Rifland Reiseabenteuer 01: Zurück vom Amazonas - Egon Schott - E-Book

Rifland Reiseabenteuer 01: Zurück vom Amazonas E-Book

Egon Schott

0,0

Beschreibung

Berichte eines Weltenbummlers.In der Tradition der Indianerromane von Karl May.Dieses Buch enthält die ersten zwei Reiseerzählungen:1. Zurück vom Amazonas2. Estanzia Alcante

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 266

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Egon SchottZURÜCK VOM AMAZONAS

In dieser Reihe bisher erschienen:

1001 Edgar Rice Burroughs Caprona - das vergessene Land

1002 Ernst Konstantin Sten Nord - der Abenteurer im Weltraum

1003 Unbekannter Autor Jack Franklin, der Weltdetektiv

1004 Robert E. Howard Die Geier von Wahpeton

1005 Robert E. Howard Abrechnung in den Los Diablos

1006 Robert E. Howard Steve Costigan – Seemann und Boxer

1007 Murray Leinster Der tollwütige Planet

1008 Robert E. Howard Grabratten

1009 Martin Winfried u. a. Percy Stuart

1010 Egon Schott Zurück vom Amazonas

Egon Schott

ZURÜCK VOM AMAZONAS

Ein RiflandReiseabenteuer

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Hans-Peter KöglerLogo und Umschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-781-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

GONG, ein machtverkündendes Wort, ist die Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben des Namens George ­Oliver Northing-Garrington. Der große GONG ist vollendete Persönlichkeit, souveräner Industriemagnat, erfolgreicher Zeitungskönig, Großreeder und Besitzer eines ausgedehnten Inselreiches. Er sammelt talentvolle Menschen, er züchtet sie geradezu, wie Rennpferde, um sie dort einzusetzen, wo es gilt, eine hervorragende Leistung zu vollbringen. Seine Macht ist groß, und doch gibt es einen Mann, der es zuwege bringt, diesem Beherrscher der öffentlichen Meinung dauernd unangenehm zu sein, ihm wie ein schmerzender Dorn im Fleisch zu sitzen. Warum ist das möglich? Wo ist GONG’s verwundbare Stelle?

Im Zusammenhang mit diesem Manne ist auch ein außergewöhnliches Schiff von besonderem Interesse: „Star of Northingham“, schönste und schnellste Luxusjacht der Welt. Eigentlich ist dieses unerreicht herrliche, mit wertvollsten und modernsten Einrichtungen ausgestattete Fahrzeug die ­schwimmende ­Arbeitsburg des großen GONG. An Bord dieses ­Admiralschiffes befindet sich ein Stab in jeder Hinsicht auserlesener Menschen.

Miss GONG, die blonde, bildhübsche und bezaubernde Tochter Gloria des großen G. O. N. Garrington; ihre ­Mutter, die sich als Missionarin in die Urwälder des Amazonas wagte, ist verschollen. Gloria ersehnt, dass es eines Tages gelingen möge, ihre Mutter aufzufinden und zu retten. Sie setzt all ihre Hoffnungen auf Rifland, denn nur diesem ungewöhnlichen Manne mutet sie die erforderlichen Fähigkeiten zu.

Oliveiro Cardona, hervorragender Gelehrter von Ruf, aber ein Zyniker von diabolischer Wesensart. Seine wertvollen Entdeckungen und Erfindungen behält er für sich, um sie teuflischen Zielen dienstbar zu machen. Tückisch und undurchdringlich führt er ein Doppelleben, getrieben von dem Ehrgeiz, GONG, seinen Feind, erbittert zu bekämpfen, wo immer es nur möglich ist. Warum? Welche Hassbindung ließ ihn GONG’s Gegner werden? Auch Rifland bekommt die Heimtücke Cardonas zu spüren, weil er sich weigert, in die Dienste dieses Teufelsprofessors zu treten.

Mister Cerberus C. Candlestick, seiner kugelrunden Gestalt wegen oft Onkel Belly genannt, ist ein schrullen­hafter Kauz. Seine Jugend verbringt er in Artistenkreisen und wird später, infolge seiner Veranlagung zum Reklamegenie und Manager, vielfacher Zirkus- und Varietébesitzer. Er strotzt von originellen Einfällen und fühlt sich am wohlsten, wenn er seine Umwelt narren kann. Besonders stellt er sich die Aufgabe, Rifland berühmt zu machen und für das Haus GONG zu gewinnen.

Der herkulische Diener Combu, ein halb zivilisierter Negerhäuptling aus Belgisch-Kongo, hat Rifland, seinen unerschrockenen Herrn, auf weiten ­Expeditionen durch Afrika begleitet. Nun folgt er ihm auch in die geheimnisvollen Indianerdschungel Zentralbrasiliens. Combu wirkt sympathisch durch seine unbeirrbare Treue und aufopfernde Anhänglichkeit, aber auch seine muntere und oftmals unfreiwillige Komik.

Mungo, ein Halbjapaner von knabenhafter Gestalt, ist der findigste Reporter-Detektiv im Stab des Zeitungs­königs GONG. Er zeigt ebenso viel Geschmeidigkeit wie Verstand. Seine Spürnase wittert sofort, woher der Wind weht; er schlüpft durch alle Maschen und vollbringt Meisterleistungen im Auskundschaften. Geschickt rollt er das Problem auf: Wer kann Rifland sein?

