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Ein spannendes Abenteuer aus dem römischen Reich für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren Das neue Abenteuer der britischen Bestseller-Autorin Caroline Lawrence ist der zweite Band der packenden „Roman Quest“-Reihe, die junge Leser in die aufregende Zeit des römischen Kaisers Domitian entführt.
Zum Buch: Um sich vor dem mächtigen Kaiser Domitian zu verstecken, der ihn und seine Geschwister verfolgt, tritt der 14-jährige Fronto unter falschem Namen in die römische Armee ein. Doch als ihn die Nachricht erreicht, dass seine kleine Schwester Ursula von Druiden entführt wurde, muss Fronto eine folgenschwere Entscheidung treffen: Soll er die Armee verlassen, um Ursula zu retten? Fronto kennt die strengen römischen Gesetze: Deserteuren droht die Todesstrafe … Spannend, geheimnisvoll und lehrreich: „Roman Quest – Im Bann der Druiden“ ist das perfekte Geschenk für abenteuerlustige Jungen und Mädchen.
Alle Bände der Reihe:
Band 1: Roman Quest – Flucht aus Rom
Band 2: Roman Quest – Im Bann der Druiden
Band 3: Roman Quest – Gefahr in der Arena
Band 4: Roman Quest - Entscheidung in Rom
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe
Text-Copyright © 2016 Roman Mysteries Ltd
Originaltitel: The Roman Quest – The Archers of Isca
Die Originalausgabe ist 2016 im Verlag Hodder and Stoughton, Großbritannien, erschienen.
© 2019 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, 80801 München
Alle Rechte vorbehalten
Text: Caroline Lawrence
Cover: Maximilian Meinzold
Landkarte: Richard Russell Lawrence
Übersetzung: A. M. Grünewald
ISBN Printausgabe 978-3-8458-2781-0
ISBN eBook 978-3-8458-3525-9
www.arsedition.de
Für die Leiter, die Angestellten und ehrenamtlichen Helfer der
Butser Ancient Farm in Hampshire als Dank dafür, dass sie mir dabei geholfen haben, mir das Britannien der Eisenzeit vorzustellen
Salve! (Hallo!)
Willkommen zum zweiten Römischen Abenteuer. Diese Geschichte spielt in der römischen Provinz Britannien im Jahr 96 nach Christus, während der Herrschaft von Kaiser Domitian.
Einige der Orte, die in dieser Geschichte vorkommen, könnt ihr auch heute noch besuchen.
Die Hauptschauplätze des Buches sind ein Eisenzeitdorf (wie die Butser Ancient Farm in Hampshire), Aquae Sulis (das heutige Bath) und die Isca Augusta (die Festung von Caerleon).
Die Kapitelüberschriften sind lateinisch und beziehen sich immer auf etwas, das im Kapitel vorkommt. Versucht doch mal herauszufinden, was die Wörter bedeuten, und schlagt dann am Ende des Buches nach, um zu sehen, ob ihr richtiggelegen habt.
Vale! (Leb wohl!)
