Romantic Thriller Spezialband 3023 - 3 Romane - Alfred Bekker - E-Book

Romantic Thriller Spezialband 3023 - 3 Romane E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Jägerin des Grauens (Alfred Bekker) Anikas Schatten (Carol East) Eine Braut des Teufels (Ann Murdoch) Hexenkräfte in London? Journalistin Helen Jefferson, Parapsychologie-Professor Thomas Harding und Inspector David Lane werden in rätselhafte Ereignisse rund um Telekinese, Teleportation und weitere Phänomene hineingezogen. Dreh- und Angelpunkt dieser Vorfälle scheint die junge und schöne Carina Roberts zu sein. Inspector Lane, der den mysteriösen Fall nicht nur aus beruflichen Gründen verfolgt, hat eine harte Nuss zu knacken, denn alles ist anders, als es scheint …

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Romantic Thriller Spezialband 3023 - 3 Romane

Romantic Thriller Spezialband 3023 - 3 Romane

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Inhaltsverzeichnis

Romantic Thriller Spezialband 3023 - 3 Romane

Copyright

Jägerin des Grauens

Anikas Schatten

Eine Braut des Teufels

Romantic Thriller Spezialband 3023 - 3 Romane

von Alfred Bekker, Carol East, Ann Murdoch

Dieser Band enthält folgende Romane:

Jägerin des Grauens (Alfred Bekker)

Anikas Schatten (Carol East)

Eine Braut des Teufels (Ann Murdoch)

Hexenkräfte in London?

Journalistin Helen Jefferson, Parapsychologie-Professor Thomas Harding und Inspector David Lane werden in rätselhafte Ereignisse rund um Telekinese, Teleportation und weitere Phänomene hineingezogen. Dreh- und Angelpunkt dieser Vorfälle scheint die junge und schöne Carina Roberts zu sein. Inspector Lane, der den mysteriösen Fall nicht nur aus beruflichen Gründen verfolgt, hat eine harte Nuss zu knacken, denn alles ist anders, als es scheint …

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Jägerin des Grauens

Ein Roman aus der Serie Patricia Vanhelsing

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 104 Taschenbuchseiten.

Auf einem harmlos scheinenden Jahrmarkt lauert eine Kreatur des Grauens - ein Abenteuer mit Patricia Vanhelsing, der Jägerin der Nacht.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/COVER STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

Das Wesen erwachte aus einem traumlosen, todesähnlichen Schlaf.

Unruhe herrschte in ihm.

Und der unwiderstehliche Drang, zu töten.

Es lauerte in der Dunkelheit. Unsichtbar, körperlos und... böse!

Lange nach Mitternacht war es, und auf dem Jahrmarkt stand jetzt alles still.

Der Trubel des Tages war längst vorbei.

Wie ein riesiges spinnenartiges Monstrum hob sich das große Riesenrad dunkel gegen den Nachthimmel ab. Ein kühler Wind wehte zwischen den geschlossenen Jahrmarktbuden hindurch, die vom Mond in ein fahles Licht getaucht wurden. Das Wesen streifte durch die engen Gassen, die zwischen den Buden gelassen worden waren. Es spürte den tosenden Strudel voll dunkler Kräfte in seinem Inneren, die es zu zerreißen drohten. Eine fiebrige Unrast trieb es vorwärts, immer schneller zwischen den Karussells und Losbuden, den Schießständen und Snack Bars hindurch, die jetzt aussahen wie große, unförmige Holzkisten.

Dann kam die Geisterbahn, an deren Eingang die Nachbildung eines riesigen Gorillas neben der Figur eines grimmig dreinschauenden, einbeinigen Piraten stand. Der Pirat hielt einen Säbel in der Hand. Tagsüber, wenn die Anlage eingeschaltet war, hieb er damit nach einem Flugsaurier, der an fast unsichtbaren Fäden hing. Das Untier schwebte immer wieder auf den Piraten zu, vor dessen Säbelhieben es dann zurückwich.

Ein Schauspiel, das die Kinder in seinen Bann zog und dafür sorgte, dass sich so manche Eltern dazu überreden ließen, mit ihren Kleinen in die Geisterbahn zu gehen. Das Kassenhäuschen wurde von einem Skelettkrieger bewacht, auf dessen grinsendem, augenlosen Totenschädel sich ein gehörnter Wikingerhelm befand. In der Rechten hielt der Skelettkrieger eine geradezu monströs wirkende Streitaxt, an deren Schneide sich dunkelrote Flecken befanden... Kein Blut!, dachte das Wesen sofort. Nur Farbe... Die Aura des echten Schreckens, der wirklichen Todesangst, war an diesem Ort nicht zu spüren.

Noch nicht.

Aber ich werde sie hier herbringen!, dachte das Wesen, und ein schauderhaftes Lachen war auf dem nächtlichen Rummelplatz zu hören.

Ein Lachen, das sich mit dem Wind vermischte und in diesem Moment allenfalls die Ratten erschreckte, die sich zu dieser späten Stunde die Reste von Zuckerwatte und Pommes Frites holten.

Das Wesen lauerte in der Dunkelheit einer finsteren Nische. Es wartete.

Auf ein Opfer.

2

"Hast du das gehört, Eric?"

Die junge Frau wirbelte herum und löste sich von dem hochgewachsenen jungen Mann mit den kurzen blonden Haaren. Eric schüttelte den Kopf und sah sie verständnislos an.

"Wovon redest du, Linda?"

"Da lacht doch jemand."

"Ach, was, du hörst Gespenster!"

"Nein, wirklich!"

"Linda..."

"Hör doch mal hin!"

Sie fasste nach seiner Hand und drückte sie, während sie gemeinsam in die Nacht hineinlauschten. Ihre Blicke wanderten über den Jahrmarkt, der noch vor zwei Stunden ein Ort voller Lärm und Licht gewesen war. Jetzt war hier nichts mehr los. Der Wind heulte zwischen den Karussells und Buden hindurch. Eric machte ein angestrengtes Gesicht und schüttelte dann abermals den Kopf.

"Du hast dich verhört, Linda?"

"Nein, ich..." Sie schluckte. Er legte ihr zärtlich den Arm um die Schulter.

Gerade noch waren ihrer beider Lippen zu einem Kuss voller Leidenschaft vereint gewesen. Eine wundervolle, laue Nacht, ein Augenblick voller Romantik... Doch für Linda schien das jetzt auf einmal wie weggeblasen zu sein. Sie wirkte starr und verkrampft. Ihre Augen schienen in der Dunkelheit der Nacht, zwischen all den wabernden Schatten, die inmitten der dunkel sich gegen das Mondlicht abhebenden Karussells tanzten, nach etwas zu sehen...

"Komm", sagte Eric und versuchte, sie wieder an sich zu ziehen.

Aber sie schüttelte den Kopf.

"Eric, da ist irgendjemand..."

"Linda..."

"Ich weiß es."

In diesem Moment gellte ein heiserer Schrei durch die Nacht. Ein Schrei, der einem buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Im selben Augenblick flackerten plötzlich Hunderte von Lichtern auf. Das bis dahin nur als monströser Schatten sichtbare Riesenrad setzte sich wie von Geisterhand bewegt - in Bewegung. Ein scharfes, knarrendes Geräusch erfüllte dabei die Luft.

"Mein Gott, was ist das?", flüsterte Eric.

"Da muss etwas passiert sein", murmelte Linda. Sie sahen sich an. Jeder sah den Schrecken im Gesicht des anderen.

"Komm", sagte Eric dann.

