Roman (Carolina Cold Fury-Team Teil 7) - Sawyer Bennett - E-Book

Roman (Carolina Cold Fury-Team Teil 7) E-Book

Sawyer Bennett

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Beschreibung

In einer Liga voller Unruhestifter sticht der Verteidiger des Cold Fury Eishockeyteams, Roman Sýkora, heraus – zumindest, wenn es um negative Publicity geht. Wenn er nicht gerade im Strafraum sitzt, sorgt der heiße tschechische Hockeydämon aufgrund seiner Frauengeschichten für Schlagzeilen in Klatschmagazinen. Bis dem Management des Teams der Geduldsfaden reißt und Roman die Anweisung bekommt, sein Verhalten zu ändern, denn sonst ... Zum Glück hat er eine verlockende Ablenkung: eine lebenslustige Barista, die Ukulele spielt und eine Seite in Roman zum Vorschein bringt, von der er nicht wusste, dass es sie gibt. Lexi Robertson kam nach Raleigh, North Carolina, um endlich ihren Vater Brian Brannon und ihre Halbschwester Gray kennenzulernen, die beide im Büro der Cold Fury-Mannschaft arbeiten. Dort trifft sie auch zum ersten Mal den sexy, einschüchternden Roman, der im Grunde seines Herzens ein großer Softie ist. Doch noch eine weitere Beziehung bahnt sich an: Brian und Georgia, Lexis Chefin im Café, fühlen sich zueinander hingezogen. Als die Spannungen zwischen Roman und Lexis neuen Familie immer weiter zunehmen, fragt sich Lexi, ob sie nur ein Spielball im Spiel der anderen ist. Verletzt und gedemütigt ist Lexi bereit, alles hinzuschmeißen, solange sie noch die Oberhand hat. Das Problem ist nur, dass Roman nicht gewillt ist, Lexi aufzugeben. Lasst euch in die aufregende Welt des Eishockeys mit dem siebten Teil der Carolina Cold Fury-Team Serie von New York Times-Bestsellerautorin Sawyer Bennett entführen. Taucht ein in die Welt des Profisports und erlebt hautnah, wie Roman sein Herz an Lexi verliert und um seine Träume kämpft.

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Seitenzahl: 398

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Beliebtheit




Sawyer Bennett

Carolina Cold Fury-Team Teil 7: Roman

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von J.M. Meyer

© 2017 by Sawyer Bennett unter dem Originaltitel „Roman: A Cold Fury Hockey Novel“

© 2024 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-696-6

ISBN eBook: 978-3-86495-697-3

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Dieses Buch darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin weder in seiner Gesamtheit noch in Auszügen auf keinerlei Art mithilfe elektronischer oder mechanischer Mittel vervielfältigt oder weitergegeben werden. Ausgenommen hiervon sind kurze Zitate in Buchrezensionen.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Autorin

Kapitel 1

Roman 

Bevor ich eintrete, atme ich tief ein und langsam wieder aus. Mit dieser Atemtechnik versuche ich, mich zu entspannen, was mir jedoch nicht so leichtfällt. Roman Sýkora gibt immer zu einhundert Prozent Vollgas. Egal, ob ich auf dem Eis stehe oder eine heiße Tussi ficke. Ich kenne nur zwei Geschwindigkeiten … schnell und bewegungslos. Letzteres kommt nur vor, wenn ich schlafe.

So habe ich mein Leben immer gelebt und ich werde ganz bestimmt auch jetzt nicht damit aufhören.

Ich öffne die Glastür, die zu den Büros der Cold-Fury-Geschäftsführung führt. Alles ist edel und imposant mit den cremefarbenen Teppichen und den eleganten europäischen Möbelstücken. Die Ausstattung macht deutlich, wie viel Kohle von dieser Organisation erwirtschaftet wird.

Mein Blick fällt sofort auf eine junge Frau, die auf einer grauen Ledercouch sitzt, die vor einer Wand steht. Sie hat ihre Beine übereinandergeschlagen und ihr Kopf ist nach unten geneigt, während sie eine Nachricht auf ihrem Smartphone schreibt. Ihr dunkles Haar versperrt mir die Sicht auf ihr Gesicht. Was mir besonders ins Auge sticht, ist, dass sie total unkonventionell gekleidet ist und völlig deplatziert wirkt. Ihre langen Beine stecken in einer Strumpfhose mit rot-weißem Muster, die in Kombination mit der abgeschnittenen Jeansshorts etwas seltsam aussieht. Dass sie im Januar eine solche Hose trägt, ist nicht ungewöhnlich, da die Winter in North Carolina durchaus mild sein können. Heute sind es um die fünfzehn Grad. Mit ihrem Outfit hat sie schwarze Dr. Martens Boots kombiniert, sie trägt ein weißes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke, die mit Reißverschlüssen übersät ist.

Ihr Outfit ist zwar nicht ganz so verrückt wie das Wetter, aber im Gegensatz zu den Chefbüros schreit es geradezu nach Anti-Establishment.

Mir gefällt das.

Sogar sehr.

„Kann ich Ihnen helfen?“, höre ich eine sanfte Frauenstimme vom Empfang aus fragen.

Ich wende meinen Blick von der Frau auf der Couch ab und widme meine Aufmerksamkeit der Empfangsdame. Sie ist eine streng dreinblickende ältere Frau mit hellblondem Haar, das sie zu einem strengen Dutt zusammengebunden hat, und sie mustert mich kühl. „Mein Name ist Roman Sýkora. Ich habe einen Termin bei Gray Brannon.“

Die Frau rümpft die Nase. „Sie sind fünfzehn Minuten zu spät, Mr. Sýkora.“

„Jepp“, erwidere ich, ehe ich auf einen Stuhl zugehe, der neben der grauen Couch steht. Meine Unpünktlichkeit muss nicht weiter thematisiert werden. Ich bin chronisch unpünktlich und werde dies wohl auch bis zu meinem Todestag nicht mehr ablegen.

„Miss Roberts, Mister Brannon ist soeben mit seinem Zehn-Uhr-Termin fertig geworden und sollte in Kürze bei Ihnen sein. Ich entschuldige mich in seinem Namen für die Verzögerung“, höre ich die Empfangsdame sagen, ehe ich Platz nehme.

Die Frau, die auf dem Sofa sitzt, hebt den Kopf, schaut an mir vorbei zum Empfangstresen, lächelt und nickt. „Das ist schon in Ordnung. Mir macht es nichts aus, zu warten.“

Heilige Scheiße … was für ein Gesicht. Cremefarbene, makellose Haut und silbrig-blaue Augen, die sich von den dunklen Wimpern abheben, die sie einrahmen. Sie hebt die Hand und streicht sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Anschließend gleitet ihr Blick in meine Richtung.

Sie deutet mit einem Kopfnicken in Richtung Rezeption und lehnt sich zu meinem Stuhl herüber. „Ich finde, es wird mit zweierlei Maß gemessen.“

„Zweierlei Maß?“, wiederhole ich verwirrt und bin mehr als fasziniert von ihrer heiseren, beinahe rauen Stimme.

Sie lächelt mir zu, was meine Aufmerksamkeit auf ihre Lippen lenkt. Sie sind voll und rosafarben. Hinter ihnen offenbart sich mir eine strahlend weiße Reihe Zähne mit einer winzigen Lücke in der Mitte. Total sexy.

„Nun ja“, entgegnet sie. In ihrer Stimme schwingt ein verschwörerischer Tonfall mit. „Es ist in Ordnung, wenn jemand aus der Geschäftsführung zu spät zu einem Termin kommt, aber es ist nicht okay, wenn Sie sich ein paar Minuten verspäten.“

Ein verdammt valider Punkt.

