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Dieses E-Book enthält die Romane: (399XE) Alfred Bekker: AHNENGEISTER Alfred Bekker: DIE GRUFT DES BLEICHEN LORDS Steve Hogan: Auf der Insel lauert der Tod „Seltsame, unerklärliche Dinge geschehen im Leben einer jungen Anwältin in Kanada, seit sie einen indianischen Schamanen verteidigt, dem der Mord an einem Geschäftsmann zur Last gelegt wird, dessen Hotel mit Golfanlage auf dem Boden einer uralten indianischen Kultstätte errichtet wurde. Wird sie von rachsüchtigen indianischen Ahnengeistern verfolgt oder ist sie eher Opfer einer perfiden Verschwörung? Schon bald gibt es weitere Opfer...“
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Romantic Thriller Spezialband 3029 - 3 Romane
Copyright
Ahnengeister
Die Gruft des bleichen Lords
Auf der Insel lauert der Tod
Dieses E-Book enthält die Romane:
Alfred Bekker: AHNENGEISTER
Alfred Bekker: DIE GRUFT DES BLEICHEN LORDS
Steve Hogan: Auf der Insel lauert der Tod
„Seltsame, unerklärliche Dinge geschehen im Leben einer jungen Anwältin in Kanada, seit sie einen indianischen Schamanen verteidigt, dem der Mord an einem Geschäftsmann zur Last gelegt wird, dessen Hotel mit Golfanlage auf dem Boden einer uralten indianischen Kultstätte errichtet wurde. Wird sie von rachsüchtigen indianischen Ahnengeistern verfolgt oder ist sie eher Opfer einer perfiden Verschwörung? Schon bald gibt es weitere Opfer...“
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
COVER A. PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Romantic Thriller von Alfred Bekker
Unheimlicher Roman/Romantic Thriller
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Alfred Bekker, 1996
© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress
www.AlfredBekker.de
„Seltsame, unerklärliche Dinge geschehen im Leben einer jungen Anwältin in Kanada, seit sie einen indianischen Schamanen verteidigt, dem der Mord an einem Geschäftsmann zur Last gelegt wird, dessen Hotel mit Golfanlage auf dem Boden einer uralten indianischen Kultstätte errichtet wurde. Wird sie von rachsüchtigen indianischen Ahnengeistern verfolgt oder ist sie eher Opfer einer perfiden Verschwörung? Schon bald gibt es weitere Opfer...“
Alfred Bekker schrieb diesen fesselnden Romantic Thriller. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL AUS MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im Dezember 2012 erscheint mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.
AHNENGEISTER
"Sieh dort, Doug! Die Gestalt!", rief die hübsche Frau in den mittleren Jahren. Ihre Augen waren weit geöffnet. Sie biss sich unwillkürlich auf die Lippe und schluckte.
Doug McAllister ein grauhaariger Mann in den Fünfzigern legte die Stirn in Falten. In der einen Hand hielt er einen Drink während sein Blick durch die großen Fenster ging, die so kennzeichnend für das Victory-Hotel waren. Mit den Augen suchte er die sanften Hügel des gigantischen Golfareals ab, das sich um die ebenfalls überdimensionale Hotelanlage erstreckte.
"Wo, Clarissa?", fragte McAllister ungeduldig.
"Dort!" Clarissa McAllister, seine Frau, streckte einen ihrer schlanken Arme aus, während McAllister ungläubig gen Horizont starrte und dann den Drink zur Seite stellte. Er ging etwas näher zum Fenster.
"Mein Gott", flüsterte er. "Das darf doch nicht wahr sein..."
McAllister schluckte.
Auf einem der Hügel war eine seltsame Gestalt zu sehen. Von Ferne sah sie aus wie eine bizarre Kreuzung aus Bison und Mensch. McAllister erschien diese Gestalt im ersten Moment wie ein leibhaftiger Dämon aus der Geisterwelt indianischer Schamanen.
Aber natürlich wusste er, dass das nicht sein konnte. Er machte die Augen schmal.
Die Gestalt war ein halbnackter Mann, dessen Rücken von einem Bisonfell bedeckt war und auf dessen Kopf der ausgehöhlte Schädel wie eine Krone prangte - samt den gebogenen Hörnern.
Und die Gestalt tanzte in einem seltsamen, stampfenden Rhythmus.
"Das ist wieder dieser Verrückte!", schimpfte McAllister.
"Soll ich die Polizei rufen?", erkundigte sich Clarissa, deren Züge Besorgnis verrieten.
"Mach das. Aber die wird ohnehin zu spät kommen. Ruf alles zusammen, was im Moment an Hoteldetektiven vorhanden ist!"
"Gut!"
In diesem Moment betrat ein unscheinbarer Mann mit Halbglatze den Raum. Er war untersetzt und blass. "Mr. McAllister, ich müsste Sie dringen sprechen", erklärte er etwas zaghaft.
"Jetzt nicht, Mr. Baring!", fauchte McAllister.
"Aber..."
Baring brach abrupt ab, als McAllister ihm das Gesicht zuwandte und er den Gesichtsausdruck des anderen sah.
Baring schluckte.
Und dann stürmte McAllister hinaus, durch die gläserne Schiebetür ins Freie.
Die Luft war schwül und drückend. McAllister öffnete den Hemdkragen und lockerte die Krawatte. Er atmete schwer.
Während er die seltsame Gestalt auf dem Hügel tanzen sah war ihm, als schnürte ihm eine unbekannte Macht die Luft zu.
McAllister ballte unwillkürlich die Fäuste. Wut keimte in ihm auf. Unbändige Wut, gemischt mit namenloser Furcht. Dann sah er hinüber zu den Elektrowagen, mit denen die Golf spielenden Gäste das Terrain befuhren. McAllister fasste einen Entschluss. Er setzte sich in einen dieser Elektrowagen und fuhr los - geradewegs auf den tanzenden Mann im Bisonfell zu. Es war ein heißer Tag gewesen. Der Schweiß stand McAllister auf der Stirn, aber in der Ferne hatten sich die Wolken zu gewaltigen Türmen aufgeschichtet, die drohend über dem Land standen. Es würde ein Gewitter geben.
Schon wehten die ersten kühlen Winde über das Hügelland.
"Mr. McAllister, warten Sie!", rief ihm jemand hinterher. "Warten sie auf die Detektive, die werden diesen Kerl schon rauswerfen."
Aber McAllister hörte nicht darauf.
Er fuhr weiter.
Sein Blick war starr dabei. Der seltsame Tänzer war inzwischen auf McAllister aufmerksam geworden. Er blickte von seinem Hügel aus auf den Ankömmling herab. McAllister kannte ihn - nicht dem Namen nach, aber war ihm bereits einmal begegnet.
Der seltsame Indianer hatte ihm schon mehrfach aufgelauert und versucht, ihn zu erschrecken und einzuschüchtern.
Schließlich hatte McAllister den Hügel erreicht. Er sprang aus dem Elektrowagen und ging auf den Tänzer zu.
"Was machen Sie hier", schimpfte er. "Was fällt Ihnen ein, hier aufzutauchen?"
Der Mann war groß, etwa einen Kopf größer als McAllister und der war bereits kein kleiner Mann.
Seine Haut war bronzefarben, die Augen dunkel und ruhig.
Sein Blick ruhte auf McAllister.
"Sie befinden sich hier auf fremdem Grund und Boden, Mister", stellte McAllister fest. Aber das machte auf den Tänzer überhaupt keinen Eindruck.