Er nahm sie bei der Hand. Sie gingen mit schnellen Schritten durch die engen Gassen. Die Leuchtgirlanden blinkten in einem halben Dutzend Farben auf. Laternen flackerten und schienen verrückt zu spielen. Ein Tanz der Lichtreflexe, der die Augen sehr anstrengte.

Ein ächzendes Geräusch ließ sie beide herumfahren. Sie sahen, wie sich eines der Kinderkarussells auf gespenstische Weise in Bewegung setzte und sich zu drehen begann.

Eric und Linda begannen schneller und schneller zu laufen, schließlich rannten sie. Sie kamen um eine Biegung. Vor dem Spiegelkabinett lag eine Gestalt auf dem sandigen Boden.

Zögernd näherten sich Eric und Linda.

Die Gestalt war ein Mann, dessen Augen starr gen Himmel gerichtet waren und unnatürlich weit aufgerissen schienen. Das pure Entsetzen stand ihm im Gesicht geschrieben, während sich das Mondlicht in seinen toten Augen spiegelte.

"Nein...", flüsterte Linda.

Sie wollte sich niederbeugen, aber Eric fasste sie bei den Schultern und verhinderte das. "Linda, sieh nur!", rief er. Sie folgte mit den Augen jener Richtung, in die Eric gedeutet hatte und erstarrte vor Entsetzen. Das Grauen koch ihr wie eine klamme, grabeskalte Hand den Rücken empor und eine Gänsehaut überzog ihre Unterarme. Ihr Mund öffnete sie wie zu einem Schrei, aber kein einziger Laut kam über ihre Lippen.

Hinter dem Spiegelkabinett war eine gespenstische Gestalt ins Mondlicht getreten.

Ein grinsender Totenschädel sah sie mit leeren Augenhöhlen an.

Der gehörnte Wikinger-Helm sah grotesk aus.

Der Skelettkrieger!, durchzuckte es Linda. Er sieht aus wie der Skelettkrieger, der vor der Geisterbahn Wache hält!

Der Gang des Skeletts war von eigenartiger Leichtigkeit und wirkte beinahe federnd.

Der Skelettkrieger kam näher.

In der Rechten schwang er seine monströse Streitaxt mit der rotgefärbten Schneide.

"Das kann nicht sein", flüsterte Eric. "So etwas kann es nicht geben!"

Die Antwort war ein schauerliches Gelächter, das irgendwie von dieser gespenstischen Erscheinung herzurühren schien. Die Lichter auf dem gesamten Jahrmarkt flackerten auf. Und das Riesenrad drehte sich in einem nahezu wahnwitzigen Tempo. Der Skelettkrieger schwang die Axt mit einem sirrenden Geräusch durch die Luft. Sein Lachen verebbte. Er wandte den Kopf. Starrte Linda einen Moment an, dann Eric.

"Weg hier, Eric! Nur weg hier!", schluchzte Linda auf. Sie wichen zurück, dann begannen sie zu laufen, während um sie herum das blanke Chaos auszubrechen schien. Überall setzten sich auf geheimnisvolle Weise Dinge in Bewegung. Hinter sich hörten sie die leichten, federnden Schritte des Skelettkriegers, dessen grauenhaftes Lachen immer näherzukommen schien.

Eric fasste Linda fest bei der Hand und zog sie mit sich.

"Ich kann nicht mehr!", keuchte sie, als sie beinahe das Ende des Jahrmarktes erreicht hatten.

Der Skelettkrieger hatte sie fast eingeholt.

Linda stolperte.

Eric versuchte, sie hochzuziehen. Linda schluchzte auf. Und dann stand er ihnen in einer Entfernung von kaum mehr als zwei oder drei Metern gegenüber. Der Skelettkrieger hielt die Axt mit beiden Händen. Die Knochenhände klammerten sich um den dicken Stil, den er mit gespenstischer Leichtigkeit zu schwingen vermochte. Eine dämonische Kraft musste es sein, die diese toten Knochen auf unheimliche Weise beseelten. Knochen, die niemals ihren Platz in einem menschlichen Körper gehabt hatten, sondern nichts als künstliche Nachbildungen waren... Der Skelettkrieger musterte Eric und Linda.

Er wartete.

Dann holte er mit seiner Axt zu einem furchtbaren Schlag aus. Die blutrote Waffe sauste durch die Luft. Das sirrende Geräusch war geeignet, einem die letzten Nerven zu zerfetzen. Der Skelettkrieger schnellte vor und griff an, während Lindas verzweifelter Schrei die Nacht erfüllte.

3

Ich erwachte schweißgebadet mitten in der Nacht. Der Mond schien hell durch das offene Fenster. Ich atmete tief durch und erinnerte mich nur noch undeutlich an die wirren Träume, die ich in den Stunden zuvor gehabt hatte.

Ich schlug die Bettdecke zur Seite und ging barfuß und im Nachthemd zum Fenster. Es war eine warme Sommernacht - und wenn das auch in den meisten Reiseführern verschwiegen wird, so etwas gibt es in London auch. Hin und wieder jedenfalls. Das typische Londoner Regenwetter hatte einem Hochdruckgebiet weichen müssen, das nun schon seit einer guten Woche einen Großteil der britischen Inseln fest in seinem Griff hielt. Ich atmete tief durch und blickte hinaus in den Garten. Und dabei dachte ich mit Schrecken daran, dass ich am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Ich war Reporterin bei den LONDON EXPRESS NEWS, und mein Chefredakteur würde wenig Verständnis dafür haben, wenn ich in der Redaktion vor dem eingeschalteten Computer einfach einschlief...

Geräusche ließen mich aufhorchen.

Schritte. Und dann...

Ein Knall!

So, als wäre irgendein Möbelstück umgestürzt. Es hörte sich furchtbar an. Die Geräusche waren aus dem Erdgeschoss dieser verwinkelten, im viktorianischen Stil errichteten Villa gekommen, die meiner Großtante Elizabeth Vanhelsing gehörte. Elizabeth - ich nannte sie Tante Lizzy - hatte mich nach dem frühen Tod meiner Eltern bei sich aufgenommen. Sie war für mich in all den Jahren wie eine Mutter gewesen. Und selbst jetzt, als berufstätige junge Frau von 26 Jahren wohnte ich ich noch immer in diesem alten Gemäuer. Das Verhältnis zu Tante Lizzy hatte sich natürlich in all den Jahren erheblich gewandelt. Inzwischen war sie weniger Mutterersatz als vielmehr eine verständnisvolle Freundin und Helferin. Als Reporterin war mein Spezialgebiet das Übersinnliche und alles, was mit außergewöhnlichen, unerklärlichen Phänomenen zu tun hatte. Und da Tante Lizzy eine ausgewiesene Okkultismus-Spezialistin war, deren Privatsammlung von Schriften und Presseartikeln auf diesem Gebiet ihresgleichen suchte, hatte sie mir des öfteren bei Recherchen helfen können.

Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen?

Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle. In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.

Offenbar ist Tante Lizzy noch auf!, ging es mir durch den Kopf. Ich hoffte nur, dass ihr nichts passiert war. Immer noch barfuß ging ich die Treppe ins Erdgeschoss hinunter.

Meine, in der oberen Etage gelegenen, Räume waren in diesem Haus gewissermaßen eine okkultfreie Zone. Der Rest der Vanhelsing-Villa wurde von Unmengen von staubigen, ledergebundenen Folianten eingenommen, die dicht gedrängt in den Regalen standen. Uralte, geheimnisvolle Schriften waren darunter, Bücher mit magischen Beschwörungsformeln und okkultem Geheimwissen, das Jahrhunderte lang nur innerhalb kleiner Zirkel weitergegeben worden war.