Ich lehne mich zu ihr herüber, als wollte ich ein großes Geheimnis mit ihr teilen. Ich senke die Stimme, nicht weil es mir wichtig ist, dass die Empfangsdame mich nicht hört, sondern weil ich die Unterhaltung mit dieser wirklich hübschen Frau sehr genieße. Ehrlich gesagt, es ist mir scheißegal, was irgendwer in dieser Organisation über mich denkt.

„Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen“, sage ich, wobei mein tschechischer Akzent etwas mehr durchkommt, weil ich die Worte bewusst langsam ausgesprochen habe. Im Laufe der Jahre, die ich nun schon in Nordamerika lebe, ist er ziemlich verblasst. Allerdings ist es nicht zu überhören, dass ich einen leichten slawischen Akzent habe. „Sie und ich gehören nun mal nicht dem Management an, weshalb wir nicht das Privileg genießen, zu spät kommen zu dürfen. Wir sind zu weit unten in der Hackordnung.“

Die Frau nickt zustimmend und zwinkert mir zu. „Wir sind definitiv zu weit unten in der Hackordnung.“

Ich überlege, mich ihr vorzustellen, denn ich glaube nicht, dass sie weiß, wer ich bin. Sie sitzt zwar in der Lobby der Cold-Fury-Geschäftsführung, das heißt aber nicht zwangsläufig, dass sie sich mit Eishockey auskennt. Es könnte viele Gründe geben, weshalb sie hier ist. Zum Beispiel, um Pfadfinderkekse zu verkaufen. Sollte das wirklich der Fall sein, haben sich die Uniformen ganz schön verändert.

„Mr. Sýkora, Miss Brannon ist jetzt bereit, Sie zu empfangen“, ruft mir die Empfangsdame zu, ehe ich der Frau auf der Couch meine Hand entgegenstrecken kann.

Als ich mich aus meinem Stuhl erhebe, lächelt mir die Frau noch einmal zu. „Viel Glück. Ich hoffe, Sie stecken nicht in Schwierigkeiten.“

Grinsend zwinkere ich ihr zu. „Leider habe ich das Gefühl, dass ich ziemlich viel Ärger am Hals habe.“ Ihr klappt die Kinnlade leicht herunter und in ihren Augen ist ein Ausdruck von Mitleid zu erkennen. Bevor sie jedoch ihr Bedauern kundtun kann, beuge ich mich zu ihr herunter. „Kein Grund zur Sorge. Ich bin eben ein Unruhestifter.“

Ihre Augen funkeln verschmitzt und sie nickt verständnisvoll. „Das habe ich mir sofort gedacht. Aber hey, das passt zu Ihnen.“

„Vergessen Sie das nicht“, erwidere ich lachend, wende mich von ihr ab und marschiere auf die Empfangsdame zu. Ich höre die Couch-Lady leise hinter mir lachen. Dieser raue Klang ihrer Stimme … einfach nur sexy. Wenn ich Glück habe, sehe ich sie vielleicht wieder, wenn ich hier wieder herausspaziere. Ich hätte nichts dagegen, sie besser kennenzulernen.

In dem Moment, in dem ich neben der Rezeptionistin stehe, damit sie mich den Flur hinunter in Richtung der Büros der Geschäftsleitung führen kann, vergesse ich die Frau vom Sofa und ihre Sexyness. Als ich auf Gray Brannons Büro zusteuere, versteift sich mein Rücken, da ich weiß, dass ich gleich so was von den Arsch versohlt bekommen werde.

„Ihr Büro befindet sich am Ende des Ganges“, teilt mir die Empfangsdame mit.

Ich reagiere nicht auf ihre Worte, denn offen gesprochen, ihr Verhalten ist rotzfrech. Sie verdient meine Aufmerksamkeit nicht. Also schreite ich den Korridor entlang, bis ich bei Grays Bürotür angekommen bin, die offen steht. Ich klopfe leicht mit den Fingerknöcheln gegen das Holz, um mich anzukündigen, und stecke den Kopf zur Tür herein.

Gray Brannon ist die Geschäftsführerin des Eishockey-Teams Carolina Cold Fury. Es ist ihr zweites Jahr in dieser Position und sie hat dazu beigetragen, dass wir den Stanley Cup gewonnen haben. Es ist auch mein zweites Jahr im Team. Ich bin letzte Saison zur Mannschaft gestoßen, nachdem Gray die Leitung übernommen hatte. Ich habe ihr viel zu verdanken, denn sie hat an mich geglaubt und wusste, dass ich einen großen Anteil zum Erfolg beitragen kann.

Gray eist den Blick von den Dokumenten, die auf ihrem Schreibtisch liegen, los und hebt den Kopf. Für einen kurzen Moment bin ich von der schieren Schönheit dieser Frau fasziniert. Ich stand noch nie auf Rothaarige, aber ich muss zugeben, dass Gray Brannon dieser Farbton verdammt gut steht und dass ihr Gesicht engelsgleich ist. Also ja, unsere Managerin ist verflucht heiß, aber auch ein Ass in ihrem Job. Und obwohl ich mir sicher bin, dass jeder Mann im Team sie auf eine Weise begafft, wie ein Kerl eben eine wunderschöne Frau abcheckt, ist ihr mehr als unser Respekt dafür sicher, was sie für die Organisation tut.

Als ich eintrete, steht Gray auf und streckt mir ihre Hand entgegen. Mein Blick fällt sofort auf die runde Wölbung ihres Bauches, ehe ich ihr in die Augen schaue. Vor ein paar Wochen, auf unserer Weihnachtsfeier, hat Gray öffentlich gemacht, dass sie und ihr Mann, Ryker Evans, im Mai ihr erstes gemeinsames Kind erwarten. Ryker war in der letzten Saison Stammtorwart der Cold Fury und hat einen Großteil zum Gewinn des Stanley Cups beigetragen. Vergangenen Sommer hat er sein Karriereende bekannt gegeben und ist nun Torwarttrainer des Teams.

Ich ergreife Grays Hand und schüttle sie. Anschließend deutet sie auf einen Stuhl hinter mir, auf dem ich mich niederlasse und eine lässige Sitzposition einnehme. Im Laufe dieses Meetings werde ich sicherlich eine gehörige Tracht Prügel einstecken müssen, aber ich will ihr auf gar keinen Fall den Eindruck vermitteln, dass mich das stört.

Ich ziehe immer mein Ding durch, was bedeutet, dass ich Schläge einstecke, wenn ich sie verdient habe.

Und fairerweise muss ich sagen, dass sie diesmal berechtigt sind.

Gray nimmt ebenfalls Platz, stützt ihre Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab und verschränkt die Finger ineinander. „Es nützt nichts, um den heißen Brei herumzureden. Die Kämpfe, die du austragen willst, sollten besser überlegt sein. Und seltener.“

„Ich weiß nicht, ob ich dir folgen kann“, erwidere ich wahrheitsgemäß und blinzle vor Überraschung. Ich dachte, sie würde mir auftragen, mich gänzlich zurückzuhalten. Aber dem scheint nicht so. Sie will lediglich, dass ich es etwas entspannter angehen lasse.

„Sehen wir uns doch mal deine Vergangenheit an“, sagt sie freundlich aber mit einem Hauch von Sarkasmus in der Stimme. Das bringt mich zum Grinsen, was sie jedoch ignoriert. „Vor anderthalb Jahren hast du deinen Einstand im Team gefeiert, indem du dich beim Auswärtsspiel in Toronto extrem betrunken hast und mit einem Fan des gegnerischen Teams in eine Schlägerei geraten bist.“

„Er hat angefangen“, verteidige ich mich lachend.