Er stand da, fast wie zur Salzsäule erstarrt und sah McAllister nur an. Dann sagte er, langsam und mit dunkler Stimme: "Du bist verflucht, Doug McAllister."
"Was soll der Unsinn", rief McAllister. "Scheren Sie sich zum Teufel!"
Der Indianer verfiel in einen Singsang. Er riss sich einen Beutel vom Hals und hielt ihn in Doug McAllisters Richtung.
"Hören Sie auf, hören Sie endlich auf."
Der Indianer wurde ruhig. Seine dunklen Augen musterten McAllister. Dann wanderte sein Blick nach links. Die Hoteldetektive kamen heran - drei stämmige Männer in grauen Anzügen. Mit etwas Abstand folgte Clarissa.
"Das ist wieder dieser verrückte Indianer-Funktionär", meinte einer der Detektive. "Ich halte ihn für harmlos."
"Wenn Sie sich da mal nicht irren", knurrte McAllister. Er trat etwas näher an den Indianer heran.
"Du bist verflucht", wiederholte der Indianer seine düstere Drohung. Seine Stimme klang dunkel und die schreckliche Gewissheit, die aus ihr herausklang, ließ McAllister unwillkürlich frösteln.
"Du willst mir drohen", schrie McAllister.
"Ich drohe nicht", sagte der Indianer. "Ich kündige dir nur an, was geschieht."
"Und was soll das sein?"
"Der Tod ist dir gewiss. aber nicht nur das. Dein Geist wird ruhelos über diese Hügel irren, so wie die Geister unserer Ahnen, die unter dieser Erde liegen, die von Männern wie dir entweiht wurde."
Damit wandte sich der Indianer um und ging davon.
McAllister wandte sich an die etwas ratlos dreinblickenden Hoteldetektive.
"Was ist los? Wollen Sie gar nichts unternehmen?"
"Was sollen wir denn machen", meinte einer von ihnen." Wir kennen seinen Namen und seine Adresse und haben ihn schon mit Dutzenden von Anzeigen überhäuft."
In diesem Moment drehte David Three Hands, der Mann mit dem Bisonfell sich um und schrie: "Du bist so gut wie tot, McAllister!"
*
Madeleine Dubois war eine junge Anwältin, die alle ihre Examina mit Auszeichnung bestanden hatte. Sie war brünett und hatte das schulterlange Haar aufgesteckt, was ihr einen Hauch von Eleganz gab. Sie hatte inzwischen gelernt, dass es in ihrem Job nicht nur um das ging, was jemand konnte und wusste, sondern auch um das richtige Auftreten.
Madeleine konnte zufrieden mit sich sein. Sie hatte es geschafft, gleich nach dem Examen bei einer renommierten Anwaltskanzlei in Calgary, Kanada unterzukommen. Zwar stammte sie eigentlich aus dem französischsprachigen Teil Kanadas, aber da sie Englisch ebenso gut beherrschte wie Französisch, war das für sie zumindest beruflich kein Problem.
Allerdings vermisste sie manchmal schon die etwas ungezwungenere, leichtere Lebensart der Quebecois, wie sich die Einwohner der französischsprachigen Provinz Quebec selber nannten.
Madeleine parkte ihren Wagen vor dem Polizeihauptquartier der Stadt. Eine Organisation indianischer Aktivisten hatte ihrer Kanzlei das Mandat gegeben. Und da gerade niemand anderes zur Verfügung gestanden hatte, hatte der Boss sie damit beauftragt.
Madeleine lief die langen Flure des Amtsgebäudes entlang.
Ihre Schritte hallten in den Fluren wieder. Dann blieb sie vor einer bestimmten Zimmernummer stehen.
Sie klopfte an, wartete aber nicht auf das launige "Herein!", das ihr jemand zuknurrte.
Madeleine trat ein.
Hinter einem Schreibtisch saß ein junger, gutaussehender Mann, sicher nicht mehr als drei Jahre älter als sie. Er hatte ebenmäßige Züge und kurzes blondes Haar. Seine Haut war leicht gebräunt und seine Augen blau wie das Meer.
Eigentlich hatte Madeleine keinerlei Umschweife machen und sofort nach dem Angeklagten fragen wollen, dessen Interessen sie zu vertreten hatte. Aber der Blick dieser blauen Augen ließ sie verstummen. Und das Lächeln, das ihr entgegengebracht wurde zwang sie fast dazu, es zu erwidern.
Der Mann streckte ihr die Hand entgegen.
"Guten Tag, Ma'am. Ich bin Inspector Carlton. Was kann ich für Sie tun?"
"Madeleine Dubois. Ich bin Anwältin."
"Sie sind wegen David Three Hands hier?"
"So ist es."
"Schade", meinte er.
Madeleines Gesichtsausdruck wurde fragend.
"Weshalb?", erkundigte sie sich.
Carltons Gesichtsausdruck wurde breit. Dann meinte er: "Schade, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen, Miss Dubois."
"Ach, ja?"
"Es sieht nämlich schlecht für diesen David Three Hands aus. Sie werden nichts ausrichten können und das an mir auslassen. Dabei finde ich Sie eigentlich sehr sympathisch."
Madeleine war einen Moment lang etwas verlegen.
"Vielleicht sagen Sie mir einfach, was man Mr. Three Hands vorwirft!"
"Er hat einen Mann namens Doug McAllister ermordet, nachdem er ihn mehrfach bedrohte."
"Sie wollen sagen, dass er unter Verdacht steht!", korrigierte Madeleine ihn.
Er lächelte dünn. "Meinetwegen", gestand er zu. "Bei Doug McAllister, dem Ermordeten, handelt es sich um den Geschäftsführer von Victory Enterprises, einer Firma, der das Victory-Hotel samt dem umliegenden Golfareal gehört... Sie haben sicher schon davon gehört. Eine Nobelunterkunft."
Madeleine nickte. "Gehört habe ich davon", meinte sie. "Wenn Sie mir jetzt bitte die konkreten Verdachtsmomente gegen meinen Mandanten nennen und mich dann mit ihm sprechen lassen würden, Mr. Carlton."
"Sie können mich Ray nennen."
"Vielleicht später mal, Inspector."
Ray Carlton zuckte die Achseln.
"Wie Sie meinen."
"Also?" Madeleine hob die Augenbrauen.
"Das Hotel, dessen Geschäftsführer Mr. McAllister war, liegt angeblich auf einem uralten Indianerfriedhof. Und David Three Hands ist einer dieser radikalen Indianer-Aktivisten, die seit Jahren dafür prozessieren, dass ihnen ihr altes Land zurückgegeben wird..."
"Ist das nicht irgendwie zu verstehen?", erwiderte Madeleine. "Schließlich hat man es ihnen auf ziemlich unfeine Art weggenommen."
"Schon wahr. Aber Leute wie Three Hands gehen noch weiter. Sie behaupten, die Geister der Ahnen würden ruhelos über die Hügel umherziehen und sich für den Frevel rächen, der ihnen mit dem Bau der Hotelanlage angetan worden war. Lange Zeit hat sich nämlich niemand für das Gelände interessiert, auch die Indianer nicht - bis Victory Enterprises es aufgekauft und etwas daraus gemacht hat."
"Ist das alles, was Sie gegen Mr. Three Hands in der Hand haben, Sir?", fragte Madeleine spitz.
