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DAS MEER FLÜSTERT EIN LIEBESLIED von DONALD, ROBYN Sechs Monate mit Toms Stiefsohn Luc auf einer Insel? Unter einem Dach? Die schöne Jo versteht nicht, warum ihr väterlicher Freund das in seinem Testament von ihr verlangt. Um ihr Geschäft nicht zu verlieren, stimmt sie zu. Dafür bringt der umwerfende Luc ihr Herz in Gefahr… DER MANN, VON DEM ICH TRÄUMTE von HARRINGTON, NINA So hatte Kate ihr Wochenende nicht geplant. Aber ihren Jugendschwarm Heath auf eine Luxus-Hochzeit zu begleiten, ist verlockend - auch wenn sie nur für seine Ex einspringt! Als die Funken zwischen ihnen sprühen, ahnt Kate noch nicht, dass sein Kuss ihr Leben für immer verändert… SKANDAL AUF SARDINIEN von GRAHAM, LYNNE Ein gefährlicher Deal! Um ihren Vater vor dem Gefängnis zu retten, wird Gwenna die Geliebte von Angelo Riccardi. Sein Reichtum lässt sie kalt, aber die explosive Leidenschaft des Italieners macht sie schwach. Ein Spiel um Macht und Begierde beginnt, doch was Gwenna will, ist Liebe… WIE ANGELT MAN SICH EINEN PRINZEN? von BANKS, LEANNE Ihr Chef ist ein echter Prinz! Als Sophie ihn auf eine Reise begleitet, um seine adlige Familie kennenzulernen, steht auch ihr Leben plötzlich Kopf. Denn in dem sonnigen Inselreich kommen sich die beiden näher und beginnen eine heimliche Affäre. Doch das ist Sophie nicht genug…
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Seitenzahl: 691
Veröffentlichungsjahr: 2014
Robyn Donald, Nina Harrington, Lynne Graham, Leanne Banks
ROMANA EXTRA BAND 21
IMPRESSUM
ROMANA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 21 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
© 2013 by Robyn Donald Kingston Originaltitel: „Island of Secrets“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Karin Weiss
© 2013 by Nina Harrington Originaltitel: „Last-Minute Bridesmaid“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN HEAT Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Gisela Blum
© 2013 by Leanne Banks Originaltitel: „How to Catch a Prince“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Christiane Bowien-Böll
© 2007 by Lynne Graham Originaltitel: „The Italian’s Inexperienced Mistress“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Kara Wiendieck Deutsche Erstausgabe 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 268 Erste Neuauflage Neuauflage by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg; in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 21 2014
Abbildungen: Dmbaker / iStockphoto, Simon Dannhauer / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733740382
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY
Für Luc MacAllister steht fest: Jo, die Geliebte seines Stiefvaters, ist nur an seinem Erbe interessiert! Erst als er ihrem Charme erliegt, ahnt er, dass sie nicht die ist, für die er sie hält …
Emotionen: Fehlanzeige! Für den Verleger Heath bedeutet Arbeit alles. Doch als ihm die bezaubernde Kate mit ihrer impulsiven Art den Kopf verdreht, muss er sich seinen Gefühlen stellen …
Ausgerechnet Gwenna, die schöne Tochter seines Erzfeindes, bringt Angelo Riccardi um den Verstand. Wie so oft, weiß er die Situation für sich zu nutzen, bis er erkennt: Diese Frau will er nicht nur besitzen …
Für Max Carter ist Sophie nur die perfekte Assistentin. Erst als ein Fremder mit ihr flirtet, merkt er, dass er mehr für sie empfindet. Er verführt sie, aber kann er ihr geben, wonach sie sich wirklich sehnt?
Mit eisiger Stimme forderte Luc MacAllister den Notar auf: „Vielleicht können Sie mir erklären, warum mein Stiefvater diese Klausel in das Testament aufgenommen hat.“
Bruce Keller ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken. Er hatte Tom Henderson vor den Folgen gewarnt, aber sein langjähriger Freund hatte sich nicht umstimmen lassen, sondern mit zufriedener Miene geantwortet: „Luc muss endlich begreifen, dass man sich mit Situationen auseinandersetzen muss, die man nicht beeinflussen kann.“
Während er Toms Stiefsohn in die grauen Augen sah, deren Blick so hart wie Stahl wirkte, schien der Verkehrslärm auf der Hauptstraße der neuseeländischen Kleinstadt wie aus weiter Ferne durch das geöffnete Fenster hereinzudringen.
„Über seine Beweggründe hat Tom nicht mit mir geredet“, erwiderte er schließlich.
„Mit anderen Worten, Sie wissen nicht, warum Henderson Holdings und die Stiftung erst dann endgültig in meinen Besitz übergehen, wenn ich sechs Monate mit seiner … mit Joanna Forman verbracht habe“, stellte Luc fest.
„Richtig.“
„Joanna Forman, die sich in den letzten zwei Jahren um mich gekümmert hat“, zitierte Luc den Passus im Testament und verzog das Gesicht. „Normalerweise hat sich Tom nie gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen. Er hätte sie auch als seine Geliebte bezeichnen können.“
Der Notar empfand Mitleid mit der Frau, obwohl er sie nicht persönlich kannte. „Ich weiß nur, dass sie ihrer kranken Tante monatelang geholfen hat, die bis zu ihrem Tod die Haushälterin Ihres Stiefvaters auf Rotumea Island war“, berichtete der Notar wahrheitsgemäß.
„Und dann ist sie einfach dortgeblieben.“
Schweigend ging Bruce Keller über Lucs verächtliche Bemerkung hinweg. Egal, welche Rolle Joanna Forman in Tom Hendersons Leben gespielt hatte, sie war für ihn offenbar so wichtig gewesen, dass er sie ohne Rücksicht auf die zornige Reaktion seines Stiefsohns finanziell abgesichert hatte.
Luc MacAllister zuckte mit den Schultern, eine Geste, die den älteren Mann an Lucs Mutter erinnerte, eine elegante aristokratische Französin. Zwar war er ihr nur ein einziges Mal begegnet, dennoch hatte er ihr perfektes Benehmen und ihre kühle und distanzierte Höflichkeit nie vergessen. Gegensätzlicher hätten sie und ihr Mann nicht sein können. Tom war ein zupackender Neuseeländer und ein guter Geschäftsmann gewesen. Er hatte ein Bauunternehmen gegründet, das er zu einem internationalen Konzern ausweitete.
Luc MacAllister hatte jedoch keinen Grund, sich über seinen Stiefvater zu ärgern oder ihm irgendetwas vorzuwerfen, denn er war selbst kein unbeschriebenes Blatt, was Affären betraf.
Bei dem Gedanken, dass eine Beziehung zwischen einem Sechzigjährigen und einer beinah vierzig Jahre jüngeren Frau zumindest etwas außergewöhnlich war, musste Bruce unwillkürlich lächeln, hatte sich aber sogleich wieder unter Kontrolle.
„Ich finde die Situation gar nicht lächerlich oder lustig“, fuhr Luc ihn prompt an.
„Mir ist klar, dass es für Sie ein Schock ist. Ich habe Ihren Stiefvater entsprechend gewarnt“, erklärte Bruce trocken.
„Wann genau hat er das Testament aufgesetzt?“
„Vor einem Jahr.“
„Also drei Jahre nach seinem ischämischen Schlaganfall und ein Jahr nachdem Joanna Forman bei ihm eingezogen ist“, stellte Luc fest.
„Ja. Ehe er es unterzeichnete, hat er sich einer gründlichen Untersuchung unterzogen und sich bestätigen lassen, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist.“
„Dazu haben Sie ihm vermutlich geraten.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Luc fort: „Ich werde das Testament nicht anfechten, auch diese absurde Klausel nicht.“
Der Notar nickte. „Das halte ich für vernünftig.“
Als Luc aufstand und sich vor ihn an den Schreibtisch stellte, fühlte der ältere Mann sich von dessen autoritärer Ausstrahlung beinah erdrückt.