Caroline
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Vorwort
I
Kapitel eins
DRUIDES
Kapitel zwei
LARVA
Kapitel drei
VICUS
Kapitel vier
FOCUS
Kapitel fünf
GEMMAE
Kapitel sechs
AQUAE SULIS
Kapitel sieben
LORICA SQUAMATA
Kapitel acht
APODYTERIUM
Kapitel neun
FONS SACER
Kapitel zehn
FRICATIO
Kapitel elf
AUXILIA
Kapitel zwölf
INCENDIUM
Kapitel dreizehn
SAMHAIN
II
Kapitel vierzehn
FLUMEN SABRINA
Kapitel fünfzehn
ISCA AUGUSTA
Kapitel sechszehn
OPTIO
Kapitel siebzehn
CENTURIO
Kapitel achtzehn
SIGNACULUM
Kapitel neunzehn
NOMINA
Kapitel zwanzig
SAGITTARII
Kapitel einundzwanzig
BARDUS
Kapitel zweiundzwanzig
NARCISSI
Kapitel dreiundzwanzig
PAX ROMANA
Kapitel vierundzwanzig
VIOLARIA
Kapitel fünfundzwanzig
CORNICEN
Kapitel sechsundzwanzig
VITIS
Kapitel siebenundzwanzig
TESSERA
III
Kapitel achtundzwanzig
DEFECTIO
Kapitel neunundzwanzig
SOCII
Kapitel dreißig
TINTINNABULA
Kapitel einunddreißig
VISCUM ALBUM
Kapitel zweiunddreißig
QUERCUS
Kapitel dreiunddreißig
PO TIO
Kapitel vierunddreißig
TRIBUS
Kapitel fünfunddreißig
FASCINATIO
Kapitel sechsunddreißig
BELLATORES
Kapitel siebenunddreißig
APOLOGIA
Kapitel achtunddreißig
GEMINI
Kapitel neunddreißig
CONSILIUM
Kapitel vierzig
LUNA
Kapitel einundvierzig
BOUDICCA
Kapitel zweiundvierzig
GENII CUCULLATI
Kapitel dreiundvierzig
ESSEDUM
Kapitel vierundvierzig
BELTANE
Kapitel fünfundvierzig
SIMULACRUM
Kapitel sechsundvierzig
MALEDICTA
Kapitel siebenundvierzig
PHALERAE
WAS DIE LATEINISCHEN KAPITELÜBERSCHRIFTEN BEDEUTEN
Die Autorin
Leseprobe zu "Roman Quest - Flucht aus Rom"
Weitere Titel
Kapitel eins
Fronto aß Fladenbrot mit Honig und starrte in die Flammen des Herdfeuers, als ihn ein lautes Rufen plötzlich aus seinen Gedanken riss.
»Kätzchen im Totenwald!«
Auch die vier drahtigen Jagdhunde, die leise ums Feuer schlichen und hofften, einen Bissen abzubekommen, hoben die Köpfe.
Drei Jungen drängten sich durch die enge Tür ins Rundhaus und rannten auf Fronto zu.
»Das Kätzchen ist im Totenwald!«, keuchte ein Junge, der Vindex hieß. Genau wie Fronto war er vierzehn Jahre alt. Im Gegensatz zu Fronto war er jedoch ein Britanne, hatte blasse Haut, blondes Haar und freundliche blaue Augen.
Fronto schaute die Jungen blinzelnd an. Machten sie Witze? Manchmal war es schwer, in der schummrigen Beleuchtung des Rundhauses zu erkennen, was sich auf den Gesichtern der anderen abspielte.
Vindex’ älterer Bruder Bruvix trat einen der Hunde beiseite und redete betont langsam und laut auf Fronto ein, als wäre er schwer von Begriff: »Das Kätzchen deiner Schwester ist in den Totenwald gelaufen!«
Fronto war verwirrt. Seit der Nacht ihrer Flucht aus Rom waren seine Schwester und ihr Kätzchen unzertrennlich gewesen. Wohin Ursula auch ging, meistens hockte das Kätzchen auf ihrer Schulter.
»Ist es nicht bei Ursula?«, fragte er.
»Nein«, erklärte Vindex. »Deine Schwester ist auf dem Feld und hilft bei der Gerstenernte. Zusammen mit deinem Bruder Juba und deiner Freundin Bouda und allen anderen aus dem Dorf.«
»Wir waren gerade auf dem Weg zurück, weil wir noch mehr Getreidesäcke holen wollten«, sagte Bruvix, »und da hat Bellator gesehen, wie das Kätzchen deiner Schwester in den Totenwald gelaufen ist. Du kannst es noch retten, wenn du dich beeilst.«
Aber Fronto beeilte sich nie. Er nahm noch einen weiteren Bissen von dem Brot mit Honig und kaute gedankenverloren darauf herum. »Warum nennt ihr ihn eigentlich den Totenwald?«, fragte er.
»Weil die Geister unserer Vorfahren in ihm umgehen«, erklärte Bellator, der schmächtigste der drei Jungen.
»Mein Großvater hat dort mal einen Wolf gesehen«, fügte Vindex aufgekratzt hinzu.
