz vor der Explosion steht?«

In deinem Fall würde ich die Frage sogar mit Ja beantworten, dachte Losian.

Die Borusianer waren für ihre Hinterhältigkeit bekannt. Es war gut möglich, dass man ihm den Treibstoff brachte und er sich dann einfach durch das Sprungtor absetzte, ohne zu zahlen. Aber wer dumm genug war, ohne genügend Treibstoff aufzubrechen, der musste halt für seine Fehler aufkommen.

Vor sich hin grummelnd, veranlasste der Borusianer eine Eilüberweisung auf eines der Corpskonten und verlangte dann barsch zu wissen, wann er mit dem Treibstoff rechnen könnte.

Milton Losian würgte das Gespräch ab und stellte eine interne Verbindung zur Stationsleitung her. Das Gesicht Dane Hellermans erschien auf dem Schirm.

»Captain?«

»Ich brauche Ihre Hilfe, Commander«, sagte Losian ohne Umschweife. »Die Ikarus ist noch immer tief draußen im Raum und wir haben bereits einige Anfragen für Hilfsleistungen innerhalb des Stationsbereiches.«

Hellerman grinste, als ahne er, worauf Losian hinauswollte.

»Ist das so lustig?«, fragte der Captain.

»Ich habe mich schon gewundert, warum Sie nicht eher an uns herangetreten sind«, gestand Hellerman. »Sie brauchen ein Schiff.«

»Und einen Piloten. Lieutenant Ash hat schon für uns gearbeitet. Können Sie ihn bis zur Rückkehr der Ikarus zusammen mit einem Versorgungsshuttle freistellen?«

»Solange die Umlagen für den Spritverbrauch des Shuttles auf Ihre Kosten gehen … ja.«

Losian nickte. »Danke, Commander.«

Nachdem er den Borusianer beruhigt, Lieutenant Ash kurz informiert und eingewiesen hatte, lehnte sich Captain Losian im Sessel von Sentenzas Büro zurück und starrte an die Decke. So konnte es nicht weitergehen. Die Ikarus und das Schiff der Pronth-Hegemonie waren nicht in der Lage, alle Rettungseinsätze allein auszuführen. Von Tag zu Tag strömten mehr Schiffe denn je aus dem Sprungtor und flogen Vortex Outpost an. Die Arbeit wuchs ihnen langsam über den Kopf. Vielleicht war es ratsam, sich bald Gedanken über eine zweite Schicht zu machen.

Oder ein zweites Schiff, sagte sich Losian im Stillen. Er würde diese Idee bei der nächsten Unterhaltung mit Sally zur Sprache bringen. Der bisherige Erfolg der Rettungsabteilung rechtfertigte eine solche Maßnahme – dessen war er sich sicher.

Das Summen riss ihn unsanft aus dem tiefen Schlummer, der seinetwegen hätte ewig währen können.

Sentenza öffnete die Augen, kniff sie aber sofort wieder zusammen, als er in das Leselicht über seiner Koje blickte.

Trooid!

Der Droid schien keine Rücksicht zu kennen. Tastend suchte Sentenza nach dem Schalter, fand ihn und dimmte das Leselicht auf ein erträgliches Maß herunter. Stöhnend richtete er sich halb im Bett auf und stellt fest, dass Sonja auf seiner Brust lag. Im Gegensatz zu ihm hatte sie es noch geschafft, sich ihrer Uniform zu entledigen und die Einzelstücke kreuz und quer in seiner Kabine zu verteilen. Sie war nackt.

Sentenza schob sie sanft beiseite und entlockte ihr ein leises Brummen. Sie rekelte sich kurz, schlief aber weiter, das aufdringliche Summen ignorierend.

Gähnend schleppte sich Roderick Sentenza zum Interkom und schaltete zur Zentrale durch.

»Sagen Sie um Gottes willen nicht, dass die drei Stunden schon vorüber sind!«

»Tut mir leid, Captain«, antwortete Trooids Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir erreichen die Zielkoordinaten in einer Viertelstunde. Ich dachte, Sie wollen sich vorher vielleicht noch ein wenig frisch machen.«

Sentenza ließ die Sprechtaste los und schlurfte nach nebenan in die Duschkabine. Auf dem Weg fiel sein Blick noch einmal auf Sonja. Die Bettdecke war von ihrem Körper gerutscht und präsentierte sie so, wie die Natur sie geschaffen hatte: schlank, athletisch gebaut, aber mit weiblichen Vorzügen an genau den richtigen Stellen, die sich ein Mann wünschte. Im Dienst waren ihm ihre weiblichen Attribute kaum aufgefallen, da sie vornehmlich die weit geschnittene Borduniform trug, die geschickt ihre Formen verbarg.

Der Captain hielt inne und drehte sich zur Koje um. Er beugte sich über Sonja und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Sie lächelte im Schlaf. Sentenza musterte die unzähligen Krusten und Narben, die von der Folter auf Seer’Tak City herrührten. Ein Teil von ihnen würde vollständig verheilen, andere ihr bis ans Lebensende erhalten bleiben.

Sie ist schön, dachte Sentenza und starrte seine neue Gefährtin verträumt an. Hier und da stahlen sich ein paar Falten in die Züge der Vierzigjährigen, doch dies unterstrich ihre Attraktivität eher. Sie hatte ihre schneeweißen Haare, die sie seit dem Oremi-Unglück raspelkurz getragen hatte, wieder nachwachsen lassen. Eigentlich erst, seit sie mit Sentenza zusammen war.

Er löste sich von ihrem Anblick, doch da schlug sie die Augen auf und blinzelte.

»Wsch ischt …?«, nuschelte sie im Halbschlaf.

»Wir müssen raus«, sagte er.

»Schon?«

»Sieht so aus. Ich gehe duschen.«

»Warte nicht auf mich.«

Sentenza lächelte und wandte sich ab. Als er nach zehn Minuten aus der Kabine trat und das eiskalte Wasser an seinem nackten Körper heruntertropfte, fühlte er sich kein bisschen erfrischt. Er hätte sich sofort wieder ins Bett legen können. Zu seiner Überraschung war Sonja fort. Er sah auf die Uhr. Sie würden jeden Moment aus dem Hyperraum treten. Besser, er zog sich an.

Auf der Brücke saß Arthur Trooid unverändert am Steuerpult, als Roderick Sentenza sie betrat. Er beneidete den Droiden fast für seine Fähigkeit, keinen Schlaf zu benötigen. Sonja war ebenfalls anwesend. Sie trug eine frische Uniform und duftete nach Jasmin. Sentenza trat näher an sie heran, als es für einen vorgesetzten Offizier schicklich gewesen wäre.