„Ich gehe davon aus, dass Joanna Forman die Bedingung erfüllen wird.“
„Alles andere wäre dumm“, antwortete Bruce. „Es ist für Sie beide von Vorteil, dass Sie sich daran halten, egal, wie schwer es Ihnen fällt.“
Die junge Frau konnte sogar verhindern, dass das riesige Firmenimperium seines Stiefvaters in Luc MacAllisters alleinigen Besitz überging. Wohl auch deshalb wirkten die Gesichtszüge des jüngeren Mannes wie versteinert.
„Als Notar und alter Freund haben Sie natürlich dafür gesorgt, dass das Testament in rechtlicher Hinsicht wasserdicht ist.“ Luc nahm sich vor, es durch seine eigenen Anwälte prüfen zu lassen, erwartete jedoch nicht, dass es in irgendeinem Punkt anfechtbar war. „Hat Joanna Forman schon von ihrem Glück erfahren?“
„Noch nicht. Tom hatte mich gebeten, sie persönlich zu informieren. Ich habe ein Treffen mit ihr vereinbart und fliege in drei Tagen nach Rotumea.“
Luc versuchte, sich zu beherrschen. Sein Stiefvater war so etwas wie ein Freigeist gewesen, der nach seinen eigenen Regeln lebte und auf niemanden hörte. Den Notar traf bestimmt keine Schuld an dieser haarsträubenden Klausel. Ich habe also keine Wahl und muss die nächsten sechs Monate mit Joanna Forman unter einem Dach verbringen, überlegte Luc.
„Wird sie von Ihnen auch erfahren, was mein Stiefvater ihr zugestanden hat?“
„Nein, noch nicht.“
Luc verstand es perfekt, seine Genugtuung zu verbergen. Vermutlich hatte Tom bestimmt, Joanna Forman erst kurz vor Ablauf der sechs Monate damit zu konfrontieren. Und das verschaffte ihm einen gewissen Handlungsspielraum.
„Was geschieht, wenn sie sich zu meinem Nachteil entscheidet?“, fragte er.
Nach kurzem Zögern erwiderte der Notar: „Auch darüber kann ich jetzt noch nicht reden.“
Es war den Versuch wert, sagte sich Luc. Er vermutete, dass in dem Fall Toms Neffe die Konzernleitung übernahm. Der junge Mann versuchte schon länger, Luc auszuschalten, und hatte ihm sogar vor einem Jahr seine Verlobte, Toms Patentochter, ausgespannt und sie geheiratet.
Jo stand auf und streckte sich, um die schmerzenden Schultern zu lockern. Sie hatte zu lange am Computer gesessen. Obwohl sie schon zwei Jahre auf dieser tropischen Insel lebte, machte ihr heute die feuchte Hitze sehr zu schaffen.
Eigentlich hatte sie keine Lust, noch auszugehen, aber sie war mit ihrer besten Freundin Lindy verabredet, die sie schon seit ihrer Schulzeit in Neuseeland kannte. Sie wollte Lindy und ihren Mann nicht enttäuschen, die eine Nacht in Rotumeas exklusivem Urlaubsresort verbrachten. Eigentlich freute sie sich sogar darauf, die Freundin wiederzusehen und ihren Mann kennenzulernen. Leider hatte sie aus finanziellen Gründen die Einladung zur Hochzeit ausschlagen müssen, und diese Situation hatte sich noch nicht wesentlich gebessert.
Doch ich werde dem frischgebackenen Ehepaar gegenüber meine Probleme nicht erwähnen, um ihnen die gute Laune nicht zu verderben, dachte sie.
Später wünschte sie allerdings, sie hätte das Abendessen abgesagt. Zwar hatte alles gut angefangen. Lindy strahlte vor Glück, und ihr Mann war sehr charmant und betete seine junge Frau geradezu an. Als die Sonne am Horizont unterging und am fast purpurroten Himmel die ersten Sterne funkelten, stießen sie mit Champagner auf die Zukunft an.
„Rotumea ist das schönste Fleckchen Erde, das ich kenne. Du bist zu beneiden, dass du in diesem kleinen Paradies lebst.“ Lindy seufzte wehmütig.
Doch ehe Jo antworten konnte, ertönte hinter ihr eine ihr vertraute Stimme, und plötzlich war ihr der Abend verdorben.
„Hallo, Jo, mein Mädchen! Wie geht es dir?“
Sie saß wie erstarrt da. Sean war der letzte Mensch, dem sie begegnen wollte. Wenige Tage nach Toms Tod hatte er eine Affäre mit ihr beginnen wollen, doch sie hatte ihn abblitzen lassen. Seine aggressive Reaktion hatte sie nicht nur überrascht, sondern auch abgestoßen.
„Gut, danke“, erwiderte sie kühl, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie auf seine Gesellschaft keinen Wert legte.
Unbeeindruckt lächelte er Lindy und ihren Mann betont freundlich an. „Lassen Sie mich raten. Sie sind die Hochzeitsreisenden, auf deren Besuch Jo sich schon gefreut hat. Gefällt es Ihnen hier auf der tropischen Insel?“
„Oh ja, wir sind restlos begeistert.“ Lindy blickte ihn zuvorkommend an, während Jo wünschte, sie hätte ihm nichts von dem Besuch erzählt. Doch zu dem Zeitpunkt hatte sie ihn noch nicht durchschaut.
„Ich bin Sean Harvey, ein Freund von Jo“, stellte er sich vor.
Arglos lud Lindy ihn ein, sich zu ihnen zu setzen. Genervt sah Jo sich in dem Restaurant um und begegnete dem Blick eines Mannes am Nebentisch. Unwillkürlich schenkte sie ihm ein flüchtiges Lächeln. Da er jedoch keine Miene verzog, wandte sie sich rasch wieder ab.
Diesen attraktiven und sportlich wirkenden Mann mit dem markanten Profil, dem kühlen durchdringenden Blick, dem braunen Haar mit den von der Sonne gebleichten Strähnen umgab eine Aura der Souveränität und Dominanz. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie war sich allerdings sicher, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben.
Jedenfalls hatte der kurze Blickkontakt genügt, um ihren Puls rasen zu lassen. Sie ärgerte sich über sich selbst und beschloss, den Fremden zu ignorieren und das Beste aus dem restlichen Abend zu machen.
Sean unterhielt sich angeregt mit Lindy und ihrem Mann und verstand es perfekt, immer wieder sein Interesse an Jo deutlich zu machen.
„Du hast ihn mir gegenüber noch nie erwähnt. Ist er dein Freund?“, erkundigte sich Lindy später, nachdem er sich verabschiedet hatte.
„Nein“, erwiderte Jo kurz angebunden.
In dem Moment spürte sie, dass der Fremde am Nebentisch sie beobachtete. Als sie aufsah und seine reglose Miene bemerkte, überlief es sie kalt. Den ganzen Abend war sie sich seiner Gegenwart allzu sehr bewusst gewesen, so als stellte er für sie eine Bedrohung dar.
Wahrscheinlich war sie durch Seans überraschendes Auftauchen überempfindlich und neigte zum Dramatisieren. Nach der Bekanntschaft mit ihm hatte sie sich geschworen, zukünftig einen großen Bogen um gut aussehende Männer zu machen.
Obwohl sie es vermied, auch nur noch ein einziges Mal in Richtung des Fremden zu schauen, wurde sie das Unbehagen, das er ihr verursachte, erst los, als sie das Restaurant verlassen hatte und zum Parkplatz ging. Doch dann entdeckte sie neben ihrem Wagen eine dunkle Gestalt und blieb wie erstarrt stehen.
„Hallo, Jo.“
Sie erkannte ihn sofort an der Stimme. „Was willst du, Sean?“, fragte sie ärgerlich.
