Rifland Reiseabenteuer 02: Die Expedition - Egon Schott - E-Book

Rifland Reiseabenteuer 02: Die Expedition E-Book

Egon Schott

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Beschreibung

Berichte eines Weltenbummlers.In der Tradition der Indianerromane von Karl May.Dieses Buch enthält zwei Reiseerzählungen:Das Atlantik-AbenteuerDie große Expedition

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Egon SchottDIE EXPEDITION

In dieser Reihe bisher erschienen:

1001 Edgar Rice Burroughs Caprona - das vergessene Land

1002 Ernst Konstantin Sten Nord - der Abenteurer im Weltraum

1003 Unbekannter Autor Jack Franklin, der Weltdetektiv

1004 Robert E. Howard Die Geier von Wahpeton

1005 Robert E. Howard Abrechnung in den Los Diablos

1006 Robert E. Howard Steve Costigan – Seemann und Boxer

1007 Murray Leinster Der tollwütige Planet

1008 Robert E. Howard Grabratten

1009 Martin Winfried u. a. Percy Stuart

1010 Egon Schott Zurück vom Amazonas

1011 Gerd Frank (Übersetzer) Das Spukschloss

1012 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 2

1013 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 3

1014 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 4

1015 Egon Schott Die Expedition

Egon Schott

DIE EXPEDITION

Ein RiflandReiseabenteuer

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Hans-Peter KöglerLogo und Umschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-912-6

GONG, ein machtverkündendes Wort, ist die Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben des Namens George ­Oliver Northing-Garrington. Der große GONG ist vollendete Persönlichkeit, souveräner Industriemagnat, erfolgreicher Zeitungskönig, Großreeder und Besitzer eines ausgedehnten Inselreiches. Er sammelt talentvolle Menschen, er züchtet sie geradezu, wie Rennpferde, um sie dort einzusetzen, wo es gilt, eine hervorragende Leistung zu vollbringen. Seine Macht ist groß, und doch gibt es einen Mann, der es zuwege bringt, diesem Beherrscher der öffentlichen Meinung dauernd unangenehm zu sein, ihm wie ein schmerzender Dorn im Fleisch zu sitzen. Warum ist das möglich? Wo ist GONG’s verwundbare Stelle?

Im Zusammenhang mit diesem Manne ist auch ein außergewöhnliches Schiff von besonderem Interesse: „Star of Northingham“, schönste und schnellste Luxusjacht der Welt. Eigentlich ist dieses unerreicht herrliche, mit wertvollsten und modernsten Einrichtungen ausgestattete Fahrzeug die ­schwimmende ­Arbeitsburg des großen GONG. An Bord dieses ­Admiralschiffes befindet sich ein Stab in jeder Hinsicht auserlesener Menschen.

Miss GONG, die blonde, bildhübsche und bezaubernde Tochter Gloria des großen G. O. N. Garrington; ihre ­Mutter, die sich als Missionarin in die Urwälder des Amazonas wagte, ist verschollen. Gloria ersehnt, dass es eines Tages gelingen möge, ihre Mutter aufzufinden und zu retten. Sie setzt all ihre Hoffnungen auf Rifland, denn nur diesem ungewöhnlichen Manne mutet sie die erforderlichen Fähigkeiten zu.

Oliveiro Cardona, hervorragender Gelehrter von Ruf, aber ein Zyniker von diabolischer Wesensart. Seine wertvollen Entdeckungen und Erfindungen behält er für sich, um sie teuflischen Zielen dienstbar zu machen. Tückisch und undurchdringlich führt er ein Doppelleben, getrieben von dem Ehrgeiz, GONG, seinen Feind, erbittert zu bekämpfen, wo immer es nur möglich ist. Warum? Welche Hassbindung ließ ihn GONG’s Gegner werden? Auch Rifland bekommt die Heimtücke Cardonas zu spüren, weil er sich weigert, in die Dienste dieses Teufelsprofessors zu treten.

Mister Cerberus C. Candlestick, seiner kugelrunden Gestalt wegen oft Onkel Belly genannt, ist ein schrullen­hafter Kauz. Seine Jugend verbringt er in Artistenkreisen und wird später, infolge seiner Veranlagung zum Reklamegenie und Manager, vielfacher Zirkus- und Varietébesitzer. Er strotzt von originellen Einfällen und fühlt sich am wohlsten, wenn er seine Umwelt narren kann. Besonders stellt er sich die Aufgabe, Rifland berühmt zu machen und für das Haus GONG zu gewinnen.