Madame Rulescu, eine leidenschaftliche Intrigantin von Format, die ihren krankhaften Hang zum verbrecherischen Abenteuer ebenso wenig widerstehen kann wie andere ihrer geschmeidigen Klugheit und gerissenen Verschlagenheit. Diese Frau vermag in hemmungsloser Dreistigkeit Unglaubliches zu ­vollbringen, denn sie kämpft gegen das Gute aus Passion.

Die weiße Tsantsa

Der Diener im Hause des Gelehrten Oliveiro Cardona öffnete die Tür und ließ zwei Männer, die soeben aus Buenos Aires in Rio angekommen waren, in das Empfangs­zimmer treten. Das Aussehen dieser beiden passte ganz und gar nicht zu dem gediegenen Milieu des Hauses. Man sah ihnen an, dass sie zu jenen skrupellosen Gewalttätern gehörten, wie sie in allen Großstädten in der Unterwelt zu finden sind; das konnten auch die guten Kleider, die sie trugen, nicht verdecken.

Kaum waren die beiden allein, sagte der eine: „Du kennst ja den Teufelsprofessor noch nicht, Marko. Du wirst staunen, wenn er vor dir steht. Er sieht wie der leibhaftige Satan aus.“

„Kann ich mir denken“, gab der Angeredete zurück. „Die polizeiwidrigen Aufträge, die wir für ihn bis jetzt durchgeführt haben, können ja auch nur einem Teufel einfallen.“

Alvarez, so hieß der zweite der beiden Gangster, sagte mit abwehrender Handbewegung: „Was schert uns das. Hauptsache hier ...!“ Er machte eine Geste, die den Begriff gut bezahlen ausdrückte.

„Was kann es für ein Ding sein, das wir diesmal für ihn drehen sollen?“

„Weiß nicht, muss etwas Besonderes sein, sonst hätte er uns nicht hierherkommen lassen.“

In diesem Augenblick betrat, nein, humpelte der Gelehrte Oliveiro Cardona, einen schweren ­Klumpfuß nachziehend, in das Zimmer. Sein wirres, blau­schwarzes Haar und der dichte, das Gesicht voll umwuchernde, Spitzbart ließen ihn teuflisch erscheinen. Besonders der diabolische Blick aus seinen Augen, die in seiner Fratze brannten, ließ einen erschaudern. Das Aussehen dieses Mannes wirkte Furcht einflößend, man hatte tatsächlich den Eindruck, dem Leibhaftigen gegenüberzustehen.

Nach knappem Gruß sagte Alvarez: „Senhor, das ist mein Freund Marko. Absolut verlässlich. Wir arbeiten immer zusammen.“

„Arbeiten?“, krächzte Cardona mit einer heiseren Stimme. „Nennt ihr eure Gaunereien Arbeit?“

Als Alvarez antworten wollte, wehrte der Gelehrte ab und sagte: „Schon gut. Ich weiß Verbrecher eures Schlages zu schätzen; besonders dieses Mal. Ihr könnt ein Vermögen verdienen, wirklich ein großes Vermögen, wenn es euch gelingt, meinen Auftrag zu erfüllen.“

„Werde mein Möglichstes tun“, sagte Alvarez mit einem breiten Lächeln. „Worum handelt es sich?“

„Um eine Tsantsa.“

Als die zwei Männer einander fragend ansahen und damit zeigten, dass sie nicht recht wussten, was eine Tsantsa sei, humpelte Cardona auf einen Glasschrank zu, in dem eine ganze Reihe von jenen präparierten menschlichen Köpfen hing, die die Indianer der süd­amerikanischen Dschungel Tsantsa nennen. Er entnahm dem Schrank eine der Kopfjägertrophäen und wendete sich wieder den beiden zu.

„Seht, das hier ist eine Tsantsa“, sagte Cardona. Dabei hielt er solch einen, kaum faustgroßen Schrumpfkopf mit langen herabhängenden schwarzen Haaren in der Hand. „Bevor ich meine Wünsche präzisiere“, fuhr er fort, „muss ich eine Erklärung vorausschicken. Nehmt also Platz.“

Die beiden Männer setzten sich und in ihren Gesichtern war deutlich die Spannung zu sehen, die sie beherrschte.

Cardona begann seine Erklärung: „Ihr werdet wohl schon gehört haben, dass es bei uns in Brasilien, in den unzugänglichen Dschungeln des Mato Grosso, heute noch echte Kopfjäger gibt.

Einzelne Stämme haben eine besondere Kunst entwickelt, den erbeuteten Kopf von allen Knochen zu befreien, ihn haltbar zu präparieren und so zusammenschrumpfen zu lassen, dass der Kopf nur noch die Größe einer Kinderfaust hat. Das Außergewöhnliche und kaum Fassbare daran ist aber, dass das Gesicht des Getöteten, trotz der Verkleinerung, unverändert bleibt und der frühere Träger in den meisten Fällen auf den ersten Blick, genauso wie im Leben, wiederzuerkennen ist.“

Als Cardona eine Atempause machte, fragte Alvarez: „Sollen wir vielleicht solche Köpfe bringen?“

„Nein“, antwortete Cardona. „Ich will nicht solche Köpfe; sie stammen alle von Indianern und sind für mich nichts weiter als Sammelobjekte; was ich will, ist etwas ganz anderes. Ich will nur einen einzigen und ganz bestimmten Kopf, ich will das einstmals schöne und stolze Haupt einer weißen Frau.“