Auch darüber geht sie hinweg. „Dann wurdest du wegen Trunkenheit am Steuer und Ruhestörung verhaftet.“

„Diese Anklagen wurden fallen gelassen.“

„Außerdem hast du diese berüchtigte Opossum-Nummer abgezogen“, führt sie an und ignoriert meine Ausreden.

Ich schnaube, denn das war eine geniale Nummer. Ich bekam einen Schläger an die Schulter und krachte aufs Eis. Der Schlag tat weh, aber nicht doll genug, um mich wirklich zu Fall zu bringen. Das wussten jedoch meine Mitspieler nicht. Während direkt vor meinen Augen eine Rangelei losging, bei der meine Mannschaftskollegen mich zu verteidigen versuchten, lag ich auf dem Eis und stellte mich tot. Einer der Physios kam sogar zu mir herübergerannt, um nach mir zu sehen. Die Rauferei um mich herum wurde schließlich von den Schiedsrichtern unterbunden. Ungefähr zu dem Zeitpunkt als Spieler davonfuhren, sprang ich auf – womit ich unseren Athletiktrainer Goose fast zu Tode erschreckte – und attackierte den Dreckskerl, der mir den Schlag verpasst hatte. Bevor die Schiedsrichter mich wegzogen, habe ich ihn ein paarmal heftig getroffen.

Das brachte mir eine Sperre für den Rest des Spiels ein.

Gray Brannon findet das alles andere als lustig und fährt damit fort, meine Verfehlungen aufzuzählen. „Du wurdest in den letzten vierundzwanzig Monaten für elf Spiele gesperrt. Drei wegen Checks gegen die Bande, zwei wegen Cross-Checking und sechs aufgrund von Beleidigung eines Offiziellen.“

„Nun, für die Schiedsrichterbeleidigung war eine Sperre von zehn Spielen vorgesehen, aber die Strafe wurde auf sechs reduziert. Das ist doch gut, oder?“, frage ich, ohne mich für mein Verhalten zu entschuldigen. „Außerdem wissen wir beide, dass der Typ ein Vollidiot ist.“

„Du kommst regelmäßig zu spät zum Training“, wirft sie mir vor.

„Ich brauche eben meinen Schönheitsschlaf“, rechtfertige ich mich und klimpere mit den Wimpern. „Und das ist nichts Persönliches, ich komme zu allem zu spät.“

Ich sehe ihr an, dass sie die Augen verdrehen will. Natürlich tut sie es nicht und behält diesen direkten harten Blick bei. „Du hast Fans angepöbelt und bedroht, hast mehrmals betrunken in der Öffentlichkeit randaliert – das letzte Mal erst vor vier Tagen mit deiner Freundin, was in den sozialen Netzwerken viral gegangen ist.“

„Ich hasse Snapchat“, entgegne ich mürrisch, aber ehrlich. „Und sie ist meine Ex-Freundin. Wir haben uns vor geraumer Zeit getrennt und sind uns nur zufällig in einer Bar über den Weg gelaufen. Sie ist diejenige, die …“

„Und dann heute“, schneidet sie mir das Wort ab, nimmt eine Zeitung von ihrem Schreibtisch und schiebt sie zu mir herüber. „Du bist auf der Titelseite des Sportteils.“

Ich betrachte die Zeitung und muss mir regelrecht auf die Zunge beißen, um nicht wegen des Fotos loszulachen, das den gesamten oberen Teil der Seite einnimmt. Es zeigt mich, wie ich tief und fest schlafend im Bett liege. Ich liege auf dem Rücken. Die Bettdecke reicht mir zwar bis zu den Hüften, aber es ist eindeutig, dass ich darunter nackt bin. Neben mir befindet sich eine Frau, die ebenfalls nichts am Leib hat. Ihr reicht die Decke bis zu den Brüsten. Sie hat das Bild geschossen.

Was ich jedoch nicht wusste, weil ich tief und fest geschlafen habe.

Ich habe erst von der Existenz des Fotos erfahren, als sie mir vorgestern eine Nachricht mit dem Bild geschickt hat. Zusammen mit einer kurzen, aber deutlichen Forderung von Geld. Wenn ich nicht zahlen würde, würde sie das Bild an die Medien geben.

Meine Antwort war einfach: Verpiss dich.

Natürlich landete unser Nachrichtenverkehr ebenfalls bei der Zeitung, zusammen mit einem Kommentar von mir. Mich rief nämlich ein Reporter an, der ganz versessen auf meine Version der Geschichte war. Ich sagte ihm, dass ich mich niemals erpressen lasse, schon gar nicht von einem unbedeutenden Model, das mit jedem ins Bett springt, nur um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Ich finde, ich habe die Situation recht gut gemeistert.

Ich schaue auf die Zeitung herab und versuche, meinen ernsthaftesten und verärgertesten Gesichtsausdruck aufzusetzen. „Deswegen kannst du nicht wirklich sauer auf mich sein. Ich hatte keine Ahnung, dass sie das Foto geschossen hat.“

„Sie war zuvor mit einem Teamkameraden von dir verlobt“, sagt Gray.

Ich hebe meine Hände in die Höhe, als würde man mich mit einer Waffe bedrohen. „Das wusste ich nicht. Na ja, schon, als die Klamotten ausgezogen waren, aber trotzdem … zu diesem Zeitpunkt war sie nicht mehr mit ihm verlobt.“

„Herrgott, Sýkora“, murmelt Gray und fährt sich mit den Fingern durch die Haare. „Du hast wohl auf alles eine verdammt Antwort, was? Siehst du denn nicht, dass du es ein bisschen zu weit treibst? Verdammt noch mal, es wurde sogar eine Eishockeyregel nach dir benannt. Nein, sie haben dir diese gottverdammte Regel gewidmet.“

Voller Stolz hebe ich das Kinn. Das war episch. In den Statuten stand nichts davon, dass man den Torhütern nicht die Sicht nehmen darf. Dabei passiert das ständig. Ich habe mich nur dazu entschieden, es zu perfektionieren, indem ich mich direkt vor seinem Gesicht platziert habe, als sich der Puck in Tornähe befand. Dabei habe ich mit meinen behandschuhten Händen ganz wild vor ihm herumgefuchtelt. Das hat zum Torerfolg geführt. Meine Mitspieler hatten keine Probleme, den Puck an ihm vorbeizuschieben, da der Torwart mit meinen Händen vor seinem Gesicht beschäftigt war.

Die Liga hat im Eilverfahren eine Regel erlassen, die solch ein Verhalten unterbindet, und sie als die Sýkora-Regel bezeichnet.

„Du musst schon zugegeben, dass dieser Trick vor dem Erlass der Regel ziemlich brillant war, oder?“, sage ich selbstbewusst und weiß, dass ich ihr so langsam auf den Keks gehe, denn ein Muskel an ihrem Mundwinkel beginnt bereits zu zucken.

„Ich bin nicht amüsiert“, erwidert Gray steif.

„Nicht einmal ein bisschen?“, hake ich mit unschuldigem Blick nach.