"David Three Hands hat McAllister mehrfach seinen Tod angekündigt und ihn damit terrorisiert, dass der Fluch der Ahnengeister auf ihm laste und er so gut wie tot sei. Aber nicht nur das! Seine Seele sei dazu verdammt, ebenso ruhelos umherzuwandern wie die Geister jener Toten, die das Victory Hotel in ihrer Ruhe störe. Das letzte Mal tauchte Three Hands am Tag vor McAllisters Tod in der Hotelanlage auf und bedrohte ihn. Dafür gibt es zahlreiche Zeugen, unter anderem Clarissa McCallister, seine Witwe."
"Haben Sie noch mehr?"
Madeleine gab sich Mühe, möglichst unbeeindruckt zu wirken.
Der Job einer Rechtsanwältin hatte viel mit dem eines Pokerspielers gemein - man durfte seine Karten auf keinen Fall zu früh aufdecken, sonst musste der Mandant dafür am Ende büßen.
Ray Carlton seufzte.
Dann öffnete er eine der Schubladen in seinem Büro und holte einen kleinen, ledernen Beutel heraus und hielt ihn Madeleine hin.
"Was ist das?", fragte sie stirnrunzelnd. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Das Leder war fleckig und hatte bereits etwas Schimmel angesetzt.
"Das ist eine indianische Zaubermedizin", erklärte Carlton. "Der Inhalt ist ziemlich unappetitlich. Three Hands hat McAllister dieses Ding gezeigt, während er seine Drohungen aussprach. Und als wir die Leiche fanden, lag dieser Beutel auf der Brust des Toten - etwa eine Handbreit unterhalb der Stelle, an der der Griff eines Indianermessers aus seiner Brust ragte."
Madeleine machte eine wegwerfende Handbewegung. "Das wird nicht der einzige Medizinbeutel dieser Art sein, den es hier in Calgary gibt."
Carlton grinste breit.
"Nein, sicher nicht. Aber sicher einer der wenigen, auf dem sich die Fingerabdrücke eines gewissen David Three Hands befinden!"
Jetzt konnte Madeleine ihr Erstaunen nicht verbergen.
Dieser Fall sah wirklich nicht besonders vielversprechend aus. "Sie können ja nichts dafür", sagte Carlton.
"Sie brauchen mich nicht zu trösten."
"Wollen Sie jetzt mit Mr. Three Hands reden?"
"Ja. Und zwar allein."
"Gut", nickte Carlton. "Er sitzt im Nebenzimmer. Mein Kollege unterhält sich gerade mit ihm - oder versucht es zumindest."
Madeleine stutzte. "Was soll das heißen?"
Carlton zuckte die Achseln.
"Dieser Schamane scheint nicht mit jedem zu reden - oder er bevorzugt die Geister der Verstorbenen als Gesprächspartner.
Uns sagt er jedenfalls nichts."
"Das ist sein gutes Recht, Inspector Carlton!", belehrte Madeleine ihn.
"Ray! Bitte!" Sein Lächeln war einfach zu charmant, um wahr zu sein und obwohl Madeleine sich aus Prinzip vorgenommen hatte, es nicht zu tun, hörte sie sich selbst sagen: "Also gut. Ray."
*
Nachdem Carltons Kollege den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, war Madeleine mit David Three Hands allein.
Der Indianer saß in Handschellen da.
Sein Blick war ruhig, fast apathisch und vollkommen in sich gekehrt, so als würde er in seiner eigenen Welt leben. Sein Alter war schwer zu schätzen. Mindestens 35, dachte Madeleine, wahrscheinlich älter. Seine Gesichtszüge waren markant und hart. Einige furchenartige Falten durchzogen dieses Gesicht, die fast wie Narben wirkten. Die hervorspringende Adlernase und das spitze Kinn gaben ihm ein kühnes Profil.
Er trug seine blauschwarzen Haare zu einem Zopf nach hinten gebunden.
"Guten Tag, Mr. Three Hands. Ich bin Madeleine Dubois, Ihre Anwältin. Die Red Indian Rights Foundation, der Sie ja auch angehören, hat mich beauftragt, Sie zu vertreten. Sind Sie damit einverstanden?"
Es kam keine Antwort.
Der Indianer saß da wie eine Statue und blickte ins Nichts.
"Darf ich Sie David nennen?", fragte Madeleine, während sie gegenüber, auf der anderen Seite des Schreibtischs, der sich in der Raummitte befand, Platz nahm.
Seine Antwort war Schweigen.
"David, es sieht nicht gut für Sie aus. Und wenn Sie wollen, dass ich Sie hier heraushole, dann müssen Sie mir schon helfen. Sonst kann ich nichts für Sie tun!" Madeleine hörte ihrer eigenen Stimme zu, als wäre es die Stimme einer Fremden. Es war vergeblich. Verzweifelt fragte sich die junge Frau, wie sie durch den Nebel aus Apathie, der diesen Mann zu umgeben schien, zu ihm durchdringen konnte.
Eine Weile schwiegen sie. Madeleine stand auf, musterte David einen Augenblick lang und trat dann ans Fenster.
Sie war ratlos, dann drehte sie sich plötzlich um und fragte: "Von welchem Stamm sind Sie, David?"
Er wandte den Kopf und sah sie an. Seine erste Reaktion.
Vielleicht war das ein Zeichen, das zur Hoffnung berechtigte...
"Blackfeet", sagt er mit dunkler Stimme. "Ich gehöre zum Stamm der Blackfeet. Aber meine Großmutter war eine Crowe."
"Sie sind Schamane?"
"Medizinmann."
"Sie sprechen mit den Geistern?"
"Ja."
"Wie machen Sie das, David?"
"Sie können sie nicht hören. Für Sie ist die Welt stumm, aber für mich ist sie voller Stimmen."
"Ich verstehe", sagte Madeleine.
David Three Hands schüttelte energisch den Kopf und erwiderte ruhig, aber sehr bestimmt: "Nein, das können Sie nicht verstehen."
"Weil ich eine Weiße bin?"
"Für lange Zeit hat es selbst in unserem Volk niemanden mehr gegeben, der diese Dinge verstanden hat. Unsere Sitten, unsere Kultur, unsere Religion... Alles drohte in Vergessenheit zu geraten. Es hat lange gedauert, bis wir uns wenigstens ein Teil des Wissens, das unsere Vorfahren hatten, wieder aneignen konnten."
Madeleine hörte ihm nachdenklich zu. Seine Stimme hatte einen ernsten Unterton. Sie hoffte, dass er wenigstens ein bisschen Vertrauen zu ihr gefaßt hatte.
"Der Inspector hat mir einen Lederbeutel gezeigt..."
"Die Medizin!"
"Was hat es damit auf sich! Was bedeutet das?"
"Ein Zauber!", erklärte der Indianer ruhig. "Ein sehr mächtiger Zauber..."
Madeleine wurde hellhörig. "Ein Zauber, der Doug McAllister töten sollte!", schloss sie und ihre Stimme hatte dabei einen harten Klang bekommen. In den Augen des Medizinmannes blitzte es. Er funkelte sie an. Und Madeleine fuhr fort: "Sie haben versucht, ihn mit einem Zauber zu töten, ist das richtig? An der Medizin waren Ihre Fingerabdrücke. Sie stammt also von ihnen..."
"Ja."
"Haben Sie McAllister getötet?"
"Doug McAllister starb nicht durch mich", erklärte er im Brustton fester Überzeugung.
"Nein?"
Madeleine war froh, dass das Gespräch endlich den Kern der Sache berührte. Jetzt nur nicht lockerlassen!, sagte sie sich selbst.
"Es war der Fluch der Geister unserer Ahnen. Durch sie ist er gerichtet worden."
"Und das Messer, das man ihm in die Brust gestoßen hat?"