»Außerdem«, sagte Bruvix, »behaupten manche, dass sich Druiden in dem Wald verstecken, um ahnungslose Reisende für ihre Menschenopfer zu fangen.«
»Ich dachte, Paulinus hätte schon vor vielen Jahren alle Druiden in dieser Provinz getötet«, sagte Fronto.
Bruvix zuckte mit den Schultern. »Es heißt, einige wenige wären entkommen. Und alle wissen, dass sich die Druiden ihre schrecklichsten Foltermethoden für euch Römer aufsparen.«
Fronto warf einem der wartenden Hunde sein letztes Stück Brot mit Honig zu. Plötzlich hatte er keinen Hunger mehr.
»Warum sucht ihr denn nicht nach dem Kätzchen?«, fragte er.
»Der Wald ist ein Heiligtum unserer Vorfahren«, erwiderte Bruvix. »Wir dürfen ihn nur an ganz besonderen Tagen betreten. Aber dich werden die Dorfältesten nicht bestrafen, wenn du in den Wald gehst. Deine Geschwister und Bouda und du seid schließlich unsere Ehrengäste.«
»Weil ihr uns unsere verschleppten Brüder und Schwestern zurückgebracht habt«, fügte Vindex hinzu.
»Na los doch, Fronto!«, drängte Bellator. »Du bist einer der drei Kapuzenhelden, über die unser Barde jetzt seit zwei Wochen seine Lieder singt. Also, stell dich dem Abenteuer und rette das Kätzchen!«
»Unsere Aufgabe ist es, nach verschwundenen Kindern zu suchen«, wandte Fronto ein, »und nicht nach entlaufenen Haustieren.«
»Was ist los mit dir?«, fragte Bruvix und zog die Augenbrauen hoch. »Hast du Angst?«
Fronto schaute zu den Jungen auf. Er würde noch einige weitere Wochen in diesem Dorf bleiben, vielleicht sogar den gesamten Winter über, und er wollte nicht, dass sie den Respekt vor ihm verloren.
Sorgfältig schüttelte er die Brotkrumen von seinem dunkelbraunen Umhang und erhob sich. »Na schön«, sagte er. »Ich gehe in den Totenwald und suche nach dem Kätzchen. Habt ihr irgendwelche Waffen für mich?«
»Die Römer erlauben uns keine Waffen«, sagte Bruvix. »Wir dürfen nur Jagdwerkzeuge besitzen. Kannst du mit Pfeil und Bogen umgehen?«
Fronto nickte. »Mein Vater ist manchmal mit mir jagen gegangen, wenn wir in unserer Villa in der Nähe von Neapel waren.«
»Dann kannst du dir meine Ausrüstung leihen.« Bruvix eilte zu einer dunklen Stelle des Rundhauses, wo Bögen und Jagdspeere an der gebogenen Wand lehnten. Er kehrte mit einem Bogen zurück, der so groß war wie er selbst, und einem Köcher voller Pfeile.
»Das ist mein bester Bogen«, sagte er. »Und das sind all meine Pfeile. Gib gut darauf acht.«
Fronto schlang sich den Köcher um die Schulter und nahm den Bogen in die linke Hand. Er war lang und unhandlich, nicht wie der kleine Bogen, den er früher in Italien benutzt hatte.
Die Hunde und die Jungen folgten ihm, als er das Rundhaus verließ und dabei kurz innehielt, um auf Schulterhöhe drei Mal gegen den Türrahmen zu tippen: rechts, links, rechts. Dann trat er ins Freie, wobei er sorgsam darauf achtete, den ersten Schritt mit dem rechten Fuß zu machen.
Als Fronto in das helle graue Licht des bewölkten britannischen Morgens trat, erinnerte er sich an das, was Julius Caesar über die Druiden geschrieben hatte: Sie errichten große Statuen aus Korbgeflecht, in die sie Menschen sperren und die sie anschließend in Brand setzen, um ihre Gefangenen so zu lebenden Opfergaben zu machen.
Als Fronto einen schmalen Pfad zwischen den Rundhäusern und den Schafgattern einschlug, fielen ihm außerdem die Worte eines griechischen Historikers ein: Druiden sagen die Zukunft voraus, indem sie ihre Opfer mit dem Messer schneiden und dann sorgsam beobachten, wie das Blut fließt, wie der Körper zuckt und wie die Eingeweide aussehen.