„Hör auf mit dem Scheiß, Sýkora“, knurrt Gray mich an und lehnt sich dabei mit funkelnden Augen über den Schreibtisch. „Du weißt, wieso ich dich ins Team geholt habe: Weil du berühmt-berüchtigt bist. Du bist ein hervorragender Verteidiger und mir gefällt der Kampfgeist, den du in jedem Spiel zeigst. Aber du treibst es zu weit. Unabhängig davon, was du denkst, hat diese Organisation immer noch einen Ruf zu wahren.“

„Ich bin, wer ich bin.“

„Das mag sein“, entgegnet sie. „Aber wenn du in diesem Team bleiben willst, musst du auf das hören, was ich dir sage.“

„Das heißt?“

Seufzend lehnt sie sich zurück. Ehe sie mich ansieht, reibt sie sich müde über die Augen. „Ich meine damit, dass du den Scheiß lassen sollst. Gib dich hart auf dem Eis, aber hör auf, öffentlich das Arschloch raushängen zu lassen. Benimm dich. Lass das Saufen sein. Hör auf, ein Spektakel aus dir zu machen. Halte dich an Regeln. Sei verdammt noch mal pünktlich. Das ist doch kein Hexenwerk.“

„Und wenn ich das nicht tue?“, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne. Ich bin halt eben ein Arsch.

„Dann hältst du einen Sitz warm,“, teilt sie mir mit und meint damit, dass ich auf der Tribüne landen werde. „Oder noch schlimmer … ich werde dich entlassen.“

„Das Team braucht mich“, knurre ich.

„Ja, das tut es“, bestätigt sie nickend. „Aber wir brauchen mehr als herausragende Spieler. Wir sind ein Meisterschaftsteam und deine Eskapaden könnten nach hinten losgehen und alle mit runterziehen.“

„Das sind keine Eskapaden“, halte ich dagegen. „Ich war schon so, bevor ich zu den Cold Fury kam, und das wusstest du, als du mir einen Vertrag angeboten hast.“

„Und ich sage dir, dass das nicht mit unserer Vision übereinstimmt.“

Ich lehne mich zurück, verschränke die Hände vor dem Bauch und werfe ihr einen trägen Blick zu. Ich will meinen Job auf gar keinen Fall verlieren und werde mir das, was sie gesagt hat, wahrscheinlich zu Herzen nehmen, aber das lasse ich mir nicht anmerken. In dieser Situation geht es einzig und allein darum, die Kontrolle zu bewahren. Nennt es meinetwegen einen Egotrip … aber ich bin niemand, der nachgibt.

„Was genau soll ich ändern?“, frage ich beiläufig.

„Erscheine für den Anfang pünktlich zum Training“, entgegnet sie mit strengem Blick. „Vielleicht interessierst du dich auch mal fernab des Eises für die Mannschaft. Hör auf, unüberlegte Dinge zu tun. Werde ein bisschen erwachsener.“

Ich unterdrücke ein Schnauben. Ironischerweise betreibe ich einen Mannschaftssport, stehe meinen Mitspielern aber nicht sonderlich nahe, abgesehen von den Partys mit einigen der Singlemänner. Ich glaube nicht wirklich an dieses Familiengefühl, das die Brannons eingeführt haben.

Ich sage nicht, dass es schlecht ist.

Es ist nur nichts für mich.

„Sonst noch was?“, frage ich unwirsch.

„Vielleicht solltest du auf Alkohol verzichten, damit du dich besser unter Kontrolle hast“, erwidert sie barsch. Noch bevor ich ihr um die Ohren knallen kann, dass ich kein verdammter Alkoholiker bin – ich feiere nur gern –, atmet sie ein und fügt diesem Vorschlag noch etwas an. „Und versuch, im Spiel ein wenig klüger zu agieren, indem du unnötige Strafen vermeidest. Wähle deine Schlachten etwas weiser und zügle dein Temperament ein wenig. Es ist uns nicht geholfen, wenn du auf der Tribüne sitzt.“

Okay, mit dem letzten Punkt hat sie vielleicht recht, aber mal ehrlich … es ist ja nicht so, dass ich scharf darauf bin, suspendiert zu werden. Ich gehe einfach aufs Eis und spiele mir die Seele aus dem Leib. Ich weiß, dass sie diese Eigenschaft normalerweise an mir schätzt, auch wenn sie mir gerade nicht das Gefühl gibt.

Ich habe genug gehört. Obwohl es an Respektlosigkeit grenzt, stehe ich auf und beende diese Zusammenkunft. Ich schaue ihr in die Augen und nehme eine entschlossene Haltung ein. „Ich werde mein Bestes geben, um deinen Wünschen gerecht zu werden.“

„Das hoffe ich sehr.“ Die Drohung, die dahintersteckt, ist angekommen.

Reiß dich zusammen oder du fliegst raus.

Sosehr ich Gray Brannon für ihren Eishockeyverstand respektiere und dafür, dass sie so ein großartiges Team zusammengestellt hat, so wenig kann ich sie in diesem Moment leiden, da sie mich grundlegend verändern will. Ich nicke ihr zu und verlasse ihr Büro ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.

Kapitel 2

Lexi

„Mr. Brannon wird Sie jetzt empfangen, Miss Robertson“, teilt mir die Rezeptionistin mit, woraufhin ich den Kopf hebe, um sie anzusehen.

Da ist er also.

Der Moment, auf den ich seit Monaten gewartet habe.

Ich wische meine feuchten Hände an meinen bestrumpften Oberschenkeln trocken und hasse es, wie schwitzig sie sind. Ich sollte mir merken, dass ich sie noch einmal trocken wische, ehe ich den großen Brian Brannon treffe, den Präsidenten und CEO der Carolina Cold Fury.

Mit wackligen Beinen stehe ich von der Couch auf und schultere meine große schwarze Handtasche. Ich sehne mich nach der lockeren Unterhaltung zurück, die ich vor wenigen Augenblicken mit dem großartigen Roman Sýkora geführt habe. Natürlich habe ich ihn sofort erkannt, denn ich kenne jedes Teammitglied der Cold Fury inklusive seiner Statistiken.

Roman Sýkora ist einer der bösen Jungs des Teams. Vielleicht sogar der schlimmste. Er ist ein Querulant, ein Biest auf dem Eis und ein Mann, der sich nichts sagen lässt. In gewisser Weise bin ich genauso, also sind all das Eigenschaften, die ich durchaus zu schätzen weiß.

Ich folge der Empfangsmitarbeiterin den Flur hinunter und sehe beim Vorbeigehen ein Türschild mit der Aufschrift: GRAY BRANNON, MANAGERIN. Ich frage mich, wie viel Ärger Roman wohl am Hals hat, aber es kann nicht so schlimm sein. Er schien vorhin alles andere als nervös zu sein.

Wir biegen am Ende des Korridors nach rechts ab und kommen dem Büro von Brian Brannon immer näher. Je dichter wir ihm sind, desto angespannter werde ich. Als ich seinen Namen auf dem Schild neben der Tür deutlich erkennen kann, schlägt mein Herz doppelt so schnell wie gewöhnlich. Meine Hände werden noch schwitziger, weshalb ich sie abermals an meinen Oberschenkeln trocken reibe, während ich der Empfangsdame hinterhereile.

Endlich am Ziel, klopft sie leise an und öffnet sofort darauf die Tür, ohne seine Antwort abzuwarten. Sie stößt sie gänzlich auf, tritt zur Seite und deutet mir an, einzutreten. Ich schenke ihr ein dankbares Lächeln, ziehe an ihr vorbei und höre, wie sie die Tür hinter mir schließt. Als sie mit einem Klicken ins Schloss gefallen ist, stehe ich jenem Mann gegenüber, den ich unbedingt treffen wollte.

