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ROMANZE IM SPANISCHEN SCHLOSS von WINTERS, REBECCA "Lass dich von mir auf meinem Schloss pflegen, lass mich dir Liebe schenken!" Der reiche Remi de Vargas ist wie verzaubert von der süßen Jillian, die er nach einem Autounfall rettet. Im Rauschen der Olivenhaine möchte er sie nur zu gerne verführen. Doch Jillian zögert… KOMM MIT MIR NACH KRETA von WEST, ANNIE Warum nur fasziniert ihn diese Frau? Schon lange hat Costas Palamidis alle Romantik aus seinem Leben verbannt. Selbst als ihn die hinreißende Sophie nach Kreta begleitet, um seiner kleinen Tochter zu helfen, stellt er sich diese Frage: Kann sie jemals mehr für ihn sein? DIE NACHT AUF DER JACHT von HOLLIS, CHRISTINA Was für ein Abend! In einem atemberaubenden Abendkleid an Deck seiner Luxusjacht vergisst Katie fast, dass sie nie wieder einen Mann wollte! Aber das Funkeln in Giovanni Amatos dunklen Augen verrät ihr: Sie hat den Jagdinstinkt des adligen Multimillionärs geweckt …
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Seitenzahl: 595
Rebecca Winters, Annie West, Christina Hollis
ROMANA EXKLUSIV BAND 248
IMPRESSUM
ROMANA EXKLUSIV erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
Erste Neuauflage by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg, in der Reihe ROMANA EXKLUSIV, Band 248 - 2014
© 2008 by Rebecca Winters Originaltitel: „Crazy About Her Spanish Boss“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Karin Weiss Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1789
© JAHR by Annie West Originaltitel: „The Greek’s Convenient Mistress“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dr. Susanne Hartmann Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1794
© JAHR by Christina Hollis Originaltitel: „Count Giovanni’s Virgin“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Emma Luxx Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1804
Abbildungen: joe daniel price / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733740108
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY
Ein Glück im Unglück: Bei einem schlimmen Autounfall nahe Toledo wird die schöne Reiseleiterin Jillian von dem attraktiven Schlossbesitzer Remi de Vargas gerettet und bis zu ihrer Genesung auf sein traumhaftes Anwesen eingeladen. Umgeben von malerischen Olivenhainen beweist ihr der adlige Spanier seine Liebe. Doch ist sie für eine neue Romanze bereit?
Als Sophie hört, was den attraktiven Griechen Costas Palamidis zutiefst bedrückt, gibt es für sie keine Frage: Sie fliegt mit ihm nach Kreta! Nur sie kann seine kleine Tochter retten. Und nur sie kann diesen umwerfenden Mann wieder glücklich machen. Schon glaubt Sophie an die Erfüllung all ihrer Wünsche – bis er mit seiner Eifersucht alles gefährdet …
Nie hat der feurige italienische Conte Giovanni Amato seine Traumvilla schöner erlebt als mit ihr! Nicht nur, weil Katie eine hervorragende Innenarchitektin ist. Für Giovanni ist es Katie selbst, die mit ihrer atemberaubenden Schönheit alles überstrahlt. Vielleicht ja sogar die sternenklare Nacht auf seiner Jacht: seine Chance! Doch die verwehrt sie ihm …
„Darf ich Ihnen einen Cognac zur Feier des Tages anbieten, Don Remi?“
Remigio Alfonso de Vargas y Goyo lehnte sich in dem Ledersessel zurück, streckte die langen Beine aus und schlug die Füße übereinander. Obwohl es ihm nicht gefiel, mit seinem Titel angesprochen zu werden, hatte er sich daran gewöhnt. Er war der Meinung, dass es nicht in die heutige Zeit gehörte. Nachdenklich sah er seinen ihm treu ergebenen Steuerberater an. „Was gibt es denn zu feiern?“
Der ältere Mann, der auf die siebzig zuging, schenkte sich einen Drink ein. „Nun, Ihr Betrieb steht jetzt wesentlich besser da, als …“ Er verstummte und trank einen Schluck der bernsteinfarbenen Flüssigkeit, ehe er fortfuhr: „Lassen Sie es mich so ausdrücken: Soleado Goyo steht wieder einmal kurz davor, die gesamte Konkurrenz zu schockieren.“
„Sind Sie da nicht etwas zu voreilig, Luis? Wir befinden uns schon wieder mitten in einer Trockenperiode, und niemand weiß, wann es wieder regnet. Bekanntlich trifft die Dürre die Olivenhaine immer am stärksten“, wandte Remi ein, der seinen Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen musste, weil das sagenhafte Vermögen seiner Vorfahren, der Duque von Toledo, längst aufgebraucht war.
„Verlassen Sie sich neuerdings auf Ihr Gefühl?“
Remis spöttisches Lachen hallte in dem Raum wider. „Wie damals mein Vater? Es war der teuerste Fehler seines Lebens, der ihn und meine Mutter leider viel zu früh unter die Erde gebracht hat. Nein, ich stütze mich lieber auf Fakten.“
Luis zuckte die Schultern. „Es war ja auch nur eine Frage, Remi. Sie sind der Experte, eine solche Bemerkung zu machen steht mir nicht zu.“
„Doch, dazu haben Sie das Recht, nachdem Sie so lange mit meinem Vater zusammengearbeitet haben.“
„Ich kann gut mit Zahlen umgehen, das ist alles.“
„Sie sind ein perfekter Steuerberater und ein Glücksfall für mich“, erwiderte Remi.