»Du brauchst lange zum Duschen«, grinste sie ihn an.

»Ich hatte eigentlich auf dich gewartet«, erwiderte Sentenza.

»Männer!«, konterte sie. »Und da hieß es früher, Frauen benötigen so lange für ihre Toilette.«

In diesem Moment fuhr das Schott zur Zentrale auf und Thorpa und Darius Weenderveen betraten die Brücke. Ihre Blicke fielen sofort auf den Captain und den Chief, die dicht beieinanderstanden und augenscheinlich Vertraulichkeiten austauschten.

Thorpa räusperte sich überlaut und raschelte zur Unterstreichung mit seinen Ästen. Weenderveen indes rollte die Augen und schüttelte demonstrativ den Kopf. Sentenza glaubte, ein Gemurmel zu vernehmen, das sich anhörte, wie: »Ich dachte, mit vierzig knutscht man nicht mehr wie ein liebeskranker Teenager herum.«

»Austritt aus dem Hyperraum in fünf Sekunden«, verkündete Trooid laut.

»Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Mr. Weenderveen«, versetzte Sentenza, während er sich von Sonja löste und in den Kommandosessel fallen ließ.

Mit eingeschnappter Miene stellte sich Darius vor die Kontrollen und schien die Frage des Captains zu ignorieren. Sentenza hatte eigentlich noch anfügen wollen, dass das erneute Zusammentreffen mit Jason Knight seine Gepflogenheiten weiter verschlechtert und sein Ruf als Dirty Darius schon corpsweite Ausmaße angenommen hatte. Doch der Gedanke an den Weltraumhalunken Knight und seine bezaubernde Begleiterin Shilla versetzten Roderick Sentenza einen Stich in der Brust. Die beiden waren mit ihrem Schiff Celestine in der Ringsonne der Seer’Tak-Anomalie verschollen.

Verschollen, dachte Sentenza und schalt sich im selben Augenblick für seine Wortwahl. Sie sind wahrscheinlich tot.

»Austritt!«

Die Schleier des Hyperraums verzogen sich vor den Sichtschirmen und gaben den Ausblick auf ein Trümmerfeld frei. Eine unüberschaubare Anzahl an Asteroiden trieb vor dem schwarzen Hintergrund des Alls.

»Gewöhnen Sie sich bitte an, mir vorher Bescheid zu sagen, wenn wir geradewegs in ein Asteroidenfeld fliegen, Trooid«, brummte Sentenza. »Notsignal lokalisieren.«

»Kommt direkt aus dem Feld, Captain«, teilte Weenderveen kurz darauf mit. »Entfernung eintausendzweihundert. Gebe Koordinaten an die Steuerkonsole durch.«

»Kann man schon sehen, was es ist?«, fragte Sentenza.

»Scheint eine Fluchtkapsel zu sein«, vermutete Weenderveen.

»Funkverbindung?«

»Kein Kontakt.«

Sentenza seufzte. Er verspürte nicht die geringste Lust, am Ende dieser aufreibenden Woche noch mit einem Felsbrocken zusammenzustoßen. Doch sein Vertrauen in die intelligente Steuerung der Ikarus II war groß. Bisher hatten nur Trooid und An’ta etwas über die Modifikationen, die Sentenza an dem neuen Schiff vorgenommen hatte, herausgefunden. Sie wussten zwar nicht, was er getan hatte, hatten aber akzeptiert, dass er sich bisher ausschwieg. An’ta konnte das Geheimnis ohnehin nicht mehr preisgeben.

Ein Kloß steckte in Sentenzas Kehle, als er abermals an die Grey denken musste. Erst auf ihrer letzten Mission bei Seer’Tak City waren sie sich ein wenig nähergekommen, hatte er erstmals den Panzer aufbrechen können, den sie um ihre Persönlichkeit gelegt hatte – und dann war sie gestorben.

Zu früh!, dachte Roderick betrübt. Zu früh …

Der Captain atmete tief durch. Er musste unbedingt die anderen über die Protomasse einweihen. Sie waren seine Crew und hatten ein Recht darauf zu erfahren, was er mit dem Schiffscomputer angestellt hatte.

»Trooid, nehmen Sie Kurs auf die Fluchtkapsel«, ordnete Sentenza ruhig an. »Und denken Sie an die Manöver, die Sie mit der neuenIkarus schon bewältigt haben, wenn Sie uns dort hindurchmanövrieren.«

»Aye, Sir!«, bestätigte der Droid und ließ damit keinen Zweifel aufkommen, dass er Sentenzas Anspielung auf die intelligente Steuerung verstanden hatte.

Auf dem Hauptschirm huschten die Felsbrocken gefährlich nahe heran. Thorpa duckte sich instinktiv, als einer der Asteroiden mit der Ikarus zu kollidieren schien, doch nachdem der Pentakka feststellte, dass er der Täuschung der Bildschirmvergrößerung aufgesessen war, schaute er peinlich berührt in die Runde. Aber niemand hatte seine Gesten mitbekommen.

Trooid brachte den Kreuzer mit Vollschub in das Feld hinein. Selbst für Sentenzas Geschmack waren sie viel zu schnell. Er traute dem Droiden eine Menge zu, aber auch er würde irgendwann danebenliegen und musste sich physikalischen Gesetzen beugen. Bei der Geschwindigkeit war es nur eine Frage der Zeit, bis sie mit einem Brocken zusammenstießen. Trooid behielt unbeirrbar das Tempo bei. Er überließ sie der intelligenten Steuerung der Ikarus, die bereits zweimal ihr Können unter Beweis gestellt hatte. Das Schiff schützte sich quasi selbst.

Dennoch würde die Steuerung nicht allen Asteroiden ausweichen können, zumindest nicht den Kleinstsplittern, die zwischen den großen Brocken umherschwirrten wie ein Schwarm lästiger Insekten.

»Schutzschilde!«, befahl Sentenza.

Sonja bestätigte nickend und sofort leuchtete eine entsprechende schematische Darstellung auf den taktischen Displays auf. Die Anweisung kam keine Sekunde zu früh. Kurz darauf wurden erste Treffer von faust- bis fußballgroßen Trümmerstücken angezeigt. Die Legierung der Außenhülle des Schiffs hätte die meisten mühelos abprallen lassen, doch einem Dauerbeschuss würde auch sie irgendwann nachgeben.