Auf dem Treppenabsatz grinste mich das grimassenhafte Gesicht an, das Anhänger eines westafrikanischen Voodoo-Kults in das harte Holz eines Totempfahls geschnitzt hatten, um damit die Geister von verstorbenen Häuptlingen zu beschwören. Auch solche okkulten Artefakte gab es recht zahlreich in der Villa. Manche dieser Dinge hatte Tante Lizzys verschollener Mann Frederik von seinen Forschungsreisen mit nach Hause gebracht. Frederik war ein bekannter Archäologe gewesen, bevor er auf einer Expedition in den südamerikanischen Regenwald auf nie wirklich geklärte Weise verschwand.

Ich erreichte den Flur des Erdgeschosses.

Auch hier waren die Wände mit Regalen vollgestellt. Eine fluoreszierende Kristallkugel leuchtete geisterhaft im Halbdunkel.

Die Tür zur eigentlichen Bibliothek stand einen Spalt weit offen.

Licht brannte dort.

Es war nichts Ungewöhnliches daran, dass Tante Lizzy eine ganze Nacht über ihren obskuren Studien saß, vertieft in geheimnisvolle Bände voll von verschlüsselten Geheimnissen. Sie war dabei durchaus keine kritiklose Anhängerin irgendeiner esoterischen Modeströmung. Ganz im Gegenteil. Ihr war sehr wohl bewusst, dass im Bereich des Okkultismus die Scharlatane die Szene beherrschten.

Auf der anderen Seite gab es einen Rest an rätselhaften Phänomenen, die mit den Mitteln der modernen Wissenschaft einfach nicht zu erklären waren.

Noch nicht.

Vielleicht würde das irgendwann gelingen. Aber das Mindeste, was man dazu jetzt leisten konnte war, diese seltsamen Fälle zu dokumentieren. Und genau das hatte Tante Lizzy sich zur Aufgabe gemacht. Ihr Archiv war sicherlich eines der größten seiner Art im ganzen Vereinigten Königreich wenn nicht gar in der Welt.

Ich betrat die Bibliothek und die Tür knarrte dabei. Tante Lizzy stand auf einer Trittleiter und sah auf mich herab. Ihr Gesicht wirkte überrascht. Die rechte Hand griff derweil in die Reihe der voluminösen Bände und zog einen ganz bestimmten heraus.

"Patti!", entfuhr es ihr.

"Ich habe den Lärm gehört", sagte ich und blickte mich um.

"Oh, entschuldige..."

"Was ist passiert?"

"Die Leiter ist mir hingefallen."

"Aber..."

"Keine Sorge, Patti! Ich stand ja zum Glück noch nicht drauf!"

Tante Lizzy stieg von der Leiter herab. Sie ächzte dabei etwas. Das warme Klima, das gegenwärtig herrschte, machte ihrem Herzen zu schaffen.

"Was ist los, Patti?", fragte sie dann. "Was macht dir so zu schaffen, dass du keine Ruhe findest. Auch die Hitze oder..." Sie sprach nicht weiter, sondern bedachte mich mit etwas sorgenvollem Blick.

Sie brauchte nicht weiterzusprechen. Ich wusste auch so, worauf sie hinauswollte.

"Keine Sorgen, Tante Lizzy", erwiderte ich mit einem matten Lächeln. "Ich habe nicht geträumt..."

Ich hatte eine leichte übersinnliche Gabe, die sich in Alpträumen, Visionen oder Ahnungen äußerte. Schon als Kind hatte ich diese seherische Fähigkeit entwickelt und sah auf diese Weise den Tod meiner Eltern voraus. Aber die erste, die mich darauf hinwies, dass es sich um eine übersinnliche Begabung handeln könnte, war Tante Lizzy gewesen.

"Dann ist es ja gut", sagte sie.

Ich nahm ihr den dicken Folianten aus der Hand und legte ihn auf einen der kleinen, zierlich wirkenden Tische, die in der Bibliothek standen. Es war schwierig genug, noch irgendwo eine freie Stelle zu finden. Überall lagen aufgeschlagene Bücher herum, die mit Lesezeichen nur so gespickt waren. Tante Lizzy verwandte dazu lange Papierstreifen, auf die sie sich dann die eine oder andere Bemerkung notierte.

"Danke!", lächelte sie, obwohl sie eigentlich nicht gerne zugab, Hilfe zu brauchen. Schließlich war sie zwar bereits eine etwas ältere Dame, steckte aber mit ihrem Elan und ihrer Energie so manche jüngere glatt in die Tasche.

"Es muss das Wetter sein, dass einem den Schlaf raubt", murmelte ich. "Oder die Tatsache, dass ich jetzt schon eine ganze Woche von Tom getrennt bin..."

"Du Ärmste!", erwiderte Tante Lizzy augenzwinkernd. "Wann kommt er denn zurück?"

"Morgen."

Tom Hamilton war wie ich seit einiger Zeit als Reporter bei den LONDON EXPRESS NEWS angestellt. Und ich hatte mich unsterblich in ihn verliebt.

"Wie steht es eigentlich mit euch?", fragte Tante Lizzy.

"Was meinst du damit?"

"Nun, vielleicht lebe ich völlig hinter dem Mond, aber zu meiner Zeit war es üblich, dass man sich irgendwann verlobte..."

Ich lächelte.

"Ganz soweit sind Tom und ich noch nicht", sagte ich.

"Aber..."

Tante Lizzy sah mich aufmerksam an.

Sie studierte genau mein Gesicht. Und ich konnte mir sicher sein, dass ihr nicht die winzigste Regung in meinen Zügen entgehen würde. Es war schwer, einem Menschen Gedanken oder Gefühle vorzuenthalten, der einen so gut kannte wie Tante Lizzy mich. Mit übersinnlicher Wahrnehmung oder Telepathie hatte das allerdings nicht das geringste zu tun. Sie konnte sich einfach sehr gut in mich hineindenken und wusste, wie ich empfand.

"Aber was?", hakte sie nach.

"Darüber nachgedacht habe ich schon... Aber wie heißt es so schön? Die Gedanken sind frei!"

"Ich glaube, dass Mr. Hamilton ein außergewöhnlicher Mann ist", sagte Tante Lizzy. "Ich glaube nicht, dass es viele von seiner Sorte gibt, Patti..."

"Nein, das bestimmt nicht."

Toms Bild erschien vor meinem inneren Auge. Seine mir inzwischen so vertrauten Züge, das von dunklem Haar umrahmte Gesicht, der ruhige Blick der graugrünen Augen... Ein Mann, dem trotz der Tatsache, dass wir uns ziemlich intensiv kennengelernt hatten, für mich noch immer eine Aura des Geheimnisvollen anhaftete. Ich liebte ihn, aber da blieb etwas Mysteriöses an ihm, das nie ganz auszuloten schien. Vielleicht machte gerade das einen Tel des Reizes aus, den er ohne Zweifel auf mich ausübte.

Einen kurzen Moment lang, war die Vorstellung, die von ihm in mir existierte, so intensiv, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde seine Lippen auf den meinen zu spüren glaubte. Ein prickelndes Gefühl überlief wohlig meinen gesamten Körper.

