Romantic Thriller Viererband 1004 - Alfred Bekker - E-Book

Romantic Thriller Viererband 1004 E-Book

Alfred Bekker

0,0

Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (499EX) Alfred Bekker: Herrin der Krähen Alfred Bekker: Sara und der Kult der Schlange Alfred Bekker: Die Hexe von Gilford Castle Alfred Bekker: Jägerin der magischen Winde Sara Norwood reist nach Irland, um den Tod ihres Bruders aufzuklären. Der Archäologe und Spezialist für alt-keltische Kulte starb unter mysteriösen Umständen. Welche Rolle spielte dabei ein mysteriöser Schlangenkult, der offenbar bis heute praktiziert wird? Sara begegnet einer Mauer des Schweigens und einem gleichermaßen faszinierenden wie zwielichtigen Mann, in den sie sich verliebt. Schließlich muss Sara erkennen, dass man auch sie töten will... Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 427

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alfred Bekker

Romantic Thriller Viererband 1004

UUID: 0c723662-2768-4b9e-9c44-2abe84065928
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Romantic Thriller Viererband 1004

Copyright

Herrin der Krähen

Sara und der Kult der Schlange

Die Hexe von Gilford Castle

Jägerin der magischen Winde

Romantic Thriller Viererband 1004

Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane:

(499EX)

Alfred Bekker: Herrin der Krähen

Alfred Bekker: Sara und der Kult der Schlange

Alfred Bekker: Die Hexe von Gilford Castle

Alfred Bekker: Jägerin der magischen Winde

Sara Norwood reist nach Irland, um den Tod ihres Bruders aufzuklären. Der Archäologe und Spezialist für alt-keltische Kulte starb unter mysteriösen Umständen. Welche Rolle spielte dabei ein mysteriöser Schlangenkult, der offenbar bis heute praktiziert wird? Sara begegnet einer Mauer des Schweigens und einem gleichermaßen faszinierenden wie zwielichtigen Mann, in den sie sich verliebt. Schließlich muss Sara erkennen, dass man auch sie töten will...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Authors /COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Zum Blog des Verlags geht es hier:

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

Herrin der Krähen

Alfred Bekker

Eine junge Frau ist einem furchtbaren Geheimnis auf der Spur und begegnet der Liebe ihres Lebens.

Der Umfang dieses Buchs entspricht 100 Taschenbuchseiten.

"Nein", flüsterte die grauhaarige Frau mit den hellblauen Augen. Ihr Mund war halb geöffnet. Sie war starr vor Schrecken.

Vom Horizont her sah sie den dunklen Schwarm der Vögel herannahen. Wie düstere Gedanken schwebten sie am Himmel.

Es waren Krähen.

Ich habe sie gerufen!, wurde es ihr klar und diese Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Sie fühlte die Verzweiflung in sich aufsteigen. Es war ein düsterer, wolkenverhangener Tag. Dorothy Carson fröstelte. Ein eisiger Wind kam von der Küste her und blies über das grau wirkende Land. Ein krächzender Laut durchschnitt die Stille wie ein Messer. Die alte Dame wirbelte herum und sah zur Vorderfront des weiträumigen, herrschaftlich wirkenden Landhauses, das sie bewohnte. Auf dem Dach hatte ein halbes Dutzend Krähen Platz genommen, ohne dass Dorothy davon etwas bemerkt hätte. Und ein paar weitere kamen jetzt noch hinzu. Es war gespenstisch.

Copyright

LESLIE GARBER IST EIN PSEUDONYM VON ALFRED BEKKER.

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author / COVER TONY MASERO

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

"Nein", flüsterte die grauhaarige Frau mit den hellblauen Augen. Ihr Mund war halb geöffnet. Sie war starr vor Schrecken.

Vom Horizont her sah sie den dunklen Schwarm der Vögel herannahen. Wie düstere Gedanken schwebten sie am Himmel.

Es waren Krähen.

Ich habe sie gerufen!, wurde es ihr klar und diese Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Sie fühlte die Verzweiflung in sich aufsteigen. Es war ein düsterer, wolkenverhangener Tag. Dorothy Carson fröstelte. Ein eisiger Wind kam von der Küste her und blies über das grau wirkende Land. Ein krächzender Laut durchschnitt die Stille wie ein Messer. Die alte Dame wirbelte herum und sah zur Vorderfront des weiträumigen, herrschaftlich wirkenden Landhauses, das sie bewohnte. Auf dem Dach hatte ein halbes Dutzend Krähen Platz genommen, ohne dass Dorothy davon etwas bemerkt hätte. Und ein paar weitere kamen jetzt noch hinzu. Es war gespenstisch.

"Fort mit euch, ihr kleinen Bestien!", rief Dorothy mit heiserer, kraftlos klingender Stimme. Der Vogelschwarm vom Horizont kam indessen näher.

Unfassbar, dachte sie. Es sind meine Gedanken, die diese Wesen herbeirufen. Meine düsteren Gedanken und eine geheimnisvolle Kraft, die ihnen innezuwohnen scheint...

Aber warum verschwanden sie dann nicht wieder, wenn sie es wünschte? Warum hatte sie offenbar nicht auch die Macht, diese Vögel wieder zu verjagen?

Sie hörte das Krächzen und dieser Laut ging ihr durch Mark und Bein. Einen Moment lang war Dorothy Carson wie betäubt, dann strebte sie dem Hauptportal des Landhauses zu. Sie hatte Angst. Namenlose Angst, die ihr die Kehle zuschnürte und sie halb wahnsinnig zu machen drohte... Angst vor jenen dunklen Geschöpfen, die sie selbst herbeigerufen hatte, über die sie aber dennoch nicht vollends Herrin war. Die Vögel kamen näher. Dorothy Carson rannte jetzt. Es war ein großer Schwarm. Der wolkenverhangene Himmel begann sich zu schwärzen. Einige der Vögel flogen sehr tief. Und das grauenerregende Krächzen war nun allgegenwärtig. Dieser Laut ließ Dorothy frösteln. In ihrem Innern krampfte sich alles zusammen. Sie hörte sich selbst unverständliche Worte vor sich hinmurmeln.

Ich kann meine Kraft nicht kontrollieren!, ging es Dorothy siedend heiß durch den Kopf. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, aber es gelang ihr nicht. Sie war erfüllt von nichts weiter als nackter Furcht.

Dann stolperte sie, nur wenige Meter von dem Treppenaufgang des Portals entfernt. Dorothy schluchzte. Es war sinnlos, sich gegen die übermächtigen dunklen Mächte zu stellen, die sie selbst herbeigerufen hatte. Diese Kräfte waren zu stark. Sie konnte sie nicht bändigen, so sehr sich auch bemühte. Sie keuchte. Der Angstschweiß stand ihr kalt auf der Stirn, als sie sich herumdrehte und den Schwarm der Krähen auf sich zukommen sah. Sie flogen sehr tief. Und die tierischen Schreie ihrer heiseren Vogelstimmen klangen wie finstere Todesdrohungen. Dorothy schrie aus Leibeskräften und schloss dann die Augen. Sie drehte sich wieder herum, barg den Kopf in den Händen und lag da wie ein zusammengekrümmter Embryo. Dann spürte sie eine Berührung an der Schulter und ein Schauer ließ sie zittern.

Eine dunkle Männerstimme drang wie von Ferne an ihr Ohr.

"Mrs Carson! Mrs Carson, kommen Sie!"

Sie zögerte einen Augenblick, ehe sie es wagte, die Augen zu öffnen, dann blickte sie in ein vertrautes, wenn auch sichtlich erschrockenes Gesicht. Es gehörte Charles, dem Butler. Charles war zwar noch um einiges älter als sie, aber sein Griff war kraftvoll und entschlossen. Der Butler zog Dorothy Carson hoch und stellte sie wieder auf die Beine. Sie zitterte und wimmerte leise vor sich hin, während der Schwarm der Krähen kreischend über sie beide hinwegflog. Gemeinsam gingen sie das Portal hinauf. Charles öffnete die Tür und dann, einen Augenblick später waren sie endlich in Sicherheit. Dorothy fasste sich langsam.

"Es ist so schrecklich, Charles", schluchzte sie. "So furchtbar... Die Vögel..."

"Was ist mit ihnen?", fragte der Butler.

"Oh, Charles, ich war es, der sie gerufen hat! Meine Gedanken haben sie angezogen, aber ich kann nichts dagegen tun! Ich kann sie rufen und manchmal geschieht es sogar ohne meine Absicht, aber ich kann sie nicht kontrollieren!"

"Mrs Carson...", versuchte der Butler die Herrin des Landhauses zu beruhigen, aber er bekam gar nicht die Gelegenheit, etwas zu sagen.

"Ich beschwöre Sie, Charles, gehen Sie auch fort von hier!"