Der Teufelsprofessor blickte in die erstaunten Gesichter der beiden Gangster und beeilte sich fortzusetzen: „Ihr sollt natürlich nicht hier in Rio oder sonst wo einer Frau den Kopf abschneiden, obwohl ich überzeugt bin, dass Ihr für den gebotenen Lohn auch das tun würdet. Ihr sollt mir, wie ich sagte, nicht den Kopf einer noch lebenden, sondern die präparierte Tsantsa einer bereits toten weißen Frau bringen.“ Bei diesen Worten verzog Cardona seine Teufelsfratze zu einem hässlichen Grinsen und erklärte weiter: „Hört also: Die bekanntesten Kopfjäger sind die Jivaro-Indianer. Sie leben in einem Gebiet, das südlich des Amazonas liegt und mit dem die Zivilisation von Zeit zu Zeit doch irgendwie in Verbindung kommt. Nun, es gibt aber noch weit wildere und perfektere Kopfjäger, als es die Jivaros sind, nämlich die Tasujapi-Indianer. Die leben in einem Gebiet westlich des Flusses Xingu. Dorthin ist bis jetzt noch keine Expedition vorgedrungen, außer, man weiß es noch nicht bestimmt, außer einer. Übrigens: Habt Ihr etwas von der tragischen Expedition der Ellen Garrington gehört?“

Die beiden verneinten mit missmutigen Mienen, denn das Thema über Kopfjäger wussten sie ganz und gar nicht mit ihrem Aufgabengebiet in Einklang zu bringen. Sie waren skrupellose, gewalttätige Verbrechernaturen, die vor nichts zurückschreckten, aber Kopfjäger? Das war für sie zu neu und auch etwas gruselig. Sie wagten aber nicht, Cardona zu unterbrechen, denn wenn dieser sonst sehr wortkarge Mann so viel sprach, musste er etwas Besonderes vorhaben; das verriet ja auch der unglaublich hohe Lohn, den er in Aussicht gestellt hatte. So hörten die beiden weiter schweigend zu, während Cardona mit seiner Erklärung fortfuhr.

„Ellen Garrington ist die Gattin des Multimillionärs George Oliver Northing-Garrington, des mächtigen GONG, wie man diesen Krösus nennt. Die sehr schöne, aber etwas exzentrische Frau hatte sich eines Tages in den Kopf gesetzt, als Dienerin der christlichen Religion in die Urwälder des Xingu zu ziehen, um dort unter wilden Völkerstämmen die Lehre Christi zu verbreiten. Deshalb hatte sie gemeinsam mit ihrem Bruder, einem Missionar, die bereits erwähnte Expedition ausgerüstet. Die Geschwister drangen immer weiter in die Wildnis vor, bis eines Tages jede Spur von ihnen fehlte und man sie als verschollen erklären musste. Darauf ließ Ellen Garringtons Gatte, also der große GONG, eine mit allen Schikanen ausgestattete Hilfsexpedition ausrüsten, die unter Führung eines englischen Majors nach den Verschollenen suchen sollte. Die Expedition war nahezu ein Jahr unterwegs und ist vor knapp drei Monaten dezimiert, erschöpft und, man kann sagen, an Leib und Seele gebrochen zurückgekehrt. Die Teilnehmer wussten nur von schrecklichen Wilden, unüberwindlichen Hindernissen, Gefahren und Entbehrungen zu berichten.

Das Einzige, was die durch GONG entsendete Expedition erbrachte, war die Gewissheit, dass Ellen Garrington und ihr Bruder sich zuletzt bei den Suja-Indianern aufgehalten hatten. Dieser Stamm, der schon einmal, allerdings viele Jahre vorher, von einem deutschen Forscher besucht worden war, lebt gewissermaßen an der Pforte zu jenem Wildnis-Gebiet, das von den schrecklichsten aller Kopfjäger, den menschenfressenden Tasujapi-­Indianern, bewohnt wird. Dorthin ist, vermutlich in geistiger Umnachtung, Ellen Garrington mit ihrem Bruder aufgebrochen und seither fehlt jede Spur von ihr. Nun komme ich zum Auftrag: Ich entsende eine Suchexpedition in dieses Gebiet und ihr sollt als meine Vertrauensmänner mitgehen.“

Den beiden Gangstern war bei dem Gedanken, dieses Kopfjägergebiet aufsuchen zu müssen, nicht ganz wohl zumute. So versuchte es Marko mit einem Einwand und wehrte ab: „Von Expeditionen verstehen wir doch nichts.“

„Ist auch nicht nötig“, erwiderte Cardona. „Selbstverständlich führt die Expedition ein erfahrener Forscher, der Brasilianer Alvez de Monza, den ihr nur begleiten sollt. Er, und nicht ihr, muss die Spur Ellen Garringtons finden. Es ist nahezu sicher, dass die Geschwister längst ermordet sind und ihre Köpfe als kleine Jagdtrophäen irgendeine Tasujapi-Hütte schmücken. In diesem Fall ist es eure Aufgabe, mir den Kopf der weißen Frau zu bringen. Dafür bekommt ihr ein Vermögen, von dem ihr herrlich leben könnt, ohne jemals wieder gaunern oder gar arbeiten zu müssen.“

„Sehr verlockend“, sagte nun Alvarez, „aber zu den Kopfjägern ...?“, und griff sich dabei an den Hals.