Gebannt verfolgte Roderick Sentenza die Route der Ikarus auf der Kursdarstellung, blickte hin und wieder auf zum Hauptschirm und nickte anerkennend bei den gekonnten Ausweichmanövern. Er musste unbedingt nachher mit Trooid darüber sprechen, welche Flugkorrekturen der Droid und welche das Schiff selbst vorgenommen hatte.

»Ziel müsste gleich in Sichtweite sein«, sagte Weenderveen. »Wenn uns nicht vorher einer dieser Klumpen pulverisiert.«

»Vertrauen Sie unserem Piloten, Darius«, meinte Sonja. »Immerhin haben Sie ihn gebaut.«

»Ebendas beunruhigt mich«, erwiderte Weenderveen, allerdings nicht ohne die Mundwinkel zu einem breiten Grinsen zu verziehen. Trooid konnte dies nicht sehen und gab auch mit keiner Geste zu verstehen, ob der Scherz seines Schöpfers ihn beleidigt hatte oder nicht.

Die Darstellung auf dem Hauptschirm wurde vergrößert. Zwischen den dahintreibenden Asteroiden erkannte Roderick Sentenza etwas Metallisches, das sich deutlich von den Felsbrocken abhob. Das Objekt wurde bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit rasch größer und füllte nach wenigen Augenblicken den gesamten Schirm aus.

»Eigenartige Form für eine Fluchtkapsel«, sinnierte Sonja.

Sie sahen auf ein sternförmiges Objekt mit einem einzigen Nottriebwerk. Aussichtsluken oder eine Frontsichtscheibe waren nicht zu erkennen. Ebenso ungewöhnlich wie die Form war auch der Anstrich. Die Rettungskapsel glänzte in einem leuchtenden Gold. Trotz ihres Raumflugs, der unweigerlich seine Spuren am Material der Außenhaut hinterlassen hatte, schien die Farbe kaum stumpf geworden zu sein, geradezu als leuchte das sternförmige Design von innen heraus.

»Kann es sein, dass da jemand Wert auf einen strahlenden Abgang gelegt hat?«, wunderte sich Darius Weenderveen.

»Eher auf Imagepflege«, pflichtete Sonja bei. »Ich möchte nicht wissen, wie das Mutterschiff aussieht.«

»Immer noch keinen Kontakt?«, fragte Sentenza dazwischen.

»Negativ«, gab Weenderveen zurück.

»Wir sind in drei Minuten in Andockreichweite«, teilte Trooid mit. »Soll ich das Manöver einleiten?«

»Wir holen die Kapsel mit dem Traktorstrahl in Hangar eins herein. Was sagen die Sensoren?«

»Ein Lebenszeichen wird angezeigt«, verkündete Thorpa. »Humanoid mit schwachem Puls. Keine Kontamination der Außenhülle. Wir können die Kapsel gefahrlos bergen.«

»Manöver nach eigenem Ermessen, Trooid. Sonja und Thorpa, mit mir in den Frachtraum. Weenderveen, zur Krankenstation. Sie behalten dort unsere beiden Patienten im Auge und schicken den Doc ebenfalls zum Hangar.«

Die anderen bestätigten kurz. Danach verließen sie die Brücke. Als sie den Hangar erreichten, gab es noch keine Freigabe zum Betreten. Soeben wurde die Kapsel mit dem Fangstrahl hereinbefördert. Erst als der Druckausgleich wiederhergestellt und Frischluft in den Hangarraum gepumpt worden war, ließen sich die Schotten öffnen.

Sentenza schritt voran. Ihm folgten Sonja und Thorpa. Das Protokoll des Corps verlangte, dass zumindest einer bei der Bergung eines unidentifizierten Objekts bewaffnet war. Wie um Sentenza daran zu erinnern, zog Sonja den Strahler, den sie auf dem Weg an sich genommen hatte, und hielt ihn schussbereit in Richtung der Kapsel.

Das geborgene Fluchtvehikel parkte neben einem der beiden Beiboote der Ikarus. Die sternförmige Kapsel maß vielleicht drei Meter im Durchmesser. Aber niemand machte Anstalten, das Fahrzeug zu verlassen. Seltsam … Sentenza beschlich ein ungutes Gefühl, als er das sternförmige Objekt betrachtete. Er wusste nicht, woher die Nervosität kam. Möglicherweise war es eine Spur innerer Eingebung und etwas von angeborenem Instinkt, der ihn am liebsten das Ding wieder in den Weltraum hinausschleudern lassen wollte. Doch dafür war es jetzt zu spät.

Doktor Jovian Anande betrat den Hangar und prüfte nochmals mit einem medizinischen Handscanner die Außenhülle der Kapsel. Nach einer halben Minute schüttelte er leicht den Kopf und verkündete: »Keine bekannten Viren.«

»In Ordnung, an die Arbeit!«, befahl Sentenza.

Während Sonja weiterhin sicherte, öffneten Thorpa und der Captain die magnetische Versiegelung. Es gab an der Ausstiegsluke ein elektronisches Eingabefeld, das auf die Standardcodes des Freien Raumcorps ansprach. Zischend schob sich das Luk beiseite und gab den Blick auf den engen Innenraum der Kapsel frei. Sie bot gerade einmal Platz für eine Person und der Mann, der in dem unbequemen Schalensessel lag, hatte sich bei seiner Größe förmlich in den Raum zwängen müssen.

Anande bugsierte die Antigravtrage zur Öffnung, während Sentenza und Thorpa den Mann aus dem Sitz hievten und anschließend behutsam auf die Schwebe legten. Sonja steckte den Laser weg, da keine unmittelbare Gefahr drohte.

Der Fremde lag wie schlafend da, doch sein recht junges Gesicht war zu einer hässlichen Grimasse verzerrt, als wäre ihm vor seiner Bewusstlosigkeit etwas Schreckliches zugestoßen. Er trug eine weite, graue Robe, die ihm bis zu den Knien reichte, dazu gleichfarbige Stoffhosen und leichte Halbstiefel. Seine Haut war bleich wie bei jemandem, der schon lange kein Sonnenlicht mehr gesehen hatte. Der Schädel des Mannes war kahl rasiert.

»Was fehlt ihm?«, fragte Sentenza, als Anande mit dem medizinischen Scanner die Vitalfunktionen des Bewusstlosen untersuchte.

