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Georg Bätzing versteht es als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz zu vermitteln, hat sich als Moderator der polarisierten Bischofskonferenz hervorgetan, aber als Teil des liberalen Flügels auch keinen Zweifel daran gelassen, dass er Veränderungen will. Er wählt seine Worte bewusst und kann doch mit der Geradlinigkeit des Westerwälders sehr deutlich werden. Wer ist dieser Mann? Was hat Bätzing, der sich selbst als "gut konservativ" bezeichnet, in Kindheit, Jugend und Theologiestudium geprägt? Was treibt ihn an? Und für welche Art von Kirche setzt er sich ein? Ausgehend von den Stationen seiner Biografie beantwortet Bätzing diese Fragen und redet dabei Klartext – auch über seine Gespräche mit Papst, Kurie und auf der Weltsynode.
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Seitenzahl: 111
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Georg Bätzing und Stefan Orth
Rom ist kein Gegner
Warum die Kirche Reformen braucht
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: © NÖl CREW, Frankfurt/Main
E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau
ISBN Print: 978-3-451-10271-4
ISBN E-Book (EPUB): 978-3-451-83371-7
Vorwort
1. Kindheit und Jugend
Frühe Berufung
2. Theologiestudium
Begegnung mit Hans Urs von Balthasar
3. In der Priesterausbildung
Sachwalter des Katholischen
4. Generalvikar und Bischof
Die beiden Seiten des Bischofsstuhls
5. Synodalität in Limburg
Was die Weltkirche hier lernen kann
6. Vorsitzender der Bischofskonferenz
Durch Moderieren führen
7. Missbrauchsskandal
Entsetzen und Wut
8. Synodaler Weg
Erfolge und Fehler
9. Ökumene
Der gemeinsame Tisch als Ziel
10. Erfahrungen mit Rom
Faszination und bleibende Distanzierung
11. Weltsynode
Positive Momente und anhaltende Erwartungen
12. Zukunft des Christentums
Was Mut macht
Biografie
Über die Autoren
Es ging schnell. Keine vier Jahre war er Bischof von Limburg, da wurde er im Frühjahr 2020 schon Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, nachdem der Münchener Kardinal Reinhard Marx nicht ein weiteres Mal für das Amt kandidieren wollte. Einer breiteren Öffentlichkeit war Georg Bätzing, im Westerwald aufgewachsen, damals nicht bekannt. Das hat sich mit der neuen Aufgabe rasch geändert. Bischof Bätzing versteht es zu vermitteln, hat sich als Moderator der polarisierten Bischofskonferenz hervorgetan und doch auch als Teil des liberalen Flügels keinen Zweifel daran gelassen, dass er Veränderungen will – bis hin zu Veränderungen des Katechismus. In seinem Bistum hat er manches angestoßen, das in anderen Diözesen bis heute nicht denkbar ist. Er wählt seine Worte bewusst und kann doch in der Eigenheit des Westerwälders sehr beharrlich werden. Das galt gerade als Präsident des Synodalen Wegs, in den Gesprächen mit Papst und Kurie, allerdings weniger als Delegierter beim ersten Treffen der Weltsynode im Oktober 2023.
Wer ist dieser Mann, der zwei Jahrzehnte in seinem Heimatbistum Trier in der Priesterausbildung tätig, immerhin für zwei Jahre auch verantwortlich für die Heilig-Rock-Wallfahrt und dann Generalvikar des Bistums war? Was hat Georg Bätzing, der sich selbst als »gut konservativ« bezeichnet, maßgeblich in Kindheit, Jugend und Theologiestudium geprägt? Was treibt ihn an? Und für welche Art von Kirche im Konzert des weltweiten Katholizismus setzt er sich ein?
Ich bin Bischof Bätzing sehr dankbar, dass er sich ausführlich Zeit genommen hat, um diese Fragen ausgehend von den Stationen seiner Biografie zu beantworten und dabei Klartext zu reden. Eindringlich spricht er davon, was für ihn das Katholische ausmacht, wo er sich selbst verändert hat und welche kirchlichen Reformen seiner Ansicht nach heute unabdingbar sind. Nicht zuletzt der Missbrauchsskandal und seine Aufarbeitung sind für ihn der Ausgangspunkt für dringend notwendige Korrekturen, wie sie vom Synodalen Weg angestrebt werden. Das Bistum Limburg mit seinen synodalen Traditionen kann da für ihn nicht nur Blaupause für mehr Partizipation in deutschen Diözesen, sondern vielleicht sogar Beispiel für die Weltkirche sein. Am Ende geht es deshalb auch um die Gespräche im Vatikan. Kann Rom nur Gegner sein, wie manche meinen? Und wie ist es um die Zukunft des Christentums in Europa bestellt, wenn die notwendigen Reformen in der katholischen Kirche die Säkularisierungstendenzen in der westlichen Welt nicht einfach umkehren können werden?
