Rettungskreuzer Ikarus 83: Kein Schrei zu laut - Dirk van den Boom - E-Book

Rettungskreuzer Ikarus 83: Kein Schrei zu laut E-Book

Dirk van den Boom

4,0

Beschreibung

Was ist Recht? Und was ist Freiheit? Und was passiert, wenn eine Mutter nach ihrem Kind sucht und feststellt, dass es entführt und gefangen wurde? Roderick Sentenza und die Crew der Ikarus stehen vor der letzten Herausforderung: das Unrecht wieder gutzumachen, ohne weitere Leben zu gefährden, und eine Basis für eine Verständigung zu errichten, die eine Katastrophe verhindert. Auf dem havarierten Frachter, auf der Bergbaustation und auf der Ikarus entwickelt sich ein vielschichtiger Konflikt, an dessen Ende die Verantwortliche entweder bestraft oder belohnt wird.

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Inhalt

Impressum

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

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7.

8.

9.

10.

11.

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14.

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16.

17.

18.

19.

Epilog

Weitere Atlantis-Titel

Impressum

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Oktober 2021 Alle Rechte vorbehalten. © Dirk van den Boom & Thorsten Pankau Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Anna Spies Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Endlektorat: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-805-2 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-806-9 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Der Rettungskreuzer Ikarus des Freien Raumcorps wird dafür eingesetzt, in der besiedelten Galaxis sowie jenseits ihrer Grenzen all jenen zu helfen, die sich zu weit vorgewagt haben, denen ein Unglück zugestoßen ist oder die anderweitig dringend der Hilfe bedürfen. Die Ikarus und ihre Schwesterschiffe sind dabei oft die letzte Hoffnung bei Havarien, Katastrophen oder gar planetenweiten Seuchen. Die Crew der Ikarus unter ihrem Kommandanten Roderick Sentenza wird dabei mit Situationen konfrontiert, bei denen Nervenstärke und Disziplin alleine nicht mehr ausreichen. Man muss schon ein wenig verrückt sein, um diesen Dienst machen zu können – denn es sind wilde Zeiten …

1.

Wenn Jane Smith, die aktuell auch auf den Namen Montclerc hörte, allein war, ungestört und unbeobachtet, dann, in einem schwachen Moment, weinte sie manchmal.

Aus Wut natürlich.

Sie stand aktuell kurz davor, war auch ungestört, saß im Büro, das man ihr zur Verfügung gestellt hatte, ihrer angeblichen wie tatsächlichen Rolle gleichermaßen angemessen, nicht luxuriös, aber groß. Räumliche Größe bedeutete Status auf dem Asteroiden Scrola, auf dem sie ihr Hauptquartier eingerichtet hatte, von dem aus sie mit der Ikarus kommunizierte und den ganzen ängstlichen Wieseln, die das Problem in Gestalt dieses albernen Rettungskreuzers erst auf sie herabbeschworen hatten.

Hätte man ihr nur mehr Zeit gegeben. Hätte. Was für ein entsetzliches Wort, beschrieb es doch ein verloren gegangenes Potenzial, im Regelfall entweder das Resultat aus Feigheit oder aus Dummheit, in dieser Situation aus beidem, und deswegen, für einen Augenblick, überkam es Jane Smith und Tränen benetzten ihre Augen, an denen nichts romantisch oder verklärt war. Es war eine Flüssigkeit des Hasses und des Zorns, herausgepresst aus einer emotionalen Erregung, in der Trauer keinen Platz hatte, sondern nur eine tiefe Verachtung.

Verachtung für … eigentlich alle. Die Welt bestand aus Dummköpfen und Jane Smith hätte damit kein Problem gehabt, wenn es nicht so viele gewesen wären. Sie konnte sie nicht alle manipulieren oder einschüchtern oder belügen oder, noch besser, erschießen. Es – waren – einfach – zu – viele.

Sie ballte die Hände zu Fäusten und drückte fest zu, beide auf die Tischplatte vor sich gelegt, drückte, bis ihre Nägel sich schmerzhaft ins eigene Fleisch gruben und sie befürchten musste, dass es zu bluten begann. Dann zwang sie sich, die Hände wieder zu entspannen, starrte auf die Druckstellen, als könne sie nicht begreifen, woher diese nun kamen, atmete tief ein und aus, spürte das Zittern ihrer Lungen, die eigentlich ein wütendes Schluchzen herauspressen wollten. Jane Smith schluchzte nicht, sie war keine leidende Prinzessin, sie ließ Prinzessinnen leiden. Und sie durfte sich dem Zorn über die Dummheit der Menschen nicht ergeben, denn wenn es jetzt so sein sollte, dass all dies nur das Präludium zum Beitritt des Systems in das Raumcorps war, öffnete sich nunmehr das Tor zu einer Galaxis von Idioten, Menschen wie Aliens, und sie hatte weder die Zeit noch die Kraft, sich über alle gleichermaßen aufzuregen.