»Sauerstoffmangel und traumatische Zustände«, sagte der Doktor. »Die Lebenserhaltung in der Kapsel konnte die Luft nicht mehr regenerieren. Offenbar ist das Fluchtfahrzeug nur für ein paar Stunden Flug ausgelegt – und diese Zeit ist überschritten worden.«

»Grundgütiges Raumcorps!«, fluchte Sonja. »Wer konstruiert solche Rettungskapseln? Die müssen doch damit rechnen, dass man manchmal Tage oder sogar Wochen im freien Raum treibt, ehe man gerettet werden kann.«

»Wenn überhaupt«, gab Sentenza zu denken. »Eine Rettungskapsel zu finden, gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aufgrund ihrer Größe verfügen sie oft nicht über leistungsstarke Sender, um Rettungsschiffe über Lichtjahre hinweg zu erreichen. Mich wundert, dass diese Kapsel mit einem Hypersender ausgestattet ist.«

»Umso erstaunlicher ist, dass man den Flüchtigen nur eine kurze Lebensspanne einräumt«, fügte Thorpa hinzu und raschelte erregt mit seinen armartigen Astgeflechten. »Jetzt bin auch ich gespannt, wie das Mutterschiff aussieht.«

Anande hantierte mit der Fernsteuerung der Schwebeliege und ließ diese anfahren. Bei dem leichten Ruck bewegte sich der Bewusstlose plötzlich. Er wurde nicht wach, schlug aber um sich und murmelte kaum verständliche Worte, während Speichel aus seinen Mundwinkeln troff.

Sentenza bedeutete Anande, die Trage anzuhalten. Dann beugte er sich dicht über die Lippen des Patienten und versuchte, etwas von dem traumatischen Gebrabbel zu verstehen.

Doch der Fremde stieß nur noch ein einziges Wort aus, ehe er erneut in die Bewusstlosigkeit abdriftete. Dieses aber war auch für die anderen deutlich genug zu verstehen.

»Zuflucht«, sagte er und sank kraftlos in sich zusammen.

Die Luft war stickig geworden, schmeckte verbraucht. Gleichzeitig war die Temperatur im Tempelraum um einige Grad angestiegen. Beides sichere Anzeichen dafür, dass die Lebenserhaltung in dem Bereich versagte. Die Wärme zeigte Nova jedoch auch, dass nur in ihrem Bereich die technischen Einrichtungen versagten. Wären die Hauptmaschinen ausgefallen, hätte die Temperatur langsam, aber sicher abfallen müssen.

Nova beugte sich über den immer noch ohnmächtigen Akolythen. Er hatte sich beim Sturz den Kopf an einer Kante des Schreins aufgeschlagen und blutete heftig aus einer unschönen Wunde. Die Suchenden hatten sich kleine Stoffbahnen aus ihren grauen Gewändern gerissen und diese als Ersatzverband um Prosperos Stirn gebunden. Nova glaubte nicht, dass sie die Blutung damit gestoppt hatten, denn teilweise schimmerte es schon rot durch den Stoff hindurch. Der Akolyth musste schnellstmöglich zur Medostation gebracht werden. Vermutlich hatte er auch eine starke Gehirnerschütterung.

»Er wird schon wieder.«

Nova wandte den Blick und sah direkt in die Augen des Mannes, der sich als Erster den Anordnungen Prosperos widersetzt hatte und zur Tür gestürmt war. Jener Mann, den Nova heute das erste Mal in ihrer Gebetsgruppe gesehen hatte und dessen Namen sie nicht kannte.

»Sagst du das, um dich selbst zu beruhigen?«, fragte sie und gebrauchte die in der Gemeinde übliche Vertraulichkeit zwischen den Jüngern.

Der Mann zog die Brauen hoch. »So schlimm sieht es nicht aus. Nur eine Platzwunde.«

»Es ist mehr als eine Platzwunde«, widersprach Nova und fügte mit schärferem Ton als gewollt hinzu: »Das weißt du!«

Beunruhigt sah der Mann über seine Schulter zurück. Er entspannte sich sichtlich, als er keinen der anderen Suchenden in der Nähe gewahrte. Einige waren stur auf ihren Gebetsplätzen sitzen geblieben, während der Rest an dem Portal stand und versuchte, das Schott zu öffnen. Ohne Energie ein hoffnungsloses Unterfangen.

»Ich kann dir nichts vormachen, was?«, sagte der Mann geradeheraus. Im schwachen Schein der Glimmerstäbe, die über eine autonome Energieversorgung verfügten, wirkte sein Gesicht wie in Stein gemeißelt. Wie alle Suchenden war er barhäuptig. Erst den Adepten war es gestattet, wieder das Haar wachsen zu lassen. In seinen grauen Augen lag ein Ausdruck von Zuversicht. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Nova ihn als attraktiv bezeichnet, doch in ihrer jetzigen Situation war er nur ein Mitleidender.

»Ich wollte nur keine Panik verursachen«, sagte er.

Nova nickte. Das war das, was sie jetzt am wenigsten gebrauchen konnten. Sie mussten warten, bis jemand von außen das Portal gewaltsam öffnete oder die Energie in diesem Sektor der Zuflucht wiederhergestellt werden konnte.

»Mein Name ist übrigens Reno«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand.

Nova ergriff sie und nannte ihren Namen. Seine Finger fühlten sich seltsam weich an, als hätte er noch nie in seinem Leben schwere körperliche Arbeit verrichtet. Aber das war kein Wunder. Die Gemeinschaft nahm jeden auf, der bereit war, Hab und Gut aufzugeben und sein Leben in den Dienst des Erlösers zu stellen.

»Ich habe dich vorhin beobachtet«, gestand Reno ihr. »Du hast dir gewiss Gedanken über unsere Situation gemacht. Was, glaubst du, ist geschehen?«

Nova hob die Schultern. Sie sah zu Prospero hinunter, den sie auf die Stufen vor den Schrein gebettet hatte. Er lag da wie tot. Sein Brustkorb bewegte sich kaum, doch er atmete noch.

»Ich weiß nicht. Ein Energieausfall …«

Reno machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein«, unterbrach er sie, und seine Stimme nahm einen leisen, fast verschwörerischen Tonfall an, »da muss mehr passiert sein. Bei einem Energieabfall in einem Sektor wird kein Alarm ausgelöst. Wir wissen aber, dass vorhin noch die Sirenen zu hören waren. Ich denke, wir haben Schaden erlitten und einige Bereiche sind jetzt ohne Energie und können nicht reaktiviert werden.«

»Sicherlich wird man den Schaden bereits reparieren«, mutmaßte Nova und schickte sich an, den provisorischen Verband von der Stirn des Akolythen zu wickeln, doch ehe sie die Bewegung vollenden konnte, legte sich Renos Hand auf ihren Arm. Sie zuckte zusammen.