Und als Fronto neben einem grasbewachsenen Hügel am Rand des Dorfes den kleinen Bach erreicht hatte, kam ihm eine weitere Stelle aus den Schriften des Strabon in den Sinn: Druiden töten ihre Opfer oft, indem sie so viele Pfeile auf sie abfeuern, bis sie aussehen wie Igel.
Fronto umklammerte den großen Bogen fest mit der Linken und berührte mit der rechten Hand die kleine Bronze-Figur des Jupiter, die er stets zum Schutz in den Falten seiner Tunika bei sich trug.
Der Totenwald ragte dunkel auf der anderen Seite des Baches vor ihm auf. Uralte Eichen streckten ihm ihre knorrigen Äste entgegen, die wie die verdrehten Arme verkohlter Menschen aussahen. Fronto musste nur noch ein paar Schritte über einen moosbedeckten Baumstamm balancieren und dann in den düsteren Wald treten.
Er schaute die Jungen an.
»Hier?«, fragte er und deutete auf den moosigen Stamm, der quer über dem Bach lag. »Ihr habt das Kätzchen hier hinüberlaufen sehen?«
»Ja«, sagte der dünne Bellator. »Ich habe gesehen, dass es genau hier in den Totenwald gelaufen ist. Weit kann es noch nicht gekommen sein.« Er sah aus, als versuche er, ein Grinsen zu unterdrücken.
Fronto zögerte. Irgendetwas fühlte sich hier nicht richtig an.
»Du hast doch keine Angst, oder?«, fragte Bruvix.
Fronto trat auf den Baumstamm und hielt den Bogen waagerecht, um sein Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Ich habe keine Angst«, sagte er. »Ich freue mich!«
Sein Vater hatte ihm beigebracht, genau das zu sagen, wenn ihm der Mut abhandenkam. Er wiederholte den Satz, versuchte sogar, ihn diesmal mit noch mehr Selbstbewusstsein zu sagen. »Ich habe keine Angst, ich freue mich!«
Aber als er seinen ersten schwankenden Schritt auf den Stamm setzte, murmelte er leise: »Ich habe wirklich keine Angst – ich fürchte mich zu Tode!«
Kapitel zwei
Solange er denken konnte, hatte sich Fronto nach Ordnung und Symmetrie gesehnt.
Er war in einem wunderschönen Stadthaus in Rom aufgewachsen, und das Erste, woran er sich erinnern konnte, war, wie er dabei geholfen hatte, die Edelsteine seines Vaters nach Größen und Farben zu sortieren. In seiner zweiten Erinnerung hatte er die Schriftrollen seiner Eltern aufgerollt und studiert. Nicht zu verstehen, was die schwarzen Krakel bedeuteten, war unerträglich für ihn gewesen – und deshalb hatte Fronto lesen gelernt, bevor er laufen konnte.
Mit fünf Jahren kannte er den Wert jeder einzelnen römischen Münze. Ein kurzer Blick auf die Kopfseite genügte, und schon wusste er, welcher Kaiser sie hatte prägen lassen. Und drehte er sie um, konnte er sofort angeben, in welchem Monat und welchem Jahr. Mit sechs las Fronto Griechisch, und mit sieben hatte er die ersten vier Bände von Virgils großem Heldengedicht, der Aeneis, auswendig gelernt. Mit acht konnte er das gesamte Werk aufsagen und mit neun die Hälfte von Homers Ilias, und zwar auf Griechisch.
Es fiel Fronto leicht, gelernte Verse zu rezitieren, neue Ideen dagegen ließen seine Zunge oft erstarren. Im Leben war es genauso. Er hasste alles, was unerwartet kam oder ungewohnt war. Am meisten aber hasste er Dinge, die er nicht kontrollieren konnte.