Also musste sie jetzt tun, worin sie gut war, und das war Probleme lösen. Es gab aber dieses Gefühl in ihr, dass ihre Kompetenz diesbezüglich an ihre Grenzen zu geraten drohte, und hätte Jane Smith die Fähigkeit zur Selbstreflexion, gar zur Selbstkritik gehabt, dann wäre ihr in diesem Moment die Idee gekommen, dass das der wahre Grund für ihren Zorn sein könnte. Sie war eine talentierte, eine hochintelligente Frau, aber diese eine Fähigkeit war ihr vom Schicksal und ihrem Lebensweg vorenthalten worden. So blieb ihr nichts anderes, als an eine Galaxis voller Idioten zu denken und an sich selbst als die Einzige, die hier noch in der Lage war, den Karren aus dem Dreck zu fahren.

Das Problem war, dass ihr die Optionen ausgingen. Es gab nur noch eine Möglichkeit, die größte aller möglichen Katastrophen zu verhindern: Sie musste die Feiglinge im Konsortium ausschließen und die Ikarus aus dem System beseitigen. Oder alternativ: die Direktoren beseitigen; das hatte auch einen guten Klang, und das verdammte Raumcorps auszuschließen, würde ihr nur entgegenkommen. Radikale Ideen machten radikale Schritte erforderlich und sie begann bereits, sich zu überlegen, welchen Weg sie nun am besten einzuschlagen hatte, als ein Anruf des Tischkoms sie aus ihren Gedanken riss.

Sofort setzte sie die Maske auf, derer sie sich in den letzten Tagen beflissen hatte, das glatte, nichtssagende Gesicht einer Businessdrohne, die funktionierte und strebsam vor sich hin summte. Das war nicht sie, es war vielmehr ihr Gegenteil und gerade das warf ein bezeichnendes Licht darauf, was für eine ganz hervorragende Schauspielerin sie doch war.

»Ja?«

Ein Mann in der Montur eines Technikers erschien. Es war einer der Wachhabenden in der Operationszentrale von Scrola und er hatte nur einen Job. Die Tatsache, dass er sich meldete, zeigte, dass die Dinge in Bewegung gerieten – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

»Die Ikarus nimmt Fahrt auf und entfernt sich von der Compulsory.«

»Hat es Flugverkehr gegeben?«

»Wir gehen davon aus, dass ein Team an Bord geblieben ist.«

»Wir könnten also wieder einen eigenen Trupp an Bord bringen?«

»Wenn dazu die Genehmigung vorliegt«, sagte der Techniker mit der gebotenen Vorsicht.

Scheiß auf die Genehmigung!, dachte Jane, wohl wissend, dass das nicht die Antwort war, die den Techniker beruhigen würde.

»Ich kümmere mich darum. Wohin ist die Ikarus unterwegs?«

»Das können wir noch nicht genau sagen. Ich halte Sie auf dem Laufenden.«

Die Verbindung endete.

Jane benötigte nicht allzu viel Fantasie, um zu ermessen, wohin der Rettungskreuzer nun aufbrach – obgleich er dazu gewiss auch keine Genehmigung hatte. Sosehr ihr dieser leicht begriffsstutzige und tranige Captain des Raumcorps auf die Nerven fiel, erkannte sie doch die eine oder andere Gemeinsamkeit mit ihm, wenngleich auch mit etwas Widerwillen. Die Tendenz, eigenständige Entscheidungen zu treffen und dabei Risiken in Kauf zu nehmen, gehörte auf jeden Fall dazu. Das war schlecht. Sie war es gewohnt, mit eher willfährigen Idioten zu operieren, die störrische Variante bedeutete unausweichlich mehr Arbeit.

Sie ließ sich die Daten direkt auf ihre private Konsole übertragen, machte sich einen Tee und wartete ab. Jane Smith schlug nicht wild um sich, sie handelte auf der Basis von Informationen, und während sie am heißen Getränk nippte, tröpfelten diese nach und nach herein. Dann wurde klar, was sie bereits vermutet hatte.