Der herkulische Diener Combu, ein halb zivilisierter Negerhäuptling aus Belgisch-Kongo, hat Rifland, seinen unerschrockenen Herrn, auf weiten ­Expeditionen durch Afrika begleitet. Nun folgt er ihm auch in die geheimnisvollen Indianerdschungel Zentralbrasiliens. Combu wirkt sympathisch durch seine unbeirrbare Treue und aufopfernde Anhänglichkeit, aber auch seine muntere und oftmals unfreiwillige Komik.

Mungo, ein Halbjapaner von knabenhafter Gestalt, ist der findigste Reporter-Detektiv im Stab des Zeitungs­königs GONG. Er zeigt ebenso viel Geschmeidigkeit wie Verstand. Seine Spürnase wittert sofort, woher der Wind weht; er schlüpft durch alle Maschen und vollbringt Meisterleistungen im Auskundschaften. Geschickt rollt er das Problem auf: Wer kann Rifland sein?

Madame Rulescu, eine leidenschaftliche Intrigantin von Format, die ihren krankhaften Hang zum verbrecherischen Abenteuer ebenso wenig widerstehen kann wie andere ihrer geschmeidigen Klugheit und gerissenen Verschlagenheit. Diese Frau vermag in hemmungsloser Dreistigkeit Unglaubliches zu ­vollbringen, denn sie kämpft gegen das Gute aus Passion.

Das Abenteuer im Atlantik

Lord Wolsey war mit seiner Segeljacht von England nach Rio gekommen, um an einer von Rio aus startenden Hochseeregatta teilzunehmen. Mit diesem auserlesenen Sportsmann verband mich alte Freundschaft. Der Lord hatte mich zu einem Essen, das er in einem Hause in Petropolis1 geben wollte, eingeladen und erwartete mich im Atlantik-Hotel.

Ich hatte noch Zeit und schlenderte die Botafogo2 entlang bis zum Pau d’azucar, wo sich ein Café befindet, von dessen Terrasse man einen herrlichen Blick auf die berühmt schöne Einfahrt zur malerischen Bucht von Rio hat. Schon auf dem Wege dorthin war mir auf­gefallen, dass eine ungewohnt große Anzahl von Menschen die Sitzbänke, von denen aus man die Bai überblicken konnte, besetzt hatte. Nun stellte ich fest, dass auch das Café einen Besuch aufwies, den man zu dieser vormittäglichen Stunde niemals feststellen konnte.

Ein Kellner kam aufgeregt auf mich zu und hielt mir einen Feldstecher entgegen. „Wünschen Sie ein Glas, mein Herr? Es ist das letzte, alle sind vergeben.“

„Was soll ich mit dem Glas?“, fragte ich.

Der Kellner sah mich erstaunt an. „Mein Herr, die ­Göttliche kommt. Sie werden doch diesen heiligen Anblick nicht versäumen wollen?“

In diesem Augenblick trat ein Mann auf mich zu und sagte lächelnd: „Sie scheinen noch nicht alarmiert zu sein. Lassen Sie mir bitte das Vergnügen, Sie unterrichten zu dürfen.“

Der Mann sprach das Portugiesisch mit einem kaum merkbaren Akzent. Er war von besonders hagerer, schlaksiger Gestalt und auf seiner Hakennase saß eine riesige Hornbrille. Auf mein etwas ungeduldig hingeworfenes Bitte erklärte er: „Vor wenigen Minuten hat dort am Ende der Hafenanlagen ein Schiff die Trossen losgeworfen, um auszulaufen. Es wird in der nächsten Viertelstunde hier vorbeikommen und zu sehen sein. Bedenken Sie: Sie blicken hier auf die bezauberndste Bucht unseres Erdballs und dann zieht noch das schönste Schiff der Welt vorbei. Ist das vielleicht kein Ereignis?“

„Die Jacht Star of Northingham geht in See“, sagte der Kellner und hielt mir wieder den Feldstecher hin.

Jetzt erst verstand ich den Rummel. Die Star of ­Northingham, die schönste und schnellste Jacht der Welt, schwimmende Arbeitsburg des Zeitungskönigs GONG, dachte ich. An Bord dieses Schiffes lebte der Milliardär mit seiner bildschönen Tochter Gloria. Nun sollte ich sie sehen, die berühmte Jacht. Ich hatte oft von diesem, vielleicht übertrieben geschilderten Anblick gehört und ich freute mich über den Zufall, durch den mir ein längst gehegter Wunsch erfüllt werden sollte.