"Aber, Mrs Carson, ich würde Sie nie allein hier zurücklassen!", erklärte der Butler mit fester Stimme.

"Diese Bestien - haben Sie nicht gehört, was mit Lowells Kalb passiert ist? Ein ganzer Schwarm hat sich auf das Tier gestürzt..."

"Es ist nicht mit letzter Sicherheit bewiesen, dass das die Krähen waren", erklärte Charles sachlich.

Aber Dorothy hatte dafür keine Ohren.

"Sie gingen ganz planmäßig vor, haben dem Tier zuerst die Augen ausgepickt. Dann war es hilflos und sie konnten es töten, obwohl soviel größer und kräftiger war... Ich bin dafür verantwortlich, Charles! Ich, niemand sonst! Die Kraft meiner Gedanken ist es, die diese harmlosen Vögel zu Bestien werden lässt..."

"Hören Sie auf, Mrs Carson!", forderte der Butler verzweifelt.

Die Geräusche schlagender Flügel drangen selbst durch die Tür an ihrer beider Ohren. Dorothy Carson musste unwillkürlich schlucken. Ich muss dagegen ankämpfen, sagte sie sich. Und dabei presste sie die Fingerkuppen gegen die Schläfen, hinter denen es auf einmal schmerzhaft pulsierte. Ich muss es schaffen!, hämmerte es in ihr. Ich muss... Sonst würde die unheimliche Kraft, die in ihr schlummerte, weiter Tod und Verderben bringen...

2

Sally Rogers arbeitete schon gut drei Jahre in dem angesehenen Antiquariat Jackson & Graves in Southampton. Die Arbeit machte ihr Freude und in der Zeit, in der sie jetzt schon hier war, hatte sie sich nach und nach bei ihrem etwas bärbeißigen Chef Clayton Jackson durch ihre Sachkenntnis Respekt erworben. Und Sachkenntnis war das A und O, wenn es darum ging, den Wert von Antiquitäten, alten Büchern oder Möbeln, richtig einzuschätzen. Davon hing nicht zuletzt der Erfolg des des Geschäfts ab. Und da es um Clayton Jacksons Gesundheit in letzter Zeit nicht besonders gut bestellt war und Graves, der zweite Partner des Unternehmens, sich vornehmlich um die finanziellen Belange kümmerte, hatte Sally inzwischen eine ziemlich wichtige Funktion bei Jackson & Graves inne. Und das, obwohl sie dafür noch recht jung war. An diesem Morgen führte eine der Verkäuferinnen einen dunkelhaarigen jungen Mann in ihr Büro.

"Das ist Mister Carson", stellte die Verkäuferin den jungen Mann vor. Sally schätzte, dass er ungefähr ihr Alter hatte. In seinem leicht gebräunten Gesicht stand ein sympathisches Lächeln, das sie unwillkürlich erwiderte. "Mister Carson wollte Sie unbedingt sprechen..."

"Ja, das ist schon in Ordnung", erwiderte Sally. "Mister Carson und ich hatten telefoniert..." Sie erinnerte sich.

David Carson aus der Geschäftsleitung von Carson Industries.

Carson reichte ihr die Hand, während die Verkäuferin wieder verschwand. "Dann sind Sie Miss Rogers."

"Ja."

"Ich freue mich, Sie kennenzulernen."

"Bitte, nehmen Sie Platz, Mister Carson", sagte Sally, während ihr Blick dem seinen begegnete. Sie bemerkte, dass er graugrüne Augen hatte.

Die Tatsache, dass er sie einen Moment länger ansah, als das eigentlich nötig gewesen wäre, verwirrte sie für den Bruchteil eines Augenblicks.

David Carson setzte sich.

"Es geht um eine wertvolle Bibliothek, die veräußert werden und dafür zuvor katalogisiert sowie in ihrem Wert einschätzt werden soll..."

"Nun, solche Gutachten erstellen wir durchaus", erwiderte Sally. "Und gegebenenfalls übernehmen wir auch die gesamte Abwicklung eines Verkaufs. Allerdings nur, falls es sich bei den zur Debatte stehenden Dingen nicht um..."

"...Schrott handelt?", unterbrach David Carson sie und lächelte.

Sally lächelte zurück und hob die Augenbrauen.

"So drastisch hatte ich das nicht sagen wollen. Aber unser Haus handelt nur mit wirklich wertvollen Antiquitäten - nicht mit den Dingen, die man auf Flohmärkten erwerben kann."

"Deshalb bin ich ja auch zu Ihnen gekommen, Miss Rogers."

"Um was für eine Bibliothek handelt es sich denn?"

"Zunächst einmal: Es ist nicht meine Bibliothek, sondern die meiner Tante Dorothy. Ich bin sozusagen im Auftrag hier."

"Ich verstehe..."

"Genaues weiß ich nicht, nur soviel: Es sollen auch einige Folianten aus der Zeit von Heinrich dem Achten dabei sein. Dazu alte Chroniken, Bibelausgaben und so weiter. Ich schlage vor, Sie sehen sich das ganze einfach mal an. Von Southampton aus fahren Sie gut anderthalb Stunden bis zum Landsitz von Tante Dorothy."

"Scheint recht einsam zu liegen..."

"Ich habe Ihnen eine Wegbeschreibung mitgebracht. Werden Sie diejenige sein, die die Katalogisierung übernimmt?"

Sally sah ihn erstaunt an.

"Ja, warum?"

"Nun, Sie scheinen mir noch sehr jung dafür..."

"Aber Sie sind nicht etwa zu jung dafür, in der Geschäftsleitung eines großen Industriekonzerns zu sitzen?", versetzte Sally, leicht empört.

Eigentlich sollte ich langsam gelassener darauf reagieren!, schalt sie sich, denn schließlich war es nicht das erste Mal, dass man ihr mit diesem Vorurteil kam. Aber wenn es jetzt von jemandem gebracht wurde, der ihr auf keinen Fall mehr als fünf Jahre voraus sein konnte, dann brachte sie das auf die Palme. David Carsons Gesichtszüge blieben jedoch entspannt.

Ihre Erwiderung schien ihn nicht im Mindesten zu ärgern. Er beugte sich vor und sagte: "Wenn ich nicht der Neffe des kinderlos verstorbenen Firmengründers wäre, wäre ich sicherlich noch lange nicht so weit. Das ist mir wohl bewusst", erklärte er schulterzuckend. Seine Offenheit war entwaffnend.

"So war das nicht gemeint", nahm Sally etwas zurück.

"Es geht auch nicht darum, was ich denke, Miss Rogers, sondern um meine Tante. Ich habe nichts gegen Ihr Alter - aber wie ich meine Tante kenne, wird sie darauf recht skeptisch reagieren..."

"Nun, Mr Jackson ist derzeit gesundheitlich nicht in der Lage solche Aufträge durchzuführen", versetzte Sally kühl. "Sie werden sich dann wohl ein anderes Haus suchen müssen, dass diese Sache übernimmt."

Aber David Carson schüttelte nur den Kopf und machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Das werde ich schon hinbiegen, Sally. So war doch Ihr Vorname, nicht wahr?"

"Ja", sagte sie und hob die Augenbrauen dabei.

"Ich darf Sie doch so nennen, oder? Denn wenn Sie wirklich nach Carson Manor kommen, dann werden wir uns selbstverständlich öfter sehen. Nennen Sie mich David."

"Meinetwegen..."

"Übrigens ist für Ihre Unterbringung gesorgt, Sally. Sie können auf dem Landsitz meiner Tante so lange logieren, wie Sie für Ihre Arbeit brauchen..."

Sally nickte. "Gut, aber vor nächster Woche wird das nichts. Es liegt hier noch zuviel Arbeit..."

"Ich verstehe."

David erhob sich und nahm ihre Hand. Er hielt sie länger als notwendig. "Ich habe heute noch einiges in Southampton zu erledigen. Was halten Sie davon, wenn ich Sie heute Abend zum Essen einlade?"

Sally war überrascht.

Dieser Mann gefiel ihr und seine Anwesenheit versetzte sie in eine prickelnde Spannung. Er war sympathisch und offen und außerdem sehr attraktiv. Aber die Sache ging ihr dann doch etwas zu schnell und so entschied sie sich erst einmal dafür, auf die Bremse zu treten.

"Heute ist es schlecht", sagte sie. "Da habe ich leider schon etwas vor."

"Oh, und das lässt sich nicht aufschieben?"

Sein Gesicht drückte ehrliches Bedauern aus.

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein."

"Schade. Aber wir werden es nachholen, okay?"

"Wer weiß? Sagen Sie Ihrer Tante, dass ich Montag nach Carson Manor komme."

3

Am nächsten Tag erwartete Sally an ihrem Arbeitsplatz einen Strauß roter Rosen.