Ich habe Hunderte von Fotos von Brian Brannon gesehen und stundenlang Videomaterial von ihm gesichtet. Jede Nuance seines Gesichtsausdrucks habe ich analysiert, um herauszufinden, ob die Demut und Freundlichkeit in seinen Augen echt sind, die ich so oft habe aufblitzen sehen, wenn er mit der Presse spricht.

Doch als ich ihm nun gegenüberstehe und in seine grünen Augen blicke – dieselbe Augenfarbe, die er seiner Tochter Gray vererbt hat –, kann ich nichts weiter als einen Ausdruck der Neugierde in ihnen ausmachen.

Ich schlucke schwer und versuche, meine Sprache wiederzufinden, um mich ihm vorzustellen. Er denkt, ich wäre wegen eines Interviews für eine Collegezeitung hier, weshalb ich Angst habe, ihm die Wahrheit zu sagen.

Ich atme tief durch, durchquere sein Büro und strecke ihm, sobald ich seinen Schreibtisch erreicht habe, eine Hand entgegen. Er beugt sich leicht vor und wir schütteln einander die Hände.

„Sie müssen Lexi Robertson sein.“

„Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mich zu empfangen, Mr. Brannon“, sage ich und bin erleichtert, dass meine Stimme trotz meiner Nervosität zu funktionieren scheint.

Einen Moment lang mustert er mich nachdenklich, dann verwandelt sich sein neugieriger Ausdruck in ein vages Erkennen. Er legt den Kopf leicht schief und deutet mit einer Geste auf den Stuhl hinter mir. „Miss Robertson, sind wir uns schon mal begegnet? Sie kommen mir so bekannt vor.“

Ich trete einen Schritt zurück, setze mich und halte stetig Blickkontakt. Meine Tasche stelle ich neben mir auf dem Boden ab. Ich schaffe das. Ich bin stark. Ich bin der Typ Mensch, der sich bereitwillig ins Unbekannte stürzt, weil er sich vor nichts fürchtet.

„Sie kannten meine Mutter. Sybil Robertson.“

Brian studiert mich genauer, seine Augen verengen sich leicht, ehe sich ein Ausdruck von Anerkennung auf sein Gesicht stiehlt. Während er seine Hände auf den Schreibtisch legt, lächelt er. „Grundgütiger … Sie sehen genauso aus wie sie.“

„Das höre ich nicht zum ersten Mal“, entgegne ich mit einem zurückhaltenden Lächeln.

Er nickt und nimmt schließlich in seinem Bürostuhl Platz, um sich zurückzulehnen und ein Bein über das andere zu schlagen. Er sieht mich liebevoll an, vielleicht schwelgt er in Erinnerungen. „Meine Güte, es ist wahrscheinlich fünfundzwanzig Jahre her, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe.“

„Siebenundzwanzig“, korrigiere ich ihn unverblümt, woraufhin sein Lächeln schwächer wird.

„Nun, wie geht es ihr? Lebt sie noch in der Gegend?“ Seine Stimme klingt angenehm und neugierig.

Ich schüttle den Kopf und dränge die Traurigkeit beiseite, die mich zu übermannen droht. „Sie ist vor zehn Monaten verstorben.“

Sofort schimmern Trauer und vielleicht sogar ein Hauch von Bedauern in Brians Augen auf. Er erhebt sich von seinem Stuhl. Ich beobachte, wie er seinen Schreibtisch umrundet und direkt auf mich zukommt, um mir seine große Hand auf die Schulter zu legen. „Ihr Verlust tut mir aufrichtig leid. Ich habe Ihre Mutter nicht lange gekannt, aber sie war eine erstaunliche Frau.“

„Danke“, murmle ich, während mein Blick auf meine Hände fällt, die in meinem Schoß liegen. „Und ja … sie war erstaunlich.“

Seine Finger drücken tröstend meine Schulter, dann zieht er sie zurück. Ich hebe den Kopf und sehe, wie Brian den Stuhl neben mir zu sich heranzieht. „Also, was kann ich für Sie tun? In meinem Terminkalender steht, dass Sie wegen eines Interviews für die Collegezeitung hier sind?“

Mein Blick stockt. Ich schaue wieder auf meine Hände herab, während sich mein Magen vor Nervosität verkrampft.

Du schaffst das, Lex. Du bist stark und abenteuerlustig. Vergiss das nicht.

„Miss Robertson“, sagt Brian freundlich, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.

Es funktioniert. Ich hebe den Kopf und registriere, dass er mich geduldig ansieht.

Er ahnt nicht, dass ich im Begriff bin, seine Welt auf den Kopf zu stellen.

„Ich bin deine Tochter“, lasse ich die Bombe platzen und weigere mich, den Blick von ihm abzuwenden. Ich muss sehen, wie er auf die Neuigkeiten reagiert, denn das wird mir das wahre Ich dieses Mannes zeigen.

„Das kann nicht sein“, bringt er erstaunt heraus.

Um ehrlich zu sein, seine Worte klingen eher nach Schock als nach Verleugnung.

Er wirft mich nicht aus seinem Büro.

Er nennt mich nicht eine Lügnerin.

Es sieht weder ängstlich noch sauer aus.

Stattdessen starrt Brian mich bloß mit einem völlig verwirrten Gesichtsausdruck an.

Langsam nicke ich. „Du warst vor siebenundzwanzig Jahren mit meiner Mom zusammen. Etwa zwei Monate lang. Deine Frau war ein Jahr zuvor verstorben. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ihr euch getrennt habt, weil du nicht über den Verlust deiner Frau hinweggekommen bist.“

„Das stimmt“, wispert er, erhebt sich und fährt sich mit der Hand durch sein kurzes, dunkles Haar, das an den Schläfen von silbernen Strähnen durchzogen ist. Er steht mit dem Rücken zu mir, mit hängenden Schultern. „Aber sie war nicht schwanger.“

„Sie war es, wusste es jedoch nicht, als du Schluss gemacht hast“, sage ich. „Sie hat es erst ein paar Wochen später herausgefunden.“

„Sie hat es mir nie erzählt“, entgegnet er und dreht sich wieder um. Sein Blick wandert über mein Gesicht, vielleicht, um zu sehen, ob er etwas von sich selbst in mir sieht.

Ich habe zwar die Hautfarbe meiner Mom, ihre Wangenknochen und Lippen, aber ich habe mir oft genug Bilder von Brian angesehen, um zu wissen, dass ich sein Kinn und seine Nase geerbt habe. Genauso wie Gray, denn auch ihre Fotos habe ich eingehend studiert.

„Wieso hat sie es mir nicht gesagt?“, fragt er und endlich höre ich einen Anflug von Wut in seiner Stimme. Ich hatte damit gerechnet, dass das irgendwann der Fall sein würde, denn seien wir mal ehrlich, ich habe ihm soeben eine Bombe vor die Füße geworfen, die explodiert ist.

„Du hast ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass du keine Beziehung willst“, entgegne ich und recke mein Brannon-Kinn in die Höhe. Bei der Erinnerung an seine Worte zuckt er zusammen. „Du hast ihr das Herz gebrochen, weil du sie nicht an dich heranlassen konntest, und sie wollte dich nicht mit einem Baby belasten.“

„Ein Kind wäre niemals eine Last gewesen“, knurrt er deutlich wütender. Er macht zwei Schritte auf den Stuhl zu und setzt sich wieder. Er streckt eine Hand aus – vielleicht, um die meine zu ergreifen, vielleicht, um sie in väterlicher Zuneigung auf meine Schulter zu legen. Nichts dergleichen passiert, weil er sie wieder sinken lässt und auf die Armlehne legt. „Warum suchst du mich erst jetzt auf?“

Gute Frage. Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und treffe zum ersten Mal auf meinen Vater. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich ihn aufsuchen soll oder nicht, aber je mehr Monate nach Moms Tod verstrichen, desto öfter musste ich an Brian Brannon denken. Ich habe alles über ihn gelesen, was ich finden konnte, und er scheint ein anständiger Kerl zu sein. Und hier bin ich nun, ohne Familie – außer einer entfernten Tante und einer Handvoll Cousins, die ich nicht sonderlich gut kenne. Ich wollte einfach jemanden haben.