Ich wollte nach dem Feldstecher greifen, doch der Kellner hatte ihn bereits an den Herrn neben mir abgegeben. „Verzeihen Sie“, sagte dieser, „ich lade Sie jedoch mit Vergnügen ein, mit mir durchzublicken. Ich hoffe, dass Sie mein Angebot nicht abschlagen.“

„Gewiss nicht“, erwiderte ich. „Ich bin Ihnen sehr dankbar und seien Sie versichert, dass mir die Außer­gewöhnlichkeit des Kommenden vollkommen bewusst ist. Ein Schiff ist für mich kein lebloses Ding. Für mich hat jedes Schiff eine Seele und eine Physiognomie. Es gibt Schiffe, in die man verliebt sein kann wie in eine schöne Frau.“

„Aha“, rief er aus, „ich habe also keinen Laien vor mir.“

„Im Gegenteil, ich bin Seemann.“

„Oh, da werden Sie in wenigen Minuten Ihr Herz höherschlagen fühlen. Sehen Sie da hinüber“, sagte er und zeigte zur Preia. „Alles ist in Erwartung.“

Ich sah durch das Glas zu der Uferstraße. Dort staute sich eine lange Kette von Autos und viele Menschen standen wartend am Rande der Promenaden. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht vom Auslaufen der Star of Northingham verbreitet. Es gab immer den einen oder anderen Beamten vom Hafenamt, der die Inhaber der Strandcafés unterrichtete; sicherlich sollte damit auch etwas für den Fremdenverkehr getan werden.

Ich hatte nur einige Minuten zu warten, dann kam sie, die – wie hatte der Kellner gesagt? – die Göttliche. Von einer leichten Bugwelle umschmeichelt, zog sie sanft und majestätisch ihren Weg. Man fühlte geradezu, wie das herrliche Schiff mit verhaltener Kraft, wie selbst­bewusst, der Ausfahrt langsam zustrebte, um dann draußen, auf dem weiten Meer, in voller Entfaltung die Wogen ­pfeilschnell zu durchschneiden.

Als die Jacht schon ziemlich nahe gekommen war, fuhr ein einlaufender Frachter an ihr vorbei. Es war wie die Begegnung zwischen einem edlen Rassepferd und einem Ackergaul. Alle Ehre dem Arbeitskittel, in dem sich das Zweckschiff darbot, aber die Schönheit der Jacht gemahnte dadurch erst recht an den höheren Sinn eines Kunstwerkes, das in diesem Augenblick Besitz all derer war, die sich an dem Anblick erfreuen konnten.

Mit freiem Auge war dieses Juwel, eingefügt in die paradiesische Szenerie, in seiner ganzen Herrlichkeit besser zu erfassen als durch das Glas. Hier war nichts von Prunk oder auffallendem Verschwenden, die edle Linienführung und eine wundervolle Harmonie ergaben die Schönheit. Allein die Farbe des Schiffes wirkte wie der Teint eines gepflegten Lebewesens und zugleich wie der silbrige Widerschein des azurnen Himmels und der smaragdgrünen Flut.

Ich hatte, schon als das Schiff noch ziemlich weit entfernt war, bemerkt, dass an den Masten weiße Flaggen abwechselnd gehisst und wieder niedergeholt wurden. Als die Jacht genügend nähergekommen war, erkannte ich den Sinn der Flaggenhissung. Es waren mehrere untereinander geknüpfte, riesig große, weiße Flaggen, auf denen mit mächtigen Buchstaben je ein Wort zu lesen war. Mein Erstaunen erreichte den Höhepunkt, als ich feststellte, dass von der Flaggenreihe des ersten Mastes die Worte: „Wo ist Ellen Garrington?“, und vom zweiten Mast: „Was sagt Rifland in der Semana!“ abzulesen waren.

Die Semana war eine in portugiesischer und in spanischer Ausgabe gedruckte und in ganz Südamerika verbreitete Wochenzeitung des GONG-Konzerns. An dieses Blatt hatte mein Agent einige von mir verfasste Artikel verkauft, in denen ich das vermutliche Schicksal der Expedition Ellen Garringtons, der Gattin des Zeitungskönigs, erörterte. Diese Frau war als Missionarin in die Urwälder des Xingu3 gezogen und galt seit längerer Zeit als verschollen. Das Angebot, eine Suchexpedition in dieses Wildnisgebiet, das ich sehr gut kannte, zu führen, hatte ich abgelehnt.