Als Fronto fünf war, hatte sich sein älterer Bruder Lucius ein schweres Fieber zugezogen. Frontos Eltern hatten Lucius auf einer Liege im Winter-Triclinium untergebracht, ihn in Felle gewickelt und seinen Oberkörper mit Kissen aufgerichtet, sodass er in den Obstgarten in einem der vier Innenhöfe der Villa sehen konnte. Der Arzt, der gekommen war, um Lucius täglich zur Ader zu lassen, erzählte Fronto, dass man die Schwelle eines Raumes immer zuerst mit dem rechten Fuß betreten müsse. Und wenn er noch mehr Glück beschwören wolle, müsse er zudem noch den Türrahmen drei Mal mit den Fingern berühren: rechts, links, rechts.
Fronto befolgte diese Regeln gewissenhaft. Doch einmal hatte er vergessen, sich daran zu halten.
Er war ins Krankenzimmer seines Bruders gelaufen, um ihm etwas zu erzählen. Vor lauter Eile hatte er nicht daran gedacht, den Rahmen der Tür drei Mal zu berühren. Nicht einmal mit dem rechten Fuß zuerst war er über die Schwelle getreten.
An diesem Nachmittag starb Lucius, zwei Tage vor seinem siebten Geburtstag.
Damals hatte Frontos Besessenheit begonnen. Einen Raum oder einen Ort zu betreten oder zu verlassen, bedeutete für ihn, dass er sich streng an diese Regeln halten musste.
Er sprang am anderen Ufer des Kaltbaches von dem Baumstamm und schaute sich nach einer guten Stelle um, an der er den Totenwald auf die richtige Weise betreten konnte.
Fronto entdeckte zwei gekrümmte Bäume, deren schwarze Stämme eine Art Eingangstor bildeten, also ging er dorthin. Er streckte seine Hand aus, berührte einen der Stämme – rechts, links, rechts – und erschauderte. Die Rinde fühlte sich nass an, beinahe schleimig. Er trat zwischen die Bäume, wobei er genau darauf achtete, mit dem rechten Fuß voranzugehen. Es war kalt hier und ziemlich feucht, also setzte er sich die Kapuze seines dunkelbraunen Umhangs auf.
»Mia?«, rief er. »Wo bist du, Mia?«
Fronto kam sich albern vor, den Namen Mia in den Wald zu rufen. Es war nicht einmal ein lateinischer Name. Auf diesen Einwand hin hatte Ursula jedoch bloß gelacht. »Mia spricht kein Latein. Sie spricht die Katzensprache und sie hat mir ihren Namen selbst gesagt: Miaaa!«
»Mia?«, wiederholte er. »Hic, hic, hic!«
Fronto hielt inne und ging in die Hocke. Er stützte sich mit dem Bogen auf dem sumpfigen Boden ab, während er nach Pfotenabdrücken Ausschau hielt. Doch das Einzige, was er fand, waren schleimige Blätter. Immerhin war auf der Erde eine Art Pfad zu erkennen. Seine Knie knackten, als er sich wieder erhob und widerstrebend weiterging.
Fronto nahm seinen ganzen Mut zusammen, während er dem verschlungenen Pfad tiefer in den Wald hinein folgte. Er dachte an all die furchteinflößenden Erfahrungen, die er in den vergangenen zwei Monaten bereits überstanden hatte.
Auf den Friedhöfen Roms war er zusammen mit seinen Geschwistern während ihrer mitternächtlichen Flucht von Banditen ausgeraubt worden. Noch immer trug er eine Narbe an seinem Hals, wo ihn die Spitze des Messers angeritzt hatte – aber er hatte es überstanden.
Genau wie die sechswöchige Seereise von Ostia nach Britannien – trotz des wilden Sturms, der sogar die Schiffsziege über Bord gespült hatte. Einmal war Fronto selbst durch die Luft geflogen – nur noch mit einer Hand hatte er sich am Mast festhalten können, wie eine Flagge –, aber dann hatte er die Stimme eines Gottes in seinem Kopf vernommen, die zu ihm gesagt hatte: Deine Zeit ist noch nicht gekommen.
Hier in Britannien hatte Fronto eine nächtliche Flucht durch die Marschen an der Südküste überlebt, bei der sie von der hereinbrechenden Flut überrascht worden waren. Dabei hatten er und seine Geschwister ein Dutzend blauäugiger, blonder Kinder davor gerettet, als Sklaven nach Rom verschifft zu werden.