Die Crew des Rettungskreuzers hatte erfahren, dass es ein Labor gegeben hatte und, noch viel schlimmer, wo es stand – und damit, woher die Sphäre kam. Ohne weiter zu fragen, frech und mit breiter Brust, machte sich dieser Sentenza jetzt auf den Weg, um sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts mehr angingen. Es war an der Zeit, die Störung durch das Raumcorps zu beenden, und es gab dafür verschiedene Möglichkeiten.

Sie nahm einen weiteren Schluck Tee, dann etablierte sie eine Verbindung zum Direktorium des Konsortiums. Es war Kamarov, der so müde aussah, dass sie für einen winzigen Moment beinah Mitleid empfand. Die Verbindung selbst aber war tadellos: Das Raumcorps hatte im Zuge eines sich langsam entwickelnden Technologieaustausches erste Hypersender und -empfänger an das Konsortium übergeben. Sie kamen bloß sehr begrenzt zum Einsatz, aber für das Direktorium war das Beste nur gut genug.

»Smith«, sagte er krächzend.

Möglicherweise hatte sie ihn geweckt. Es war ihr egal.

»Direktor, es hat sich eine unangenehme Entwicklung ergeben«, sagte sie beherrscht.

»Noch unangenehmer?«

War das Fatalismus? Wenn ja, passte es exakt zu den geistigen Beschränkungen, die Jane bei den meisten Managern des Konsortiums in dieser Krise beobachtet hatte. Sie hasste Fatalismus. Es gab immer etwas zu tun, und wenn es nur war, jene zu erschießen, die einem auf die Nerven fielen. Gewalt löste nicht jedes Problem, aber doch so einige.

»Die Ikarus macht sich selbstständig. Sie ist auf dem Weg zum Labor.«

»Dem Labor?«

»Ist aktuell ein anderes von Relevanz?« Sie musste gerade mal wieder an sich halten.

»Was tun wir?«

Drei Worte und eine Menge Hilflosigkeit, diesmal aber hatte Jane nicht nur damit gerechnet, sie hatte geradezu darauf gebaut. Sie setzte etwas auf, das einem mitfühlenden Lächeln glich, eine Mimik, die ihr nicht immer gut genug gelang, um den aufmerksamen Beobachter zu täuschen. Kamarov war nicht aufmerksam und er tat sich ohnehin leid. Es war also die absolut richtige Reaktion.

»Wir müssen dafür sorgen, dass sie dort nicht ankommt. Sentenza wird alles hinausplärren, was er herausfindet, und das wäre sehr riskant.«

Kamarov, eine Spur bleicher, nickte schnell. »Es wäre katastrophal. Was schlagen Sie vor?«

»Wir intervenieren beim Raumcorps und beenden dankend die Mission, ab jetzt übernehmen wir wieder selbst.«

»Tun wir das?«

»Ja, Direktor. Und … ist die Yong-mi immer noch in der Nähe des vierten Planeten?«

»Sie wurde nicht fortbefohlen.«

»Sehr gut. Bitte autorisieren Sie mich, dem Kommandanten Befehle erteilen zu dürfen.«

»Welche Befehle?« Kamarov war müde, aber natürlich misstrauisch, das gehörte zur DNA eines Mannes in seiner Position.

»Wollen Sie das wirklich wissen? Was Sie nicht wissen, Direktor, kann im Zweifelsfall niemand gegen Sie halten. Bitte beachten Sie das. Ich trage ohnehin schon Verantwortung, also kann ich auch völlig meinen Kopf hinhalten.«

Das war eine Antwort, die dem Mann sichtlich schmeckte.

»Hier sind politische Fragen zu erwägen.«

»Sie haben auch keine erwogen, als Sie das Labor ohne jede Genehmigung aufbauten, ohne irgendeine Regierung in Kenntnis zu setzen, eine Alien-Lebensform festhielten und mit ihr Experimente anstellten – und sich dann gewundert haben, dass diese keinen Spaß daran hatte und Ihnen mit Karacho entwischte. Und Sie würden sie auch nicht erwägen, wenn das Labor dabei nicht völlig zerstört und die Lebensform nicht orientierungslos in die Compulsory gekracht wäre, was die Sache aus dem Schleier der Geheimhaltung gelöst hat. Sie würden immer noch tun, als wäre nichts geschehen. Es ist aber etwas geschehen. Sie haben die Kontrolle verloren. Dann haben Sie mich gerufen. Dann haben Sie die Nerven verloren und das Raumcorps gerufen. Das Raumcorps ist gekommen und Sie wundern sich, dass es seine eigenen Vorstellungen davon hat, was zu tun ist. Jetzt ist die Ikarus auf dem Weg zu den Ruinen des Labors und der Captain tritt in öffentlichen Gerichtsverhandlungen auf. Und Sie erzählen mir, dass Sie mich daran hindern wollen, das Problem ein für alle Mal zu lösen, weil politische Fragen zu erwägen sind?«

Wenn Jane Smith sich in Rage sprach – wie jetzt gerade –, wurde ihre Stimme nicht lauter, sondern schärfer.