Ich bin einsam.

Doch noch mehr als das bin ich immer auf der Suche nach dem nächsten großen Abenteuer. Ich hatte das Gefühl, dass Brian Brannon ein wunderbares Kapitel in meinem Buch des Lebens sein könnte, das nur darauf gewartet hat, von mir gelesen zu werden.

Hustend räuspere ich mich. „Ich habe erst kurz vor Moms Tod von dir erfahren. Sie war lange Zeit krank, und als ihr Ende nahte, erzählte sie mir von dir. Ich war genauso schockiert wie du jetzt.“

„Hast du nicht gesagt, sie ist vor zehn Monaten gestorben?“

Ich würde gern behaupten, dass ich einen Anflug von Skepsis in seiner Stimme vernehme, aber ich sehe nichts davon in seinen Augen. Ich habe keine Ahnung, was er fühlt, jedoch denke ich, dass ich es herausfinden werde, bevor ich wieder gehe.

Ich sage ihm die Wahrheit. „Um ehrlich zu sein, ich hatte Angst. Ich war mir nicht sicher, ob du mir glauben würdest. Mich akzeptieren würdest. Etwa drei Monate nach Moms Tod bin ich von Hartford nach Raleigh gezogen, doch es schien mir nie der richtige Zeitpunkt zu sein, um auf dich zuzugehen. Ich will nichts von dir oder Gray, aber ich dachte …“

Ich verstumme, weil ich zu viel Schiss davor habe, meine Wünsche laut zu äußern. Ich bin stark, habe aber dennoch ein paar Ängste.

„Was hast du gedacht, Lexi?“

„Ich will dein Leben nicht auf den Kopf stellen oder so“, versichere ich ihm hastig. Zwar sehe ich Verärgerung in seinen Augen lodern, fahre jedoch trotzdem fort. „Ich hatte gehofft … ich weiß nicht … vielleicht könnten wir ab und an mal zusammen essen gehen.“

„Du willst mit mir zu Abend essen?“, hakt er nach.

Skeptisch.

„Ich will auf gar keinen Fall dein Geld“, schnauze ich und spüre, wie sich meine Augen mit Tränen füllen.

Brian schenkt mir ein mitfühlendes Lächeln. Er legt seine Hand auf meine Schulter und drückt warm zu. „Du willst eine Familie.“

Ich senke den Kopf und starre auf meinen Schoß, blinzle angestrengt, um nicht zu weinen. Dann nicke ich. „Und du scheinst der Typ Mann zu sein, der nicht im Unklaren gelassen werden sollte.“

Abermals drückt er meine Schulter. Als er seine Hand wegnimmt, sehe ich zu ihm hinüber. Er hat sich im Stuhl zurückgelehnt, die Beine ausgestreckt, und starrt an die Decke. Er stößt einen kräftigen Atemzug aus. „Also, ich muss schon sagen … ich weiß nicht, ob man mich jemals zuvor in meinem Leben so geschockt hat.“ Brian dreht den Kopf in meine Richtung, sein Blick ruht auf mir. „Ich bin ein wenig ratlos.“

„Das verstehe ich“, wispere ich. „Es war auch für mich ein Schock, als sie es mir gesagt hat. Ich bin nämlich in dem Glauben aufgewachsen, dass mein Vater mich verlassen hat. Sie hat mir nie etwas über dich erzählt, bloß, dass du gegangen bist, als sie schwanger war.“

„Ich schwöre, ich wusste es nicht“, beteuert Brian, setzt sich auf und lehnt sich zu mir herüber. „Ich schwöre bei Gott, ich hatte keine Ahnung.“

Ich nicke verständnisvoll. „Ich weiß. Sie hat zugegeben, dass sie es dir nie gesagt hat.“

„Ich muss es Gray erzählen“, entgegnet Brian mit einem schweren Seufzer.

Ich kann nicht sagen, ob dieser Laut dem geschuldet ist, dass ich ihn gerade aus dem Konzept gebracht habe, oder dem Umstand, dass ich sein Leben auf eine sehr schlechte Weise verkompliziert habe.

„Ich will mich nicht aufdrängen“, lasse ich ihn wissen und bin plötzlich eingeschüchtert von der Aussicht, dass Gray von meiner Existenz erfährt. Über meine Halbschwester habe ich genauso viel gelesen wie über meinen Dad, und Gray Brannon ist ein Kraftpaket. Sie verfügt über einen hohen IQ, ist wunderschön und engagiert. Ehrlich gesagt jagt sie mir eine Heidenangst ein.

„Du drängst dich nicht auf“, sagt er. „Es ist nur … es wird schwer für sie zu verkraften sein. Sie ist schwanger, überarbeitet und, wie ich zu behaupten wage, aktuell ein bisschen zu emotional.“

„Wir können gern einen Vaterschaftstest durchführen lassen“, schlage ich vor. Auch wenn er kein Wort des Zweifels geäußert hat, kann er sich nicht sicher sein, dass alles, was ich gesagt habe, auch stimmt. „Pass auf … ich habe einen in einer Apotheke gekauft, der sich immer in meiner Handtasche befindet. Ich habe bereits einen Abstrich bei mir gemacht. Du kannst ebenfalls einen machen und dann schicken wir ihn ab. Bis das Ergebnis da ist, dauert es jedoch ein paar Wochen.“

Brian lacht. „Das ist vermutlich eine gute Idee, aber ich kann sehen, dass du mein Kinn und meine Nase hast. Ich habe keinen Grund, an deiner Mom zu zweifeln. Sie war eine gute Frau. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, wie das Ergebnis ausfallen wird.“

„Es tut mir wirklich leid, dass ich dich so damit überfallen habe“, betone ich. „Ich habe daran gedacht, dir zu schreiben. Da ich mir jedoch nicht sicher war, ob du es lesen würdest, glaubte ich, dass ein persönliches Gespräch das Beste wäre.“

Nachdenklich nickt er mir zu und steht dann auf. „Was hast du für den Rest des Tages geplant?“

Ein Moment lang macht sich Panik in mir breit, da ich befürchte, dass er mich in Grays Büro schleppen und mich ihr vorstellen wird. „Die nächsten Stunden habe ich noch frei. Ich muss erst um sechzehn Uhr auf der Arbeit sein“, entgegne ich.

„Gut.“ Er beugt sich über seinen Schreibtisch und nimmt den Telefonhörer zur Hand. Er drückt auf eine Taste und hält dann inne. „Mary, sagen Sie die restlichen Termine für heute ab.“ Als er aufgelegt hat, dreht er sich zu mir um und schenkt mir ein herzliches Lächeln. „Komm … lass uns ein bisschen herumfahren und quatschen. Ich möchte mehr über dich erfahren.“

„Echt?“, frage ich verblüfft, weil er soeben all seine Termine abgesagt hat, um Zeit mit mir zu verbringen.