„Ach was!“, wehrte Cardona ab. „In Buenos Aires könnt ihr auch eines Tages von der Polizei gekillt ­werden. Außerdem rüste ich das Unternehmen derart, dass euch nichts passieren kann. Wenn ein ehrsamer Forscher in diese Wildnis zu ziehen wagt, wollt ihr euch fürchten?“

„Den Kopf kann Ihnen ja auch der Forscher bringen“, meinte jetzt Marko.

„Ich glaube nicht, denn der präparierte Kopf einer Ellen Garrington wäre eine so ungeheure, die ganze zivilisierte Welt in Aufruhr bringende Sensation, dass sich de Monza niemals um diesen Erfolg bringen lassen würde.“

„Wie also wollen Sie ohne den Forscher zu der Tsantsa kommen?“

„Wenn der Kopf gefunden ist, dann ...“ Cardona zögerte.

„Was dann?“, fragten die beiden zugleich.

„... dann setzt eure Hauptaufgabe ein“, sagte Cardona gedehnt und richtete seinen brennenden Blick auf die Helfershelfer. „Die südamerikanischen Indianer haben Pfeilgifte, wo ein winziger Nadelstich genügt, um einen Menschen sofort in einen starrkrampfartigen Zustand zu versetzen; und eben dann schneiden sie seinen Kopf ab, um ihn zu präparieren. Ich gebe euch so viele, für die Wilden verlockende, Geschenke mit, dass ihr die ­Indianer leicht dazu bewegen könnt, euch den Kopf des Forschers zu präparieren.“

„Sie wollen auch den Kopf Alvez de Monzas?“, wurde gefragt.

„Nein“, erwiderte Cardona ruhig. „Ihr sollt nur keinen Zeugen haben.“

„Und wenn die Frau noch lebt?“, fragte Marko.

„Das ist kaum möglich. Ist es aber doch der Fall, dann dürft ihr mit den Geschenken an die Wilden erst recht nicht sparen.“

„Was?“, rief Marko erstaunt, denn selbst ihm, dem Gangster, lief es bei diesem Gedanken kalt über den Rücken.

Der Teufelsprofessor zeigte wieder sein höhnisches Lächeln, und ohne den Frager zu beachten, wandte er sich an den ihm schon länger bekannten Verbrecher.

„Alvarez, der Mann versteht schlecht“, sagte er kalt. „Ich erklärte doch deutlich genug, dass ich nicht den Kopf, sondern die Tsantsa dieser Frau haben will.“

Dabei blieb es. Die beiden Verbrecher hatten verstanden. Den Teufel Cardona schien gerade an der Tsantsa Ellen Garringtons ungeheuer viel zu liegen. Warum? Nun, das war vorerst noch ein Geheimnis, und sie begriffen, dass sie nicht danach fragen durften ...

*

Wenige Tage nach dieser Unterredung brach Alvez de Monza mit seiner Expedition auf, um, wie er glaubte, das Xingu-Geheimnis zu lüften. Die beiden Gangster hatten sich von der hohen Belohnung verlocken lassen und begleiteten den ahnungslosen Forscher. Alle Zeitungen brachten anfeuernde Berichte und wünschten ein gutes Gelingen.

Dann wartete Cardona mit wachsender Gespanntheit auf die Nachrichten, die in immer länger werdenden Abständen von der Expedition einlangten. Nach einigen Monaten aber hörte die Verbindung gänzlich auf und das Schicksal Alvez de Monzas und seiner Begleiter blieb, wie das Ellen Garringtons und ihres Bruders, in ein ungewisses Dunkel gehüllt. So wurde es immer untrüglicher, dass auch diese Expedition ein Opfer der Wildnisse am Xingu geworden war. Nur für die Zeitungen bildeten die beiden Tragödien in der Hölle des Mato Grosso eine unversiegbare Quelle, aus der sie spannendes Material schöpften.

*

Das Geschehen um Ellen Garrington aber hatte noch lange nicht sein Ende gefunden. Eines Tages tauchte ein Mann auf, der allein berufen zu sein schien, das Rätsel vom Xingu zu lösen und entscheidend in das Leben der mit dieser Tragödie verbundenen Menschen einzugreifen.

So seltsam, wie die Wege jener Ereignisse, war auch das erste Auftreten dieses Mannes. Ohne dass er es wollte, wurde er unter dem Namen Rifland zum Helden eines vom Leben diktierten, außergewöhnlichen Romans, der seinen Anfang in Rio de Janeiro, am Strand von Copacabana, nahm.

Im Süden Rio de Janeiros, wo sich paradiesisch gelegene Villenviertel wie Parkanlagen aneinanderreihen, draußen an der wogenumspülten Atlantikküste, erhebt sich prunkhaft das weltberühmte Spielkasino von ­Copacabana.

Wenn es irgendwo einen Flecken Erde gibt, der selbst für die Reichsten und Verwöhntesten ein Paradies sein kann, dann ist es dieser Strand unter dem ewig heiteren Himmel der schönsten Stadt der Welt.

Dort ereignete sich ein sensationeller Vorfall, den wohl niemand in diesem Luxusmilieu für möglich gehalten hätte.