Ich wandte mich an meinen Fernglas-Partner und fragte: „Können Sie sich die Bedeutung dieser Reklame erklären?“

„Oh, gewiss!“, antwortete er lächelnd. „Rifland, von dem Sie sicherlich schon gehört haben werden, ist der beste Kenner des Xingu-Gebietes. Er wäre der richtige Mann, das Geheimnis dieser Urwaldtragödie zu lüften. Da er, aus mir unbegreiflichen Gründen, eine Aversion gegen Milliardäre hat, lehnt er jede Verbindung mit GONG ab. Nun versucht man, die Öffentlichkeit zu alarmieren, und scheut sich nicht, die stolze Star of Northingham als Reklameschiff zu verwenden. GONG will eine Riesensumme für wohltätige Zwecke spenden, wenn Rifland, der sich nämlich nicht bezahlen lässt, die Suchexpedition unternimmt. Das ist alles!“, schloss er, zog gravitätisch seinen Hut und entfernte sich.

Meine Überraschung war so groß, dass ich bald die Jacht vergessen hätte. Es blieb mir keine Zeit zum Nachdenken über Zusammenhänge, die ich mir kaum erklären konnte. Ich wollte die Jacht nicht vorbeifahren lassen, ohne sie genauestens gesehen zu haben. Das Glas hielt ich ja noch in der Hand.

Als ich den Feldstecher wieder an die Augen gesetzt hatte, konnte ich die an Deck sich bewegenden Personen genau sehen. Hauptsächlich waren es Matrosen und einige Offiziere in schmucken Uniformen. Ganz oben am Sonnendeck standen zwei Damen, eine Brünette und neben ihr eine Blondine, deren Haare in der Sonne wie Gold glänzten. „Das ist sicher Gloria, die bezaubernde und bildhübsche Tochter des Großen GONG“, dachte ich. Sie kehrte mir den Rücken zu, hielt einen Feld­stecher an die Augen und blickte hinüber, ja natürlich, hinüber zu jener kleinen Insel, auf der ich immer wieder ein paar geruhsame Tage zu verbringen pflegte; das war ganz deutlich zu sehen. Dann drehte sich die Blondine um. Ich erkannte in ihr sofort jene junge Schönheit, die ich im Casino Copacabana gegen den Angriff eines Irrsinnigen geschützt hatte. Die stolze Miss GONG schien sich gerade für diese kleine Insel zu interessieren.

Vielleicht hatte sie erfahren, dass dort ab und zu jener Mann zu kampieren pflegte, der verrückt genug war, sich ihrem Dank und den Angeboten ihres mächtigen Papas zu entziehen.

*

Der Anblick der Star of Northingham hätte mich beinahe meine Verabredung mit Lord Wolsey vergessen lassen. Nun machte ich mich eiligst auf den Weg zum Atlantik-Hotel.

„Sie haben sich verspätet, lieber Freund“, empfing mich der Lord in der Halle und schüttelte mir die Hand. „Eine milde Strafe müssen Sie über sich ergehen lassen und ihren Aperitif im Stehen trinken; wir haben es eilig.“

„Unter den milden Strafen ist mir am liebsten ein scharfer Aperitif“, entgegnete ich und griff nach dem Glas Kognak, das mir ein Kellner auf einem Tablett servierte. Auf meine Frage, warum er es denn so eilig habe, erklärte der Lord, er müsse mir von einem eigenartigen Vorfall berichten, einem Geschehnis, das sich in seinem Appartement zugetragen hatte. „Ich werde Ihnen an Ort und Stelle erklären, was geschehen ist“, sagte er, während wir zum Lift gingen.

Als wir uns in dem Salon befanden, der zu den Gemächern gehörte, die der Lord bewohnte, fuhr er fort: „Heute früh kehrte ich von einem Spaziergang zurück, betrat den Salon und sah, hier neben dem Kamin, meinen Diener, den ich Goliath nenne, weil er ein sehr kräftiger Bursche ist, bewusstlos liegen. Ich ließ einen Arzt rufen; doch noch bevor dieser eintraf, hatte mein Diener das Bewusstsein wieder erlangt und fühlte sich ganz wohl. Was war passiert? Während meiner Abwesenheit weilte Goliath allein in diesem Raum. Plötzlich hört er leise Schritte hinter sich, dreht sich um und sieht eine elegante Dame, der ein großer, breitschultriger Mann folgt, auf sich zukommen.

Was wünschen Sie?, fragt mein Diener.

Ich hole das schöne, blitzende Inka-Schiff, sagt die Unbekannte höhnisch lächelnd und weist dabei auf eine wertvolle, aus der Inkazeit stammende Goldschmiedearbeit, die hinter dem Rücken Goliaths auf dem Kamin stand. Bevor Goliath eine Antwort geben kann, versetzt ihm sein Gegenüber mit dem Handrücken einen leichten Schlag gegen die Nase. Goliath hat das Gefühl, kalte Luft einzuatmen, und verliert sofort das Bewusstsein. Die Dame und der Mann sind verschwunden und mit ihnen das schöne Inka-Schiff. Also, ein leichter Schlag und ...“

„Das kenne ich“, unterbrach ich den Lord. „Ihr Diener wurde nicht durch den Schlag, der sicherlich ganz leicht geführt worden ist, sondern durch die Einwirkung eines Betäubungsmittels bewusstlos. Hafteten nicht an den Nasenflügeln Ihres Goliath kleine, milchig-weiße Klümpchen?“, fragte ich.