Morgen hat das Warten ein Ende!, dachte ich. Tom war im Auftrag unserer Zeitung in Südamerika, um dort den Verbindungen einer britischen Bank mit dem Drogenkartell in Medellin nachzuspüren. Die Story, die Tom per Modem und Satellitentelefon in die Redaktion überspielt hatte, war der Aufmacher der vergangenen zwei Tage gewesen und Michael T. Swann, unser gestrenger Chefredakteur, war mit der Arbeit sehr zufrieden.

Ich würde es erst sein, wenn ich Tom wieder in die Arme schließen konnte.

Mit den Gedanken bei ihm, schlief ich im Sessel ein. Undeutlich nahm ich noch wahr, wie Tante Lizzy mir ein fragendes "Patti?" zurief.

Dann war es dunkel.

Und erst im Morgengrauen weckten mich die ersten Strahlen der Sonne, die mir durch das Fenster genau ins Gesicht fielen.

4

Ich war ziemlich spät dran, als ich in der Lupus Street ankam, wo sich das Verlagsgebäude der LONDON EXPRESS NEWS befindet. Unsere Redaktion nimmt darin eine ganz Etage ein. Der Großteil davon wird durch ein Großraumbüro eingenommen. Lediglich unser Chefredakteur hat ein eigenes Büro. Ich ging zu meinem Schreibtisch, grüßte rechts und links ein paar Kollegen und schaltete dann mein Computerterminal ein. Dann ließ ich mich mit einer Tasse unseres dünnen Redaktionskaffees in den Drehsessel fallen. Ich war ziemlich müde und hatte kaum die Hoffnung, dass das dünne Gebräu in dem Pappbecher mich wacher machen würde. Unser Verlag war in der Branche für seinen Geiz berüchtigt. Die Spesenabrechnung war streng und kleinlich. Und das Kaffeepulver schien rationiert zu sein wie in Kriegszeiten.

Ein Mann mit etwas zu langen blonden Haaren, einem Drei-Tagebart und einer Kamera um den Hals tauchte plötzlich vor meinem Schreibtisch auf. Das war Jim Field, einer meiner Kollegen bei der NEWS. Jim war Fotograf, und wir hatten so manches Mal zusammen ein Team gebildet.

"Hallo Patti", sagte der Fotograf grinsend.

"Hallo, Jim!"

"Ich hab nicht viel Zeit, Patti..."

"Oh, wer von uns hat das schon!"

"Du sollst zum Chef kommen, das soll ich dir ausrichten. Es geht um eine Story, die ganz in dein Spezialgebiet fällt..." Er zwinkerte mir zu. "Spuk, Geister, Geheimnis..." Er lachte kurz auf. "Aber mehr wird nicht verraten. Du musst schon selbst durch diese Tür dort gehen..." Und dabei deutete er in Richtung der Bürotür von Michael T. Swann, dem Chefredakteur der LONDON EXPRESS NEWS.

Ich erhob mich. "Und was ist mit dir?", fragte ich.

"Oh, ich begleite Sam Groan vom Sport zur Fußball-WM auf den Kontinent!" Er strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht. "Bis dann, Patti", meinte er dann. "Und grüß mir Mr. Hamilton von mir - sollte er noch einmal zurück in diese Räume finden."

"Was soll das heißen?", fragte ich etwas ärgerlich. Jim zuckte die Achseln.

"Er war doch vorher bei einer großen Nachrichtenagentur als Korrespondent tätig..."

"Das ist richtig."

"...und hat nicht ein mehrmonatiger Aufenthalt im Dschungel Indochinas seine Karriere dort beendet?"

"Was soll das, Jim?"

Er machte ein unbestimmtes Gesicht.

Insgeheim war Jim immer ein bisschen verliebt in mich gewesen. Ich hatte diese Gefühle nie erwidert. Jim war für mich ein guter Kollege und Freund. Nicht mehr. Aber ab und zu konnte er sich Tom betreffend eine bissige Bemerkung nicht verkneifen.

Jim Field hob die Augenbrauen. "Wäre doch möglich, dass Tom Hamilton sich mal wieder ein paar Monate Extra-Urlaub in der Wildnis nimmt. Naja, wenigstens hat er diesmal seine Story rechtzeitig in die Redaktion geschickt..."

"Hör auf, Jim!"

"Ah, ich sehe schon. Wo die Liebe anfängt, da hört der Humor auf...."

"Ha, ha, sehr witzig."

"Wie auch immer. Ich würde Mr. Swann nicht länger warten lassen, als unbedingt nötig... Auch wenn er heute ganz gute Laune hat!"

"Keine Sorge, Jim!"

5

Als ich das Büro von Michael T. Swann betrat, tauchte dieser gerade hinter seinem völlig überladenen Schreibtisch hervor, auf dem sich Stapel von Manuskripten in geradezu schwindelerregende Höhen auftürmten. Swann war ein breitschultriger, etwas untersetzter Mann, der mit geradezu fanatischer Besessenheit seinem Job nachging. Die LONDON EXPRESS NEWS war sein Leben. Oft war er morgens der erste in der Redaktion und abends der letzte, der ging. Aber das schien ihm nichts auszumachen. Er widmete sich seiner Aufgabe, diese Londoner Boulevardzeitung in der Lesergunst ganz oben zu halten mit all seiner Kraft und Energie. Und dasselbe verlangte er auch von seinen Mitarbeitern. Nichts hasste er so sehr, wie schlecht recherchierte Stories. Aber Leistung erkannte er immer an. Und unter seiner knurrigen, manchmal etwas unwirsch wirkenden Oberfläche steckte ein Mann, der eigentlich immer das Wohl aller im Blick hatte.

"Guten Morgen, Patti! Gut, dass Sie endlich kommen! Ich frage mich, wie lange Mr. Field für die paar Meter zu Ihrem Schreibtisch gebraucht hat..."

Ich verkniff mir eine Erwiderung. Egal, was man in einer solchen Situation auch sagen mochte, man würde es nur noch schlimmer machen.

Swanns Gesicht war leicht gerötet. Er schwitzte. Die Ärmel seines Hemdes waren hochgekrempelt, und die Krawatte hing ihm wie ein verdrehter Strick um den Hals.

Es war ihm anzusehen, dass er arbeitete und nicht nur pro Forma in seinem Büro herumlungerte und lediglich die Verantwortung für alles trug. Nein, ein solcher Chef wollte Swann auch gar nicht sein. Seine Devise war, dass man in seiner Position am besten in allem mit gutem Beispiel voranging.

"Setzen Sie sich, Patti", sagte er dann. Ich ließ mich in einen der dunklen Ledersessel fallen, die schon Bestandteil dieses Büros waren, seit ich es zum ersten Mal betreten hatte.

Swann atmete tief durch.

Sein Blick wirkte ernst. Die Augenbrauen waren zusammengezogen und bildeten eine Art Schlangenlinie. Er gab mir eine Klemmmappe, in der einige Agenturmeldungen abgeheftet waren. "Hier", sagte er, "das dürfte eine Story so richtig nach Ihrem Geschmack sein, Patti..."

"Worum geht es?"

"Es geht um einen geheimnisvollen Todesfall auf einem Rummelplatz in der Nähe von Poole. Wissen Sie, wo das liegt?"

"Im Süden, westlich von Southampton. Man muss nur die Küstenstraße entlang fahren."

Swann grinste.

"Stimmt", sagte er. "Der Tote ist ein Obdachloser, der sich weit nach Mitternacht, als der Jahrmarkt längst geschlossen war, auf dem Gelände herumtrieb." Während ich Swann zuhörte, überflog ich die dürren Agentur-Meldungen, die es zu der Sache gab. Viel war denen nicht zu entnehmen. Offenbar tappt die Kriminalpolizei noch völlig im Dunkeln, was man ihr bei der seltsamen Spurenlage wohl auch nicht verübeln kann..."