„Nun, wenn dein Kinn und deine Nase kein Zufall sind, du ungefähr sechsundzwanzig Jahre alt bist und man den Fakt berücksichtigt, dass du genauso aussiehst wie deine Mutter, werde ich die Tatsache akzeptieren, dass du meine Tochter bist. Also ja, ich würde gern mehr über dich erfahren.“

Er zwinkert mir zu, was dazu führt, dass sich meine Nervosität und Angst in Rauch auflösen.

Während ich aufstehe, schenke ich ihm ein zaghaftes Lächeln. Das nächste Kapitel meines Lebens kann beginnen. „Okay, dann los.“

Kapitel 3

Brian

Ich stehe in Rykers und Grays Einfahrt und trommle mit den Fingern auf dem Lenkrad herum … und versuche, den Mut aufzubringen, ihnen von Lexi zu erzählen. Es macht mich wütend, dass es mir so schwerfällt. Es sollte nicht so schwer sein.

Einerseits hat sich mein Leben in dem Augenblick, in dem Lexi mein Büro betrat, drastisch verändert. Nichts wird mehr so sein, wie es mal war. Nicht für mich und nicht für Gray. Aber andererseits bin ich von dieser unglaublichen Euphorie erfüllt, dass ich eine weitere Tochter habe. Ich kenne sie kaum und trotzdem erkennt meine Seele sie als einen Teil von mir an. So kitschig das auch klingen mag.

Wir verbrachten ein paar Stunden zusammen, und obwohl das Gespräch stellenweise unangenehm war, war es überwiegend nett. Ich empfand Lexi als aufgeweckt, temperamentvoll und lustig. Bis zu einem gewissen Grad ist sie unabhängig, aber man merkt, dass sie sich eindeutig nach weitreichenderen Beziehungen zu Menschen sehnt. Sie ist zweifellos seit dem Tod ihrer Mutter einsam, und es ist für mich klar, dass sie hofft, eine Bindung zu ihrer neu gefundenen Familie aufbauen zu können. Ich denke nicht, dass sie mich als eine Art Ersatz für ihre Mom sieht, aber ich vermute, dass sie mich als potenziellen Trost ansehen könnte.

Eins glaube ich aus tiefster Seele: Lexi ist nicht auf einen finanziellen Vorteil aus. Im Gegenteil, sie scheint mit ihrem einfachen und bescheidenen Leben zufrieden zu sein.

Als sie mich ins The Grind mitnahm, in das Kaffeehaus, in dem sie arbeitet, konnte ich mich davon überzeugen. Ich bin schon ein paarmal daran vorbeigefahren und hatte schon öfter mit dem Gedanken gespielt, hineinzugehen, doch ich hatte nie die Zeit anzuhalten.

Wir gingen hinein.

Wir tranken Kaffee.

Wir unterhielten uns.

Meine Tochter – zumindest nehme ich an, dass sie meine Tochter ist – ist überhaupt nicht wie ich. Und das meine ich auf eine positive Weise. Sie ist bodenständig, der Typ Mensch, der mit fast jedem ein Gespräch anfangen kann. Ich bin eher zurückhaltend, und das liegt vermutlich daran, dass ich in erster Linie Geschäftsmann und in zweiter Linie ein Mann bin. Ich habe Lexi im Umgang mit ihren Kunden beobachtet – einige kannten sie, andere wiederum nicht. An der geschwungenen Bar, an der alle möglichen Arten von Kaffee und Tee angeboten werden, hat sie sich angeregt mit allen unterhalten. Und was noch viel wichtiger war: Sie hat sich mit ihnen beschäftigt. Sie fühlten sich zu ihr hingezogen.

Lexi ist witzig und geistreich. Sie kann mitten in einer tiefgründigen Unterhaltung einen Scherz reißen oder ein Wortspiel einstreuen. Doch wenn sie einem zuhört, dann hört sie wirklich zu. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals in meinem Leben einen Witz erzählt habe. Doch während sie mich mit einem zum Lachen brachte, dachte ich immer wieder daran, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal so gelacht habe. Da wurde mir bewusst, wie eintönig mein Leben aufgrund der vielen Arbeit und ohne jegliches Vergnügen geworden ist.

Sie ist ein Freigeist. Wo ihre Stimmung sie hinführt, dort geht sie hin. Obwohl sie ihrer Mom sehr nahestand, erfuhr ich, dass sie eine Art Vagabundin war, die an verschiedensten Orten im ganzen Land lebte. Außer in ihrer Geburtsstadt Hartford, Connecticut, wo ich ihre Mutter kennengelernt habe, hat sie in Portland, Tucson, Little Rock, Nashville und Pittsburgh gewohnt. Sie war immer im Dienstleistungssektor zu Hause, in Cafés oder als Barkeeperin. Einmal arbeitete sie als Köchin in einem Diner in Nashville, aber sie meinte, sie sei eine miserable Köchin. Sie lachte über die Tatsache, dass sie vielleicht versehentlich einigen Kunden eine Lebensmittelvergiftung zugefügt hatte.

Unter dem Strich: Ich bin begeistert von meiner Tochter.

Bevor ich sie zu ihrem Auto zurückbrachte, das bei der Arena geparkt war, griff sie in ihre Handtasche und holte eine kleine Verpackung heraus, die den Vaterschaftstest beinhaltete. Darin befanden sich zwei Plastikröhrchen mit Klappverschlüssen, die wiederum mit Wattestäbchen ausgestattet waren. Ein Röhrchen enthielt bereits ihre DNA. Ich muss also nur noch das andere Stäbchen an der Innenseite meiner Wange reiben, es abschicken und auf das Ergebnis warten. Ich habe vor es morgen zu tun und das Expressverfahren auszuwählen, obwohl es wohl trotzdem ein paar Wochen andauern wird, bis ich es schwarz auf weiß habe.

Ich rechne damit, dass die Papiere belegen, was ich aufgrund der zeitlichen Abfolge der Ereignisse mit ihrer Mom und wegen des klassischen Brannon-Kinns und der Nase bereits weiß.

Lexi ist meine Tochter.

Jetzt muss ich diese Nachricht nur noch meiner anderen Tochter überbringen, und ich kann mich nicht mehr daran erinnern, jemals zuvor so nervös gewesen zu sein. Gray und ich stehen uns sehr nah. So nah, wie Vater und Tochter sich nur sein können. Die meiste Zeit ihres Lebens gab es nur sie und mich.

Sie. Ist. Wie. Ich.

Irgendwie befürchte ich, dass sie sich über diese schockierende Nachricht nicht so sehr freuen wird wie ich, denn wenn es etwas gibt, wovon Gray mehr hat als ich, dann ist es eine gesunde Portion Skepsis bei der Bewertung von Dingen. Sie sucht immer das Haar in der Suppe. Sie sucht nach Schwachstellen. Sie versucht, die Hintergedanken zu analysieren. Das alles ist Teil ihres Geschäftssinns, aber manchmal ist das nicht auf das echte Leben anwendbar.

Ich weiß, wie sehr sie unter ihrer Skepsis gelitten hat, als Ryker und sie sich zum ersten Mal begegneten. Das war der Grund, weshalb sie sich zu Beginn ein wenig von ihm distanzierte.

Ich hoffe nur, dass sie diesmal all dem aufgeschlossen gegenüber sein kann.

Ich tippe ein letztes Mal mit den Fingern aufs Lenkrad, dann straffe ich die Schultern und steige aus dem Wagen. Gray erwartet mich nicht, denn ich habe mir gedacht, dass der Überraschungseffekt mich heute Abend zu sehen, von der eigentlichen Überraschung überschattet werden wird.