"Den hat ein Bote hier vorbeigebracht", meinte Graves, der sich bei Jackson & Graves um die Finanzen kümmerte. Graves war in den Fünfzigern und grauhaarig. Sein Lächeln ging fast von einem Ohr zum anderen.

"Für mich?", wunderte sich Sally.

"Es scheint, als hätten Sie einen ziemlich romantischen Verehrer, Miss Rogers", witzelte er.

"War keine Karte dabei?", erkundigte sie sich.

"Nein. Der Bote hat einfach nur den Strauß abgegeben und gesagt, die Blumen seien für Sie."

"Hm", murmelte sie und roch an den Rosen. Sie dufteten ganz wunderbar.

"Sagen Sie bloß, Sie wissen nicht, woher das kommt", tat Graves ziemlich erstaunt.

Sally zuckte die Achseln.

"Ich kann es mir denken", sagte sie leise, mehr zu sich selbst als zu Graves.

Als gegen Mittag das Geschäft von Jackson & Graves verließ, erlebte sie eine Überraschung. Sie hatte gerade den nahen Parkplatz erreicht und wollte mit dem Wagen zu einem Restaurant in der Innenstadt fahren, da sah sie einen Mann in einem blauen Cabriolet, der ihr zuwinkte.

Es war niemand anderes als David.

Sally zog den Wagenschlüssel wieder heraus, den sie bereits in das Türschloss ihres Coupes gesteckt hatte und ging auf David zu, der inzwischen ausgestiegen war.

"Hallo Sally", grüßte er freundlich mit diesem gewinnenden Lächeln auf den Lippen, das einfach unwiderstehlich war.

"Hallo David."

"So sieht man sich wieder!"

"Na, ein Zufall ist das ja wohl kaum, oder?" Sally verschränkte die Arme vor der Brust. Er schüttelte den Kopf.

"Ich habe auf Sie gewartet, Sally."

"Warum?"

"Um mit Ihnen zu essen. Irgendwann - da war ich mir sicher, würden Sie Hunger bekommen!"

"Sagen Sie bloß, Sie haben heute schon wieder etwas in Southampton zu tun!"

"Nein. Diesmal bin ich nur Ihretwegen hier. Ich gebe es zu!"

Und dabei hob er die Arme.

"Und das mit den Rosen, das waren auch Sie, oder?"

"Haben Sie Ihnen gefallen?"

"Ja, das haben sie..."

Sally betrachtete ihn und strich dabei eine vorwitzige Strähne zurück, die sich aus ihrer ansonsten sehr korrekten hochgesteckten Frisur herausgestohlen hatte. Insgeheim hatte sie sich gewünscht, ihn wiederzusehen. Etwas war an diesem David Carson, das sie faszinierte.

Sie wusste nicht, was es war. Vielleicht die Tatsache, dass er so gerade heraus war.

David deutete auf den Beifahrersitz seines Cabriolets.

"Kommen Sie, fahren wir zum Essen."

"Ich habe nicht viel Zeit."

"Das ist mir schon klar."

"Na, gut."

Sie stieg ein und dann fuhren sie los. Der Fahrtwind fuhr ihr durch die Haare. Sie war ein bisschen zu dünn angezogen, aber sie fühlte sich dennoch großartig.

Es war ein kleines, aber gemütliches Lokal, das David ausgesucht hatte. Sie saßen sich gegenüber und irgendwie hatte Sally das Gefühl, etwas überrumpelt worden zu sein. Aber in diesem Fall hatte sie nichts dagegen.

"Ich möchte Sie gerne kennenlernen, Sally", sagte David ganz offen.

Sie lächelte.

"Gehen Sie eigentlich immer so forsch vor, wie in meinem Fall?", erkundigte sie sich, nachdem der Ober die Bestellung aufgenommen hatte.

"Nein, eigentlich nicht. Ich bin eher schüchtern und zurückhaltend", erwiderte David mit einem schalkhaften Zug um die Augenwinkel.

Sie mussten beide darüber lachen.

"Darauf wäre ich nie gekommen, David!" Sally schüttelte den Kopf. Er hatte Humor und auch das gefiel ihr an ihm.

"Es ist aber die Wahrheit - und nichts als die reine Wahrheit, Sally!"

"Es beruhigt mich, dass Sie ein schlechter Lügner sind, David!"

Er lachte.

"Wissen Sie, dass Sie toll frisiert sind, Sally? Ich mag Frauen, die mit ihren Haaren etwas anzufangen wissen. Das verrät Stil."

"Nun, das kommt durch meinem Job", sagte sie mit einer Spur Verlegenheit. Seine direkte Art machte ihr zu schaffen. "Wissen Sie, ich muss einfach immer korrekt herumlaufen. Die meisten Leute vertrauen so wertvolle Dinge wie Antiquitäten einfach nicht gerne jemandem an, der nicht selbst wie aus dem Ei gepellt aussieht..."

Der Ober kam und brachte den Wein.

Als er wieder gegangen war, hob David das Glas und Sally folgte seinem Beispiel.

"Worauf trinken wir?", fragte sie.

"Darauf, dass dies nicht das letzte Glas ist, das wir zusammen trinken!", meinte David.

"Wollen wir das nicht der Zukunft oder dem Schicksal oder wem auch sonst immer überlassen?"

David hob die Augenbrauen zuckte die Achseln.

"Haben Sie noch nie etwas davon gehört, dass sich beide hervorragend beeinflussen lassen?"

4

Nach dem Essen brachte David Sally zurück zu ihren Arbeitsplatz bei Jackson & Graves. Sie waren zu spät dran und Sally wusste das.

Aber sie hatte David nicht gedrängt. Es war einfach schön mit ihm zusammen zu sein und da hatte sie sich zeitlich etwas treiben lassen.

Und das, obwohl es ihr ansonsten eigentlich überhaupt nicht ähnlich sah.

"Ich fahre Montag hinaus zu Ihrer Tante, David", sagte sie, nachdem sie aus dem Cabriolet ausgestiegen war. Er hatte den Wagen ebenfalls verlassen und trat zu ihr.

"Dann werde ich auch da sein", erklärte er.

"Ich muss jetzt gehen, David..."

"Einen Moment noch. Ich muss Ihnen noch etwas sagen."

"Ist dazu nicht Montag noch Zeit genug?"

"Es geht um meine Tante. Ich möchte einfach nur, dass Sie sich nicht allzu sehr wundern."

Sally stutzte und sah ihn erstaunt an. "Worüber denn?"

"Wissen Sie, Tante Dorothy ist seit dem Tod ihres Mannes ziemlich wunderlich geworden. Das hat sie aus der Bahn geworfen. Sie beschäftigt sich mit Okkultismus, mit Parapsychologie und all solchen Dingen... Manchmal redet mit sie mit sich selbst. Naja, Sie werden Sie ja kennenlernen."

"Ja."

"Sie ist nicht geisteskrank oder so. Eben nur wunderlich - obwohl die Grenzen da wahrscheinlich fließend sind. Zum Beispiel verlässt Sie Carson Manor so gut wie nicht mehr. Deswegen musste ich auch bei Ihnen vorbeischauen. Aber dadurch habe ich Sie kennengelernt, weswegen ich ihr deswegen unmöglich böse sein kann!" Er lächelte. "Ich weiß nicht, wann ich am Montag da sein werde. Es könnte sein, dass Tante Dorothy auf Sie etwas abweisend wirkt. Sie meint das nicht so..."

"Ich werde es nicht so ernst nehmen", versprach Sally.

Ehe sie sich versah hatte er ihr einen vorsichtigen, flüchtigen Kuss gegeben. "Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen, Sally!"

Damit ließ er sie stehen und stieg in das Cabriolet.

Sie war völlig perplex und hatte weiche Knie, obwohl sie sonst eigentlich so leicht nichts aus der Fassung bringen konnte. Sie sah ihm nach, wie der Wangen herumlenkte und ihr noch einmal zuwinkte.

Sie stand noch da, als er bereits um die nächste Ecke gefahren war und sie ihn überhaupt nicht mehr sehen konnte.

5

Am nächsten Tag rief er sie am Abend an. Sie kam erst ziemlich spät nach Hause in ihre zwei Zimmer Wohnung in einer vornehmen Wohngegend am Rande von Southampton. Irgendwie musste er ihre Privatnummer herausgefunden haben.

"Ich wollte mich nur erkundigen, wie es Ihnen geht", erklärte er.

"Das ist nett von Ihnen, David", erwiderte sie, sichtlich überrascht, während sie aus ihren hochhackigen Pumps schlüpfte und sich mit dem Telefon in der Hand auf die Couch legte.

"Haben Sie am Wochenende bereits etwas vor, Sally?"

"Leider, ja. Ich muss rauf nach Schottland und einen Nachlass begutachten. Ich werde wohl erst Sonntagabend wieder hier sein..."