„Weiße Klümpchen?“, gab er zurück und erinnerte sich dann: „Ja, stimmt! Goliath sprach davon.“

„Das ist Barin“, sagte ich. „Ich selbst wurde vor Kurzem auf die gleiche Weise und sicherlich von derselben Dame betäubt. Diese Verbrecherin bedient sich dieses Mittels, das Barin genannt wird, mithilfe einer Art Siegel­ring, der aussieht, als wäre er aus Gold, besteht aber in Wahrheit aus einer schmiegsamen Masse. Sobald dieser Ring, der inmitten der Siegelfläche gehöhlt ist, gegen die Nase oder die Oberlippe gedrückt wird, zerplatzt eine in die Öffnung eingelegte linsengroße Kapsel und zerstäubt ihren betäubenden Inhalt. Dieses Mittel soll, wiederholt angewendet, ähnlich wie Evipan, auch willenslähmend wirken. Die Droge entstammt dem Laboratorium eines Gelehrten, den eine krankhafte Sucht zu verbrecherischer Tätigkeit beherrscht. Haben Sie schon von Professor Cardona gehört?“

„Von Cardona?“, rief der Lord überrascht. „Natürlich kenne ich diesen Mephistopheles. Er ist ein hervor­ragender Chemiker, ihm ist dergleichen zuzutrauen. Er, wie GONG, die beiden Candlesticks und ich waren in England auf einem College. Mit Cardona hat aber dieser Überfall bestimmt nichts zu tun; da steckt jemand anderer dahinter.“

„Das glaube ich nicht. Über das Barin verfügen nur einige verbrecherische Mitarbeiter Cardonas. Doch wenn Sie wissen, wer dahintersteckt, dann wenden Sie sich doch an die Polizei.“

„Ausgeschlossen!“, sagte der Lord lachend. „Hier handelt es sich um einen ToC.“

„Um einen was?“

„Einen ToC“, erwiderte der Lord trocken. „Um diese Bezeichnung richtig zu verstehen, müssen Sie wissen, wer die Candlesticks sind.“

„Mir ist schon vorher aufgefallen, dass Sie von zwei Candlesticks sprechen.“

„Gewiss. Die Zwillingsbrüder Candlestick, die kein Mensch auseinanderhalten kann, sind die verrücktesten und schrullenhaftesten Käuze der Welt. Schon im ­College waren sie Meister im Erfinden von jokes und toys.4 Es gab keinen Menschen, der auf ihre Tricks nicht hereingefallen wäre. So wurden die Worte Trick of Candlestick zu einem Begriff und es entstand die aus den Anfangsbuchstaben zusammengesetzte Bezeichnung ToC. ToC ist also ein origineller Ulk, ein geistvoller Jux, ein genialer Hineinleger. Von unserer Studentenzeit an bis auf den heutigen Tag bekämpfen wir einander mit ToCs.“

„Das ist eine sehr nutzbringende Tätigkeit“, warf ich dazwischen.

„Uns macht es Spaß, und andere Leute verdienen damit Geld“, sagte der Lord mit einer abwehrenden Handbewegung. „Das kleine Inka-Schiff wechselt seit Jahren den Besitzer; einer lässt es dem anderen stehlen. Zuletzt hat Candlestick einen Mann von Rio nach London geschickt, um mir das kleine Ding entwenden zu lassen. Vorgestern bin ich in Rio angekommen und gestern gelang es mir durch einen ganz besonderen ToC, das Schiffchen wieder zurückstehlen zu lassen und heute ...“

„Sie Armer!“, unterbrach ich den Lord. „Heute sind Sie der Verlierer.“

„Leider“, versetzte der Lord, „dazu noch auf so plumpe Art.“

„Ihr ToC-Spiel mag lustig sein. Wenn andere Leute dadurch Geld verdienen, will ich’s gelten lassen; doch diesmal dürfte es sich um keinen ToC handeln, deshalb interessiere ich mich für den Überfall. Wo ist Ihr Diener?“

„Der hat eine Besorgung in Petropolis.“

„Schade; ich hätte gerne ein paar Fragen bezüglich der Dame gestellt, besonders aber hätte mich der sie begleitende Mann interessiert.“

„Nicht nötig. Ich kenne den Mann; es handelt sich um einen Italiener namens Petrucci, der früher einmal in Diensten Candlesticks stand, Ringkämpfer war und jetzt Unterricht im Jiu-Jitsu gibt.“

„Den Mann möchte ich mir genauer ansehen“, sagte ich.