"Mehr kann ich nicht sagen."
Jetzt ging die Tür auf. Ray Carlton kam herein. "Das dürfte reichen", erklärte der Inspector.
Madeleine wandte sich an Carlton und fragte: "Haben Sie außer dem Medizinbeutel noch einen anderen Hinweis, der darauf hindeutet, dass Mr.Three Hands der Mörder ist?"
"Reicht das nicht?"
"Keine Fingerabdrücke am Messer?"
"Nein. Sie können sich auf den Kopf stellen, aber Mr. Three Hands bleibt vorerst hier! Nachher entscheidet der Haftrichter, was passieren wird, aber glauben Sie mir, er wird darüber genauso denken wie ich. Mr. Three Hands ist nämlich alles andere als ein unbescholtener Bürger..."
"Ach, was Sie nicht sagen..."
"Ein Alibi für die Tatzeit hat er auch nicht. Angeblich kann er sich nicht erinnern..."
Madeleine atmete tief durch, dann ging sie an Carlton vorbei durch die Tür.
"Seien Sie eine gute Verliererin, Madeleine!", rief Ray Carlton ihr nach.
Madeleine drehte sich herum. "Habe ich Ihnen erlaubt, mich so zu nennen?"
Carlton lächelte. "Gibt es einen Paragraphen, der dagegen spricht?", antwortete er mit einer Gegenfrage.
*
Es kam genau so, wie Ray Carlton prophezeit hatte. Der Richter ließ David Three Hands in Haft. Und nach allem, was Madeleine während ihres Studiums gelernt hatte, hatte er auch kaum eine andere Wahl gehabt. Die Fakten waren einfach zu eindeutig und sprachen eine deutliche Sprache. Alles schien darauf hinzudeuten, dass David Three Hands nicht allein auf die Kraft indianischer Magie vertraut hatte. Diese anzuwenden war ja nicht strafbar. Gegen Flüche, Verwünschungen und Hexenrituale aller Art gab es keine Gesetze. Gegen Mord allerdings schon.
Madeleine kehrte zurück zu dem großen Bürokomplex, in dem die Kanzlei Langford & Smith eine Büroetage gemietet hatte.
"Na, Erfolg gehabt?", begrüßte sie Simon Langford, ein hoch aufgeschossener dunkelhaariger Mann, etwa in ihrem Alter.
Simons Examen war zwar nicht ganz so blendend gewesen wie Madeleines, aber er hatte ihr dennoch eine entscheidende Tatsache voraus. Er hieß Langford und war der Sohn von John Langford, einem der beiden Teilhaber der Kanzlei. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass er sich Fehler erlauben durfte - sie hingegen nicht.
"Es dürfte nicht so einfach sein, diesen Medizinmann zu verteidigen", gab Madeleine dann zu und fasste Simon kurz ihr Gespräch mit David Three Hands zusammen.
"Wer untersucht den Fall?"
"Inspector Carlton."
"Ray Carlton?"
"Ja."
"Ein unangenehmer Kerl", meinte Simon. "Ich hatte auch schon mal in einer Strafsache mit ihm zu tun..."
"Den Eindruck hatte ich eigentlich nicht", murmelte Madeleine, während sie sich an den Blick von Ray Carltons blauen Augen erinnerte. Dafür, dass die Beweislage für ihren Mandanten schlecht war und sie im Moment auf verschiedenen Seiten standen, konnte er ja nichts.
"Ach, nein?", echote Simon.
"Er macht seinen Job."
Simon musterte sie einen Augenblick lang nachdenklich. Seit dem ersten Tag, da sie hier bei Langford & Smith angefangen hatte, hatte er ihr gewissermaßen den Hof gemacht. Es war überdeutlich, was er wollte.
Aber Madeleine hatte mit ihm nichts im Sinn. Er sah zwar gut aus und hatte Charme, aber da war noch etwas anderes an ihm, das sie störte und zurückschrecken ließ.
Etwas Kaltes, Unmenschliches, bei dem man frösteln konnte.
"Naja", meinte Simon. "Ich habe es ja von Anfang an für einen Fehler gehalten, diese Indianersache zu übernehmen. Schließlich könnten wir es uns dadurch mit anderen, wichtigen Mandanten verderben."
Madeleine zuckte die Achseln. "Dein Vater war anderer Meinung."
Er nickte.
"Ich weiß", gab er zu. "Er wird es wohl nicht mehr lernen, unseren Beruf eher von der Business-Seite her zu sehen..."
Madeleine sah ihn kühl an und erklärte: "Dein Vater hat eben noch die vielleicht altmodische Vorstellung, dass eine gute Verteidigung jedem zusteht..."
"Na, wie ich sehe, seid ihr euch in dem Punkt ja einig", erwiderte Simon. "Übrigens wartet jemand in deinem Büro auf dich."
"Wer?"
"Geh hinein, dann siehst du es!"
Und damit ging er an ihr vorbei.
*
In Madeleine Dubois' Büro wartete ein alter, grauhaariger Mann mit dunklem Teint. Er war hager und trug ein Paar blauer Jeans und ein schwarz-weißkariertes Hemd. Der ruhige Blick seiner dunklen Augen kam Madeleine von irgendwoher bekannt vor und ließ sie unwillkürlich stutzen.
"Guten Tag", sagte sie etwas zögernd.
Der Mann reichte ihr die große, kräftige Hand.
"Guten Tag. Sie sind Miss Dubois?"
"Die bin ich."
"Mein Name ist Jack Three Hands."
"Dann sind sie..."
"...Davids Vater, so ist es."
"Ich verstehe." Madeleine legte ihre Aktenmappe auf den Tisch und ging zur Kaffeemaschine. "Möchten Sie auch eine Tasse?"
"Nein, danke. Was ist mit David?"
Madeleine seufzte. Dann fasste sie knapp zusammen, was es dazu zu sagen gab und erklärte dann, nachdem sie mit ihrer Kaffeetasse zum Schreibtisch zurückgekehrt war: "Vielleicht können Sie Ihrem Sohn helfen."
"Wie?"
"Indem Sie mir von ihm erzählen. Er war nämlich leider bislang nicht sehr auskunftsfreudig..."
"Gut. Wissen Sie, David lebt bei uns. Er hat genau wie ich auf dem Bau gearbeitet. Dort beschäftigt man Indianer gerne, weil sie schwindelfrei sind. Zumindest, sofern sie nichts getrunken haben."
"Und jetzt?", fragte Madeleine.
"Seit er sich für diese Red Indians Rights Foundation einsetzt, hat sich alles geändert. Er begann sich für das Brauchtum unserer Vorfahren zu interessieren, insbesondere für ihren Schamanismus. Er gab seinen Job auf und verbrachte einen Sommer bei einem selbsternannten Medizinmann, unten in Wyoming. Seitdem ist er völlig verändert, spricht mit Geistern und glaubt, die Weißen mit Zauberei vertreiben zu können..."
"Das klingt nicht, als würden Sie die Ansichten Ihres Sohnes teilen."
"Das tue ich auch nicht. Es ist eine Sache, Prozesse zu führen und für die Rechte unseres Volkes einzutreten - aber dieser mystische Hokuspokus bringt keinen von uns weiter. Man mag es bedauern, aber die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Niemand kann das, auch mit mächtiger Zauberei nicht. Wir leben in der Welt des weißen Mannes und jeder von uns tut gut daran, sich so gut wie möglich anzupassen." Jack Three Hands atmete tief durch. Schmerz war in seinen Zügen zu lesen.