"Das ist schade."

"Ich bedaure das auch, David."

"Wirklich?"

"Ja, wirklich."

"Dieser Mister Jackson, für den Sie arbeiten, muss ein Unmensch sein, dass er Ihnen nicht einmal den Sonntag gönnt!"

"Zum Glück ist das ja nicht immer der Fall!"

Sie seufzte und hörte ihn dann sagen: "Schlafen Sie gut, Sally."

6

Es war Montag Nachmittag, als Sally zum Landsitz von Dorothy Carson aufbrach. Sie hatte die Wegbeschreibung von David dabei und orientierte sich daran. Solange sie sich auf den gut ausgebauten Hauptstraßen befand, war das keine Schwierigkeit.

Aber dann kamen immer kleinere Straßen und schließlich war sie sich nicht mehr sicher, ob sie noch dem richtigen Weg war.

Die Straße, die sie fuhr kaum mehr als ein asphaltierter Feldweg. Und wenn ihr ein Fahrzeug entgegenkommen würde, so musste einer von beiden in den morastigen Rand hineinfahren.

Aber im Augenblick waren weit und breit keinerlei Fahrzeuge zu sehen. Die Landschaft wurde durch sanfte, grasbewachsene Hügel bestimmt, dazwischen immer wieder kleinere Wäldchen und ab und zu ein Haus oder Gehöft. Auf den Wiesen weideten Rinder und Schafe. Die gute Mrs Carson schien in der Tat äußerst zurückgezogen zu leben. Sally konnte es sich kaum vorstellen, für längere Zeit in einer solchen Umgebung zu leben. Sie brauchte das pulsierende Leben einer größeren Stadt. Und schon ihr Wechsel von London in das vergleichbar provinzielle Southampton war ihr nicht leichtgefallen. Sie sah auf die Uhr. Halb drei. Der Landkarte nach, die Sally ebenfalls dabei hatte, konnte es nicht mehr weit bis zum Landsitz der Carsons sein. Allenfalls noch ein paar Meilen. Aber auf diesen schmalen Wegen kam man nicht sonderlich schnell voran, so dass es kaum abzuschätzen war, wie lange sie noch brauchen würde. Sally war müde. Das fehlende Wochenende und der Trip nach Schottland steckten ihr noch in den Knochen. Aber der Gedanke daran, auf Carson Manor vielleicht David wiederzusehen, hielt ihre Lebensgeister wach.

David...

Immer wieder kreisten ihre Gedanken um diesen sympathischen jungen Mann. Sein Gesicht stand vor ihrem inneren Auge, im Traum hörte sie seine angenehm und ruhig klingende Stimme...

Scheint ganz so, als hättest du dich ernsthaft verliebt!, sagte sie zu sich selbst, obgleich sie etwas zögerte, sich das selbst einzugestehen. In den letzten Jahren hatte sie für ihr Privatleben nicht viel Zeit gehabt, sondern ihre ganze Kraft darauf verwandt, es in ihrem Beruf zu etwas zu bringen. Und dieser Beruf, der Umgang mit alten Büchern und Möbeln, faszinierte sie auch heute noch wie am ersten Tag. Ein Geräusch von unangenehmem Klang riss Sally aus ihren Gedanken. Das Geräusch kam vom Motor ihres Sportcoupes. Dann puffte es mehrfach und und sie merkte im nächsten Moment, wie der Wagen langsamer wurde. Der Motor ging aus. Sally konnte das Coupe gerade noch an den Straßenrand lenken. Schließlich war ja nicht gänzlich auszuschließen, dass hier doch mal jemand vorbeifuhr... Sally atmete tief durch. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Eine Wagenpanne...

Sie war eine begabte junge Frau, die stets zu den besten ihres Jahrgangs gehört hatte - aber von Autos verstand sie kaum etwas. Es genügte ihr, auf das Gaspedal zu treten und einigermaßen sicher sein zu können, dass sich das Gefährt dann vorwärts bewegte. Mehr verlangte sie von einem Auto nicht.

Sie schaute auf die Tankanzeige, ob sie vielleicht keinen Treibstoff mehr hatte. Aber daran konnte es nicht liegen, dass sie jetzt in dieser Einöde gestrandet war.

"So ein Mist!", schimpfte sie, jegliche Contenance vergessend. Aber hier konnte sie ja niemand hören. Keiner ihrer vornehmen Kunden war in Hörweite...

Sally stieg aus und öffnete die Motorhaube.

Aber das brachte ihr auch keine neuen Erkenntnisse. Der Motor, das war für sie ein einziges, unübersichtliches Durcheinander. Was da möglicherweise nicht stimmte, konnte sie nicht sehen. Bis ich hier wegkomme, kann eine Ewigkeit vergehen, wurde es ihr klar. Sie ging wieder zur Wagentür, langte auf den Beifahrersitz und nahm ihre Handtasche. Sie holte ein Funktelefon aus der Tasche heraus. Das hatte sie immer bei sich, denn sie musste ständig erreichbar sein. Erst rief sie die Auskunft an und erkundigte sich nach der Nummer des nächsten Abschleppdienstes. Als sie dann den Mechaniker der nächsten Werkstatt am Apparat hatte, hatte Sally einige Mühe ihm zu erklären, wo sie sich befand. Und selbst, als der Mann am anderen Ende der Leitung schließlich ein launiges "Ich verstehe!", von sich gab, war sie sich keineswegs hundertprozentig sicher, ob er sie wirklich verstanden hatte.

"Kommen Sie bitte schnell", sagte Sally. "Ich habe einen Termin und müsste eigentlich schon ganz woanders sein. Und außerdem..."

"Tut mir leid, Miss..."

"Rogers."

"Miss Rogers, wir haben im Augenblick mit einem Unfall auf der Schnellstraße zu tun. Es kann etwas dauern. Aber sobald wir einen Wagen frei haben, kommt jemand vorbei. In Ordnung?"

Sally atmete tief durch.

Welche Wahl hatte sie schon. Sollte sie vielleicht sagen, dass es nicht in Ordnung war?

"Gut", sagte sie also.

Die Aussicht darauf, hier noch ein, zwei Stunden festzusitzen freute sie überhaupt nicht. Sie versuchte bei Mrs Carson anzurufen, um ihre Verspätung anzukündigen. Und vielleicht konnte sie auch auch von dort jemand abholen. Auch wenn Mrs Carson, so wie David gesagt hatte, das Anwesen nicht verließ - vielleicht gab es Hausangestellte.

Oder David war dort. Aber sie bekam keinen Kontakt. Der Akku ihres Funktelefons meldete sich unmissverständlich mit einem Piepton zu Wort, der sogar den leichten Wind übertönte, der über die Hügel strich. Ein Unglück kam eben selten allein.

Ich hätte das Ding gestern wieder aufladen müssen!, wurde es Sally klar. Während ihrer Fahrt nach Schottland hatte sie viel telefonieren müssen. Kein Wunder, dass der Akku jetzt leer war. Sie konnte von Glück sagen, wenigstens den Abschleppdienst noch erreicht zu haben - denn zu Fuß über feuchte Kuhwiesen bis zum nächsten Hof zu laufen, das war nun wirklich nicht Sallys Fall. Sally zuckte die Achseln. Sieh es locker!, sagte sie zu sich selbst. Es war ja ohnehin offenbar nicht zu ändern. Warum sich also weiter darüber ärgern? Ein krächzender Schrei ließ sie kurz herumfahren. Es war eine einzelne Krähe, die da herangeflogen kam und im Gleitflug über sie hinwegschoss. Irgendwie hatte Sally für sich entschieden, dass sie diese Vögel nicht mochte... Sie setzte sich wieder ans Steuer ihres Wagens und lehnte sich zurück. Erst dachte sie daran, das Radio anzumachen, aber sie wollte am Ende nicht auch noch mit leerer Batterie dastehen. Also ließ sie es. Erst jetzt merkte sie, wie müde sie wirklich war und hörte sich selbst Gähnen. Sie kurbelte das Fenster herunter und fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht.

7

Ein furchtbarer, markerschütternder Schrei ließ Sally hochfahren. Noch nie zuvor hatte Sally einen solchen Schrei gehört. Undeutlich kam ihr ins Bewusstsein, dass sie offenbar eingenickt sein musste. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Ein weiterer dieser grauenerregenden Schreie ertönte und Sally riss die Augen auf. Etwas Schwarzes flog mit schlagenden Schwingen auf die Frontscheibe ihres Wagens zu. Es war eine Krähe, deren Krächzen allerdings in dem schrillen Schrei unterging, der unwillkürlich über Sallys Lippen ging. Reflexartig nahm sie die Arme vor das Gesicht, obwohl das natürlich Unsinn war. Schließlich schützte sie ja die Windschutzscheibe. Die Krähe zog ihre Flugbahn nach oben und schnellte über das Coupe hinweg. Aber diesem Vogel folgten noch weitere. Sally sah durch ihre gespreizten Finger hindurch einen ganzen Schwarm auf das Coupe zufliegen. Die Luft war erfüllt von krächzenden Lauten und dem Schlagen dunkler Flügel.