„Ausgezeichnet!“, rief der Lord. „Ich glaube, Sie sind der Einzige, der Petrucci auf die Matratze legen kann; Ihrem Ritumuni ist der Italiener nicht gewachsen. Ich sehe das Inka-Schiff bereits wieder hier auf dem Kamin stehen.“

Während Wolsey sich vergnügt die Hände rieb, sagte ich: „Ihr ToC, Mylord, interessiert mich wenig, umso mehr aber die Quelle des Barins und – Madame ­Rulescu.“

„Madame Rulescu? Wer ist das?“

„Die Sekretärin des Teufelsprofessors Cardona, mit der ich ein Hühnchen zu rupfen habe.“

*

Am nächsten Tag begab ich mich nach Souza, einem Badeort in der Nähe von Rio, wo, inmitten eines bescheidenen Gartens, ein schlichtes Einfamilienhaus, die Villa Candlesticks, stand. Ich hatte Großartigeres erwartet. Candlestick war nicht nur ein Verwandter des mächtigen GONG und dessen Berater, in seiner Hand lag auch die Führung von rund fünfzig Zeitungen, an deren Gewinnen er beteiligt war. Man sprach diesem kleinen, rundlichen und komisch aussehenden Männchen allerlei hervorragende Eigenschaften zu und sagte, dass dieses verrückte, schrullenhafte Kerlchen ein seelenguter und vor allem ungemein rechtlich handelnder Mensch sei. Wie kam es, dass eine Persönlichkeit wie Candlestick Verbindung zu Leuten unterhielt, die sich des verbrecherischen Mittels Barin bedienten?

Einen Mann, der in Candlesticks Garten mit einem Wasserschlauch hantierte, fragte ich nach Petrucci.

„Um die Ecke“, wies er mich an. „Sie müssen den Seiten­eingang benützen.“

Als ich mich jener Richtung zuwandte, bog um die mir bezeichnete Ecke, es war wirklich eine Überraschung, Madame Rulescu. Die wie immer elegant gekleidete Unterwelt-Dame war nur eine Sekunde lang betroffen, als sie mir gegenüberstand; dann setzte sie ihr süffisantes Lächeln auf und sagte: „Oh, wie unvermutet.“

„Sie haben Pech“, antwortete ich, „diesmal dürfte sich doch ein Grund finden, Sie der Polizei vorzustellen.“

„Irrtum. So weit lasse ich es nie kommen.“

„Sie besuchten soeben Petrucci. Was haben Sie mit dem Mann zu tun?“

„Ach, nun verstehe ich! Ich kenne diesen Einfaltspinsel von früher, er hat von Mister Candlestick, seinem Herrn, den Auftrag erhalten, aus dem von Lord Wolsey bewohnten Appartement ein, wenn auch goldenes, so doch bedeutungsloses, Schiffchen zu holen. Der Arme wusste sich nicht zu helfen und wandte sich an mich.“

„Natürlich an Sie, die Dame, die über Barin verfügt. Selbstverständlich haben Sie für Ihre Hilfsbereitschaft nicht den geringsten Gegendienst gefordert.“

„Falsch geraten. Ich wollte durch Petrucci mit Candlestick bekannt werden, um mit dessen Hilfe Ihre Neigung zu gewinnen.“

„Dieser freche Unsinn macht Sie nicht sympathischer.“

„Sie verkennen mich“, sagte sie, plötzlich ernst werdend. „Ich will von der Unterwelt nichts mehr wissen. Ich möchte Ihren Zielen dienen und ein anständiges Leben führen. Überzeugen Sie sich, dass die Sache mit Petrucci harmlos ist, dann sprechen wir weiter.“

In diesem Augenblick entstieg einer eleganten Limousine, die neben uns gehalten hatte, eine Dame und begrüßte die Rulescu. In dem Wagen saßen noch drei Herren, von denen ich einen kannte; er war ein höherer Beamter des Munizipio. Demnach konnten die Insassen nicht Angehörige jener elegant auftretenden Unterwelt sein, der sich die Rulescu verschrieben hatte. Als die Hochstaplerin mit einem au revoir Abschied genommen und den Wagen bestiegen hatte, war ich gezwungen, wenigstens eine leichte Verbeugung zu machen. In Brasilien ist es undenkbar, eine Dame nicht chevaleresk zu behandeln. Es lag auch nicht in meiner Absicht, Aufsehen zu erregen, und so fuhr die Rulescu lächelnd winkend davon.