Seelischer Schmerz. "Mein Sohn verachtet mich dafür, dass ich so denke..."
Madeleine ließ ihm eine kleine Pause, dann sagte sie: "Doug McAllister wurde am 17. dieses Monats etwa um 22.00 Uhr getötet. Wissen Sie, wo Ihr Sohn zu dieser Zeit war?"
"Nein."
"Wenn wir jemanden finden würden, der bezeugen könnte, wo er gewesen ist, würde ihm das sehr helfen."
Jack nickte. "Ich werde mich umhören."
*
Madeleine hatte noch einigen Schreibkram in ihrem Büro zu erledigen. Und dann stand noch eine Konferenz bei der Kanzlei tätigen Anwälte auf ihrem Plan. Der alte Langford, ein freundlicher, aber sehr bestimmter älterer Herr mit fast ganz ergrauten Haaren, wollte immer genau wissen, wie weit die einzelnen Mitarbeiter in ihren Fällen waren. Das sei er den Klienten schuldig, so war seine Devise.
Madeleine war ziemlich geschlaucht nach diesem Tag. Aber der Fall David Three Hands ging ihr nicht aus dem Kopf. Um Routine bei einer solchen Sache empfinden zu können, war sie wohl noch zu jung. Madeleine fragte sich, wann das wohl kam.
Reichten fünf Jahre als Anwalt dafür? Oder zehn? Vielleicht gab es auch Menschen, bei denen dieser Beruf nie zur Routine wurde...
Jedenfalls ging der Indianer ihr nicht aus dem Kopf. Seine ruhige, bestimmte Art und das, was er über den Fluch der Ahnengeister gesagt hatte, der Doug McAllister angeblich ereilt hatte.
David schien felsenfest davon überzeugt zu sein.
Madeleine fragte sich, ob es vielleicht etwas brachte, ihn einem Lügendetektor-Test zu unterziehen.
Sie war gerade in ihren Wagen gestiegen und hatte den Gang eingelegt, da fasste sie einen Entschluss.
Ich werde mir dieses Victory-Hotel mal aus der Nähe ansehen, überlegte sie. Sie hatte einfach das Gefühl, dass sie hier allein mit dem Studium von Akten und Gesetzestexten nicht weiterkam. Sie wollte wissen, worum es hier wirklich ging.
Sie fühlte ein leichtes Kribbeln in der Magengegend, so als ahnte sie bereits, dass sie sich mit dieser Entscheidung in Dinge verstrickt hatte, die...
Es war nur eine düstere Ahnung, nicht mehr. Und Madeleine hielt sich für eine Realistin und wischte sie mit einer fahrigen Geste hinweg, mit der sie sich eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht entfernte.
Bis zum Victory-Hotel, draußen vor der Stadt, war es nicht besonders weit und verkehrstechnisch lag das Nobelhotel auch äußerst günstig. Trotzdem brauchte Madeleine länger, als sie gedacht hatte. Es war Rush Hour und alle Welt wollte jetzt nach Hause.
Die Eingangshalle des Victory war mit edlem, dunkelblauem Teppichboden ausgelegt, der das Geräusch der Schritte stark abdämpfte. Man fühlte sich wie in Watte gepackt, wenn man darüberlief.
"Sie sehen so ratlos aus, junge Frau", hörte sie hinter sich jemanden sagen.
Sie drehte sich um und blickte in das Gesicht eines dunkelhaarigen Manne mit starken Augenbrauen und grün funkelnden Augen.
Er lächelte, aber in diesem Lächeln lag eine gewisse Härte, die Madeleine nicht gefiel.
"Oh, entschuldigen Sie mich. Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Mark Kendricks. Ich bin einer der Manager dieses Hotels."
"Madeleine Dubois. Ich... Ich bin Anwältin."
"Vertragsrecht?"
"Strafsachen."
Kendricks hob die Augenbrauen. "Ah, ich begreife. Dann vertreten Sie sicher Mrs. McAllister. Sie hat mir gesagt, dass sie sich anwaltlich beraten lassen will... Die Ärmste, verliert ihren Mann durch einen verrückten Medizinmann, und dann wird der Fall auch noch durch einen ziemlich unfähigen Inspektor bearbeitet. Mrs. McAllister hat mit Ihnen sicher eine gute Wahl getroffen. Sehen Sie der Polizei auf die Finger und verhindern Sie, dass dieser verrückte Rote am Ende für unzurechnungsfähig erklärt und in ein Sanatorium geschickt wird!"
Madeleine lächelte geschäftsmäßig und erwiderte dann, in die erste Pause hinein, die Kendricks machte: "Ich muss Sie enttäuschen. Ich vertrete nicht die Witwe des Ermordeten, sondern den verrückten Medizinmann, wie Sie ihn genannt haben."
"Oh..." Das schien für ihn wie ein Schlag vor den Kopf zu sein, den er erst einmal verdauen musste. Und das dauerte einen Moment.
"Wir können uns aber trotzdem ein bisschen unterhalten", meine Madeleine und setzte dabei das charmanteste Lächeln auf, das sie herbeizuzaubern in der Lage war. "Sehen Sie, ich würde gerne etwas mehr über die Umstände wissen."
"Es passierte in der Suite, die die McAllisters bewohnen. Sie ist jetzt von der Polizei versiegelt..."
"Das meine ich nicht."
"Nein?" Er hob seine dichten Augenbrauen. Sein durchdringender Blick musterte sie prüfend.
"Was war McAllister für ein Mensch... Sie haben doch zusammen gearbeitet..."
Kendricks zuckte die Achseln. "Er war manchmal etwas reizbar. Menschlich sehr kompliziert, um es vorsichtig zu sagen. Ich glaube, er hatte es auch am Herzen oder so. Deswegen ist ihm dieser Terror des Medizinmanns auch so auf den Magen geschlagen. Diese ekelhaften Lederbeutel, die er irgendwie in McAllisters Nähe geschmuggelt hat. Anrufe hat es auch gegeben. Und dann ist er natürlich mehrfach hier im Hotel aufgetaucht in voller Medizinmann-Ausrüstung. Er tanzte in so einem Bisonfell herum und drohte immer mit dem Fluch, der von Geistern der Ahnen ausginge..."
"Haben Sie denn keinen Sicherheitsdienst?"
Kendricks lachte. "Was glauben Sie denn? Weiß der Himmel, wie er die immer überlistet hat... Einmal tauchte dieser Teufel plötzlich auf der Straße vor McAllisters Auto auf mitten in der Nacht! Wie ein Gespenst! McAllister war danach zwei Wochen lang nicht mehr in der Lage, seinen Chevy selbst zu lenken." Kendricks schüttelte den Kopf. "Die Prozesslawine, die diese Indianer-Foundation auf uns losgelassen hat, war auch nicht ohne - aber das war schon mehr. Psychoterror."
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Aber das können Sie ja alles in den Gerichtsakten nachlesen. Das ganze hatte nämlich ein juristisches Nachspiel. Aber leider wird in diesem Land ja erst etwas unternommen, wenn ein Wahnsinniger bereits etwas Furchtbares getan hat! So wie diesen Mord..."
"Bis jetzt ist er nur verdächtig", gab Madeleine zu bedenken.
Kendricks grinste.
"Ja, ja, das müssen Sie ja sagen. Das gehört zu Ihrem Job. Ich hoffe, dass er Ihnen gegenüber wenigstens so fair war, die Tat zuzugeben."
"Mr. Three Hands glaubt, dass die Ahnengeister McAllister auf dem Gewissen haben."