Es war gespenstisch.

Wie in einem grausamen Alptraum.

Dicht neben sich nahm Sally undeutlich eine Bewegung war.

Sie drehte sich zur Seite. Das Fenster, fiel es ihr siedend heiß ein. Das Fenster war noch offen und eines der Vogelbestien wäre um ein Haar ins Innere des Wagens gelangt. Sally schrie und schlug um sich. Sie fühlte die Berührung schlagender Flügel. Mit hastigen Bewegungen drehte sie die Seitenscheibe ihres Coupes hoch. Einen Augenblick später konnte sie dann einigermaßen aufatmen.

Fürs erste schien sie sicher. Schier fassungslos sah Sally hinaus auf den riesigen Krähenschwarm. Die Vögel waren überall.

Vielleicht waren es hunderte, möglicherweise auch tausende, die sich wie auf ein geheimes Kommando hin auf einen bestimmten Punkt gestürzt zu haben schienen...

Mein Gott, dachte Sally und bemerkte, dass sie zitterte.

Einige der Krähen saßen auf der Motorhaube ihres Wagens.

Kalte, dunkle Vogelaugen sahen sie mit unmenschlicher Gelassenheit an. Undeutbare Blicke schienen sie zu mustern.

Die Vögel flogen wieder davon und machten einigen ihrer zahlreichen Artgenossen Platz.

So etwas gibt es nicht!, durchfuhr es Sally. Vögel, die Menschen angreifen, das war der Stoff aus dem Gruselfilme waren. Aber dies war die Wirklichkeit!

Sie fühlte, wie sich jedes einzelne ihrer Nackenhaare aufgerichtet hatte.

Ein Klopfen drang an ihr Ohr und ließ sie zusammenzucken.

Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was es war - und die Erkenntnis wirkte keineswegs beruhigend auf sie. Einige der Krähen schien auf dem Dach des Coupes herumzulaufen...

Sally fragte sich, was die Tiere beabsichtigten.

Denn dass sie planvoll handelten, das schien ihr eindeutig zu sein. Wie ein einziger großer Organismus, so hatte der Schwarm bei seinem Angriff gewirkt. Ein grauenerregender tierischer Schrei hob sich aus dem Geräusch der Vögel heraus. Sally wusste nicht, wodurch dieser verursacht war, aber es klang einfach furchtbar. Der Todesschrei einer gequälten Kreatur...

8

Sally hatte keine Ahnung wie viel Zeit seit dem Angriff der Vögel vergangen war. Sie saß starr und regungslos hinter dem Lenkrad und irgendwann war dann der ganze Spuk zu Ende. Immer größere Gruppen von Krähen erhoben sich in die Lüfte und flogen davon, bis keine mehr übrigblieben. Eine Weile noch blieb sie danach auf ihrem Platz sitzen, bevor sie es endlich wagte, die Wagentür zu öffnen und hinaus ins Freie zu treten. Ihre Knie waren weich und sie hoffte nichts sehnlicher, als dass endlich der Abschleppwagen auftauchen würde und sie diesen furchtbaren Ort verlassen konnte. Ihr Blick ging zum Horizont, wo ein Teil der Vögel als dunkler Schwarm am Himmel stand. Aus der Ferne wirkten sie wie ein einziges, düsteres Wesen, das wie ein furchtbarer Schatten durch die Luft geflogen kam. Von der anderen Seite her hörte sie das Getrappel galoppierender Hufe. Sie drehte sich herum und sah einen Reiter auf einem Apfelschimmel herannahen.

Endlich!, dachte sie.

Wer immer das auch sein mochte, sie würde nicht mehr allein sein. Sie ging ein paar Schritte, dann blickte sie die blumenbewachsene Böschung hinab, die sich ungefähr zwei oder drei Meter neben der Straße befand. Auf der Wiese, halb durch einen Busch verdeckt lag etwas Helles, Blutiges.

Sally stockte der Atem, als sie es sah.

Es waren die Überreste eines toten Lamms.

Offenbar hat der Angriff doch nicht mir gegolten, ging es Sally durch den Kopf und das erleichterte sie irgendwie.

Der Gedanke daran, dass harmlose Vögel sich in mordlüsterne Bestien verwandelten, die Menschen angriffen, war einfach zu absurd. Aber auch dies erschien ihr seltsam genug.

Sally war keine Vogelkundlerin, aber bislang hatte sie noch nie davon gehört, dass Krähen kleinere Tiere angriffen! Daran, dass die Vögel vielleicht nur deshalb das Lamm angegriffen hatten, weil sie Sally nichts anhaben konnten, mochte sie gar nicht denken.

Inzwischen war der Reiter heran und zügelte sein Pferd.

"Guten Tag, Ma'am", sagte eine feste, sehr sicher wirkende Stimme. Sally löste sich von dem Anblick des Lamms und blickte in das Gesicht eines Mannes, der wie das Musterbild eines englischen Landadligen aussah. Sein Alter mochte irgendwo zwischen dreißig und vierzig liegen. Es war einfach unmöglich, es genau zu schätzen. Er trug einen dunklen und sehr schmalen Oberlippenbart. Seine Augen waren braun und wirkten sehr aufmerksam. Das Jackett und die Mütze, die er auf dem Kopf trug, waren aus grobem Tweedstoff. Er stieg aus dem Sattel und die elegante Art und Weise wie er das machte, verriet den geübten Reiter. Er deutete auf das Lamm. "Sie sehen ja ganz bleich aus, aber seien Sie nicht zu sehr erschreckt, Ma'am..."

"Was?" Sally stutzte und glaubte schon sich verhört zu haben.

Der Reiter nickte freundlich. Er sah noch einmal kurz zu dem Lamm hin und meinte dann: "Das waren die Vögel, nicht wahr?"

"Ja."

"Das ist leider nicht der erste Fall hier in der Gegend. Aus unerfindlichen Gründen sammeln sich die Krähen zu Schwärmen und greifen Lämmer und andere kleine Tiere an, manchmal sogar Kälber. Sie machen das ganz planmäßig. Zuerst haben sie es auf die Augen abgesehen. Und wenn das betreffende Tier dann blind und hilflos ist, haben sie leichtes Spiel und können auch Tiere töten, die ihnen eigentlich an Kraft weit überlegen sind... Zum Schluss höhlen sie das Opfer von innen aus. Sie fressen alles, nur das Fell und die Knochen bleiben zurück." Er zuckte die Achseln. "Ich besitze einige Ländereien hier in der Gegend und es hat auch von meinen Tieren welche erwischt." Plötzlich entspannte sich sein Gesichtsausdruck wieder, der einen etwas grimmigen Zug bekommen hatte. Er reichte Sally die Hand.

"Entschuldigen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Ich bin Sir Ashley Wyndham..."

"Sally Rogers", erwiderte Sally. Die Sache mit den Vögeln saß ihr noch in den Knochen. "Wenn Sie hier in der Gegend wohnen, dann kennen Sie sicher auch Carson Manor."

"Sicher. Das ist hier ganz in der Nähe... Sind Sie eine Verwandte von Mrs Carson?"

Sally schüttelte den Kopf.

"Nein. Ich bin Antiquarin und soll ihre Bibliothek katalogisieren."

"Ah, ja...", murmelte Sir Ashley Wyndham in einem Tonfall, der entweder signalisierte, dass er Bescheid wusste, oder dafür sprach, dass ihn dieses Thema nicht sonderlich interessierte.

Sally war sich da nicht sicher.

"Leider hat mein Wagen mitten in dieser Öde den Geist aufgegeben und der Abschleppdienst lässt auf sich warten. Und dann kamen plötzlich die Krähen..."

Sir Ashley tätschelte seinem Pferd den Hals. "Ja, das mit den Vögeln ist tatsächlich ein Rätsel. Ich habe mich eingehend erkundigt, bei allen meinen Pächtern, bei den Schäfern... Selbst die Erfahrenen unter ihnen, die zum Teil schon mehr als dreißig Jahre ihre Arbeit machen und ansonsten über jeden Grashalm eine erstaunliche Geschichte zu erzählen wissen, haben so etwas noch nicht erlebt.Ich weiß, dass das absurd klingt, aber es scheint, als ob eine geheimnisvolle Macht sie lenkt. Aber ich beginne jetzt Unsinn zu reden..." Sir Ashley strich sich das Revers seines Tweed-Jacketts glatt und zuckte dann die Achseln. "Vielleicht sollte man mal eine großangelegte Jagd auf diese Vögel veranstalten, um wenigstens ihre Anzahl etwas zu reduzieren..." Er reichte ihr dann die Zügel seines Apfelschimmels und meinte: "Hier, halten Sie mal das Pferd, ich sehe mir in der Zwischenzeit Ihren Wagen an..."