Ich stieß bei der Durchsicht der Unterlagen rasch auf eine Passage, die darauf Bezug nahm.

"Tatwaffe war eine... Streitaxt", murmelte ich. Swann nickte.

"Ja, nur dass diese Waffe zu einem Skelettkrieger gehört, die vor dem Eingang der Geisterbahn Wache hält. Damit nicht genug, die Spuren, die man gefunden hat legen den Schluss nahe, dass dieser Skelettkrieger sich tatsächlich selbstständig gemacht hat und durch das Gelände gelaufen ist. Na ja, vielleicht wollte da jemand den Ermittlungsbehörden einen Streich spielen oder mit seiner Tat möglichst auf Seite eins gelangen!"

"Was ihm nun vielleicht ja auch gelingt", gab ich zurück. Swann zuckte die Achseln.

"Was sollen wir dagegen tun? Nicht über dieses Verbrechen berichten?"

Ich las weiter in den Unterlagen.

Und Michael T. Swann sah mir dabei zu. Er hielt es nicht für notwendig, noch ein Wort zu dem Fall zu sagen. Nach dem, was hier stand, gab es zwei Zeugen, einen jungen Mann und eine junge Frau. Ein Liebespaar, das in jener Nacht auf dem Jahrmarktgelände gewesen war. Die beiden hatten behauptet, das Skelett dabei gesehen zu haben, wie es zwischen den Karussells und Buden hergelaufen war. Mit der blutigen Streitaxt in der Rechten. Das Skelett hätte sie zunächst verfolgt, ehe es schließlich im letzten Moment von ihnen abgelassen und sich wieder entfernt hätte. Es war eigentlich kein Wunder, dass die Polizei die Aussagen der beiden nicht sonderlich ernstgenommen hatte. Stattdessen hatte man sie zunächst erst einmal eingehend als Verdächtige verhört.

Nachdem man sie dann hatte freilassen müssen, wandten sie sich an eine große Nachrichtenagentur, wodurch der Fall erst so weite Kreise zog und schließlich auf den Schreibtischen Dutzender Zeitungen landete.

Auf Grund zaghafter Nachfrage eines Lokalreporters hatte die Polizei dann auch einen Teil ihrer Ermittlungsergebnisse offengelegt.

Plötzlich meldeten sich Zeugen, die in der Nacht des Mordes gesehen haben wollten, dass plötzlich sämtliche Lichter des Jahrmarktes aufgeflackert waren - ein Phänomen, das auch die beiden jungen Leute berichtet hatten.

"Sie sollten sich so schnell wie möglich nach Poole auf den Weg machen", meinte Swann.

Er sah mich an und muss wohl mein nicht gerade besonders zufriedenes Gesicht registriert haben. Schließlich hatte ich Tom Hamilton die ganze Woche über nicht gesehen und jetzt, an dem Tag, da er zurückkehren sollte, würde ich London verlassen. Swann schien meine Gedanken zu erraten.

"Ich glaube, dass Sie maximal eine Übernachtung einplanen sollten, Patti! Dann sehen Sie Mr. Hamilton eben übermorgen! Und sollte er Ihnen in der Zwischenzeit von der Fahne laufen, ist er es ohnehin nicht wert, dass Sie ihm eine Träne nachweinen!"

Ich atmete tief durch und sah Mr. Swann angriffslustig an.

"Sollte das passieren, Mr. Swann, werde ich Sie persönlich dafür verantwortlich machen und zur Konkurrenz gehen", sagte ich lächelnd.

Swanns Gesichtsausdruck entspannte sich etwas.

"Wie können Sie mir nur so furchtbar drohen, Patti!"

6

Ich fuhr nach Hause und packte ein paar Dinge. Bis Poole waren es von London aus ungefähr 170 Kilometer, die ich in zweieinhalb Stunden zu schaffen hoffte - vorausgesetzt, mein kirschroter Mercedes-Oldtimer machte da mit. Die Story sah ziemlich verzwickt aus, und ich nahm nicht an, bis zum Abend schon genug herausgefunden zu haben, um Swann damit unter die Augen treten zu können. Swanns Prognose von einer Übernachtung war schon ganz realistisch. Dann hatte ich noch den größten Teil des nächsten Tages Zeit, um Zeugen zu befragen und vielleicht aus den Beamten der zuständigen Polizeidienststelle noch die eine oder andere Information herauszubekommen, die sie bislang noch nicht preisgegeben hatten.

Allerdings rechnete ich damit, dass die ganze Sache ziemlich zähflüssig anlief. Man würde mir kaum mit offenen Türen begegnen. Nicht in einem derart mysteriösen Fall, bei dem sich die zuständigen Behörden im Grunde nur blamieren konnten. Schon deshalb, weil man sich dort verbot, bestimmte Gedanken, einfach zu Ende zu denken.

Gedanken, die einem kalte Schauder über den Rücken jagen konnten...

"Pass auf dich auf, mein Kind", sagte Tante Lizzy zum Abschied.

"Tante Lizzy! Das ist keine große Reise, die ich vor mir habe", erinnerte ich sie.

"Das weiß man nie im Voraus, Patti..."

"Morgen bin ich zurück."

"Viel Erfolg!"

"Danke!"

Bevor ich mich in Richtung Poole auf den Weg machte, fuhr ich noch in der Ladbroke Grove Road vorbei, wo Tom im dritten Stock eines Altbaus eine großzügige Wohnung besaß. Ich schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier, faltete es und steckte es in seinen Briefkasten. Mein Herz klopfte dabei wie wild. Das Gefühl, das mich in diesem Moment beherrschte ließ sich nur mit einem einzigen Wort richtig beschreiben.

Sehnsucht.

Ich hielt einen Moment lang inne, stellte mir vor, wie sich seine starken Arme um meine Schultern legten.

Der Duft seines Aftershaves, der Blick seiner graugrünen Augen, die mich an die Weite des Meeres erinnerten. An den Geschmack von Salzwasser und den Geruch von Seetang... Der Klang seiner Stimme, deren unverwechselbares, dunkles Timbre mir wohlige Schauer über den Rücken trieb. Es war eine so intensive Vorstellung, dass ich für eine Sekunde den Eindruck hatte, Tom stünde wirklich neben mir und ich brauchte ihn nur zu umfassen, ihn an mich zu drücken und meine Lippen auf die seinen zu pressen.

Ich liebe dich Tom!, ging es mir durch den Kopf. Mehr als du vielleicht ahnst... Mehr, als alles, was sich mit Worten ausdrücken lässt.

Tausende von Meilen lagen in diesem Moment zwischen uns, ein ganzer Ozean sogar. Und doch fühlte ich mich ihm in diesem Augenblick so nahe...

Die Abgründe von Raum und Zeit lassen sich nicht nur durch übersinnliche Energien überbrücken!, durchfuhr es mich. Manchmal auch durch Liebe.

7

Ich erreichte Poole nach einer ziemlich anstrengenden Fahrt. Zwischendurch machte ich nur kurz Pause. Bei dieser Hitze in einem Wagen zu sitzen ist alles andere als ein Vergnügen. Aber Poole liegt am Meer und von der Ärmelkanalküste her wehte ein frischer Wind.