„Danke.“
Remi stand auf. Nach zwei äußerst schwierigen Jahren hatte er es endlich geschafft, die Schulden seines verstorbenen Vaters zurückzuzahlen. Damit hatte er zugleich die Familienehre und seinen Ruf gerettet. Vor dem Treffen mit Luis hatte er sich unbehaglich gefühlt, denn jedes Mal, wenn er geschäftlich nach Toledo fuhr, wurden schmerzliche Erinnerungen wach.
So auch jetzt wieder. Voller Verbitterung dachte er daran, wie schändlich man ihn verraten und betrogen hatte. Die quälenden Gedanken ließen sich nicht verdrängen, doch auch das war nichts Neues. Ihm war bewusst, dass er in solchen Momenten ein schlechter Gesprächspartner war, was ihm ganz besonders für Luis leidtat. Der ältere Mann, der ihm immer wieder Mut gemacht hatte, verdiente etwas Besseres.
Plötzlich hatte Remi es eilig, nach Hause zurückzufahren, und durchquerte mit großen Schritten den Raum.
„Remi?“
Er drehte sich zu Luis um. „Ja?“
„Ihr Vater wäre stolz auf Sie.“
Glücklicherweise hatte dieser nicht mehr mitbekommen, dass sein dreiunddreißigjähriger Sohn beinahe alles verloren hätte, was die Familie Goyo in fünf Generationen aufgebaut hatte. Er hatte sich in seinem Privatleben einen verhängnisvollen Fehler erlaubt, dessen Folgen immer noch wie ein dunkler Schatten auf seiner Seele lasteten.
Mit einem kurzen Nicken in Luis’ Richtung verließ er das Büro und eilte die Treppen hinunter auf die Straße, wo er seine schwarze Limousine geparkt hatte. Toledo hatte sich verändert, seit er als Junge durch die engen Gassen mit den vielen Kolonnaden gelaufen war. Jetzt bevölkerten Touristenströme aus aller Welt die Stadt zu jeder Jahreszeit. Diese Menschenmengen fand er noch bedrückender als die Hitze, die seit Wochen herrschte. In diesem Jahr schien die Sonne noch erbarmungsloser vom Himmel als sonst im Juli, sodass bei einem der häufigen Trockengewitter ein Blitzschlag genügte, um einen der alten Olivenbäume in Flammen aufgehen zu lassen.
Immer weniger Großgrundbesitzer fanden Gefallen an einem so risikoreichen Leben. Doch für Remi gab es nichts anderes. Alle seine Träume waren zerstört, nur das Landgut seiner Vorfahren war ihm geblieben und der einzige Grund für ihn, morgens aufzustehen.
Er zog das Jackett seines perfekt sitzenden Leinenanzugs aus, nahm die Krawatte ab und legte beides achtlos auf die Rückbank, ehe er sich auf den Fahrersitz schwang und den Wagen startete. Dann steuerte er ihn durch die winkligen Gassen der zum Weltkulturerbe gehörenden Altstadt mit den vielen maurischen, jüdischen und gotischen Bauwerken in die Außenbezirke der Stadt. Eine Zeit lang führte die Straße am Tejo oder Tajo, wie die Spanier den Fluss nannten, vorbei, bis sich vor ihm die weite Ebene erstreckte, wo der Verkehr schwächer wurde.
Während er in südlicher Richtung davonbrauste, verschwand der Alcázar von Toledo, die auf einem Felsen errichtete alte Festung, die die Stadt dominierte, hinter ihm in der Ferne. Langsam entspannte er sich und dachte an die viele Arbeit, die ihn zu Hause auf seinem Landgut erwartete.
Körperliche Arbeit half ihm, sich von den quälenden Gedanken abzulenken, doch in den langen dunklen Nächten konnte er den Dämonen, die ihn plagten, nicht entfliehen. Und so wachte er jeden Morgen erschöpft und mutlos auf.
Tief in Gedanken versunken, schenkte er dem Wagen, der aus der scharfen Kurve kam, kaum Beachtung. Doch plötzlich überquerte vor ihm ein entlaufener Stier die Straße, den der andere Fahrer offenbar im selben Moment bemerkte wie er. Eine Vollbremsung konnte Remi nicht riskieren, das war viel zu gefährlich. Doch der andere Fahrer trat instinktiv auf die Bremse – und verlor die Kontrolle über sein Auto. Es geriet ins Schleudern, und als der Fahrer in panischem Entsetzen das Steuer herumriss, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, überschlug sich der Wagen und blieb auf der Seite liegen.
Remi hielt an, sprang aus dem Auto und lief auf den blauen Wagen zu. Heck- und Windschutzscheibe waren zerbrochen, und überall lagen Glassplitter herum. Der einzige Insasse war eine Frau, die leise stöhnte.
Dass sie angeschnallt war, hatte ihr vermutlich das Leben gerettet. Remi versuchte, die Fahrertür zu öffnen.
„Helfen Sie mir“, rief die Fremde in dem Moment verzweifelt aus. „Meine Augen … Ich kann nichts sehen!“ Obwohl sie Spanisch sprach, verriet ihr Akzent die amerikanische Herkunft.
„Es wird alles gut“, versicherte er ihr auf Englisch. „Verhalten Sie sich bitte ganz ruhig, sonst machen Sie alles noch schlimmer. Ich hole Sie da heraus.“
Als er den Sicherheitsgurt lösen wollte, sah er, wie blutverschmiert ihre rechte Gesichtshälfte und sogar einige Strähnen ihres goldblonden Haares waren.