„Mit dir reden.“
„Ich aber nicht mit dir. Es reicht mir, was du das letzte Mal so alles gesagt hast.“
Er zuckte mit den Schultern. „Das ist mit ein Grund, warum wir uns unterhalten müssen. Es tut mir leid, Jo. Wenn du mich nicht so grob zurückgewiesen hättest, hätte ich nicht die Beherrschung verloren. Ich war wirklich der Meinung, eine Chance bei dir zu haben. Wenn du mit Tom glücklich gewesen wärst, hättest du nicht mit mir geflirtet.“
Er war nicht der Einzige, der ihr unterstellte, sie wäre Toms Geliebte gewesen. Es verletzte sie zutiefst und verursachte ihr Übelkeit. Und geflirtet hatte sie ganz bestimmt nicht mit Sean.
„Soll das etwa eine Entschuldigung sein?“ Ihre Stimme klang verächtlich. „Gib es auf, Sean.“
Er kam einen Schritt näher. „War es die Sache wert, Jo? Mit einem mindestens vierzig Jahre älteren Mann zu schlafen, war sicher kein Vergnügen. Hoffentlich hat er dich dafür großzügig in seinem Testament bedacht, was ich allerdings bezweifle, denn Multimillionäre sind bekanntlich sehr geizig, wenn es um …“
„Halt endlich den Mund“, unterbrach sie ihn zornig, empfand aber zugleich auch so etwas wie Angst vor diesem Mann. „Hör auf mit dem Unsinn!“
„Warum? Jeder auf Rotumea weiß doch, dass deine Mutter ein Callgirl war“, erklärte er gehässig.
„Wag es nicht, das noch einmal zu behaupten. Nur damit das klar ist: Meine Mutter war ein Model.“
Er kam nicht dazu, etwas zu erwidern, denn in dem Moment forderte ihn jemand mit hart und autoritär klingender Stimme auf: „Sie haben gehört, was sie gesagt hat. Was auch immer Sie ihr zu bieten haben, sie will nichts mit Ihnen zu tun haben. Verschwinden Sie.“
„Wer, zum Teufel, sind Sie?“, wollte Sean wissen.
Jo drehte sich um und erkannte den Mann vom Nebentisch.
„Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich bin nur ein zufällig vorbeikommender Fremder“, antwortete er verächtlich. „Verschwinden Sie endlich“, wiederholte er.
„Was bilden Sie …?“, begann Sean.
„Davon geht die Welt nicht unter“, unterbrach der Fremde ihn kühl. „In einigen Wochen sieht alles schon wieder ganz anders aus. Es ist noch kein Mensch an einer Zurückweisung gestorben.“
„Vielen Dank für die Belehrung.“ Seans Stimme klang spöttisch. „Okay, ich bin jetzt weg. Aber denk daran, Jo, mit meiner Hilfe kannst du nicht rechnen, wenn man dich aus Hendersons Haus hinauswirft. Ich wette, er hat alles seiner Familie hinterlassen, und das hat eine Frau wie du auch nicht anders verdient.“
„Lass mich einfach in Ruhe, Sean.“ Nur mühsam konnte sie ihren Zorn beherrschen.
Schweigend ging er weg, und als seine Schritte in der Dunkelheit verklungen waren, atmete sie tief durch und sagte widerstrebend: „Danke.“
„Ich rate Ihnen, den nächsten Verehrer etwas taktvoller abzuweisen.“ Unter den Sarkasmus, der in der Stimme des Fremden schwang, mischte sich so etwas wie Desinteresse.
Jo verbiss sich eine ironische Bemerkung, denn sie war ihm trotz seines arroganten Auftretens für die Hilfe dankbar. Nur ungern gestand sie sich ein, dass sie sich vor diesem unberechenbaren Mann in der Dunkelheit auf dem fast menschenleeren Parkplatz gefürchtet hatte.
„Ich werde versuchen, Ihren Rat zu beherzigen“, erklärte sie betont höflich, stieg in ihr Auto, startete den Motor und fuhr los.
Nachdem sie auf die Hauptstraße abgebogen war, schnitt sie ein Gesicht. Die Auseinandersetzung mit Sean hatte sie aufgewühlt, und sie bereute, dass sie die Bekanntschaft mit ihm falsch interpretiert hatte.
Er war Neuseeländer wie sie und managte auf Rotumea die Zweigstelle einer Fischereikooperative. Von Anfang an hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass er sie attraktiv fand, und den Anschein erweckt, dass er die Grenzen akzeptierte, die sie setzte. Sie hatte stets darauf geachtet, dass ihre Beziehung rein freundschaftlich blieb.
Plötzlich musste sie einem Maskentölpel, wie man den Clownvogel des Pazifiks nannte, ausweichen, der seelenruhig die Straße überquerte, und sie mahnte sich, sich auf die Straße zu konzentrieren.
Nach Toms Tod hatte Sean ihr wie aus heiterem Himmel eine Affäre vorgeschlagen, was sie, um ihn nicht zu verletzen, so behutsam wie möglich abgelehnt hatte. Über seine wütende und verächtliche Reaktion war sie schockiert gewesen. Die Entschuldigung, die er vorhin vorgebracht hatte, war nichts anderes als eine Beleidigung. Seine Behauptung, sie wäre Toms Geliebte gewesen, machte sie zornig und traurig zugleich. Tom war für sie so etwas wie der Vater gewesen, den sie nie kennengelernt hatte.
In dieser Nacht schlief Jo schlecht und überlegte, ob ein Zyklon im Anzug sei, denn die Luft war noch feuchter als sonst. Im Wetterbericht am nächsten Morgen wurde tatsächlich ein Sturm über dem Pazifik angekündigt, aber zu ihrer Erleichterung würde er mit größter Wahrscheinlichkeit an Rotumea vorbeiziehen.
Als ihre Mitarbeiterin anrief, um sich zu entschuldigen, sie könnte wegen einer dringenden Familienangelegenheit erst am Nachmittag im Laden sein, räumte Jo den Papierkram weg, der sich in den vier Wochen seit Toms Tod angesammelt hatte, und fuhr zu ihrem Geschäft in der einzigen Stadt auf der Insel.
Später, als Savisi erschien, kehrte Jo nach Hause zurück, machte sich eine Kleinigkeit zu essen und wanderte ruhelos in der ihr so vertrauten Umgebung umher, ehe sie beschloss, in der Lagune zu schwimmen. Das würde ihr sicher guttun.
Danach fühlte sie sich dann auch etwas erfrischt, konnte allerdings der Versuchung nicht widerstehen, sich in der Hängematte, die an den unteren Ästen eines Baums befestigt war, eine Weile auszuruhen. Und dann dauerte es nicht lange, bis sie einschlief.
Plötzlich schreckte sie auf, denn jemand hatte sie beim Namen genannt. Sie öffnete die Augen und entdeckte den stattlichen Mann, der nicht weit entfernt von ihr stand. Da die Sonne sie blendete, konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, seine Stimme kam ihr allerdings bekannt vor.
„Verschwinden Sie“, forderte sie ihn schläfrig auf.
„Nein, ganz bestimmt nicht. Stehen Sie auf!“
Es war keine Bitte, sondern ein Befehl, und es überlief sie kalt. Irritiert und empört zugleich kletterte sie aus der Hängematte und fuhr sich mit der Hand durch das volle Haar, während sie ihn forschend ansah.
Oh nein, das ist der Mann von gestern Abend, schoss es ihr durch den Kopf. Mit einem Mal fühlte sie sich seltsam verletzlich in dem Bikini und wünschte, sie hätte den Pareo mitgenommen. Der Unbekannte blickte ihr jedoch nur in die Augen, alles andere schien ihn nicht zu interessieren.
„Das hier ist ein Privatstrand, nur damit das klar ist“, informierte sie ihn.