"Mit den Toten treibt man keine Scherze, Miss Dubois. Das sollten Sie wissen!", erklärte Kendricks eisig. Dann verabschiedete er sich knapp und ging davon. Mit schnellen, sicheren Schritten bewegte er sich auf die Drehtüren zu und Madeleine sah ihm noch einen Moment lang nach.
"Sie waren nicht sehr geschickt", meinte eine Stimme aus dem Hintergrund, die ihr vertraut war.
Einer der großen Drehsessel, die in Gruppen die Eingangshalle kennzeichneten, wurde herumgedreht. Madeleine war erstaunt. Sie blickte in Ray Carltons Gesicht.
"Inspector!"
"Sie sollten mich Ray nennen."
Warum darüber länger streiten?, dachte sie sich und sagte: "Ray!"
"Sie wollen sich an Ort und Stelle umsehen, Madeleine? Das ist löblich. Sie setzen sich mehr für Ihren Mandanten ein, als es das Honorar für Ihre Kanzlei rechtfertigt... Wollen Sie den Tatort sehen?"
"Sie sind sich sehr sicher, was?"
Ray nickte.
"Natürlich. Es passt alles zusammen."
"Gut, wenn Sie mich in die Suite lassen."
"Nur in meiner Begleitung! Kommen Sie!"
Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke. Hellblaue Augen hatte er und sein Lächeln war offen und sympathisch.
Madeleine schluckte. Ein flaues Gefühl in der Magengegend konnte alles mögliche bedeuten. Zum Beispiel, dass es schon eine ganze Weile her war, seit sie zum letzten Mal richtig gegessen hatte.
Oder dass sie dabei war, sich zu verlieben - auch wenn sie sich das noch nicht so recht eingestehen mochte. Da war ihr die erste Erklärung doch schon entschieden lieber!
*
Die Besichtigung der McAllister-Suite brachte keine neuen Aufschlüsse.
Madeleine konnte sich jetzt in allen Einzelheiten vorstellen, was geschehen war. Auf dem Boden war mit Kreide eingezeichnet, wo der Ermordete gelegen hatte.
"Sie werden in dieser Sache nichts ausrichten können, Madeleine", war Ray überzeugt. "Wenn Sie mich fragen: Plädieren Sie auf unzurechnungsfähig. Damit kommen Sie vielleicht durch, wenn Sie die richtigen Gutachter an die Sache heranlassen!"
"Ich weiß nicht", murmelte Madeleine. "Irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, einem Mörder gegenüberzusitzen..."
"Auf solche Gefühle würde ich nicht verlassen."
"Haben Sie eigentlich schonmal nach anderen Verdächtigen in McAllisters Umgebung gesucht, die auch ein Motiv haben könnten?"
"Natürlich. Aber in diesem Fall dürfte sich eine solche Suche kaum lohnen. Es ist doch alles klar."
"Ich hätte Sie für neugieriger gehalten, Ray."
"Gehen wir essen? Mein Magen knurrt. Ich lade Sie ein!"
Madeleine mußte lächeln. "Gehen Sie immer so aufs Ganze?"
Als sie wenig später auf den Aufzug warteten, um wieder ins Erdgeschoss zu gelangen, trafen sie auf eine gutaussehende Frau in den Vierzigern, die den Inspector mit einem misstrauischen Blick bedachte.
"Sie sind immer noch hier?", erkundigte sie sich.
"Ja, wie Sie sehen, Mrs. McAllister... Miss Dubois, die Anwältin von David Three Hands wollte gerne den Tatort in Augenschein nehmen."
"Und Sie haben es ihr gestattet?"
"Sicher. Sie hat das Recht dazu, die Beweismittel gegen ihren Mandanten zu prüfen."
Clarissa McAllister musterte Madeleine von oben bis unten.
Aus ihren Gesichtszügen sprach deutliche Geringschätzung.
"Es tut mir sehr leid, was mit Ihrem Mann passiert ist", sagte Madeleine vorsichtig.
"Ach, wirklich?", erwiderte Clarissa McAllister. Ihr Ton war so schneidend wie der eisige Nordostwind, der zuweilen über die kanadische Provinz Alberta fegte. "Sie sind doch nur an einem interessiert: Wie Sie Ihren Mandanten vor dem Zugriff der Justiz retten können! Dieser Schamane ist ein Mörder! Ganz gleich, ob man später über ihn sagen wird, dass er vielleicht krank war!"
"Noch ist er nicht verurteilt worden", erwiderte Madeleine ruhig. "Und so lange sollten auch Sie warten, bis Sie ihn einen Mörder nennen!"
*
Draußen war es indessen kalt geworden. Als Madeleine und Ray das Victory-Hotel verließen, kam der junge Inspector nochmals auf sein Angebot zurück, Madeleine zum Essen einzuladen.
Madeleine musste unwillkürlich lächeln.
"Sie sind hartnäckig, was?"
Ray nickte.
"Sicher, sonst wäre ich in meinem Alter noch nicht Inspector."
"Da haben Sie sicher recht."
"Fahren Sie hinter mir her?"
"Meinetwegen. Aber unterstehen Sie sich, mich in eine Snack Bar auszuführen."
Ray grinste. "Wie kommen Sie nur auf so etwas, Madeleine?"
"Vielleicht ist es ja nur ein Vorurteil, aber die meisten Polizisten, die ich kenne, essen dort", erwiderte Madeleine neckisch.
Ray zuckte die Achseln.
"Dann kennen Sie eben die Falschen!", meinte er leichthin.
*
Es war ein stilvolles Restaurant mit französischer Küche, in das Ray Carlton Madeleine ausführte.
"Über mangelnde kulinarische Kultur werden Sie sich hier wohl kaum beklagen können", lächelte Ray, während der Ober die Kerzen entzündete. Deren sanftes Licht ließ alles warm und weich erscheinen.
Dieser Abend hatte alle Chancen, romantisch zu werden.
Ray berührte leicht ihre Hand und sie fühlte ein seltsames Kribbeln in der Magengegend. Madeleine schluckte und hoffte, dass ihr Gesicht in diesem Augenblick nicht von einer leichten Röte überzogen wurde.
Dann atmete sie tief durch.
"Was diesen David Three Hands angeht, haben Sie sich ziemlich festgelegt, nicht wahr Ray?", hörte Madeleine ihre eigene Stimme sagen. Sie empfand sich dabei als entsetzlich lächerlich.
Ray schüttelte energisch den Kopf und legte dabei den Zeigefinger an die Lippen.
"Reden wir über etwas anderes, Madeleine, nicht über die Dinge, um die wir uns den ganzen Tag kümmern müssen - Sie als Anwältin, ich als Polizist. Ob Three Hands schuldig ist oder nicht, wird sich herausstellen. Aber bestimmt nicht heute Abend!"
Madeleine lachte.
"Da haben Sie natürlich recht!"
"Sehen Sie!" Ray atmete tief durch. Er sah Madeleine einen Augenblick lang an und dieser Blick schien der jungen Frau durch und durch zu gehen. "Ich möchte mehr über Sie erfahren, Madeleine..."
"Über mich?", erwiderte Madeleine, weil ihr im Augenblick einfach nichts besseres einfallen wollte.
Ray nickte und wirkte sehr entschieden dabei.
"Ja, genau. Ich halte Sie nämlich für eine faszinierende Frau, Madeleine..."
Der Wein kam und einen Augenblick später hoben sie beide die Gläser. "Auf uns", meinte Ray und lächelte dabei.
Madeleine zögerte kurz, dann nickte sie.
"Auf uns!", hörte sie sich selbst flüstern.