Schließlich gelang es ihm, sie aus dem Wagen herauszuheben. Während er sie von der Straße wegtrug und behutsam auf den begrünten Seitenstreifen setzte, nahm er den Duft ihres dezenten Parfüms wahr. „Ich sorge dafür, dass Sie ins Krankenhaus kommen. Rühren Sie sich nicht von der Stelle.“
„Nein, bestimmt nicht“, versprach sie mit schwacher Stimme. Ihr blasses Gesicht und die zu Fäusten geballten Hände ließen vermuten, dass sie starke Schmerzen hatte. Doch statt hysterisch zu weinen, nahm sie sich zusammen, was er bewundernswert fand.
Wahrscheinlich hatte ein Glas- oder Metallsplitter die Verletzung verursacht. Remi zog sein Handy aus der Hosentasche und rief die Polizei an. Nachdem er kurz erklärt hatte, was passiert war, wurde ihm versichert, dass man sogleich einen Rettungshubschrauber losschicken würde.
Danach telefonierte er mit seinem Verwalter Paco, informierte ihn über das Unglück und bat darum, seinen Wagen am Unfallort abzuholen. Dort sollte er auf das Eintreffen der Beamten warten und alle Formalitäten erledigen, während Remi die junge Frau ins Krankenhaus begleitete. Sobald sie ärztlich versorgt war, würde er selbst mit der Polizei reden.
Irgendwie fühlte er sich für den Unfall verantwortlich, denn er hätte ihn vielleicht verhindern können, wenn er mit den Gedanken nicht so weit weg gewesen wäre.
Unterdessen hielten zwei Autofahrer an und boten ihre Hilfe an. Die junge Frau klammerte sich an Remis freie Hand. „Bitte, schicken Sie die Leute weg.“
Er bedankte sich bei beiden mit dem Hinweis, die Polizei sei schon unterwegs, und dann war er mit der Unbekannten wieder allein.
„Wie heißen Sie?“
„Jillian Gray.“
Ein aparter Name, schoss es ihm durch den Kopf. „Soll ich jemanden benachrichtigen? Vielleicht Ihren Mann oder andere Angehörige?“
„Nein, vielen Dank.“
„Reisen Sie mit einer Freundin durch Spanien?“
„Nein.“ Das Sprechen fiel ihr immer schwerer.
„Ich höre den Hubschrauber, gleich wird Ihnen geholfen, Jillian.“
„Was ist mit meinem rechten Auge los?“
Die Angst, die in ihrer Stimme schwang, erschütterte ihn zutiefst. „Es hat aufgehört zu bluten. Glauben Sie mir, alles wird wieder gut.“ Hoffentlich, fügte er insgeheim hinzu. „Weinen Sie bitte nicht, die Tränen könnten das Ganze verschlimmern.“
„Stimmt.“ Ihre Lippen zitterten etwas, und es brach ihm beinah das Herz mit anzusehen, wie sehr sie sich bemühte, tapfer zu sein.
Plötzlich lagen ihm so viele Fragen auf der Zunge, auf die er sich eine Antwort wünschte. Doch er musste sich zurückhalten und Rücksicht auf ihren Zustand nehmen.
„Der Hubschrauber ist jetzt im Anflug“, verkündete er dann.
„Meine Tasche mit dem Portemonnaie …“
„Darum kümmere ich mich.“ Er wollte alles der Polizei übergeben, die ihren Ausweis sowieso benötigte. „Am wichtigsten ist, dass Sie ärztlich versorgt werden. Ihre persönlichen Sachen erhalten Sie auf jeden Fall zurück, dafür sorge ich.“
„Danke“, flüsterte sie.
Kaum war der Hubschrauber gelandet, sprangen ein Arzt und zwei Rettungssanitäter heraus und liefen auf Jillian zu. Nachdem man sie untersucht hatte, wurde sie auf einer Trage in die Maschine befördert, und Remi kletterte mit hinein.
Noch während sie abhoben, traf die Polizei mit eingeschaltetem Blaulicht am Unfallort ein, und fast gleichzeitig kam aus der anderen Richtung auch schon Paco mit einem anderen Mitarbeiter in einem von Remis Geländewagen an. Remi war erleichtert, denn er wusste die Sache bei seinem Verwalter in guten Händen.
Inzwischen hatte man Jillian eine Infusion gelegt. Offenbar bekam sie Schmerzmittel, denn sie lag sehr ruhig da. Um den Hals trug sie eine Halskrause, sodass sie den Kopf nicht bewegen konnte.
Schließlich nahm einer der Rettungssanitäter ein Formular in die Hand und fing an zu schreiben.
„Wie ist Ihr Name?“, fragte er schließlich und blickte Remi an.
„Remigio Goyo.“
Der Mann sah ihn erstaunt an. „Don Remigio Goyo?“, vergewisserte er sich.
„Richtig.“
„Ah ja. Ihre Adresse ist mir bekannt. Sind Sie ein Freund oder Verwandter der Verletzten?“
„Nein, weder noch. Ich bin Zeuge des Unfalls“, stieß Remi zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Wir wollten beide einem entlaufenen Stier ausweichen, der plötzlich die Straße überquerte. Die junge Frau hat geistesgegenwärtig das Steuer herumgerissen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.“
„Wissen Sie, wie sie heißt?“
„Jillian Gray.“
„Wer sind ihre nächsten Verwandten?“
„Keine Ahnung. Das wird die Polizei herausfinden müssen.“
„Eine bildhübsche Frau … mit dem goldblonden Haar.“
Auch Remi waren ihre Schönheit und ihre perfekte Figur aufgefallen. Man lässt sich so leicht von äußerer Schönheit blenden, überlegte er. Aber das passiert mir nicht noch einmal.