Es war damals eine herrliche, vom Sternenglanz des tropischen Himmels durchschimmerte Nacht. Ein leichter Abendwind wiegte die schlanken Königspalmen, und die meisten Herren in ihren weißen Smokings huldigten nicht dem Spiel, sondern den schönen Frauen, draußen auf der in Tausend Blüten brennenden Terrasse.

Plötzlich zerriss ein schriller, markerschütternder Aufschrei diese betörend schöne Atmosphäre von Wohlleben und Geselligkeit. Aus einem der Prunkräume gellte ein aufpeitschender Hilferuf hinaus zu den froh gelaunten Gästen.

Das Stimmengewirr der vielen verschiedenen Sprachen verstummte, alles sprang auf und rannte durch das Kasino nach rückwärts, wo sich der zu dieser Stunde noch menschenleere Kuppelsaal befand.

Dort zeigte sich der bestürzten Gesellschaft ein Bild, dessen Eindruck so ungeheuerlich war, dass die Überraschten im Rahmen des breiten Eingangs wie angewurzelt stehen blieben.

Am Ende des Saales, auf einer Estrade, stand ein junger Mann und hielt einen Revolver in der Hand. Neben ihm, ängstlich an eine Säule gepresst, bleich im Gesicht vor Furcht und Scham, zitterte eine junge, bildhübsche Blondine. Es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass die beiden jungen Menschen dem Gesellschaftskreis der oberen Zehntausend angehörten.

Als die Neugierigen in den Saal gerannt gekommen waren, hatte der junge Mann die Mündung seiner Waffe auf die Hereinstürmenden gerichtet und mit der Stimme eines Wahnsinnigen gerufen: „Halt! Wer nur einen Schritt weiter macht, den schieße ich nieder.“ In seinen Augen flackerte der Irrsinn. „Stören Sie nicht eine heilige Handlung“, schrie er, „lassen Sie uns in Ruhe sterben.“ Er blickte wirr zu der dicht gedrängten Menge und hielt diese wie sein Opfer mit drohend erhobener Waffe in Schach.

Man kannte diesen jungen Mann im Kasino, den Sohn eines reichen Fazendeiros. Seine nervöse und exzen­trische Art war kein Geheimnis und niemand zweifelte, dass der krankhafte Mensch einer solchen Wahnsinnstat fähig war. Ohne die Zusammenhänge dieses erschreckenden Geschehnisses zu verstehen, war es doch jedermann klar, dass hier ein Irrsinniger, doppelt gefährlich in seinem Wahn, Ernst machen würde. Jeden Augenblick konnte sich die todbringende Waffe entladen. So wagte niemand auch nur die geringste Bewegung.

Niemand?

Doch! Mitten in dem atemlosen Knäuel stand ein Mann, der Kleidung nach ein ebenso gut angezogener Gesellschaftsmensch wie alle ringsum, und dennoch hatte sein Äußeres mit dem Dutzendtyp des eleganten Gentlemans nichts zu tun. Hier stand ein Mensch von außergewöhnlicher Persönlichkeit. Im Gegensatz zu dem blütenweißen Smoking, den auch er trug, wirkte das markante, von der Tropensonne überaus verbrannte Gesicht wie aus Bronze. Die hellen Augen blickten nicht wie die der anderen in ängstlicher Starre zur Estrade, im Gegenteil, sie suchten ruhig prüfend nach einer Möglichkeit, die Hilfe bringen konnte, eine ganze Weile, bis ein kaum merkliches Lächeln über die energischen Züge huschte und zeigte, dass der Mann entschlossen war, zu handeln.

Nun bückte er sich ganz langsam, immer tiefer, bis er hinter den Rücken der vor ihm Stehenden verschwand. Dann kroch er zwischen den Beinen der anderen hindurch zum angrenzenden Saal, sprang kurz darauf über das Geländer der Terrasse, rannte, seinen Smoking dabei abstreifend, zur Hinterfront des Kasinos und kletterte dort an Mauervorsprüngen bis zu einem der runden Fenster empor, die, fast zwei Stockwerke hoch, unter der Kuppel eingebaut waren.

Jetzt erschien drinnen im Saal, im schmalen Rund des Fensters, die Gestalt des Unbekannten. Sein Fuß tastete nach einem Halt, vorsichtig schlüpfte der schlanke Körper nach und dann war der kühne Kletterer zum gefährlichen Sprung bereit.

Atemlos, mit weit aufgerissenen Augen und in ängstlicher Erwartung, starrte die Menge nach oben; das alles spielte sich für die Zuschauer in einer nervenzerreißenden Ewigkeit ab.

Aber auch sie, die in ihrer Todesangst keine Bewegung wagte, sah jetzt die Rettung kommen. Regungslos und mit blutleerem Gesicht blickte das junge Menschenkind zu seinem Retter empor.

Das musste verhängnisvoll werden und gerade in dem Augenblick, in dem der Wahnsinnige sein Gesicht nach oben gewandt hatte und die Waffe auf den Angreifer richten wollte, sprang der beherzte Mann aus der schwindelnden Höhe herab.

Ein einziger Schrei hallte durch den weiten Saal. Man hörte ein hartes Aufschlagen, ein Poltern, einen Schuss und dann kollerten zwei Menschen die Stufen der ­Estrade hinunter.

Jetzt erst löste sich der Bann.