Kamarov hingegen wurde noch bleicher und begann zu schwitzen.

Jane ließ ihn nicht vom Haken.

»Ich sage Ihnen etwas, Direktor: Ich schmeiße alles hin und Sie machen Ihren Scheiß allein. Oder Sie geben mir volle Autorität und ich räume auf. Ich warne Sie: Es wird nicht ohne Blessuren abgehen und es werden anschließend Köpfe rollen; dafür hat schon dieser Judikator auf Scrola gesorgt. Aber wenn wir jetzt sehr, sehr entschieden handeln, können wir das Schlimmste noch verhindern.«

Kamarov starrte sie an. Dann, als müsse er sich die Geste abringen, nickte er.

»Gut«, sagte er mit belegter Stimme. »Aber diesen Judikator … den erledigen Sie gleich mit.«

Jane lächelte. Sie hatte, was sie wollte.

Und Kamarovs Wunsch war verständlich.

Der Mann war nicht weit, er hielt sich auf Scrola auf. Da ließe sich einiges arrangieren.

»Das erledige ich, das verspreche ich Ihnen. Alle Vollmachten.«

»Bekommen Sie!«

Kamarovs Gesicht verschwand.

Der Mann wusste, dass Jane nicht gescherzt hatte. Köpfe würden rollen, so oder so, da Sündenböcke gebraucht wurden, wenn sich der Staub gelegt hatte und die Komitees und Ausschüsse mit ihrer sogenannten Ermittlungsarbeit begannen. Sündenböcke wie Kamarov. Der kannte das Spiel. Er konnte einiges dafür tun, dass sein Fall weich und bequem sein würde, ein schöner Ruhestand ohne Sorgen. Und er wusste, dass Jane in dieser Situation helfen würde, jetzt, wo er ihr gegeben hatte, wonach sie verlangte.

Aber eines nach dem anderen. Es gab viel aufzuräumen, und Jane Smith war nun bereit, den ganz großen Besen herauszuholen.

2.

»Rod, das ist deine Entscheidung.«

»Ich habe mich bei Old Sally rückversichert.«

Sonja nickte. »Das war klug von dir. Ich muss mich aber wundern. Wie hast du sie dazu gebracht, das Risiko einzugehen, ein potenzielles Raumcorps-Mitglied zu verprellen?«

Sentenza lächelte. Er saß in seinem Sessel, sah viel entspannter aus, als er sich fühlte, die Augen auf den Hauptschirm gerichtet. Die Ikarus steuerte sich selbst: Trooid war als Kommunikationsgegenstück für die Sphäre zusammen mit An’ta, Anande, Ganth und einem ganzen Trupp von Medo- und Kampfrobotern auf der Compulsory geblieben, um weiter daran zu arbeiten, Erik von seinem Leid zu erlösen und herauszufinden, wie sie die Sphäre befreien konnten. Anande hatte zuletzt die Hypothese geäußert, dass sie durch den Aufprall ein Trauma erlitten habe, entweder ein physisches oder ein psychisches oder auch beides, und er herausfinden müsse, wie man dieses am besten behandele. Und ein Weg war, den Ursprung der Katastrophe aufzusuchen – was exakt das Ziel der Reise des Rettungskreuzers war.

Ein Ziel. Sentenza fühlte sich belebt und zufrieden. Er liebte es, ein greifbares Ziel zu haben.

»Sally …«, griff er den Faden nach einer kurzen Pause auf, »Sally hat gesagt, dass sie weder Lust habe, eine außerirdische Spezies zu verärgern, noch, ein Bündnis mit den Falschen durch Vertuschung eines Verbrechens zu initiieren. Sie meinte, auch das Raumcorps habe noch ein paar ethische Prinzipien und wir seien ganz gut geeignet, diese auch in die Tat umzusetzen.«

Sonja nickte beeindruckt. »Ich hätte eher gedacht, sie sagt: ›Mischt euch nicht ein, das ist eine eigene Kultur, das gibt nur Ärger.‹«

»Wer sollte angesichts dieser Situation auf so eine schwachsinnige Idee kommen?«, fragte Thorpa, der dem Austausch bisher schweigend gelauscht hatte.