»Das glaube ich nicht. Die Zuflucht ist nicht für große Reparaturen ausgestattet. Und hast du dich nicht gefragt, warum sie noch kein Loch in das Schott geschnitten haben, um uns hier herauszuholen? Die müssen doch oben schon mitbekommen haben, dass uns hier langsam, aber sicher die Luft ausgeht. Stattdessen kümmert sich niemand um uns.«

Nova blickte den anderen verständnislos an. Was seine Worte zum Ausdruck bringen wollten, war ungeheuerlich. Für einen Moment rotierten ihre Gedanken um einen nicht fassbaren Punkt, der sich mit rasender Geschwindigkeit von ihr entfernte und sie in einen Abgrund zu reißen drohte. Erst als sie Renos Hände auf ihren Schultern spürte und den eindringlichen Klang seiner sonoren Stimme hörte, fand sie in die Realität zurück. Der Schweiß perlte auf ihrer Stirn und sie merkte, wie heiße Schauer ihren Körper erfassten, die sie von innen heraus scheinbar verbrennen wollten.

»Das … kann nicht sein«, sagte sie lahm, obwohl sie selbst schon darüber nachgedacht hatte, warum ihnen niemand zu Hilfe kam. »Der Erlöser würde nicht zulassen, dass den Suchenden etwas zustößt.«

»Der Erlöser«, erwiderte Reno, »ist fort.« Er deutete auf das erloschene Hologramm.

Nova schluckte. Ihr Blick wanderte hinüber zu den anderen Suchenden. Sie atmete ein paarmal tief durch, doch diesmal halfen ihr die Übungen nicht, sich zu beruhigen. Ihre Gedanken kreisten um die unfassbare Vorstellung, dass Reno mit seiner Behauptung recht behielt und der Erlöser sie tatsächlich verlassen hatte.

»NEIN!«

Ihr Aufschrei ließ die anderen Suchenden herumfahren. Selbst Reno zuckte erschrocken zurück. Ein Gefühl der Unsicherheit stahl sich auf seine Züge. Er hatte sich weit hinausgelehnt mit seinen Behauptungen. Auf Gotteslästerung stand im Allgemeinen schwere Bestrafung – und nichts anderes hatte Reno eben getan, als er die Macht des Erlösers infrage gestellt hatte.

Als ihrem Schrei nichts weiter folgte, beruhigten sich die anderen wieder. Einige untersuchten weiter das Portal, die Übrigen zogen sich aus dem Gebetskreis an die Wände zurück und sanken in sich zusammen wie ein Häufchen Elend. Sie mussten längst gemerkt haben, dass die Luft im Tempelraum knapp wurde.

»Oberstes Gebot bei den Gottesdiensten und Gebetsstunden?«, raunte Reno Nova zu. Er hatte sich zu ihr heruntergebeugt und sie hatte das Gefühl, als würden seine Lippen jeden Augenblick ihr Ohr berühren.

»Keine Störung während der Riten«, zitierte Nova aus dem Rashett, der Heiligen Schrift der Gemeinde.

»Wie lange würde der Gebetszyklus noch dauern?«

Nova zuckte die Achseln. »Eine Stunde noch.«

»Eher wird niemand einen Versuch unternehmen, hier einzudringen«, behauptete Reno. »Und mehr noch. Absatz neun untersagt den gewaltsamen Zutritt zu einem Tempelraum, solange sich noch Jünger in ihm befinden.«

»Keine Gewalt …«, echote Nova und starrte gedankenverloren vor sich hin. Sie rückte von dem bewusstlosen Prospero ab und lehnte mit dem Rücken gegen die Seitenwand des Schreins – ein Sakrileg ohnegleichen, doch niemand versuchte, sie deswegen zu maßregeln.

»Wir müssen selbst einen Weg hinaus finden«, sagte Reno.

Nova schüttelte kaum merklich den Kopf. Ihr Weltbild zerbröselte mit jeder verstreichenden Sekunde.

Sie schloss die Augen, presste sich die Hände gegen die Lider, als könne sie dadurch die gerade gewonnene Erkenntnis verleugnen, doch auf ihren Netzhäuten glitzerten Tausende von irrlichternden Funken, die ihr den Verstand aus dem Hirn zu fressen schienen. Die Übelkeit spürte sie schon nicht mehr. Nur noch das Rotieren, den Sog, der sie hinab in die Tiefe riss.

Warum mussten sich Raumschiffskapitäne alles zweimal erzählen lassen? Ähnlich verhielt es sich mit Polizisten, die einen wichtigen Zeugen vernehmen wollten, der gerade erst auf die Intensivstation eingeliefert worden war. Es war immer die gleiche Geschichte.

»Ich muss den Mann sofort sprechen!«

»Völlig ausgeschlossen.«

»Hören Sie, es ist wirklich wichtig.«

»Und wenn das Universum in Stücke geschossen wird, Sie sprechen jetzt nicht mit ihm.«

»Doktor!«

»Sie haben mich gehört. Geben Sie ihm eine Stunde. Eine Stunde!«

Jovian Anande schüttelte ein wenig genervt den Kopf, als sein Blick zu dem Chrono auf seinem Schreibtisch wanderte. Er ging jede Wette ein, dass Sentenza in der Hinsicht nicht anders war als all die Kapitäne und Polizisten, die der Doktor entweder persönlich kennengelernt oder von denen er gehört hatte. Auf die Minute pünktlich mit Verstreichen der Stunde würde er wieder auf der Matte stehen. Anande seufzte, erhob sich vom Schreibtisch und ging zum Hauptbehandlungsraum. Von den zehn Intensivmedostationen war nur eine belegt. Anande hatte die anderen beiden Patienten in das Zimmer für Leichtverletzte gebracht.

Eine Zeit lang beobachtete er konzentriert die Anzeigen des medizinischen Scanners, der an der Seite des breiten Bettes angebracht war. Die Lebensfunktionen des Fremden hatten sich stabilisiert. Anfangs hatte es nicht so ausgesehen, als würde er den Tag überstehen.

Anande hörte die Schritte und grinste.

Er kannte den Captain. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Ich habe Sie schon erwartet, Sir.«

»Ach?«, machte Sentenza und gesellte sich an die Seite des Arztes, den Blick auf den Patienten gerichtet. »Ich wusste gar nicht, dass Sie über hellseherische Fähigkeiten verfügen, Doktor.«

»Machen Sie sich nur lustig über mich.«

Der Captain drehte den Kopf in Anandes Richtung und grinste ebenfalls. »Na schön, wie sieht er aus?«

»Sein Zustand ist stabil, aber er wird noch einige Tage Ruhe brauchen. Ob sein Gehirn Schaden genommen hat, werde ich erst auf Vortex Outpost feststellen können.«

»Das muss warten«, sagte Sentenza.