Dass die Sache mit Petrucci und dem zur Verfügung gestellten Barin harmlos sei, glaubte ich der schlauen Gaunerin selbstverständlich nicht und eine Minute später stand ich dem Italiener gegenüber.

Ich befand mich in einem ziemlich leeren Zimmer, denn nur in einer Ecke standen zwei Armstühle an einem kleinen Tischchen. Ansonsten war der Boden mit einer Matte, wie sie als Unterlage bei Jiu-Jitsu-Kämpfen verwendet wird, bedeckt. Petrucci war ein breitschultriger, vierschrötiger Mann, auf dessen mächtigem Schädel eine respektable Glatze leuchtete; sein Gesicht verriet mehr gutmütige Dummheit als Brutalität. Dass ihn mein Erscheinen aus der Fassung brachte, war deutlich zu sehen. Endlich zwang er sich zu einem Lächeln und fragte nach meinem Wunsch.

„Ich komme wegen des kleinen goldenen Schiffchens“, sagte ich harmlos.

„Sie … kommen ...?“, begann er stockend. „Da muss ich … da möchte ich ... ich bitte Sie, für einige Minuten im Nebenzimmer Platz zu nehmen.“

Ich überlegte einen Augenblick, dann entschloss ich mich, vorerst auf alles einzugehen. Ich trat in den Raum nebenan und befand mich, wie leicht zu erkennen war, im Arbeitszimmer Candlesticks.

Plötzlich hörte ich hinter mir eine Stimme. Ich drehte mich um und gewahrte auf dem großen Schreibtisch ein zur Telefonanlage gehörendes Lautsprecherkästchen, aus dem die Worte ertönten: „Hallo! Hier spricht Petrucci. Bitte verbinden Sie mich mit Senhor Candlestick; es ist dringend.“

Ich war sofort im Klaren. Dieser Lautsprecher, der zufällig eingeschaltet war, diente als Kontrollapparat, mit dem jedes Gespräch abgehört werden konnte. So wurde ich Mithörer des Gespräches zwischen Petrucci und dessen Herrn. Nach einer Weile meldete sich Candlestick mit einer schnarrenden Stimme: „Was gibts?“

„Mister Candlestick“, berichtete Petrucci in englischer Sprache. „Ich glaube, Rifland ist hier.“

„Was sagst du? Rifland? Unmöglich! Woher willst du Rifland kennen?“

„Die Dame hat ihn mir gezeigt, die ...“ Petrucci stockte.

„Was für eine Dame, du Hornochse. Quetsch dich ordentlich aus!“

„Nun, die Dame, die mir im Atlantik-Hotel geholfen hat, das Schiff zu stehlen.“

„Dir ungeschlachtem Mehlsack hat eine Dame geholfen? Wer ist ... Doch das kannst du mir später erzählen. Was will der Mann?“

„Er will das Schiff wieder holen.“

„Ah, das ist möglich. Rifland ist mit Lord Wolsey befreundet, jetzt wirds interessant. Gib acht, was ich dir jetzt sage: Ich fahre sofort weg und werde in einer Viertel­stunde in Souza sein; bis dahin musst du dich mit dem Herrn unterhalten und darfst ihn nicht weggehen lassen; verstanden?“

„Wenn er aber dennoch das Schiffchen mitnehmen will und glaubt, Gewalt anwenden zu können? Muss ich ihn schonen?“

„Schonen? Du willst Rifland schonen? Sei froh, wenn er dir nichts tut.“

„Na“, erwiderte Petrucci, „so sieht er gar nicht aus. Wenn ich den ordentlich anfasse, breche ich ihm alle Knochen im Leib.“

„Sag einmal“, rief der ulkige Candlestick, „bist du von einem Grasaffen gebissen? Glaubst du, dass einer aussehen muss wie ein siamesischer Rübenelefant, wenn er imstande sein soll, dich auf die Matratze zu legen! Gib nur acht, dass nicht er es ist, der dir den Kragen zwischen die Zehen dreht; der kann nämlich noch ganz anderes als Jiu-Jitsu. Tue also, was ich dir gesagt habe. Am besten ist es, wenn du dich mit ihm über Segelschiffe unterhältst, das ist ein Thema, das ihn interessiert. Also, spätestens in einer Viertelstunde bin ich dort.“

Dann knackste die Leitung ab und es herrschte vollkommene Stille.