Den Jahrmarkt erreichte ich am frühen Nachmittag. Er lag auf einer freien Fläche außerhalb der Stadt und sollte in den Sommermonaten dafür sorgen, dass den Touristen, die die Umgebung zu dieser Jahreszeit bevölkerten, das Geld möglichst restlos aus der Tasche gezogen wurde.

Schon von weitem war das imposante Riesenrad zu sehen. Musik dröhnte durch die flirrende Luft. Hierher zu finden war nicht schwer gewesen.

Ich war zunächst den Hinweisschildern und dann der Autoschlange gefolgt. Den roten 19oer stellte ich auf den Parkplatz ab, wobei ich etwas suchen musste, bis ich eine Lücke fand, die für diesen Wagen groß genug war. Ich stieg aus, hängte mir meine Handtasche über, in der sich diesmal außer meinem Handy auch eine kleine Pocket Kamera befand, und setzte mir eine Sonnenbrille auf, um nicht dauernd die Augen zusammenkneifen zu müssen.

Der Himmel war wolkenlos.

Um diese Zeit schien es vor allem Familien mit Kindern auf den Rummel zu ziehen, später würde sich das Bild sicher ändern. Scharen von zufriedenen, erwartungsfrohen Menschen zogen in Richtung des Jahrmarktes. Ich folgte ihnen einfach, schwamm mit in ihrem Strom.

Ich wollte mir den Ort des Geschehens zuerst mit eigenen Augen ansehen.

Die Bässe der Musikanlagen stampften so sehr, dass man ein leichtes Drücken in der Magengegend verspürte. Karusselle drehten sich, Autoscooter crashten gegeneinander und im Riesenrad kreischte jemand vor Entzücken und Nervenkitzel. Die Verkäufer von Speiseeis und Zuckerwatte hatten Hochkonjunktur. Für Fish & Chips oder Hamburger war es um diese Zeit wohl einfach zu warm. Jedenfalls hielt sich das Interesse der Kundschaft in Grenzen.

Ich ließ den Blick schweifen, sah den Menschen zu und ließ mich etwas von der Menge treiben.

Ein Ort des Vergnügens und der Freude!, dachte ich. Und doch... Genau an diesem Ort war etwas Furchtbares geschehen. Ein grausames Verbrechen, dessen Begleitumstände äußerst mysteriös waren.

Ich ging weiter, vorbei an den Karussells und Buden. Dann bog ich seitwärts, vorbei an einem Spiegelkabinett.

"Wollen Sie nicht auch einmal Ihr Glück versuchen?", sprach mich ein spitzbärtiger Mann mit krummem Rücken an. Ich schüttelte den Kopf.

"Nein, danke", erwiderte ich.

"Wirklich nicht?"

Seine Augen flackerten auf eine Weise, die Unbehagen in mir erweckte. Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte ich, sehen zu können, wie seine Augen vollkommen weiß wurden. Sie schienen auf dämonische Weise zu leuchten... Es dauerte kaum länger als eine Sekunde.

Dann war es vorbei.

Und schon im nächsten Moment war ich mir nicht sicher, was ich wirklich gesehen hatte.

Vielleicht nur eine Spiegelung des Sonnenlichts... Der Mann mit dem Spitzbart lachte.

"Junge Frau, Sie sehen so bleich aus..."

"Ach, wirklich?"

Er kicherte in sich hinein.

Und plötzlich sah ich etwas vor meinem inneren Auge. Dieselbe Szene, die gleichen Buden und Karussells und das Spiegelkabinett...

Aber es war Nacht. Ein flackernder Schein erhellte sie. Im Staub lag der Körper eines Mannes. Die Augen weit aufgerissen, starr und tot...

Dann war es vorbei. Ich wusste sofort, dass dies eine Vision war, die mir meine Gabe gesandt hatte. Eine Gabe, die ich nicht selten als Fluch empfunden hatte. Und manchmal tat ich das noch immer...

Hier ist es geschehen!, durchzuckte es mich. Genau hier, an dieser Stelle...

Kalte Schauder erfassten mich und eine Gänsehaut überzog trotz der Hitze dieses Sommertages meine Unterarme. Ich zitterte leicht.

Schwindel erfasste mich und vor meinen Augen begann sich alles zu drehen.

Und dann hatte ich ein Gefühl, als ob etwas mein Inneres berührte. Ich hatte schon des öfteren fremde übersinnliche Kräfte und mentale Energien auf diese Weise gespürt. Aber das, was jetzt mein Innerstes berührte, war anders... Ganz anders.

Kalt und eisig, das war der erste Eindruck. Ich hatte das Gefühl zu erfrieren.

"Hallo, Miss!", hörte ich die Stimme des Spitzbärtigen. Und diese Worte hallten dutzendfach in meinem Kopf wider, wie eine endlose Tonbandschleife. Ich stürzte, taumelte, fiel in einen reißenden Strudel aus Bildern, Farben, Licht und... Dunkelheit.

8

Das Wesen war verwirrt. Irgendetwas hatte es berührt und für kurze Zeit aus dem schlafähnlichen Zustand geweckt, in dem es sich befunden hatte.

Eine Art Kraft...

Eine Form der Energie, die jener ziemlich ähnlich war, über die es selbst verfügte.

Und doch...

Für das Wesen war diese kurze Begegnung ein Schock gewesen. Es zog sich zurück, irrte durch die Gassen, zwischen den vielen Menschen hindurch, vorbei an den Karussells und den Imbissbuden...

PATRICIA VANHELSING!

Ein Name, mehr nicht, dachte das Wesen. Bei dem kurzen Kontakt hatte es diesen Namen aufgeschnappt und nun schwirrte er in seinem Bewusstsein herum, wie ein Irrläufer. PATRICIA VANHELSING...

Ein Name, ein Gesicht, eine junge Frau...

Warum ist sie hier?, dachte das Wesen. Was will sie? Meine Vernichtung?

Der Hass brodelte in seinem Inneren. Und ein anderes Gefühl mischte sich darunter.

Panik.

Der Wunsch zu töten und zu zerstören wurde stärker und stärker...

NEIN!, schrie es tief im Inneren seines Bewusstseins. Aber diese Stimme war zu schwach, um dem Wesen ihren Willen aufzuzwingen. Viel zu schwach...

Es wird immer stärker!, durchzuckte es das Wesen. Lange konnte es diesen Zustand nicht mehr aushalten.

TOD. ZERSTÖRUNG.

Zwei Gedanken, die immer mächtiger und stärker wurden. Aber da war noch ein weiterer Gedanke.

EIN KÖRPER!

ICH MUSS EINE FORM ANNEHMEN. SONST WIRD DER INNERE AUFRUHR MICH ZERREISSEN UND MEINE SEELE SICH VERFLÜCHTIGEN LASSEN WIE EINE DAMPFWOLKE IM WINDHAUCH...

9

Ich schlug die Augen auf.

"Sie kommt zu sich!", sagte eine Männerstimme. Ich blickte mich um und sah in das Gesicht eines Mannes, der eine Sanitäter-Uniform trug. Sein Gesicht entspannte sich. "Na, also! Tja, Sie sind nicht die erste, der die Hitze heute zu schaffen macht!"

Er half mir auf.

Ich fühlte mich noch ein bisschen wackelig auf den Beinen. Ein flaues Gefühl hatte sich in meiner Magengegend breitgemacht.

"War ich richtig weggetreten?", fragte ich den Sanitäter.

"Ja, scheint so. Sie sollten sich bei Gelegenheit mal untersuchen lassen."

"Ja, sicher."

"Geht es Ihnen jetzt wieder gut?"