„Ich weiß. Ich muss mit Ihnen reden.“
Plötzlich dämmerte es ihr. „Sie sind der Notar, stimmt’s?“, fragte sie und setzte ihre Sonnenbrille auf, wie um sich zu schützen. „Ich dachte, Sie kämen erst morgen.“
„Ich bin kein Notar“, entgegnete er kurz angebunden. „Ich bin Luc MacAllister.“
Sie erinnerte sich vage an den Namen, war jedoch so verwirrt, dass sie den Zusammenhang nicht sogleich herstellen konnte. „Gut, Luc MacAllister, was wollen Sie von mir?“
„Mit Ihnen reden, wie ich schon erwähnte“, antwortete er seltsam uninteressiert. „Meine Mutter war Tom Hendersons Frau.“
„Ah ja.“ Jetzt fiel es ihr wieder ein, und sie errötete. Dieser ungemein attraktive Mann war Toms Stiefsohn. Und er schien zornig zu sein. Nach dem Zwischenfall am Vorabend mit Sean nahm Luc MacAllister wahrscheinlich an, sie wäre Toms Geliebte gewesen. Dennoch war das kein Grund für sein beleidigendes oder sogar verächtliches Verhalten.
Es dauerte einige Sekunden, bis sie die Schultern straffte und das Kinn hob, während Luc MacAllister sie mit seinem kühlen Blick zu durchbohren schien.
Doch Erklärungen waren momentan überflüssig, denn der Mann gehörte zu Toms Familie und hatte vor einigen Jahren nach dessen Schlaganfall die Leitung des Firmenimperiums seines Stiefvaters übernommen.
Es sei keineswegs eine freundliche Übernahme gewesen, hatte Tom behauptet, was Jo angesichts Luc MacAllisters arroganten Auftretens sehr plausibel erschien. Doch obwohl Tom aus dem Machtzentrum seines eigenen Konzerns hinauskatapultiert worden war, hatte er seinem Stiefsohn immer noch vertraut und ihn respektiert.
Schließlich hatte sie sich so weit unter Kontrolle, dass sie ihm höflich die Hand reichte. „Tom hat oft von Ihnen gesprochen. Herzlich willkommen, Mr MacAllister.“
Sein kräftiger Händedruck versetzte ihr so etwas wie einen elektrischen Schlag, und sie wäre beinah zurückgewichen. Er ließ ihre Hand jedoch so rasch wieder los, als hätte er sich verbrannt.
Okay, vielleicht hatte sie nicht angemessen reagiert, doch er benahm sich einfach unmöglich. Ganz offensichtlich nahm er Seans gehässige Unterstellung für bare Münze. Schon allein deshalb mochte sie ihn nicht.
„Ich nehme an, Sie wollen mit mir über das Haus reden“, fügte sie hinzu. Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um, griff nach dem Badetuch und schlang es sich um den Körper. „Kommen Sie bitte mit“, forderte sie ihn über die Schulter hinweg auf und eilte ihm voraus durch den Kokospalmenhain.
Luc betrachtete ihre langen Beine und ihre schlanke Gestalt mit den verführerischen Rundungen, ihre nackten Schultern und Arme. In der Sonne schimmerte ihre Haut golden, und das volle braune Haar fiel ihr weit über den Rücken. Unwillkürlich fühlte er sich zu ihr hingezogen und gestand sich ein, dass Tom einen guten Geschmack gehabt hatte. Es war durchaus verständlich, dass er der sinnlichen Ausstrahlung dieser jungen Frau nicht hatte widerstehen können. Selbst in ihren besten Jahren hätte sich seine Mutter nicht mit ihr messen können.
Was für ein absurder Gedanke, schalt er sich selbst. Das änderte jedoch nichts daran, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Noch nie zuvor hatte ihm eine Frau derart den Kopf verdreht. Irgendwie konnte er verstehen, wie frustriert der Mann gewesen sein musste, vor dem er sie auf dem Parkplatz beschützt hatte. Vermutlich hatte sie ihn zutiefst verletzt.
Etwas anderes konnte man von einer Frau, die mit einem Mann geschlafen hatte, der ihr Großvater hätte sein können, wohl nicht erwarten. Sie interessierte sich bestimmt nur für die Höhe des Bankkontos eines Mannes und den eigenen Vorteil.
Er verzog ironisch die Lippen, als er zwischen den Palmen hindurch das Haus erblickte. Eine der Kokosnüsse war Tom zum Verhängnis geworden. Obwohl er sich der Gefahr bewusst gewesen war, in die er sich begab, war er nach einem Zyklon hinausgegangen, weil er jemanden um Hilfe rufen hörte. Eine dieser Früchte war ihm auf den Kopf gefallen, und er war sofort tot gewesen.
Der Kontrast zwischen Toms Refugium, wie er es genannt hatte, und seinen anderen Häusern und Eigentumswohnungen rund um den Globus hätte größer nicht sein können. Das Gebäude im Stil eines tropischen Pavillons war von einer breiten Veranda umgeben, und das Strohdach ruhte auf den Stämmen von Kokosnusspalmen. Statt Mauern versperrten üppig wachsende Pflanzen die Sicht in die ansonsten offenen Räume.
Jo drehte sich um und fragte: „Waren Sie schon einmal hier?“
„In den letzten Jahren nicht mehr.“ Trotz der faszinierenden Schönheit der pazifischen Inseln hatte seine Mutter sich nur ungern hier aufgehalten. Es war ihr zu heiß, zu feucht und zu primitiv gewesen. Sie hatte das Klima wegen ihres Asthmas nicht vertragen. Und auch die Menschen waren ihr zu einfach und langweilig gewesen.
Nachdem Tom sich immer mehr zurückgezogen hatte, hatte er keinen Besuch mehr gewünscht, schon gar nicht von seinem Stiefsohn.
Jetzt war Luc klar, warum nicht. Mit einer Gefährtin wie Joanna Forman hatte er sonst niemanden gebraucht. Er folgte ihr ins Haus und sah sich um. Weder die Bambusmöbel und Muschelschalen noch die sich in der leichten Brise bewegenden Moskitonetze oder die schwarz-weiße Tonvase mit gelben und orangefarbenen Blumen auf dem Bambustisch, nichts entging seinem scharfen Blick, und er überlegte, ob Tom die schlichte Einrichtung und das einfache Leben weitaus besser gefallen hatten als die Eleganz und der Luxus, den er in seinen anderen Häusern und Wohnungen vorgefunden hatte.
„Sehr pazifisch“, bemerkte er kühl.
Jo musste sich eine schnippische Antwort verbeißen. Tom hatte diesen Ort geliebt. Er war trotz seines Reichtums und seines Erfolgs ein bodenständiger Mensch geblieben. Das nach allen Seiten hin offene Haus war den klimatischen Verhältnissen entsprechend gebaut und ließ jede kühle Brise hereindringen.
Ist Toms Stiefsohn etwa ein arroganter Snob? fragte sie sich. Aber weshalb interessierte sie das überhaupt? Luc MacAllister bedeutete ihr nichts. Er wollte sie wahrscheinlich nur darauf vorbereiten, dass sie ausziehen musste. Damit hatte sie gerechnet und plante, eine kleine Wohnung in der Stadt zu mieten.
„Die Insel liegt ja auch im Pazifik, und man baut hier klimagerecht“, entgegnete sie schließlich ruhig.
„Ja, das kann ich nachvollziehen.“ Er schaute sich suchend um. „Gibt es hier auch ein Gästezimmer?“
Der herablassende Ton, der in seiner Stimme schwang, machte sie zornig. Am liebsten hätte sie ihn aufgefordert, zu verschwinden und in dem exklusiven Urlaubsresort zu bleiben, wo Leute wie er hingehörten. Doch sie beherrschte sich und erkundigte sich höflich: „Haben Sie vor, hier zu übernachten?“
„Natürlich. Warum auch nicht?“, erwiderte er spöttisch.
Dieser arrogante Kerl, schoss es ihr durch den Kopf. „Gut, dann richte ich Ihnen ein Bett her.“
Er zog die dichten dunklen Augenbrauen hoch und betrachtete das schmiedeeiserne Bett hinter dem weißen Gitter. „Gibt es denn in diesem Haus keine einzige Wand?“, wollte er wissen.