Anande zog die Stirn kraus. »Wie bitte? Der Mann hat bei versagender Lebenserhaltung mehrere Stunden ausgehalten. Sein Hirn war mit Sauerstoff unterversorgt, er muss …«

Der Captain fiel ihm ins Wort. »Dort, wo er herkam, muss es ein Schiff geben, Doc. Die Fluchtkapsel ist von irgendwo gestartet und wir müssen erfahren, von wo. Wecken Sie ihn jetzt bitte auf. Ich verspreche Ihnen, mich kurz zu fassen.«

Anande murmelte eine unschöne Bemerkung, begab sich an die Tastatur neben dem Bett und tippte eine Zahlenkolonne ein. Automatische Injektoren näherten sich der Haut des Patienten und schossen mit Hochdruck Seren in seine Venen. Kurz darauf begannen seine Lider zu flattern. Die Arme zuckten unkontrolliert. Anande verabreichte ein weiteres Medikament.

»Fünf Minuten«, raunte er Sentenza zu.

Dieser nickte und trat näher an das Bett heran. Der Fremde blinzelte und schirmte seine Augen mit einer Hand ab. Er sah Sentenza an, doch sein Blick war leer, als schaue er durch den Captain hindurch.

»Ich bin Captain Roderick Sentenza vom Freien Raumcorps«, sprach Sentenza ihn an. »Können Sie mich verstehen?«

Der Blick des anderen klärte sich. Er blinzelte erneut, schluckte hart und deutete dann unter Anstrengung ein Nicken an.

»Wie ist Ihr Name?«

»G-gundolf«, stammelte der Patient.

»Und weiter?«

Der Mann zog die Brauen hoch. Dann erhellte sich seine Miene ein wenig und er schien erst jetzt zu begreifen, was Sentenza von ihm wissen wollte.

»Johannsson«, sagte er. »Ich heiße Gundolf Johannsson. Es ist lange her, dass ich diesen Namen benutzt habe.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Sentenza verwundert.

»Da, wo ich herkomme, sind Nachnamen nicht gebräuchlich«, erklärte der andere.

»Womit wir zum Punkt kämen«, wechselte Roderick Sentenza das Thema. »Wir haben Sie aus einer defekten Rettungskapsel geholt. Von wo aus sind Sie gestartet? Ist ein Schiff in Not geraten? Wir sind ein Rettungsteam von Vortex Outpost und …«

»Nova!«, fuhr Johannsson dazwischen. »Großer …!«

Sein Oberkörper richtete sich auf. Schon machte er Anstalten, vom Bett zu springen, doch Anande war noch schneller als Sentenza. Der Arzt drückte den Patienten behutsam zurück auf das Lager und warf Sentenza einen drohenden Blick zu.

»Was haben Sie mit ihm gemacht?«

Sentenza wollte sich verteidigen, aber Johannsson kam ihm zuvor.

»Lassen Sie’s gut sein, Doktor. Es ist … meine Schuld.«

Sentenza seufzte, zog einen Stuhl an das Bett heran und setzte sich. Er bat den anderen, von vorn anzufangen. Johannsson fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

Er fragte nach einem Glas Wasser, und erst als er das von Anande dargebotene Gefäß ganz geleert hatte, war er bereit zu reden.

»Ich komme … von der Zuflucht …«

Er machte eine Pause. Offenbar erwartete er, dass jeder in der Galaxis schon einmal von der Zuflucht gehört hatte, wobei er offenließ, ob es sich dabei um ein Schiff, eine Station oder gar eine Stätte auf irgendeinem Planeten oder Asteroiden handelte. Weder Sentenza noch Anande unterbrachen ihn.

»Ich bin Suchender, genau wie meine Gefährtin Nova. Es gab einen Unfall im Reaktor und Stromausfälle. Einige der Gebetsgruppen waren eingeschlossen. Richter Oberon wollte eine Rettungsmannschaft mobilisieren, um das Portal zum Tempelraum aufzubrechen, aber … aber …«

Johannssons Stimme versagte ihm den Dienst. Er sank schluchzend in dem Bett zusammen. Sentenza beugte sich vor und fasste ihn bei der Schulter, doch als er ihn leicht rüttelte, zog ihn Anande zurück.

»Das reicht jetzt«, meinte der Doktor, widmete sich wieder dem Medopult und versetzte dem Patienten eine Injektion, die ihn sofort einschlafen ließ.

»Doktor Anande, wir sind keinen Schritt weitergekommen«, schnappte Roderick. »Offenbar gibt es noch immer Leute auf dieser … Zuflucht, die unsere Hilfe benötigen!«

Anande lag eine bissige Bemerkung über die Behandlung seiner Patienten auf den Lippen, doch er schluckte sie herunter.

»Vielleicht kann ich ein wenig aushelfen.«

Sentenza und Anande zuckten gleichermaßen zusammen, als sie die Stimme hinter sich vernahmen. Sie hatten die anderen zwei Patienten ihrer letzten Bergung vollkommen vergessen. Nun stand einer der beiden vor ihnen.

Der Mann war noch relativ jung, besaß jedoch eine hohe Stirn und schütteres Haar. Er war Priester der Galaktischen Kirche zu St. Salusa. Zusammen mit seinem Schüler war er von der Ikarus-Crew aus dem Missionsschiff gerettet worden.

»Sie sollten lieber im Bett bleiben, Priester Lemore«, riet Anande und tippte wie zur Unterstreichung seiner Worte auf das Medoterminal neben dem Bett Johannssons. Er ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, auf welche Weise er den anderen schlafen schicken wollte, sollte dieser sich nicht fügen.

»Nein, Anande«, wandte Sentenza ein. »Diesmal lassen Sie Ihren Patienten reden. – Also schön, Hochwürden. Was wissen Sie?«

Lemore kam nicht mehr dazu, seine Kenntnisse mit den anderen zu teilen. Ein Knacken im Interkom hinderte ihn daran. Sogleich schallte Trooids Stimme durch die Krankenstation.