Nachdem ich geklingelt habe, höre ich, wie das Trippeln kleiner Füße auf dem Hartholzboden immer lauter wird. Dann schwingt die Tür auf und Ruby grinst zu mir herauf.

„Pop-Pop!“, ruft sie und wirft sich in meine Arme. „Was machst du denn hier?“

Dass Ryker Evans mein Schwiegersohn wurde, war zwar eine Bereicherung meines ohnehin schon fantastischen Lebens, aber die eigentliche Freude, die die Hochzeit von Ryker und Gray mir verschafft hat, war die Tatsache, dass ich zwei kleine Enkeltöchter bekommen habe. Als Ryker Gray kennenlernte, war er ein geschiedener, alleinerziehender Vater. Schon kurz nach der Heirat wurde ich von Ruby, die sechs Jahre alt ist, als „Pop-Pop“ bezeichnet. Violet folgte ihrem Beispiel schnell. Sie ist acht und vielleicht wesentlich weiser als ich.

„Dad … Gray … Pop-Pop ist da“, höre ich Violet rufen, als sie vor der Tür zum Stehen kommt. Sie lächelt zu mir auf und zeigt mir die Zahnlücke, wo sie letzte Woche einen ihrer Milchzähne verloren hat. Ich fand, die Zahnfee sollte ihr dafür einhundert Dollar bringen, aber Gray und Ryker haben das abgelehnt. Stattdessen hat sie fünf Dollar bekommen.

Ich betrete das Haus, setze Ruby ab und nehme Violet in den Arm. Sie gibt mir ein Küsschen, ohne dass ich sie darum bitten muss. Ich drücke sie an mich und hebe sie dabei leicht hoch, ehe ich sie wieder auf dem Boden abstelle.

„Dad?“, vernehme ich Grays Frage, als sie ins Wohnzimmer kommt und sich die Hände an einem Geschirrtuch abputzt. „Das ist ja mal eine Überraschung.“

„Ich störe doch nicht, oder?“

„Ganz und gar nicht.“ Sie lächelt mir zu und dreht sich anschließend um, um Richtung Küche zu gehen. „Ich räume gerade das Essen ab. Hast du schon gegessen? Ich kann dir schnell noch einen Teller machen.“

„Danke, alles bestens“, sage ich und folge ihr in die Küche, woraufhin Ruby und Violet mir hinterhereilen.

Die Wahrheit ist, dass ich noch nichts gegessen habe, aber ich bin so aufgeregt wegen der Nachricht, die ich ihr überbringen muss, dass an essen nicht zu denken ist.

Als ich die Küche betrete, sehe ich, wie Ryker den Geschirrspüler einräumt. Er dreht sich lächelnd zu mir um und streckt mir eine Hand entgegen. „Was gibt es Neues, Pop-Pop?“

„Blödmann“, entgegne ich liebevoll und schüttle seine Hand.

„Pop-Pop“, sagt Ruby und zuppelt am unteren Rand meines Jacketts herum. „Willst du mit nach oben kommen und dir meine Spinnensammlung ansehen? Ich habe eine neue Piratenspinne. Die frisst alle anderen Spinnen auf. Das ist echt cool.“

Mir entgeht nicht das sichtbare Schaudern, das Rykers Körper durchzuckt. Er hat eine Spinnenphobie, was ich schon früh während seiner Beziehung zu Gray erfahren habe. Er hat meine Tochter zwar vor einem psychopathischen Ex-Cold-Fury-Spieler gerettet und sich damit meine lebenslange Zuneigung verdient, aber er hat mir gegenüber mal zugegeben, dass er sich nicht sicher sei, ob er das Gleiche geschafft hätte, wenn sie von einer Spinne angegriffen worden wäre.

„Ich komme gleich hoch“, verspreche ich ihr, während ich ihr lockiges Haar zerzause. „Aber vorher muss ich über etwas Wichtiges mit Gray und deinem Vater sprechen.“

Ich schaue zu Gray und sehe, dass ihr die Besorgnis ins Gesicht geschrieben steht, da ich nie unangekündigt bei ihr aufkreuze, um „etwas Wichtiges“ zu besprechen.

„Warum geht ihr zwei nicht schon mal nach oben und spielt eine Runde? Pop-Pop kommt gleich nach“, sagt Ryker, geht auf die beiden Mädchen zu und schiebt sie mit den Händen auf ihren Rücken in Richtung Treppe, die von der Küche ins Obergeschoss führt.

Violet und Ruby beschweren sich nicht, weil sie gute Mädchen sind. Sie schenken mir ein Abschiedsgrinsen und rennen anschließend die Stufen hinauf.

„Willst du einen Kaffee?“, erkundigt sich Gray, woraufhin ich mit dem Kopf schüttle. Ich habe bereits mit Lexi im TheGrind zu viel verdammten Kaffee getrunken und werde heute Nacht sicherlich kein Auge zu machen können.

„Was dagegen, wenn wir uns an den Tisch setzen?“, frage ich, warte ihre Antwort jedoch nicht ab und nehme direkt Platz.

Gray und Ryker gesellen sich umgehend zu mir und schauen mich neugierig an.

Zeit, das zu ändern.

Ich setze mich ihnen gegenüber auf einen Stuhl und ziehe ihn so weit an den Tisch heran, dass ich meine Unterarme auf der Tischplatte ablegen kann. Dann schaue ich erst Ryker und schließlich Gray an. „Ich muss dir etwas sagen und ich sehe keine Möglichkeit, dich auf den Schock vorzubereiten, den du durch meine Neuigkeiten definitiv erleiden wirst.“

„Bist du krank?“, will Gray wissen, deren Blick nun ängstlich ist.

„Gott, nein“, sage ich rasch und schenke ihr ein beruhigendes, jedoch zurückhaltendes Lächeln. „Es tut mir leid … es sind keine schlechten Nachrichten.“

Schnell atmet meine Tochter aus, ihre gesamte Körperhaltung entspannt sich merklich. „Du hast mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt mit deiner Ich-muss-dir-etwas-sagen-Ankündigung.“

Ich muss feststellen, dass ich das Ganze zu unvorsichtig angegangen bin. Weil ich einfach so mit der Tür ins Haus falle und das Pflaster abreißen werde, fühle ich mich schrecklich. Meine Aufgabe als Vater ist es, meine Tochter zu beschützen, und nicht, ihr Kummer zu bereiten.

Aber das lässt sich nun mal leider nicht mehr ändern.

Ich räuspere mich. „Eine Frau hat mich heute im Büro aufgesucht. Ihr Name ist Lexi Robertson. Ich habe sie noch nie zuvor getroffen, ich wusste nichts von ihrer Existenz. Sie behauptet, meine Tochter zu sein und ich glaube ihr.“

Gray stößt einen scharfen, ungläubigen Atemzug aus, ihre Augen sind vor Überraschung geweitet. Ryker setzt sich aufrecht hin und legt seine Hand sofort mittig auf den Rücken seiner Frau, um sie zu streicheln und zu stützen.

„Was?“, krächzt Gray. „Wie ist das möglich?“

„Etwa ein Jahr nach dem Tod deiner Mutter habe ich eine Frau namens Sybil Robertson gedatet“, erkläre ich ihr. „Es war ein Blind Date, das von gemeinsamen Freunden arrangiert wurde. Wir haben uns nur ein paar Monate lang getroffen, waren aber miteinander intim. Irgendwann habe ich die Beziehung zu ihr beendet. Anscheinend hat sie erst danach erfahren, dass sie schwanger ist. Gesagt hat sie es mir jedoch nie.“