»Oh, es gibt bestimmt welche, die ihre Hände auf keinen Fall schmutzig machen wollen und sich einfach aus allem raushalten. Und nicht merken, dass sie sich dadurch erst recht mitschuldig machen. Das ist alles Quantenphysik: In dem Moment, wo jemand etwas beobachtet, ist er Teil davon, ob er nun will oder nicht.«

Sentenza mochte seine Frau. Sie sagte immer so kluge Sachen.

»Thorpa, was erzählt uns die Ortung?«

»Ich mache taktische Scans, seit wir losgeflogen sind. Dieses System hat recht dichten interplanetaren Raumflug, aber die allermeisten Schiffe senden Transpondersignale und ich kann sie aussortieren.«

»Aussortieren?«, echote Sonja. Sie drehte sich zu Thorpa um. »Warum aussortieren?«

»Der Captain erwartet, dass man uns Steine in den Weg legt«, erklärte der Pentakka.

»Steine sind nicht so mein Problem«, ergänzte Sentenza, der Thorpas Ortungsdaten durchging und herauszufinden versuchte, welcher dieser harmlosen Frachter sich potenziell in ein reißendes Biest verwandeln konnte. »Aber Raketen und so was, das finde ich immer sehr lästig.«

»Du meinst, dass sie so weit gehen würden, um etwas zu vertuschen?«

»Ich darf dich an die toten Soldaten erinnern. Wie sonst würdest du diesen Fund interpretieren?«

Sonja nickte. Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Ich mache die Waffensysteme klar. Dieser Rettungskreuzer kann zubeißen, das sollten diese Leute besser nicht provozieren.«

Sentenza hatte dagegen nichts einzuwenden. Die Ikarus beschleunigte gemächlich. Er wollte niemanden provozieren, es sollte nicht nach einem Kommandounternehmen aussehen. Und in der Tat war die erste Reaktion, wie nicht anders zu erwarten, ein Anruf. Montclerc meldete sich und sie wirkte unverbindlich, geschäftsmäßig und etwas kalt wie immer.

Sentenza war vorbereitet.

»Captain Sentenza, ich stelle fest, dass Ihr Schiff den Kurs geändert hat.«

»Wir haben überhaupt erst einmal einen Kurs eingelegt. Aber ich versichere Ihnen, unser Team auf der Compulsory lässt in seinen Bemühungen nicht nach. Ich darf Ihnen die gute Nachricht verkünden, dass wir geschafft haben, Kontakt mit der Sphäre aufzunehmen. Es ist ganz erstaunlich, aber es handelt sich tatsächlich um ein Lebewesen, und ein intelligentes dazu!« Er machte eine Kunstpause. »Aber das wissen Sie natürlich.«

Montclerc zeigte keine Regung. »Wie kommen Sie auf diese Idee?«

»Ich weiß nicht. Ein ganzer Raum voller erschossener Soldaten, die eigentlich in einem Plasmafeuer zu Asche hätten verbrennen sollen, hat mich schon etwas misstrauisch gemacht. Dann hatte ich die Gelegenheit, mit einem Mann namens Erik zu reden. Sie wissen, der einzige Überlebende.«

»Sie haben … mit ihm geredet?«

Da war ein kleiner Sprung in der bisher makellosen Selbstbeherrschung, Sentenza konnte es genau erkennen. Lag es an Erik oder der Enthüllung mit den toten Soldaten?

»Ein kurzes, aber aufschlussreiches Gespräch.«

»Ich weiß nichts von irgendwelchen toten Soldaten.«

»Ich kann Ihnen Fotos übermitteln. Oder, noch besser: Ich übermittle sie dem Gericht. Ich habe da eine Anforderung bekommen. Vorbereitung eines Lokaltermins.«

Man konnte gewiss eine Menge negativer Dinge über Montclerc sagen und Sentenza war sich einigermaßen sicher, gerade einmal die Spitze des Eisbergs bei dieser Frau zu erblicken, aber sie wankte keine Sekunde ob der Breitseiten, die Sentenza auf sie abfeuerte. Er wünschte sich, nur halb so viel Selbstkontrolle zu haben wie diese Frau, und obgleich sie kein Roboter war, musste ihre emotionale Welt sich in einem sehr gut abgekapselten und verborgenen Teil ihres Kopfes abspielen. Im Grunde wollte er auch gar nicht so werden. Was war das eigentlich für ein Leben?

»Ich sehe, dass Sie nicht durchgehend offen und ehrlich mit mir waren, Captain.«