»Brücke an Sentenza!«

Der Captain hastete zur Bordfunkanlage und hieb die Sprechtaste herunter. »Sprechen Sie, Trooid.«

»Unsere Instrumente orten einen starken Energieanstieg in Hangar eins. Sieht wie ein Reaktorbrand aus.«

»Unser Beiboot?«

»Negativ, Sir. Bei der Ferndiagnose ist alles in Ordnung.«

Die Fluchtkapsel, dachte Sentenza angestrengt. Laut fragte er: »Können wir da rein?«

»Die Strahlungsintensität ist bereits zu hoch, Captain.«

»Können wir den Hangar eindämmen?«

»Ich weiß nicht«, gab Trooid zurück. »Bei dieser Energiemenge nicht zu empfehlen.«

»Was haben Sie im Hangar gelagert?«, fragte Priester Lemore plötzlich.

Sentenza ertappte sich dabei, wie er einem Zivilisten antwortete, obwohl er das in solchen Situationen noch nie getan hatte.

»Ein Beiboot, Treibstoffvorräte und die Rettungskapsel von Mr. Johann…«

»Bei der Großen Stille!«, rief Lemore laut aus. »Sie müssen die Kapsel abstoßen. Schnell!

»Captain?« Trooid hatte mitgehört und wartete auf den Befehl.

»Tun Sie es, Arthur!« Er wandte sich zu Anande und dem Priester um. »Sie bleiben hier. Passen Sie auf ihn auf, Doc. Ich bin auf der Brücke.«

Sentenza verließ fast fluchtartig die Medostation und hastete den Gang entlang zum Aufzug. In der Kabine erwartete ihn bereits Weenderveen, der Dienst im Maschinenraum gehabt und seine Arbeit sofort unterbrochen hatte. Schweigend fuhren sie zwei Decks hoch, stürzten aus der Kabine und erreichten die Brücke.

»Lagebericht!«, befahl Sentenza, warf Sonja einen kurzen Blick zu und ließ sich in seinem Sessel nieder.

»Energieanstieg um einhundert Prozent«, verkündete Chief DiMersi. »Das Ding müsste den Werten nach mit fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, aber es treibt seelenruhig zwischen den Asteroiden umher.«

»Bringen Sie uns raus, Trooid.« In Sentenzas Stimme schwang Eile mit.

Der Droid bestätigte erst gar nicht. Seine Finger huschten über die Tastatur am Steuerblock. Auf dem Schirm war zu sehen, wie sich die Ikarus in Seitenlage begab und beschleunigte.

»Energieanstieg bei einhundertfünfzig Prozent«, las Sonja die Werte auf ihren Displays ab. »Das Ding hätte längst explodieren müssen.«

Die Asteroiden sausten auf dem Schirm nur so an ihnen vorbei. Trooid arbeitete fieberhaft an der Konsole. Doch trotz seiner Fähigkeiten und der intelligenten Steuerung der Ikarus II konnten sie nicht allen Gesteinsbrocken ausweichen. Ein ballgroßes Objekt kollidierte mit dem Schirm. Ein größeres Trümmerstück schob sich genau in die Flugbahn.

Weenderveen handelte. Die Zielautomatik visierte den Asteroiden an. Die Plasmakanonen spien zwei grelle Strahllanzen aus, die sich in den Koloss bohrten und ihn aus dem Innern heraus pulverisierten. Ein Hagel Tausender von Steinen prasselte auf die Schilde der Ikarus nieder.

»Frontschilde bei achtzig Prozent«, rief Sonja.

»Trooid, Asteroid auf drei Komma acht!«, tönte Weenderveens Stimme.

Trooid änderte den Kurs, doch im selben Moment kippte das Schiff einfach zur anderen Seite. Sentenza stellte beruhigt fest, dass die Künstliche Intelligenz in das Manöver des Droiden eingegriffen hatte. Aber im nächsten Moment glaubte er doch nicht mehr, dass sie das Richtige getan hatte. Auf dem Hauptschirm tauchte eine gigantische Felsenmasse auf: ein Asteroid so groß wie ein kleiner Mond – und die Ikarus jagte mit Volllast direkt darauf zu!

»Ausweichmanöver, Trooid!«

»Die Steuerung reagiert nicht, Sir!«

»Verflucht, die Kapsel!«, stieß Sonja erschrocken hervor. »Sie explodiert.«

Die Ikarus tauchte – noch immer gelenkt von der KI – in den Asteroidenschatten ab, jagte mit atemberaubender Geschwindigkeit dicht über die Oberfläche des Himmelskörpers hinweg. Fast Haken schlagend wand sich das Schiff um Felsformationen, scharfe Kanten und Scharten.

Dann wurde es schlagartig hell.

Das All stand in einem pulsierenden Atommeer, erstrahlte in einer unermesslichen Lichterflut, die jedes Lebewesen, das Zeuge dieses Ereignisses wurde, in einer Nanosekunde erblinden lassen würde. Selbst durch den sofort vor den Bildschirm geschalteten Filter schmerzte das Gleißen der Explosion in den Augen der Crew, als würde es ihnen jeden Moment das Gehirn herausbrennen. Sentenza kniff die Augen zusammen, doch das Licht stach durch seine Lider, malträtierte seine Netzhäute, bis ihm die Tränen ins Gesicht schossen. Dem gequälten Aufschreien der anderen entnahm er, dass es ihnen nicht besser erging.

Das grelle Licht musste nur wenige Sekundenbruchteile durch die Kommandozentrale der Ikarus geflutet sein, ehe Trooid geistesgegenwärtig den Schirm einfach abschaltete.

Dennoch fühlte sich Sentenza, als hätte er Ewigkeiten in dem Explosionsschein gebadet.

»Erreichen Asteroidenschatten«, verkündete Trooid. Nur kurz darauf traf die energetische Schockwelle das kleine Schiff. Die Ikarus schien von einer unsichtbaren Hand gepackt und durchgeschüttelt zu werden.

»Trägheitsdämpfer versagen!«

Ein Ruck ging durch den Kreuzer. Sentenza fühlte sich für Sekunden wie im freien Fall, wurde dann mit dem Mehrfachen seines Gewichts in den Sitz gepresst und keuchte vor Schmerz auf.

»Gravitationsverlust in Hangar zwei. Schildheckprojektoren auf zwanzig Prozent gefallen. Kritische Strahlungswerte im Maschinenraum. Leichte Beschädigungen an der Außenhülle im Triebwerkbereich.«

Die Schadenmeldungen hämmerten nur so auf Sentenza ein. Trooid, der Einzige, der noch aktionsfähig war, hatte die kompletten Anzeigen auf sein Pult geschaltet.

»Springen … Sie … Trooid!«, presste Roderick Sentenza unter Qualen hervor. Sie mussten dem Inferno durch den Hyperraum entkommen, ehe die Schockwelle sie vollends erwischte.