„Sie ist Amerikanerin, wahrscheinlich eine Touristin, mehr kann ich Ihnen nicht sagen“, erklärte er. „Hat sie außer der Gesichtsverletzung noch andere Wunden davongetragen?“, wandte er sich an den Arzt.
Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, offenbar nicht. Das Auge muss allerdings operiert werden.“
„Kennen Sie einen Chirurgen, den Sie empfehlen können?“, fragte Remi.
„Dr. Ernesto Filartigua ist eine Koryphäe auf diesem Gebiet, er arbeitet an einem Krankenhaus in Madrid.“
„Dann bitten Sie den Piloten, dorthin zu fliegen. Ich versuche, den Facharzt telefonisch zu erreichen.“
„Normalerweise sind unsere Einsätze auf die Umgebung von Toledo beschränkt, aber ich denke, wir können eine Ausnahme machen. Madrid ist ja nicht so weit von hier entfernt“, antwortete einer der Sanitäter.
Remi atmete erleichtert auf. Manchmal war ein Titel doch von Nutzen. Da er nicht ganz unschuldig an dem Unfall war, wollte er alles tun, um das Augenlicht der Frau zu retten. Er würde sich sonst ewig Vorwürfe machen, wenn sie einen dauerhaften Schaden zurückbehielte.
„Unterschreiben Sie mir bitte, dass wir auf Ihren ausdrücklichen Wunsch nach Madrid fliegen“, forderte der Sanitäter Remi auf und erteilte danach dem Piloten entsprechende Anweisungen.
Dann suchte er die Nummer des Krankenhauses heraus, an dem der Augenarzt arbeitete, und Remi wollte sich sofort von der Telefonistin mit dem Mediziner verbinden lassen. Er operierte jedoch gerade, und man versprach, ihm auszurichten, dass der Rettungshubschrauber mit einem Unfallopfer unterwegs sei.
Eine halbe Stunde später landeten sie vor dem Osteingang des Krankenhauses. Dort erwartete man Jillian schon und beförderte sie rasch in die Notaufnahme, während Remi im Empfangsbereich wartete. Mehrere Ärzte eilten zu der Verletzten, um sie zu untersuchen. Als Letzter traf ein älterer Mediziner ein, der einen Schnurrbart hatte und nach wenigen Minuten wieder herauskam.
Remi ging ihm entgegen. „Sind Sie Dr. Filartigua?“
„Ja. Was kann ich für Sie tun?“
„Ich bin Remigio Goyo. Ich hatte die Patientin angekündigt.“
„Ah ja. Gut, dass Sie keine Zeit verschwendet haben, Don Remigio.“
„Wie schwer ist die Verletzung? Miss Gray konnte auf dem rechten Auge nichts mehr sehen.“
„Kein Wunder, denn es steckt ein Glassplitter darin. Sie wird jetzt auf die Operation vorbereitet. Sobald ich den Fremdkörper entfernt habe, weiß ich mehr. Hat sie Familienangehörige, die man benachrichtigen sollte?“
„Hier in Spanien offenbar nicht. Aber ich versuche, von der Polizei nähere Auskünfte zu erhalten. Wo kann ich während der Operation warten?“
„Neben dem OP im sechsten Stock des Ostflügels befindet sich ein Wartezimmer.“
„Gut.“ Remi war die Kehle plötzlich wie zugeschnürt. „Ich vertraue Ihnen, Sie sollen der Beste auf Ihrem Gebiet sein.“
Dr. Filartigua sah ihn nachdenklich an, ehe er erwiderte: „Ich tue, was mir möglich ist. Darauf können Sie sich verlassen.“
„Fein. Darf ich jetzt zu ihr?“
„Sicher, wenn Sie es möchten. Sie können es sich jedoch auch sparen, denn sie schläft. Trinken Sie lieber einen Kaffee in der Cafeteria.“ Der Arzt wandte sich zum Gehen und fügte noch über die Schulter hinzu: „Sie sehen so aus, als hätten Sie einen nötig.“
Plötzlich wurde Remi bewusst, dass er den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen hatte. Das Frühstück hatte er ausgelassen, weil er keinen Appetit gehabt hatte, und auf das Mittagessen hatte er verzichtet, um nach der Besprechung mit Luis schneller wieder zu Hause zu sein.
Um einen letzten Blick auf die junge Frau zu werfen, ehe man sie fortbrachte, betrat er die Notaufnahme. Der dort anwesende Assistenzarzt sah ihn fragend an, doch Remi beachtete ihn nicht, sondern betrachtete fasziniert die feine helle Haut und das schöne, klassische Profil der Fremden. Man hatte ihr das Blut im Gesicht entfernt und ihr ein Krankenhausnachthemd angezogen sowie eine OP-Haube übers Haar gestreift.
Vor seinem inneren Auge spulte sich alles noch einmal ab. Ihm grauste es bei der Vorstellung, wie dramatisch der Unfall hätte verlaufen können. Wäre er langsamer gefahren, hätte er vielleicht bremsen und der jungen Frau mehr Platz zum Ausweichen lassen können. Doch für solche Überlegungen war es zu spät, was geschehen war, ließ sich nicht mehr ändern.