Ich danke auch allen, die notwendig sind, damit ein solches Buch in der Edition der Monatszeitschrift Herder Korrespondenz erscheinen kann.
März 2024
Stefan Orth, Chefredakteur der Herder Korrespondenz
Stefan Orth: Herr Bischof Bätzing, Sie haben sich zu verschiedenen Anlässen schon einmal als »gut konservativ« beschrieben. Was heißt das für Sie? Wie ist jemand, wenn er gut konservativ ist?
Georg Bätzing: Ich finde weiterhin, dass diese Beschreibung für mich gut passt. Mir ist die Kirche mit ihrer Tradition, mit ihrer Lehre, mit den Menschen, die sie tragen, mit der Geschichte, die wir durchlebt haben, unglaublich wichtig. Ich bin in der zu Ende gehenden Hoch-Zeit der Volkskirche groß geworden und im Grunde bis in die Knochen von ihr geprägt. Auch wenn ich diese Phase heute kritischer sehe als damals, als ich darin gelebt habe, hat sie viele Vorzüge gehabt, weil sie viele Menschen in die kirchlichen Vollzüge einbinden konnte. Auch meine Theologie schöpft aus dieser Tradition. Ich bin dankbar für viele Personen in meinem Leben, die ganz gediegen gut Theologie getrieben und mich dadurch geprägt haben. Die Quelle für meine Berufung ist wirklich die Messe – und das gilt für mich bis heute.
Was ist das dezidiert Konservative daran?
Was ich zu bewahren suche, ist die besondere sakramentale Struktur der katholischen Kirche: dass Gottes Unmittelbarkeit zu uns Menschen sich vermittelt in Zeichen, in Personen, in Worten, in Handlungen, in Ritualen, in einer geübten Praxis, die mein Leben prägt. Das, so finde ich, ist etwas sehr, sehr Kostbares, das wir bewahren sollen.
Und inwiefern sind Sie von diesem Volkskatholizismus bis in die Knochen geprägt?
Ein alter Professor von mir, der Religionspädagoge Alfons Thome, hat einmal von sich als einem Fronleichnamspriester gesprochen. Ich bin auch ein solcher Fronleichnamspriester. Das ist für mich nach wie vor die größte sichtbare Äußerung des Katholischen mit aller Innerlichkeit und mit der zentralen Ausrichtung auf die Eucharistie, die Quelle und den Höhepunkt allen kirchlichen Lebens. Es ist schön, dass der Katholikentag in diesem Jahr gerade an Fronleichnam in Erfurt sein wird, wo das noch mal deutlich werden kann. Ich brauche Fronleichnam nicht jeden Tag und nicht jeden Monat, einmal im Jahr reicht mir das. Auch alle Übertreibungen sind mir fremd. Aber ich lebe aus der täglichen Feier der Heiligen Messe. Mir ist sehr wichtig, dass ich ganz oft mit Gemeinden die Heilige Messe feiern kann. Ob das in der Gruppe ist oder als ein Pontifikalamt, macht für mich keinen Unterschied. Aber ich lebe aus dieser Form der Christusbegegnung, die immer wieder neu greift – wohl wissend, dass sie zurzeit in einer ganz erheblichen Krise ist.
Wenn Sie sagen, dass sie gut konservativ sind, schwingt mit, dass es auch das problematisch Konservative gibt. Woran denken Sie da?