"Ja", nickte ich. Und dabei sah ich mich nach dem spitzbärtigen Mann um. Er war nirgends zu sehen. Die kleine Menschentraube, die sich um mich herum gebildet hatte, löste sich langsam auf. Ich bedankte mich bei dem Sanitäter und hatte etwas Mühe, ihn davon zu überzeugen, dass mir wirklich nichts fehlte...

Schließlich ging ich weiter die Gasse zwischen den Karussells, Buden und Ständen entlang.

Bis ich schließlich vor der Geisterbahn stand. Ein grimmiger Pirat hieb mit seinem Säbel nach einem angreifenden Flugsaurier, der jeweils im letzten Moment die Bahn änderte und von fast unsichtbaren Fäden gehalten einen Bogen flog.

Ein Schauspiel, das Kinder mit offenen Mündern stehenbleiben ließ. Auf mich wirkte es eher unfreiwillig komisch.

Die Figur eines Riesengorillas trommelte sich auf den imposanten Brustkorb und stieß dumpfe, kehlige Schreie aus. Die Augen des Untiers flackerten rot auf, während es das mit ungewöhnlich großen Zähnen bewehrte Maul aufriss. Zähne, die viel eher zu einer Großkatze als zu einem Menschenaffen gepasst hätten.

Vor dem Eingang stand der Skelettkrieger, von dem in den Agenturmeldungen die Rede gewesen war. Der Wikingerhelm saß etwas schief auf dem nackten Totenschädel, dessen leere Augen mich anzustarren schienen. Der Knochenmann stützte sich mit der Rechten auf eine geradezu monströse Axt.

Eine Streitaxt, deren Schneide blutrot war...

Ich ging auf das Kartenhäuschen zu, in dem ein grauhaariger Mann in den mittleren Jahren saß.

"Na, ein Ausflug ins Reich der Geister gefällig?", lachte er, während wüste Schreie und grauenerregendes Gelächter aus dem Inneren der Geisterbahn drangen. Aber nach so einem Mummenschanz stand mir nun wirklich nicht der Sinn.

"Ich glaube, für so etwas bin ich inzwischen zu alt", sagte ich.

"Sagen Sie das nicht!", erwiderte der Grauhaarige. "Für eine gepflegte Gänsehaut ist man nie zu alt... Wenn die Kreaturen der Finsternis nach Ihnen greifen, die Gespenster der Nacht, die Lemuren aus dem Reich der Schatten..."

"Sind Sie der Besitzer dieser Geisterbahn?"

"Der bin ich. Aber warum interessiert Sie das?" Auf der Stirn des Grauhaarigen waren ein paar tiefe Furchen entstanden. Er bedachte mich mit einem misstrauischen Blick.

"Ich bin Journalistin", erklärte ich und zeigte ihm meinen Presseausweis. "Mein Name ist Patricia Vanhelsing, und ich arbeite für die LONDON EXPRESS NEWS."

"Ah, ja...", murmelte der Grauhaarige gedehnt. "Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, weshalb eine stinknormale Geisterbahn wie diese hier für die Leser eines solchen Massenblattes interessant sein könnte..."

"Wirklich nicht?"

"Worauf wollen Sie hinaus, Miss Vanhelsing." Ich deutete auf die Streitaxt des Knochenmannes der unserem Gespräch mit der ihm eigenen Gelassenheit zu folgen schien.

"Hier ist vor kurzem ein Mann ums Leben gekommen...." Der Grauhaarige seufzte.

"Hätte ich mir ja denken können, das Sie deshalb hier sind... Erst die Polizei, dann die Lokalzeitungen und jetzt Sie! Wie auch immer. Meinem Geschäft hat der ganze Vorfall nicht geschadet..."

Eine Traube von Menschen kam jetzt auf das Kassenhäuschen zu. Ich trat zur Seite, während der Grauhaarige begann, die Leute zu bedienen.

Dann rief er einen seiner Gehilfen herbei, der seinen Posten übernahm. Er kam aus dem Kassenhäuschen heraus und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn.

"Verdammt heiß heute", stöhnte er. Dann sah er mich an.

"Was wollen Sie wissen?"

10

DA IST SIE!, dachte das Wesen. Es beobachtete die junge Frau, sah, wie sie mit McKay, dem Besitzer der Geisterbahn sprach. WARUM MACHST DU SIE NICHT ZU DEINEM NÄCHSTEN OPFER?, fragte sich das Wesen.

Es war sich noch unschlüssig.

Es beobachtete.

Es wartete ab.

11

"Ich heiße Allan McKay", stellte sich der Grauhaarige vor.

"Die Axt, von der Sie sprechen, ist nicht mehr die Originalaxt des Skelettkriegers."

"Ach, nein?", fragte ich.

"Nein. Die hat nämlich die Polizei mitgenommen."

"Haben Sie irgendeine Erklärung für das, was hier geschehen ist?"

"Nein, Miss Vanhelsing. Keine vernünftige Erklärung jedenfalls." Er nahm mich etwas zu Seite und drehte sich dann mehrfach um, so als wollte er sichergehen, dass niemand in der Nähe war, den er kannte. Dann sah er mich an. In seinen Augen flackerte es unruhig. Er fasste mich bei den Schultern. "Was wissen Sie über den Fall, Miss Vanhelsing?"

"Eigentlich bin ich hier, um die Fragen zu stellen!"

"Aber Sie werden doch schon irgendetwas herausgefunden haben!"

"Tut mir leid, Mr. McKay! Ich beginne gerade erst mit meinen Recherchen. Ich weiß nur, was in den Agenturmeldungen steht, die im Moment die Runde machen. Und das der Obdachlose vor dem Spiegelkabinett ermordet wurde..."

"Ja, das ist wahr..."

"Wie hieß der Mann?"

"George Smith. Er lungerte hier schon auf dem Gelände herum, seit wir angefangen haben aufzubauen. Smitty heißt er überall. Meine Güte, ein völlig harmloser Mann, den ein schweres Schicksal aus der Bahn geworfen hat... Ich habe mich mal etwas eingehender mit ihm unterhalten." McKay atmete tief durch. "Jedenfalls kann ich mir niemanden vorstellen, der ein Motiv hätte, ihn umzubringen."

"Manchmal gibt es Verrückte, die so etwas tun. Psychopathen, Leute, die Menschen wie Smitty für Gesindel halten..."

"So etwas kann man natürlich nie ausschließen. Aber daran glaube ich nicht."

"Es gab zwei Zeugen, nicht wahr?", fragte ich. Er sah mich an. Sein Blick verriet Unentschlossenheit. Er schien darüber nachzudenken, ob er mir antworten sollte. Und wenn ja, wie viel er mir sagen durfte. Er rang mit sich. Ich konnte es ihm förmlich ansehen.

"Die beiden haben gesehen, wie der Skelettkrieger, der vor Ihrer Geisterbahn steht..."

Ich wurde von ihm grob unterbrochen.

"Seien Sie still!", zischte er.

Ich sah ihn etwas verwundert an.

"Was haben Sie?", fragte ich.

Er antwortete nicht. Er ließ meine Schulter los und wandte den Blick zur Seite, so als wollte er mir ausweichen. Angst!, dachte ich. Er scheint große Angst zu haben. Ich fragte mich, wovor.

Vielleicht würde ich es noch herausfinden.

Mit unruhigem Blick sah er mich an. Noch zögerte er. Dann sagte er: "Kommen Sie, Miss Vanhelsing..." Er fasste mich einfach am Oberarm, und ich fühlte mich augenblicklich in einen Kriminalfilm versetzt, in dem ich die Rolle der Verhafteten spielte.