Plötzlich sehnte er sich nach einer Tasse Kaffee. Rasch verließ er den Raum und eilte über die Flure, als sein Handy läutete.
„Wir sind gerade zurückgekommen“, verkündete Paco. „Die Polizei lässt den Wagen der Frau abschleppen und bittet Sie, sich mit Kommissar Perez in Toledo in Verbindung zu setzen.“
„Mache ich.“ Remi schrieb sich die Nummer auf, bedankte sich und rief den Mann sofort an.
Nachdem Remi ihm berichtet hatte, dass die junge Frau in Madrid operiert werden sollte, erklärte der Beamte, dass Remi ihre persönlichen Sachen auf dem Kommissariat in Toledo abholen könne. Viel Erhellendes vermochte er Remi allerdings nicht mitzuteilen, außer dass die siebenundzwanzigjährige Amerikanerin in einem Leihwagen, der von dem Reiseveranstalter EuropaUltimate Tours in Lissabon bezahlt wurde, unterwegs gewesen war. Man nahm an, dass es ihr Arbeitgeber war, und hatte bisher vergebens versucht, mit der Personalabteilung des Unternehmens in New York Kontakt aufzunehmen.
Remi bedankte sich bei dem Kommissar und versprach, vorbeizukommen. Dann rief er seinen Vertreter in New York an, mit dem seine Familie schon jahrelang zusammenarbeitete, und bat ihn, persönlich dafür zu sorgen, dass der Personalchef von EuropaUltimate Tours ihn über seine Handynummer so schnell wie möglich kontaktierte. Es handele sich um einen Notfall, fügte er hinzu.
Nachdem er in der Cafeteria etwas gegessen hatte, trank er gerade seine zweite Tasse Kaffee, als sein Handy erneut klingelte. Mit wenigen Worten erklärte er dem Personalleiter die Situation, und ohne zu zögern, gab der Mann ihm die Nummer von Jillian Grays Bruder David Bowen, der in Albany, New York, lebte.
Nur wenige Minuten später fuhr Remi mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Dort erfuhr er von einem jungen Arzt, der über den Flur eilte, dass Jillian noch immer operiert wurde. Also setzte er sich in den Warteraum und rief ihren Bruder an.
„Mr Bowen?“, fragte er auf Englisch, als dieser sich meldete. „Ich bin Remi Goyo und befinde mich zurzeit in einem Krankenhaus in Madrid. Um es vorwegzunehmen, Ihrer Schwester geht es relativ gut, aber sie ist vor einigen Stunden bei einem Autounfall in der Nähe von Toledo leicht verletzt worden. Ich bin der einzige Zeuge. Ein Glassplitter ist ihr ins rechte Auge gedrungen und wird in diesen Minuten herausoperiert.“
„Oh nein, wie schrecklich!“, rief der Mann entsetzt aus.
„Der behandelnde Arzt Dr. Filartigua ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Das wollte ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung mitteilen.“
„Danke für Ihre Mühe. Dass ausgerechnet ihr das passieren musste nach allem, was sie durchgemacht hat, finde ich allerdings erschütternd.“ David Bowens Stimme klang gequält.
„Gibt es irgendetwas, was der Arzt wissen sollte?“, fragte Remi.
„Ihr Mann ist vor einem Jahr in New York bei einem Unfall mit einem Lastwagen ums Leben gekommen. Ich habe sie eindringlich gebeten, eine Zeit lang bei uns zu bleiben, doch pflichtbewusst, wie sie ist, hat sie sich sofort wieder in die Arbeit gestürzt. Ihren Job als Reiseleiterin nimmt sie sehr ernst. Es ist eine anstrengende Tätigkeit. Seit dem Tod ihres Ehepartners bemüht sie sich, so gut wie möglich zu funktionieren. Dass dies jetzt geschehen musste …“ David verstummte.
Unter den Umständen würde Jillian Gray sich bestimmt über den Besuch ihres Bruders freuen, dessen war Remi sich sicher. „Wann können Sie nach Madrid kommen? Ich hole Sie am Flughafen ab und fahre Sie zum Krankenhaus.“
„Das dürfte schwierig werden. In einem Monat erwartet meine Frau unser drittes Kind, es sind jedoch Probleme aufgetreten. Wenn sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert, will der Arzt das Kind per Kaiserschnitt holen. Deshalb möchte ich sie nicht allein lassen. Um Jilly nicht zu beunruhigen, haben wir ihr verschwiegen, wie schlecht es meiner Frau geht. Sie hat sich selbst ein Baby gewünscht, doch leider ist ihr Mann Kyle viel zu früh gestorben. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich machen soll. Hat sie darum gebeten, mich zu informieren?“
Remi räusperte sich, denn die Sache ging ihm sehr nahe. „Nein, noch nicht.“
„Mir ist klar, dass sie mich braucht, was sie jedoch niemals zugeben würde.“
Wie tapfer sie war, hatte Remi selbst erlebt. Auf seine Frage hin hatte sie erklärt, er brauche niemanden zu benachrichtigen. Offenbar bemühten sich beide, Bruder und Schwester, einander zu beschützen und Aufregungen voneinander fernzuhalten. Was für eine komplizierte Situation! Frustriert fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. „Ich werde mich um Ihre Schwester kümmern, bis sie alles hinter sich hat.“
„Das kann ich nicht von Ihnen verlangen …“
„Ich biete es Ihnen an, denn ich war an dem Unfall nicht ganz unbeteiligt.“ Remi schilderte ihm den Hergang.