Deswegen waren sie jetzt auch Ehrengäste in dem Belger-Dorf, aus dem die Kinder stammten, und sie waren eingeladen, so lange zu bleiben, wie sie wollten.
Deswegen brachten ihm die Dorfbewohner jeden Tag Speisen und Geschenke. Deswegen musste er nicht auf den Feldern arbeiten, wenn er lieber am Feuer sitzen und Brot mit Honig essen wollte. Und deshalb konnte er sich nun auch in diesen furchterregenden Wald hineinwagen, ohne mit einer Rüge rechnen zu müssen: Schließlich hatten er und seine Geschwister die Kinder gerettet.
Er und seine Geschwister und das Mädchen namens Bouda.
Kaum dachte er an ihr kupferfarbenes Haar und ihre grasgrünen Augen, fühlte sich Fronto etwas tapferer.
Er blieb stehen. Während er an Bouda gedacht hatte, war der Pfad verschwunden und nun stand er knietief im Farnkraut. Nicht die zarten grünen Farne des Frühlings, sondern die sterbenden Pflanzen des Herbstes: Gelb und braun waren die Wedel, manche sogar schon schwarz. Sie stanken verrottet und nach Verwesung.
Fronto hatte seine Mission vergessen: nach dem Kätzchen zu suchen. Mia war winzig und hätte es niemals so weit geschafft. Es wunderte ihn sowieso, dass sie über den moosbewachsenen Baumstamm gelaufen war. Bellator musste sich getäuscht haben.
Er drehte den Kopf und wollte gerade den Rückweg einschlagen, als sich ihm der Magen umdrehte. Der Wald sah plötzlich anders aus. Dunkler. Dichter. Näher. Als wären alle Bäume einen Schritt weiter an ihn herangetreten, während er ihnen den Rücken zugekehrt hatte.
»Mia?« Die Stimme blieb ihm in der Kehle stecken und hörte sich fremd an. »Mia? Wo bist du?«
Keine Reaktion. Nur der Wind heulte in den Zweigen.
»Ich habe keine Angst«, schärfte Fronto sich selbst ein. »Ich freue mich. Jupiter Ammon«, flüsterte er, »schenk mir Mut.«
Als er sich an den Rückweg machte, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Er spürte, dass ihn irgendjemand beobachtete.
Irgendjemand oder irgendetwas!
Fronto blieb stehen und schob die Kapuze seines Umhangs zurück. Langsam griff er über seine Schulter und zog einen der Pfeile aus dem Köcher. Die Spitze des Pfeils bestand aus Feuerstein, war aber so scharf wie Eisen, also legte er sie an der Hirschsehne des Bogens an.
Damit fühlte er sich ein wenig sicherer.
Bis er wieder das Prickeln im Nacken spürte.
»Da ist nichts«, sagte er zu sich selbst, während er langsam den Blick über den Wald um sich herum schweifen ließ. »Keine Vögel, keine Eichhörnchen, keine Insekten. Und nichts, was mir etwas zuleide tun könnte. Ich habe keine Angst, ich freue mich.«
Dann sah er es.
Hinter dichten Brombeerbüschen, vielleicht zwanzig Schritte entfernt, starrte ihn ein schreckenerregendes Gesicht an. Die Haare des Mannes waren zu steifen weißen Spitzen aufgetürmt und sein Bart hatte die Form von drei blauen Schlangen. Noch beängstigender aber als das abstehende Haar und der Schlangenbart waren seine stechenden schwarzen Augen.
Mit einem Aufschrei ließ Fronto Pfeil und Bogen fallen.
Und dann rannte er davon.
Kapitel drei
Ursula liebte das Dorf am Fuße des Hügels.
Aus der Entfernung erinnerten sie die sieben Rundhäuser an aus dem Boden geschossene Pilze. Der Rauch der Feuerstellen schlängelte sich aus den spitz zulaufenden strohgedeckten Dächern. In fünf der Rundhäuser wohnte jeweils eine Großfamilie, die zwei anderen waren einmal den Frauen und einmal den Männern vorbehalten. Es gab außerdem noch einige Getreidespeicher, Hühner- und Viehställe und am Dorfrand sogar Bienenstöcke mit kleinen Spitzdächern.