Ich überlegte: Candlestick hatte also von den ­Umtrieben der Madame Rulescu keine Ahnung. Auch war es nicht ausgeschlossen, dass die Gangsterkönigin ausnahmsweise einmal die Wahrheit gesprochen hatte und dass zwischen ihr und Petrucci tatsächlich eine harmlose Verbindung bestand. Das musste ich fest­stellen.

Nun betrat Petrucci das Zimmer und sagte zu mir, der ich mich noch nicht gesetzt hatte: „Wollen Sie nicht Platz nehmen?“

„Nein“, erwiderte ich, „ich habe wenig Zeit und will von Ihnen nur die Beantwortung einer Frage: Kurz vor mir war eine Frau bei Ihnen, eine Rumänin, was haben Sie mit dieser Person zu tun?“

„Person? Wollen Sie eine Dame beleidigen?“

„Reden Sie keinen Unsinn. Wenn Sie mir nicht sofort eine klare Auskunft geben, lasse ich Sie zur Polizei bringen.“

„Das wäre mein schönster Tag“, grinste Petrucci.

„Den kann ich Ihnen verschaffen“, erwiderte ich, drehte mich um und ging wieder in das offenbar als Trainingsraum dienende Zimmer.

Sofort eilte mir Petrucci nach, stellte sich vor mich hin und sagte erregt: „Zehn Minuten müssen Sie noch bleiben, dann können Sie tun, was Sie wollen.“

„Sie scheinen ja wirklich von einem Grasaffen gebissen zu sein“, sagte ich lächelnd. „Wenn Sie glauben, ich würde nicht tun, was mir beliebt, irren Sie.“

Als ich den Italiener zur Seite schob, um weiterzugehen, rief er: „Sie wollten doch das Schiff holen. Da oben auf der Konsole steht es; sehen Sie? Sie können es mitnehmen, wenn Sie mit mir einen Gang Jiu-Jitsu kämpfen.“

Bei diesen Worten ergriff er mich, ziemlich fest zupackend, beim Handgelenk und wollte mich zu der ­Matratze zerren. Ich aber trat ihm auf einen Fuß und führte einen kräftigen Stoß gegen seinen Hals, dass er den Halt verlor, rückwärts strauchelte, hinfiel und mit dem Hinterkopf hart an die Wand aufschlug. Dieser Anprall schien ihm nicht gutgetan zu haben, denn sein Gesicht erblasste und er erhob sich nur langsam. Indessen sprach ich weiter. „Ich warne Sie, mich nochmals zu berühren, und gebe Ihnen den guten Rat, einem Kampf mit mir auszuweichen.“ Dabei wandte ich mich um und wollte zur Tür gehen. Petrucci aber war mittlerweile wieder auf die Beine gekommen und, gerade als ich die Tür erreicht hatte, mit zwei Sätzen bei mir. Er sprang hoch, setzte seine beiden Fußsohlen in meine Kniekehlen, packte mich von hinten am Hals und ließ sich mit mir auf den Rücken niederfallen. Es war dies eine sogenannte Beinstellung, nach der der Springer mit dem Angegriffenen rückwärts rollt und, den Schwung ausnützend, mit einer seitlichen Drehung nach oben zu liegen kommt, sodass er, je nach der Lage, weitere erfolgreiche Griffe anwenden kann. Ist der Angegriffene jedoch ein geübter Kämpfer, so wird er den Schwung des Springers mit Nachdruck fortsetzen können und dadurch erst recht nach oben kommen. Allerdings befindet er sich dann noch lange nicht in derselben günstigen Lage wie eine Phase vorher sein Gegner; denn dieser braucht einen Arm nur um den Hals des Obenliegenden zu schlingen und kann ihm so die Schlagader zudrücken.

Wir beide rollten nun entgegen allen Regeln des Jiu-Jitsu und außerhalb der Matratze blitzartig durch das Zimmer; doch in den nächsten Sekunden gelang es mir durch eine Art Salto, von Petrucci loszukommen. Ich wollte rückwärts springen, verhaspelte mich jedoch am Matratzenrande und fiel, nach hinten taumelnd, nahezu in derselben Weise der Länge nach hin wie vorher Petrucci. Das war Pech. Der Italiener, ein ebenso geschmeidiger wie kräftiger Mann, stürzte sich sofort auf mich. Wohl hob ich das rechte Bein, doch die Wirkung dieses Tricks, durch den mein Angreifer in einem Bogen über mich hinweggeschleudert werden sollte, scheiterte an den Wänden der Zimmerecke, in die ich zu liegen gekommen war. So gelang es Petrucci, mich mit beiden Händen am Hals zu würgen und mir den Atem abzuschnüren. Hier gab es nur einen Ausweg für mich: den Huakin.