„Es war wirklich nicht Ihre Schuld“, entgegnete David Bowen dann. „An Ihrer Stelle hätte ich auch keine Vollbremsung gemacht, das ist bei hoher Geschwindigkeit viel zu gefährlich. Glücklicherweise sind wenigstens Sie unverletzt geblieben und konnten meiner Schwester helfen.“
„Das hätte jeder andere vorbeikommende Autofahrer auch getan.“
„Jedenfalls bin ich Ihnen sehr dankbar, Mr Goyo. Darf ich Sie um einen Gefallen bitten? Rufen Sie mich an, sobald meine Schwester aus der Narkose aufwacht, egal, wie spät es ist. Ich möchte unbedingt mit ihr reden. Als Erstes werde ich mich jetzt mit meiner Frau und dem Arzt unterhalten. Wenn er es für unbedenklich hält, setze ich mich in die nächste Maschine nach Madrid und fliege am selben Tag zurück.“
„Wir werden sehen. Unterdessen passe ich gut auf Ihre Schwester auf.“
„Ich weiß nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll. Ich lasse mir aber bestimmt etwas einfallen. Verraten Sie mir bitte noch Ihre Telefonnummer.“
Remi nannte sie und fügte hinzu: „Ich bin sicher, Sie würden an meiner Stelle genauso handeln.“
„Ja, das stimmt“, antwortete der Mann voller Überzeugung.
„Dann machen Sie sich keine Gedanken. Wir hören wieder voneinander.“ Remi beendete das Gespräch und schob das Handy in die Hosentasche. Er war viel zu beunruhigt, um untätig herumzusitzen, und verließ den Warteraum. Auf dem Flur kam ihm Dr. Filartigua entgegen.
„Wie schwer ist die Verletzung?“, erkundigte sich Remi sofort.
„Ziemlich schwer.“
Die Nachricht traf Remi wie ein Schlag. „Wird sie auf dem Auge wieder sehen können?“
„Das kann man jetzt noch nicht sagen. Ich habe den Splitter entfernt und dabei festgestellt, dass im Innern des Organs Blutungen aufgetreten sind. Die Operation selbst ist erfolgreich verlaufen, und die Patientin befindet sich in einem stabilen Zustand. Alles andere bleibt abzuwarten.“
„Wann kann sie das Krankenhaus verlassen?“, fragte Remi, nun doch halbwegs erleichtert.
„Wenn alles normal verläuft, wacht sie innerhalb der nächsten Stunde auf, und dann können wir sie auf die Privatstation verlegen. Vorausgesetzt, es treten keine Komplikationen auf, könnte sie morgen Nachmittag entlassen werden. Angesichts des Schocks, den sie zweifellos bei dem Unfall erlitten hat, würde ich sie jedoch gern noch einen Tag länger hierbehalten. Konnten Sie mit ihren Angehörigen sprechen?“
„Ja, mit ihrem Bruder in New York. Leider gibt es da ein Problem.“ Remi berichtete, was er erfahren hatte.
„Umso besser, dass Sie bereit sind, ihr beizustehen. Kommen Sie bitte in einer Woche mit ihr zur Nachuntersuchung zu mir, dann kann ich Genaueres sagen. Ich gebe ihr Medikamente und Verhaltensregeln mit.“
„Wird sie starke Schmerzen haben?“
„Nein. Sie wird allerdings eine Reizung oder einen Juckreiz verspüren. Das Auge ist mit einer Binde geschützt, die sie ab und zu wechseln und abnehmen muss, um Tropfen hineinzuträufeln. Im Übrigen kann sie sich völlig normal verhalten. Sie darf lesen und fernsehen, jedoch nicht schwimmen.“
„Wann kann sie wieder arbeiten?“
„Frühestens in vier Wochen. Vorerst sollte sie sich nicht zu tief bücken, sondern den Kopf möglichst gerade halten. Sobald sie wach ist, sollten Sie ihr unbedingt mitteilen, dass die Operation erfolgreich verlaufen ist. Im Notfall bin ich jederzeit zu erreichen, Sie haben ja meine Telefonnummer.“
„Ja.“ Remi bedankte sich bei dem Arzt und rief wenig später David Bowen an, um ihn über den Stand der Dinge zu informieren.
Wie aus weiter Ferne hörte Jillian Stimmen. Dass sie im Krankenhaus lag und operiert worden war, hatte ihr irgendwann in der Nacht eine Schwester erzählt.
Schließlich öffnete sie die Lider, aber sie konnte die Sonnenstrahlen, die durch die Jalousien in das Einzelzimmer drangen, nur mit dem linken Auge sehen. Sie hob die Hand, um die Binde über dem rechten Auge zu betasten.
Prompt hielt jemand ihre Finger fest. „Nein, Jillian, lassen Sie das bitte“, ertönte eine tiefe männliche Stimme, die ihr bekannt vorkam. Und dann fiel es ihr wieder ein, es musste der Mann sein, der ihr nach dem Unfall geholfen hatte.
Vorsichtig drehte sie sich zu dem großen Spanier um, der Autorität und Macht ausstrahlte. Sie betrachtete sein volles dunkles Haar, die dunklen Augen unter den dichten schwarzen Brauen und seine harten, wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge. Ein echter Kastilier, dachte sie.