Das Dorf schmiegte sich zwischen zwei Wälder, hatte einen Hügel im Rücken und einen Bach zu seinen Füßen. Vor ihm erstreckte sich ein Flickenteppich aus Gerstenfeldern und Weideland. Die Belger nannten ihr Zuhause Grünberg, nach dem grünen Hügel, auf dem verstreut die Schafe weideten und der als Windbrecher über der Siedlung aufragte und sie zu bewachen schien.
Ursula erinnerte sich genau an den Moment, als sie in der Morgendämmerung mit ihren Brüdern und dem britannischen Mädchen namens Bouda in ihrer von Ochsen gezogenen Carruca ins Dorf gekommen war. Die Eltern der verschleppten Kinder waren aus den Häusern gerannt und ihnen entgegengelaufen. Sie hatten geweint und gelacht und ihre Kinder umarmt, genau wie es römische Eltern getan hätten.
Als Retter der Kinder hatte man sie gemeinsam mit ihren Brüdern und Bouda in das größte Rundhaus geführt. Es gehörte Velvinnus, dem Dorfältesten.
In ihrer Villa, damals in Rom, hatte Ursula allein in einem kleinen rechteckigen Raum geschlafen.
Hier schliefen alle gemeinsam in einem einzigen großen Raum. Wenn in der Nacht ein Baby aufwachte und weinte und die Mutter zu müde war, um es in den Schlaf zu singen, kümmerte sich eine der Tanten oder der älteren Schwestern darum.
Zu Hause in Rom hatte ihre Mutter Ursula keine Haustiere erlaubt, abgesehen von ihrem sprechenden Vogel.
Hier gingen die großen Jagdhunde ein und aus, wie es ihnen gefiel. Manche der Leute benutzten sie sogar als Kissen.
In Rom sang ihre Mutter Lieder am Webstuhl.
Hier sang ein Mann, den sie Bardus nannten, jeden Abend von ihren Abenteuern. Von den drei Kapuzenhelden sang er, die über den namenlosen Ozean nach Britannien gekommen waren. Und während er seine Harfe anschlug, berichtete der Barde davon, wie sie mit dem Maultierwagen und zu Fuß von Londinium zur Südküste gereist waren, gerade noch rechtzeitig, um die Kinder des Dorfes davor zu bewahren, auf ein Schiff nach Rom gebracht zu werden.
Sogar von ihr sang er und erzählte, wie die jüngste Abenteurerin ein Kätzchen auf der einen Schulter trug und einen sprechenden Vogel auf der anderen.
Nun, da sie schon die dritte Woche hier im Dorf verbrachten, war Ursula zusammen mit den anderen Dorfbewohnern, Bouda und ihrem Bruder auf die Felder gegangen, um die letzte Gerste zu ernten, bevor der Winterfrost einsetzen würde. Begleitet von einigen der kleineren Kinder, kehrten sie und Bouda gerade mit Säcken voller Gerste zum Dorf zurück, als sie lautes Gelächter hörten, das vom Kaltbach herüberschallte.
Die anderen Kinder stellten ihre Säcke ab und rannten los, also schloss Ursula sich ihnen an.
»Miaaa!«, protestierte ihr Kätzchen und krallte sich an ihrer Schulter fest.
»Oh, Pollux!«, krächzte Loquax, ihr sprechender Vogel, und flatterte von ihrer anderen Schulter hinunter. Auch er hatte sich an der Ernte beteiligt – allerdings war keines der Körner, die er aufgepickt hatte, in einem Sack gelandet.
Als sie den Bach erreichten, sah Ursula einige Jungen, die mit dem Rücken zu ihr standen.
»Was ist los?«, fragte sie auf Britannisch. »Was ist denn passiert?«
»Der älteste Römerjunge«, antwortete Bellator lachend, ohne sich umzudrehen. »Er ist in den Bach gefallen!«
»Wir haben ihm einen Streich gespielt und ihn dazu gebracht, in den Totenwald zu gehen!«, kicherte Bruvix. »Wir haben ihm gesagt, das Kätzchen seiner Schwester wäre …« Er drehte sich um und erstarrte, als er Ursula erblickte. Sie sah, wie sein Blick zu Mia auf ihrer Schulter wanderte.