Die meisten Zuschauer rannten zur Estrade. Das nun einsetzende Stimmengewirr wurde von erlösenden Aufschreien übertönt. Manche Frauen weinten und einige wanden sich in hysterischen Krämpfen; doch niemand kümmerte sich um sie, denn es gab nur ein Interesse: Was geht dort an den Estradestufen vor?

Umringt von einer gestikulierenden Menge stand lächelnd der Retter und vor ihm am Boden lag bewusstlos der Wahnsinnige. Der Unbekannte wehrte die vielen Hände, die sich ihm entgegenstreckten, ab und rief: „Senhores, bemühen wir uns vorerst um den jungen Mann, vielleicht habe ich ihm einen ernstlichen Schaden zugefügt. Schicken Sie doch lieber rasch um einen Arzt!“ Dabei bewog er die Umstehenden, indem er selbst mit Hand anlegte, den Bewusstlosen auf ein Sofa zu betten.

Kurz darauf schlug der Wahnsinnige die Augen auf, ein Arzt, der sich unter den Anwesenden gefunden hatte, stellte fest, dass die Bewusstlosigkeit lediglich durch Aufschlagen des Kopfes auf den Boden verursacht worden war, und einige Saaldiener standen schon bereit, den Irrsinnigen festzuhalten, falls dies notwendig sein sollte. Mittlerweile hatte sich der Schauplatz mit einer dicht gedrängten Menge gefüllt. Die anwesenden Latein-­Amerikaner ließen ihrem Temperament alle Zügel schießen. Einer fragte den andern, jeder wollte etwas Besonderes bemerkt haben, und dann kam die Sensation. Irgendjemand hatte die am Leben bedrohte junge Dame erkannt. Zuerst wurde ihr Name nur flüsternd weitergegeben, gewissermaßen unter Diskretion, aber bald ging er von Mund zu Mund und alles drängte sich zu jener Säule, wo die Gerettete stand. Rücksichtslos wurde das blonde Wunder von der sensationslüsternen Menge bestaunt.

Das also war Miss GONG? Diese Buchstabenfolge hatte ihren eigenen Klang, es war ein faszinierendes Wort. Für die Wissenden war GONG der Begriff unermesslichen Reichtums und weltumspannender Macht. Kein Wunder, wenn man die bildhübsche Blondine wie die Kronprinzessin eines Wirklichkeit gewordenen Märchen­reiches anstaunte.

„Was ist das für ein Name, GONG“, fragte eine Dame einen neben ihr stehenden Herrn, und dieser erklärte: „GONG ist mehr als ein Name, es sind die vier Anfangsbuchstaben von George Oliver Northing-Garrington. Der Träger dieses Namens ist Zeitungskönig, Groß-­Reeder, Multimillionär und darüber hinaus ein sehr edler Mensch. Ja, und diese junge Dame, die, wie ich bemerke, sehr peinlich berührt über unsere Köpfe hinwegblickt, ist die Tochter dieses außergewöhnlichen Mannes.“

„Ach“, rief die Dame äußerst interessiert, „demnach ist sie auch die Tochter jener auf so tragische Art berühmt gewordenen Ellen Garrington, die im Indianer-­Dschungel ein grausiges Ende fand.“

„Sehr richtig“, bestätigte der Herr.

„Wie aber kommt eine Miss Garrington in die Gesellschaft eines mordlustigen Narren?“, wollte die Neugierige wissen.

„Das kann nur ein unglücklicher Zufall sein, denn Miss Gloria ist ein äußerst wohlerzogenes und feinsinniges Geschöpf und nur selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Sie können sich also vorstellen, meine Dame, wie peinlich diese Affäre für eine Miss GONG ist.“

„Ja, furchtbar!“, klagte die Dame und hob ihr Lorgnon an die Augen. „Ob der kühne Mann wohl weiß, wen er da gerettet hat?“

„Sollte er es nicht wissen“, meinte der Herr, „wird ihm das Herz höherschlagen, sobald er erfährt, wen er sich hier zu Dank verpflichtet hat. Dieser Beneidenswerte ist sicherlich kein Alltagsmensch, auch sieht er wirklich fabelhaft aus. Er wird durch diese Tat morgen schon ein ebenso berühmter wie interessanter Mann sein, denn Hunderte von Zeitungen, besonders in den USA, werden ...“ Der Sprecher konnte den Satz nicht beenden, denn eine neue Bewegung entstand unter den Neugierigen; die Polizei war erschienen. Zum Leidwesen der sensationshungrigen Gesellschaft wurde Miss GONG in die Büroräume der Kasino-Direktion gebeten, sodass man um den Genuss kam, eine peinliche Ausfragung mit anzuhören. Ein allzu schwacher Ersatz war der Abtransport des Wahnsinnigen.

Es gab aber gleich wieder eine neue Sensation. Eine Frage ging von Mund zu Mund. Wo ist der Retter? Es wurde gesucht, gerufen, doch der Retter blieb verschwunden.

Mittlerweile war Miss GONG befragt worden und gerade, als sie sich zum Gehen anschickte, betrat ein junger Mann das Direktionsbüro. Er nickte dem Polizeikommissar wie einem guten Bekannten zu und verneigte sich dann vor Miss GONG. Indem er auf ein Abzeichen, das er am Rockaufschlag trug, wies, sagte er: „Ich bin GONG-Reporter; man kennt mich unter dem Spitznamen Mungo.“

Miss GONG lächelte desinteressiert, während der Kommissar, der Mungo als geschickten Reporter-­Detektiv kannte, fragte: „Ist Ihnen der Retter bekannt?“

Mungo überlegte einen Augenblick und sagte dann bestimmt: „Noch nicht! Ich hoffe aber, bald über ihn berichten zu können.“

Jetzt kam Leben in Miss GONG. Sie wandte sich an den Reporter. „Es würde mich sehr interessieren, etwas über die Persönlichkeit dieses Herrn zu erfahren“, sagte sie begeistert.