Das weiße Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, und seine gebräunte Haut verliehen ihm etwas so Sinnliches und Erdverbundenes, dass es ihr fast den Atem raubte. Offenbar kann ich nach der Narkose noch nicht wieder klar denken, sonst würde ich auf ihn nicht so reagieren, sagte sie sich.
„Sie sind mein Schutzengel, stimmt’s?“
„Wenn ich das wäre, hätten Sie keinen Unfall gehabt“, erwiderte er und drückte ihre Hand.
„Aber Sie haben mir geholfen, oder?“
„Ja. Ich bin übrigens Remi.“
Bruchstückhafte Erinnerungen an den Beinahezusammenstoß kehrten zurück. „Sie sind der Fahrer des Wagens, der mir entgegenkam. Es fehlte nicht viel, und ich … hätte Sie getötet“, flüsterte sie.
„Nein, dazu wäre es nicht gekommen. Sie sind eine ausgezeichnete Fahrerin und haben großartig reagiert.“
Sie biss sich auf die Lippe. „Ich weiß noch, dass ich das Steuer herumgerissen habe und irgendwann ein Hubschrauber aufgetaucht ist. Alles andere liegt noch im Dunkeln.“
„Sie befinden sich in einem Krankenhaus in Madrid.“
„Nicht in Toledo?“
„Nein. Ich habe veranlasst, dass Sie hierher gebracht wurden, damit Dr. Filartigua Sie operieren und behandeln kann. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Augenchirurgie.“
Jillian versuchte zu schlucken, aber ihr Mund war zu trocken. „Vielen Dank. Die Schwester hat mir versichert, die Operation sei erfolgreich verlaufen.“
„Ja, dasselbe hat der Arzt mir auch berichtet. Möchten Sie etwas trinken?“ Als sie nickte, reichte er ihr ein Glas Apfelsaft, das auf dem Tablett mit dem Frühstück stand. „Und dann rufe ich Ihren Bruder an. Er kann es kaum erwarten, mit Ihnen zu reden.“
„Woher weiß David denn, was passiert ist?“, fragte sie erstaunt.
„Von mir. Ihr Arbeitgeber hat mir seine Telefonnummer genannt. Ich habe mit ihm gesprochen.“
„Ah ja.“ Sie trank den Apfelsaft und gab Remi das leere Glas zurück. „Gracias, Señor“, bedankte sie sich auf Spanisch.
„De nada, Señora.“
Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er sich über sie lustig machte. „Ich weiß, meine Aussprache ist keineswegs perfekt.“
„Nun seien Sie mal nicht so bescheiden. Schon am Unfallort war ich beeindruckt, wie gut Ihr Spanisch ist. Ich bin nur überrascht, wie schnell Sie sich von der Operation erholt haben, das ist alles.“
Sie machte sich keine Illusionen über ihre Sprachkenntnisse, aber sie freute sich, dass es ihr schon wieder viel besser ging. Nachdem sie das Kopfende des Bettes mit der Fernbedienung verstellt und sich aufgerichtet hatte, entdeckte sie den Strauß gelber und weißer Rosen auf dem Tisch.
„Sind die wunderschönen Blumen von Ihnen?“
„Ja.“ Er brachte ihr die Vase, und sie barg das Gesicht in den Blüten.
„Sie duften betörend. Danke.“
Nachdem er das Gefäß wieder auf den Tisch gestellt hatte, fiel Jillian das ungemachte Notbett in der Ecke neben der Tür auf. „Haben Sie etwa bei mir geschlafen?“
Er musste sich ein Lächeln verbeißen. „Ich bekenne mich schuldig.“
Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie da gesagt hatte, und errötete. „Hatte Ihre Familie nichts dagegen, dass Sie nicht nach Hause gekommen sind?“
Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Welche denn?“, fragte er so verbittert, dass ihr schauderte. „Meine Angestellten haben sich sicher über meine Abwesenheit gefreut“, fügte er spöttisch hinzu.
„Warum sind Sie hiergeblieben?“
Er stellte sich vor sie an das Bett und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich habe Ihrem Bruder versprochen, mich um Sie zu kümmern. Möchten Sie vor oder erst nach dem Frühstück mit ihm reden?“ Er warf einen Blick auf das Tablett auf ihrem Nachttisch.
„Lieber vorher. Nach dem Tod unserer Eltern hat er mich unter seine Fittiche genommen und sich sogar noch nach meiner Heirat für mich verantwortlich gefühlt.“
„Er hat mir erzählt, dass Ihr Mann vor einem Jahr ums Leben gekommen ist. Das tut mir sehr leid. Ich kann seine Sorge gut verstehen.“
Jillian atmete tief durch. „Er macht sich viel zu viele Gedanken um mich.“
„Ist es nicht das gute Recht eines Bruders, seine Schwester zu beschützen?“
„Haben Sie eine?“
„Nein.“ Sekundenlang verfinsterte sich seine Miene, und Jillian wünschte, sie hätte die Frage nicht gestellt. „Hier, Sie können mein Handy benutzen.“ Er reichte es ihr. „Die Nummer Ihres Bruders habe ich schon gespeichert, Sie brauchen nur auf die Acht zu drücken.“
Als sie das Telefon entgegennahm und versehentlich seine Finger berührte, kribbelte ihr die Haut. Wie selbstverständlich nahm er das Heft in die Hand. Wahrscheinlich wagte niemand, ihm zu widersprechen. Aber weshalb hätte sie das auch tun sollen? Immerhin hatte er dafür gesorgt, dass sie innerhalb kürzester Zeit die bestmögliche ärztliche Behandlung erhielt. Mehr noch, er hatte sogar die ganze Nacht bei ihr gewacht. Sie hatte ihm viel zu verdanken.