„Hier sind Wände überflüssig, denn man respektiert die Privatsphäre. Niemand käme auf die Idee, jemanden unaufgefordert zu besuchen. Tom hatte nie Gäste.“
„Und wo schlafen Sie?“ Seine Stimme klang kalt wie Eis.
Als Jo dem durchdringenden Blick Luc MacAllisters begegnete, verspürte sie ein Kribbeln im Bauch. Sie versuchte, es zu ignorieren, und antwortete: „Mein Zimmer befindet sich am anderen Ende des Hauses.“
Er schien darüber nicht glücklich zu sein, wie seine Miene verriet. Erwartete er etwa, dass sie von heute auf morgen auszog? Dann hatte er sich getäuscht. Es wäre eine freundliche Geste gewesen, wenn er sein Kommen angekündigt hätte, aber wahrscheinlich glaubte er, das hätte er nicht nötig. „Es macht Ihnen sicher nichts aus, in Toms Bett zu schlafen, oder?“, sagte sie und hoffte, er hätte etwas dagegen.
Zu ihrer Enttäuschung erwiderte er jedoch: „Natürlich nicht.“
„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, erkundigte sie sich höflich.
Sogar sein leichtes Schulterzucken ging ihr unter die Haut, und sie ärgerte sich über ihre Reaktion auf diesen Mann.
Vielleicht spürte er, was in ihr vorging, jedenfalls erklärte er schroff: „Bitte einen Kaffee. Ich hole unterdessen mein Gepäck.“
Jo wandte sich ab und ging in die Küche. Es würde zu seinem machohaften Gehabe passen, den Kaffee stark und schwarz zu trinken. Sie kannte Männer wie ihn. Tom hatte nie viel über seine Familie erzählt, doch das wenige reichte aus. Obwohl er am liebsten die Kontrolle über sein Firmenimperium selbst behalten hätte, hatte er betont, Luc wäre für seine Nachfolge besser geeignet als jeder andere. Tom hatte sich die Menschen, denen er vertraute, sorgsam ausgesucht. Es musste sich um ganz besondere und starke Charaktere handeln.
In dieses Muster passte Luc MacAllister perfekt, wie sie sich schaudernd eingestand. Sie vermisste Tom sehr. In den zwei Jahren seit dem Tod ihrer Tante war er ihr ans Herz gewachsen. Er war ein wunderbarer Geschichtenerzähler gewesen und hatte sie oft zum Lachen gebracht, aber manchmal auch schockiert.
Seit ihrer Kindheit hatte er mehr oder weniger zu ihrem Leben gehört, und sie fragte sich, ob sie für ihn so etwas wie ein Ersatz für die Tochter gewesen war, die er nicht gehabt hatte. Als sie mit dem Geld, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, das Geschäft für Naturkosmetika gründete, hatte Tom ihr finanziell über die erste schwierige Zeit hinweggeholfen. Es war eine rein geschäftliche Vereinbarung gewesen, und seine wertvollen Ratschläge hatte sie sehr zu schätzen gewusst.
„Es duftet nach Kaffee“, riss Lucs Stimme sie aus den Gedanken. „Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?“, fügte er hinzu, als er die Tasse erblickte, die sie schon aus dem Schrank genommen hatte.
„Wenn Sie möchten“, erwiderte sie ruhig, obwohl sie lieber abgelehnt hätte.
Einige Sekunden zu lange betrachtete sie seine zu einem spöttischen Lächeln verzogenen Lippen und wurde sich des erotischen Knisterns zwischen ihnen allzu sehr bewusst.
„Klar, warum auch nicht? Ich fange an auszupacken, bis der Kaffee fertig ist“, verkündete er und verschwand.
Schließlich servierte sie Kaffee und Kuchen auf der schattigen Veranda, und kurz darauf erschien auch Luc.
„Haben Sie den selbst gebacken?“ Interessiert betrachtete er den Kuchen.
„Ja.“ Sie schenkte den Kaffee ein und hatte richtig vermutet, er trank ihn schwarz.
Während er sich ein Stück Kokosnusskuchen schmecken ließ, wollte er alles Mögliche über Rotumea und die Menschen wissen.
Dass er beabsichtigte, das Haus zu verkaufen, war ihr klar. Dennoch sprach es für ihn, dass er selbst gekommen war, statt sie schriftlich aufzufordern auszuziehen. Sie hing an dem Gebäude, und es würde ihr sehr schwerfallen, es zu verlassen. Doch sie konnte es nicht ändern.
„Das war köstlich“, stellte er schließlich fest und lehnte sich zurück.
Sie beschloss, das Thema selbst anzuschneiden, statt noch länger im Unklaren zu bleiben. „Ich kann sofort ausziehen, wenn Sie es möchten“, schlug sie deshalb übergangslos vor.
Er zog die Augenbrauen hoch. „Warum bieten Sie mir das an?“
„Weil ich annehme, dass Sie das Haus verkaufen wollen“, erwiderte sie verblüfft.
„Nein, das habe ich nicht vor“, entgegnete er nach kurzem Zögern. „Vorerst jedenfalls nicht.“
„Es war Toms Traum, hier zu leben.“ Sie zuckte mit den Schultern.
„Na und?“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich hier wohlfühlen.“ In einem Anflug von Feindseligkeit konnte sie sich nicht verkneifen hinzuzufügen: „Ich versuche allerdings immer, die Menschen nicht nach dem ersten Eindruck zu beurteilen.“
„Sehr vernünftig“, war alles, was er dazu zu sagen hatte. „Haben Sie hier Internetanschluss?“
„Eigentlich müssten Sie wissen, dass Ihr Vater …“
„Er war mein Stiefvater“, unterbrach er sie. „Mein Dad war Schotte und ist gestorben, als ich drei war.“
Und meiner schon vor meiner Geburt, dachte sie und empfand ein gewisses Mitgefühl, das ihr jedoch verging, als sie seine ausdruckslose Miene bemerkte. „Wir haben hier einen Breitbandinternetzugang.“ Sie wies in eine Ecke, wo Toms Schreibtisch mit dem abgedeckten Computer stand.
„Fein. Beim Landeanflug ist mir aufgefallen, dass die Insel nicht besonders groß ist und nur von einer Straße umrundet wird. Haben Sie Lust, mit mir eine Erkundungsfahrt zu machen?“
„Natürlich.“ Warum interessiert er sich plötzlich für Rotumea? überlegte sie erstaunt. „Aber nicht auf dem Motorroller, oder?“
Er schenkte ihr ein Lächeln, das ihr fast den Atem raubte. Natürlich war er sich seiner charismatischen Ausstrahlung sehr bewusst, dessen war sie sich sicher, und er wusste genau, was er tat, denn er hatte offenbar einen scharfen Verstand und einen eisernen Willen.
„Nein. Es würde mir absolut keinen Spaß machen, mir bei jeder Bodenwelle die Knie ins Kinn zu rammen.“
Als sie unbekümmert auflachte, sah er sie so streng an, dass sie schockiert innehielt. Passte es ihm etwa nicht, dass man seine kleinen Scherze lustig fand?
Dann deutete er wieder ein Lächeln an, das allerdings ziemlich spöttisch wirkte.
„Dann nehmen wir doch besser den Landrover“, verkündete sie betont gleichgültig, in der Annahme, dass er Toms alten, aber sehr gepflegten Geländewagen selbst fahren wollte.
„Nein, Sie kennen sich hier mit den Verkehrsregeln besser aus als ich“, lehnte er jedoch zu ihrer Überraschung ab, als sie ihm den Autoschlüssel reichen wollte.
Und dann überraschte er sie noch einmal, indem er ihr die Wagentür aufhielt und sie hinter ihr schloss. Während er um den Landrover herumlief, fiel ihr auf, wie geschmeidig sich dieser athletisch wirkende, große Mann bewegte. Unwillkürlich erbebte sie.