"Wohin..."

"Fragen Sie nicht! Kommen Sie!"

"Werden wir beobachtet?"

"Wie kommen Sie darauf?"

Er blieb mir die Antwort schuldig. Er führte mich zwischen zwei Buden hindurch. Und wenig später befanden wir uns auf einem Platz, der nicht zum eigentlichen Jahrmarkt gehörte. Hier standen die Wohnwagen und Mobilheime der Schausteller. Riesige, lastwagengroße Wagen standen da und bildeten eine Art provisorisches Dorf auf Rädern. Zwei, drei Monate, dann würden hier die Zelte abgebrochen und man würde nichts mehr von dem ganzen Rummel sehen.

McKay führte mich zu seinem Wagen.

"Kommen Sie", sagte er. "Ich mache Ihnen eine Tasse Kaffee oder plündere meinetwegen auch meinen Mineralwasservorrat für Sie...

Ich zögerte noch.

Ich fragte mich, mit wem ich es hier eigentlich zu tun hatte. Mit einem Wichtigtuer oder jemandem, der wirklich etwas zu sagen hatte. Ich beschloss, mich überraschen zu lassen.

"Tun Sie, was Sie wollen, Miss, aber stehen Sie da nicht herum!", raunte McKay.

"Wovor haben Sie Angst?"

"Angst?", echote er. Sein Lachen war heiser. Er wirkte unsicher. "Reden Sie keinen Quatsch!"

12

Das Wesen war ihnen gefolgt.

Es war noch immer verwirrt durch die mentale Berührung. PATRICIA VANHELSING...

Der Name schwirrte noch immer in seinem Bewusstsein herum. Es registrierte den angstvollen Blick des Mannes, die Verwirrung der jungen Frau...

Das Wesen wartete.

Ein geradezu übermächtiges Gefühl stieg in ihm auf. Hass, Wut, Zerstörungslust, der Wille zur Vernichtung... Ein Orkan düsterer Leidenschaft.

Eine Kraft, die nicht mehr allzulange in ihm gefangen bleiben konnte.

13

McKay führte mich ins Innere des Wagens, das gediegen aber praktisch eingerichtet war. McKay schüttete Wasser in die Kaffeemaschine.

"Warum dieses ganze Theater?", fragte ich.

"Finden Sie es nicht gemütlicher?"

"Sehen Sie, ich bin eigentlich nicht hier, um irgendwo gemütlich herumzusitzen, Mr. McKay. Ich muss in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Informationen zu einem höchst mysteriösen Todesfall sammeln... Das ist mein Job." Er grinste.

"Profi durch und durch, was?"

"Etwas dagegen einzuwenden?", fragte ich. Er schüttelte den Kopf. "Nein, durchaus nicht..."

"Sie sind mir immer noch eine Antwort schuldig!"

"Kann ich Ihren Presseausweis noch mal sehen?"

"Sicher."

Ich holte ihn heraus, er betrachtete ihn eingehend und schob ihn mir schließlich wieder zu.

"In jener Nacht, als Smitty starb...", begann McKay dann stockend. Er schluckte, ehe er in der Lage war fortzufahren. Mit einer nachlässigen Handbewegung holte er Tassen und Untertassen aus dem Schrank, stellte sie auf den Tisch. "Es war seltsam", flüsterte er. "Die Starkstromkabel waren unterbrochen, nichts hätte sich auf dem Rummel rühren können... Und doch schien plötzlich Strom in der Leitung zu sein. Die Lampen leuchteten auf, das Riesenrad drehte sich in atemberaubenden Tempo, die Karussells setzten sich auf gespenstische Weise in Bewegung..."

"Das haben die beiden Zeugen wohl auch ausgesagt und sich dann an die Agenturen gewandt, als man bei der Polizei ihre Aussage nicht so recht ernstnahm...", warf ich ein.

"Ja", murmelte er. "Linda Poldini und ihr Freund..."

"Sie kennen die beiden?"

"Den jungen Mann, mit dem sie immer herumzieht nicht, aber Linda kenne ich, seit sie geboren wurde. Sie ist die Tochter von Craig Poldini. Ihm gehört das Riesenrad. Ich weiß nicht, welcher Teufel die beiden geritten hat, der Polizei so etwas zu sagen. Sie hätten doch wissen können, dass man ihnen nicht glauben würde. Die beiden können froh sein, dass man sie nicht gleich in eine geschlossene Abteilung eingewiesen hat!"

"Aber es entsprach doch der Wahrheit. Zumindest in dem Punkt, den Sie erwähnten."

Er sah mich an und nickte dann leicht.

"Ja, es stimmte. Und jeder von uns, jeder, der in jener Nacht in einem dieser Wagen übernachtet hat, müsste das bestätigen können. Mein Gott, es sah aus, wie..." Er schüttelte den Kopf und brach ab. "Ich habe keine Worte dafür, Miss Vanhelsing... Als ob eine unheimliche Kraft plötzlich in all diese Geräte gefahren wäre und für dieses unheimliche Schauspiel gesorgt hätte..."

McKay war ganz bleich geworden, als er mir den Kaffee einschüttete. Seine Hand zitterte leicht. Sein Blick war leer.

"Wir standen alle draußen in dieser mondhellen Nacht und schauten es uns an. Wie gebannt starrten wir auf dieses einzigartige Feuerwerk aus Licht und Bewegung... Und dann war da noch Smittys Todesschrei!" McKay wischte sich mit einer nervösen Geste über das Gesicht. "Ich träume jede Nacht davon, Miss Vanhelsing. Verstehen Sie das?"

"Sicher..."

"Ich komme einfach nicht darüber hinweg..."

"Das kann ich gut verstehen."

"Wirklich?"

Er lachte heiser. Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee. Er schmeckte zu bitter.

"Wollen Sie Milch und Zucker?", fragte er etwas verspätet.

"Nein, danke. Ich trinke ihn schwarz."

"Wie Sie wollen."

"Laut den Polizeiverlautbarungen befanden sich um die Leiche herum überall Spuren, die von den Füßen ihres Knochenmanns stammten..."

"Ja."

"Haben Sie irgendeine Erklärung dafür?"

"Nein."

"Sie haben Smittys Schrei gehört. Was geschah dann, Mr. McKay?"

Er atmete tief durch. "Wir blieben wie angewurzelt stehen. Keine traute sich, auch nur heftig zu atmen, weil wir alle das Gefühl hatten, mit etwas konfrontiert zu werden, das ungewöhnlich war. Mit einer Kraft, die geradezu dämonisch zu sein schien. Wenn in jener Nacht ein Ufo vom Himmel gekommen wäre, hätte uns das kaum mehr aus der Fassung bringen können..."

"Sie sind nicht zum Ort des Geschehens gelaufen?"

"Nicht sofort."

"Aber später..."

"Ja."

"Wie lange hat es gedauert?"

"Ein paar Minuten bestimmt. Wir haben Smitty gefunden."

"Waren Sie auch bei Ihrer Geisterbahn!"

"Klar, da musste ich ja vorbeilaufen."

"Was war mit dem Skelettkrieger?"

"Er stand da wie immer. Ich habe auch nicht so auf ihn geachtet. Später hat die Polizei dann festgestellt, dass an der Axt Blut des Opfers war."

"Haben Sie irgendeine Erklärung dafür?"

"Nein. Zumal ich mir sicher bin, dass die Axt sich nicht von der Hand des Knochenmannes gelöst haben kann."