Gerührt und aufgewühlt gab sie die Nummer ein, und schließlich meldete sich ihr Bruder.
„Dave?“
„Jilly! Endlich! Wie geht es dir?“
„Viel besser. Und dir? Was machen Angela und die Kinder?“
„Bei uns ist alles in Ordnung. Du klingst erstaunlich munter.“
„Ich habe Glück im Unglück gehabt. Dass mir sogleich jemand geholfen und alles Notwendige veranlasst hat, hat Schlimmeres verhindert. Mein rechtes Auge ist verletzt, aber die Operation ist erfolgreich verlaufen, wie man mir versichert hat.“
„Hast du starke Schmerzen?“
„Nein, überhaupt keine.“
„Lüg mich bitte nicht an.“
„Es ist die Wahrheit.“ Sie hatte wirklich keine mehr.
„Dann lass mich bitte kurz mit Señor Goyo sprechen.“
„Mit wem?“
„Jilly, was ist los? Remi Goyo ist der Mann, der dir geholfen hat und sich immer noch um dich kümmert.“
Ihr wäre beinah das Handy aus der Hand geglitten. Vor dem Unfall hatte sie vor dem Tor eines Landguts angehalten, um mit dem Besitzer zu reden. Von einem seiner Mitarbeiter hatte sie erfahren, Don Remigio sei geschäftlich nach Toledo gefahren, und der Mann hatte ihr geraten, telefonisch einen Termin mit seinem Chef zu vereinbaren.
Plötzlich erinnerte sie sich an das Wappen an dem großen Tor. Offenbar handelte es sich bei den Gutsbesitzern um eine alte Adelsfamilie.
„Señor Goyo?“
Er drehte sich zu ihr um.
„Sind Sie Don Remigio?“
„Ja. Doch für Sie bin ich Remi, schon vergessen?“, mahnte er sie sanft, ehe er das Handy entgegennahm.
Natürlich hatte sie das nicht. Dass er aus so vornehmen Kreisen stammte, änderte allerdings einiges. Wieder erbebte sie bei der flüchtigen Berührung ihrer Finger. Es musste an den Nachwirkungen der Operation liegen, dass sie zu empfindlich und zu heftig reagierte. Jedenfalls hatte sie sich nach Kyles Tod für keinen anderen Mann interessiert. Weshalb sollte das plötzlich anders sein?
Er war ein attraktiver Mann mit braunen Augen und rotbraunem Haar und fast zehn Zentimeter größer gewesen als sie mit ihren eins fünfundsechzig. Sie hatten in jeder Hinsicht perfekt zusammengepasst und waren innerhalb von sechs Monaten verheiratet gewesen. Dass ihr Glück von einer Minute auf die andere zerstört werden würde, hatte sie sich nicht vorstellen können.
Genauso unvorbereitet hatte sie ihr eigener Unfall getroffen. Voller Begeisterung darüber, eine neue Sehenswürdigkeit entdeckt zu haben, war sie in Richtung Toledo weitergefahren und hatte sich darauf gefreut, durch diese schöne Stadt bummeln zu können. Und dann wurde sie plötzlich von einem Fremden aus dem Wrack ihres Autos geborgen, der sie aufforderte, ihr verletztes Auge nicht zu berühren. Er wirkte ungemein selbstsicher und schien in jeder Situation das Richtige zu tun. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie nicht in Panik geraten war.
Jillian versuchte, etwas von der Unterhaltung zwischen Remi und ihrem Bruder mitzubekommen, was sich jedoch als ausgesprochen schwierig erwies, denn Remi kehrte ihr den Rücken zu. Das musste keine Absicht sein, dennoch fand sie es frustrierend. Wie magisch fühlte sie sich von ihm angezogen und betrachtete fasziniert seinen muskulösen Rücken und die breiten Schultern.
Er war ein durch und durch außergewöhnlicher, bemerkenswerter Mann. Während andere nur entsetzt und fassungslos herumgestanden hatten, handelte er, ohne zu zögern, umsichtig und entschlossen. Niemand außer ihm hätte es geschafft, den Rettungshubschrauber so rasch an den Unfallort zu rufen.
In dem Moment kam die Schwester herein, um Blutdruck zu messen. Damit Jillian danach anfangen konnte zu frühstücken, zog die Frau auch den Tisch näher heran, ehe sie wieder verschwand.
Schließlich drehte Remi sich wieder zu ihr um und reichte Jillian das Handy. „Ihr Bruder möchte sich verabschieden.“
Worüber haben die beiden sich so lange unterhalten? überlegte sie, während sie den Apparat ans Ohr hielt. „Danke, dass du dich daran erinnert hast, auch noch einmal mit mir zu reden, Bruderherz“, neckte sie ihn.
„Ich wollte mich doch nur bei Remi bedanken, dass er so viel für dich tut. Ich werde versuchen, dich so bald wie möglich zu besuchen.“
„Nein, Dave, bleib, wo du bist. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus kehre ich nach Hause zurück. Glücklicherweise befinde ich mich in Madrid und habe es nicht weit zum Flughafen.“
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