Er ist einfach zu männlich und zu attraktiv, und ich bin mir seiner Gegenwart viel zu sehr bewusst, dachte sie und startete den Motor, nachdem Luc MacAllister neben ihr auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie sich wie ein verliebter Teenager benahm.
„Im Straßenverkehr lautet hier die erste Regel, niemanden und nichts zu überfahren“, erklärte sie. „Zusammenstöße lösen immer ein Drama aus. Man fährt auf der Insel jedoch so langsam, dass nur selten jemand ernsthaft verletzt wird. Wenn man einen Unfall verursacht, ein Huhn oder ein Schwein überfährt, entschuldigt man sich bei dem Besitzer und bezahlt den Schaden. Bei Motorrollern mit Kindern auf dem Soziussitz ist besondere Vorsicht geboten.“
„Es sieht auch sehr gefährlich aus.“ Er drehte sich zu ihr um.
Sie tat so, als merkte sie es nicht, und sagte ruhig: „Man könnte fast glauben, die einheimischen Kinder kämen schon als perfekte Soziusfahrer zur Welt.“
Ihre Reaktion auf diesen Mann war völlig irrational. Bei ihrem ersten Liebeskummer hatte ihre Mutter ihr klargemacht, dass eine starke körperliche Anziehungskraft kurzlebig und völlig bedeutungslos sei. Durch ihre eigenen wenigen Erfahrungen hatte sie später begriffen, wie recht ihre Mutter gehabt hatte.
Die Fahrt verlief relativ ruhig, und sie achteten beide sorgfältig darauf, keine Grenzen zu überschreiten. Dennoch war das Knistern zwischen ihnen deutlich zu spüren.
Aus Lucs gelegentlichen Bemerkungen schloss sie, dass ihn die Romantik dieser Südseeinsel nicht beeindruckte. Entweder kannte er weitaus malerischere Gegenden als Rotumea, oder er hatte kein Verständnis für so traumhaft schöne Orte.
„Tom hat erwähnt, dass die Einheimischen beinah noch so leben wie ihre Vorfahren“, sagte er.
„Na ja, mehr oder weniger. Es gibt natürlich Schulen, ein Krankenhaus und eine kleine Tourismusindustrie, die Tom zusammen mit den Insulanern aufgebaut hat.“
„Sie meinen das Urlaubsresort, oder?“
„Ja. Er hat dem Stammesrat empfohlen, sich auf die reiche Kundschaft zu konzentrieren, die einen ruhigen Urlaub vorzieht. Der Erfolg hat ihm recht gegeben.“ Sein Blick machte sie ganz nervös, und sie fuhr hastig fort: „Viele haben dort einen Job gefunden, aber die meisten Bewohner arbeiten in der Landwirtschaft oder als Fischer.“
„Und alle sind zufrieden damit, ein eher bescheidenes Leben in diesem perfekten pazifischen Paradies zu fristen.“
Sie ärgerte sich über die ironische Bemerkung, erwiderte jedoch gelassen: „Perfekt war und ist es keineswegs. Egal, wie schön es irgendwo ist, die Menschen können offenbar nicht in Frieden miteinander leben. Früher gab es hier Stammeskriege, und auch heutzutage ist nicht alles in bester Ordnung, doch im Großen und Ganzen funktioniert das Zusammenleben ganz gut.“
„Welche Chancen haben die, die andere Berufswünsche und Lebensziele haben?“
Sie sah ihn kurz an. Offenbar hatte Tom ihn nicht ins Vertrauen gezogen, was einiges über die Beziehung der beiden aussagte. „Ihr Stiefvater hat für begabte junge Menschen, die studieren wollen, Stipendien gestiftet.“
Luc nickte. „Okay, und wo studieren sie?“
„Die meisten in Neuseeland, einige aber auch in anderen Ländern.“
„Kommen sie zurück?“
„Nicht alle. Diejenigen, die wegbleiben, unterstützen später ihre Familien finanziell.“
„Und weshalb haben Sie sich entschlossen, hier zu leben?“
„Ich bin wegen meiner Tante hergekommen. Sie war Toms Haushälterin und wollte ihn nicht im Stich lassen, als sie an Krebs erkrankte. Zwar hatte Tom eine junge Frau engagiert, die ihr half, aber nach dem Tod meiner Mutter bat meine Tante mich herzukommen.“
„Und als sie gestorben ist, haben Sie ihren Platz eingenommen.“
Was genau wollte er damit sagen? Sie zögerte sekundenlang, ehe sie antwortete: „So kann man es nennen.“
Sie war nicht Toms Angestellte gewesen, sondern er hatte ihr vorgeschlagen, auf Rotumea zu bleiben, bis sie über den Verlust ihrer Tante hinweg sei. Doch als sie dann das kleine Unternehmen gründete, hatte er ihr angeboten, sie könnte im Haus wohnen bleiben, weil ihm ihre Gesellschaft guttat.
„Womit beschäftigen Sie sich jetzt so ganz allein und ohne Tom?“, wollte Luc wissen.
„Ich habe ein eigenes Geschäft und lasse aus einheimischen Pflanzen Naturkosmetika herstellen.“
„Ach, tatsächlich?“ Er schien überrascht zu sein. „Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?“
„Durch die makellose Haut der Einheimischen. Sie halten sich den ganzen Tag im Freien auf oder auf dem Wasser und benutzen ausschließlich die Hautpflegemittel, die ihre Vorfahren schon seit Hunderten von Jahren kannten.“
„Das liegt wohl eher an den Genen.“
„Die spielen sicher auch eine Rolle“, erwiderte sie ruhig, obwohl sie sich über sein offenkundiges Desinteresse ärgerte. „Aber auch die Nachkommen europäischer Einwanderer verwenden die Cremes und Öle aus einheimischen Pflanzen.“
„Und Sie haben dann die Rezepturen kopiert“, stellte er fest.
Sie glaubte, darin einen versteckten Vorwurf zu hören, und atmete tief durch, ehe sie antwortete: „Es handelt sich um ein Joint Venture, ein Gemeinschaftsunternehmen.“
„Von wem haben Sie das Startkapital?“
Obwohl es wie eine beiläufige Frage klang, lag ihr eine scharfe Entgegnung auf der Zunge. Sie beherrschte sich jedoch und erklärte: „Das ist allein meine Sache, wie ich finde.“
„Wenn Tom Ihnen finanziell geholfen hätte, wäre es auch meine Sache“, wandte er ein.
„Da haben Sie recht“, gab sie ärgerlich zu und zögerte sekundenlang, ehe sie wahrheitsgemäß hinzufügte: „Das Startkapital konnte ich selbst aufbringen.“
Sollte er doch glauben, was er wollte. Wahrscheinlich würde er sowieso erfahren, dass Tom ihr nach der Geschäftseröffnung ein Darlehen gewährt hatte. Vielleicht hatte er sie in seinem Testament erwähnt und ihr sogar die Schulden erlassen. Und wenn nicht, werde ich Luc als dem Alleinerben den Betrag so schnell wie möglich zurückzahlen, dachte sie.
„Ist es lukrativ?“, erkundigte er sich kühl.
„Ja“, lautete ihre kurz angebundene Antwort, während sie das Lenkrad angespannt umklammerte und auf den unbefestigten Weg abbog, der in die mit Urwäldern bedeckten Berge in der Mitte der Insel führte.
Unbeeindruckt von dem holprigen Weg, dem Abgrund auf der einen Seite und dem Schwein, das nur langsam aufstand, um ihnen Platz zu machen, betrachtete Luc die Papayaplantage, an der sie vorbeifuhren.
„Hier in der Gegend holen wir uns die Zutaten für unsere Produkte“, erzählte sie. „Die Besitzer haben mir gegen ein Entgelt das Recht eingeräumt, dass ich drei Monate im Jahr auf ihrem Land ernten darf. Die Pflanzen haben dann Zeit, sich zu erholen, und das Beschneiden fördert offenbar ihr Wachstum.“
„Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie dafür?“
„Das organisieren die Besitzer selbst.“
Sie hielt auf dem großen Parkplatz am Ende des Weges an. „Von hier aus hat man einen herrlichen Blick über die Insel“, sagte sie und stieg aus.