„Gewiss“, antwortete Mungo und verneigte sich abermals. Dann erklärte er, dass sein Dienstwagen vor einem Seitenausgang des Wirtschaftsgebäudes parke und den man erreichen könne, ohne von Neugierigen bestaunt zu werden.

Nur zu gerne ging die junge Dame auf den Vorschlag ein. Als Miss GONG im Dienstwagen des Reporters Platz genommen hatte, gab es eine neue Überraschung: Der Neger-Chauffeur, der als unbedingt verlässlich galt, hatte seinen Wagen verlassen und war nicht zu sehen. Enttäuscht und wütend zugleich rief der Reporter nach allen Richtungen den Namen des Negers: „Combu, Combu!“, doch ohne Erfolg.

„Ist dieser Neger ein verlässlicher Mensch?“, fragte Gloria Garrington den Reporter.

„Sehr verlässlich, Miss Garrington“, antwortete dieser. „Er ist zwar noch nicht lange in Südamerika und spricht ein furchtbares Portugiesisch, doch ich halte viel von ihm und ...“

Der Reporter unterbrach sich, denn in diesem Augenblick sah er den Neger, der, von der rückwärtigen Front des Kasinos kommend, an der Mauer entlang zu jenem Tor, durch das man zur großen Terrasse gelangte, lief, was ihn die Beine tragen konnten. Es war derselbe Weg, den vor einer Viertelstunde in umgekehrter Richtung jener Gentleman genommen hatte. Als der Neger seinen Namen rufen hörte, blieb er einen Augenblick ­unschlüssig stehen, um dann doch zu dem Reporter zu eilen. Er trug einen weißen Smoking unterm Arm, den er beim Näherkommen wie ein Beweisstück emporhielt.

„Senhor, Senhor“, stieß er hervor. „Kommen Sie mit mir – in das Kasino – ich muss – ich muss – vielleicht große Gefährlichkeit dort – ich später alles sagen – kommen Sie – das ist meine Rifla“, und er zeigte aufgeregt auf den Smoking in seiner Hand. „Ich müssen helfen laufen ...“

Mungo ahnte einige Zusammenhänge und versuchte, den Neger aufzuklären: „Dieser Herr, dessen Smoking du in der Hand hältst, ist nicht mehr im Kasino, er ist verschwunden. Er ist auch gar nicht in Gefahr, er hat es nur vorgezogen, nicht gesehen zu werden, verstehst du, Combu?“

„Ich nix verstehen!“, sagte der Neger kopfschüttelnd. Es dauerte eine ganze Weile, bis ein wenig Klarheit in diese Affäre gebracht war. Combu hatte sich niemals einer Disziplinlosigkeit schuldig gemacht, doch an diesem Abend war mit ihm nichts anzufangen. Er ließ sich nicht ausfragen, im Gegenteil, er stellte selbst Fragen und wollte wissen, was mit jenem Herrn geschehen sei. Als ihm der Sachverhalt näher erklärt worden war und er von der Rettung Miss GONG’s hörte, war er zu Tränen gerührt. Seine Aufregung war so groß, dass sich der Reporter entschloss, den Wagen selbst zu lenken, um Combu besser ausfragen zu können.

Combu lebte noch vor zwei Jahren in seiner Heimat, im belgischen Kongo, wo er einen sehr großen Herrn, wie er sagte, auf ausgedehnten und gefährlichen Jagd­expeditionen begleitet hatte. Diesen Herrn, den er Rifla nannte, liebte er über alle Maßen. Sein weißer Herr wollte ihn nach Südamerika mitnehmen, doch es kam dann zu einer unerwarteten Trennung und Combu blieb allein zurück. So wanderte er aus, in der naiven Hoffnung, seinem geliebten Rifla zu begegnen.

Nun saß er heute gelangweilt in seinem Wagen und sah plötzlich einen eleganten Herrn eben durch diesen Hof rasen und dabei seinen Smoking ausziehen. Dies allein hätte Combu nicht bewegen können, seinen Platz zu verlassen, wenn nicht jener Herr seinem Rifla so ähnlich gesehen hätte. Erst zögerte er, dann aber packte es ihn. Er sprang aus dem Wagen und rannte ebenfalls zur Hinterfront des Kasinos. Dort sah er gerade noch, wie sein Herr hoch oben in ein Fenster hineinkroch. Er staunte eine Weile. Dann bemerkte er den vor seinen Füßen liegenden Smoking, hob ihn auf und sah das ihm wohlbekannte Monogramm; die ineinander verschlungenen Buchstaben E und S. Nun stand es außer Zweifel: Sein früherer Herr hatte aus irgendeinem außergewöhnlichen Grund diese Klettertour unternehmen müssen. Sollte Combu rufen? Nein, er wollte warten. So blieb er ziemlich lange unentschlossen stehen, bis ihm plötzlich einfiel, dass sich sein Rifla innerhalb des Gebäudes in Gefahr befinden könnte. Die verschiedenen kleinen Seitenausgänge waren ihm nicht bekannt, so rannte er nach vorne, um durch den Haupteingang irgendwie zu seinem Herrn zu gelangen. Und nun hatte ihn Mungo gerufen.