Sally hob die Augenbrauen.

"Ein Lord, der Autos reparieren kann?", meinte Sally und wirkte dabei schon wieder etwas gelöster.

Sir Ashley hob die dunklen Augenbrauen, die gerade wie ein Strich gezogen waren.

"Sagen Sie bloß, Sie halten mich für jemanden, der zwei linke Hände hat!"

"Nun..."

"Bevor Sie irgendetwas sagen, bedenken Sie eines: erfolgloser als Sie werde ich wohl kaum sein können, meinen Sie nicht auch?" Ein Lächeln ging unwillkürlich über ihr Gesicht. Sir Ashley lächelte ebenfalls, aber Sally kam dies eher wie eine Art Maske vor. Sein Gesicht blieb undurchdringlich, und es schien so, als wäre Sir Ashley jemand, der sehr viel Wert darauf legte, dass ihm niemand zu tief hinter die Kulissen sehen konnte.

9

Die Art und Weise, mit der Sir Ashley an Sallys Coupe herumhantierte wirkte alles andere als fachmännisch, aber schließlich hatte er Erfolg. Der Motor sprang an und lief wieder einwandfrei. Mit einem äußerst zufriedenen Zug um die Mundwinkel klappte Sir Ashley die Motorhaube zu und wandte sich an Sally, der er die Zügel seines Apfelschimmels wieder abnahm.

"Wie haben Sie das gemacht?", fragte sie - sichtlich erstaunt.

Bei seinem Lächeln zeigte Sir Ashley die Zähne und meinte: "Seien Sie ehrlich, Sie hatten mir das nicht zugetraut..."

"Nein."

"Ein Schlauch hatte sich gelöst. Ich habe ihn provisorisch wieder befestigt, aber Sie sollten damit bald in die Werkstatt fahren..."

"Ich danke Ihnen..."

Sir Ashley musterte sie einen Augenblick lang nachdenklich.

Sally sah in seine dunkelbraunen Augen und fragte sich, was hinter der Stirn ihres Gegenübers jetzt wohl vor sich ging. Sie hatte das Gefühl, einer Art Prüfung unterzogen zu werden.

Er nahm ihre Hand.

"Grüßen Sie Mrs Carson von mir."

"Das werde ich tun."

"Vielleicht werde ich in den nächsten Tagen mal auf Carson Manor vorbeischauen. Bis dann, also."

"Woher wissen Sie, dass ich so lange bei Mrs Carson bleiben werde?"

Sein Lächeln war dünn und Sallys Bemerkung ließ ihn für den Bruchteil einer Sekunde etwas verwundert dastehen. Dann sagte er: "Nun, ich kenne die Bibliothek der Carsons. Sie ist sehr umfangreich, Sie werden also eine Weile zu tun haben. Es sind wirklich schöne Stücke darunter, an die jeder, der eine bibliophile Ader hat, sein Herz verlieren kann. Soll sie zufällig verkauft werden?"

Sally stutzte.

Sie hatte nicht die Absicht diesem Landadeligen irgendetwas dazu zu sagen. "Wie kommen Sie auf eine solche Idee?", fragte sie.

Er zuckte die Achseln. "Wissen Sie, der Großteil der Bibliothek wurde von Arthur Carson, dem Gründer von Carson Industries zusammengekauft. Er war ein wahrer Büchernarr und hat gerne Sammlungen übernommen. Ich habe früher oft in den Beständen herumgestöbert... Leider fehlt mir im Moment die Zeit dazu. Aber seit dem Tod von Mister Carson - und der liegt immerhin schon einige Jahre zurück - staubt alles nur so vor sich hin. Es ist ein Jammer. Aber Mrs Carson hatte nie Sinn dafür. Daher dachte ich..."

"Am besten Sie fragen Mrs Carson direkt", schlug Sally vor.

Sir Ashley schwang sich indessen auf den Rücken seines Pferdes.

"Wie auch immer. Es war mir ein Vergnügen!"

"Haben Sie vielen Dank!"

"Keiner Ursache. Ich helfe gerne!" Und damit drückte Sir Ashley seinem Pferd die Hacken in die Weichen, so dass es bald darauf in rasantem Galopp voranpreschte. Einen Augenblick noch sah Sally Rogers ihm nach. Dann stieg sie in den Wagen, wobei sie es vermied in Richtung des Lamms zu blicken.

10

Wenig später hatte Sally Rogers Carson Manor erreicht. Es war wirklich ein imposanter Landsitz. Den Hauptteil bildete ein großes, zweigeschossiges Landhaus in klassischem Stil. Darüber hinaus gab es noch ein paar Nebengebäude. Die ursprünglichen Erbauer hatten diese sicherlich als Stallungen und als Wohnräume für das Personal gedacht, aber heute dienten sie wohl in erster Linie als Garagen. Als Sally vorfuhr und den Wagen abstellte, kam ihr ein hochgewachsener, aber bereits etwas in die Jahre gekommener Mann entgegen, der seiner Kleidung und seinem Auftreten nach eine Art Butler war.

"Guten Tag, mein Name ist Sally Rogers. Ich komme von Jackson & Graves in Southampton."

"Ja, ich weiß Bescheid", sagte der Butler. "Darf ich Ihr Gepäck nehmen?"

"Gerne. Viel ist es nicht."

Sally gab ihm ihren Handkoffer. Da sie viel reisen musste, hatte sie es sich angewöhnt mit wenig Gepäck auszukommen. Das war einfach praktischer.

"Wir hatten uns schon etwas Sorgen um Sie gemacht", sagte der Butler, während er vor ihr herging.

Sally berichtete knapp von ihrer Reifenpanne. Die Sache mit den Vögeln erwähnte sie nicht. Warum auch?

"Sie werden sicher die nächsten Tage über Nacht bleiben - so wurde mir gesagt."

"Ja", bestätigte Sally.

"Ich habe ein Zimmer für Sie hergerichtet und hoffe, dass alles nach Ihrem Geschmack ist."

"Danke, das wird es sicher."

"Mrs Carson hat im Moment Besuch, wird Sie aber gleich empfangen, Miss Rogers." Der Butler führte sie ins Obergeschoss. Das Zimmer, das er für sie hergerichtet hatte, erschien ihr riesig. Die Möbel wirkten gediegen und kostbar. Manche davon hätten sich sicher gut in einem Antiquitätengeschäft wie Jackson & Graves gemacht... Wenig später führte der Butler sie in eine Art Salon und bat sie, in einem der zierlich wirkenden Sessel doch Platz zu nehmen.

"Sie trinken doch eine Tasse mit, nicht wahr?"

"Gerne." Sie deutete auf das überdimensionale Portrait-Gemälde, das eine der Wände dieses Salons beherrschte.

Es stellte einen Mann in Reiterkleidung dar, vielleicht Mitte vierzig und mit kantigem, energisch wirkendem Gesicht.

"Wer ist das?", fragte Sally

"Das ist Arthur Carson", erklärte der Butler.

Und Sally entfuhr unwillkürlich ein "Oh."

"Er verstarb bei einem Reitunfall und obwohl das bereits recht lange her ist, leidet Mrs Carson noch immer darunter. Wenn sie plötzliche Stimmungsschwankungen bemerken sollten, dann seien Sie nachsichtig, Miss Rogers."

"Natürlich."

Dann verschwand der Butler.

Die Tür zum Salon blieb dabei halb geöffnet. Knarrend wurde der Spalt durch einen Luftzug noch etwas größer.

Sally erhob sich, um die Tür zu schließen, aber sie hatte sie kaum erreicht, da hörte sie aus dem Flur Stimmen und Schritte.

"Ich danke Ihnen, Mister Heyward", hörte sie eine Frauenstimme sagen. "Es beruhigt mich doch sehr, zu wissen, dass Arthur mit allem einverstanden ist..."

"Sie tun das richtige, Mrs Carson...", sagte eine Männerstimme, die hart und metallisch klang.

"Mister Heyward, Sie wissen ja gar nicht, was es für mich bedeutet, dass Sie eine Verbindung herstellen konnten..."

"Sie war nur sehr kurz, Mrs Carson. Kurz und instabil. Ich weiß nicht, ob wir es noch einmal schaffen..."

"Tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht, Mister Heyward!"

"Das wird nicht einfach sein und vielleicht auch etwas Zeit brauchen..."

"Ganz gleich, was es auch kosten mag! Ich bin bereit, dafür alles zu geben! Alles!"

"Ich weiß."

"Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie tun würde, Mister Heyward... Sie können sich nicht vorstellen, in welche düsteren Täler der Verzweiflung ich für lange Zeiten gestürzt bin..."

Es war sicherlich nicht Sallys Absicht gewesen zu lauschen.

An sich war sie stets peinlich darauf bedacht, die Privatsphäre anderer zu beachten. Aber das, was da an ihre Ohren drang, war einfach so merkwürdig, dass sie nicht anders konnte, als zuzuhören.

Offenbar ging es um Arthur Carson, einen Toten, von dem gesprochen wurde, als würde er noch leben.

Sally atmete tief durch.

Närrin!, schalt sie sich selbst. Du siehst schon Gespenster.

Vermutlich gibt es irgendeinen lebenden Verwandten gleichen Namens...

Dann drang erneut die metallisch klingende Stimme jenes Mannes in ihr Bewusstsein, der Heyward hieß.

"So sehr ich Ihre Freude über die Verbindung zum Geist Ihres toten Mannes auch teile, Mrs Carson: Ich mache mir Sorgen um Sie. Und nicht nur um Sie!"

"Ich weiß, Mister Heyward!"

"Sie müssen lernen, mit dieser grausamen Kraft umzugehen, die Ihre Gedanken besitzen! Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, wann wieder ein Unglück geschieht. Und es wird niemanden geben, der dann etwas dagegen tun kann! Auch Sie nicht!"

"Ich habe das Gefühl, das meine Kräfte stärker und stärker werden...", sagte Mrs Carson in gedämpftem Tonfall.

"Ich weiß", sagte Heyward. "Das ist in solchen Fällen oft der Fall..."

"Die Vögel..."

"Die Vögel sind kaum mehr als ein Vorspiel von dem, was noch geschehen kann!"

"Mr Heyward, ich bin so verzweifelt... Ich komme gegen diese Mächte nicht an!"

"Gemeinsam werden wir einen Weg finden, Mrs Carson. Das verspreche ich Ihnen!"

Heyward verabschiedete sich dann.

Wenig später war zu hören, wie draußen ein Wagen angelassen wurde und wegfuhr.

11

"Möchten Sie Zucker in Ihren Tee?", fragte der Butler. Er und Mrs Carson waren fast gleichzeitig eingetreten und Sally hatte es gerade noch geschafft, sich wieder auf ihren Platz zu setzen.

"Gerne", beeilte sie sich.

Mrs Dorothy Carson stand derweil etwas abseits. Sally schätzte sie auf Mitte sechzig. Ihr Haar war grau und ebenso ihre Augen. Sie bedachte Sally mit einem falkenhaften Blick, der deutliches Misstrauen ausdrückte. Die ganze Zeit über rieb sie die Handflächen aneinander.

"Lassen Sie uns bitte allein, Charles", sagte sie dann etwas ungeduldig zu ihrem Butler. Dieser nickte und und verschwand diskret und leise durch die Tür.

Dorothy Carson setzte sich nicht und Sally fühlte sich ziemlich unbehaglich. "Sie sind also Miss Rogers... Mein Neffe hat Sie mir schon angekündigt."

Sie ging ein Stück auf und ab.

"Sie wollen Ihre Bibliothek veräußern", sagte Sally, um überhaupt ein Gespräch anzufangen. Denn Dorothys Blick war inzwischen auf das große Bildnis des verstorbenen Arthur Carson gefallen. Sie stand in sich versunken da und rührte sich nicht.

"Ja", murmelte sie tonlos. "Sehen Sie zu, dass Sie mit Ihrer Arbeit schnell fertig werden."

"Ich werde mir Mühe geben."

Sie wandte sich herum. Ihr Blick hatte etwas Angstvolles, Gehetztes. "Entschuldigen Sie, ich wollte nicht ungastlich sein, aber ich brauche dringend etwas Geld. Deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn die ganze Sache schnell über die Bühne gehen würde."

"Ganz so schnell wird es vielleicht nicht gehen", sagte Sally ganz offen. "Ich sage Ihnen das aus Erfahrung. Unsere Branche ist nicht halb so hektisch wie es in anderen Bereichen zugeht. Und bis wir einen Käufer gefunden haben, kann es etwas dauern. Schließlich wollen Sie die Bücher ja sicher nicht unter Wert weggeben..."

"Nein", sagte Dorothy leise.

Sally trank ihren Tee aus.

Ein unangenehmes Schweigen entstand. Dann sagte Dorothy: "Sie werden sich vielleicht wundern, weshalb eine Frau wie ich in Geldschwierigkeiten ist..."

"Es geht mich nichts an, aus welchen Motiven Sie die Bücher verkaufen wollen, Mrs Carson."

Ein mattes Lächeln ging über ihr Gesicht. "Wie Sie sicher wissen, hat mein Mann einst Carson Industries gegründet und natürlich denkt alle Welt, dass ich im Geld schwimme. Aber das ist nicht der Fall. Jedenfalls nicht so, wie sich die Leute das vorstellen... Es ist nicht schön, wenn man umgeben ist von Menschen, die nur darauf warten, dass man stirbt und ihnen etwas hinterlässt... Lassen Sie sich das gesagt sein, junge Frau! Möchten Sie noch Tee?"

"Nein, danke", sagte Sally und erhob sich. "Am besten Sie zeigen mir jetzt die Büchersammlung."

"Es wird Ihnen nicht gefallen, was Sie zu sehen bekommen. Die Sammlung ist in keinem guten Zustand und teilweise noch in Kisten verpackt. Sie war eigentlich im Westflügel untergebracht und jetzt liegt sie auf der anderen Hausseite... Kommen Sie!"

Sally folgte ihrer Gastgeberin durch langgezogene Flure, deren Fußböden an manchen Stellen knarrten.

Es war ein weitläufiges Haus und Mrs Carson ging nicht sehr schnell. So brauchten sie eine ganze Weile, bis sie endlich jene Räume erreicht hatten, in denen die Bibliothek untergebracht war. Abgestellt, das war das richtige Wort dafür.

Ein Teil der Bände war in Bücherregalen untergebracht, der Rest in Kisten verpackt. Die Vorhänge waren zugezogen und über allem lag eine dicke, grauweiße Staubschicht...

"Ich gebe gerne zu, dass ich nie einen Sinn für diese alten Bücher hatte", sagte Dorothy. "Ein Teil stammt aus altem Familienbesitz der Seite meiner Mutter. Den Rest hat Arthur dazugekauft. Die Sammlung war sein ein und alles, aber er ist einverstanden. Er hat es gesagt..."

Die letzten Worte murmelte sie mehr oder minder nur für sich selbst daher. Erst als sie Sallys erstaunten Blick sah, schien sie zu begreifen, was sie da gesagt hatte.

Ihr Lächeln wirkte fast etwas verlegen, aber in ihren Augen war nun ein freudiger Glanz. Ihr Mann musste ihr sehr viel bedeutet haben, wurde es Sally klar.

"Wundern Sie sich nicht über das Gerede einer alten Frau", sagte sie. "Aber wissen Sie, ich kann einfach nicht glauben, dass das, was Arthurs Persönlichkeit ausgemacht hat, nicht mehr existiert...

"Ich habe gehört, dass Ihr Mann bei einem Reitunfall ums Leben kam..." sagte Sally vorsichtig.

"Ja, sein Körper mag tot sein. Aber ist das alles, was einen Menschen ausmacht? Was wissen wir schon darüber? Was ist mit dem Teil seiner Persönlichkeit, der vielleicht losgelöst vom Körper existieren kann? Nennen Sie es seine Seele oder seinen Geist." Ihr leuchtender Blick schien jetzt ins Nichts zu blicken. "Ich habe mich lange mit diesen Fragen beschäftigt, Miss Rogers. Aber Sie sind zu jung dafür, als dass Sie so etwas interessieren könnte."

"Nun, ich..."

"Sie glauben, dass Sie dem Tod noch so fern sind, deshalb können Sie die Frage, ob es ein Danach gibt bei Seite schieben. Aber seit mein Mann umkam und so plötzlich aus dem Leben gerissen wurde, denke ich an nichts anderes mehr..."

Sie ging zum Fenster und zog die Vorhänge zur Seite. Das Licht wirkte grell und der Luftzug, der durch die Bewegung der Vorhänge entstand, wirbelte Staub auf.

Sally musste niesen.

Dann öffnete sie beiläufig einen der Kartons und griff nach einem der Bücher.

Es war eine Erstausgabe von Charles Dickens' Oliver Twist.

Und dazu noch eine, die gut erhalten war. Allein für diesen Band konnte man auf Versteigerungen unter Umständen mehrere tausend Pfund erreichen.

Dorothy deutete auf eine Tür und sagte dann: "In den beiden Nachbarräumen ist der Rest der Sammlung, Miss Rogers."