»Geht nicht, Captain«, antwortete der Droid tonlos. »Um uns sind überall gravimetrische Verzerrungen. Ich kann keinen Kurs berechnen.«

Sentenza fluchte und versuchte, die Lider zu heben. Vor seinen Augen tanzten Sterne und bunte Flecke, die so hell waren, dass er sie sofort wieder schloss. Die Vibrationen und Erschütterungen verebbten, dennoch sah sich der Captain außerstande, sich zu rühren.

»Wir sind durch.«

Irrte er sich oder schwang in Trooids Stimme tatsächlich so etwas wie Erleichterung mit? Sentenza atmete tief durch und blinzelte. Das Bild hatte sich um keinen Deut gebessert. Er schaute nach rechts und glaubte, durch das leuchtende Sternenmeer auf seinen Netzhäuten die Gestalten Sonjas, Weenderveens und Thorpas auszumachen. Der Chief hockte vor einer Konsole und versuchte erfolglos, sich hochzuziehen. Weenderveen und der Pentakka lagen auf dem Boden – offensichtlich bewusstlos.

Das Brückenschott öffnete sich zischend. Sentenza hörte Schritte, dann ein leichtes Sirren und ein plötzliches, lautes Klacken, das von dem Injektor herrührte.

»Warten Sie zwei, drei Minuten«, sagte Dr. Anande neben ihm. »Ihre Sehkraft wird gleich zurückkehren.«

»Woher …?«

»Trooid hat mich informiert.« Dann ging Anande zu den anderen.

Sentenza vermochte nicht zu sagen, ob tatsächlich die vom Doktor angegebene Zeit verstrichen war, doch als ihm das Warten zu langweilig wurde, riss er die Augen einfach auf und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass er wieder halbwegs sehen konnte. Hier und da sprangen noch imaginäre Funken durch sein Blickfeld, doch er konnte die anderen erkennen und das genügte.

»Was zur Hölle ist da passiert, Trooid?« Noch ein wenig schwach stemmte er sich aus dem Sitz und ging zu Sonja hinüber.

»Nichts gebrochen«, sagte Anande, als er alle drei versorgt hatte. »Das hätte schlimmer kommen können.«

»Sagen Sie nicht, das war eine Selbstvernichtung, Trooid«, rief Sonja dem Droiden zu.

Dieser schwang in seinem Sessel herum und ließ mit keiner Miene erkennen, worüber er nachdachte, als er die Mannschaft schweigend musterte.

»Doch«, meinte er schließlich. »Allerdings keine gewöhnliche. Das Energiepotenzial des Maschinenkerns hat sich exponentiell erhöht. Wer immer diese Selbstzerstörung in die Fluchtkapsel integriert hat, wollte nicht nur, dass die Einheit in ihre Atome gesprengt wird, sondern auch noch eine möglichst verheerende Zerstörung im Umfeld der Kapsel erwirken.«

Die anderen starrten Trooid verständnislos an. Es war schon unfassbar genug, dass ein Rettungsfahrzeug mit einer derartigen Einrichtung versehen war. Aber die neue Erkenntnis schlug dem Fass den Boden aus.

Trooid wandte sich wieder den Kontrollen zu und projizierte eine ums Tausendfache verdunkelte Aufzeichnung der Außenbordkameras auf den Hauptschirm.

»Wir haben drei unserer vier Kameras achtern verloren«, sagte der Droid. »Die Linsen haben der Lichtintensität nicht widerstanden, anschließend sind die Gehäuse beim energetischen Schock einfach verdampft. Sehen Sie sich die Aufzeichnung an.«

Sentenza half Sonja beim Aufstehen. Sie stützte sich auf ihn und war dankbar, als er sie in seinen Kommandosessel bugsierte. Als die Trägheitsdämpfer versagt hatten, hatte sie am Pult gestanden und die volle Wucht der Gravitationsbelastung am eigenen Körper erfahren müssen. Ein Wunder, dass sie bereits wieder einigermaßen stehen konnte.

Auch Weenderveen und Thorpa waren nun wach. Der Doktor half ihnen, sich an ihre Stationen zu setzen. Gebannt starrten sie alle zum Schirm und verfolgten den Ablauf der Vernichtung.

Im Zentrum der sternförmigen Fluchtkapsel blähte sich ein gold schimmernder Ball aus Plasmaentladungen auf. Innerhalb von Sekundenbruchteilen brach das Inferno über das Asteroidenfeld herein. Unzählige der Trümmerstücke wurden einfach vaporisiert, größere zersplitterten, sprengten in den Raum hinaus, kollidierten mit anderen und setzten eine nicht aufzuhaltende Kettenreaktion in Gang, die den größten Teil des Asteroidenfeldes zersprengte. Dann schob sich der gewaltige Brocken ins Bild, hinter dem die KI-Steuerung der Ikarus Deckung gesucht hatte. Die Crew konnte sich vorstellen, warum sie überhaupt noch am Leben war. Der riesige Asteroid hatte einen immensen Anteil der Strahlungsenergie absorbiert und die davongeschleuderten Trümmer seiner Nachbarn abgefangen.

»Das war ja verdammt knapp«, kommentierte Darius Weenderveen. »Wo hast du denn so fliegen gelernt, Arthur?«

Trooid setzte zu einer Erwiderung an, doch Sonja DiMersi fiel ihm ins Wort. »Ha! Von wegen, Trooid!« Der Chief funkelte Sentenza wütend an. »Gibt es vielleicht irgendetwas, das ich als Chefingenieur dieses Schiffs wissen müsste, Captain?«

Sentenza sah Sonja beinahe flehend an. Warum musste sie das ausgerechnet jetzt zur Sprache bringen? Sein Blick wanderte zu den anderen, die ihn neugierig und erwartungsvoll musterten.

»Es gibt tatsächlich etwas, über das wir reden sollten«, sagte Sentenza schließlich. »Ich habe ohnehin schon überlegt, eine Besprechung mit der Crew einzuberufen, aber wir müssen uns jetzt vorrangig um das«, er deutete zum Schirm auf dem Trooid das Bild vom Beginn der Explosion der Fluchtkapsel eingefroren hatte, »dort kümmern. Nach Beendigung unseres Einsatzes werden wir uns über die Modifikationen an der Ikarus unterhalten.«

»Modifikationen?«, horchte Sonja auf und fragte gleich darauf eine Spur schärfer: »Welche Modifikationen?«

»Sonja, bitte …«

Der Chief hob einen Finger und zeigte fast schon anklagend auf den Captain. »Wir sprechen uns später.«