Er folgte ihr, und sie war sich wieder einmal seiner charismatischen Ausstrahlung allzu sehr bewusst. Die von der Sonne gebleichten Strähnen in seinem braunen Haar schimmerten golden. Vermutlich war seine leicht gebräunte Haut das Erbe seiner französischen Mutter.
Sein Blick wirkte wie immer kühl und unbeteiligt, doch Jo konnte sich durchaus vorstellen, dass es in bestimmten Situationen in seinen Augen sanft oder leidenschaftlich aufleuchtete.
Sie erbebte insgeheim und verdrängte den Gedanken rasch wieder. Obwohl sie ihn erst kurze Zeit kannte, war sie sich ziemlich sicher, dass er zu solchen Regungen nur ganz selten fähig war.
Doch eigentlich konnte sie sich noch gar kein Urteil über ihn erlauben, außerdem war sie gut aussehenden Männern gegenüber sowieso voreingenommen.
Sie nahm sich zusammen und konzentrierte sich darauf, ihm die Sehenswürdigkeiten zu zeigen.
„Der einzige Fluss der Insel mündet dort unter uns ins Meer und sorgt so dafür, dass sich die Korallen an der Stelle nicht weiter ausbreiten.“ Sie hörte sich an wie eine erfahrene Reiseleiterin. „Die Lücke im Riff und die Lagune bilden eine Art Naturhafen, den die ersten Siedler benutzten.“
„Wann und woher kamen sie?“ Seine Stimme klang ruhig und sachlich, doch sein durchdringender Blick verursachte ihr Herzklopfen.
„Vermutlich vor fünfzehnhundert Jahren aus dem heutigen Französisch-Polynesien.“
„Es müssen mutige und geschickte Seeleute gewesen sein. Sie wagten sich hinaus in die Ferne und überließen sich vertrauensvoll der Führung der Gestirne“, meinte er nachdenklich.
Wie alle Neuseeländer kannte sie die Geschichten über die kühnen Seefahrer. Luc war jedoch in England und Frankreich aufgewachsen, wenn sie sich richtig erinnerte. Es war also ziemlich unwahrscheinlich, dass er etwas gehört hatte über die Auslegerboote, mit denen sie von Insel zu Insel reisten und damit sogar große Distanzen auf dem offenen Meer bis nach Südamerika zurücklegten. Von dort brachten sie die Süßkartoffel mit, die die Maori dann Kumara nannten.
„Und harte und kühne Gesellen“, fuhr er fort, ohne den Blick abzuwenden von dem türkisblauen Wasser der Lagune, den weißen Sandstränden und dem Korallenriff. Jenseits davon erstreckte sich der Pazifische Ozean in seiner unendlichen Weite bis zum Horizont. „Es gehörten Ausdauer, Entschlossenheit, Geschick und spezielle Kenntnisse dazu, die Orientierung auf den Seereisen nicht zu verlieren.“
„Ja, das stimmt. In einem Zeitraum von mehreren Tausend Jahren haben sie alle bewohnbaren Inseln im Pazifik von Hawaii bis Neuseeland entdeckt.“ Sie wies auf das Atoll, das aus kleinen Inseln bestand, die man nach dem polynesischen Wort für Insel auch als Motu bezeichnete und die mit Kokospalmen bewachsen waren. „Als die ersten Siedler hier ankamen, ankerten sie vorsichtshalber in der Lagune, um im Notfall rasch wieder wegzukommen, weil sie keine Ahnung hatten, was sie auf Rotumea erwartete.“
„Es ist nichts Schlimmes passiert, oder?“
„Nein, sie hatten Glück, die Insel war unbewohnt. Vermutlich brachten sie Kokosnüsse, Süßkartoffeln, Taros und Maulbeerbäumchen mit. Und natürlich auch Hunde und Ratten.“
„Sie sind offenbar in der Geschichte der Insel sehr bewandert“, stellte er spöttisch fest.
Was für ein unleidlicher Kerl, schoss es ihr durch den Kopf. Der Gedanke gefiel ihr so gut, dass sie sich lächelnd zu ihm umdrehte und betont liebenswürdig erklärte: „Oh ja. Ich finde sie faszinierend, und schon allein die Höflichkeit erfordert es, dass man Bescheid weiß über den Ort, an dem man lebt. Und auch über die Menschen.“
„Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Gut informiert zu sein, ist geradezu ein Muss in der heutigen Geschäftswelt.“
Sein freudloses Lächeln und die vermutlich ironisch gemeinte Bemerkung gefielen ihr nicht. Dennoch machte es ihr Spaß, sich mit ihm zu unterhalten, was nicht ungefährlich für ihr Gefühlsleben war. Glücklicherweise würde er Rotumea bald wieder verlassen. Er war mit Sicherheit viel zu beschäftigt, um sich lange hier aufzuhalten. Nachdem er den weißen Sand und die rote Vulkanerde Rotumeas von den eleganten Schuhen abgewischt hatte, würde er nie wieder zurückkommen, und sie hatte nichts mehr mit ihm zu tun. Und das war eine ungemein beruhigende Vorstellung.
„Wir sollten weiterfahren. Ich möchte noch vor Ladenschluss ins Geschäft“, sagte sie schließlich und drehte sich um, um zum Auto zurückzugehen.
Plötzlich stolperte sie, und ehe sie überhaupt begriff, wie ihr geschah, packte er sie an den Schultern und hielt sie fest. Wie erstarrt stand Jo da und sah ihm in die zusammengekniffenen Augen, während ihr Puls anfing zu rasen. Sie hatte das Gefühl, seine charismatische Ausstrahlung körperlich zu spüren.
Sekundenlang verstärkte er den Griff, ehe er ihn lockerte. Doch statt sie loszulassen, zog er sie an sich und blickte sie aufmerksam an.
Sie schaffte es nicht, sich von ihm zu lösen, sondern schaute ihm wie gebannt und seltsam hilflos in die Augen, in denen sich dasselbe leidenschaftliche Verlangen spiegelte, das auch sie empfand. Jeder vernünftige Gedanke war wie ausgelöscht, und als er sie an sich presste und sanft küsste, gab sie sich ganz dem herrlichen Augenblick hin.
In seinen starken Armen fühlte sie sich unendlich geborgen, und die kleine innere Stimme, die sie davor warnte, sich auf das einzulassen, was sie sich beide ganz offensichtlich wünschten, hätte sie lieber ignoriert.
Nein, ich darf mich nicht zu etwas hinreißen lassen, was ich später bitter bereue, sagte sie sich. Er kam ihr jedoch zuvor, löste sich von ihr und hob den Kopf. Wie benommen öffnete sie die Augen. Beim Anblick seiner eisigen Miene fühlte sie sich zutiefst gedemütigt.
„Für einen solchen Schritt ist es viel zu früh, meinen Sie nicht auch?“ Es dauerte einige Sekunden, bis sie die Bedeutung begriff. Und dann fügte er auch schon verächtlich hinzu: „Immerhin ist Tom erst vor Kurzem gestorben. Sie könnten wenigstens so tun, als vermissten Sie ihn.“
Das habe ich Sean mit seiner schmutzigen Fantasie zu verdanken, dachte sie. Energisch hob sie das Kinn und zwang sich, Lucs unerbittlichem Blick standzuhalten. „Was Sie mir da indirekt unterstellen, ist absurd. Das empfinde ich als Beleidigung.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ersparen Sie mir die Einzelheiten.“
„Gern, wenn Sie mir solche infamen Unterstellungen ersparen“, entgegnete sie ärgerlich.