Verbunden mit dieser Zeit der Volkskirche sind all jene Dinge, die wir heute aufarbeiten müssen: Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt, eine Unfreiheit im Glauben, die entscheidend zum Abbruch der Beichte geführt hat. Die Beichte wurde von vielen Menschen als Eingriff in die intimsten Lebensbereiche, als Übergriffigkeit mit Blick auf die eigene persönliche Freiheit als Gläubiger und als Mensch, etwa als Eltern, erlebt. Zum Gewaltpotenzial dieser negativen Entwicklungen gehört gerade nicht nur eine äußere Gewalt wie etwa beim sexuellen Missbrauch, sondern auch eine innere. Man hat als Kirche damals klipp und klar gesagt, was es braucht, dass jemand dazugehören kann. Und wer das im Einzelnen nicht geglaubt und gelebt hat, war draußen. Das hat sicher nicht dazu beigetragen, dass in diesen Jahrzehnten der Volkskirche die Mehrheit zu einem persönlichen Glauben finden konnte, der außerhalb dieses Orientierungs- und Regulierungsrahmens Bestand gehabt hätte.
Aber das war nicht Ihre Erfahrung?
Das war überhaupt nicht meine Erfahrung. Ich habe die Kirche nie als einengend erlebt. Das muss ich immer wieder sagen. Aber es war durchaus die Erfahrung meiner Eltern. Ich habe mich oft gefragt und auch mit meinen Eltern darüber gesprochen, warum sie Anfang der Siebzigerjahre, als ein neuer Pfarrer kam und Bußfeiern als eigene Gottesdienste eingerichtet hat, von einem auf den anderen Tag nie wieder gebeichtet haben. Und das hat mich dann später fragen lassen: Was hatten sie denn vorher erlebt, dass dieser Wandel offenbar ein Befreiungsschlag war? Ich selbst habe Kirche immer als fördernd erfahren. Ich bin in kirchlichen Kontexten emotional, sozial sowie intellektuell gewachsen und gereift; ich kenne viele, die das auch so erlebt haben. Sonst wäre ich wahrscheinlich heute nicht Priester. Aber es gab auch in meiner Heimatgemeinde die andere Seite.
Wie konkret haben Sie auch die negativen Seiten zu spüren bekommen?
Ich komme aus einer Pfarrei, in der ein Priester Missbrauch verübt hat, und zwar in erheblicher Weise. Ich habe das Glück, nicht zur Generation der damals 14- bis 15-Jährigen zu zählen, die diese sexualisierte Gewalt erleiden mussten. Ich kenne aber Menschen, die davon betroffen waren. Der Pfarrer wurde in der seinerzeit üblichen Praxis, wie man das damals eben gemacht hat, aus dem Verkehr gezogen: Die Hintergründe wurden nicht thematisiert, um Schaden für die Institution abzuwenden. Es wurde nicht drüber gesprochen, aber ruchbar war das damals sehr wohl. Die Betroffenen wurden nicht gesehen. Da sieht man, wie doppelbödig diese Zeit gewesen ist, die viele so erfahren haben.
Wie alt waren Sie damals?
Das war Ende der Sechzigerjahre, als ich sieben, acht Jahre alt war.
Welche anderen besonderen Erlebnisse gab es in Kindheit und Jugend auf dem Weg, den Sie dann eingeschlagen haben?
Da gibt es sicher viele. Erst einmal spielt die Musik für mich eine große Rolle. Ich komme aus einer Musikerfamilie. Mein Vater war einfacher Arbeiter bei der Bundesbahn. Wir haben immer gesagt, dass er da sein Geld verdiente, aber für die Kirche und für die Musik gearbeitet hat. Er war ein leidenschaftlicher nebenamtlicher Musiker, der viele Chöre geleitet hat, den Kirchenchor, aber auch mehr als 25 Jahre die Musikkapelle in seiner Heimat. Außerdem war er Organist. Wir waren vier Geschwister: meine fünf und sechs Jahre älteren Brüder und eine fünf Jahre jüngere Schwester. Wir standen gefühlt gerade im Advent und an Weihnachten immer auf der Bühne und haben gesungen sowie musiziert – vor allem mit der Blockflöte und am Klavier. Das waren hauptsächlich kirchliche Zusammenhänge, und so habe ich ganz früh auf diese Weise eine Verbindung zum Gottesdienst bekommen. Das ist für mich heute noch wichtig. Es ist wunderbar, hier in Limburg zu sein mit so einer Dommusik, den Domsingknaben, der Mädchenkantorei und einem großen Domchor. Das ist etwas Herrliches.
Seit wann wussten Sie denn, dass Sie Priester werden wollten?