Die Aufregung Combus war begreiflich. Der Neger saß wie gebrochen hinter dem chauffierenden Mungo.

„Lass gut sein, Combu“, sagte der Reporter tröstend, „wir finden deinen Rifla! Wir finden ihn bestimmt!“

Auch Miss GONG, die sich im Allgemeinen um Neger-Chauffeure wenig zu kümmern pflegte, war von der Liebe Combus zu seinem Herrn ergriffen und hatte an der Unterhaltung lebhaft teilgenommen. Während der Erzählung Combus war der Wagen über die hell erleuchteten Preias die malerische Bucht von Rio entlanggesaust, hatte die Praza Maua überquert und am Ende der großen Hafenstraße die Gebäude der GONG-­Schifffahrtsgesellschaft erreicht.

Anschließend an dieses Gebäude stand, umgeben von Palmen, ein palaisartiges Haus, durch das man zu jenem Anlegeplatz gelangte, der nur wenigen Menschen zugänglich war. Dort lag von Zeit zu Zeit jene berühmte Jacht, von der die meisten Seeleute behaupteten, sie wäre nicht nur das schönste und schnellste, sondern auch das zweckmäßigste Schiff der Welt: Die Jacht Star of Northingham, die schwimmende Arbeitsburg Mister GONG’s.

Weder der Reporter noch der Neger Combu hatten bisher diesen geheiligten Boden betreten, heute aber, an diesem außergewöhnlichen Abend, wurden sie, die Farbigen, sogar von Miss Gloria Garrington und nahezu wie Gäste an Bord geleitet.

Als sie die Jacht betreten hatten, gelangten sie, mehrere Gänge durchwandernd, in einen Salon mit breitem Oberlicht, unter dem ein von Blumen umgebenes Palmen­arrangement stand. Die mit Seidenstoffen überzogenen Wände waren von edelstem Holzschnitzwerk ­eingerahmt. Den Boden überspannten kostbare Teppiche.

Auf Mungo wirkte diese vornehme Großartigkeit derart, dass er womöglich noch kleiner erschien, als er es ohnehin schon war, und Combu ging ängstlich auf den Zehenspitzen. Gloria wies auf zwei Fauteuils und sagte: „Nehmen Sie Platz, Senhores, vorerst will ich meinen Vater unterrichten, er wird Sie dann gleich zu sich bitten.“

Sie ging einen breiten Gang entlang bis zu einer Tür, durch die sie eintrat.

Während Combu bewundernd die Einrichtungsgegenstände des Raumes betastete, untersuchte Mungo unauffällig den weißen Smoking, den der Neger auf einen Fauteuil gelegt hatte. In der Innentasche raschelte etwas. Mungo griff hinein und zog einen Briefumschlag und einen Zettel hervor. Es war kein Zweifel: Empfänger des geöffneten Briefes konnte nur der Besitzer des Smokings sein.

Einen Augenblick überlegte der schlaue Japaner, dann war er im Klaren. Hier war der Weg zu jenem Unbekannten. Warum ließ sich dieser Gentleman nicht als Helden feiern und hielt sich verborgen? Hinter dieses Geheimnis musste er kommen, er, und nicht ein anderer. Deshalb verbarg er den Brief rasch in seiner Tasche. Dann warf er einen Blick auf den Zettel. Es war ein von einem Notizblock abgerissenes Blatt, auf das verschiedene Ornamente und Gebilde gekritzelt waren, so wie man es oft bei langweiligen Telefongesprächen zu tun pflegt, wenn man gerade einen Schreibblock vor sich liegen hat. Außer der Notiz des Datums und einer Telefonnummer fiel unter dem Gekritzel eine Zeichnung auf, die ebenso ein Emblem wie eine Flagge sein konnte. Die flüchtige Zeichnung zeigte einen Stern, um den herum die Worte Rifland’s Star geschrieben waren.

Mungo blieb zu weiteren Betrachtungen keine Zeit, denn er hörte herannahende Schritte. Kurz darauf eilte ein dürrer, langbeiniger und schlaksiger Herr, mit einer riesigen Hornbrille auf der Hakennase, durch den Salon und den Gang entlang bis zu jener Tür, durch die auch er verschwand.

„Das war doch Mister Kolmer, Ihr Chef?“, sagte Combu zu Mungo.

„Lass nur“, meinte der Reporter, „ich bin froh, wenn er mich nicht sieht. Der ist imstande, mich glatt hinaus­zuwerfen, noch bevor ich vor Mister GONG gestanden bin. Ja, Combu“, fügte er hinzu, „das ist eine Chance, die ich wahrnehmen will.“

Kaum hatte der kleine Mungo ausgesprochen, kam der Chefreporter Kolmer wieder in den Salon zurück, um Mungo zu holen.

Dann kam der große Augenblick für den kleinen Reporter. Im Warteraum blickte er mit ein wenig Bangigkeit im Herzen zu der mit Saffianleder überzogenen Polstertür, an der die Messingknöpfe imponierend blinkten.

„Was wird der mächtige Mann für einen Eindruck haben“, dachte Mungo, „wenn er mich, den gelben Mischling, sieht?“