*
Es wurde ein wunderbarer und vor allem sehr langer Abend.
Fast alle Gäste des Lokals waren bereits gegangen, als Madeleine schließlich meinte: "Wir haben beide morgen einen anstrengenden Tag, Ray..."
"Sicher..."
Sie gingen hinaus, in die klare, kühle Nachtluft. Ray legte seinen Arm um ihre Schultern und sie ließ es geschehen und schmiegte sich an ihn.
Über ihnen leuchteten die Sterne und eine recht volle Mondsichel.
Schließlich erreichten sie den Parkplatz und ein paar weitere Augenblicke später standen sie vor Madeleines Wagen.
Sie hielten an, ihre Blicke trafen sich und Madeleine bemerkte, wie sich die Mond in Rays Augen spiegelte.
"Danke", sagte sie.
"Wofür?"
"Für diesen Abend. Es war das schönste, was mir seit langem passiert ist."
"Und dabei wollten Sie eigentlich gar nicht mit..."
"Sie vergessen auch gar nichts, Ray!"
Er zuckte die Achseln.
"Vermutlich eine Berufskrankheit, Madeleine." Dann lächelte er. "Soll aber bei Anwältinnen auch ab und zu vorkommen, wie ich gehört habe!"
Dann sagte keiner von ihnen noch etwas. Ihre Blicke hingen wie magnetisch voneinander angezogen aneinander, und Madeleine glaubte, die Spannung, die zwischen ihnen herrschte, förmlich knistern zu hören. Ihr war fast, als ob sie taumelte.
Einen unsäglich langen Moment später trafen sich dann ihre Lippen, erst vorsichtig und tastend, dann leidenschaftlich.
Madeleine fühlte Rays kräftige Arme ihre Schultern umfassen und schlang ihre eigenen Arme um Rays schmale Hüften.
"Ray...", flüsterte sie dann in einem der wenigen Momente, in denen sie dazu genug Atem hatte.
"Madeleine..."
Als sie sich voneinander lösten, hielt Ray sanft ihre Hand.
Madeleine fühlte sich, als ob der Grund zu ihren Füßen aus Wolken bestand.
Ihre Hand strich sanft über das Revers von Rays Jacke.
Sie sagte: "Es ist wirklich schon sehr spät geworden..."
Er strich ihr über das Haar.
"Gute Nacht, Madeleine."
Sie lächelte. "Wir werden uns ja zwangsläufig wiedersehen..."
"Allerdings."
"Gute Nacht, Ray."
*
Am nächsten Morgen wartete in Madeleines Büro bereits jemand auf sie. Es war niemand anderes als Jack Three Hands, der Vater des angeklagten Medizinmanns.
Madeleine legte ihre Handtasche auf den Schreibtisch und reichte dem Indianer dann die Hand.
"Guten Tag, Mr. Three Hands. Was führt Sie zu mir?"
Die dunklen, ruhigen Augen des Indianers musterten sie einen Augenblick, eher er schließlich antwortete.
"Ich habe jemanden gefunden, der meinen Sohn zu der Zeit gesehen haben will, als dieser Mr. McAllister ermordet wurde", erklärte er.
Madeleine war erstaunt. Wenn etwas an der Sache dran war, dann konnte das für ihren Mandanten die Wende bedeuten.
"Erzählen Sie, Mr. Three Hands!"
"Mein Sohn hatte sich am Abend des Mordes von einem Bekannten den Wagen ausgeliehen. Der Tank war leer, aber David hatte kein Geld. Er hat trotzdem getankt und dann die Tankstelle geprellt. Der Besitzer erinnert sich noch sehr genau an David..."
Einen Augenblick lang keimte Misstrauen in Madeleine auf und so fragte sie: "Wie haben Sie das so schnell herausgefunden?"
Jack zuckte die Achseln. "Ich habe einfach versucht, systematisch seinen Spuren zu folgen und habe mich unter seinen Bekannten umgehört..."
"Gut", sagte Madeleine. "Ich hoffe, dieser Tankwart lässt sich dazu bewegen, vor Gericht auszusagen!"
"Natürlich wird er das! Nicht, weil er meinem Sohn helfen will, sondern weil er Anzeige erstattet hat!"
Madeleine nickte.
Sie griff nach ihrer Handtasche. "Dann lassen Sie uns keine Zeit verlieren, Mr. Three Hands! Sind Sie mit dem Wagen hier?"
"Ich besitze keinen Wagen."
"Dann fahren Sie mit mir!"
*
Es dauerte noch einen ganzen Tag, bis David Three Hands schließlich auf freiem Fuß war. Ein Haftprüfungstermin war anberaumt worden und der Richter erachtete die Aussage des Tankwarts als glaubwürdig. Jetzt erwartete David zwar noch ein weiteres Verfahren wegen Diebstahls, aber darüber schien er sich kaum Sorgen zu machen.
Ray war ziemlich zerknirscht - und das nicht nur, weil der Richter ihm nicht recht gab. Der Staatsanwalt schien ebenfalls ziemlich ärgerlich zu sein. Madeleine hörte, wie er an Ray gewandt meinte: "Ich dachte, dass alles hieb und stichfest wäre, Inspector!"
"Das ist es auch, Sir!"
"Und warum kommt dieser Mann jetzt frei?"
"Das sind doch alles Tricks! Ich weiß nicht, warum dieser Tankwart das sagt, aber ich bin immer noch davon überzeugt, den richtigen Mann verhaftet zu haben!"
Der Staatsanwalt atmete tief durch und kratzte sich nervös am Kinn.
Dann sagte er mit tadelndem Unterton: "Jedenfalls möchte ich das nächste Mal, wenn Sie jemanden verhaften, nicht so eine Pleite erleben..." Und damit ging er an Ray vorbei.
Madeleine stand ein paar Meter entfernt und hatte diese Szene mitangesehen. Als Ray sie sah, reagierte er unwirsch.
"Mein Kompliment, Madeleine! Mein Kompliment!"
"Ray..."
"Ich hoffe, du fühlst dich wohl dabei, einem Mörder zur Freiheit verholfen zu haben!"
"Er hat Auflagen bekommen, Ray..."
"Pah!" Ray machte eine wegwerfende Geste. Dann begegneten sich ihre Blicke und Madeleine fühlte einen Kloß in ihrem Hals. War dies der Mann, in den sie sich verliebt hatte? An ihren Gefühlen hatte sich mit Sicherheit nichts geändert. Sie fand diesen Polizeiinspector nach wie vor faszinierend, aber auf einmal schien da eine Kluft zwischen ihnen zu sein. Ein gähnender Abgrund, der Madeleine erschauern ließ und von dem sie nicht wusste, ob er je wieder zu überbrücken war...
"Ray, du hast dich geirrt, was David Three Hands angeht. Von Anfang an warst du auf der falschen Spur..."
"Sag mir nicht, wie ich meine Arbeit zu machen habe!", knurrte er.
"Das tue ich nicht! Aber vielleicht bist du ein bisschen betriebsblind gewesen!"
"So?"
"Das, was der Vater dieses Schamanen herausgefunden hat, hätte genauso gut ein Kriminalbeamter herausbekommen können oder etwa nicht? Aber daran war dort niemand interessiert, Ray. Weil man nämlich glaubt, den Mörder schon gefunden zu haben!"
Madeleine bereute ihre Worte schon in der nächsten Sekunde.
Nicht, weil sie falsch waren, sondern weil sie spürte, wie der Graben zwischen ihr und Ray immer größer wurde. Und das wollte sie nicht. Andererseits war sie überzeugt davon, recht zu haben.