Nach kurzem, beredtem Schweigen nickte er. „Ihre und Toms Beziehung interessiert mich nicht“, behauptete er, obwohl es nicht stimmte. Er spürte, dass sie sich leicht entspannte. Offenbar glaubte sie ihm. Aus unerfindlichen Gründen störte es ihn, sich Jo in Toms Bett vorzustellen.
Der Gedanke, sie in den Armen zu halten und sie leidenschaftlich zu lieben, war ungemein verlockend, wie er sich eingestand. Allerdings konnte er nicht ausschließen, dass sie ihm nur etwas vorgespielt hatte. Und das ernüchterte ihn.
„Nur zu Ihrer Information“, erklärte sie mit klarer, fester Stimme, während sie ihn mit ihren grünen Augen kühl ansah. „Als Kind habe ich die Ferien oft hier bei meiner Tante Luisa verbracht. Meine Mutter war viel unterwegs, und Tom hatte nichts gegen meine Besuche. Wir haben uns immer gut verstanden. Das war alles, mehr war da nicht.“ Ihre letzten Worte klangen so schmerzerfüllt, als hätte sie Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
Insgeheim beglückwünschte Luc sie zu dieser kleinen Szene. Das hatte sie gut gespielt. Es ließ die ganze Sache plausibel erscheinen. Außerdem passte ihre Erklärung zu dem, was er über sie erfahren hatte. Sie hatte die besten Privatschulen besucht, die vermutlich die reichen Liebhaber ihrer Mutter bezahlt hatten. Doch sie hatte nicht dieselbe Karriere eingeschlagen wie ihre Mutter, sondern ein naturwissenschaftliches Studium mit der Diplom-Prüfung abgeschlossen und promoviert, kurz bevor Ilona Forman erkrankte.
Joanna hatte schließlich ihre Stelle bei einem namhaften Unternehmen aufgegeben, um ihre Mutter zu pflegen. Anschließend hatte sie sich um ihre kranke Tante gekümmert, die sich weigerte, Rotumea zu verlassen. Entweder besaß sie ein großes Verantwortungsbewusstsein ihren Familienangehörigen gegenüber, oder sie hatte die günstige Gelegenheit ergriffen, um sich Tom zu nähern.
Jedenfalls hatte es sich für sie gelohnt.
Forschend betrachtete er ihr schönes Gesicht mit der makellosen Haut. Obwohl eine verräterische Röte ihre Wangen überzog, verriet ihr ruhiger, offener Blick keine Gefühlsregung.
Überlegte sie, ob er ihr glaubte, dass sie mit Tom keine intime Beziehung gehabt hatte? Er verdrängte seinen Ärger, denn er durfte nicht vergessen, dass er die nächsten sechs Monate mit ihr unter einem Dach leben musste. Und dass er ihr Einverständnis brauchte, ehe er die alleinige Kontrolle über den Henderson-Konzern erhielt.
„Okay, lassen wir damit die Sache auf sich beruhen“, sagte er zu ihrer Überraschung und reichte ihr die Hand.
Zögernd ergriff Jo sie, doch als er die langen, kräftigen Finger um ihre schloss, verspürte sie wieder dieses verräterische Kribbeln im Bauch. Ihr Atem ging viel zu schnell, und sie konnte sich nur mühsam beherrschen, die Hand nicht sogleich zurückzuziehen.
Natürlich glaubte er ihr nicht, was ihr eigentlich egal sein konnte. Aber aus Gründen, über die sie lieber nicht nachdenken wollte, war es das nicht.
Er begleitete sie in den Laden, und sie war erstaunt über sein Interesse an den Kosmetika, die sie anbot. Ihr entgingen auch nicht die bewundernden Blicke ihrer Mitarbeiterin. Hier bin ich zuständig, er hat kein Recht, so kompetent zu wirken, dachte Jo gereizt. Dieser Mann hatte etwas an sich, was die seltsamsten Regungen in ihr auslöste. Es hatte nichts mit seiner Vermutung zu tun, sie und Tom hätten eine Affäre gehabt, sondern es war etwas viel Ursprünglicheres und Gefährlicheres, wie sie sich eingestand.
Ich muss mich der Sache stellen und über die Wirkung, die er auf mich hat, hinwegkommen, mahnte sie sich.
Auf der Rückfahrt stellte er unvermittelt fest: „Sie brauchen bessere Verpackungen.“
Dessen war sie sich bewusst. Wieso aber hielt er sich für einen Experten in dieser Frage? „Etwas anderes kann ich mir momentan nicht erlauben“, erwiderte sie ruhig, während sie auf die Einfahrt zu Toms Haus abbog.
„Haben Sie noch nie daran gedacht, sich einen Geschäftspartner zu nehmen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Ich möchte die alleinige Kontrolle über mein kleines Unternehmen behalten.“ Sie parkte den Wagen vor dem Haus, stellte den Motor ab und blickte Luc herausfordernd an.
Er zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Das ist verständlich. Doch wenn Sie irgendwann einmal mit den Umsätzen nicht mehr zufrieden sind, werden Sie sich wohl oder übel zu diesem Schritt entschließen müssen“, wandte er ein.
„Das ist vorerst bestimmt nicht nötig“, erklärte sie kühl. Als Tom ihr denselben Vorschlag unterbreitete, hatte sie sein Angebot, ihr ein weiteres Darlehen zu gewähren, abgelehnt. Damals hatte sie allerdings das ungute Gefühl nicht gehabt, das sie jetzt beschlich.
Lucs Kuss hatte alles grundlegend verändert, und irgendwie konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sie als seine Beute betrachtete. Doch das war lächerlich. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann und Manager des internationalen Konzerns seines Stiefvaters, für sie interessierte er sich bestimmt nicht.
Es war eine riesige Dummheit gewesen, dass sie sich überhaupt von ihm hatte küssen lassen. Damit hatte sie ihn nur in seiner Überzeugung bestärkt, dass Seans beleidigende Unterstellung zutraf.
Warum es sie störte, verstand sie selbst nicht, denn weder Sean noch Luc bedeuteten ihr etwas. Außerdem würde er aus ihrem Leben wieder verschwinden, sobald er das Haus verkauft hatte.
„Ich mache mir keine Illusionen darüber, was möglich ist und was nicht“, fügte sie hinzu.
„Das klingt so, als beabsichtigten Sie, für immer auf Rotumea zu bleiben“, stellte er fest, ohne eine Miene zu verziehen.
„Warum auch nicht? Können Sie sich einen schöneren Platz vorstellen als diese Insel?“
„Träumen Sie ruhig weiter in Ihrem kleinen Paradies. Vielleicht wachen Sie doch noch eines Tages auf.“ Es klang verächtlich.
„Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie herablassend Sie sich mir gegenüber verhalten?“, machte Jo ihrem Ärger über seine seltsame Bemerkung Luft.
„Das war nicht beabsichtigt“, lenkte Luc ein. „Rotumea ist nur ein winziger Punkt mitten im riesigen Ozean und bietet nur einen kleinen Absatzmarkt. Wenn Ihre Kosmetika wirklich gut sind, möchten Sie sie doch sicher auch in anderen Ländern vertreiben, oder?“
Sekundenlang zögerte sie und sah, wie er langsam die Lippen verzog, als wollte er triumphierend lächeln.
Deshalb erklärte sie hitzig: „Wenn es bedeutet, dass ich mir einen Geschäftspartner zulegen muss und nicht mehr allein entscheiden kann, verzichte ich gern darauf. Ich habe mit den Einheimischen gute Regelungen getroffen, und ich schätze die Leute, mit denen ich zusammenarbeite. Ich nehme ihre Wünsche und Bedürfnisse ernst und bezweifle, dass ich glücklicher wäre, wenn ich riesige Umsätze machen und in einem luxuriösen Penthouse in einer lauten Großstadt, in der die Luft mit Abgasen vergiftet ist, wohnen würde.“ Sie machte eine Pause, ehe sie ruhiger hinzufügte: „Und nur damit das klar ist: Meine Naturkosmetika sind nicht nur gut, sondern hervorragend und unübertroffen.“
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