Wenn auch ein bisschen verschämt, muss ich auf diese Frage, die mir auch viele Firmlinge stellen, immer antworten: Ich habe nie etwas anders werden wollen. Das habe ich bereits als Kind gewusst und im Grunde hat sich das auch nie verändert. Im ersten Schuljahr hat die Lehrerin einmal eine ganze Schulstunde jeden erzählen lassen, was wir für einen Traumberuf haben. Ich habe damals bereits gesagt, dass ich Priester werden wolle. Die Lehrerin lebt noch und bestätigt das immer wieder. Gut erinnern kann ich mich auch an die Erstkommunionvorbereitung zusammen mit einem Cousin, der in der Nachbarschaft wohnte. Der Kaplan hielt vor 80 bis 85 Kindern frontal Kommunionunterricht. Wichtig war für mich zum einen das Kommunionbüchlein mit dem Titel »Der Herr ist mein Hirte«. Das war damals religionspädagogisch etwas ganz Neues, eine Erklärung des Ablaufs der Messfeier und der Beichte anhand des Psalms 23. Ich habe mir das Büchlein zu meinem 50-jährigen Jubiläum der Erstkommunion noch einmal besorgt, weil diese katechetische Literatur so eine starke Erinnerung für mich ist. Zum anderen denke ich an eine Szene, als mein Vetter und ich von der Kirche nach Hause zurückgelaufen sind und wir uns darüber unterhalten haben, wie großartig das ist, dass wir jetzt endlich bald zur Kommunion gehen können. Wir blieben unterwegs stehen und haben irgendwie darüber gestaunt. Dafür muss man Kind sein.
Welche Rolle hat die spätere Schulzeit gespielt?
Für mich war die Zeit im Gymnasium eine ganz wichtige Etappe. Meine Heimat gehört zum Bistum Trier, liegt allerdings in einem Dekanat mit großen Diasporaanteilen. Da ist die evangelische Kirche sehr stark, es gibt viele Hausgemeinden als Teil freikirchlicher Bewegungen, und dann auf der anderen Seite stark katholisch geprägte Orte, wie denjenigen, aus dem ich komme. In der Schulzeit war es nicht außergewöhnlich, dass wir uns auch in Pausen oder Freistunden über Fragen des Glaubens unterhalten haben – ökumenisch. Wir waren alle Fahrschüler und haben viel Zeit in der Schule verbracht, gerade in der Oberstufe. Da habe ich zum ersten Mal gespürt, dass man den Glauben intellektuell fassen muss, er nicht einfach zu haben ist. Der Glaube ist nicht unhinterfragt da, sondern muss einem erst zur Frage werden, um anderen Auskunft geben zu können. Den evangelischen Mitschülerinnen und Mitschülern verdanke ich meinen katholischen Glauben, weil wir miteinander sehr intensive Auseinandersetzungen hatten – eben weniger im Religionsunterricht, sondern mehr in der Freizeit, die wir miteinander verbracht haben. Das ist auch meine erste ökumenische Erfahrung, die mir sehr wichtig ist.
Wie kam es dann zum Theologiestudium? War der Weg einfach schon vorgezeichnet, weil Sie von Kindesbeinen an Priester werden wollten und sich die Frage so gar nicht gestellt hat?
Das war genau der Punkt. In der Schule hatte ich andere Interessen, die ich nicht weiterverfolgt habe: Naturwissenschaften und Sprachen. Ich habe Latein, Mathe und Chemie als Leistungskurs gehabt und das sehr gern gemacht. Und das sagt jetzt nichts über die Leistung der vielen Religionslehrerinnen und Religionslehrer: Aber meinen Religionsunterricht fand ich nicht so spannend. Trotzdem stand für mich und auch für die Mitschüler und etliche der Lehrerinnen und Lehrer immer außer Frage, dass ich mich im Priesterseminar anmelden werde, wenn ich das Abi habe. So habe ich es dann auch gemacht, das war der entscheidende nächste Schritt. Das Theologiestudium war eine notwendige Folge daraus. Ich hatte damals allerdings nicht erwartet, wie sehr mich das Studium dann interessiert, gereizt und letztlich auch geformt hat. Am Anfang war es nur die notwendige Voraussetzung für alles Weitere.
Was waren die ersten Eindrücke vom Studium? Es war schließlich schon ein größerer Einschnitt, weil Trier von Ihrem Heimatort vergleichsweise weit weg ist. War das für Sie eine andere Welt?