Rays Kopf war hochrot.
So hatte sie ihn noch nicht erlebt.
"Ray, vielleicht können wir uns ein andernmal - und in Ruhe darüber unterhalten. Ich meine..."
Ray unterbrach sie.
"Ja", sagte er rau. "Vielleicht dann, wenn dieser Schamane noch jemanden umgebracht hat!"
Und damit ließ er sie stehen.
Im ersten Moment wollte sie ihm nachlaufen, aber da sprach sie jemand von hinten an.
Es war David.
"Ich wollte Ihnen danken, Miss Dubois", sagte seine dunkle, ruhige Stimme.
"Gern geschehen", murmelte Madeleine in sich gekehrt. Aber irgendwie hatte sie bei der ganzen Sache kein gutes Gefühl.
Dann sah sie sich um und erkundigte sich: "Wo ist Ihr Vater?"
"Schon gegangen. Er musste zur Arbeit. Bringen Sie mich nach Hause? Ich habe kein Auto."
"Und ich bin kein Taxi!", erwiderte Madeleine. Aber dann entspannten sich ihre verhärteten Gesichtszüge wieder und sie nickte. "War nicht so gemeint, David. Ich bringe Sie."
"Gut."
Es hatte ohnehin kaum Sinn, wenn sie jetzt ins Büro zurückkehrte. Dort würde sie sich ohnehin nicht auf ihre Arbeit konzentrieren können, so aufgewühlt wie sie war.
Wenig später saßen Madeleine und David dann zusammen in Madeleines Wagen.
"Die Sache ist für Sie noch nicht ausgestanden, David. Ich hoffe, dass Sie das wissen."
"Ich mache mir keine Sorgen", erklärte er.
"Das sollten Sie aber."
"Weshalb? Weil man mich doch noch verurteilen könnte?" Er schüttelte den Kopf. "Sie verstehen nicht, Miss Dubois..."
"Was verstehe ich nicht?"
Er sah sie an. Seine dunklen Augen musterten sie eingehend, während seine Hände zu Fäusten geballt waren.
"Ich bin ein Medizinmann, Miss Dubois", erklärte er dann, als würde es etwas erklären.
"Das wird Ihnen nicht helfen können", erwiderte Madeleine nüchtern. Aber da schien ihr Mandant anderer Meinung zu sein.
"Ein Medizinmann zu sein bedeutet, Verbindung mit der Welt der Geister zu haben. Es bedeutet, dass meine Seele frei ist wie ein Adler, selbst wenn man meinen Körper einsperrt. Auch über den Tod hinaus, Miss Dubois... Es gibt nichts, was den Geist aufhalten könnte!"
Mystisches Geschwätz! Das war Madeleines erster Gedanke.
Aber aus den Worten dieses selbsternannten Medizinmannes klang das wie eine Drohung. Ein mulmiges Gefühl machte sich in Madeleines Magengegend bemerkbar und sie spürte ein leichtes Schaudern.
"Ich weiß, Sie glauben, dass der Tod das Ende ist, Miss Dubois", hörte sie seine Stimme im Hintergrund, während sich ihr Klang mit dem Geräusch des Motors vermischte und fast darin unterging. "Aber das ist nicht wahr... Die Geister der Toten leben... Sie sind überall und wen sie mit ihrem Zorn heimsuchen, hat keine Möglichkeit der Flucht!"
Auf einmal spürte Madeleine eine unnatürliche, nicht erklärbare Kälte in sich aufsteigen...
*
Irgendwann am Abend versuchte Madeleine von ihrem Apartment aus Ray anzurufen. Seine Nummer im Telefonbuch zu finden, war leicht, aber er schien nicht zu Hause zu sein. Jedenfalls nahm niemand ab.
Madeleine seufzte. Sie fühlte sich irgendwie unwohl, was Ray betraf. Es gefiel ihr nicht, dass sie so im Streit auseinandergegangen waren.
Es war schon eine Ironie des Schicksals.
Erst hatte die Arbeit sie zusammengebracht und nun hatte sie sie entzweit.
Madeleine ging an den Schrank und holte sich eine Konserve heraus. Sie hatte Hunger, aber keine Lust, sich an diesem Abend noch viel Arbeit zu machen. Außerdem war sie hundemüde.
Immerhin hatte der alte Langford höchstpersönlich ihr ein Lob ausgesprochen, als sie ihm berichtet hatte, dass sie ihren Mandanten freibekommen hatte. "Gute Arbeit!", hatte sie die Worte des Kanzlei-Seniors noch im Ohr. Aber eigentlich stand das Verdienst mehr Davids Vater zu als ihr.
Madeleine aß ohne großen Appetit. Dann ging sie unter die Dusche und fiel schließlich förmlich ins Bett.
Am nächsten Morgen verschlief sie um ein Haar. Sie hatte Glück, dass sie einigermaßen gut durch die Rush Hour von Calgary kam und daher noch gerade rechtzeitig in den Büroräumen von Langford & Smith anlangte.
Sie war etwas überrascht, als sie in ihrem Büro einen Besucher antraf, der in einem der Sessel platzgenommen hatte.
"Ray!"
Sein Lächeln war etwas matt. Er stand auf, während sie einen Moment lang in der Tür stehenblieb.
"Hallo, Madeleine", sagte er.
Sie kam etwas näher. Ihre Blicke trafen sich.
"Es tut mir leid, was gestern geschehen ist", sagte sie dann. "Mir auch."
"Ich habe versucht, dich anzurufen, Ray. Aber du warst offenbar nicht zu Hause..."
"Madeleine, das was ich bei unserem gemeinsamen Essen sagte, das war nicht einfach so dahingesagt. Das meine ich immer noch so..."
Der Abstand zwischen ihnen wurde kleiner. Sie berührte leicht seine Schulter und im nächsten Moment umarmten sie sich. Aber Madeleine spürte, dass etwas anders war. Ray schien seltsam steif und verkrampft zu sein, obwohl er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.
"Madeleine, so leid es mir tut, aber ich bin dienstlich hier", erklärte er dann. Und der Ton, in dem er das sagte, gefiel Madeleine überhaupt nicht. Das konnte nur bedeuten, dass es schlechte Neuigkeiten gab.
"Was ist passiert?", fragte sie daher sogleich.
Er sah sie an und schluckte.
"Dieser Medizinmann scheint nach seiner Freilassung nichts besseres zu tun gehabt zu haben, als gleich einen weiteren Manager aus der Geschäftsführung von Victory Enterprises umzubringen. Mark Kendricks heißt der Mann. Der Mord wurde nach demselben Muster verübt wie der erste. Nur dass dein Mandant diesmal kein Alibi haben wird..."
Einen Augenblick lang war es Madeleine so, als würde sich in ihrem Kopf alles drehen. Diese Nachricht war wie ein Schlag vor den Kopf für sie. Sollte sie sich am Ende gar so getäuscht haben? Sicher, der Tankwart konnte sich geirrt haben...
Madeleine ließ sich auf dem Stuhl hinter ihrem Schreibtisch nieder und auch Ray setzte sich wieder.
Jetzt musste sie einen kühlen Kopf bewahren.
"Wo ist das Verbrechen passiert?", erkundigte sie sich.
"Kendricks bewohnt einen Bungalow am Stadtrand. Jemand hat einen Schrei gehört und anschließend jemanden davonrennen sehen, auf den David Three Hands Beschreibung passt..."
"Wann?"
"So gegen 22.00 Uhr."
"Es war also dunkel."