»Oh, da ist es ja!«, rief er mit unnatürlich lauter Stimme. »Schau, Fronto! Das Kätzchen war doch die ganze Zeit bei deiner Schwester. Bellator muss sich getäuscht haben.«
Die Jungen fingen erneut an zu lachen.
Wütend schob sich Ursula zwischen ihnen hindurch und sah, dass ihr ältester Bruder knietief im Bach stand. Sein lockiges Haar war triefend nass und auch sein langer brauner Umhang hatte sich voll Wasser gesogen. Neben ihm lag der moosige Baumstamm schief im Wasser. Fronto musste abgerutscht sein.
Die Augen ihres Bruders waren weit aufgerissen, und Ursula sah, wie sich seine Brust hob und senkte, während er nach Luft schnappte. Er sah nicht wütend, sondern ängstlich aus.
»Druide!«, rief er aus. »Ich habe im Totenwald einen Druiden gesehen!«
»Was hast du gesehen?« Bruvix klang eher spöttisch als beunruhigt.
»Einen Druiden!«, keuchte Fronto erneut. »Ich habe einen Druiden im Totenwald gesehen!«
»Druide im Totenwald!«, wiederholte Loquax und ließ sich flatternd auf Ursulas freier Schulter nieder. »Druide im Totenwald!«
Auch darüber mussten die britannischen Jungen lachen. Einige begannen, im Chor zu singen: »Druide im Totenwald!«
»Es gibt keine Druiden mehr!«, rief Bruvix. »Das haben wir uns bloß ausgedacht!« Er lachte noch lauter und schlug sich auf die Oberschenkel.
»Dann muss es ein Geist gewesen sein!«, entgegnete Fronto. »Ich habe einen Mann mit spitz abstehenden Haaren und einem Bart aus Schlangen gesehen …« Seine Stimme verlor sich, und Ursula sah, wie seine dunkle Haut noch dunkler wurde. Er ließ die Schultern hängen, als er bemerkte, dass die anderen sich über ihn lustig machten. Obwohl sie fünf Jahre jünger war als Fronto, hatte Ursula das Gefühl, ihn beschützen zu müssen.
»Fronto«, sagte sie und trat einen Schritt vor. »Jetzt komm erst mal aus dem kalten Wasser raus, sonst bekommst du noch Fieber.«
Sie ging ans Ufer des Baches und streckte ihre Hand aus. Einer der britannischen Jungen schloss sich ihr an und hielt Fronto ebenfalls eine Hand entgegen. »Bruvix macht immer solche Sachen«, murmelte Vindex leise. »Mich hat er auch schon mal so reingelegt.«
Fronto watete auf sie zu und reichte ihnen seine triefend nassen Hände. Zusammen halfen Ursula und Vindex ihm, ans Ufer zu treten.
»Komm mit zurück zum Rundhaus, Fronto.« Ursula drückte die zitternde Hand ihres Bruders. »Wir setzen dich ans Feuer und trocknen deine Sachen.«
»Nicht so schnell.« Bruvix versperrte ihnen den Weg. »Wo ist mein Bogen? Und wo sind meine Pfeile?«
Fronto ließ den Kopf hängen. »Ich habe den Bogen im Totenwald fallen lassen. Und die meisten Pfeile liegen im Wasser.«
Bruvix trat vor. »Dann angelst du sie mal besser wieder raus!«, rief er und stieß Fronto zurück in den Bach.
Alle brachen in erneutes Gelächter aus, nur Bouda, Ursula und Vindex nicht. Bruvix lachte von allen am lautesten.
Heiße Wut stieg in Ursula hoch. »Du gemeines Scheusal!«, rief sie und versetzte Bruvix mit voller Wucht einen Schlag vor die Brust. Er taumelte rückwärts und stürzte mit einem lauten Platsch neben Fronto ins kalte Wasser des Flusses.