"Ich werde schon zurechtkommen."

"Davon bin ich überzeugt."

Dorothy öffnete die Tür zum Nachbarraum und einmal schien ein frischer Luftzug von dort hereinzublasen. "Was ist denn hier los?", hörte Sally die Stimme der alten Dame, die inzwischen den Raum betreten hatte.

Ein Geräusch ließ Sally aufhorchen.

Es klang wie Flügelschlag.

Im nächsten Moment ertönte ein Schrei des puren Entsetzens.

12

Augenblicklich legte Sally den Oliver Twist aus der Hand und eilte durch die halboffene Tür in den Nebenraum. Das Fenster stand offen. Der Vorhang war halb zur Seite gezogen.

"Nein!"

Dorothy Carson stand mit schreckgeweiteten Augen da und schüttelte langsam den Kopf. Ihr Gesicht war eine einzige Maske des Grauens. "Nein", flüsterte sie erneut und machte einen Schritt rückwärts. Sally ließ den Blick kreisen, um zu sehen, was die alte Frau so erschreckt hatte. Aber da schien auf den ersten Blick nichts zu sein. In der Mitte des Raum befand sich ein Tisch, darauf waren mehrere Kartons - offenbar ein Teil von Arthur Carsons Büchersammlung. Einige Stühle standen mehr oder minder planlos im Raum herum und schienen hier ebenso wie die Bücher nur abgestellt zu sein. In einer Ecke entdeckte Sally einige großformatige Gemälde, die an die Wand gelehnt waren.

Einen Augenblick lang geschah gar nichts, dann nahm Sally seitlich eine Bewegung wahr. Etwas dunkles bewegte sich, flatterte wild umher und stieß irgendwo an. Ein krächzender, durch Mark und Bein gehender Laut schnitt dann wie ein Messer durch die Stille.

"Eine Krähe!", stellte Sally erstaunt fest.

Unwillkürlich erschienen vor ihrem geistigen Auge wieder die bedrohlichen Bilder, die sie am Nachmittag gesehen hatte. Aber dies war nur ein einzelner Vogel, der vermutlich durch das offene Fenster hereingekommen war und jetzt den Weg nicht wieder hinaus fand.

"Ist etwas passiert, Mrs Carson?", rief plötzlich eine männliche Stimme.

Es war Charles, der wohl herbeigeeilt war, weil er Dorothys Schrei gehört hatte.

"Sie sind hier, sie sind hier...", stammelte Dorothy. Sie barg das Gesicht in den Händen.

"So beruhigen Sie sich doch, Madam!" Charles hatte Dorothy bei den Schultern gefasst und versuchte, sie aus dem Raum zu führen. Aber Dorothy war stocksteif. Sie zitterte leicht.

In diesem Moment unternahm der Vögel einen erneuten Versuch und schaffte es, durch das Fenster wieder hinaus ins Freie zu gelangen.

"Nichteinmal das Haus ist jetzt noch vor ihnen sicher", murmelte Dorothy. Sie war halb von Sinnen und der Butler machte ein ziemlich ratloses Gesicht.

"Es ist doch nichts passiert, Mrs Carson!", gab Sally zu bedenken. "Beruhigen Sie sich! Es war nur ein Vogel, der nicht mehr zurückkonnte... Jemand muss das Fenster aufgelassen haben."

Sallys Blick traf sich mit dem von Dorothy und die beiden Frauen sahen sich einen quälend langen Augenblick nachdenklich an. Schließlich atmete Dorothy tief durch und ihr Gesicht entspannte sich leicht.

"Natürlich", sagte die alte Dame dann. "Sie haben recht. Gehen Sie gleich an Ihre Arbeit. Je schneller Sie fertig sind, um so besser!" Und während sie das sagte, ballten sich ihre Hände zu Fäusten, so dass die Knöchel ganz weiß wurden.

"Wie Sie wünschen", erwiderte Sally stinrunzelnd.

"Passen Sie auf sich auf, Miss Rogers." Ein düsterer Unterton schwang in Dorothys Stimme mit, ein Unterton, der Sally aufhorchen ließ.

"Wie meinen Sie das?"

Dorothy trat nahe an Sally heran. "Ich habe Ihnen doch von meinem Mann erzählt..."

"Ja."

"Auch ihn traf das Unglück ganz plötzlich, ohne Vorwarnung... Man weiß nie, wo die Mächte des Bösen auf einen lauern, Miss Rogers... Also seien Sie vorsichtig!"

13

Als erstes begann Sally, sich einen groben Überblick über den Bestand zu machen. Aber das war leichter gesagt, als getan, denn auch in dem dritten Raum befanden sich noch einige Kisten mit Büchern.

Allerdings stellte sie bald fest, dass diejenigen, die die Sammlung zusammengepackt hatten, dabei keinerlei Ordnung eingehalten hatten. So lagen wertlose Unterhaltungsromane neben antiquarischen Kostbarkeiten.

Schon bald war der jungen Frau klar, dass sie eine ganze Weile brauchen würde, um alles zu katalogisieren und auch nur annähernd einen Überblick zu schaffen.

Aber das würde die Mühe sicher wert sein. Denn je länger sie in den Büchern herumstöberte, desto interessantere Funde machte sie. Da war beispielsweise eine alte Familienchronik, annähernd 200 Jahre alt, wie Sally schätzte. Und dann waren da einige Bände eines Lexikons aus der Zeit Königin Viktorias. Was es wert sein würde, das hing unter anderem auch davon ab, ob sich die anderen Bände noch in einer der Kisten befanden. Allerdings gelang es Sally nur halb, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Die ganze Zeit über, in der sie mit den alten, staubigen Bänden allein war, klangen die düsteren Andeutungen in ihr nach, die Dorothy gemacht hatte. David hatte sie ja vorgewarnt. Und er hatte wahrlich nicht übertrieben. Dorothy Carson war alles andere als eine gewöhnliche Frau. Wie muss sie ihren Mann geliebt haben!, ging es Sally durch den Kopf. Jedenfalls hatte sein Tod sie wohl ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Und das, obwohl dieses Ereignis doch schon so lange Jahre zurücklag. Und dann musste sie an das seltsame Gespräch im Flur denken, das sie mitbekommen hatte. Wer mochte dieser Heyward sein, der offenbar - genau wie Dorothy - davon ausging, dass die Toten nicht wirklich tot waren. Darauf konnte Sally sich keinen Reim machen. Sie atmete tief durch und wischte den Staub von einem dicken Folianten, den sie gerade aus einem der Kartons herausgegraben hatte. Dieser Landsitz hatte eine düstere, unwirtliche Atmosphäre - und diese hatte auch schon deutlich auf ihr Gemüt abgefärbt. Sie stand auf und ging zum Fenster, um es zu öffnen. Die Luft in diesen modrigen Räumen schien ihr auf einmal unerträglich stickig. Sie riss das Fenster auf. Auf dem Dach des Nebengebäudes sah sie ein halbes Dutzend Krähen sitzen, deren kalte Augen in ihre Richtung starrten und sie zu mustern schienen. Sally musste unwillkürlich schlucken.

14

Etwa eine Stunde später tauchte Charles, der Butler auf, um Sally zum Diner zu bitten.

"Hat sich Mrs Carson etwas erholt?", erkundigte sich Sally.

Charles nickte.

"Ja. Sie hat etwas geschlafen und fühlt sich jetzt besser."

"Das freut mich."

Als der Butler sie dann ins Esszimmer führte, erlebte sie eine freudige Überraschung. Am Tisch saß nämlich niemand anderes als David, der sie mit einem freundlichen Lächeln empfing.

"Sally!" Er stand auf und ging ihr entgegen.

"Ich freue mich, dich zu sehen David!"

"Ich bin schon etwas länger hier, aber man sagte mir, dass ich unmöglich zu dir könnte."

"Warum das denn?"

"Du wärst bei der Arbeit und dürftest nicht gestört werden! Strengste Anordnung von Tante Dorothy, der unbedingt Folge zu leisten ist!" Er lachte und auch über Sallys Gesicht huschte ein Lächeln. Er nahm sie kurz in den Arm und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Sie nahm seine Hand und ihre Blicke trafen sich. In all dieser Düsternis schien er der einzige zu sein, der etwas Fröhlichkeit und Leichtigkeit verkörperte. Obwohl er den Namen Carson trug, so wirkte er doch wie ein Fremdkörper inmitten dieses düsteren Hauses. Jedenfalls hatte er nichts von der Art seiner Tante und das beruhigte Sally. David sah sie an und runzelte dann die Stirn.

"Du siehst recht geschafft aus, Sally. Der erste Tag hier scheint dich ja ziemlich mitgenommen zu haben."

Sie nickte. "Das kann man wohl sagen...", murmelte sie.